Nele gibt nicht auf - Juliane Jacobsen - E-Book

Nele gibt nicht auf E-Book

Juliane Jacobsen

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Beschreibung

Seit ihre beste Freundin weggezogen ist, wird Nele von der Klassenzicke terrorisiert. Was soll man tun, wenn in der Schule plötzlich alle gegen einen sind? Nele weiß sich keinen Rat. Ob Beten hilft? Als sie ganz in der Nähe einen Reiterhof entdeckt, lernt sie Cordula kennen, die dort Reitunterricht gibt. Hier fühlt Nele sich endlich wohl! Da taucht plötzlich die Klassenzicke höchstpersönlich auf dem Reiterhof auf …

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Der SCM Verlag ist eine Gesellschaft der Stiftung Christliche Medien, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22891-5 (E-Book)

ISBN 978-3-417-28784-4 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book:CPI books, Leck

© 2017 SCM-Verlag GmbH & Co. KG, 58452 Witten

Internet: www.scm-verlag.de; E-Mail: [email protected]

Umschlaggestaltung: Katrin Schäder, Velbert

Satz: Christoph Möller, Hattingen

Illustrationen: Elke Broska, Wiesbaden

Inhalt

1. Endlich Frühling

2. In Sicherheit

3. Zickenalarm!

4. Ein unerwartetes Angebot

5. Abendessen zu dritt

6. Ein Sonntag mit Folgen

7. Stress am Montagmorgen

8. Nervige Eltern

9. Die sprechende Kinderbibel

10. Eine ätzende Pause

11. Aufgeflogen!

12. Eine erstaunliche Wendung

13. Duell in der Umkleidekabine

14. Unter Beobachtung?

15. Eine neue Bekanntschaft

16. Schöne Aussichten?

17. Ein Ende mit Apfelbaum

18. Das Video

19. Eine unfreiwillige Auszeit

20. Wie soll es jetzt weitergehen?

21. Zurück in der Schule

22. Wer ist der Boss?

23. Zum Putzen verdonnert

24. Nele springt ein

25. Eine wichtige Entscheidung

26. Neue Herausforderungen

27. Konfrontation

28. Muss man wirklich springen können?

29. Galoppieren!

30. Wieder Zickenterror

31. Verletzt!

32. Endspurt

33. Auf Klassenfahrt

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

1. Endlich Frühling

Missmutig starrte Nele aus dem Fenster. Draußen lockte das schönste Frühlingswetter. Nele nahm ihr Buch wieder zur Hand, aber die Buchstaben wollten sich einfach nicht zu vernünftigen Wörtern formen. Nicht einmal das Buch gehorchte ihr, was für ein Armutszeugnis.

Mit einem tiefen Aufseufzen klappte sie es zu. Ihr Blick fiel auf den Wecker neben dem Bett. In einer knappen halben Stunde würde ihre Mutter von der Arbeit kommen und wieder auf sie einreden: „Schneckchen, du musst rausgehen, Sonne tanken! Triff dich mit deinen Freundinnen. Tu irgendwas!“

Wie Nele das hasste. Es war so öde, alleine draußen herumzuhängen. Die anderen Mädels hatten sich heute zu einer Shopping-Tour verabredet, um ihre Outfits den neuesten Trends anzupassen. Vor einem halben Jahr wäre Nele sicherlich auch dabei gewesen. Als es Josie noch nicht in ihrer Klasse gab.

Nele warf einen scheelen Blick in ihren Kleiderschrank. Nicht, dass sie kein Interesse an schicken Klamotten hatte, aber die Besessenheit, mit der ihre Klassenkameradinnen den angesagtesten Models nacheiferten, war ihr doch suspekt.

Schnell zog sie ihr Lieblingstop an und warf die blonden Haare mit einem Ruck zurück. Mit der Jeansjacke würde es warm genug sein.

„Ich bin draußen“, kritzelte sie auf einen Zettel und legte ihn ihrer Mutter auf den Küchentisch. Ein rascher Blick auf die Uhr: Höchste Zeit, dass sie verschwand.

Die Schuppentür quietschte und das Fahrrad sah ein wenig wintermüde aus, als Nele es aus dem dunklen Gebäude befreite. Die Sonne offenbarte die Staubschicht, die sich in den letzten Monaten darauf angesammelt hatte.

Das kommt davon, wenn man lieber Bus fährt, dachte Nele. Sie kramte einen Lappen aus dem picobello aufgeräumten Regal im Schuppen. Oberflächlich wischte sie das Fahrrad sauber und prüfte den Luftdruck. Natürlich, die Reifen waren genauso schlapp, wie sie selbst sich fühlte. Aber mit einer Luftpumpe war das Rad schnell startklar.

Von der Arbeit war Nele warm geworden und jetzt freute sie sich doch, mit dem Drahtesel in die Freiheit aufbrechen zu können. Der Wind wehte ihr um die Nase und kleine Steinchen spritzten unter den rollenden Reifen weg. So schnell wie möglich fuhr sie aus dem Ort heraus. „Panzerstraße“ nannten ihre Eltern diesen Weg.

Nele radelte an einem kleinen Bach und einer langen Reihe von Weiden entlang. Hier hatten sie früher Weidenruten geholt, um Neles Versteck im Garten zu bauen. Papa hatte die Ruten mit dem dicken Ende in die Erde gesteckt, immer im Kreis. Die dünnen Spitzen hatte er oben zusammengebunden, sodass eine Art Tipi entstanden war. Bereits kurze Zeit später hatten die Ruten angefangen, Wurzeln zu schlagen und Blätter auszutreiben. In ihrer Fantasie hatte Nele dort immer ein Pony gehalten, das nur ihr allein gehörte.

Sie lächelte bei der Erinnerung daran. In der Realität war sie davon so weit entfernt wie von einem Olympiasieg als Dressurreiterin. Obwohl sie mehr Lust auf Reiten als auf Shoppen hatte, wollte sie eben keine Dressur oder Turniere reiten. Deswegen war sie nach einer Weile auch nicht mehr in den Reitverein im Nachbarort gegangen.

Mann, war ihre Mutter sauer gewesen! Die hatte sie wohl schon mit Schleifen und Pokalen nach Hause kommen sehen. Aber daraus wurde nichts.

Schnell schüttelte Nele die unangenehmen Gedanken ab. Lieber freute sie sich, dass die Weiden voller hellgrüner Blätter waren. Ein paar Minuten später sah sie in der Entfernung einige Häuser auftauchen.

Sie runzelte die Stirn. Bisher war sie immer spätestens bei den Weiden wieder umgekehrt. Wer wohnte denn so weit draußen? Und ich dachte, der Preis für den größten Einsiedler geht an mich, dachte sie und musste grinsen.

Die Sonne schien und der Frühlingswind fuhr ihr fröhlich durch die Haare. Also trat Nele einfach weiter in die Pedale.

Kurz darauf näherte sie sich einem Grundstück, auf dem sich mehrere Gebäude befanden. Bei einigen hatte der Putz große Löcher – offenbar hatte sich schon lange niemand mehr richtig darum gekümmert.

Nele kniff die Augen zusammen. Vor ihr stand ein kleineres, altes Backsteingebäude – Fachwerk oder so. Links dahinter leuchtete es gelb. Das Haus dort war offenbar besser in Schuss. Ob da jemand wohnte? Es gab auch zwei längliche Schuppen, deren Holz schon ganz grau war.

Nele blinzelte. Die Augen tränten vom angestrengten Starren. Als sie den Blick weiter nach rechts wandern ließ, entdeckte sie eine Art Koppel, auf der ein paar Vierbeiner standen.

Vorsichtig radelte sie näher heran. Nicht, dass sie noch mit einem der Bewohner dieses heruntergekommenen Hofes zusammenstieß!

Keiner zu sehen, stellte sie nach einem sorgfältigen Rundumblick fest. Gleich am ersten Haus stieg sie vom Rad. Ein bisschen Putz bröckelte traurig herab, als sie den Lenker an die Wand lehnte.

Nele schlich um die Hauswand, bereit, jederzeit zu ihrem Rad zurückzuspurten.

Aber alles war ruhig, nur aus einem kaputten Auto, das im Innenhof abgestellt war, sah eine kleine Katze heraus.

„Verrat mich nicht, hörst du?“, flüsterte Nele der kleinen getigerten zu.

Dann schlich sie weiter in Richtung der umzäunten Wiese. Jetzt konnte sie die Tiere dort schon besser erkennen: Es handelte sich um mehrere Ponys und ein graues Tier, das ein Esel oder auch ein Maulesel sein konnte.

Ein helles Pony hob neugierig den Kopf und schlenderte wie zufällig in Neles Richtung. Dabei senkte es mehrmals den Kopf und nahm hie und da ein paar Grashalme mit.

Nele stand ganz still und wartete einfach ab.

Als das Pony ziemlich dicht an sie herangekommen war, streckte sie vorsichtig die Hand aus.

Schnobernd näherte sich die Ponynase und blies warmen Atem auf ihre Handfläche.

Nele lächelte. Es war schon eine Weile her, dass sie einem Pferd so nah gewesen war.

„Na, du Süßer!“, gurrte sie und blies dem Pony sachte auf die Nüstern. Sie hatte einmal gelesen, dass die Tiere sich so begrüßen und Informationen übereinander austauschen.

Was das Pony wohl aus ihrem Atem herausriechen würde? Vielleicht merkte es, dass sie Spaghetti-Bolognese zu Mittag gegessen hatte und danach einen Pfefferminzbonbon. Vielleicht konnte es auch riechen, dass sie ein Mädchen war, das Pferde liebte.

Lächelnd streichelte Nele den Kopf des Ponys.

Mit seinen weichen Nüstern fuhr es über ihr Gesicht und durch ihre Haare. Dann rieb es zärtlich den Kopf an ihrer Schulter, sodass sie fast nach hinten umfiel.

„Hey, lass das!“, lachte sie und schob die Ponynase zur Seite.

Prustend schüttelte es den Kopf und wieherte laut.

„Psst!“ Erschrocken sah Nele sich um.

Da hörte sie auch schon, wie drüben irgendwo eine Tür knallte.

Jetzt aber nichts wie weg!

Sie machte, dass sie wieder zu ihrem Fahrrad kam. Blitzschnell schwang sie sich in den Sattel und radelte den Weg zurück, auf dem sie gekommen war. Das schrille Wiehern des Ponys folgte ihr.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

2. In Sicherheit

Nachdem Nele etwa den halben Weg in vollem Tempo entlanggerast war, sah sie sich endlich um. Niemand war ihr gefolgt. Sie zwang sich dazu, ruhig und gleichmäßig zu atmen.

Eine Biene umschwirrte sie, wahrscheinlich auf der Suche nach leckeren Weidenkätzchen.

Reflexartig wollte Nele sie verscheuchen. Dabei bemerkte sie erst, dass ihre Hände den Lenker so fest umklammerten, als die Knöchel schneeweiß hervortraten. Es tat richtig weh, als sie die Finger mit einiger Willensanstrengung löste.

Sie schüttelte die Hände aus, um die Verkrampfung zu lösen, und ließ die Schultern kreisen. „Autsch!“ Die rechte Schulter war total verspannt von dieser anstrengenden Flucht.

Nele warf einen Blick auf die Uhr ihres Handys. Na immerhin, jetzt war ihre Mutter schon wieder zu Hause und sie konnte gefahrlos heimkommen.

„Mama, ich bin wieder da!“, rief Nele ein paar Minuten später.

„Hallo, Schneckemaus“, hörte sie Mamas fröhliche Stimme aus der Küche. „Ich mach uns etwas Nettes zum Abendbrot. Papa hat versprochen, rechtzeitig da zu sein. Hattest du einen schönen Nachmittag mit deinen Freundinnen?“

Nele murmelte etwas, was eine Zustimmung sein konnte.

„Ich hab dir deine Wäsche ins Zimmer gelegt, räum die bitte eben noch weg, ja?“

Nele seufzte leise und verdrehte die Augen. „Klar, Mama!“, rief sie und sah zu, dass sie in ihr Zimmer kam.

Nicht, dass ihre Mutter sie in die Küche beorderte und mit Fragen bombardierte. Sie glaubte nämlich immer noch, dass Nele Freundinnen hatte, und Nele hatte nicht vor, sie eines Besseren zu belehren. Mütterliche Einmischung in Sachen Freundschaft – das fehlte ihr gerade noch.

Einmal Josie auf den Mond schießen und Leni dafür wieder herbeamen, das wär’s, dachte Nele und seufzte leise.

Die Klamotten flogen achtlos in den Schrank. Mama würde bestimmt wieder meckern, aber das war Nele jetzt egal.

Mit ihrem Buch in der Hand schmiss sie sich auf das zerknautschte Bett. Ob sie bis zum Abendessen noch den Krimi zu Ende lesen konnte? Anders als im realen Leben liebte Nele in ihrer Bücherwelt nämlich nichts mehr, als gefährliche Fälle aufzuklären. Sie würde bestimmt einmal eine tolle Detektivin abgeben.

Dieser Fall zum Beispiel erwies sich als besonders schwierig und verwirrend. Nele war sich noch nicht ganz sicher, wer nun eigentlich die giftgrüne Handtasche mit den kleinen Silbermünzen gefüllt hatte, die aus dem Museum entwendet worden waren. Auf keinen Fall konnte es die Hauptverdächtige, eine Museumsmitarbeiterin aus der Nachtschicht, gewesen sein. Schon deswegen nicht, weil sich in solchen Büchern die Hauptverdächtigen am Ende niemals als die wahren Täter entpuppten.

Mit einem genüsslichen Aufseufzen vertiefte sich Nele in ihre Lektüre, die nach dem Ausflug an die frische Luft leicht und flüssig zu lesen war.

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3. Zickenalarm!

Am nächsten Morgen erschien Josie in einem superengen Glitzerfummel, den sie gestern erstanden hatte. Ihre blonde Mähne war aufwendig gestylt – sie musste eine halbe Dose Haarspray dafür versprüht haben.

Ob die Haare abbrechen, wenn ich dagegenstoße?, überlegte Nele und drehte sich schnell zur Seite, damit Josie ihr Grinsen nicht sah.

Die anderen waren dem Vorbild der Oberzicke gefolgt und prahlten lautstark damit, wie viel sie für ihre neuen Outfits ausgegeben hatten.

Als sie an Nele vorbeistolzierten, traf sie die intensive Mischung aus Haarspray und Parfüm wie eine Keule. Schnell steckte sie die Nase in ihr Deutschbuch und versuchte, durch den Mund zu atmen. Trotzdem wurde ihr übel.

Zum Glück meuterten jetzt ein paar der Jungs und rissen die Fenster auf. Theatralisch wedelten sie mit den Händen vor ihren Nasen herum, was ihnen vernichtende Blicke von Josie und ihrer Gefolgschaft einbrachte.

In der Hofpause stand Nele mit ihrem Buch in der einen und einem Brot in der anderen Hand an ihren Lieblingsbaum gelehnt.

Ein paar Schülerinnen aus den oberen Klassen gingen in der Nähe vorbei. „Oh, hallo, Nele“, grüßte eine von ihnen.

Das Buch in Neles Hand machte vor Schreck einen Hüpfer, sie musste noch einmal nachfassen, um es nicht auf den Boden fallen zu lassen. Ihre Ohren brannten.

Die Mädchen waren schon weitergegangen, nur die mit den langen braunen Haaren drehte sich noch einmal kurz zu ihr um und lächelte.

Das war doch … Nele überlegte. Sie hatte dieses Mädchen schon einmal gesehen, aber wo? Vergeblich zerbrach sie sich den Kopf.

Während der letzten Unterrichtsstunde ertappte Nele sich dabei, wie sie immer wieder in Gedanken abschweifte und aus dem Fenster sah. Das Wetter war genauso verlockend wie gestern.

Ob sie es wagen konnte, das unbekannte Pony noch einmal zu besuchen? Freitags kam ihre Mutter immer früher von der Arbeit nach Hause. Immerhin könnte ich so ihren Predigten entkommen, überlegte Nele. Und dem freitäglichen Großputz.

Vor Anspannung kaute sie so heftig auf ihrem Bleistift herum, dass das Holz einen Riss bekam. Na toll, wieder einer mehr.

Das Pausenklingeln erlöste sie schließlich. Nele warf ihre Sachen achtlos in den Rucksack und schob sich mit den anderen zusammen in Richtung Tür.

Plötzlich wurde sie angerempelt. „Ey, pass doch auf, hast du keine Augen im Kopf?“, schnauzte Josie sie an und zog den Ellenbogen wieder ein.

Die anderen grinsten.

Nele setzte zu einer empörten Antwort an, verschluckte sie dann aber wieder und stolperte durch die Tür des Klassenraums. Auf eine Konfrontation im engen Schulflur wollte sie es lieber nicht ankommen lassen, es gab hier einfach zu wenig Ausweichmöglichkeiten. Mit gesenktem Kopf hastete sie weiter in Richtung Ausgang.

„Ach, ist sich die feine Dame für eine Entschuldigung zu schade? Das enttäuscht mich aber.“ Josies Stimme triefte vor Verachtung.

Nele bekam einen Stoß in den Rücken, worauf sie mit dem Kopf gegen eine offen stehende Tür krachte. Sie rieb sich die schmerzende Stelle. Jetzt bloß nicht stehen bleiben. Sie zog die Schultern hoch und beschleunigte ihren Schritt.

Wenn sie die Gruppe Achtklässler direkt vor ihr zwischen sich und die Zicken brachte, war sie fürs Erste gerettet. Mit einem Blick erfasste sie die Lage im Schulflur. Noch etwas schneller, ein leichter Linksdrall und dann nach rechts einscheren, dirigierte sie sich selber durch die wenigen Lücken.

Geschafft. Der Pulk der Achtklässler blockierte die Girlies und Nele kam unbehelligt aus dem Schulgebäude heraus. Nun musste sie sich nur noch verstecken, bis Josie und ihr Gefolge außer Sichtweite waren, damit sie an der Bushaltestelle keinen Ärger bekam.

Nele wusste aus Erfahrung, dass selbst fünf Minuten Wartezeit eine Ewigkeit dauern konnten, wenn die Zicken sie drangsalierten. Blöd, dass niemand sonst genau diese Strecke fahren musste. So war sie eine leichte Beute, bis sie im Bus saß.

Leider hatten die Damen es überhaupt nicht eilig heute. Sie standen vor dem Ausgang des Schulgeländes, quatschten und warfen immer mal wieder einen Blick über den Hof.

Warten die etwa auf mich? Nele versuchte, den Kloß herunterzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte. Sie wischte die Hände an ihrer Jeans trocken und schaute auf ihr Handy.

Mist, der Bus würde in zwei Minuten fahren. Wenn sie den verpasste, musste sie eine halbe Stunde warten. Keine Chance, dann noch ungesehen zu verschwinden. Ihre Mutter würde sie sofort einspannen, um irgendwelche Figürchen zu polieren oder auf den Grünpflanzen Staub zu wischen.

Vorsichtig schaute Nele sich nach einer Möglichkeit um, ungesehen das Gelände zu verlassen. Die meisten Schüler waren bereits gegangen, sodass der Hof ziemlich leer dalag. Sie würde auf jeden Fall entdeckt werden.

„Mist, Mist, Mist“, murmelte sie und überlegte fieberhaft.

Da! Die Rettung nahte in Person ihres Biologielehrers.

Aufatmend kam Nele aus ihrem Versteck und überquerte in seinem Schatten den Hof.

Die Zicken warfen sich Blicke zu und stießen sich kichernd mit den Ellenbogen an, aber direkt vor den Augen eines Lehrers trauten sie sich doch nicht, Nele noch einmal anzugehen.

Nele stieß die Luft aus, die sie auf dem Weg über den Schulhof angehalten hatte. Jetzt aber schnell! Sie flitzte zur Haltestelle und erwischte den Bus gerade noch so. Schnaufend ließ sie sich auf einen Sitz fallen und schloss erleichtert die Augen. Weißes Pony, ich komme!

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

4. Ein unerwartetes Angebot

Zu Hause angekommen warf Nele den Rucksack in eine Ecke. An die Schule wollte sie erst mal nicht denken müssen. Am Spiegel klemmte ein Zettel: „Hi, Süße, ich komme heute etwas später, deck schon mal den Tisch fürs Abendbrot! Küsschen, Mama.“

Nele atmete tief durch. Sie würde den ganzen Nachmittag bei dem Pony verbringen können! Sie lächelte sich selbst im Spiegel zu und machte, dass sie verschwand.

Das Fahrrad hatte immer noch Luft im Reifen, wie Nele mit Freude feststellte. Der Schlauch war also heil.

Pfeifend schwang sie sich hinauf und radelte wieder die Feldwege entlang. Diesmal dauerte es gar nicht lange, bis sie in der Ferne die ersten Gebäude des Hofes entdecken konnte.

Nele fuhr direkt auf die Weide zu, wo sie die Silhouetten der Ponys bereits ausmachen konnte. Übermütig schnitt sie die letzte Kurve, um ihr Fahrrad beim ersten Nebengebäude abstellen zu können.

„Ey, pass doch auf!“

Verflixt, sie hätte beinahe jemanden angefahren. Augenblicklich verschwand Neles Übermut und sie schluckte nervös. Mit heißen Ohren murmelte sie eine Entschuldigung, während sie den Blick starr auf die Lenkerstange gerichtet hielt.

„Schon gut, ist ja nichts passiert.“

Nele stutzte. Die Stimme kam ihr irgendwie vertraut vor! Hinter den langen Haaren, die ihr ins Gesicht hingen, schielte sie vorsichtig hervor.

Das konnte doch kein Zufall sein: Mit Gummistiefeln und einer Mistgabel in der Hand stand die braunhaarige Oberschülerin vor ihr, die sie heute in der Schule schon einmal freundlich gegrüßt hatte.

Wie oberpeinlich! Ausgerechnet jemand aus ihrer Schule. Nele sackte in sich zusammen. Der Erdboden war natürlich mal wieder unkooperativ, sonst hätte er sich augenblicklich aufgetan und sie verschlungen.

„Ich … ich …“, stotterte Nele und konnte spüren, wie ihr Gesicht noch ein bisschen heißer wurde.

„Wolltest du dir mal unsere Ponys angucken?“, fragte die Ältere sie nun freundlich.

Nele nickte. Immerhin schien sie nicht sauer zu sein, das war schon mal gut. Jetzt fiel Nele auch der Name der Unbekannten wieder ein – Corinna hieß sie, jedenfalls war Nele sich da halbwegs sicher.

„Na los, stell dein Fahrrad ab und komm mit. Ich zeig dir die Ganoven.“

Gemeinsam gingen die Mädchen zur Koppel hinüber. Wie schon beim letzten Mal kam das weiße Pony direkt an den Zaun und streckte neugierig die Nase herüber. Sanft schnupperte es an Neles ausgestreckter Hand.

„Das ist Keks“, stellte Corinna ihr das Tier vor. „Er ist furchtbar gefräßig und genauso stur, wie man es bei einem Pony vermuten kann. Er bräuchte dringend mehr Bewegung. Früher bin ich ihn geritten, aber mittlerweile bin ich zu schwer für ihn.“

Das ältere Mädchen sah Nele von oben bis unten an, spitzte die Lippen und runzelte die Stirn. „Sag mal, reitest du eigentlich auch?“

„Na ja“, druckste Nele ein bisschen herum, „ich bin mal geritten, aber ich will halt keinen Turniersport oder Dressur oder ein Reitabzeichen oder so was machen. Damit war ich im Verein nicht so gern gesehen, glaube ich.“

Corinna nickte. „Bei denen hab ich es auch einmal versucht.“

Zack, Nele bekam einen saftigen Stoß ab. Das Pony wollte wieder Aufmerksamkeit und hatte keine Lust, die beiden Mädchen reden zu lassen.

Nele musste grinsen und kraulte Keks an den Ohren. Während sie mit dem Pony beschäftigt war, starrte Corinna auf die Weide und trat von einem Bein auf das andere.

Ach Mist, dachte Nele, ich halte hier bestimmt den ganzen Betrieb auf. Schnell holte sie den Apfel aus der Tasche, den sie für das Pony eingesteckt hatte. Keks sollte wenigstens noch etwas von ihrem Besuch gehabt haben.

Krachend zermalmten die Ponyzähne das Obst.

Corinna gab sich einen sichtbaren Ruck, drehte sich zu Nele und fragte: „Sag mal, könntest du dir vorstellen, regelmäßig auf Keks zu reiten?“

Nele erstarrte mitten in der Bewegung, sogar das Atmen vergaß sie. Reiten? Sie? Auf Keks? Moment mal, hatte sie sich hier nicht gerade verhört?

Aber ein schneller Seitenblick auf Corinna bestätigte, dass diese sie mit erwartungsvollem Blick ansah und offenbar auf eine Antwort wartete.

„Öhm … ja, also, wenn du denkst, ich kann das …“, stotterte Nele. „Ich bin halt lange nicht mehr geritten, ich weiß nicht, ob ich gut genug bin.“

Jetzt lächelte Corinna sie an. „Aber das ist doch gar kein Problem. Wir fangen gemeinsam an und ich zeige dir, wie du mit Keks umgehen musst. Der ist sowieso eine ganz eigene Marke. Für den Anfang nehme ich ihn einfach an die Longe. Was hältst du davon?“

Schnell hielt Nele sich an dem warmen, lebendigen Pony fest. Hatte sie gerade wirklich ein Angebot bekommen, Reitunterricht zu kriegen? Unglaublich.

Mit einem immer breiter werdenden Grinsen nickte sie Corinna zu. „Sehr, sehr gerne reite ich das Pony für dich.“

„Super!“ Corinna streckte den Daumen in die Höhe. „Wollen wir gleich mal anfangen? Ich muss Keks jetzt sowieso von der Koppel holen und ihn putzen. Da könntest du mir gleich helfen, wenn du magst.“

Nele nickte stumm, aber in ihrem Bauch blubberte eine Freude, wie sie sie schon lange nicht mehr gefühlt hatte.

Corinna holte ein Halfter und Keks steckte fröhlich seine Nase hinein. Mit den Lippen nagte er ein wenig an Corinnas Wange. Die lachte und schob seine Nase weg.

Aber als sie das Halfter fertig verschnallt hatte, holte sie ein Stück Möhre aus ihrer Tasche und gab es dem frechen Pony. Den Führstrick drückte sie Nele in die Hand, die daraufhin mit Keks zum Ausgang der Koppel ging. Die anderen Ponys kamen mit ein wenig Abstand hinterher.

„Das kleine Shetty dort heißt Prinz, er ist schon ein älterer Herr. Direkt neben ihm läuft Luna, ein New-Forest-Mix.“

„Und der Esel dort hinten?“, fragte Nele und deutet mit dem Kinn auf den grauen, zotteligen Gesellen.

„Das ist ein Maultier, ihr Name ist Rieke. Sie ist total lieb, kann aber auch sehr stur sein, wie Keks, eigentlich“, ergänzte Corinna und kicherte.

Auf dem Hof angekommen zeigte sie Nele, wie sie das Pony am besten festbinden konnte. Diesen speziellen Knoten, den man mit einer Handbewegung wieder lösen kann, hatte Nele schon im Reitverein gelernt. Schnell hate sie den Dreh raus.

Mit Putzzeug bewaffnet machten sich die Mädchen nun von beiden Seiten über Keks her. Schon kurz darauf konnte man seine eigentliche Fellfarbe unter dem ganzen Schlamm auf seiner Kruppe erahnen. Das Pony hatte die feuchten Stellen auf der Koppel weidlich zum Wälzen genutzt.

„Du bist doch echt ein Schweinchen“, murmelte Corinna und ließ den Striegel fleißig kreisen. Der Schlamm bröckelte förmlich aus dem Fell.

Sachte arbeitete sich Nele von den Rändern her an die ganz dick verkrusteten Stellen heran. Keks zuckte mit dem Fell und schlug mit dem Schweif, als ob er eine lästige Fliege verscheuchen wollte.

„Du musst etwas fester aufdrücken, sonst ärgerst du ihn nur“, erklärte Corinna und zeigte Nele kurz, mit wie viel Druck sie vorgehen musste, damit die Schlammschicht aufbrach und aus dem Fell gebürstet werden konnte.

Nele blies sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Langsam wurde ihr sehr warm und der rechte Arm begann zu schmerzen. Sie wechselte den Striegel in die andere Hand.

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis das Pony wieder sauber genug war, um geritten zu werden. Corinna verschwand in dem heruntergekommenen Nebengebäude, das wohl als Sattelkammer diente. Und als Gerümpelkammer, wie Nele mit einem schnellen Blick ins Innere feststellte.

Corinna rumorte herum und kam dann mit einem etwas angestaubten Reithelm heraus. „Hier, probier mal, ob dir der passt. Ohne lass ich dich nicht reiten.“ Sie reichte Nele den Helm, der zu ihrer Freude perfekt passte.