NEW TERRA - Bernhard Kempen - E-Book

NEW TERRA E-Book

Bernhard Kempen

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Beschreibung

Endlich kann der Reporter Adrian Ginjeet den Rückflug zur Erde antreten, nachdem er auf dem scheinbar idyllischen Nudistenplaneten Arkadia die unglaublichsten Abenteuer überstanden hat. Doch dann muss er ein weiteres Mal seine Pläne ändern, als ein medizinischer Notfall eintritt. Auf dem Kolonialplaneten NEW TERRA kommt es zu gehäuften Fällen einer bislang nur selten aufgetretenen exotischen Krankheit. Welcher Zusammenhang besteht zu einer terranovanischen Delikatesse, einer illegalen Sexdroge und dem Familienhintergrund einer arkadischen Ärztin? Können Adrian, die außergewöhnliche Greedy, ein eigenwilliges Raumschiff und der Hund Boz das Rätsel lösen und weitere Todesfälle verhindern? »Seine Greedy-Reihe gehört zum Schrägsten, aber auch zum Unterhaltsamsten, was er bislang zu Papier gebracht hat.« Hermann Urbanek in Geek!

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Bernhard Kempen

NEW TERRA

Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum

AndroSF 173

Bernhard Kempen

NEW TERRA

Ein Greedy-Roman aus dem Xenosys-Universum

AndroSF 173

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© dieser Ausgabe: Mai 2023

p.machinery Michael Haitel

Titelbild & Datenblatt: Klaus Brandt

Illustrationen: Michael Wittmann

Layout & Umschlaggestaltung: global:epropaganda

Lektorat: Eva Brunner

Korrektorat: Michael Haitel

Herstellung: global:epropaganda

Verlag: p.machinery Michael Haitel

Norderweg 31, 25887 Winnert

www.pmachinery.de

für den Science Fiction Club Deutschland e. V., www.sfcd.eu

ISBN der Printausgabe: 978 3 95765 331 4

ISBN dieses E-Books: 978 3 95765 773 2

1

Endlich ist das Abenteuer Arkadia vorbei! Ich kann es noch gar nicht fassen. Was als dreiwöchige Recherche auf dem Nudistenplaneten für eine nette Reportage mit ein paar lustigen Sexanekdoten geplant war, eskalierte zu einem fast zweimonatigen Aufenthalt mit einem Mordfall, einer Weltraumkatastrophe und einem Erstkontakt der höchst ungewöhnlichen Art. Jedenfalls ist mein Bedarf an aufregenden Ereignissen für die nächsten paar Jahre gedeckt. Was rede ich da? Für den Rest meines Lebens!

Ich blicke mich in meiner Kabine an Bord der Darling um, nachdem ich all meine Sachen sicher verstaut habe, damit später nichts in der Schwerelosigkeit herumschwirrt. Dieses schlicht eingerichtete Zimmer wird für eine Weile mein privater Rückzugsort sein, wenn mir die Arkadier zu sehr auf den Geist gehen. Während des Stringfluges werden wir auf künstliche Bordschwerkraft verzichten, was die Reisezeit erheblich verkürzt. Obwohl es immer noch drei Wochen dauern wird, bis ich wieder den vertrauten Boden der guten alten Erde unter den Füßen haben werde.

Ob mein Magen es verträgt, so lange auf jede räumliche Orientierung zu verzichten, wird sich zeigen.

Die Flugzeit war für meinen Chef Bob Bruford der Hauptgrund, sich einverstanden zu erklären, dass Greedy mich mit ihrem alten Kahn nach Hause schippert. Das und die Tatsache, dass die Arkadierin kein Geld dafür verlangt hat. Obwohl ich finde, dass sie ihm dafür wenigstens ein kleines Sümmchen hätte abknöpfen können. Immerhin hat sie seinem Topreporter eine Menge Stoff für die ausführlichen Berichte von Arkadia geliefert und dafür gesorgt, dass sich die Abonnentenzahlen von Trash Universe vervielfacht haben. Hat Bob zumindest behauptet.

»Achtung!«, dringt Greedys Stimme aus dem Comterminal in meinem Quartier. »Gleich wird alles abheben, was nicht fest angebunden ist. Wenn ihr den Start miterleben wollt, kommt nach vorn ins Cockpit.«

Ich schnaufe verärgert. Hätte sie damit nicht warten können, bis ich mich sicheren Schritts zur Kontrollzentrale des Schiffs begeben hätte? Aber vielleicht habe ich beim Einräumen auch ein wenig getrödelt und die Zeit vergessen. Also los!

Ich drehe mich zur Tür herum und will mich auf den Weg machen. Aber dann verlieren meine Füße den Halt, und die Drehbewegung setzt sich ungebremst fort. Das Zimmer rotiert wild vor meinen Augen, bis ich schmerzhaft mit dem Kopf und im nächsten Moment mit einem Knie gegen die Decke knalle und eine Strebe zu fassen bekomme, an der ich mich abfangen kann.

Ich hasse alles, was mit dem Weltraum zu tun hat! Kein Oben und Unten, in einen Blechkasten eingezwängt und ständig neue tödliche Gefahren. Ich will nach Hause!

Als ich meine Gliedmaßen sortiert und die Orientierung wiedergefunden habe, stoße ich mich vorsichtig ab und drifte tatsächlich ungefähr auf die Tür zu. Ich schaffe es sogar, im Flug mit einer Hand den Türöffner zu treffen und mich durch die entstehende Öffnung treiben zu lassen.

»Schwer-los!«, höre ich aus dem Korridor, gefolgt von einem begeisterten Lachen. Dann sehe ich, wie ein splitternackter braunhäutiger Kerl auf mich zu saust. Er rammt meine Schulter mit dem Glatzkopf und schlingt instinktiv die Arme und Beine um mich. Dadurch werden wir beide vom Kurs abgebracht, und ich pralle zum zweiten Mal mit dem Schädel gegen die Decke – oder den Boden oder eine Wand. Solche Unterscheidungen sind in diesem Moment für mich bedeutungslos geworden.

»Oh, Schuldigung«, stammelt Rover. »Dich nicht gesehen. Alles gut?«

»Ja, ich werd’s überleben«, brumme ich, während ich die zwei schmerzenden Stellen am Kopf betaste, die bereits leicht angeschwollen sind. Rover anzubrüllen oder länger als ein paar Sekunden sauer auf ihn zu sein, kommt einfach nicht infrage. Ich bin nur froh, dass es der arme Kerl geschafft hat, nach so langer Zeit wieder ins Leben und in menschliche Gesellschaft zurückzufinden. Eine komplizierte Geschichte, die ich jetzt nicht noch einmal aufwärmen möchte.

Jedenfalls betrachte ich es als gutes Zeichen, dass er sofort bereit war, nach seinen traumatischen Erlebnissen wieder dieses Raumschiff zu besteigen und mit uns zur Erde zu fliegen, um seine alte afrikanische Heimat besuchen zu können.

»Cockpit?«, sagt er und sieht mich erwartungsvoll an.

»Ja, wir sollten uns vielleicht beeilen.«

»Gut! Weiter!«, ruft er und stößt sich von der Wand oder der Decke ab.

Da ich mich im selben Moment herumwälze und ihm im Weg bin, klatscht sein mächtiger Schwanz gegen meine Wange und streift meine entsetzt aufgerissenen Lippen.

Mir bleibt auch nichts erspart!

Ich schnaufe nur und verzichte auf irgendeinen Kommentar. Ich muss mich wohl damit abfinden, dass es unter Arkadiern nie langweilig wird.

Sicherheitshalber warte ich einen Moment, bis auch ich mich abstoße und im freien Fall Rovers blankem Hintern durch den Korridor folge.

»Okay, dann wollen wir mal!«, sagt Greedy.

Ich habe mich neben ihr auf dem Kopilotensitz angeschnallt, während Rover hinter uns in der Luft hängt. Durch die gewölbte Glasscheibe sehe ich, wie das Hochland von Arkadia langsam unter uns vorbeizieht, dann folgt eine weite grüne Tiefebene, und am Horizont kann ich bereits das Blau eines der beiden Polarmeere erkennen. Anscheinend hat die Darling aus irgendeinem Grund eine Umlaufbahn eingeschlagen, die nicht parallel zum Äquator verläuft. Aber ich hüte mich, nach dem Grund zu fragen, weil ich die Erklärung ohnehin nur zur Hälfte verstehen würde. Außerdem geht es gleich los!

Gebannt verfolge ich, wie Greedy ein paar Schaltungen vornimmt. Darling – nicht nur der Name des Schiffs, sondern auch des Bordcomputers mit der eigenwilligen Persönlichkeit – hätte das Ganze vermutlich vollautomatisch durchziehen können, aber ich denke, Greedy, die frischgebackene Eignerin, Pilotin und Kommandantin dieses Raumschiffs, wollte es sich nicht nehmen lassen, den Kahn per Hand zu steuern.

Dann blickt sie sich kurz zu uns um und drückt mit ausholender Geste auf einen Knopf. »So. Wir sind unterwegs.«

»Unter…wegs«, wiederholt Rover.

»Hurra!«, rufe ich.

Ein schwaches Zittern und ein tiefes Brummen geht durch das Schiff, als es vom Plasmatriebwerk beschleunigt wird. Wir merken praktisch nichts davon, weil der Tetra-Reaktor ein Nullfeld erzeugt, das alles neutralisiert, was mit Gravitation oder Beschleunigung zu tun hat, wie Greedy mir vor einer Weile erklärt hat. Deswegen herrscht auch schon in dieser Phase des Fluges Schwerelosigkeit. Dass wir uns bewegen, erkenne ich nur daran, dass die Planetenoberfläche langsam unter uns wegfällt, als wir den Orbit verlassen.

Wir sind tatsächlich auf dem Weg! Ich kann es kaum fassen!

Meine bisherigen Versuche, endlich von diesem verrückten Planeten wegzukommen, wurden immer wieder vereitelt, beim letzten Mal sogar buchstäblich in letzter Minute. Ständig kam es zu neuen Notfällen, durch die sich meine Abreise verzögerte. Aber diesmal kann nichts mehr schiefgehen. Ich sitze angeschnallt in der Darling, die den Flug zur Erde angetreten hat.

Nach meinen drei unverhofften Abenteuern muss es jetzt auch mal glattlaufen, finde ich.

Ein Bildschirm leuchtet auf und meldet einen eingehenden Anruf.

»Was ist das?«, frage ich misstrauisch.

»Vielleicht hat jemand vergessen, sich von uns zu verabschieden.«

»Ich dachte, das hätten wir in den letzten paar Tagen erfolgreich hinter uns gebracht«, sage ich.

»Wer weiß …?«, murmelt Greedy und nimmt den Anruf entgegen.

»Sofort Fahrt stoppen und zurück in den Orbit!«, sagt Bill ohne weitere Umschweife, sobald sein Gesicht auf dem Monitor sichtbar geworden ist.

»Wie bitte?«, stößt Greedy entgeistert hervor. »Was ist los?«

»Tu es einfach, dann reden wir weiter.«

»Darling, kannst du das übernehmen?«

»Aber natürlich, Captain!«, antwortet die körperlose, angenehm modulierte weibliche Stimme des Biocomputers.

Die Arbeitsgeräusche des Raumschiffs ändern sich ein wenig, aber sonst bemerke ich kaum eine Veränderung. Ach ja, jetzt sehe ich, wie sich der Planet von unten wieder in mein Blickfeld schiebt.

»Kurs geändert, jetzt verzögern wir, bis wir stabile Orbitalgeschwindigkeit erreicht haben«, meldet Greedy.

»Gut«, sagt Bill. »Tut mir leid, aber es ist ein Notfall eingetreten.«

»Ich glaube es einfach nicht!«, platzt es aus mir heraus. »Gibt es für mich kein Entkommen aus dem Paradies? Ist das Ganze eine geheime Verschwörung, die um jeden Preis verhindern will, dass ich Arkadia verlasse? Was ist es diesmal? Wieder eine Weltraumpest, oder hat man sich ausnahmsweise etwas ganz Neues und noch Perfideres ausgedacht?«

»Beruhige dich, Adrian«, sagt Bill. »Euch oder uns droht keine unmittelbare Gefahr.«

»Weshalb soll ich mich dann beruhigen?«, schimpfe ich weiter. »Ich will endlich nach Hause, verdammt noch mal!«

»Euer Abflug wird sich lediglich ein wenig verzögern«, erklärt Bill gelassen. »Sobald ihr einen weiteren Passagier aufgenommen habt, kann es sofort weitergehen.«

Na gut, mit einer Verspätung von vielleicht ein paar Stunden kann ich leben. Trotzdem habe ich ein ungutes Gefühl in der Magengegend, und ich bin mir ganz sicher, dass es nichts mit der ungewohnten Schwerelosigkeit zu tun hat.

Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, worauf es tatsächlich hinauslaufen würde, hätte ich … Ach, lassen wir das.

Eine gute Stunde später stehen Greedy, Rover und ich im Korridor vor der Luftschleuse, während die Raumfähre ankoppelt, die gleich nach Bills Anruf vom kleinen Raumhafen Arkadias gestartet ist. Ja, wir stehen tatsächlich mit den Füßen am Boden, weil Greedy vorübergehend die Bordschwerkraft wieder hochgefahren hat.

Wer mag wohl hinter der Luke zum Vorschein kommen?, überlege ich. Jemand, der ähnlich wie ich vom Lotterleben der Nudisten die Nase gestrichen voll hat? Wohl kaum, da es ja um irgendeinen ominösen Notfall geht. Bill wollte jedenfalls keine weiteren Einzelheiten verraten, auch nicht, wer uns hier oben besuchen kommt. Das alles wird uns der zusätzliche Passagier offenbaren.

Es zischt ein wenig, als sich die Schleusentür entriegelt und sich der Luftdruck zwischen Raumfähre und Raumschiff bis auf die letzte Kommastelle ausgleicht. Dann schieben sich die Hälften der Luke zur Seite.

»Schön, euch wiederzusehen!«, sagt die kleine nackte Frau von unverkennbar asiatischer Abstammung, die in der Kammer gewartet hat.

»Ach du liebes Bisschen!«, rutscht mir heraus, bevor ich es verhindern kann.

»Ja, ich hab’s einfach nicht mehr ohne deine liebevollen Sprüche ausgehalten«, sagt sie grinsend zu mir und steigt durch die Schleusenluke. Sie kommt auf mich zu und umarmt Greedy, Rover und dann mich in einer herzhaften Begrüßung.

Zum Glück bin ich unter lauten glatzköpfigen Nackten mal wieder der Einzige, der sich anständig bekleidet hat. So bekommt niemand mit, dass sich da etwas unter dem Stoff meiner Hose spannt. Niemand außer Doktor Ang, die sich mit dem Unterleib noch fester gegen die Ausbuchtung drückt und es nur umso schlimmer macht. Ich kann es mir bis heute nicht erklären, aber so reagiere ich jedes Mal, wenn diese Frau mir zu nahe kommt. Sie hat irgendetwas an sich, das meine Sexualhormone in Sekundenschnelle hochkochen lässt. Und ich kann einfach nichts dagegen tun!

»Auch du scheinst mich vermisst zu haben, wie ich spüre«, sagt sie lachend und tätschelt meine Erektion. Dann löst sie sich von mir, um zwei große Reisetaschen entgegenzunehmen, die Bill ihr durch die Schleusenluke reicht.

»Hallo«, begrüßt uns der Pilot der Fähre, der eigentlich der Chef der arkadischen Raumhafenkontrolle ist. »Freut mich, dass es gerade noch so geklappt hat.«

»Willkommen an Bord«, sagt Greedy. »Wie geht es jetzt weiter?«

»Zunächst einmal muss Adrian sich entscheiden, ob er an Bord bleiben oder lieber nach Arkadia zurückkehren will«, erklärt Bill und sieht mich an.

Ich schüttele verwirrt den Kopf. »Warum sollte ich das wollen? Das Einzige, was ich will, ist nach Hause!«

Ang nickt. »Genau damit gibt es ein kleines Problem.«

»Was willst du damit sagen?«

»Wir werden nicht zur Erde fliegen, sondern nach New Terra.«

»Was???«, keuche ich. »Was soll ich auf New Terra?«

»Gute Frage«, erwidert Ang. »Denn eigentlich brauchen wir dich da gar nicht. Vielleicht wäre es dir lieber, hier auf das nächste Linienraumschiff zu warten. Aber du könntest auch mitfliegen und später, nachdem wir das Problem gelöst haben, zusammen mit Greedy die Erde ansteuern.«

»Verdammt! Hätte ich bloß nicht das Linienschiff sausen lassen, das vor drei Tagen hier war! Ich hätte schon seit drei Tagen auf dem Heimweg sein können! Was ist los? Warum hat sich das gesamte Universum gegen mich verschworen?«

»Ich kann nachempfinden, wie du dich in diesem Moment fühlst«, sagt Ang. »Aber du solltest dir allmählich überlegen, ob du deinen Tobsuchtsanfall in der Darling oder in der Raumfähre und danach vielleicht noch auf Arkadia fortsetzen möchtest.«

Ich atme aus und blicke in die Runde.

Greedy hat meine Tirade mit amüsierter Miene verfolgt, Rover mit irritiertem Gesichtsausdruck. Für seinen zurückgebliebenen Intellekt dürfte diese Unterhaltung ein paar Nummern zu hoch sein. Aber er scheint immerhin verstanden zu haben, dass er nicht alles versteht und lieber abwarten sollte, bis jemand versucht, es ihm zu erklären.

Egal – der Punkt ist, dass ich gerade vor einer wichtigen Entscheidung stehe, deren Tragweite auch meinen Intellekt um einige Größenordnungen übersteigt.

Ich lasse es mir noch einmal durch den Kopf gehen, dann seufze ich. »Wahrscheinlich werde ich mich dafür wieder in den Arsch beißen, aber ich komme mit«, sage ich schließlich.

Ich gebe zu, dass mich natürlich auch die Aussicht auf ein neues Abenteuer reizt, statt meine Zeit noch einmal für mehrere Wochen auf Arkadia zu vertrödeln. Allerdings wäre es etwas angenehmer, wenn Abenteuer nicht immer so gefährlich wären.

Klingt das etwa widersprüchlich? Hach, bin ich so leicht zu durchschauen? Tja, wir alle wünschen uns, dass es klar, einfach und geordnet im Universum zugeht, aber das ist dem Universum ziemlich egal. Obwohl es mir wesentlich plausibler erscheint, dass es ihm einen Heidenspaß macht, uns immer wieder zu überraschen, zu irritieren und reinzulegen.

Wäre ja langweilig, wenn alles jederzeit nach Plan ablaufen würde.

Wie auch immer.

Wenig später ist Bill mit der Fähre nach Arkadia zurückgekehrt. Die Darling ist nach einer halben Umkreisung des Planeten und einer kleinen Kursänderung auf der neuen Startposition und gibt Gas. Das wird sie die nächsten paar Stunden tun, bis sie genug Tempo draufhat, um in den Stringflug zu gehen.

»Was wird dein Chef sagen, wenn er von deinem ungeplanten Abstecher nach New Terra erfährt?«, fragt Greedy, als wir die Kontrollzentrale verlassen und uns auf den Weg zur Kantine machen.

»Ach, das ist mir inzwischen schnurzegal. Wenn du mit von der Partie bist, kann ich zweifellos eine neue aufregende Reportage schreiben. Und falls Bob wieder rumzickt, kündige ich einfach bei Trash Universe und veröffentliche den Bericht auf Arkadia News.«

»Adrian Ginjeet, unser rasender Weltraumreporter!«, witzelt Greedy.

»An der Seite einer sexgierigen Weltraumpiratin. Klingt ziemlich verrückt, aber spannend.«

»Trotzdem hoffe ich, dass es nicht zu spannend wird.«

»Wer weiß?«, brumme ich. »Allmählich kommt es mir vor, als wäre ich in eine Abenteuerserie geraten, die sich irgendein durchgeknallter Autor ausgedacht hat.«

»So jemand wie du, meinst du?«

»Nein, dazu ist meine Fantasie nicht abartig genug.«

Wir haben die offene Tür zur Kantine erreicht und steuern den Tisch an, den Ang und Rover mit einer kleinen Mahlzeit gedeckt haben.

»Willkommen im Restaurant Shizhong«, sagt Ang zu uns. »Leider mussten wir bei der Auswahl der Gerichte auf die physikalischen Umstände Rücksicht nehmen.«

»Richtig, es ist das erste Mal, dass ich in Schwerelosigkeit speise«, erwidere ich. Erwähnte ich bereits, dass ich über Grundkenntnisse der chinesischen Sprache verfüge?

»Nehmt Platz, so gut es geht«, fordert uns die arkadische Chefärztin auf, die vor Jahren von Mac-Hong auf den Nudistenplaneten ausgewandert ist und dort zusammen mit ihrer Ehefrau Petra eine Tochter hat.

Ich dirigiere mich zu einem Stuhl, auf dem ich mich mit einem Gurt fixiere. Auf der haftenden Tischplatte vor mir stehen ein paar Plastikverpackungen und Flaschen mit Trinkhalmen oder anderen Saugvorrichtungen.

»Guten … Appetit!«, wünscht uns Rover mit sichtlichem Stolz, dass sein Sprachvermögen deutliche Fortschritte gemacht hat.

Wir wünschen uns gegenseitig dasselbe.

»Jetzt wäre wohl der geeignete Moment, euch über den Anlass meines unverhofften Besuchs aufzuklären«, sagt Ang, während wir vorsichtig mit den Behältern hantieren, damit keine Tröpfchen oder Krümel freigesetzt werden.

»Ich kann es kaum erwarten«, murmele ich. »Wahrscheinlich gibt es einen guten Grund, warum du uns so lange auf glühenden Kohlen sitzen lässt. Weil wir dich ansonsten nie im Leben an Bord gelassen hätten.«

»Worüber beklagst du dich?«, sagt Ang augenzwinkernd. »Zu viert werden wir unterwegs ein bisschen mehr Abwechslung haben.«

Ich ahne Schlimmes! Jetzt sind wir zwei Pärchen an Bord, auch wenn das Ganze nicht unbedingt nach einer festen Konstellation aussieht. Es hat eher etwas von einer kleinen Swingerparty. Ein verklemmter Erdenmensch und drei hemmungslose Arkadier. Das kann ja heiter werden!

»Entspann dich«, sagt Greedy zu mir. »Ich finde ja auch, dass du diesen albernen Anzug ablegen solltest. Wir alle haben dich doch schon freier erlebt.«

»Ich wollte mich schon mal seelisch auf die Rückkehr in die gesittete Zivilisation vorbereiten. Das solltet ihr auch tun.«

»Ich habe natürlich ein paar Kostüme aus dem Theaterfundus mitgenommen«, sagt Greedy. »Aber ich werde mich erst dann hineinzwängen, wenn es unbedingt nötig ist.«

»Ich bin sehr darauf gespannt, vielleicht eine ganz neue Greedy kennenzulernen!«

»Bis dahin könntest du vielleicht Rücksicht darauf nehmen, dass du dich an Bord eines arkadischen Raumschiffs mit überwiegend arkadischer Besatzung aufhältst.«

»Ich werd’s mir überlegen.«

Greedy verzieht den Mund zu einem Grinsen. »Obwohl … als Captain der Darling könnte ich dir sogar befehlen, dass du dich an die allgemeine Kleiderordnung zu halten hast.«

»An den No-Dress-Code?«, sage ich lachend. »Was willst du machen, wenn ich mich weigere? Mich in den Bordkerker werfen?«

»Keine schlechte Idee. Aber wir könnten dich auch überwältigen und dir die Klamotten vom Leib reißen und sie einschließen, bis wir unser Ziel erreicht haben.«

»Das würde euch bestimmt Spaß machen!«, beklage ich mich.

»Und wie!«

»Für eine angeblich freizügige Gesellschaft seid ihr ganz schön autoritär!«

»Freizügigkeit funktioniert nur, wenn sich alle daran halten. Das ist eine der ersten Regeln, die wir auf Arkadia lernen.«

»Ich hasse euch!«

»Ich finde, du könntest uns jetzt erklären, was das alles zu bedeuten hat«, sagt Greedy mit hörbarer Ungeduld, als wir mit der Mahlzeit fertig sind.

Die Ärztin sieht sie eine Weile schweigend an. »Wir werden gebraucht«, antwortet sie dann. »Nicht nur ich, sondern vor allem du.«

»Was hat das Ganze mit mir zu tun?«, will Greedy wissen.

»Also … auf New Terra kam es vor Kurzem zu verstärkten Ausbrüchen der Terra-Nova-Ataxie, die bislang nur auf diesem Kolonialplaneten aufgetreten ist. Einer Krankheit, mit der du einigermaßen vertraut bist.«

»Weil ich Mel Workman davon heilen konnte …«, sagt Greedy nachdenklich und blickt mit leicht gerunzelter Stirn auf. »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, meine besonderen Fähigkeiten nicht publik zu machen.«

»Keine Sorge, dein kleines Geheimnis bleibt gewahrt«, beruhigt Ang sie. »Es war Mel höchstpersönlich, der bei uns angefragt hat, ob du den Terranovanern bei dieser Sache helfen könntest. Offiziell werde ich das Ganze durchziehen, während du als meine Graue Eminenz im Hintergrund bleibst. Ich hoffe, dass du viel schneller ein Heilmittel oder was auch immer findest, als es mir mit meinen medizinischen Diagnose- und Therapiemethoden möglich wäre.«

Mel Workman tauchte vor knapp zwei Wochen unangekündigt im Aura-System auf, um den beschädigten Heckring des Stringtriebwerks der Darling gegen einen funktionierenden auszutauschen, der irgendwo in seinem Raumschiffsmuseum herumlag. Dafür erwartete der Milliardär im Ruhestand lediglich ein Techtelmechtel mit der Schiffseignerin, die daraufhin nicht nur seine Lebensfreude, sondern auch seine körperliche Gesundheit wiederherstellte. Diesen Punkt hatte ich in der offiziellen Fassung meiner Reportage unerwähnt gelassen, und wie es aussieht, muss ich mir auch bei dieser neuen Geschichte genau überlegen, was ich ausplaudern darf und was nicht.

»Ich würde es zumindest versuchen«, sagt Greedy. »Ich konnte seinen Metabolismus zwar wieder in Ordnung bringen, aber ich habe keinen Hinweis auf die mögliche Ursache dieser Muskelschwäche gesehen.«

»Genauso wenig wie die Ärzte auf New Terra, die weiterhin im Dunkeln tappen. Die bisherigen Fälle traten nur sehr selten und vereinzelt auf, doch nun sind plötzlich in kurzer Zeit auch Personen schwer erkrankt, die sich nahestehen, was auf eine direkte Übertragung hinweisen könnte.«

»Wieder ein böses außerirdisches Virus?«, werfe ich ein. »Zum dritten Mal? Und Greedy brütet ein weiteres Mal irgendein Gegenvirus aus und gut? Allmählich wird es langweilig.«

Greedy schüttelt langsam den Kopf. »Viren oder irgendwelche Mikroben hätte ich sicherlich bemerkt. Aber wenn es jetzt ansteckend geworden ist, wäre das schon seltsam.«

»Das ist eher ein Anzeichen für die genetische Mutation eines Krankheitserregers«, gibt Ang zu bedenken. »Es passiert immer wieder, dass zufällig eine Variante auftaucht, die besser an den Wirt angepasst ist.«

»Vielleicht schlägt dieses Virus nur kurz zu, aber der Schaden ist angerichtet, und das Unheil nimmt seinen Lauf«, mutmaße ich.

»Bei den neuen Fällen entwickelt sich die Ataxie nicht über Jahre, sondern innerhalb weniger Tage«, erklärt Ang. »Deshalb bezeichnet man diese Variante auch als Metataxie. Die Ärzte konnten einige Patienten im Frühstadium untersuchen und haben auch bei ihnen nichts gefunden, was auf die Ursache hindeuten könnte.«

»Aber man weiß doch gar nicht, wie viel Zeit von der mutmaßlichen Infektion bis zu den ersten Krankheitsanzeichen vergeht«, gebe ich zu bedenken.

»Das könnte natürlich sein«, sagt Ang nachdenklich. »Zuerst beklagst du dich, und jetzt verteidigst du deine Virenhypothese mit guten Argumenten.«

»Das heißt ja nicht, dass ich mir wünsche, recht zu behalten.«

»Wir können natürlich Ideen sammeln, aber letztlich müssen wir abwarten, bis wir New Terra erreicht haben.«

»In neun Tagen und sechzehn Stunden«, erklärt Greedy nach einem Blick auf ihren Armbandcom.

»Immer noch so lange? Ich hoffe, ich gehe bis dahin nicht an Langeweile zugrunde.«

»Ich wüsste da ein paar Sachen, womit wir uns die Zeit vertreiben können«, sagt Ang und sieht mich mit einem anzüglichen Lächeln an.

»Ich auch«, fügt Greedy hinzu.

»Andererseits«, bemerke ich, bevor das Gespräch noch weiter in eine verfängliche Richtung abdriften kann, »ist das ziemlich schnell, wenn ich bedenke, dass mein Flug von der Erde nach Arkadia mehrere Wochen gedauert hat.«

»Diese Linienraumschiffe sind zwar wesentlich komfortabler ausgestattet als die Darling, aber deswegen auch deutlich langsamer. Außerdem müssen wir nur zwanzig Lichtjahre bis nach New Terra zurücklegen, und wir holen wirklich alles aus dem Schiff heraus, was geht.«

»Gut«, sage ich und öffne meinen Sitzgurt. »Ich gehe jetzt in meine Kabine und notiere mir ein paar Daten für meine Reportage.«

»Verdreh nicht wieder zu viele Tatsachen«, ermahnt mich Greedy.

»Natürlich nicht! Du kennst mich doch!«

»Eben.«