Mein Freund Pax – Die Heimkehr - Sara Pennypacker - E-Book

Mein Freund Pax – Die Heimkehr E-Book

Sara Pennypacker

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Beschreibung

Der Junge Peter und der Fuchs Pax: Sie waren einst unzertrennlich, heute leben sie weit voneinander entfernt. Doch die Erinnerung an den jeweils anderen lässt beide nicht los. Und so brechen sie auf: auf eine Reise durch die Wildnis, die ihre Wege abermals zueinander und näher zu sich selbst führt. Ein Roman über Freundschaft und Liebe und die unverzichtbare Fähigkeit, auch nach großer  Verletzung vergeben zu können. Mit schwarz-weiß Illustrationen von Jon Klassen Die Presse über die amerikanische Originalausgabe: »Dies ist ein geschickt nuancierter Blick auf die Zerbrechlichkeit und Stärke des menschlichen Herzens. Eine beeindruckende Fortsetzung.« Kirkus Reviews »(...) Eine würdige Fortsetzung und gleichzeitig eine herzzerreißende und wunderbar lebensbejahende Erkundung der Konzepte von Heimat, Familie und der Liebe, die alles lohnenswert macht.« Booklist Die Presse über »Mein Freund Pax«: »Ein großartiges Plädoyer für Menschlichkeit.« Süddeutsche Zeitung  »Eindrücklich und mit einem ungewöhnlichen Sog.« NZZ am Sonntag »Eine wundervoll poetische Geschichte.« Stuttgarter Zeitung »Der Roman berührt ebenso eindringlich wie unaufdringlich die großen Fragen, vor denen junge Leser [...] ein erstes Mal stehen könnten.« Frankfurter Allgemeine Zeitung »Ein sehr besonderes Buch, das nahe geht und lange nachwirkt.« Norddeutscher Rundfunk »Einfühlsam und anspruchsvoll erzählt, ohne kitschig zu sein, für Jungs und Mädchen gleichermaßen geeignet.« Buchmarkt Von Sara Pennypacker außerdem bei FISCHER Sauerländer erschienen: »Mein Freund Pax« »Hier im echten Leben«

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Seitenzahl: 237

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Sara Pennypacker

Mein Freund Pax – Die Heimkehr

Band 2

Aus dem Amerikanischen von Birgitt Kollmann

Jonathan Klassen

FISCHER E-Books

Inhalt

Anmerkung der Autorin[Widmung]Pax rannte.Peter hockte sich vor [...]Pax lief auf und [...]»Ich habe mich entschieden.«Pax setzte sich auf [...]Als Peter sah, dass [...]Pax war auf dem [...]»Komm schon. Wir wollten [...]Als der Mond seinen [...]»Der kommt nicht.«Es wurde Zeit.Peter saß auf der [...]Vom Kamm des Bergrückens [...]Am ersten Tag schafften [...]Pax hörte menschliche Stimmen [...]Nach einer Mahlzeit aus [...]Es war schon Mittag, [...]Es war ein heißer [...]Drei Tage lang ruhten [...]»Das sind jetzt die [...]Vom stillen Weiher aus [...]Samuel hatte bei der [...]Aus ihrer moosbewachsenen Senke [...]Mit einem plötzlichen Sturm [...]Pax hatte das Unwetter [...]Peter stand am Ufer [...]Aus dem entfernten Grollen [...]Während der nächsten Stunden [...]Er fand sie.Peter fand den Schlüssel [...]Dicht an seine Tochter [...]Dem Pfad zur alten [...]Pax erkannte seinen Jungen [...]Gegen Mitternacht zerrte Peter [...]An den folgenden beiden [...]An den nächsten zwei [...]Am nächsten Tag frischte [...]Am dritten Tag pfiff [...]Sobald er sein Kind [...]»Ich Idiot!«, murmelte Peter, [...]Nach nur wenigen großen [...]Peter stand vor dem [...]Pax rannte.Peter ließ seinen Rucksack [...]

Anmerkung der Autorin

 

Füchse kommunizieren über ein vielschichtiges

System aus Lauten, Gestik, Mimik und Geruch.

Die kursiv geschriebenen Wörter im Text sind der Versuch, diese ausdrucksvolle Sprache für uns Menschen zu übersetzen.

Für Donna Bray, die sich so gut um die Füchse gekümmert hat.

S.P.

Pax rannte.

Er rannte immer – fast ein Jahr nachdem er zuletzt in einem Käfig gewesen war, erinnerten sich seine Muskeln noch immer an den Hühnerdraht.

Doch an diesem Morgen rannte er anders als sonst, denn unter dem harten, von dichten Wurzeln durchzogenen Waldboden, unter den verharschten Schneeresten im tiefsten Kiefernschatten und auch unter der hauchdünnen Eisschicht auf den Pfützen war er schon zu riechen: der Frühling. Neues Leben drängte hinaus ins Freie – aus der Baumrinde, den Blütenknospen, den Bauen der Tiere –, und für Pax gab es nur eine mögliche Antwort auf dieses Hinaus: losrennen.

Doch dann blieb er mit einem Mal stehen. Kaninchen.

Bristle hatte zurzeit ständig Hunger.

Pax änderte die Richtung, folgte dem Geruch und fand den Bau. Anscheinend war er erst vor wenigen Stunden verlassen worden. In seinem Inneren fand Pax zwei leblose Jungtiere, von denen das eine schon seit vielen Tagen tot war, das andere wohl erst seit dieser Nacht.

Zum dritten Mal in ebenso vielen Tagen war Pax auf tote Jungtiere gestoßen. Beim ersten Mal war es ein ganzer Wurf Feldmäuse in einem Bau gewesen. Das frischeste der Tiere hatte er Bristle gebracht, doch sie hatte nur angewidert die Nase gerümpft.

Am nächsten Tag hatte er ein Nest mit toten Streifenhörnchen gefunden. Auch die hatte Bristle zurückgewiesen, also ließ Pax die jungen Kaninchen gleich liegen. Plötzlich fühlte er sich müde, und so schlug er wieder den Weg zu der verlassenen Farm ein. Dorthin hatten Bristle und er sich zusammen mit Runt, Bristles Bruder, zurückgezogen, nachdem sie den Ort verlassen hatten, an dem der Kleine ein Bein verloren hatte.

Von Bristle war nichts zu sehen, doch sie musste irgendwo in der Nähe sein. Die Spur ihrer Tritte führte zu einem alten Schuppen. Unter den Stufen war ein Tunnel gegraben; ringsumher lag frisch weggekratzte Erde. Pax folgte Bristles Duftspur ins Innere.

Sie lag zusammengerollt ganz hinten in ihrem neuen Bau. Ihr sonst so leuchtendes Fell war von Sand verklumpt. Müde öffnete sie ein Auge, als ihr Partner näherkam, ließ den Kopf aber gleich wieder auf die Pfoten sinken.

Pax sah sie verwundert an. Immerhin erwärmte sich die Morgenluft bereits, und nichts deutete auf ein nahendes Unwetter hin. Was ihn aber noch mehr verwirrte, war ein Geruch, wie er ihm in diesem Bau noch nie aufgefallen war, den er aber ebenso gut kannte wie seinen eigenen. Es war Bristles Geruch und doch nicht ihrer.

Er berührte sie sanft mit der Schnauze am Hals, bat sie so, die Luft zu schnuppern. Neu?

Ja. Neu. Wir.

Pax verstand noch immer nicht.

Bristle drehte sich auf den Rücken und zeigte ihm so ihren geschwollenen Bauch. Junge. Bald. Dann rollte sie zurück in den feuchten Sand.

Pax beobachtete sie, folgte jedem ihrer Atemzüge, bis sie einschlief.

Rückwärts verließ er den Bau und bellte einmal kurz.

 

Und dann rannte er. Dieses Mal rannte er, weil er sonst zersprungen wäre.

Peter hockte sich vor die störende Stelle im Dielenbrett und fuhr mit dem Finger über die leichte Erhebung, die sich bis ganz nach unten fortsetzte. Vola hatte gemeint, er könne mit dem Schleifen beginnen, die Dielen seien nun eben genug, aber Peter wollte, dass alles perfekt war, eben genug reichte ihm nicht.

Er drehte an der Einstellschraube des Hobels, bis die Klinge gerade so weit herausragte, dass nur hauchdünne Späne entfernt wurden. Natürlich könnte er auch mit einem einzigen Schnitt eine größere Menge wegnehmen, aber Schicht um Schicht würde es einfach besser werden.

Hobeln gefiel Peter – von all den Fähigkeiten, die er beim Bau seiner Hütte nach und nach erlernt hatte, mochte er diese vielleicht am liebsten. Der Hobel war ein richtiges Muskelwerkzeug, anders als zum Beispiel ein Schraubendreher. Beim Hobeln setzte man den ganzen Körper ein. Ein Werkzeug für einen Mann, nicht für einen Jungen.

Er setzte den Hobel am Dielenrand an, umschloss mit der rechten Hand den Knauf und verlagerte sein ganzes Gewicht darauf, bevor er das Werkzeug mit der linken Hand vorwärtsbewegte. Das hundert Jahre alte helle Kiefernholz, das sie aus der Scheune des Nachbarn gerettet hatten, löste sich in gleichmäßigen Löckchen, die wie frisch geschlagenes Holz rochen. Auch das mochte er an Holz: dass es immer wieder zu einem Neubeginn bereit war und –

Plötzlich hing der Hobel an einer Aststelle fest, Peters Hand rutschte vom Knauf, der Hobel kippte, und die Klinge ratschte ihm über den Ballen.

Fluchend ließ er sich auf die Fersen zurücksinken. Wann würde er das je lernen? So war das eben mit Aststellen: Hinterhältig versteckten sie sich unter der Oberfläche. Während das Blut hervorquoll und ihm langsam übers Handgelenk rann, kam ihm auf einmal von irgendwoher dieser Ausdruck in den Kopf: Blut und Schweiß. Schweiß hatte er bereits eimerweise über dieser Hütte vergossen, da wäre eine kleine Signatur mit Blut doch ganz passend. Also drückte er die Wunde fest auf die Diele und sah zu, wie das Blut herausschoss – wie eine auflodernde Flamme. Der Fleck, der sich dann im Holz ausbreitete, erinnerte ihn an einen Fuchsschwanz.

Peter riss die Hand zurück, erschrocken darüber, wie heftig die Erinnerung jedes Mal zuschlug: Im vergangenen Jahr, auf seiner Wanderung zurück an den Ort, an dem er Pax, seinen zahmen Fuchs, hatte verlassen müssen, hatte er sich in den Unterschenkel geschnitten, um mit seinem Blut die Umrisse eines Fuchsschwanzes auf sein Bein zu zeichnen. Ich komme zurück und hole dich, das hatte dieser Blutschwur bedeutet.

Jetzt presste er sich die Wunde mitten auf die Brust. Erinnerungen waren so heimtückisch. Ständig lauerten sie unter der Oberfläche, bereit, zuzustechen, mitten ins Herz, wenn man einmal nicht aufpasste.

Doch gegen diese spezielle Erinnerung kannte er ein Gegenmittel. Eine Art Buße, die er selbst entwickelt hatte. Wann immer er den Fehler beging und an Pax dachte, machte er diese Übung, immer dieselbe. Am besten, er zog sie sofort durch.

Peter schloss die Augen. Er rief sich den Nachmittag vor fünf Jahren ins Gedächtnis, an dem er eine überfahrene Füchsin am Straßenrand gefunden hatte. Jeden seiner Schritte ging er wieder in allen Einzelheiten durch – wie er den steifen, mit Schlamm bespritzten Körper aufgehoben und weggetragen hatte auf der Suche nach einem Ort, wo er ihn begraben könnte, wie er die sandige Stelle an einer Steinmauer entdeckt und mit seinem Stiefel ein flaches Grab ausgehoben hatte.

Obwohl er, wie stets an dieser Stelle, einen Schmerz in der Brust fühlte, rief er den Moment wieder auf, in dem er die Öffnung zum Fuchsbau entdeckt hatte. Das Atmen fiel ihm jetzt schwer, trotzdem holte er die Szene von damals wieder hervor: drei tote Jungtiere und ein überlebendes, zitterndes.

Er hatte in den Bau gegriffen und das lebende Tierchen hervorgeholt – es war ein Rüde. Er hatte es an seine Brust gedrückt, wo es eine Leere füllte, von der er bis dahin gar nicht gewusst hatte, dass sie da war. Aber jetzt, zum Zweck der Buße, fügte er eine andere Szene ein: eine, in der er tat, was er nach Ansicht seines Vaters hätte tun sollen.

»Er hätte mit der übrigen Familie sterben sollen. Du hättest nur für einen schmerzlosen Tod sorgen müssen.«

Peter, den Welpen im Arm, war empört gewesen. »Zu spät«, hatte er gebrüllt. »Jetzt behalte ich ihn.« Sein Vater war verärgert gewesen. Doch zugleich sah Peter im Blick des Vaters – womöglich zum ersten Mal – so etwas wie Respekt.

Inzwischen verstand er, dass sein Vater recht gehabt hatte. Er hätte den Welpen von seinem Leiden erlösen sollen. So hätte er auch den Schmerz vermieden, den er Pax und sich selbst Jahre später zufügte.

Er beendete seine Bußübung. In diesem Teil griff er nicht in den Bau. Stattdessen stellte er sich vor, wie er einen der schweren Schlusssteine von der Mauer gewuchtet und damit den Eingang zur Höhle verschlossen hätte. Wie er dann, ohne noch einmal zurückzuschauen, weggegangen wäre.

Mach’s einfach. Geh weg. Schau nicht zurück.

Wie viel Schmerz hätte er sich ersparen können.

Noch zweimal ging Peter dieselbe Abfolge von Bildern in Gedanken durch. Dreimal sei nötig, hatte er gelesen, um das Gehirn neu zu programmieren.

Die Bußübung zeigte Wirkung; er dachte immer weniger an Pax. Wenn er es schaffte, dem Waschbären aus dem Weg zu gehen, der zu Vola gehörte, dann dachte er manchmal tagelang nicht daran, dass er je ein Haustier gehabt hatte.

Peter stand auf und legte den Hobel beiseite. Die Wunde hatte aufgehört zu bluten, aber fürs Erste würde er das Werkzeug nicht wieder zur Hand nehmen. Man durfte den Erinnerungen nicht Tür und Tor öffnen.

In einer Ecke stand ein mit einem Tuch abgedeckter Steintrog, in dem er getrocknetes Moos, Asche vom Holzofen und Tonschlamm aufbewahrte. Er goss etwas Wasser hinein und rührte um, bis sich eine grobe Paste bildete. Einen Teil davon tat er in einen Eimer und fing an, die Zwischenräume zwischen den Balken an der Nordwand zuzuschmieren.

Während der Arbeit hatte er Zeit, sein Werk zu bewundern. Im September hatte er sich zu dem Bau entschlossen, gleich am ersten Schultag, als er nach Hause gekommen war und seine Bücher auf Volas Küchentisch ausgebreitet hatte. Sofort hatte er begriffen, dass das nicht auf Dauer funktionieren würde. Die Hütte war perfekt für Vola allein, aber zu klein für zwei. Vola war wie er der Meinung gewesen, dass er mehr Platz brauchte, einen Ort ganz für sich, und so hatte sie ihm geholfen, eine Hütte zum Schlafen und zum Lernen zu entwerfen. Knapp drei mal vier Meter, mehr brauchte er nicht, das reichte für ein Bett und eine Kommode, einen Schreibtisch und einen Stuhl. Der schlichte Entwurf gefiel ihm.

Jeden einzelnen Baum hatte er selbst gefällt, die Stämme auf die richtige Länge zurechtgesägt und eingekerbt. Alle Dachsparren und Balken hatte er selbst zugeschnitten, er hatte Schindeln auf dem Dach angebracht und mit Teer beschichtet. Erst letzte Woche hatte er auf einem Schuttabladeplatz drei Fenster und eine Tür gefunden und mit dem Geld gekauft, das sein Großvater ihm jeden Monat schickte. Morgen nach der Schule würde er damit anfangen, sie einzusetzen.

Nachbarn hatten dabei geholfen, die Stämme übereinanderzuschichten, doch sonst hatte er alles ganz alleine gemacht. Vola hatte ihn angeleitet, selbst aber kaum einmal mit angefasst. So hatten sie das besprochen – er wollte etwas ganz allein bauen, und sie hatte das respektiert. Das gefiel ihm an ihr.

Als hätte er sie gerufen, sah er Vola in diesem Moment auf dem Weg näher kommen. So wie sie an ihrem Rock zupfte, hatte sie sich anscheinend noch immer nicht an die Art Kleidung gewöhnt, die sie an ihren Bibliothekstagen trug.

Sie trat auf den Mauerstein, den er am Eingang für sie aufgestellt hatte. Meistens kam sie mit ihrer Beinprothese ganz gut zurecht, doch hohe Stufen waren ein Problem. Jetzt klopfte sie an einen Holzstamm. Auch das war etwas, was Peter an ihr schätzte: dass sie seine Privatsphäre achtete.

Er breitete eine Plane über den noch unfertigen Boden, dann winkte er Vola herein. »Und, wie lief es heute?«

Vola lächelte. »Die kleine Williams treibt mich noch zum Wahnsinn. Aber sie hat ein Händchen für die Marionetten. Bea lässt dich grüßen; sie hat dieses neue Buch über Bäume bestellt, das du haben wolltest. Ich hätte ja nicht gedacht, dass es noch irgendein Buch über Bäume gibt, das du nicht gelesen hast. Oh, und fast hätte ich’s vergessen: Jemand hat einen Aushang ans Schwarze Brett gepinnt. Welpen. Eine Labrador-Spanielmischung. Ich hab gedacht …«

Peter atmete flacher und wandte sich ab. »Nein.« Prompt hatte er wieder Pax im Kopf. Er griff nach dem Spachtel. »Ich muss mal weitermachen.«

»Ich hab nur gedacht, wenn du bald mehr Zeit hier verbringst, könnte ein bisschen Gesellschaft …«

»Nein!« Die Schärfe seines Tons überraschte ihn.

Vola wich einen Schritt zurück. »Schon gut, schon gut, es ist noch zu früh. Verstehe.«

Peter bezweifelte, dass sie ihn verstand. Er verstand sich ja selbst nicht. Das Einzige, was er wusste, war, dass er beim Gedanken an ein neues Haustier Atemnot bekam.

Vola lächelte ihn versöhnlich an.

Peter nickte und klatschte eine Ladung Lehm an die Wand. Er wünschte, Vola würde gehen. Er musste die Bußübung wiederholen, jetzt sofort, sonst würde die Erinnerung in ihm Wurzeln schlagen. Er verstrich den Lehm zwischen zwei Stämmen.

Volas Lächeln schwand. »Ich hab dir erst gestern gesagt, du sollst die Zwischenräume nicht zu sehr abdichten.«

Peter biss sich auf die Innenseiten der Wangen und klatschte die nächste dicke Schicht Lehm auf die Wand. »So bleibt die Kälte draußen.«

»So bleiben Licht und Luft draußen.«

Er drückte die Masse fester in die Öffnung.

»Ohne Licht und Luft sterben Menschen, Junge«, sagte Vola jetzt ruhiger.

»Ich weiß«, sagte er, ohne aufzusehen. »Aber Menschen sterben auch an Kälte.«

Pax lief auf und ab.

Die letzte Woche war warm gewesen, doch jetzt lag funkelnder Frost in der Mitternachtsluft. Der Vollmond zog an Pax, doch Bristle zog stärker.

In der Dämmerung hatte sie sich mit ihrem hin- und herschwingenden Bauch in den Bau unter dem Schuppen zurückgezogen. Pax hatte gehört, wie sie sich auf der Suche nach einer bequemen Position erst im Kreis gedreht hatte, dann am Boden gescharrt und sich wieder im Kreis gedreht hatte. Einmal, als er sie vor Anstrengung keuchen hörte, hatte er die Schnauze zum Eingang hineingesteckt, doch sie hatte ihn nur angeknurrt. Nicht reinkommen. Aber in der Nähe bleiben.

Seitdem patrouillierte er das Gebiet um den Schuppen herum und die große runde Wiesenfläche davor, auf der sich schon überall frische Schösslinge zeigten. Seit Stunden hatte er keine Eindringlinge beobachtet, doch jetzt näherten sich vertraute Schritte.

Nachdem Bristles Bruder Runt im vorigen Frühjahr eine Hinterpfote verloren hatte, bewegte er sich auf ungewöhnliche, rollende Weise auf drei Beinen. Aber er war ein guter Jäger geworden – seine Augen und Ohren schienen geschärft, um die Einbuße an Schnelligkeit wettzumachen –, und als er jetzt aus dem Unterholz trat, trug er eine fette Wachtel im Maul, die er am Eingang zur Höhle fallen ließ.

Er spitzte die Ohren, als er von innen etwas rascheln hörte.

Bevor Pax ihn noch warnen konnte, duckte er sich und schob sich durch den Gang. Gleich darauf hörte Pax ein Zischen, und Sekunden später kam Runt rückwärts herausgestolpert. Er schlich sich davon und ließ sich in sicherer Entfernung am Fuß einer Eiche nieder.

Pax folgte ihm und legte sich neben ihn. Runt legte seinen Schwanz in einem Halbkreis um die Schnauze und schloss die Augen, doch Pax blieb wachsam und wandte den Blick keinen Moment vom Eingang zu ihrem Bau. Bevor Bristle ihn nicht einlud, würde er nicht noch einmal versuchen einzutreten – er hatte schon bei früherer Gelegenheit Bekanntschaft mit ihren scharfen Zähnen geschlossen, doch in dieser Nacht verspürte er das dringende Bedürfnis, sie zu beschützen.

Als der Himmel in der Morgendämmerung aufklarte, trug der Wind den Geruch von Blut zu ihnen herüber.

Pax raste zum Bau.

Eine feuchte Hitze erhob sich mitten in der kalten Luft. Doch das Blut darin stammte nicht von einer Wunde, es stand nicht für Tod. Das war lebendiges Blut, pulsierend und neu. Und es erforderte seine Gegenwart.

Blitzschnell war er bei ihr.

Bristle leckte drei zappelnde kleine Körper, Welpen mit dunklem, glänzendem Fell. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah Pax winzige Beine, die sich aus dem Haufen streckten. Winzige rosa Pfoten rollten sich zusammen, winzige rosa Nasen streckten sich, und winzige rosa Ohren zuckten von neuem Leben.

Bristle schnurrte. Unsere. In Sicherheit.

Pax ließ sich auf den Boden fallen und legte sich ringförmig um seine Familie. Drei winzige Herzen pochten und fanden ihren Weg in sein eigenes. In Sicherheit. Unsere.

»Ich habe mich entschieden.«

Mit einem mürrischen Knurren wandte Peters Großvater den Blick vom Fernseher. »Wozu entschieden?«

»Die Asche. Ich nehme sie mit.«

Der Blick des alten Mannes flog zu der kleinen Pappschachtel auf dem Sims über dem Kamin.

Neben der Schachtel standen vier gerahmte Fotos, die sie auf dem Kaminsims gehabt hatten, solange Peter sich erinnern konnte. Das erste zeigte seinen Großvater im Alter von achtzehn Jahren, stolz in Armeeuniform auf der Treppe vor dem Haus, zusammen mit den Urgroßeltern, die Peter nie kennengelernt hatte. Daneben das Hochzeitsfoto vom Großvater und der Großmutter, an die er so gut wie keine Erinnerungen hatte. Auf dem dritten Foto beugte sich das Paar strahlend über ein Baby, das eines Tages Peters Vater werden sollte. Auf dem letzten Bild war Peter selbst zu sehen, ein kleiner Junge mit großen Ohren und im Anzug. Er stand zwischen seinen Eltern, daneben der Großvater. Diese vier Fotos hatten immer so gewirkt, als würden sie den Betrachter beschwören, ihnen doch bitte ihre so wenig glaubhafte Geschichte abzunehmen – die Geschichte, dass sein Großvater einmal Teil einer Familie gewesen war.

Der Großvater kniff die Augen zusammen, und Peter wusste, dass er überlegte, ob sein Enkel ein Anrecht auf die Asche hätte. Wem sollte das gehören, was von einem Menschen übrig war? Dem Vater des Mannes oder seinem Sohn? Peter richtete sich hoch auf.

Der alte Mann schwang sich in seinem abgenutzten Lehnstuhl zur Seite, schlug die Füße in den Stiefeln übereinander und stellte den Fernseher stumm, so dass der Moderator der Spielshow wortlos wild gestikulierte. »Und was hast du damit vor?«

»Sie gehört zu meiner Mutter. In ihr Grab.« Peter sah dem Großvater in die Augen, was er normalerweise vermied, denn wann immer er sein eigenes Spiegelbild darin sah, erschrak er.

Sein Blick wurde härter. Was er vorhatte, war er seiner Mutter schuldig. In letzter Zeit hatte er seltsamerweise ihr gegenüber ein schlechtes Gewissen gehabt, so als wollte sie etwas von ihm und er habe sie enttäuscht. Ihr die Asche des Vaters zu bringen – das musste es sein.

Der alte Mann bewegte den Mund, so als probierte er stumm ein Gegenargument aus. Dann senkte er den Blick, schaute auf die Armlehne und kratzte mit dem Daumennagel an einem angetrockneten Essensrest. Da wusste Peter, dass er gewonnen hatte.

»Das wäre wohl passend«, sagte der Großvater schließlich. »Wann willst du hin?«

»Sobald wir Ferien bekommen, vermutlich. Die fangen dieses Jahr früher an, damit Schüler und Schülerinnen die Möglichkeit haben, sich den Junior …«

»… Wasserkriegern anzuschließen, ich weiß schon. Das ist doch ein Witz. Ein Haufen Gutmenschen, die Militär spielen.«

Peter sah das anders. Vola und er waren beide der Meinung, dass die Wasserkrieger genau das Richtige machten, indem sie Ausbildung, Ausrüstung und Arbeitskraft des Militärs dafür einsetzten, die im Krieg entstandenen Schäden zu reparieren. Und auch die Gründung der Jugendgruppe der Wasserkrieger schien eine gute Idee: Hier wurden junge Leute angeworben, die mithelfen sollten, Gewässer zu reinigen. Doch Peter biss sich auf die Unterlippe. Er wollte die Asche haben, unbedingt.

Ächzend hievte der Großvater sich jetzt hoch und ging zum Kamin. Doch anstatt die Schachtel herunterzunehmen, zog er einen braunen Briefumschlag hervor, der darunter gelegen hatte. »Ist neulich gekommen. Hat lang genug gedauert.«

Selbst von dort, wo er stand, am anderen Ende des Raums, erkannte Peter das militärische Siegel. »Sie wissen jetzt also …« Er brach ab und schluckte heftig. »… unter welchen Umständen …«

»Genau. Willst du’s wissen?«

Peter wollte schon nicken, doch als er die Miene des alten Mannes sah, erstarrte er. Sein Vater war nicht als Held in der Schlacht gefallen, so viel war klar. Doch das hatten sie ohnehin schon gewusst, warum dann also dieses sechs Monate lange Rätselraten? Er war von einer feindlichen Granate getroffen worden, gut hundertfünfzig Kilometer von seiner Basis entfernt, aber mehr wusste niemand. »Nein. Ich will es nicht wissen.«

»Vielleicht doch. Ja, vielleicht solltest du das lesen. Denn dein Vater ist aus eigener Dummheit gestorben.« Der Großvater kam zu Peter herüber und streckte ihm den Umschlag ins Gesicht wie eine Drohung. »Du solltest lesen, was hier drinsteht, und davon lernen.«

Peter schob den Umschlag beiseite. »Er ist im Krieg gestorben. Das ist alles.« Dasselbe hatte er schon in der Schule gesagt. Langsam gewöhnte er sich daran. In Kriegen starben nun mal Menschen, ständig. Einzelheiten musste man da nicht wissen.

»Dann eben nicht; wie du willst. Aber hör zu: Lass dich nicht zu sehr auf andere Leute ein.«

»Ja, Sir. Keine Sorge.« Peter ging zum Kamin.

»Nicht weich werden. Verstanden?«

»Ja, Sir. Verstanden.« Peter nahm die Schachtel vom Sims. Sie war schwerer, als sie aussah, und doch fühlte sie sich viel zu leicht an, um all das aufzubewahren, was von einem kräftigen, großgewachsenen Mann übrig war. Peter klemmte sie sich unter den linken Arm und spannte seinen Bizeps an. Dann ging er zur Tür. »Ich sollte mal zurück zu Vola. Es wird dunkel.«

»Warte.«

Peter stockte, eine Hand schon am Türknauf. Vielleicht würde sein Großvater ihm anbieten, ihn zu begleiten, wenn er die Asche aufs Grab streuen wollte. Das wäre in Ordnung. Seit Peter sich entschieden hatte, zu Vola zu ziehen, hatte sein Großvater, wann immer er ihn anschaute, ein Gesicht gemacht, als wollte er ihn anspucken. Aber vielleicht wäre so eine gemeinsame Fahrt ja eine Möglichkeit, die Dinge zwischen ihnen beiden wieder in Ordnung zu bringen. Wenn es das war, was der Großvater wollte, würde er, Peter, ja sagen.

Doch das war’s nicht. Der Großvater trat an ihn heran und schob ihm etwas in den Rucksack. »Nimm das hier auch mit.«

Ohne hinzusehen, wusste Peter, dass es der Umschlag war. Später würde er ihn einfach wegwerfen. Er drehte am Türknauf, doch sein Großvater war noch immer nicht fertig.

»Menschen sind hinterhältig. Du musst ständig auf der Hut sein.«

»Ja, Sir«, sagte Peter, während er schon die Tür öffnete und schneidend kalte Luft eindrang. »Ich bin auf der Hut. Ständig.«

Pax setzte sich auf einen Felsblock gleich neben dem Fußweg, der zum Schuppen hinführte. Die Maus, die er mitgebracht hatte, ließ er fallen. Er hatte die ganze Nacht gejagt und war entsprechend müde, außerdem schien ihm die Sonne warm auf den Rücken, und doch nickte er nicht ein.

Seine Familie war im Freien.

Bristle hatte damit angefangen, die Kleinen an milden Tagen zu einem Sandhaufen vor dem Eingang zum Bau hinauszutragen. Nur wenige Schritte, dann wären sie wieder in Sicherheit, doch Pax wusste, wie plötzlich ein Falke herabstoßen oder ein Kojote sich auf die Welpen stürzen konnte. Von diesem Aussichtspunkt aus entging Pax keine Gefahr, ob sie aus dem Himmel nahte oder von den Feldern unterhalb des Farmhauses.

An diesem Morgen brachte die Frühlingsluft nur die freundlichen Gerüche all jener natürlichen Bewohner, die die verlassene Farm für sich in Anspruch nahmen: Heckenkirschen, die sich bis hoch aufs Schuppendach rankten, Klee, der sich von beiden Rändern her über den Pfad ausbreitete, Schwalben und Streifenhörnchen, die in der Scheune nisteten.

Es hatte sich gezeigt, dass sie einen guten Ort gewählt hatten. Auch in dem Tal, aus dem sie kamen, war es gut gewesen, aber nur so lange, bis kriegskranke Menschen dort eindrangen und Feuer und Chaos mit sich brachten. Diese verlassene Farm, so wie auch all die anderen leerstehenden Höfe ringsumher, war besser, denn hier gab es überhaupt keine Menschen.

Pax drehte den Kopf, um den Kleinen zuzusehen. Ihre Bewegungen verblüfften ihn – wie sie umherwankten, ohne Vorwarnung umfielen, um gleich darauf mit den erstaunlichsten Hüpfern wieder auf die Pfoten zu kommen –, und doch fühlte er sich zu ihnen hingezogen.

Inzwischen konnte er sie auch unterscheiden, selbst aus der Entfernung.

Der größte der Welpen, ein Rüde, bewegte sich wie ein junger Bär. Immer wieder paradierte er stolz um ihren Spielplatz herum, um im nächsten Moment eilig zu seiner Mutter zurückzutaumeln. Das Kleinste der drei war ebenso ein Rüde, doch zurückhaltend und so schreckhaft, dass es beim geringsten Geräusch und jedem Schatten blitzschnell unter der Stufe verschwand.

Das dritte Jungtier, ein Weibchen, blieb nicht lange im Sand, sondern wagte sich, sobald sie den Bau verließen, vor ins junge Gras. Das winzige Tier bewegte sich stets mit hoch aufgerichteter Rute, die Ohren entschlossen nach vorn gerichtet.

Gerade beobachtete Pax, wie die Kleine sich aus dem trinkenden Häufchen an Bristles Bauch löste. Blinzelnd schaute sie ins Sonnenlicht und schnupperte in jede Richtung, so als versuchte sie sich zu entscheiden, welchem Geruch sie folgen sollte. Dann schlug sie den Pfad vor der Scheune ein.

Bristle erhob sich, erwischte ihre Tochter im Genick und trug sie zurück in den Sand, bevor sie sich erneut hinlegte. Gleich stürzten sich die beiden Rüden wieder auf ihre Mutter, und sofort machte sich die Kleine von Neuem auf den Weg.

Noch einmal sprang Bristle so plötzlich auf, dass ihre Söhne zur Seite purzelten, und holte ihre Tochter zurück.

Pax sah zu, wie die junge Abenteurerin ein drittes Mal aus dem Fellhaufen herausdrängte, um den Pfad hinunterzulaufen. Dieses Mal folgte Bristle ihr nicht. Sie warf nur Pax einen kurzen Blick zu, und er verstand.

Er glitt von dem Felsblock hinunter und streckte sich neben dem Pfad aus, bereit, der Kleinen mit der Pfote einen Schlag zu versetzen, wenn sie an ihm vorbeiwollte.

Einmal, zweimal, dreimal blieb sie auf dem Pfad stehen, um etwas zu untersuchen – einen Wurm, eine Eichel, eine herabgefallene Feder –, doch jedes Mal hob sie schon nach einer Sekunde wieder den Kopf und ging weiter den Weg hinunter.

Als sie die Stelle erreichte, wo Pax sie erwartete, blieb sie stehen. Sie legte den Kopf schief und schaute den Vater einen Moment lang an. Dann drängte sie sich zwischen seine Vorderpfoten, an den weißen Fleck an seiner Brust.

Pax rollte sich auf den Rücken, um ihr Platz zu machen, und sie ließ sich fallen, direkt über seinem Herzen, so als hätte sie von Geburt an nur nach diesem Ort gesucht. Sie streckte alle vier Beine von sich, richtete die Rute steil auf und schlief sofort ein.

Pax lag vollkommen still da.

Das kleine graue Fellbündel auf seiner Brust wog so gut wie nichts, doch für ihn fühlte es sich so an, als wäre neben ihm ein Felsen ins Rollen gekommen und drückte ihn fest zu Boden.

Was auch immer diese kleine Füchsin brauchte, er würde dafür sorgen, dass sie es bekam.

Als Peter sah, dass Vola aus der Scheune trat und sich auf den Weg zu ihm machte, ließ er ein letztes Mal den Blick über den Boden seiner Hütte schweifen. Die Kiefernholzdielen glänzten; drei Mal hatte er sie gewachst und poliert.

Nun riss er die Tür weit auf. Die Nachmittagssonne beleuchtete einen rechteckigen Ausschnitt der Dielen und verlieh ihnen eine satte Honigfarbe. Peter wurde es warm ums Herz vor Stolz.

Eine Hand am Pfosten, blieb Vola auf dem Mauerstein stehen, der die Eingangsstufe bildete. »Jetzt darf ich also endlich gucken.« Während sie den Blick über den fertigen Boden gleiten ließ, wurden ihre Augen immer größer. »Oh«, war alles, was sie sagte, aber in diesem einen Wort lag ein riesiges Lob.

Peter trat zurück. »Kannst reinkommen, alles trocken.«

In der Hütte drehte sie sich immer wieder im Kreis und inspizierte sein Werk, genau so, wie er es sich erhofft hatte.