Meine Apokalypsen - Thomas Brussig - E-Book

Meine Apokalypsen E-Book

Thomas Brussig

0,0

Beschreibung

Das Debattenbuch zur Klimakrise Heute an die Zukunft denken, bedeutet, an den Klimawandel zu denken, der als Klimakatastrophe, gar als Klimaapokalypse daherkommt. Die Angstmächtigkeit des Klimawandels ist absolut nachvollziehbar, die prophezeiten Verheerungen beispiellos. Doch die Menschheit war schon häufig mit apokalyptischen Bedrohungen konfrontiert, allein in den letzten vierzig Jahren mit dem atomaren Wettrüsten, AIDS, dem Ozonloch, BSE und nicht zuletzt Corona. Was haben die Menschen befürchtet? Was ist tatsächlich eingetreten? Worin unterscheidet sich der Klimawandel von vorigen apokalyptischen Szenarien? Thomas Brussig plädiert in diesem klugen Debattenbuch für Augenmaß und Nüchternheit. Wenn wir das Unvermeidbare hinnehmen und unsere Anstrengungen und Ideen auf das Vermeidbare konzentrieren, lässt die Klimakrise noch Raum für Hoffnung und Zuversicht. "Wir balancieren zwar am Abgrund, aber darin sind wir, wie es scheint, ziemlich gut. Und vielleicht sollte genau dies auch unser Erfolgsgeheimnis als Menschheit bleiben: Fürchte jede Gefahr so, als könnte sie dich umbringen, dann wird schon alles gutgehen."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 195

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Thomas Brussig wurde 1964 in Berlin geboren und hatte 1995 seinen Durchbruch mit »Helden wie wir«. Es folgten u. a. »Am kürzeren Ende der Sonnenallee« (1999), »Wie es leuchtet« (2004) und »Das gibt’s in keinem Russenfilm« (2015). Seine Werke wurden in 30 Sprachen übersetzt.

Thomas Brussig

Meine Apokalypsen

Warum wir hoffen dürfen

Inhalt

A Einstieg

Apropos, Begriffe

B Meine Apokalypsen

1. Das atomare Wettrüsten und der drohende Atomkrieg

2. AIDS

3. Das Ozonloch

4. BSE

5. Der Millenium Bug

6. Weltfinanzkrise 2008 (Subprime-Krise)

7. Wie ich dem Schwarzen Loch entkam

8. Covid-19

9. Der Klimawandel

C Und nun?

Kommen wir zu den Kosten

Wie man eine Bestie zähmt

In der Dauerschleife: Die letzte Generation

Zukunft ist das, was niemand erwartet

FUTUR II

Anmerkungen

AEinstieg

Ich habe die Nächte nicht gezählt, in denen mich die Sorgen um den Zustand der Welt nicht schlafen ließen. Wer kennt ihn nicht, den Gedanken Wie kommen wir da wieder raus?, in Dauerschleife. Es ist eine Mitgift der Evolution, dass wir Gefahren witternde Wesen sind und Bedrohungen unsere Aufmerksamkeit fesseln.

Das erdrückendste Zukunftsthema ist der Klimawandel. Bestimmt seit zehn Jahren ist es Konsens, wonach der Klimawandel eine existentielle Bedrohung und seine Bekämpfung eine Daseinsfrage der Menschheit darstellt. Die ungebremste Emission von Klimagasen, allen voran Kohlendioxid, bewirken den Treibhauseffekt, mit dominoartigen Folgen: Globale Erwärmung, Ausbreitung von Wüsten, Unbewohnbarkeit ganzer Landstriche, Entzug der Lebensgrundlage von zig Millionen Menschen, die als Klimaflüchtlinge in ungeheuren Fluchtbewegungen anderswo ein besseres Auskommen zu suchen gezwungen werden, zigtausende Hitzetote in den Großstädten, Zunahme von Extremwetterereignissen wie Stürme, Tornados, Hurrikane, Temperaturstürze, sintflutartige Regenfälle, aber auch extreme Trockenheit, die häufigere und schwerere Waldbrände zur Folge hat und zu Missernten und Hungerkatastrophen führt. Manches davon haben wir schon gesehen, manches wird erst noch eintreten, und die Frage ist nicht, ob, sondern wann. Die Eis- und Gletscherschmelze bedingt einen Anstieg der Meeresspiegel, was abermals Fluchtwellen auslöst, wenn ganze Inselstaaten buchstäblich untergehen; die Regierung der Malediven trat im Jahr 2009 schon mal zu einem symbolischen Unterwasser-Meeting zusammen. Worst-Case-Szenarien sehen einen um 60 Meter höheren Meeresspiegel – was nicht nur für das dicht besiedelte Bangladesch und die Malediven eine Katastrophe wäre, sondern auch für z. B. die Niederlande, Florida, Norddeutschland, New York City. Die Küstenverläufe würden sich deutlich von den jetzigen unterscheiden; heutige Landkarten und Atlanten hätten nur noch historisch-nostalgischen Wert. – Die globale Erwärmung sorgt auch für einen Anstieg der Meerestemperaturen, wodurch Korallenriffe sterben (»Korallenbleiche«), Lebensräume verloren gehen, Nahrungsketten durcheinandergeraten und die ökologischen Systeme überall unter Stress gesetzt werden. Dass der bereits erlahmende Golfstrom irgendwann ganz zum Erliegen kommt, gilt als ausgemacht, und dass der Eisbär im Klimawandel keine Chance hat, ist inzwischen nur noch eine Randnotiz.

Diese Zusammenfassung, aus dem Gedächtnis zusammengetragen oder rasch ergoogelt, könnte ebenso aus einem der zahllosen Klimawandeltexte herauskopiert worden sein. Dabei ist er nur eine oberflächliche und bruchstückhafte Zusammensetzung (Schlüsselworte wie z. B. »Permafrost« und »Jetstream« blieben unerwähnt).

Sich vor dem Klimawandel zu fürchten bedeutet, sich vor etwas zu fürchten, das wirklich zum Fürchten ist. Bei allem, was wir über den Klimawandel in den Medien hören und lesen, gibt es auf die Frage »Wie soll das weitergehen?« oder »Wie wird das enden?« nur beunruhigende Antworten.

Seit Jahrzehnten hole ich zur Weihnachtszeit einen Karton mit einer Pyramide hervor, deren Holzflügel in Zeitungspapier eingewickelt sind, und wenn die Pyramide wieder abgebaut wird, verschwinden die Flügel im selben Zeitungspapier. Es handelt sich um eine Seite der »Zeit« vom Februar 1992, und es ist ein hübscher Zufall, dass die Flügel der Weihnachtspyramide die Jahre in einer pazifistischen Utopie mit der Überschrift »Frieden schaffen – ohne Atomwaffen« überdauern. So ergab sich beim Auswickeln eine gewisse Wiedererkennung, und im letzten Jahr habe ich den Artikel dann mit einer Art archäologischem Interesse gelesen. Wenn die Welt nicht völlig durcheinandergeraten soll, meint der Artikel, müssen die nuklearen Systeme letztlich ganz verschwinden, weil nach dem Ende der Blockkonfrontation auch kleinere Staaten, etwa Serbien, Atomwaffen erlangen wollen (und werden). Oder es könnten gar Einzelpersonen, etwa Offiziere, mit Atomwaffen Regierungen – die eigene oder fremde – erpressen. Überhaupt war das Gleichgewicht des Schreckens mit der Logik »Wer als erster schießt, stirbt als zweiter« eine Garantie dafür, dass es zu keinem Atomkrieg kommt, während in der neuen Weltunordnung mit einem Atomkrieg schon deshalb gerechnet werden muss, weil sich jeder, der Atomwaffen einsetzt, als Sieger fühlen kann. Aus all diesen Gründen müssen Atomwaffen vollständig abgerüstet werden. – Wie wir heute wissen, existieren weiterhin Atomwaffen, wurden aber auch nach 1992 niemals eingesetzt. Die Zahl der Atommächte hat sich seit 1992 kaum erhöht, und abgesehen von nordkoreanischer Wichtigtuerei und der jüngsten Diskussion, ob im Ukrainekrieg eine nukleare Eskalation drohe, war das Nuklearthema in den letzten dreißig Jahren gebannt.[1] Der Artikel (von dem ich nicht weiß, ob ich ihn bereits 1992 gelesen hatte) argumentierte aber vollkommen logisch und unter Aufbietung des damals zur Verfügung stehenden Wissens wie der historischen Lehren: Entweder gelingt der Menschheit jetzt (also in 1992 ff.) die vollständige nukleare Abrüstung, oder es werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten in etlichen Konflikten Atomwaffen zum Einsatz kommen. – Obwohl die Argumente auch dreißig Jahre später vollkommen einleuchten, ist weder die eine Prophezeiung (vollständige nukleare Abrüstung) noch die andere (Atomwaffeneinsatz) eingetreten. Warum? – Nun, dass die klügsten Menschen in den besten Zeitungen mit den überzeugendsten Gründen darlegen, warum dieunddie Entwicklung eintreten wird, bedeutet noch lange nicht, dass es tatsächlich dazu kommt. Die Zukunft ist erhaben über Argumente.

Die Prophezeiung der Klimakatastrophe hat eine ähnliche Mechanik: Wenn wir nicht vollständig dekarbonisieren, kommt es zur Klimakatastrophe. Der Unterschied ist, dass diese Warnung weitaus mehr Menschen beunruhigt als die von 1992, der zufolge es zum Atomwaffeneinsatz kommt, wenn wir nicht vollständig abrüsten.

Der Klimawandel hat mir, im Gegensatz zu etlichen anderen globalen Problemen, nie den Schlaf geraubt. Dabei interessiere ich mich seit langem für das Thema, insbesondere für die Beiträge aus der Wissenschaft. Erderwärmung, Treibhauseffekt, menschengemachter Klimawandel, Kipppunkte, Anthropozän – gehe ich mit. Doch die Selbstverständlichkeit, mit der vielerorten von der »existentiellen Bedrohung«, der »Klimakatastrophe« und der »Klimaapokalypse« gesprochen wird, geht mir ab.

Vermutlich können viele Klimaaktivisten[2] beim Gedanken an den Zustand des Klimas nicht schlafen. Viele schildern freimütig, dass ganz am Anfang stundenlanges Weinen stand, die pure Verzweiflung, und das Gefühl: Es wird nie wieder alles gut. Sie ändern ihre Lebensgewohnheiten und ringen um eine klimagerechte Lebensweise, indem sie auf Ökostrom umsteigen und bei Online-Einkäufen oder -Flugbuchungen immer das Kompensations-Häkchen setzen. Üblich sind auch alle Arten von Verzicht: Auf Plastiktüten, Flugreisen, Fleisch, Auto. Manche verzichten gar auf Kinder.[3]

Vielleicht ist es diese Einheit von Krisendarstellung, Lösungsansatz und Handeln, die den Klimaaktivisten moralische Autorität verleiht. Die tun wenigstens was! Umgekehrt zwingt uns ihre Konsequenz die Schlussfolgerung auf: Wenn so viele auf so viel verzichten, wenn so viele so lautstark protestieren, und ihre Anzahl wächst, muss die Klimakatastrophe doch vor der Tür stehen. Sogar ein Star-Philosoph wie Slavoj Žižek, der vielleicht wichtigste Unterhaltungsintellektuelle der Gegenwart, spricht ganz selbstverständlich von der »gegenwärtigen apokalyptischen Lage«, geradezu so, als wäre die »katastrophale Zukunft« (ebenfalls Žižek) schon eingetreten.

Mir fällt zunächst ein doppelter Irrtum bzw. eine doppelte Blindstelle auf.

Erstens: Der Satz »Wir können den Klimawandel nicht mehr kontrollieren« ist zwar richtig, aber er führt in die Irre. Denn wir konnten das Klima noch nie kontrollieren. Der Mensch war immer in der Situation, dass er sich an das Klima anpassen musste. Das Klima war immer im Wandel und immer außer Kontrolle, jedoch: Es war lange relativ stabil. Und nur weil die Menschheit den neuesten Klimawandel in Gang gesetzt hat, wird sie ihn deswegen nicht kontrollieren können, ebenso wenig wie der Bär dir folgt, nur weil du ihn geweckt hast. Der Klimawandel ist nicht kontrollierbar und nicht umkehrbar. Aber seine Folgen sind, zweitens, deshalb nicht zwingend katastrophal. Das sind sie nur, wenn sie geleugnet, heruntergespielt, beschönigt oder ignoriert werden.

Dass der Klimawandel mehr Waldbrände, Überschwemmungen, Wirbelstürme, Dürren usw. mit sich bringt, muss nicht bedeuten, dass sich das übrige Leben jenseits dieser Phänomene nicht weiter in großem Stil verbessert. War das bisher nicht immer so? Ich gehe davon aus, dass die Annehmlichkeiten des Lebens in einhundert Jahren die des heutigen Lebens in einem unvorstellbaren Ausmaß übertreffen, und ich fürchte, ich kann der Versuchung nicht widerstehen, in einem späteren Kapitel auszumalen, was ich damit meine.

Es gibt natürlich Gründe, nicht ungetrübt in die Zukunft zu blicken. Was ist mit Kriegen, Pandemien oder problematischen Staats- und Regierungsformen? Mag sein, dass die meine tolle Zukunft, die ich sowieso nicht mehr erleben werde, über den Haufen werfen. Aber der Klimawandel gehört nicht in diese Aufzählung.

An dieser Stelle sollte ich ein Missverständnis ausschließen bzw. der Unterstellung zuvorkommen, wonach ich den Klimawandel für eine Harmlosigkeit halte, die wir laufen lassen können, solange wir die Klimafolgen im Blick haben. Das Gegenteil ist richtig. Doch die Temperatur in der Atmosphäre lässt sich nicht mittels Zufluss oder Entnahme von Klimagasen regeln. »Selbst wenn der weltweite Treibhausgas-Ausstoß heute gestoppt würde«, sagte der Klimaforscher Mojib Latif bereits 2014, »hätten wir noch über Jahrzehnte mit dem Klimawandel und seinen Auswirkungen zu kämpfen.«

Wenn auch bei einem sofortigen Emissionsstop die Temperatur mehrere Jahrzehnte weiter steigt, ist die Reduktion von Klimagasen trotzdem notwendig und vernünftig? Ja! Bewegung und Vitamine sind gut für die Gesundheit, aber sie garantieren kein langes, sorgenfreies Leben. Ebenso ist CO2-Reduktion richtig, denn sie mindert langfristig den Klimastress. Aber weil unvermeidlich erst mal das eintritt, was es zu verhindern galt, müssen wir uns darüber klar werden, wie wir mit den Folgen der Erwärmung umgehen – und dabei werden wir vielleicht feststellen, dass die Dinge nicht so hoffnungslos sind, wie weithin angenommen. Lese ich Warnungen wie die eines Aktivisten, wonach wir, wenn dieunddie Schritte nicht eingeleitet werden, »in einer fast unbewohnbaren, weit über zwei Grad erwärmten Welt (landen)«, dann frage ich mich, ob eine weit über zwei Grad erwärmte Welt wirklich »fast unbewohnbar« sein wird – oder ob die Menschen auf einer um weit über zwei Grad erwärmten Welt nicht genauso gut (oder sogar noch besser) leben können wie heute.

Um nicht missverstanden zu werden: Ich teile die Ansicht der Warner, dass die Erderwärmung eine gewaltige Herausforderung ist, und dass wir es leichter hätten, es gäbe sie nicht. Aber stehen über zwei Grad Erwärmung mit naturgesetzlicher Unausweichlichkeit einem besseren Leben entgegen?

Apropos, Begriffe

Vielleicht sollten wir uns eingestehen, wie ungenau und mehrdeutig unsere Klimarhetorik ist. Was bedeutet eigentlich »Klimakatastrophe«? Das Überschreiten des 1,5-Grad-Ziels oder das Verfehlen anderer Kennziffern (2-Grad-Ziel, 500 ppm CO2)? Dass es in den Alpen keine Gletscher mehr geben wird? Dass der Meeresspiegel über eine bestimmte Marke ansteigt? Dass Dürren florierende Gebiete heimsuchen? Dass überall auf der Welt menschliche Behausungen durch Stürme, Hochwasser, (Wald)Brände unsicher sind? Dass die New Yorker im Atlantik ertrinken? Dass mehr als die Hälfte (oder mehr als ein Fünftel? ein Zehntel?) der Menschen aus Klimagründen Nachteile, Einschränkungen und Verluste erlebt?[4]  – Auch der 2007 durch den Klimawissenschaftler Joachim Schellnhuber geprägte Satz, es sei eine »bequeme Unwahrheit«, zu behaupten, der Kampf gegen den Klimawandel »ist längst verloren«, offenbart das Dilemma der Klimarhetorik. Denn er führt zu der Frage, ob der Kampf vielleicht jetzt, 16 Jahre später und nach etlichen Unterlassungen und unzulänglichen Maßnahmen, »verloren« ist? Und wenn nicht: An welchem Punkt wäre der Kampf gegen den Klimawandel denn »verloren«? Und was folgt daraus? Kann der Kampf gegen den Klimawandel überhaupt »gewonnen« werden? Wie ließe sich dieser Sieg beschreiben?

Diese wenigen Beispiele zeigen, dass die Klimarhetorik wie geschaffen dafür ist, Ungenauigkeiten und Missverständnisse zu produzieren. Für Polemik, Stammeskriege und Emotionalität mag sie hervorragend sein, nur in puncto Verständigung haperts. Das liegt vielleicht daran, dass sogar ein ganz zentraler Begriff zu Missverständnissen einlädt: Klimaschutz. Das Wort meint: Das Klima soll geschützt werden (vor Gefahren, Bedrohungen usw.), und mit Klimaschutzmaßnahmen sind Maßnahmen gemeint, die das Klima vor globaler Erwärmung schützen. Insofern ist das Wort Klimaschutz sinnverwandt mit Kinderschutz, Gesundheitsschutz, Holzschutz, Kopfschutz oder Verbraucherschutz – alles Begriffe, in denen das zu schützende Objekt benannt wird. Zugleich gibt es den Lärmschutz, Korrosionsschutz, Seuchenschutz, Hochwasserschutz, usw., die das benennen, wovor geschützt wird. Wer nun einwendet, dass in der ersten Gruppe nur positive und in der zweiten nur negative Begriffe stehen, dem halte ich den Sonnenschutz entgegen: Es gibt kaum etwas Positiveres als die Sonne. Und obwohl der Sonne in zahllosen Liedern und Gedichten gehuldigt wird, bedeutet Sonnenschutz, dass wir uns vor der Sonne schützen, und nicht, dass wir die Sonne schützen (vor was auch immer). Sie ist immer da, wie das Klima. Denn auch das Klima werden wir nicht los, egal, wie es sich wandelt. Wir können das Klima nicht »zerstören«,[5] denn solange es die Atmosphäre gibt, wird es auch Klima geben. Was wir Menschen allerdings können (und leider tun): Wir können Klimavorgänge beeinflussen, mit hoch problematischen, schwer absehbaren und zerstörerischen Konsequenzen für Biosphäre und Zivilisation.

In dem Begriff Klimaschutz liegt eine bislang übersehene Doppeldeutigkeit, und das Gebot der Stunde ist es, den Sinn vom Kopf auf die Füße zu stellen: »Klimaschutz« beim Wort zu nehmen kann auch bedeuten, dass wir uns vor dem Klima (in Form immer extremerer Wetterereignisse) schützen.

Obwohl die ganze Klimarhetorik anscheinend an Inkonsistenz, Gefühligkeit, Panikmache und Rechthaberei krankt, scheint sie doch ein Gefühl hervorzubringen, das viele vereinigt: Verzweiflung. Als ich von einer Aktivistin der »Letzten Generation« den Satz hörte »Es wird nie wieder alles gut«, sprach sie aus, was Zeitgeist ist. (Vielleicht ist dieser Satz sogar zum Slogan geworden, den ich verpasst habe.) Dieser Satz beschreibt zweifellos ein Verbrechen. Ich nehme ihn persönlich.

Aber indem ich mir wünsche, dass wieder alles gut wird, einfach, um diese Klimaaktivistin trösten zu können, merke ich, dass ihr Satz nicht stimmt. Denn das Gefühl von Aussichtslosigkeit gab es schon immer. Auch in meinem Leben. Mit Anfang, Mitte zwanzig hörte ich BAP rauf und runter, und in dem Song »Bahnhofskino« (von 1984) heißt es »Wird es nie mehr hell im Parkett / ist jetzt alles zu spät …« und etwas später »… indem Fortschritt Zerstörung bedeutet und sich abfindet mit jedem Verlust / Hat das Kind in dir wirklich nur ne Chance, wie ne Schneeflocke Mitte August?«[6]  – Geht man nochmals um etwa die Zeitspanne zurück, die zwischen heute und dem »Bahnhofskino« liegt, landet man bei Wolfgang Borcherts »Draußen vor der Tür«, einem in tiefster Verzweiflung getränkten, niederdrückenden Theaterstück. – Natürlich fragt sich jeder junge Mensch zuerst, was wohl die Zukunft bringt und wie sie wohl werde – und wem dann klar wird, dass er mit einer untilgbaren Schuld fortleben muss (wie bei Borchert dargestellt), oder dass die Zivilisation nur eine Zerstörungsorgie ist (BAP), dem ist aller Wind aus den Segeln genommen. Erst etwas später (bei mir waren es die mittzwanziger Jahre) blickst du zurück – und dann entdeckst du, dass es deine Verzweiflung(en) schon gab, als du noch gar nicht da warst. Insofern verwandelt sich der Verzweiflungsschrei Es wird nie wieder alles gut in die Frage Wird es jemals wieder so, wie es nie war? Das beschreibt vielleicht auch den Übergang von der wütenden zur ironischen Lebensphase.

Dieses Buch spricht von meiner Überzeugung, dass die Klimakrise noch Raum für Hoffnung und Zuversicht lässt. Ich möchte das Zustandekommen dieser Überzeugung beschreiben, wobei ich mich nicht nur allgemeinen Fakten widme, sondern auch etlichen Erlebnissen, Begegnungen, biographischen Einschnitten, kurzum: allem, was sich in dem Schmelztiegel sammelt, in dem sich Ansichten formen. Von meinen Meinungen hoffe ich, dass sie wandelbar sind: Was ich heute für richtig halte, möchte ich, wenn neue Fakten und Erkenntnisse zutage treten, auch neu und anders bewerten dürfen. Nicht wenig von dem, was ich früher glaubte und leidenschaftlich vertrat, ist inzwischen nicht mehr meine Auffassung. Ist das schlimm? Nö. Es ist auch nicht peinlich – wenn du ungefähr weißt, warum du damals so dachtest und heute anders darüber denkst. Peinlich wäre, Geisel von einmal gefassten Überzeugungen zu sein. Warnendes Beispiel ist mir eine Grünen-Politikerin, die ihre Haltung zum Atomausstieg damit begründete, dass sie schon als Zwölfjährige mit ihren Eltern gegen Atomkraftwerke demonstrierte.

BMeine Apokalypsen

»Klimakatastrophe« oder »Klimaapokalypse« sind nicht die ersten Untergangsbedrohungen in meinem Leben, und ich finde, es lohnt ein Blick darauf, wie die früheren verliefen. An dieser Stelle sollte ich ein Missverständnis ausschließen bzw. der Unterstellung zuvorkommen, wonach ich den Klimawandel für eine Harmlosigkeit halte, die wir laufen lassen können, weil sich alle vorigen Bedrohungen als ungefährlicher erwiesen haben als zunächst gedacht. Es geht mir nicht darum, zu zeigen, dass anfangs Angst und Aufregung groß sind und es am Ende immer gut ausgeht. Es ist natürlich komplizierter. Es wäre ein eigenes Forschungsfeld, eine Wissenschaft für sich: Die Apokalyptologie.[7] Erforscht von Apokalyptologen wie mir.

Ernsthafte Wissenschaft ist allerdings von mir nicht zu erwarten. Wie auch, wenn ich kein Wissenschaftler bin. Ich habe zwar darüber nachgedacht, ob ich bei jeder Gelegenheit Quellen angebe, mich hinter einem opulenten Literaturapparat verschanze und auch sonst alles unternehme, um Seriosität zu inszenieren – und mich dann doch dagegen entschieden. Der Text ist ohnehin mit Fußnoten gespickt, und das will ich nicht unnötig verschlimmern. Ich bin Schriftsteller. Manche haben die Gabe, das zu erspüren, was allgemein im Schwange ist, und sie geben dem diffusen Gefühl der Vielen konkrete Worte, Begriffe, Bilder und Gleichnisse. Sie bestätigen und fassen zusammen, was eigentlich schon da ist – aber sie tun es so, dass ihre Leser eine Art Erleuchtung dabei haben. – Andere drücken etwas aus, das neu ist, sehen und benennen etwas, das noch keinem aufgefallen ist, und wenn man beim Lesen auf ihre Gedanken stößt, dann lassen diese Gedanken einen auch danach nicht mehr los – weil sie etwas entdeckt haben, das wahr ist. Ich weiß nicht, zu welcher Fraktion ich gehöre; ich weiß nicht mal, zu welcher ich gehören wollte, wenn ich es mir aussuchen könnte. Aber wenn ich mich mit einem »Zeitungsthema« wie dem Klimawandel beschäftige, darf man von mir nicht mehr und nicht weniger erwarten, als dass ich mit sorgfältigen Worten hin und wieder mal die richtige Frage stelle.

Bereit zu einer kleinen Reise? Dann los!

1. Das atomare Wettrüsten und der drohende Atomkrieg

Die längste, schrecklichste und realistischste Untergangsbedrohung meines Lebens war der »Atomkrieg«, die »nukleare Auseinandersetzung«, das »atomare Armageddon«, der »thermonukleare Krieg«, eine Bedrohung, die sich in den Jahren 1979 ff. (ich war vierzehn) steigerte, in den Jahren 1983–86 eine Art Plateau erlebte, bis sie durch das Treffen von Ronald Reagan und Michail Gorbatschow 1987 in Reykjavík entschärft wurde und ab 1990 kein Thema mehr war.

Es gab mit der NATO und den Warschauer Vertragsstaaten zwei Staatenblöcke, die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Die Sprachschöpfung »Kalter Krieg« sagt eigentlich alles. Das »Wettrüsten« (noch so ein Begriff) sollte bloß nicht in einen heißen Krieg münden. Doch die atomare Kriegsgefahr rückte ins Zentrum des Zeitgeistes, nachdem die NATO im Dezember 1979 die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Westeuropa beschlossen hatte. Diese konnten die Sowjetunion binnen Minuten erreichen, wodurch sich die »Vorwarnzeit«, eine wichtige Kenngröße der atomaren Kriegsführung, entscheidend verkürzte. Moskau befürchtete einen »Enthauptungsschlag«, also einen atomaren Angriff, der so schnell kommt, dass er nicht erwidert werden kann.[8] Die NATO rechtfertigte ihre »Nachrüstung« mit der westeuropäischen Verwundbarkeit durch sowjetische Mittelstreckenraketen und einer sowjetischen Überlegenheit bei konventionellen Waffen (Panzern usw.).

Wenige Wochen nach dem NATO-Doppelbeschluss, bei dem sowohl die besagte Stationierung der Raketen, aber auch Abrüstungsverhandlungen beschlossen wurden, warf die sowjetische Invasion in Afghanistan alle Abrüstungs- und Entspannungsbestrebungen über den Haufen, und viele Menschen in Ost und West war das »Gleichgewicht des Schreckens« und das Niveau, auf dem es sich mittlerweile eingepegelt hatte, ein unerträglicher Gedanke. Es hieß, der nukleare Sprengstoff reiche, um die gesamte Menschheit doppelt, dreifach, zehn- und zwanzigfach auszulöschen. Eine Kernexplosion vernichtete im Umkreis von Dutzenden Kilometern alles Leben; in nächster Nähe würdest du augenblicklich verbrannt, geradezu ausgelöscht, pulverisiert, verdampft; in größerer Entfernung würden dich Trümmer zermalmen oder die Druckwelle deine Lungen zerfetzen. Aber auch den Überlebenden des unmittelbaren Infernos stünde aufgrund der Strahlung, die sich in einer riesigen Staubwolke überall verbreitet, nur wochen- oder monatelanges Siechtum im »atomaren Winter« bevor, in dem der Staub hunderter Nuklearexplosionen und der Qualm der Feuersbrünste die Sonne verdunkelt und einen Temperatursturz verursacht (der wiederum Missernten und Hungersnöte nach sich zieht). Viele wünschten sich, im Falle eines Falles gleich umzukommen.

Die kurzen Vorwarnzeiten inspirierten zu Bildern, wonach die Politiker »wie Affen, die mit geladenen Pistolen neugierig hantieren« seien, oder »sich die Supermächte gegenseitig entsicherte Colts an die Schläfe halten«. Das Unvorstellbare schien nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Der damalige US-Außenminister ließ wissen, dass es »wichtigere Dinge gibt, als im Frieden zu leben«, und die US-Administration arbeitete ziemlich unverblümt daran, einen möglichen Atomkrieg auf Europa zu begrenzen.[9]  – Auch das sowjetische Führungspersonal war furchteinflößend: steinalte Mumien, die in der Geriatrie oder der Schlaganfall-Reha besser aufgehoben schienen als an der Spitze einer Atommacht. Am Revolutionsgedenktag, dem 7. November, standen sie in puppenhafter Starre auf dem Roten Platz, Fellmützen auf dem Kopf, und winkten wie chinesische Winke-Katzen dem Truppenaufmarsch zu, bei dem die Raketen um so länger und dicker wurden, je länger er andauerte.

Die noch junge Partei der Grünen stellte sich an die Spitze der Friedensbewegung, die unglaublichen Zulauf erhielt, und der Hollywood-Film »The Day After« mobilisierte zusätzlich, indem er den gefürchteten »atomaren Holocaust« bebilderte. Es gab einen Olympiaboykott und -gegenboykott, nach einem Flugzeugabschuss hielt die Welt den Atem an, die umstrittenen Mittelstreckenraketen wurden allen Protesten zum Trotz in Westeuropa stationiert, und schließlich sollte das Wettrüsten sogar in den Weltraum getragen werden.

Unvergessen bleibt mir eine Episode während meines Wehrdienstes im Winter 1984 /85. Die Beziehungen der beiden Supermächte (von denen die eine inzwischen von einer Mumie namens Konstantin Tschernenko geführt wurde, während die Führungsfigur der anderen etwas tat, was sich unter »Sprechprobe Ronald Reagan« googeln lässt) waren mal wieder auf einem Tiefpunkt. Ich war gerade etwas mehr als zwei Monate Wehrpflichtiger, als plötzlich ein Alarm ausgelöst wurde. Normalerweise wurden Alarme vom UvD mit einer Trillerpfeife ausgelöst (drei Pfiffe und der Ruf »Alarm!«, der Befehl ging zuvor per Telefon aus dem Stab ein; wir wussten dann, dass es sich dabei um Übungsalarme handelte). Doch an diesem Tag löste zum allerersten Mal eine Sirene den Alarm aus, und er kam am Vormittag (ebenfalls unüblich; Probealarme kamen meist in der Stunde vor dem Aufstehen). Das Beunruhigendste war: Selbst die Offiziere waren von dem Alarm überrascht; einer sagte kreidebleich: Jetzt gehts los. – Wenige Minuten später saß ich mit den anderen Wehrpflichtigen auf einem LKW, schaute auf den Appellplatz und erwartete jede Sekunde einen Lichtblitz, so hell, dass die Sonne dagegen nur eine Funzel wäre, dann eine Ahnung von Hitze, in der ich schneller verbrenne, als dass mir heiß wird …

Ich erzähle das nicht gern, denn in dieser Episode unterscheide ich mich in nichts von den zahllosen Rekruten, die zu allen Zeiten als Kanonenfutter dienten. Seit jenem Januarvormittag 1985, als ich untätig auf das Nächste wartete, das durchaus auch mein Ende sein könnte, kann ich dir sagen, wo die Blumen sind.

Wie man weiß, trat an diesem Tag das Befürchtete nicht ein, und auch nicht danach. Etwa ein Vierteljahr später kam Michail Gorbatschow an die Macht, und die tiefgefrorenen Beziehungen tauten auf. Wenige Jahre später fiel die Berliner Mauer, der Warschauer Pakt löste sich auf, dann die Sowjetunion. Blockkonfrontation und Kriegsgefahr waren dahin. Journalisten filmten, wie Schneidbrenner Atomwaffen zerlegten. Alle Ängste vor dem »atomaren Armageddon«, dem »thermonuklearen Krieg« waren weggeblasen wie ein schlechter Traum. Vereinzelt las man von vagabundierenden Atomwaffen, die in falsche Hände geraten könnten. Doch die Angst vor einem Weltkrieg hatte sich erledigt.[10]