Ostseesühne - Eva Almstädt - E-Book
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Eva Almstädt

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Beschreibung

Nichts ist tiefer als menschliche Abgründe - ein neuer Fall für Pia Korittki

Im Feuerlöschteich auf einem Bauernhof entdeckt ein Postbote eine halb verweste männliche Leiche. Von den Bewohnern des Hofes, einem Ehepaar und seinem 16-jährigen als zurückgeblieben geltenden Sohn, fehlt jede Spur. Pia Korittki übernimmt die Ermittlungen - und findet heraus, dass vor Jahren ein merkwürdiges Gerücht im Dorf kursierte, dem jedoch nie jemand nachgegangen ist: Auf dem Hof soll damals ein Mädchen gefangen gehalten worden sein ...

Der neunte Band der erfolgreichen Krimi-Reihe von Bestsellerautorin Eva Almstädt!

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Seitenzahl: 461

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Eva Almstädt

OSTSEE-SÜHNE

Kriminalroman

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige E-Book-Ausgabe

des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

Originalausgabe

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Titelillustration: © plainpicture/Anna Matzen

Umschlaggestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de

Datenkonvertierung E-Book: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-8387-5355-3

Sie finden uns im Internet unter

www.luebbe.de

Bitte beachten Sie auch: www.lesejury.de

Prolog

Das Laub unter der dünnen Schneedecke knisterte. Im Dämmerlicht näherte sich Ulf Nielsen der Bodenerhebung im Wald. Andere würden es für einen gewöhnlichen Hügel halten, doch ihm verursachte allein die typische Form Herzklopfen. Das Wissen darüber, was es damit auf sich hatte. Er leuchtete mit seiner Taschenlampe auf das Zifferblatt seiner Uhr. Noch ein paar Minuten bis Sonnenaufgang.

Die meisten seiner Mitmenschen lagen an einem Sonntagmorgen um diese Uhrzeit im warmen Bett. Er hatte Besseres zu tun. Ulf Nielsen lehnte sich gegen einen Baumstamm und nahm seine Spiegelreflexkamera zur Hand. Er wartete auf den magischen Moment, wenn die ersten Sonnenstrahlen auf die Reste der mittelalterlichen Turmhügelburg fallen und sie in seiner Fantasie zum Leben erwecken würden. Die Burg, oder auch Motte, war von einem breiten, immer noch sumpfigen Graben umgeben. So hatte man im 12. Jahrhundert von der natürlichen Schutzlage in den feuchten Niederungen profitiert. Als Lehrer für Erdkunde und Geschichte, und vor allem als Sachbuchautor, hatte er diesen Ort eingehend studiert.

Gleich würde die Sonne über der nahen Ostsee aufgehen. Der Himmel hinter den Baumstämmen schimmerte schon lilagrau. Nielsens Herz schlug schneller. In seiner Vorstellung ergänzte er den Hügel durch einen Holzturm und eine Befestigungsanlage rundherum. Es waren mit Erde verfüllte Holzbarrikaden gewesen. Nur in Linau bei Trittau war ihm die Raubritterburg »Linowe« mit Resten eines Steinturms bekannt. Zu der Motte vor ihm, die »Ravensvelde« genannt wurde, hatte eine mit Wall und Graben geschützte Vorburg gehört, doch davon war selbst unter günstigen Lichtverhältnissen nichts mehr zu erkennen. Er stellte sich die Wachen vor, die über die Brüstung schauten und ins Wasser spuckten. In der Ferne klopfte ein Specht. Als die ersten Sonnenstrahlen über den Hügel fielen, nahm Ulf Nielsen die Kamera hoch und fotografierte mit verschiedenen Einstellungen.

Hinter ihm knackte etwas. Er ließ den Fotoapparat sinken und sah über seine Schulter. Allein im Wald fühlt sich ein Mensch nie ganz sicher, dachte er. Bei aller Vernunft behielten Urängste die Oberhand. Doch da war niemand. Es war nur ein Zweig gewesen, der durch den Frost gebrochen war. Er würde um diese Uhrzeit ja kaum Spaziergängern oder gar dem Bauern begegnen.

Ulf Nielsen kannte den Mann, auf dessen Grund und Boden er sich befand: Armin Fuhrmann, ein grober Klotz, den eine ehemalige Ritterburg auf seinem Land nicht die Bohne interessierte. Der es lästig fand, dass er an der Motte nichts verändern durfte. Der auch einen Eiskeller aus dem 17. Jahrhundert, der etwa zweihundert Meter von hier entfernt lag, für ein paar Steine, die er verkaufen konnte, abtragen würde.

Ulf Nielsen erinnerte sich, wie er Armin Fuhrmann und seine Frau vor ein paar Jahren davon überzeugen musste, ihren Sohn von der Hauptschule auf die Förderschule zu schicken. Jeder Mensch hatte ein Anrecht auf eine ihm angemessene und fördernde Bildung, selbst einer, der vor dreißig Jahren noch als Dorftrottel durchgefüttert worden wäre. Dieses Wort hatte er natürlich gegenüber den Eltern nicht in den Mund genommen. Trotzdem war Nielsen von Armin Fuhrmann beschimpft und schließlich auch körperlich bedroht worden. Die Mutter des Jungen hatte ihn nur entsetzt und ängstlich angestarrt. Es hatte zwar eine Weile gedauert, aber Nielsen hatte nicht locker gelassen und seinen Plan mithilfe der Schulleitung und des Jugendamtes schließlich durchgesetzt. Thilo Fuhrmann, so hieß der Junge, musste jetzt auch schon mit der Schule fertig sein. Was er wohl trieb? Nielsen erinnerte sich noch gut an ihn. Ein Kind mit einem auffallend hübschen Gesicht und unheimlichen grünen Augen. Dieser leere Blick, mit dem ihn Thilo während des Unterrichts verfolgt hatte … Er fröstelte. Es knackte wieder, scharf und hell, wie ein Schuss in weiter Ferne. Nielsen widerstand dem Drang, sich nochmals umzusehen. Nein, weder ein Raubritter noch der hünenhafte, grobschlächtige Armin Fuhrmann oder sein Sohn würden gleich hinter dem Hügel auftauchen. Er war allein im Wald. Dann fiel ihm ein, dass auch Jäger diese frühe Stunde bevorzugten. Auf der Fahrt mit dem Rad hierher hatte er auf einer Wiese Damwild im dichten Bodennebel äsen sehen. Ein weißes Tier hatte aus der Masse herausgestochen. Der Anblick des seltenen Wildtieres im Zwielicht war unheimlich gewesen. Ein Jäger, den Nielsen kannte, hatte ihm mal erzählt, dass er in vierzig Jahren kein einziges Mal auf weißes Rot- oder Damwild angelegt habe. Das bringe Unglück.

Die Freude an seinen mittelalterlichen Fantasien wollte sich heute nicht so recht einstellen. Es war zu kalt. Seine Gedanken an den schwierigen Jungen, und damit an seinen eigentlichen Beruf, hatten Nielsen zu sehr abgelenkt. Er hängte sich die Kamera über die Schulter und hauchte sich in die Hände. Dann machte er sich zu der Weide auf, an der er sein Fahrrad abgestellt hatte. Zurück in Bad Schwartau wollte er sich ein Frühstück beim Bäcker gönnen. Eine seiner Schülerinnen aus dem Erdkunde-Profil jobbte an den Wochenenden dort. Ulf Nielsen nahm sich vor, mit ihr zu plaudern. Sie war schüchtern, nicht sehr hübsch und hatte anscheinend nicht viele Freunde. In den Pausen sah er sie oft allein herumsitzen und lesen. Sie würde in einem Jahr mit der Schule fertig sein …

Er ging schneller. Der Boden war unangenehm weich, Brombeerranken zogen an seinen Hosenbeinen, und er trat in ein mit Wasser gefülltes Loch. Die eisige Brühe drang von oben in seinen linken Wanderschuh. Vor sich sah er nun die Kuppe eines lang gezogenen Hügels, an dessen Nordseite sich die Öffnung des Eiskellers befand. Hinter dem Eiskeller führte der Feldweg bis zum Röperhof, wo die Fuhrmanns lebten. Die großflächigen Dächer von Wohnhaus und Scheune lagen noch hinter dem nächsten Hügelkamm, aber in der Ferne blinkten ein paar Windräder im ersten Morgenlicht. Sie zerstörten Ulf Nielsens geschichtliche Visionen endgültig. Und noch etwas störte ihn: Hinter dem Eiskeller stand nun ein Auto.

Der Bauer? Oder ein Jäger? Hatten sie ihn auf dem Rad vorbeifahren sehen und waren dem vermeintlichen Störenfried gefolgt? Oder hatte jemand etwas im Eiskeller zu tun? Egal, er musste daran vorbeigehen, wenn er zu seinem Fahrrad wollte. Nielsen sah, dass der Boden vor dem Eiskeller aufgewühlt war. Fuß- und auch Schleifspuren in der puderzuckerartigen Schneedecke. Die Spuren konnten nicht vom gestrigen Abend stammen, weil es erst ein paar Stunden vor Sonnenaufgang zu schneien begonnen hatte. Die grob zusammengezimmerte Holztür, die den Eiskeller versperrte, war wie immer geschlossen. Nielsen konnte sich nicht vorstellen, dass jemand in den höhlenartigen Raum ging und die Tür hinter sich zuzog. Also war wohl niemand darin. Aber warum parkte dann das Auto hier? Unschlüssig stand er am Waldrand, bis er merkte, dass er zitterte und kaum noch Gefühl in seinem nassen Fuß hatte. Also weiter.

Im Vorbeigehen sah er, dass an der rostigen Metallöse an der Tür des Eiskellers eine neue Kette und ein neues Vorhängeschloss hingen. Wieder knackte es im Unterholz. Von diesem Moment an hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Doch im Zwielicht des Waldes war niemand zu sehen. Wurde er etwa auf seine alten Tage nervös?

Er würde noch einen Blick auf das Auto am Feldrand werfen, nur der Ordnung halber, und dann zurück nach Bad Schwartau fahren. Als er den Feldweg beinahe erreicht hatte, hörte er ein Trampeln und Rascheln, als bräche ein Wildschwein durch das Unterholz. Er wollte sich umdrehen, doch da spürte er schon einen heftigen Schlag zwischen den Schulterblättern und fiel nach vorn. Er landete in einer Pfütze. So groß ist kein Wildschwein, dachte er noch. Etwas drückte ihn hinunter, in das schwarze Wasser. Er hörte ein Keuchen und versuchte, sich hochzustemmen, doch der Gegendruck war zu stark. Da war eine Hand an seinem Hinterkopf, die in sein Haar verkrallt war und sein Gesicht in das eisige, faulig schmeckende Wasser tauchte. Er versuchte sich aufzurichten, seine Hände griffen in den glitschigen Untergrund. Kurz flackerten Bilder vor ihm auf, Bilder von Raubrittern und blutigen Schlachten, von überfallenen und ermordeten Kaufleuten … Da ließ der Druck auf seinen Kopf nach, und Nielsen fuhr, nach Luft schnappend, hoch. Das musste ein Irrtum sein, ein irrwitziger Streich! Er würde nicht in einer Pfütze ertrinken. Gleich würde jemand lachen und ihm hochhelfen, ihm auf die Schulter klopfen. Er würde weiterleben! Doch ein glühender Schmerz am Hinterkopf setzte diesem Gedanken ein Ende: Der Wald, der pulvrige Schnee auf zerwühltem Laub und das schwarze Wasser versanken in Dunkelheit.

1. Kapitel

Pia Korittki stand in ihrer Küche und filetierte eine Apfelsine. Der Fruchtsaft rann ihr über die Finger, und als das Messer aus Versehen in das weiche Fleisch schnitt, spritzte Fruchtsaft auf ihren nackten Bauch.

Sie unterdrückte einen leisen Fluch, denn sie wurde beobachtet. Neben ihr in seinem Kinderstuhl saß ihr Sohn Felix und aß ein Käsebrot. Er blickte sie aufmerksam aus großen, dicht bewimperten Augen an. Pia war nur mit Unterhose und einem schwarzen BH bekleidet. Das Top und der Hosenanzug, den sie zur Gerichtsverhandlung tragen wollte, hingen noch sauber und gebügelt am Schrank. Mit seinen zwei Jahren fand ihr Sohn es noch nicht komisch, wenn sie so herumlief. Wann sie wohl mal wieder ein erwachsener Mann so zu sehen bekommen würde? Ihre letzte Nacht mit Lars lag schon wieder ein paar Wochen zurück. Ein schöner Abend, wunderbarer Sex, und als sie ihn am Morgen darauf gebeten hatte zu gehen, bevor Felix wach wurde, hatte er mit Unverständnis reagiert. Er beschwerte sich, dass sie kaum Zeit für ihn habe. Sie hatte versucht, ihm begreiflich zu machen, dass sie wegen Felix eben vorsichtig sein müsse. Tja, und dann hatte sie noch gesagt, dass es ihr auf die Nerven gehe, wie er immer über ihren Beruf lästere. Er hatte gekontert, dass sie seine Hobbys ja auch nicht gerade gutheiße, woraufhin sie gesagt hatte, dass er schon wegen dieser bescheuerten Hobbys zeitlich mindestens genauso eingeschränkt sei wie sie, von seiner Agentur ganz zu schweigen … Hatte sie wirklich »bescheuert« gesagt? Er war jedenfalls ziemlich wütend geworden und, wenn sie sich recht erinnerte, wutschnaubend gegangen. Seitdem herrschte Funkstille.

Pia seufzte bei der Erinnerung an den Streit und legte die Orangenscheiben zu den anderen Obststückchen in die Frühstücksdose. Sie verschloss sie mit einem kräftigen Druck ihres Handballens und legte sie in Felix’ Rucksack. Obst und Vitamine, gute Mutter!, dachte sie spöttisch. Die Verhandlung vor Gericht heute würde weniger einfach werden.

Pia arbeitete als Kriminaloberkommissarin im Kommissariat 1 der Bezirkskriminalinspektion Lübeck. Heute sollte sie als Zeugin in einem Mordprozess aussagen. Sie war im Sommer an den Ermittlungen in einem Fall auf Fehmarn beteiligt gewesen, der großes Medieninteresse hervorgerufen hatte. Sie hoffte, dass die Presse ihre Aufmerksamkeit inzwischen anderen Ereignissen widmete. Der Täter war überführt und gefasst worden, eine Entführung, die mit der Tat in Zusammenhang stand, glimpflich ausgegangen. Doch Pia hatte damals eine unangenehme Begegnung mit dem Täter in ihrer Küche gehabt. Nicht daran denken! Die Befriedigung darüber, dass er sich heute vor Gericht für seine Taten verantworten musste, dass Jesko Ebel wahrscheinlich verurteilt werden würde, stellte sich nicht ein. Die Täter wurden früher oder später aus der Haft entlassen, spazierten frei herum und erfreuten sich unter Umständen ihres Lebens, während die Opfer für alle Zeiten tot waren oder traumatisiert blieben. Viele fürchteten sich sogar vor einer weiteren Begegnung mit dem Täter.

Pia warf einen Blick auf die Küchenuhr. Sie lag noch gut in der Zeit. Sie wollte Felix um kurz vor halb acht zu seiner Tagesmutter bringen, um dann rechtzeitig um acht im Gericht zu sein. Sie wischte Felix den Mund und die klebrigen Finger mit einem feuchten Waschlappen ab und trug ihn ins Bad, um ihm die Zähne zu putzen.

Felix streichelte ihr Haar. »Milla«, sagte er.

»Mama, nicht Milla«, korrigierte Pia.

»Milla bielen.«

Milla? Pias Mobiltelefon auf der Kommode im Flur vibrierte.

»Korittki.«

»Oh, gut, dass ich dich noch erwische, Pia! Es tut mir leid, aber du kannst Felix heute nicht zu mir bringen. Ich hab über Nacht wahnsinnige Zahnschmerzen bekommen und muss erst mal zum Zahnarzt.«

»Mist!«, entfuhr es Pia. »Ich meine, tut mir leid, dass du krank bist. Ich hab nur gleich einen Gerichtstermin.« Noch während sie sprach, wurde Pia klar, dass es nichts half. Wenn Fiona krank war, war sie krank. Felix begann, auf ihrem Arm zu zappeln, und sie ließ ihn herunter.

»Ja, es kommt immer alles auf einmal«, bestätigte die Tagesmutter. »Du bist leider nicht die Einzige, der das heute gar nicht passt. Hast du nicht einen Babysitter, der einspringen kann?«

»Ich weiß noch nicht, ich werde die beiden gleich mal anrufen. Dir gute Besserung!«

»Danke. Wenigstens konnten sie mich beim Zahnarzt gleich heute Vormittag einschieben. Wir hören uns wieder.«

»Gute Besserung und viel Glück!« Pia unterbrach die Verbindung und starrte auf ihr Telefon, als wüsste das die Lösung des Problems. Glück konnte sie jetzt ebenfalls gut gebrauchen.

Felix, der kein großer Fan des Zähneputzens war, war im Wohnzimmer verschwunden und spielte mit seinen Bausteinen. Pia ging ihr Telefonregister durch und suchte nach einer Alternative. Ihre Eltern waren nicht da. Lars fiel selbstredend aus. Ihre Freundin Susanne Herbold, die gleichzeitig ihre Vermieterin war, arbeitete tagsüber ebenfalls. Zwei ihrer sporadisch einspringenden Babysitter, die sie erreichte, waren auf dem Weg zur Schule oder zur Uni. Und jetzt war es schon Viertel nach sieben. Pia wusste niemanden mehr. Mitnehmen konnte sie Felix auch nicht. Allein die Vorstellung, ihn in die Nähe von Jesko Ebel zu bringen, bereitete ihr Magenschmerzen.

Seit sie ein Kind hatte, war ihr die Trennung von Privat- und Berufsleben wichtiger denn je. Wer also dann? Hinnerk, Felix’ Vater? Sie hatten sich schon vor Felix’ Geburt getrennt, doch seine Vaterrolle nahm Hinnerk sehr ernst. Er hatte inzwischen einen Studienplatz für Medizin in Lübeck bekommen, nachdem er sein Studium in Ungarn begonnen hatte. Verabredet war, dass er Felix an diesem Samstagvormittag abholte und das Wochenende mit ihm verbrachte. Mit von der Partie wäre seine neue Freundin, von der Pia bisher nur wusste, dass sie Mascha hieß. Sollte sie Hinnerk fragen, ob er spontan einspringen konnte, um ihr zu helfen? Letztlich hatte sie keine andere Wahl. Pünktlich zu einer Gerichtsverhandlung zu erscheinen war ihr dann doch wichtiger als ihr Stolz. Sie musste wohl oder übel über ihren Schatten springen. Zwanzig nach sieben! Hinnerk war ihre letzte Option. Pia spürte, wie ihr der Schweiß ausbrach. Wie gut, dass sie noch nicht vollständig angezogen war. Sie wählte Hinnerks Mobilnummer.

Gernot Wiese stand im Wintergarten und beobachtete, wie die Schneeflocken gegen das Glas wehten, schmolzen und dann als Tropfen daran herunterrutschten. Manchmal vereinigten sie sich, meistens überholten sie sich gegenseitig. Eine Parabel auf das menschliche Miteinander. Auch er war gerade heimtückisch überholt worden. Gernot schloss Wetten mit sich selbst darüber ab, welche Tropfen bis unten durchkamen und welche nicht. Wenn der eine hier es bis an den Rahmen schaffte, würde es ein schlimmer Tag werden, unkte er. Wenn nicht, auch. Viel mehr hatte er sowieso nicht zu tun. Nicht einmal draußen herumlaufen konnte man bei diesem scheußlichen Wetter. Durch die nasse Scheibe konnte er in dem trüben Licht gerade noch bis zum Feldrand sehen. Es war kurz vor halb zehn und immer noch nicht richtig hell. Zum Weglaufen. Er musste laut gedacht haben, denn Anneke stand plötzlich hinter ihm und sagte: »Es wird heute nicht mehr heller, Gernot. Kannste vergessen. Arbeitest du heute wieder in deinem Café?« Sie klang aufreizend fröhlich.

Mit dem leeren Kaffeebecher in der Hand drehte er sich zu ihr um. Würdigte sie keiner Antwort. Es hatte neulich schon eine Diskussion darüber gegeben, warum er »vorgab«, im Café zu arbeiten, wo er doch so ein schönes Arbeitszimmer unter dem Dach hatte. Ob er da nur den Frauen hinterhergucken wolle? Er wünschte, Frauen wären sein Problem. Die Frau, mit der er seit acht Jahren verheiratet war, trug ein hellgraues Kostüm mit einer roten Bluse darunter. Sie hatte sich das Haar zu einem Zopf gebunden und sah effizient und erfolgreich aus. Nur die Schuhe passten nicht. Zur Schonung des Echtholzparketts trug sie im Haus nur Gesundheitssandalen. Wenn er besser drauf gewesen wäre, hätte ihn ihr Anblick aufgeheitert. Ihre Pumps würde sie sich erst an der Tür anziehen.

Sie hatten das Haus gemeinsam mit einem Architekten geplant und den Grundriss amerikanisch konzipiert. Durch die Garage gelangte man über einen Vorraum in die Küche. Sehr praktisch. Und natürlich äußerst schick.

Er sah etwas Grellgelbes am Fenster vorbeifahren. Der Postbote brachte immer zuerst den Fuhrmanns auf dem Bauernhof ein Stück die Straße hinunter die Post. Auf dem Rückweg kam er dann zu ihnen, den »Neubürgern«. In Groß Tensin galt man bei den Alteingesessenen auch nach fünfundzwanzig Jahren noch als Neubürger, hatte ihm der Bürgermeister mal jovial erklärt. Nichts für ungut …

Heute war es Gernot nur recht, dass der Postbote zuerst die »Alteingesessenen« bedachte. Er erwartete seit Tagen Post von seiner neuen Bank, die Anneke nicht sehen sollte.

»Das war doch unser Briefträger. Der Benjamin fährt auch bei jedem Wetter mit dem Rad«, sagte sie halb belustigt, halb bewundernd. Seit Anneke über vierzig war und Schokoladenkekse die Tendenz hatten, als Hüftgold an ihr kleben zu bleiben, registrierte sie akribisch die körperliche Fitness ihrer Mitmenschen und kommentierte sie auch. Ihr selbst reichte das Reiten als Sport nicht mehr aus. Sie zeigte zusätzlich ein bedenkliches Interesse an Fitnessübungen.

»Und wie immer in kurzen Hosen. Der Spinner«, ergänzte er, bevor sie seine nicht vorhandene Fitness kommentierte.

»Na, immerhin kann er sich das leisten.«

Sie schaute also neuerdings auf die Waden des Briefträgers. Seine, Gernots, waren ja auch nicht mehr so der Hammer.

Anneke wollte sich gerade von ihm verabschieden, hatte dann aber noch irgendetwas vergessen und lief noch mal nach oben in ihr Büro. Etwas für das nächste Meeting, den nächsten Call, die verdammte Geschäftsreise. Er hatte eine Frau geheiratet, die in einer Klamottenboutique arbeitete, und das hatte ihm gefallen. Er hatte sie damals gegenüber seinen arroganten Freunden sogar lauthals verteidigt. »Anneke ist eben nicht so übertrieben ehrgeizig. Dafür ist sie glücklich und zufrieden.« Und nun war sie Einkäuferin einer expandierenden Textilkette, während er in seinem Job als Werbetexter freigesetzt und mit einem Jahresgehalt abgefunden worden war. Finanziell wurde es langsam eng, aber wenn er erst mal seinen Internethandel mit Weinen aus Ostafrika aufgezogen hatte, dann würde sie schon schauen. Würden sie alle schauen. Hauptsache, seine Frau bekam jetzt ihren entzückenden kleinen Arsch vom Gelände, ohne vorher dem Postboten in die Arme zu laufen. Er hörte oben ihre raschen Schritte. Sie suchte noch etwas und hatte wahrscheinlich schon hektische Flecken am Hals. Gernot hingegen schlenderte in aller Ruhe in die offene Wohnküche und stellte seinen Becher auf der Granitarbeitsplatte ab. Heute würde Nicola zum Putzen kommen. Sollte die den wegräumen.

Ein paar Minuten lang stand er einfach so da. Das Küchenfenster war gekippt, deshalb hörte er, dass draußen Fahrradbremsen quietschten. Der Postbote war schon vom Nachbarhof zurück. Zeitgleich kam Anneke die Treppe herunter.

»Ich kümmere mich um die Post. Mach du dich in Ruhe fertig, Schatz!«, rief er ihr zu. Gernot öffnete die Haustür, um die Briefe entgegenzunehmen. Der Postbote war vom Rad gestiegen und beachtete ihn gar nicht. Er schüttelte gedankenverloren den Kopf, sodass sein nasser Zopf hin und her schwang.

»Moin! Ist irgendwas?« Gernot konnte sich keinen Reim auf das seltsame Verhalten des Mannes machen.

»Sorry. Ich weiß nicht. Keine Ahnung.« Der Postbote wühlte fahrig in seiner Posttasche. Kam, ohne etwas in der Hand zu halten, wieder hoch. Dann runzelte er die Stirn. »Würden Sie mir einen Gefallen tun, Herr Wiese?«

»Worum geht’s?«

»Kommen Sie mit mir zu den Fuhrmanns? Ich muss da noch mal hin. Das war echt merkwürdig eben.«

»Was ist passiert?«

»Ich hab nach Elsa Fuhrmann gesucht, weil sie mir für ein Paket unterzeichnen sollte, aber sie war nicht da. Ich hab mich ein bisschen auf dem Hof und an den Ställen umgesehen und nach ihr gerufen … Ihr Mann wird ja angeblich immer ungemütlich, wenn er extra wegen eines Paketes zur Post fahren muss. Und da hab ich was Komisches gesehen.«

»Was denn gesehen?« Gernot verstand kein Wort.

»Einen Menschen – glaube ich.«

»Ach?«

»Im Feuerlöschteich.«

2. Kapitel

Gernot nahm seinen Wagen, um zum Hof der Fuhrmanns zu gelangen. Der Postbote schwang sich wieder auf sein Fahrrad. Über die Aufregung, dass endlich einmal was passierte, vergaß Gernot sogar, sich von seiner Frau zu verabschieden.

Der Röperhof, auf dem die Fuhrmanns lebten, lag etwas außerhalb des Dorfes an der Landstraße in Richtung Ostsee. Es gab auch einen Fußweg durch die Felder, über den man vom Grundstück der Wieses zu dem Hof gelangen konnte, doch das Verhältnis zu den Nachbarn und entfernten Verwandten war reserviert. Elsa war zwar Gernots Cousine, aber sie standen sich nicht nahe. Das lag unter anderem an Elsas Ehemann, den Gernot nicht leiden konnte. Und der ihn wohl auch nicht. Offiziell mit dem Wagen vorzufahren war ihm deshalb lieber. Und bei dem Schietwetter – es konnte jeden Moment wieder anfangen zu graupeln – sowieso. Das Baugrundstück für ihr Haus hatten er und Anneke vor acht Jahren in einer etwas komplizierten Aktion erworben. Eigentlich war das Grundstück kein Bauland gewesen, doch Armin Fuhrmann hatte das Geld gebraucht und deshalb einfach behauptet, ein Altenteil bauen zu wollen. Das war nämlich als große Ausnahme erlaubt gewesen. Und dann war mithilfe von ein paar Zuwendungen an richtiger Stelle, unter anderem an den Bürgermeister, der gerade angefangene Rohbau in ihren Besitz übergegangen. Ansonsten gab es auf dem Land immer nur Baugrund in ausgewiesenen Neubaugebieten zu kaufen, und das wäre nicht nach Gernots Geschmack gewesen. Da hätte er seinen Nachbarn ja den Salzstreuer von einem Küchenfenster zum nächsten weiterreichen können …

Er bog nach wenigen Metern wieder von der Landstraße ab und rumpelte den Sandweg mit den ausgewaschenen Schlaglöchern hinunter in Richtung Röperhof. Die Löcher waren teilweise notdürftig mit Schutt aufgefüllt, um einen sofortigen Achsbruch bei Pkws zu verhindern. Gernot vermutete, dass Armin Fuhrmann sowieso lieber mit seinen Traktoren unterwegs war. Meistens fuhr Elsa den alten Ford. Er hatte gehört, dass sie ihren Führerschein erst vor sechzehn Jahren gemacht hatte.

Die Bäume lichteten sich und gaben den Blick auf die große schwarze Scheune frei, deren Bretter mit Altöl imprägniert worden waren. Das Scheunentor stand offen, sodass er Armins Fuhrpark sehen konnte: zwei Traktoren, verschiedene Anhänger sowie ein alter Unimog.

Gernot umrundete die Scheune und hielt vor dem Wohn- und Stallgebäude an. Die Ställe standen schon lange leer und wurden nur noch als Abstellraum genutzt. Die Fuhrmanns betrieben hauptsächlich Ackerbau. Außerdem grasten ein paar Pferde auf entfernten Koppeln, die an Reitervolk verpachtet waren. Unter anderem auch an seine Frau. Gernot stieg aus seinem Auto und wartete, dass der Postbote ihm folgte. Er ging schon mal in Richtung Wohnhaus, zögerte dann jedoch. Hinter den blitzblanken Fenstern war alles dunkel. Räder knirschten hinter ihm im Kies. Der Postbote sprang vom Rad und lehnte es gegen die Hauswand.

»Niemand da, oder?«

»Sieht so aus. Ihr Auto ist auch nicht da. Sie sind wohl unterwegs«, sagte Gernot.

»Haben Sie noch mal geklingelt?«

»Ich bin auch gerade erst angekommen.«

Der Postbote versuchte es noch einmal mit Klingeln und Klopfen, aber Gernot sah an seiner ungeduldigen Haltung, dass er nicht erwartete, dass noch jemand öffnete.

»Kommen Sie!«, forderte er ihn auf.

Er ging am Stall entlang und steuerte dann auf ein weiteres Nebengebäude aus rotem Backstein zu, das Armin als Werkstatt nutzte. Die grün gestrichenen Tore, von denen die Farbe abblätterte, waren geschlossen. Daneben lag unter ein paar Kastanienbäumen ein beinahe kreisrunder Teich, der wohl mal als Feuerlöschteich und Viehtränke angelegt worden war. An seinem Ufer wuchsen knochenbleiches Schilf und hüfthohes Gras. Das trockene Schilfrohr raschelte im Wind. Früher hatte es einen Steg gegeben, zwei bemooste Pfosten ragten noch aus dem schwarzen Wasser. Auf den ersten Blick bot der Teich ein trostloses, jedoch friedliches Bild. Der Postbote steuerte auf das Ufer zu, blieb dann aber abrupt stehen. »Riechen Sie das auch?«

»Hier stinkt’s. Armin hat wohl mal wieder Gülle gefahren.«

Der Postbote schüttelte den Kopf. »Glaub ich nicht.« Er deutete in Richtung Teich. »Sehen Sie das da?«

Gernot kniff die Augen zusammen. Er war zu eitel, um ständig eine Brille zu tragen. Am anderen Ufer des Teichs ragte etwas aus dem Wasser, ein unförmiger Körper, halb vom Schilf verborgen. Unsinn, das waren sicher nur ein paar alte Kleidungsstücke, die der Wind aufgebläht hatte.

»Eine ins Wasser gefallene Vogelscheuche?«, vermutete Gernot, erleichtert, dass ihm das noch eingefallen war.

»Wir sollten lieber nachsehen gehen«, sagte der Postbote, rührte sich aber nicht vom Fleck. »Es könnte doch auch ein Mensch sein.«

Gernot straffte die Schultern und marschierte auf die Stelle zu. Er stakste durch das hohe, feuchte Gras wie ein Storch, trat auf eine Kastanie, wäre beinahe umgeknickt. Er ärgerte sich, dass er gute Lederschuhe trug und keine Gummistiefel. Als er dem Ding näher kam, drückte er seinen Ärmel vor die Nase. Mit der anderen Hand bog er das Schilf auseinander und sah hinunter. Im nächsten Moment gab er einen gurgelnden Laut von sich, taumelte zurück und fiel wenig grazil ins nasse Gras. Ein Gesicht, er hatte ein Gesicht gesehen, vielmehr eine Fratze! Er hatte in das aufgedunsene, wie bläulich marmoriert aussehende Gesicht einer Leiche geblickt.

»Was ist? Alles in Ordnung?« Der Postbote stand plötzlich neben ihm und zog ihn hoch.

»Schauen Sie doch selbst!«, sagte Gernot grob und bereute es fast im selben Moment. Er wusste, dass ihn dieser Anblick sein Leben lang und bis in seine Träume verfolgen würde. Und dem jungen Mann, der jetzt auf die Stelle im Schilf zuging, würde es genauso ergehen. »Bleiben Sie doch lieber weg da! Wir können nichts mehr tun«, sagte er reumütig. Doch der Postbote achtete nicht auf ihn, sondern bog die Halme beiseite. Einen Moment stand er wie erstarrt. Kurz darauf hörte Gernot ihn würgen. Ein Geräusch, das er noch nie hatte aushalten können, ohne ebenfalls mit starker Übelkeit darauf zu reagieren.

Als sie beide wieder am Wegrand standen und sich den Mund mit von Gernot gestifteten Papiertaschentüchern abwischten, sagte der Postbote mit blassen Lippen. »Das ist ’ne echte Leiche, oder? Deswegen stinkt es hier so. Wir täuschen uns nicht?«

»Ich bin mir sicher, dass die echt ist.«

»Tut mir ehrlich leid, Mann, dass ich Sie da mit hineingezogen hab.«

Gernot zuckte mit den Schultern. »Was soll’s! Es ist ja nicht Ihre Schuld. Ich ruf dann mal die Polizei.«

Im Sitzungssaal 163 des Lübecker Landgerichts lief der Strafverteidiger des Angeklagten Jesko Ebel gerade zu Hochform auf. »Mein Mandant stand also plötzlich und unerwartet in Ihrer Küche, Frau Korittki?«, fragte er Pia. Er legte eine vernehmliche Portion Unglauben in seine Stimme, gewürzt mit einer Prise Sarkasmus. Der Anwalt war Anfang sechzig und in seinem Geschäft ein alter Hase. Er hatte wässrige Augen, ausgeprägte Tränensäcke und eine rot-blaue Knollennase, die darauf schließen ließ, dass er sowohl seine Erfolge als auch Misserfolge vor Gericht gebührend begoss. Pia kannte die Spielchen während einer Verhandlung, die einzig und allein dem Zweck dienten, die Zeugen zu verunsichern.

»Ja, er stand plötzlich und unerwartet in meiner Küche«, sagte sie laut und deutlich. »Und nein, ich habe Jesko Ebel nicht zu mir nach Hause bestellt. Ich gebe Leuten, die in eine Ermittlung involviert sind, nicht meine Adresse, geschweige denn, dass ich sie zu mir nach Hause einlade.«

»Aber wie ist er dann zu Ihnen hereingekommen?«, fragte der Anwalt mit gespielter Verwunderung.

Pia atmete tief durch. Sie erzählte, wie der Abend bis zu diesem Zeitpunkt verlaufen war. Dass ihr Sohn Felix gerade im Nebenzimmer geschlafen hatte, als sie ein Geräusch in ihrer Wohnung gehört hatte. »Ich ging in die Küche, von wo das Geräusch gekommen war. Jesko Ebel stand hinter der Tür. Die Balkontür war offen. Ich vermute, dass er über den Küchenbalkon hineingekommen ist. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.«

»Sie wohnen«, er tat so, als müsste er in seinen Unterlagen nachsehen, »im zweiten Stock, ist das richtig? Der Balkon befindet sich sieben Meter über dem Erdboden.«

»Der zweite Stock ist korrekt.«

»Ist da eine Leiter oder eine Feuertreppe, die sieben Meter hoch in den zweiten Stock führt?«, fragte der Anwalt, der natürlich wusste, dass dem nicht so war.

»Nein.«

»Und wie soll mein Mandant dann bitte dort hochgekommen sein? Geflogen?« Er sah sich Beifall heischend im Gerichtssaal um.

»Jesko Ebel trug Kletterschuhe, spezielle Handschuhe und Sportkleidung. Ich vermute, dass er an den Verstrebungen der Balkone, die nachträglich an das Haus angebaut worden sind, zu mir hinaufgeklettert ist.«

»Eine hübsche sportliche Leistung. Außergewöhnlich.«

»So außergewöhnlich nun auch wieder nicht.«

»Und warum sollte mein Mandant diese Gefahr und Anstrengung auf sich genommen haben, Frau Kriminaloberkommissarin?« Der Anwalt klang ungläubig.

Pia hätte ihn würgen mögen für seinen Tonfall. Jetzt, da sie die Szene in Gedanken erneut durchlebte, fühlte sie auch wieder die Angst, die sie im vergangenen Sommer wegen seines Mandanten ausgestanden hatte. Um sich und vor allem um ihren Sohn. »Er wollte mich umbringen«, sagte sie fest. »Das war sein Plan.« Pia sah Jesko Ebel ins Gesicht. Sie konnte nicht anders. Er schaute durch sie hindurch, als wäre sie gar nicht da.

»Wie kommen Sie zu dieser ungeheuerlichen Behauptung?«, rief der Anwalt wie in rechtschaffener Empörung.

»Herr Ebel hat es mir gesagt. Und er hatte einen Zimmermannshammer in der Hand. Damit ist er anschließend auf mich losgegangen.«

Als Pia ihre Zeugenaussage beendet hatte und den Sitzungssaal verließ, spürte sie Ebels Blick im Nacken. Ihr war übel vor Wut, und ihre Knie fühlten sich weich an. Die erzwungene Erinnerung an den Abend hatte alle ihre vergangenen Emotionen noch einmal hochkochen lassen. Und sie hatte geglaubt, sie hätte längst mit dem Erlebnis abgeschlossen. Hinnerk war der Meinung, ihr Beruf sei nicht gut für Felix. Sie hatte es als reine Provokation verstanden, den Wunsch, sie zu ärgern oder zu verunsichern, aber nun musste sie einräumen, dass vielleicht auch ein Funke echte Sorge dahintersteckte. Und der Gedanke, dass sie in irgendeiner Weise nicht gut für Felix sein könnte, war überhaupt nicht schön.

Pia verließ das Gerichtsgebäude und vergewisserte sich, dass keine Presseleute in der Nähe waren. Sie prüfte ihr Mobiltelefon. Hinnerk hatte sich nicht gemeldet. Keine größeren Katastrophen an dieser Front. Dafür hatte sie eine Nachricht von ihrem Lieblingskollegen Heinz Broders.

»Frischfleisch, Engelchen«, sagte er gut gelaunt, als sie ihn anrief. Er war der Einzige, der sie so anreden durfte. Zum einen war er schwul, was der Sache die sexuelle Anzüglichkeit nahm. Zum anderen war Broders, der ihr in ihrer Anfangszeit im K1 mit dem größten Misstrauen begegnet war, inzwischen nicht nur ein guter Kollege, sondern auch ein echter Freund geworden.

»Willst du mich zum Grillen einladen, Schatz?«

»Im nächsten Frühjahr vielleicht. Wir haben gerade was Neues reinbekommen. Einen Toten in Groß Tensin an der Ostsee. Nicht so lecker. Er liegt wohl schon ein paar Tage in einem Feuerlöschteich herum.«

3. Kapitel

Gernot Wiese wollte sich von diesem Spektakel so wenig wie möglich entgehen lassen. Endlich passierte mal was! Seine Gedanken kreisten nicht mehr ausschließlich um sein eigenes miserables Dasein. Bis eben hatte er sich um den Postboten kümmern müssen. Der hatte nach ihrer Entdeckung nämlich mit in die Hände gestütztem Kopf auf einem Feldstein gesessen und sich hin- und hergewiegt. Ein peinlicher Anblick bei einem so großen, athletisch aussehenden Mann. Wie alt mochte er sein? Fünfundzwanzig Jahre? Er wirkte jungenhaft mit seinem lächerlichen dunkelblonden Zopf und dem Piercing im Gesicht. Besonders jetzt, da er erschüttert und verunsichert war. Er habe noch nie einen Toten gesehen. Nun, Gernot auch nicht. Trotzdem stand er hier seinen Mann, oder etwa nicht?

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