Leben bis Männer - Thomas Brussig - E-Book

Leben bis Männer E-Book

Thomas Brussig

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Beschreibung

Einer packt aus. Mehr als zwanzig Jahre war er der Stratege am Rand, im Training ein harter Knochen, auf dem Platz ein Erlöser. Sein Verein hieß einst "Tatkraft Börde",sein Beruf ist Fußballtrainer. Jetzt zieht er vom Leder, und es gibt kein Halten: Weil einer seiner Spieler vor Gericht gestellt wurde, hat die Mannschaft den Aufstieg nicht geschafft. Nach "Helden wie wir und "Am kürzeren Ende der Sonnenalleehat Thomas Brussig nun den Aufschrei eines Menschen aus der Provinz aufgezeichnet. "Leben bis Männerist der Monolog eines Mannes, der ein enger Verwandter des Kontrabassisten von Patrick Süskind sein könnte. Ein Fußballtrainer aus der Provinz rechnet ab. Ein leidenschaftlicher Monolog voll absurder Volten und mitreißender Komik - das ostdeutsche Pendant zum "Kontrabass" von Patrick Süskind.

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Seitenzahl: 62

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Thomas Brussig

Leben bis Männer

Roman

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Inhalt

Leben bis Männer

Ein Fußballtrainer kommt aus den Umkleideräumen auf die Bühne, die einen Fußballacker darstellt. Der Trainer ist über fünfzig, hat kurze krumme Beine und einen Bierbauch.

Er schleppt ein riesiges Netz voller Fußbälle auf dem Rücken. Vor seiner Brust baumelt eine Trillerpfeife.

Plötzlich hält er inne, lauscht und schaut zum Himmel.

 

Ruhig mal! Hörn Sie? Die Autobahn! Kein Lüftchen, und ganz weit die Autobahn – ruhig! Da! – Nachher wird schwer was runterkommen. Im Radio haben sie gesagt, wechselnde Bewölkung. Aber wenn ich die Autobahn hör, bei Windstille, dann kommt was runter, und nicht zu knapp. In spätestens anderthalb Stunden. Wenns Training losgeht. Das erste Training mit der neuen Mannschaft. Und dann gleich Regen.

 

Er wirft die Bälle ab und beginnt ganz nebenbei das Spielfeld für das Training vorzubereiten; Grasballen eintreten, die Tore aufstellen, Tornetze aus dem Geräteraum schaffen und an den Toren anbringen, Eckfahnen einschlagen, Kreide einfüllen und Linien kreiden, Bälle aufpumpen usw.

 

Noch nie n Trainer gesehen? Bitte, ich hab nichts zu verbergen. Seh ich aus wie einer, der was zu verbergen hat?

Meine Dame, zugucken gerne – aber nicht einmischen! Frauen und Fußball ist immer prekär. Je emanzipierter, um so schlimmer. Abseits, Libero – das kann man ihnen noch erklären. Irgendwann begreifen sie es sogar. Aber Frauen verstehen nie, wieso Fußball.

Ich bin absolut kein Frauenfeind. Aber Frauen und Fußball – nee. Kennen Sie auch nur eine Fußballtrainerin? Nennen Sie mir nur eine einzige, und ich halte meinen Mund. Es gibt Fußballtrainer, die nie Fußball gespielt haben – Uruguay ist sogar mal Weltmeister geworden mit einem, der nie Fußball gespielt hat. Das ist alles möglich, aber daß ne Frau Fußballtrainer ist – ausgeschlossen. schreit Heiko steht! normal Oder vor Gericht. Schon bei der Scheidung ist ne Frau als Richter schlimm, kann ich Ihnen sagen, aber wenn sogar bei diesen sogenannten Mauerschützenprozessen – das muß man sich mal vorstellen! Die hat doch keine Ahnung, wies zugeht in ner militärischen Einheit, mit Befehl und … So ne Richterin weiß doch nicht mal, was Vergatterung bedeutet. Wenn ichs Ihnen sage! Fragen Sie irgendeine Frau, was Vergatterung bedeutet. Nein, nicht irgendeine – fragen Sie die klügste Frau, die Sie kennen, was Vergatterung bedeutet. Ich garantiere Ihnen: Keine weiß es. Sie glauben, daß sies wissen, aber sie wissens nicht. Und so was darf dann Urteile sprechen. Die versteht doch überhaupt nicht, was es heißt, daß ein Mann an seinen Platz gestellt wird und seine Pflicht zu erfüllen hat. Versteht die nicht. Ein Trainer versteht so was sofort. Und wenn einer rübermachen wollte, wußte der doch, was ihn erwartet. Ist meine Ansicht. Gab auch andere Wege. Mußte doch nicht so nen armen kleinen Grenzsoldaten in Konflikte stürzen. Hätte jeden treffen können. Wehrpflicht, Fahneneid, Befehle – da hatte man keine Wahl als kleiner Grenzsoldat. Da wurden nun mal welche erschossen. Ich sage: leider. Aber die Prozesse, Jahre später – die machten doch keinen mehr lebendig. Und dann ne Frau. Keine Ahnung von Vergatterung. Aber wenn dann die Mutter von dem Vollidioten, ich nenn ihn jetzt mal so, von diesem Vollidioten, der sich unbedingt erschießen lassen wollte – leider! –, wenn also die Mutter vor Gericht erschien, dann können Sie sich doch denken, wie das lief. Die Richterin sieht die Mutter … Dann hatte doch so n kleiner Grenzsoldat verloren, der konnte sich doch gar nicht begreiflich machen mit Befehl und Vergatterung … Ich weiß, wovon ich rede. Ich hab selbst mal in so nem Gerichtssaal gesessen. Nicht auf der Bank, sondern als ganz unbeteiligter, unvoreingenommener Zuschauer. Aber als ich mitgekriegt habe, daß da ne Frau als Richter – also da wars aus. Ich bin kein Frauenfeind, aber es gibt einfach Grenzen. Gibt ja auch keine Fußballtrainerin. schreit Heiko steht! normal Das kann ne Frau doch gar nicht. Die würde kein Mensch hören. Ein Trainer muß brüllen können, sonst braucht er gar nicht erst anzufangen. Ich übrigens brülle nicht. Es sieht aus wie Brüllen, aber in Wirklichkeit ist es Denken, und zwar sehr leidenschaftliches Denken. Das Brüllen geht ganz von allein, da muß ich gar nichts für tun. Die andern Trainer gucken bloß zu oder sagen alle zehn Minuten mal was, wovon sie fünf Minuten nachdenken, wie sies sagen sollen – nicht bei mir. Meine Spieler wissen, was ich denke, mit minimalster Verzögerung, nur durch die Gehirnströme, ein paar Millisekunden – jeder Gehirnpsychologe oder so was kann das bestätigen! –, Luft holen, und dann ist die Nachricht mit Schallgeschwindigkeit bei den Spielern, dreihundert Meter pro Sekunde, also überschlagsmäßig spätestens in null Komma drei Sekunden. Im Winter sogar noch schneller, weil Schall im Winter, das kann Ihnen jeder Tontechniker oder Physiker bestätigen. Ein paar Millisekunden später hat der Spieler meine Botschaft verstanden und weiß, was zu tun ist. Und ganz unter uns – das ist wirklich der einzige Weg. Wenn die Spieler auflaufen und wissen, es geht um was, da haben sie Angst. Das sind ganz tiefe Urinstinkte. Sie haben Angst, was falsch zu machen, Gegner ist unbekannt, und sie halten die blanken Knochen hin. Da brauchen sie doch einen, der ihnen sagt, was sie machen sollen. Da ist ne klare Anweisung die Erlösung. Ich will Ihnen ein Beispiel bringen, wie dringend ein Spieler ne klare Anweisung will. Ich hab mal zu nem Spieler ganz ruhig gesagt, er soll sich die Schuhe zubinden. Seine Schuhe waren zu. Und was macht der? Hockt sich mitten im Spiel hin und bindet sich die Schuhe zu. War ne volle Minute außer Gefecht gesetzt. Aber jetzt kommt der Clou: Der war von der Gegenmannschaft. Dem fehlte einfach ne klare Anweisung, und von mir hat er eine gekriegt. Das funktioniert aber nur, wenn der andere Trainer kein Platzbrüller ist, sondern ein Kabinenbrüller. Aus Angst, sich zum Maxe zu machen. Ich bin ein Platzbrüller, obwohl ich nicht brülle, sondern denke, leidenschaftlich denke, denke und lenke. Der Stratege am Rand. Der Julius Cäsar der Seitenlinie. Wenn Sie bei einem Spiel plötzlich ganz leidenschaftlich denken, was die Spieler machen müßten – und die Spieler machen das auch, weil Sie der Trainer sind –, nicht zu unterschätzen, das Gefühl, nicht zu unterschätzen. Was ich denke, sehr leidenschaftlich denke, brüllt das passiert auch! normal Nicht zu unterschätzen.

Das war der Heiko, der mit den Schuhen. Neun war er damals. Als der sich die Schuhe zuschnürte, machten meine ein Tor. Hat der Heiko geweint. Da tats mir natürlich leid – wenn ein Erwachsener was zu nem Neunjährigen sagt, die können das nicht unterscheiden. Der Trainer vom Heiko hat ihn angefaucht: Bist du n Mädchen, oder warum flennste! Da hab ich den Heiko getröstet. Bin doch kein Unmensch. Und weil er immer noch geweint hat und einfach nicht aufhören wollte, hab ich zu ihm gesagt, daß er ein toller Spieler ist, einer wie Jürgen Sparwasser, und daß ich ihn jederzeit in meine Mannschaft nehmen würde. Da hat der Heiko aufgehört zu weinen und ist in meine Mannschaft. Sofort. Hat sich schon in meiner Kabine umgezogen nach dem Spiel. War wie adoptiert. Und den Trick mit dem Schuhezubinden hab ich mir gemerkt, für später. Bei Kindern ist es ja keine Kunst. Aber der funktioniert auch bei den Männern! Klare Anweisungen sind die Erlösung aufm Platz. Wo kämen wir hin, wenn alle Individualitäten wären? Mit diesen ganzen antiautoritären Moden muß mir niemand kommen. Bloß weil Sie vielleicht nen Doppelnamen haben, müssen Sie sich nicht für was Besseres halten als ein Fußballtrainer. Sie wissen doch genau, wenn gespielt wird, kommt das übrige Leben komplett zum Erliegen. Das ist das Fußball-Gefühl! Alle gucken Fußball. Und warum wollen alle Fußball gucken?