Powerless - Das Spiel - Lauren Roberts - E-Book
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Powerless - Das Spiel E-Book

Lauren Roberts

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Beschreibung

Ein Jäger. Eine Gejagte. Ein tödliches Spiel – das Romantasy-Debüt von TikTok-Star Lauren Roberts endlich auf Deutsch!

Seit eine Seuche den Menschen im Königreich Ilya magische Fähigkeiten verliehen hat, wird jeder gejagt, der ohne Kräfte geboren wird. Dank ihres nicht-magischen Talents, andere lesen zu können, gelang es Paedyn Gray sich bislang in den Gassen Ilyas zu verstecken. Doch dann rettet sie ausgerechnet Prinz Kai das Leben und gerät so ins Visier des Königs. Dieser macht sie zur Kandidatin eines gnadenlosen Wettbewerbs, bei dem die Teilnehmer ihre Kräfte zur Schau stellen und im Kampf einsetzen. Wie soll Paedyn das überleben? Denn falls sie nicht von ihren Gegner oder den zahlreichen Fallen getötet werden sollte, wird Prinz Kai sie umbringen, sobald er herausfindet, wer sie wirklich ist …

Noch nie war der Enemies-to-Lovers-Trope mitreißender! Die große Romantasy-Saga von TikTok-Star Lauren Roberts endlich auf Deutsch!

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Seitenzahl: 832

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Buch

Seit eine Seuche den Menschen im Königreich Ilya magische Fähigkeiten verliehen hat, wird jeder gejagt, der ohne Kräfte geboren wird. Dank ihres nicht-magischen Talents, andere lesen zu können, gelang es Paedyn Gray sich bislang in den Gassen Ilyas zu verstecken. Doch dann rettet sie ausgerechnet Prinz Kai das Leben und gerät so ins Visier des Königs. Dieser macht sie zur Kandidatin eines gnadenlosen Wettbewerbs, bei dem die Teilnehmer ihre Kräfte zur Schau stellen und im Kampf einsetzen. Wie soll Paedyn das überleben? Denn falls sie nicht von ihren Gegner oder den zahlreichen Fallen getötet werden sollte, wird Prinz Kai sie umbringen, sobald er herausfindet, wer sie wirklich ist …

Autorin

Lauren Roberts hat ihr ganzes Leben in Michigan, USA, verbracht. Wenn sie nicht gerade über fantastische Welten und liebenswerte Charaktere schreibt, findet man sie eingekuschelt im Bett und mit einem Fantasy-Roman in der Hand – oder auf TikTok, wo sie als @Laurens1ibrary ihre Liebe zu Büchern mit ihren fast 400 000 Follower*innen teilt. »Powerless – Das Spiel« ist Lauren Roberts Debüt und stellt den Auftakt einer mitreißenden Romantasy-Trilogie dar. Der Roman eroberte auf Anhieb die »New York Times«-Bestsellerliste und traf mitten ins Herz der Leser*innen.

Weitere Informationen unter: www.laurenrobertslibrary.com, www.tiktok.com/@laurenslibrary

Lauren Roberts

POWERLESS

DAS SPIEL

Roman

Deutsch von Vanessa Lamatsch

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »Powerless«.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Dataminings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Lauren Roberts

Published by arrangement with Simon & Schuster UK Ltd

1st Floor, 222 Gray’s Inn Road, London, WC1X 8HB

A Paramount Company

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe

© 2024 by Penhaligon in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de

nach einer Originalvorlage von Simon and Schuster UK und © 2023 Lauren Roberts

Umschlagdesign: Seventhstar Art

Umschlagmotive: Shutterstock.com (Jingjing Yan; Studiotan);

thdrkqwn; Dmitriy / stock.adobe.com; moonchild-ljilja; resMENSA

Karte: © 2023 Lauren Roberts; Peter Palm, Berlin

Kartendesign: Jojo Elliott

Innenillustration unter Verwendung von Motiven von: © Dmitriy / stock.adobe.com; © Elena / stock.adobe.com

DK · Herstellung: kw

Satz: KCFG – Medienagentur, Neuss

ISBN 978-3-641-31720-1V001

www.penhaligon-verlag.de

Für jedes Mädchen, das sich jemals machtlos gefühlt hat.

1

Paedyn

Eine zähflüssige, warme Flüssigkeit rinnt über meinen Arm.

Blut.

Seltsam, ich kann mich gar nicht erinnern, dass mich der Wachmann mit seinem Schwert erwischt hat, bevor meine Faust sein Gesicht traf. Obwohl er ein Blitz ist, war es ihm offenbar nicht möglich, schneller zu sein als mein rechter Haken auf sein Kinn.

Der Geruch von Ruß steigt mir in die Nase und zwingt mich, mir die dreckige Hand übers Gesicht zu halten, um ein Niesen zu unterdrücken.

Das wäre eine wirklich jämmerliche Art, erwischt zu werden.

Als ich sicher bin, dass meine Nase nicht die Aufmerksamkeit der Imperialen erregen wird, die unter meinem Versteck herumlungern, drücke ich die Hand wieder an die schmutzige Wand, an die ich auch den Rücken presse. Meine Füße sind gegenüber verkeilt. Nach einem tiefen Atemzug, der mich fast am Ruß ersticken lässt, mache ich mich erneut an den langsamen Aufstieg. Meine Schenkel brennen fast so sehr wie meine Nase, während ich meinen Körper zwinge, sich nach oben zu schieben, immer noch gequält vom Niesreiz.

Ich hätte nicht gedacht, dass mein Abend damit enden würde, dass ich durch einen Schornstein krieche. Ich schwitze in dem engen Schacht und muss gegen meine Angst anschlucken, während ich mich immer höher schiebe, begierig darauf, die rußverkrusteten Wände gegen eine sternenklare Nacht einzutauschen. Als mein Kopf endlich über die Kante lugt, sauge ich gierig die schwüle Luft ein, bevor ich mich über den Rand ziehe. Sofort attackiert mich eine neue Geruchsmischung, viel unangenehmer als der Rußgeruch, der an meinem Körper, in meiner Kleidung und meinem Haar klebt. Der Gestank nach Schweiß, Fisch, Gewürzen … und offenbar auch irgendeiner Art von Körperflüssigkeit … verbinden sich, um das Miasma der Beuteallee zu schaffen.

Ich kauere auf dem Schornstein und kneife die Augen zusammen, um meinen klebrigen Arm zu inspizieren. Fast hätte ich das vergessen, da der übliche beißende Schmerz fehlt, der gewöhnlich mit Schwertwunden einhergeht.

Ich reiße einen Streifen Stoff von meinem verschwitzten Trägerhemd ab und presse ihn auf meinen Arm.

Adena wird mich umbringen, weil ich ihre Näharbeit zerstört habe. Schon wieder.

Zu meiner großen Überraschung bleibt der vertraute Schmerz auch dann aus, als ich mit dem rauen Stoff über meine Haut reibe, um die klebrige Flüssigkeit zu entfernen.

Und da rieche ich es.

Honig.

Derselbe Honig, der aus den klebrigen Brötchen quillt, mit denen ich die vielen Taschen meiner Weste gefüllt habe, läuft mir auch über den Arm – und ich dachte, es wäre Blut. Ich seufze, entgeistert über mich selbst.

Dennoch ist es eine willkommene Überraschung. Selbst Honig im Stoff ist besser, als Blut auswaschen zu müssen.

Ich atme tief durch, dann spähe ich über die bröckelnden, heruntergekommenen Gebäude hinweg, die von den flackernden Laternen an der Straße in seltsame Schatten gehüllt werden. Es gibt nicht viel Strom hier in den Slums, aber der König hat uns gnädig ein paar Laternen gegönnt. Dank der Volts und den Scholaren, die ihre Fähigkeiten eingesetzt haben, um ein Stromnetz zu schaffen, muss ich mich mittlerweile mehr anstrengen, um mich im Dunkeln zu halten.

Je weiter man sich von den Slums entfernt, desto größer und schöner werden die Häuserreihen und Läden. Schuppen wandeln sich zu Häusern, aus Häusern werden Villen … und sie alle führen auf das einschüchterndste Gebäude überhaupt zu. Nur mit Mühe erkenne ich die hoch aufragenden Türme der königlichen Burg und die Kuppel der Schüssel-Arena, die sich daneben erhebt.

Mein Blick gleitet erneut über die breite, zwielichtige Straße, die sich vor mir erstreckt. Die Beuteallee ist das Herz der Slums. Von hier aus werden Verbrechen und Handel durch die Stadt gepumpt. Meine Augen folgen den Dutzenden anderen Gassen und Wegen, die von der langen Straße abgehen, verlieren sich für einen Moment in dem Labyrinth dieser Stadt, bevor ich mich mit einem Seufzen und einem kurzen Lächeln wieder auf die vertraute Allee unter mir konzentriere.

Mein Zuhause. Irgendwie. Streng genommen deutet der Begriff natürlich an, dass man ein Dach über dem Kopf hat.

Aber die Sterne sind ein viel schönerer Anblick als eine Zimmerdecke.

Das weiß ich, weil ich einmal eine Zimmerdecke hatte, die ich jede Nacht anstarren konnte – damals, als ich die Sterne nicht brauchte, um mir Gesellschaft zu leisten.

Mein verräterischer Blick huscht in die Richtung, in der mein ehemaliges Zuhause steht, zwischen Händler- und Ulmenstraße. Dort hat sich wahrscheinlich eine glückliche kleine Familie zum Abendessen um den Tisch versammelt, um sich lachend von ihrem jeweiligen Tag zu berichten …

Ich höre einen dumpfen Schlag, gefolgt von murmelnden Stimmen, die mich aus meinen bitteren Gedanken reißen. Angestrengt lauschend, kann ich die tiefe Stimme des Wachmanns, den ich vor kurzer Zeit freundlich von seinen Pflichten entbunden habe, ausmachen.

»… ist hinter mir aufgetaucht, ohne einen Mucks, und dann … bevor ich wusste, wie mir geschieht … tippt mir jemand auf die Schulter und rammt mir eine Faust ins Gesicht.«

Als Nächstes hallt eine sehr irritierte und schrille weibliche Stimme aus dem Schornstein. »Ihr seid ein Blitz, um der Seuche willen! Solltet Ihr nicht angeblich schnell sein oder irgendwas? Habt Ihr zumindest sein Gesicht gesehen, bevor Ihr zugelassen habt, dass er mich ausraubt? Schon wieder?«

»Ich habe nur seine Augen gesehen«, murmelt der Wachmann. »Blau. Sehr blau.«

Die Frau schnaubt genervt. »Wie hilfreich. Lasst mich kurz jeden auf der Beuteallee stoppen, um zu sehen, ob die Augen zu Eurer anschaulichen Beschreibung seiner Augenfarbe passen.«

Ich unterdrücke ein spöttisches Schnauben, als ich ein Knirschen höre, gefolgt von gedämpften Schritten. Das Stöhnen der morschen Holzbretter, die sich unter mehreren zusätzlichen Stiefelpaaren senken, verrät mir, dass sich drei weitere Wachen der Jagd angeschlossen haben.

Und das ist mein Stichwort.

Ich springe vom Schornstein und packe den Rand der erhöhten Dachkante, schwinge die Beine darüber, bis ich über der Straße baumele. Dann lasse ich los. Ich muss ein Jaulen unterdrücken, als die Schwerkraft mich Richtung Boden reißt. Mit einem Knall lande ich ungeschickt auf einem Händlerkarren voller Heu. Die steifen Strohhalme bohren sich durch meine Kleidung, als wäre ich auf eines von Adenas Nadelkissen gefallen, und eine Wolke aus Ruß und Heu erfüllt die Luft, während ich aus dem Wagen klettere und auf die Straße hüpfe.

Damit beschäftigt, mir Strohhalme aus dem zerzausten Haar zu ziehen, beginne ich meine Reise zurück zum Fort. Ich schlängele mich zwischen heruntergekommenen Marktständen und weiteren Karren hindurch, die dank der späten Stunde verlassen herumstehen. Meine Füße bewegen sich knirschend über Müll und zerbrochene Gegenstände. Auf meinem Weg höre ich das Flüstern von Plünderern, die an den Gassenwänden lehnen oder sich zwischen Gebäuden verborgen halten. Ich erkenne das vage purpurfarbene Flackern von Kraftfeldern um einige der Leute, während andere nicht mal genug Talent besitzen, um sich einen ungestörten Schlaf zu sichern – was genau der Grund ist, wieso sie in den Slums leben.

Mit schnellen, selbstbewussten Schritten bewege ich mich vorwärts. Mein Blick huscht ständig hin und her, immer wachsam. Die Armen behandeln alle gleich. Ein Schilling ist ein Schilling, und es ist ihnen egal, ob sie jemanden überfallen müssen, dem es noch schlechter geht als ihnen selbst, um ihn zu bekommen.

Mehrere Wachen kreuzen meinen Weg, während ich mich im Zickzack durch die Straßen bewege. Ihre Gegenwart zwingt mich, langsamer zu werden, um ihnen auszuweichen. Jedem Laden, jeder Ecke und jeder Straße wurde das Geschenk herablassender Gesetzeshüter in weißer Uniform gewährt. Diese brutalen Imperialen wurden auf Geheiß des Königs nach einer Zunahme der Verbrechensrate überall auf der Beuteallee postiert.

Was offensichtlich nichts mit mir zu tun hat.

Ich schleiche durch eine schmalere Sackgasse auf dem Weg zu ihrem Ende. Dort, in einer Ecke, erhebt sich eine grobe Barrikade aus kaputten Karren, Kartons, alten Betttüchern und die Seuche weiß was noch. Bevor ich auch nur die Hälfte der Strecke zu dem Haufen Müll zurückgelegt habe, den wir Zuhause nennen, taucht über dem Rand des Forts ein Gesicht auf, das halb hinter wildem, schulterlangem Haar verborgen liegt.

»Hast du ihn gekriegt?«

Sie streckt die langen Beine, steht auf und transiert mühelos durch die fast einen Meter dicke Wand unserer Müllbarrikade, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden. Dann springt sie mit so hoffnungsvollem Blick auf mich zu, dass man meinen könnte, ich hätte ihr ein Dach über dem Kopf und eine warme Mahlzeit angeboten. Und obwohl ich ihr nichts davon bieten kann, habe ich ihrer Meinung nach etwas Besseres dabei.

Ich seufze. »Deine Zweifel beleidigen mich, Adena. Ich dachte, du hättest nach all diesen Jahren ein wenig mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten.« Ich schwinge den Rucksack vom Rücken und ziehe die verknitterte rote Seide heraus, und als ich die Ehrfurcht in ihrem Gesicht erkenne, kann ich ein Lächeln nicht unterdrücken.

Gierig reißt sie mir die weiche Seide aus den Händen, lässt die Finger darüber gleiten. Sie späht unter ihrem haselnussbraunen Pony hervor zu mir auf, als hätte ich gerade persönlich die Seuche gebannt, statt Stoff von einer Frau zu stehlen, der es nicht viel besser geht als uns.

Als wäre ich eine Heldin und keine Bösewichtin.

Adenas Lächeln könnte der Sonne über der Sengenden Wüste Konkurrenz machen. »Pae, du und deine klebrigen Finger wirken Magie, bist du dir dessen bewusst?«

»Apropos klebrig …« Ich löse mich aus ihrer Umarmung, um in meinen Taschen zu graben, und ziehe sechs Honigbrötchen heraus, die mit dem Heu, das daran klebt, ein bisschen unappetitlich aussehen.

Adena reißt die Augen auf, dann schnappt sie sich eines der Brötchen aus meiner Hand, genauso gierig, wie sie nach dem Stoff gegriffen hat. Sie dreht sich mitten im Abbeißen um und transiert, ohne zurückzublicken, wieder durch die Barriere unseres Forts, wo sie sich auf die farblosen, rauen Teppiche fallen lässt, die innerhalb der Barrikade liegen. Erwartungsvoll tätschelt sie den Platz neben sich. Anders als sie kann ich nicht durch Wände gehen und muss ungeschickt über den Haufen aus Müll springen, bevor ich mich zu ihr gesellen kann.

»Ich wette, Maria war nicht allzu glücklich, dass ihr Laden ausgeraubt wurde. Schon wieder. Das arme Ding sollte wirklich ihre Sicherheitsmaßnahmen verstärken«, sagt Adena kauend. Die Krümel auf ihrem Gesicht heben sich mit ihrem schiefen Lächeln.

Obwohl ich die Frau in den letzten Jahren mindestens einmal im Monat heimgesucht habe, hat sie bisher nur den Schluss gezogen, dass ich ein Junge sei. Zumindest bemüht sie sich.

»Tatsächlich«, erkläre ich mit einem Achselzucken, »hatte sie zwei Imperiale mehr als sonst vor ihrem Laden stehen. Sie muss es leid sein, wie viele Honigbrötchen ihr über die Jahre gestohlen wurden.«

Beim Anblick meines Lächelns kneift Adena die haselnussbraunen Augen zusammen. »Der Seuche sei Dank, dass du nicht erwischt wurdest.« Kaum ist die vertraute Phrase über ihre Lippen gedrungen, beiße ich instinktiv die Zähne zusammen, während sie betroffen den Mund aufreißt. Sie windet sich sichtlich, runzelt die Stirn und räuspert sich. »Tut mir leid. Schlechte Angewohnheit.« Meine Finger gleiten zu dem dicken Ring an meinem Daumen, um ihn geistesabwesend zu drehen. Ich schenke ihr ein schwaches Lächeln. Gewöhnlich vermeiden wir dieses Thema … auch wenn ich schuld bin, dass es unangenehm geworden ist, darüber zu reden.

All das wegen eines Moments der Schwäche, von dem ich mir wünschte, er hätte mir nicht solche Erleichterung geschenkt. »Du weißt, dass es nicht die Worte sind, die mich stören, sondern …«

»… die Bedeutung dahinter«, fällt sie mir lächelnd ins Wort, wobei sie meine Stimme erschreckend gut nachahmt.

Ich ersticke fast an meinem Lachen und einem Stück süßen Teigs. »Zitierst du mich, A?«

Statt zu antworten, nimmt sie noch einen Bissen von ihrem Brötchen und sagt mit vollem Mund: »Und es ist nicht die Seuche, die dich krank macht, sondern das, was danach geschehen ist.«

Ich nicke langsam, lasse meine Finger über das fast verblasste Muster des Teppichs unter uns gleiten, der sich so vertraut anfühlt. Der Gedanke daran, wie die Seuche Tausende von Ilyanern getötet hat, verdirbt mir den Appetit, sogar den auf Honigbrötchen. Dass wir der Krankheit danken, die so viel Schmerz und Tod und Diskriminierung ausgelöst hat.

Aber heute interessieren sich die Leute nur dafür, wen die Seuche nicht getötet hat. Das Königreich war jahrelang isoliert, um zu verhindern, dass sich die Krankheit in die umgebenden Städte ausbreitet. Und nur die Stärksten in Ilya haben die Krankheit überlebt, die die Kernstruktur der Menschen verändert hat. Die Schnellen wurden auf außergewöhnliche Weise schneller, die Starken wurden unbesiegbar, und diejenigen, die in den Schatten lauerten, konnten plötzlich selbst zu Schatten werden. Den Ilyanern wurden Dutzende übernatürliche Fähigkeiten verliehen, der verschiedensten Art, in verschiedener Stärke und Kraft.

Geschenke für das Überleben.

Sie sind die Elite. Sie sind außergewöhnlich. Sie sind etwas Besonderes.

»Sei …« Adena verstummt und spielt mit den Fingern an ihrem Honigbrötchen herum. »Sei einfach vorsichtig, Pae. Wenn du erwischt wirst und nicht fähig bist, dich rauszureden …«

»Ich komme schon klar«, verkünde ich viel zu locker und ignoriere die Sorge, die in mir aufsteigt. »Das tue ich jetzt A. Das habe ich schon immer getan.«

Sie seufzt trotz ihres Lächelns, wedelt mit der Hand. »Ich weiß, ich weiß. Du kannst mit den Eliten umgehen.«

Wieder überschwemmt mich Erleichterung – ich fühle mich gleichzeitig schuldig und bin dankbar, dass Adena mich wirklich kennt. Denn nicht allen, die die Seuche überlebt haben, war das Glück vergönnt, mit einer Fähigkeit beschenkt zu werden. Nein, die Gewöhnlichen blieben genau das – gewöhnlich. In den ersten Jahrzehnten direkt nach der Seuche lebten die Gewöhnlichen und die Eliten in Frieden. Bis König Edric verfügt hatte, dass Gewöhnliche nicht mehr gut genug waren, um in seinem Königreich zu leben.

Vor über drei Dekaden schwappte erneut eine Seuche durch das Land. Die Heiler des Königs haben den Ausbruch von etwas, das wahrscheinlich eine ganz gewöhnliche Krankheit war, genutzt, um zu behaupten, die Gewöhnlichen trügen einen nicht nachweisbaren Erreger in sich. Sie behaupteten, darin läge wahrscheinlich der Grund, warum diese Leute keine Fähigkeiten entwickelt hatten. Dass längerer Kontakt zu Gewöhnlichen die Eliten und ihre Kräfte beeinträchtigen könnte, und die Gewöhnlichen über längere Zeit dafür sorgen würden, dass die hochgeschätzten Fähigkeiten der Eliten nachlassen.

Selbst bei dem Gedanken an diese Theorien muss ich ein Augenrollen unterdrücken.

Mein Vater hielt das alles für Unsinn, und ich vertrete dieselbe Meinung. Aber selbst wenn ich beweisen könnte, dass der König lügt wie gedruckt, ist es ja nicht so, als würde irgendwer einem Mädchen aus den Slums glauben.

Der König konnte seiner elitären Gesellschaft nicht erlauben, von einfachen Gewöhnlichen geschwächt zu werden … oder gar Schlimmeres. Der Untergang war keine Option für das Außergewöhnliche.

Und damit begann die Säuberung.

Selbst heute, Jahrzehnte später, erzählt man sich am Lagerfeuer noch Geschichten von den Überresten zahlreicher getöteter Gewöhnlicher, die unter der brennenden Sonne im Sand liegen – unheimliche Geschichten, mit denen man Kinder erschreckt.

Klebrige Finger legen sich über meine. Der Honig an Adenas Händen ist so süß wie das Lächeln, das sie mir schenkt. Mein Geheimnis strahlt im Glitzern ihrer Augen, in der Loyalität, die ihr Gesicht zeichnet. Ich habe einen Großteil meines Lebens mit dem Wissen verbracht, dass nichts jemals real sein würde. Jede Freundschaft eine Lüge, jede Freundlichkeit kalkuliert.

»Verbirg deine Gefühle, verbirg deine Angst und, am wichtigsten, versteck dich hinter deiner Fassade. Niemand darf es erfahren, Paedyn. Vertraue nichts und niemandem außer deinen Instinkten.«

Die sanfte Stimme meines Vaters hallt in meinem Kopf wider und erinnert mich daran, dass jeder Teil meines Lebens eine Lüge sein sollte … und die junge Frau, die vor mir sitzt, genauso ahnungslos in Täuschung leben sollte wie der Rest des Königreichs.

Selbstsucht hat mir in einer einzigen Nacht meine Zurückhaltung gestohlen, aber mehr war nicht nötig, um uns beide in Gefahr zu bringen.

»In Ordnung, genug Gerede von der Seuche«, verkündet Adena fröhlich. Sie lässt den Blick durch die Gasse gleiten und fügt hinzu: »Und deine … Situation.«

Ich spare mir die Mühe, mein Schnauben zu unterdrücken. »Es scheint, als wären zwei Jahre immer noch nicht genug, um dich subtiler werden zu lassen, A.«

Ich bezweifele, dass sie mich überhaupt gehört hat. Bezweifele, dass sie an irgendetwas anderes denken kann als den Stoff, den sie nun zwischen den Fingern reibt. Ihre haselnussbraunen Augen bereits auf ihr Nähzeug gerichtet, gibt Adena unser bisheriges Gespräch auf, um stattdessen in aller Ausführlichkeit zu erzählen, welches Kleidungsstück sie aus der neuen Seide anfertigen will. Ihre warmen braunen Hände graben sich im flackernden Lampenschein durch ihre Stoffreste, bereits damit beschäftigt, Säume umzuschlagen, Enden festzuzurren, sich in die Finger zu stechen und unablässig zu fluchen.

Wir verfallen in die Art beiläufiger Gespräche, die nur möglich sind, wenn man Jahre zusammen auf der Straße überlebt hat. Mir fällt es leicht, Adenas gedämpfte Worte zu entschlüsseln, die sie durch Nadeln zwischen ihren Lippen hervorpressen. Ich lege mich hin, rolle mich zur Seite und verstumme, während ich ihre ruhigen Bewegungen und ihre gerunzelte Stirn mustere. Sie ist zu sehr in ihrer Arbeit versunken, um sich zur Ruhe zu betten.

Ein stechender Schmerz vertreibt jede Schläfrigkeit und sorgt dafür, dass ich die Augen aufreiße. Ein scharfkantiger Stein, der aus dem Gassenboden hervorsteht, lässt mich genervt murmeln: »Ehrlich, eines Tages werde ich ein Pritschenbett stehlen.«

Adena verdreht nur die Augen, so wie sie es jeden Abend tut, wenn ich dieses leere Versprechen ausstoße. »Ich werde es glauben, wenn ich es fühle, Pae«, flötet sie.

Ich habe mich ungefähr ein Dutzend Mal hin und her gedreht, als eine zusammengeknüllte Decke meinen Kopf trifft. »Wenn du nicht damit aufhörst, schwöre ich, dass ich dich an den Boden nähe«, sagt Adena, so süß wie ein Honigbrötchen.

»Das werde ich glauben, wenn ich es fühle, A.«

2

Kai

Ein Feuerball saust an meinem Gesicht vorbei und versengt mir fast das Haar. Mir bleibt kaum Zeit, mich zu ducken, bevor ich auch schon die nächste Hitzewelle über mich hinwegschwappen fühle.

Seuche, Kitt hat heute wirklich tolle Laune.

Ich balanciere auf den Ballen und beobachte, wie ein weiterer Feuerball in meine Richtung schießt. Gleichzeitig erfüllt das vertraute Kribbeln von Adrenalin meinen Körper. Ich hebe ein Wasserschild und höre, wie das Feuer zischt, bevor es in einer dichten Dampfwolke vergeht. Kitt kneift die Augen zusammen, um mich durch den Nebel zu sehen, dann werden seine Augen groß, als ich plötzlich mit ihm kollidiere. Wir stürzen zu Boden, und ich halte ihn dort fest, eine flammende Faust über seinem Gesicht erhoben.

»Kapitulierst du?« Ich kann ein Lächeln nicht unterdrücken. Er stößt ein keuchendes Lachen aus, während sein Blick zwischen meinem Gesicht und der brennenden Faust daneben hin und her huscht.

»Wenn ich Nein sage, wirst du mich wirklich schlagen, kleiner Bruder?« Trotz der Flammen, die nur wenige Zentimeter vor ihm flackern, glitzern Kitts grüne Augen vor Erheiterung.

»Man sollte meinen, du wüsstest die Antwort inzwischen.« Ich hebe die Faust noch höher, bereit zum Schlag.

»In Ordnung, ich gebe auf!«, stößt Kitt hervor. »Aber nur weil ich nicht will, dass Eli schon wieder unsere gebrochenen Nasen richten muss.«

Ich gluckse finster, während ich mir vorstelle, wie der königliche Heiler schauen wird, wenn wir schon wieder mit gebrochenen Knochen in seinen Raum stolpern. Ich stehe auf und strecke Kitt, der immer noch auf dem Boden liegt, die Hand entgegen.

Das Lächeln, das er mir schenkt, erreicht nicht ganz seine Augen, als er schließlich sagt: »Seuchen, Kai, du kannst besser mit meinen Fähigkeiten umgehen als ich.«

»Und das ist der Grund, warum du das Land regieren wirst«, erkläre ich schlicht, »während ich auf dem Schlachtfeld kämpfen werde, um den Feind dort mit meinem verwegen guten Aussehen abzulenken.«

»Willst du damit sagen, ich könne den Feind nicht mit meinem verwegen guten Aussehen ablenken?«, fragt Kitt gespielt beleidigt, bevor er lacht.

»Ich will damit sagen, dass wir nur Halbbrüder sind, was leider bedeutet, dass du nur die Hälfte meines Charmes besitzt.«

Kitt lacht wieder. »Dieser Logik folgend, dürftest du also nur die Hälfte meines Hirns haben.«

»Der Seuche sei Dank dafür.« Die Worte haben meinen Mund kaum verlassen, da schubst er mich grinsend.

Wir wandern den ausgetretenen Pfad zwischen den Trainingsringen auf dem Burggelände entlang. Imperiale in der Ausbildung und andere Eliten höheren Stands kämpfen weiter, während wir vorbeigehen. Die meisten setzen ihre Fähigkeiten ein, ein paar auch Waffen.

Köpfe drehen sich in unsere Richtung. Die Blicke brennen auf meiner Haut wie die Sonne, die strahlend über unseren Köpfen leuchtet. Ich ignoriere das Starren und fülle meine Lunge mit der vom Duft nach Blut, Schweiß und Tränen gesättigten Trainingsplatzluft, bevor ich mir ein Schwert von einem Ständer schnappe und Kitt ein weiteres zuwerfe. Seine Miene lässt sich nur mit dem Wort »genervt« beschreiben.

»Du weißt, dass ich schon immer lieber mit Waffen gekämpft habe als mit Fähigkeiten«, erkläre ich als Antwort auf seinen eindringlichen Blick, während ich instinktiv die Balance meiner Waffe teste.

Kitt schlendert in einen schlammigen Ring und verdreht die Augen. »Ja, ich bin mir durchaus bewusst, wie gern du mit einem Schwert auf mich einprügelst.«

Ich lockere das Handgelenk und schwinge die Klinge, dann beginnen wir, uns zu umkreisen. »Zufälligerweise gehört das zu meinen liebsten Hobbys, ja.« Ich springe plötzlich vor, lasse meine Klinge hart genug gegen seine knallen, dass mein gesamter Arm erschüttert wird. »Siehst du? Macht das nicht Spaß?«

Kitt beißt die Zähne zusammen, um meinem Angriff standzuhalten. »Unheimlichen Spaß.«

Ich sinke in eine vertraute Trance, verliere mich im Rhythmus der Bewegungen, lasse die Füße durch den Ring tänzeln, während wir kämpfen. Mein Kopf wird klar. Mein Körper brummt vor Energie. Ich habe mich immer am lebendigsten gefühlt, wenn ich kämpfe. Dafür wurde ich geboren, und genau das hat mir über die Jahre des Trainings und der Ausbildung meine geistige Gesundheit bewahrt.

»Ein dummer König ist ein toter König.«

Vaters Worte hallen durch meinen Kopf. Sie wurden mir jedes Mal entgegengeschleudert, wenn ich mich als Junge über meine nervigen Lektionen beschwert habe. Doch ich muss mir keine Sorgen darum machen, ein toter oder dummer König zu sein, wenn man bedenkt, dass ich nie König sein werde. Und nachdem ich dasselbe Argument gegenüber Vater angeführt hatte, hat er freundlicherweise eine neue Redewendung für mich geschaffen, nach der ich mein Leben ausrichten kann.

»Ein dummer Vollstrecker bedeutet ein bezwungenes Reich.«

Sehr aufmunternd.

Scharfer Schmerz schießt durch meinen Unterarm und reißt mich aus meinen Gedanken.

»Du solltest dich konzentrieren, Kai, sonst könnte ich dich tatsächlich schlagen.«

Ich werde Kitt diese triumphierende Miene aus dem Gesicht wischen.

»Ich will doch nicht, dass mein zukünftiger Vollstrecker seinen Job halbher…«

Bevor er den Satz beenden kann, drücke ich sein Schwert zu Boden und nagele es mit meiner Klinge fest, bevor ich hinter ihn wirbele. Mit einer schnellen Bewegung reiße ich das Bein hoch, schnappe mir den Dolch aus meinem Stiefel und presse ihn Kitt gegen den Rücken.

»Tut mir leid … was war das, Eure Majestät?« Ich gebe ihn frei. Er dreht sich zu mir um und vollführt eine spöttische Verbeugung, während ich den Dolch wieder im Stiefel verschwinden lasse. Das bringt mir einen Schubser ein, der mich kurz stolpern lässt. Ich erwidere die Geste, und Kitt lacht.

Sein schmutzig blondes Haar ist momentan hauptsächlich schmutzig, dekoriert mit Erdbrocken aus dem Trainingsring. Unsere Hemden haben wir in der Sommerhitze schon lange ausgezogen, und wie auch bei mir glänzt Schweiß auf seiner Brust.

Es ist fast lächerlich, wie offensichtlich zu erkennen ist, dass wir nur Halbbrüder sind. Abgesehen von unseren körperlichen Unterschieden fehlt mir Kitts Fürsorglichkeit und ihm meine Härte. Er ist geduldig, sympathisch und auf dieselbe Art für den Thron geeignet wie ich fürs Schlachtfeld.

Er ist ein König, während ich ein Killer bin.

»Kai, hörst du mir überhaupt zu?« Kitt wirkt gleichzeitig besorgt und amüsiert, während er vor meinem Gesicht mit den Fingern schnippt. »Seuchen, wie viel Blut hast du verloren?«

Ich folge seinem Blick und entdecke dünne Ströme Blut, die sich aus der Wunde an meinem Arm ergießen, meine Knöchel rot färben und von meinen Fingern tropfen. »Nun, sieht aus, als könnte Eli dank dir doch keinen freien Tag genießen.« Ich sehe zu Kitt auf, weil ich mit einer Antwort rechne, nur um festzustellen, dass er stattdessen etwas auf der anderen Seite des Trainingsplatzes anstarrt. »Und schau, wer jetzt nicht mehr zuhört.«

Meine Augen fallen auf die Gestalt, die mit großen Schritten auf uns zukommt. Ihre Trainingskleidung umschmeichelt ihre Kurven, und fliederfarbenes Haar peitscht im Wind. »Oh, sieh nur. Die zickige Blair«, hauche ich kaum hörbar, bevor sie uns erreicht, was dafür sorgt, dass Kitt ein Lachen unterdrücken muss.

»Hallo, Jungs.« Ihre Stimme ist wie Eis – kalt und glatt. »Wie läuft es mit dem Training?« Ihr Blick gleitet träge über unsere Körper, bevor sie uns leicht spöttisch wieder ins Gesicht sieht. »Bereitest du dich auf die Spiele vor, Kai?«

»Eigentlich muss ich mich nicht vorbereiten.«

Meine Erwiderung zaubert ein träges Lächeln auf ihr Gesicht. »Man sollte meinen, der zukünftige Vollstrecker würde das Königreich mit einem klaren Sieg beeindrucken wollen.« Plötzlich interessiert sie sich intensiv für ihre Fingernägel, betont ungerührt.

Ich fahre mir mit einem gelangweilten Seufzen durch die Haare. »Und genau das habe ich vor.«

Sie schenkt mir ein Lächeln, das alles andere als freundlich ist. »Das hoffe ich doch, wenn man bedenkt, dass du die beste Elite seit Jahrzehnten bist. Oder zumindest sagt man das.«

Seuchen, jetzt geht es los.

Kitt tritt einen Schritt vor, die Hand an die Brust gepresst, als wäre er tief getroffen. »Autsch, Blair. An diesen Kommentar werde ich mich erinnern, wenn ich König bin.«

»Oooh, habe ich deinen Stolz verletzt, Kitt?« Sie zieht einen Schmollmund, dann richtet sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf mich. »Außerdem gehe ich fest davon aus, dass ich die Spiele gewinne.«

Ich stoße ein humorloses Lachen aus, bevor ich auf ihre kleine Gestalt hinunterblicke. »Und was lässt dich vermuten, dass du überhaupt antrittst?«, frage ich, obwohl ich genau weiß, dass sie tatsächlich an den Spielen teilnehmen wird.

Eine kurze Drehung ihres Handgelenks, und ein Dolch fliegt aus dem Waffenständer. Bevor ich blinzeln kann, schwebt die Klinge vor mir und gräbt sich in meine Halsschlagader.

»Als Tochter des Generals«, sie tritt vor, bis uns nur noch Zentimeter trennen, und flüstert weiter, »dürfte ich ziemlich gute Chancen haben, zu den Spielen berufen zu werden. Denkst du nicht auch?« Sie kichert, während sie gleichzeitig den Dolch fester gegen meinen Hals presst, um ihr Argument zu unterstreichen.

Ich spüre das Summen der Dutzenden Fähigkeiten der anderen Leute auf dem Trainingsplatz in meinem Blut. Schnell verdränge ich die störenden sonstigen Empfindungen, konzentriere mich ganz auf Blairs Macht und das Vibrieren unter meiner Haut, das mich ermuntert, ihre Fähigkeit anzuwenden. Blair ist eine mächtige Tele, und diese Demonstration mit dem Dolch zeigt nur einen Bruchteil dessen, was sie mit ihrem Geist anstellen kann. Ich greife nach diesem kribbelnden Gefühl, das ihre Fähigkeit ist, und lasse mich davon erfüllen.

Mache sie mir zu eigen.

Genau wie ich es mit Kitts dualer Macht über Feuer und Wasser getan habe und auch mit jeder Fähigkeit um mich herum tun könnte.

Mit einem eiskalten Lächeln drehe ich den schwebenden Dolch um hundertachtzig Grad und presse ihn nur mit Gedankenkraft gegen die harte Lederrüstung über ihrem Herzen. »Nun, dann solltest du besser trainieren gehen«, erkläre ich leise, bevor ich ihre Fähigkeit freigebe, sodass der Dolch mit einem Knall zu Boden fällt. Ohne ein weiteres Wort wirbele ich herum und gehe Richtung Burg.

Kitt reiht sich schweigend neben mir ein, offenbar genauso in Gedanken versunken wie ich, während wir durch das Burgtor treten. Nachdem die Spiele nur noch zwei Wochen in der Zukunft liegen, scheint es mir nicht mehr vergönnt, ihre Existenz und meine Rolle darin zu ignorieren.

Aus der Küche dringt der Duft von Brathähnchen und Kartoffeln, was sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Ich werfe meinem ungewöhnlich stillen Bruder einen Blick zu, bevor ich abrupt in die Küche abbiege.

»Schönen Nachmittag, die Damen.« Ich schenke den Köchinnen und Dienerinnen, die das Abendessen vorbereiten, ein Lächeln. »Habt ihr mich vermisst?«, flöte ich, während ich mich auf eine harte Arbeitsfläche setze, die Hände hinter mir aufgestützt. Ich halte die Blicke von ein paar Dienerinnen, bis sie erröten, um sich dann wieder ihrer Arbeit zuzuwenden und kichernd miteinander zu flüstern.

Die Hitze der Küche schlägt über mir zusammen wie eine Welle, hüllt mich ein und befeuchtet meine bereits verschwitzte Haut …

Meine Haut.

Ich fahre mir mit der Hand durchs Haar, dann reibe ich mir das Gesicht, ohne mich an der Erkenntnis zu stören, dass ich seit dem Verlassen des Trainingsplatzes ohne Hemd herumlaufe – eine Gewohnheit, die nicht mal Vater mir austreiben konnte.

Kitt schiebt breit grinsend den Kopf durch die Tür. »Dachte ich mir doch, dass ich mein Lieblingsgericht gerochen habe. Du bist so ein Schatz, Gail.« Er geht zu der Köchin, die vor dem heißen Herd steht und in einem Topf voller cremiger Kartoffeln rührt. Schweiß glänzt auf ihrer schwarzen Haut.

Als sie Kitts begeisterte Miene bemerkt, strahlt sie. »Oh, glaub nur nicht, dass ich das für dich gemacht habe, Kitty. Kartoffelbrei ist zufällig auch mein Lieblingsgericht.« Sie tätschelt ihm lächelnd die Wange, bevor sie sich wieder ihrem Topf zuwendet. Sie sieht zu mir auf meiner Arbeitsfläche, dann huscht ihr Blick zu meinem Arm und der Wunde dort, die ich vollkommen vergessen hatte. Mit einem Kopfschütteln erklärt sie streng: »Du solltest meine Arbeitsfläche besser nicht mit Blut besudeln, Kai.«

Das zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. »Wäre ja nicht das erste Mal.«

Wieder schüttelt sie den Kopf in meine Richtung, doch gleichzeitig muss sie ein Grinsen unterdrücken. Gail steckt uns schon zusätzliches Essen und kleine Köstlichkeiten zu, seit wir als Jungen halb nackt durch die Burg gerannt sind – was wir offensichtlich immer noch tun. Sie hat mehr als einmal bezeugt, wie wir uns um das letzte Honigbrötchen geprügelt haben.

»Ihr beide habt mich schon eine Weile nicht mehr besucht«, sagt sie, damit beschäftigt, den Kartoffelbrei zu würzen. »Ihr seid mich langsam leid, hm?«

»Dich ja. Aber niemals dein Essen.« Die Worte sind mir kaum über die Lippen gedrungen, als auch schon ein Batzen Kartoffelbrei in meine Richtung fliegt. Mir fehlt die Energie, mich zu ducken, bevor der Brei sich zu Schlamm und Staub gesellt.

»Mit uns wird es nie langweilig, hm?«, meint Kitt, der sich gegen eine Arbeitsfläche lehnt und beobachtet, wie ich versuche, Kartoffelbrei aus meinen Haaren zu entfernen.

Ich springe auf den Boden und gehe zu der Köchin, um ihr einen Schmatz auf die Wange zu drücken. »Ist mir immer ein Vergnügen, Gail.« Ich greife um sie herum, um mir einen Apfel aus einem Korb zu schnappen. »Ich freue mich schon auf unsere nächste Essensschlacht.« Ich werfe Kitt die Frucht zu, dann säubere ich meinen eigenen Apfel an der Hose, bevor ich hineinbeiße.

»Prinz Kai?«

Meine Schultern werden steif, dann wende ich mich mit einem Seufzen der Stimme hinter mir zu. Ein junger Page sieht nervös zu mir auf, die Hände im Stoff seines Hemds vergraben. Ich hebe in offensichtlicher Ungeduld den Blick.

»Der König begehrt Eure Gegenwart im Thronsaal.«

3

Paedyn

Das Rad eines Händlerkarrens rollt über meinen Zeh. Ich unterdrücke ein Jaulen, beschimpfe aber hemmungslos den unaufmerksamen Mann, der so sorglos Leute mit seinem Karren verstümmelt.

Der Tag fängt ja gut an.

Ich habe letzte Nacht unruhig geschlafen, mich hin und her gewälzt, wieder einmal gefangen in meinen Albträumen. Ich habe meinen sterbenden Vater gesehen, während ich nichts tun konnte, als seine Hand zu halten; bin durch einen Kamin gekrochen, nur um festzustellen, dass er von oben verschlossen ist; und Adena, die einzige Person, die mir in dieser Welt noch geblieben ist, wurde schreiend von mir weggezerrt.

Irgendwann in diesem Kaleidoskop aus Albträumen hat Adena einen schwachen Versuch gestartet, mich wach zu rütteln. Ich habe mich stöhnend zur Seite gerollt und versucht, mich an das Bisschen Schlaf zu klammern, das ich gefunden hatte. Ich mag eine Diebin sein, aber selbst mir wird regelmäßig die Ruhe geraubt.

Hartnäckig wie immer hat Adena die Taktik gewechselt und beschlossen, mich mit rauen Stofffetzen zu bewerfen, bis ich irgendwann kapitulierend ein weißes Tuch geschwenkt habe.

Die Sonne kämpft sich, träge wie immer, über die Dächer der heruntergekommenen Gebäude und taucht die Beuteallee in morgendliche Schatten. Ich gehe die gepflasterte Straße entlang, die langsam zum Leben erwacht. Sie füllt sich mit dem geschäftigen Treiben von feilschenden Händlern, während Bettler jeden anflehen, der in ihre Richtung sieht. Mühelos verschmelze ich mit dem Chaos in den Slums.

Es kribbelt mir in den Fingern, mir etwas Essen zu schnappen, um meinen knurrenden Magen zu beruhigen und auch Adena etwas zu bringen. Meine Augen huschen über die Straße, auf der Suche nach meinem nächsten unglücklichen Opfer als …

Irgendwas stimmt nicht.

Vierzehn. Es stehen nur vierzehn Imperiale an der Straße aufgereiht.

Aber heute sollten es mindestens sechzehn sein.

Ich muss es wissen, nachdem ich mir ihre Positionen für jeden Tag genau eingeprägt habe.

Ich entdecke Eierkopf und Hakennase an ihrem üblichen Platz vor Marias Laden, zusammen mit anderen Imperialen mit ähnlich passenden Bezeichnungen. Nachdem ihre Gesichter halb hinter weißen Ledermasken verborgen liegen, ist es gar nicht so einfach, passende Spitznamen für die Mistkerle zu finden, daher bin ich recht stolz auf die paar, die mir eingefallen sind.

Normalerweise wären weniger Wachen eine Erleichterung. Vielleicht ist es meine hellseherische Gabe, die mit mir spricht, denn heute bereitet mir dieser Umstand Sorgen.

Mein Magen knurrt wütend, ungeduldig wie immer.

Zuerst Essen, dann seltsame Ahnungen.

Ich bewege mich mühelos im Zickzack durch die Menge, klaue ein paar Äpfel von dem Karren, der mir über den Zeh gefahren ist. Die Rache so süß wie die frische Frucht, in die ich beiße. Ich lehne mich gegen die bröckelnde Wand eines Ladens und beobachte, wie ein junger Lehrling mit einem Händler diskutiert. Bemerke, dass er dem Händler einen bösen Blick zuwirft, bevor er mehrere Münzen auf den Tresen pfeffert und sich ein Bündel von etwas schnappt, das schwarzes Leder sein muss. Mein Blick folgt den Schillingen, die über die Wagenkante rollen. Ich zähle sie schnell und stelle fest, dass es zu viele Münzen für diese Menge Leder sind.

Er hat es eilig. Deswegen ist er bereit, das Doppelte zu bezahlen, statt sich die Zeit zum Feilschen zu nehmen. Und er hat genug Geld dafür.

Die perfekte Zielperson.

Ich trete auf die Straße und folge dem Jungen, der sich durch die Menge drängt, wobei ich gleichzeitig das Band löse, das mir das Haar aus dem Gesicht hält. Ich lasse es in langen Kaskaden unordentlicher silberner Locken über meine Schultern fallen und verfluche die schwüle Hitze, die dafür sorgt, dass sich sofort Schweißperlen in meinem Nacken bilden. Ich ordne mein Haar, lasse es halb mein Gesicht verdecken und verwandele mich so in ein Bild reiner Unschuld.

»Sorg dafür, dass sie dich unterschätzen. Sorg dafür, dass sie dich übersehen, bis du tatsächlich gesehen werden willst.«

Es ist so lange her, dass ich die Stimme meines Vaters gehört habe. Der sanfte Klang droht meinem Gedächtnis zu entgleiten und sich ihm im Tod anzuschließen.

Als ich den Jungen ramme, verpufft der Gedanke.

Ich stolpere, lasse mich fallen und klammere mich dabei an dem ahnungslosen Lehrling fest. Eine Hand vergrabe ich im Stoff seines Hemds, die andere schiebe ich unauffällig in die Westentasche, aus der er die Münzen geholt hat. Ich spüre sechs Schillinge und muss der Versuchung widerstehen, alle Münzen zu nehmen. Stattdessen stehle ich nur drei.

Gier ist nicht leicht zu zügeln, aber ich zwinge mich, die anderen Münzen zurückzulassen, nachdem ich davon ausgehe, dass er den Gewichtsverlust bemerkt, wenn ich das ganze Geld nehme. Und ich brauche keine weiteren Narben auf dem Rücken, weil ich mich habe erwischen lassen.

Aber gerade als ich die Hand zurückziehen und eine Entschuldigung für meine Ungeschicklichkeit hervorstoßen will, spüren meine Fingerspitzen etwas im Futter seiner Weste. Nein, nicht im Futter – in einer Geheimtasche. Ich fühle ein gefaltetes Stück Pergament darin. Aus einem Impuls heraus, den ich weder erklären noch rechtfertigen kann, schnappe ich mir auch das, bevor ich die Hand aus der Tasche ziehe und dem Lehrling scheu ins Gesicht schaue.

Er starrt mich mit großen braunen Augen an, während ich durch silberne Strähnen zu ihm aufschaue. Ich setze eine tief verlegene Miene auf und gebe sein Hemd frei, dann puste ich mir eine Strähne aus dem Gesicht und trete eilig zurück. »Es tut mir so leid, Sir.« Ich zwinge mich, atemlos zu klingen, peinlich berührt, harmlos. »Ich bin mir ganz sicher, dass ich die Einzige in ganz Ilya bin, die über Luft stolpern kann!«

Mach nur. Unterschätz mich. Übersieh mich.

Leise lachend fährt er sich mit der Hand durch das krause Haar. »Nichts passiert. Aber offensichtlich besitzt du ein außergewöhnliches Talent.«

Er lächelt, aber für meinen Geschmack verweilt sein Blick zu lange auf meinem Körper. Also grinse ich ihm mit einem Nicken zu, wirbele auf dem Absatz herum und tauche im Gedränge der geschäftigen Straße unter.

Der verlockende Duft von Honigbrötchen wabert durch die Straße, während ich an Marias Laden vorbeischlendere und in eine der vielen kleinen Gassen abbiege, die von der Beuteallee abgehen. Die Nachricht in meiner Hand wird schweißfeucht. Was kann auf diesem kleinen Stück Papier stehen, das rechtfertigt, es so sorgfältig zu verbergen?

Das will ich herausfinden.

Ich presse den Rücken gegen eine schmutzige Wand, bevor ich das Pergament auseinanderfalte, um die krakelige Nachricht zu enthüllen.

Treffen eine Viertelstunde nach Mitternacht.

Weißes Haus zwischen Händler und Ulme.

Bring die Ware.

Verwirrt starre ich die Notiz an. Mein Herz rast.

Das ist mein Haus.

Nun, das war mein Haus.

Ich erkenne an den schräg stehenden Buchstaben und der verwischten Tinte, dass der Schreiber es offensichtlich eilig hatte, die Nachricht vor neugierigen Blicken zu verbergen.

Neugierigen Blicken wie meinen.

Dutzende Fragen kreisen in meinem Kopf, eine verwirrender als die andere. Wieso in aller seuchenverdammten Welt werden Treffen in meinem Haus abgehalten?

Ehemaligem Haus. Du hast es verlassen, schon vergessen?

Und sich mitten in der Nacht mit Ware treffen?

Das Leder.

Ich stolpere über die unebenen Pflastersteine und werde in die Realität zurückgerissen, nur um festzustellen, dass ich auf und ab getigert bin. Ich schiebe die verknitterte Nachricht in meine Weste. Meine Gedanken rasen immer noch, als ich auf die belebte Straße trete, die inzwischen in hellem Sonnenschein liegt. Ich versuche, die Fragen mit einem Kopfschütteln zu vertreiben, während ich mich durch die feilschende, ratschende, fluchende Menschenmenge dränge.

Wieder beginne ich, um die Händlerkarren zu kreisen, versinke im vertrauten Rhythmus meines Tagwerks – Diebstahl. Meine Gedanken wandern, während ich arbeite, und ich frage mich, ob Adena wohl Glück damit hat, ihre Kleidung am anderen Ende der langen Allee zu verkaufen.

Ich stehle, sie näht.

Das ist seit fünf Jahren unser Leben. Ich war kaum dreizehn und vollkommen allein auf der Welt, als Adena wortwörtlich in mich hineingerannt ist. Na ja, sie ist durch mich transiert. Niemals werde ich den Ausdruck im Gesicht des Imperialen vergessen, während er mit Schreien über gestohlenes Backwerk hinter ihr herrannte. Ohne darüber nachzudenken oder zu zögern, habe ich das Bein ausgestreckt. Kaum hatte ich gesehen, wie das Gesicht des Wachmanns aufs Pflaster knallte, rannte ich auch schon hinter dem schlaksigen Mädchen mit dem krausen Haar her, das einfach durch mich durchgerannt war.

An diesem Tag entstand eine unsichere Allianz. Und so hätte es eigentlich auch bleiben sollen.

Meine Hand erstarrt mitten in der Luft, knapp über einer dicken Pampelmuse, als ein schriller Schrei den Lärm von Beute durchschneidet. Ich wirbele herum, die Frucht ist vergessen, lasse den Blick über die Menge gleiten, um die Quelle des Geräuschs zu finden. Meine Augen gleiten über die Leute hinweg, bis sie an einer kleinen, zusammengesackten Gestalt hängen bleiben, die an einem rot gefärbten Holzpfahl mitten auf der Straße lehnt. Über dem kleinen Jungen ragt ein Imperialer mit Peitsche in der Hand auf, der widerlich selbstgefällig auf den Jungen heruntersieht. Ich kenne diesen Blick nur zu gut. Viel zu oft war ich dieses blutende Kind.

Der Kleine hat sich erwischen lassen.

Ich frage mich, was er wohl gestohlen hat, das so eine Tracht Prügel rechtfertigt. Ein paar Früchte? Vielleicht ein paar Schillinge von einem Händler? Ich erinnere mich, wie ich vor diesem Pfosten gekauert und bei jedem Peitschenschlag vor Schmerzen gezittert habe, während ich mir auf die Zunge biss, um nicht zu schreien. Die Schmerzen vergehen … aber die Narben erinnern mich täglich daran, klüger zu sein.

Es sind immer die Jüngeren, die sich erwischen lassen. Sie sind unvorsichtig. Sie haben noch nicht gelernt, ihre Gier zu zügeln, mit dem Hunger zu leben … sodass sie leichte Beute für Imperiale sind, die ein Exempel statuieren wollen.

Es gibt nichts, was du für ihn tun könntest.

Ich muss es mehrfach in meinem Kopf wiederholen, um mich davon abzuhalten, zu dem Jungen zu gehen. Denn das habe ich einmal versucht. Ich habe es gewagt, mich einzumischen und einem kleinen Mädchen zu helfen, das mich an mich selbst erinnert hat. So verängstigt und gleichzeitig so entschlossen, sich ihre Angst nicht anmerken zu lassen. Als sie zu mir aufgesehen hat, spiegelte das Feuer in ihrem Blick das Feuer, das auch in mir brennt. Aber letztendlich endete mein Rettungsversuch nur mit weiteren Peitschenhieben für uns beide.

Mit einer Grimasse wende ich mich von der scheußlichen Szene ab, nur um fast in eine gestärkte, verknitterte Uniform zu beißen, als ich gegen den Abschaum renne, der sie trägt.

Der Imperiale starrt auf mich herunter. Erheiterung leuchtet in den Augen, die von einer weißen Maske umgeben sind. Obwohl er wirkt, als wäre er mindestens zehn Jahre älter als ich – mit Haaren, die in seltsame Richtungen abstehen –, lässt er langsam den Blick über meinen Körper gleiten. Ich beiße mir auf die Zunge, bevor ich etwas sagen kann, das ich wahrscheinlich sehr schnell bereuen würde.

Imperiale sind nicht dafür bekannt, junge Frauen besonders zuvorkommend zu behandeln – eigentlich tun sie das mit niemandem –, und ich habe nicht vor herauszufinden, ob er eine Ausnahme von dieser Regel darstellt. »Es tut mir so leid, Sir. Offenbar bin ich heute wirklich ungeschickt«, sage ich, bereits damit beschäftigt, meine Flucht durch die Menge zu planen.

»Warum hast du es so eilig?« Sein fieses Grinsen und das Glitzern in seinen schwarzen Augen jagen mir einen kalten Schauder über den Rücken. Und dass sein Atem nach Alkohol stinkt, verstärkt meine Unruhe nur.

Mit einem höflichen Lächeln löse ich mich aus seinem Griff. »Ich versuche nur, einiges zu erledigen, bevor es auf dem Markt zu voll wird. Das ist alles.«

»Hmmm«, brummt er, begleitet von einem skeptischen Blick. »Sag mal, was für eine Fähigkeit hast du, Mädchen?« Ich muss darum kämpfen, entspannt zu bleiben, als er grinsend fortfährt: »Laut des Dekrets des Königs soll ich jeden befragen, der … meiner Meinung nach befragt werden sollte.«

Er liebt die Kontrolle. Liebt die Macht.

»Ich bin eine Banale«, sage ich schlicht und gebe damit meinen Platz in der Nahrungskette der Eliten bekannt, um zu beweisen, dass ich keine Bedrohung darstelle und für ihn auch nicht von Interesse bin. »Eine Seherin.« Ich blicke ihm geradewegs in die schwarzen Augen und hoffe inständig, dass er mir glaubt.

»Ach wirklich? Ich bin noch nie einer Seherin begegnet.« Er lacht finster, dann tritt er einen Schritt vor und senkt den Kopf, sodass ich erneut den Alkohol in seinem Atem rieche. »Beweis es mir.«

Ich bin diese Forderung langsam ziemlich leid.

Ich halte den Blick des Imperialen; weigere mich, ihm die Befriedigung zu gönnen, dass er sich auch nur einbildet, ich wäre besorgt … obwohl mein rasender Puls das Gegenteil beweist. »Ich empfange Wut und … Bedauern. Ihr … Ihr habt Euch gerade von Eurer Ehefrau getrennt. Na ja, tatsächlich hat sie Euch verlassen.« Seine schockierte Miene droht ein Lächeln auf mein Gesicht zu zaubern. »Und wenn Ihr möchtet, dass ich konkreter werde, nachdem Ihr, nun, mich angewiesen habt, meine Fähigkeit zu beweisen … die Trennung kommt daher, dass Ihr …« Ich unterbreche mich mitten im Satz, schließe fest die Augen und massiere mir die Schläfen, um eine glaubwürdige Show zu bieten.

»… Ihr habt sie betrogen? Moment, ich empfange noch etwas anderes …« Ich spähe in sein Gesicht, inzwischen rot vor Wut, lasse die Fingerspitzen weiter an meinen Schläfen kreisen. »Ihr … Ihr wollt sie zurück. Aber sie will Euch nicht …«

Ich habe mich bereits auf den Schlag vorbereitet, bevor sein Handrücken mein Gesicht trifft.

Blut spritzt aus meinem Mund, aber ich halte den Kopf abgewandt, als er direkt neben mir knurrt: »Du bist eine verdammte Hexe. Geh mir aus den Augen, Banale.«

Ich wirbele lächelnd auf dem Absatz herum. Blut füllt meinen Mund und rinnt mir übers Kinn. Ich zwinge mich, gegen einen Karren zu stolpern, wobei ich nach dem Stoff greife, der hinter meinem Rücken über die Kante hängt. Eilig drehe ich mich um, presse mir das Bündel an die Brust und renne so schnell wie möglich davon, wobei ich mit den Zähnen eine Ecke abreiße, um mir Mund und Kinn abzuwischen. Ich werde einen Teil des Stoffs als Taschentuch verwenden, und den Rest kann ich Adena bringen. Zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich stopfe den verbliebenen Stoff in meinen Rucksack, bereits gefüllt mit Essen, Münzen und anderem Diebesgut, und wandere zurück zum Fort, in Gedanken noch bei den letzten fünf Minuten.

Es fiel mir nicht schwer, dem Imperialen unter die Haut zu gehen. Und ich wusste, sobald ich das geschafft hatte, würde er mir eine Ohrfeige verpassen und mich laufen lassen. Es war nicht das erste Mal, dass ich es darauf angelegt hatte. Und meine Fähigkeiten als Seherin zu beweisen, war mir nicht schwergefallen, angesichts der Beweise, die sein Körper mir geliefert hat.

Die dünne helle Linie an seinem leeren Ringfinger war der erste Hinweis darauf, dass er offiziell verheiratet war. Dann war da die Tatsache, dass er seinen Ehering an die andere Hand verschoben hatte, statt ihn abzulegen, was mir verraten hat, dass seine Ex-Frau ihm noch etwas bedeutet und er ihr wahrscheinlich noch hinterherheult. Das zerzauste Haar, die verknitterte Uniform und der Geruch von Whiskey in seinem Atem beweisen zusätzlich, dass er ein alleinstehender Mann ist, der keine Frau mehr hat, die auf sein Auftreten achtet.

Männer würden wahrscheinlich aussterben, gäbe es keine Frauen, die sie umsorgen.

Und der Teil, dass er seine Frau betrogen hat … nun, das war eher eine fundierte Vermutung, basierend darauf, wie er mich angesehen hat, kombiniert mit dem herausragenden Ruf, den sich die Imperialen erworben haben. Offensichtlich habe ich mit der Mutmaßung einen Nerv getroffen, bevor seine Hand mein Gesicht erreicht hat.

Die Mittagssonne brennt auf mich herunter, während ich zum Fort zurückgehe, um mich wie immer mit Adena zum Mittagessen zu treffen. Ich lasse mir Zeit dabei, durch Beute zu schlendern, nage an einem Apfel, so wie der Hunger an mir nagt.

In der Luft hängt der salzige Geruch der Räucherfische, die von den Sparren der Händlerkarren hängen. Kinder rennen vor mir vorbei, jagen sich lachend über die Straße. Das Geräusch des unablässigen Feilschens und Fluchens klingt für mich wie ein Chor, eine unendlich vertraute Melodie.

Mir fällt ein großes, farbenfrohes Banner ins Auge, das gerade über der Gasse gehisst und von einem Kriecher zwischen zwei Läden befestigt wird. Der Mann huscht die Wand nach oben, als hätte er Kleber an Händen und Füßen, was ihm erlaubt, die glatte Oberfläche mühelos zu erklimmen. Als er das Seil befestigt, richte ich meine Aufmerksamkeit auf die Worte, die in großen schwarzen Lettern auf dem grünen Stoff prangen.

Die sechsten Säuberungsspiele

Stehen bevor

Erinnert euch an die Säuberung.

Dankt der Seuche.

Ehrt Euer Königreich,

Ehrt Eure Familie und Ehrt Euch selbst.

Ihr könntet DER nächste

siegreiche Elite sein.

Ich schnaube und verschlucke mich fast an einem Apfelbissen. Obwohl die Säuberungsspiele nichts sind, worüber man lachen sollte, finde ich es einfach unterhaltsam, dass sie eine Feier sein sollen. Die Spiele wurden zu Ehren der Großen Säuberung vor über drei Jahrzehnten geschaffen, um die übernatürlichen Fähigkeiten der Leute vorzuführen und das einzige Elite-Königreich zu ehren.

Ich würde ja nicht sagen, dass es mir, meinem Königreich oder meiner Familie zur Ehre gereicht, wenn sich Leute gegenseitig umbringen – nicht dass ich noch irgendwen hätte, dem ich Ehre machen könnte. Und doch werden alle fünf Jahre junge Eliten ausgewählt, um in diesen Spielen anzutreten, für den Ruhm und genug Schillinge, um sich eine eigene gemütliche Burg zu bauen, in der man dann versuchen kann, mit den seelischen Schäden umzugehen, die die Spiele hinterlassen haben.

Aber was vor allem dafür sorgt, dass ich gleichzeitig vor Wut zittere und mich vor Lachen schüttele, ist die Tatsache, dass man die geringeren Eliten – diejenigen mit defensiven oder banalen Fähigkeiten – tatsächlich glauben lässt, sie hätten eine Chance, bei diesen verdrehten Spielen den Sieg davonzutragen. Plötzlich fühle ich mich wie betäubt, als ich die aufgeregten Gesichter um mich herum mustere. Alle drängen sich unter dem Plakat, grinsend, deutend.

Wir sind die Ersten, die sterben.

Die Eliten, die in den Spielen antreten, werden nicht ausgewählt, sondern vielmehr in ihr Schicksal geboren. Es sind immer diejenigen mit königlichem Blut oder höherem Status in der Hackordnung der übersinnlichen Fähigkeiten. Ich lasse den Blick über die Menge gleiten. Meine Augen finden die vertrauten Gesichter von Banalen, die nur zur Unterhaltung in die Spiele geworfen werden … nachdem der König uns erlaubt, diejenigen auszuwählen, von denen wir wollen, dass sie uns vertreten.

Obwohl der König darauf beharrt, dass es verpönt ist, in der Arena andere Eliten zu töten, ist es kein Geheimnis, dass der Tod höchstpersönlich Teilnehmer bei den Spielen ist. Anscheinend machen sterbende Jugendliche die ganze Sache viel unterhaltsamer. Und wenn die anderen Eliten das Töten nicht übernehmen, wird der König in der Arena die Strippen ziehen.

Ich dränge mich durch die Menge unter dem Plakat. Alle reden aufgeregt darüber, wer Beute vertreten wird und was sie selbst mit der Siegprämie anstellen würden.

Es gab nur sehr wenige Momente in meinem Leben, in denen ich die Eliten nicht beneidet habe. Aber bei dem Gedanken, an den Säuberungsspielen teilnehmen zu müssen, war ich immer dankbar, ein Nichts ohne Bedeutung zu sein.

Vollkommen gewöhnlich.

4

Paedyn

»Willst du die noch essen?« Ich lehne an der Gassenwand hinter dem Fort, und Adena beäugt die halbe Orange auf meinem Schoß.

»Nimm sie nur.« Die Worte haben meinen Mund kaum verlassen, da beugt sie sich schon vor. Ihr lockiges Haar bewegt sich in der leichten Brise, als sie sich die Frucht schnappt und in den Mund schiebt.

Der Imperiale mit dem eindrucksvollen Rückhandschlag hat mir das schöne Geschenk einer aufgeplatzten Lippe hinterlassen, was essen ziemlich verkompliziert. »Wie lief es bei dir heute?«, frage ich, damit beschäftigt, gedankenverloren den dicken silbernen Ehering an meinem Daumen zu drehen.

Der kalte Stahl des Rings meines Vaters gleitet über meine Haut, beruhigend wie immer. Ich besäße wohl auch den Ring meiner Mutter, wäre er nicht mit ihr beerdigt worden, als ich noch ein Baby war. Krankheit, hat Vater gesagt. Sie war eine Gewöhnliche … und wir sind offensichtlich die schwächeren, krankheitsanfälligeren Menschen.

Aber er hat sie trotzdem geheiratet. Hat sie trotzdem geliebt. Hat sie beschützt und ihr Geheimnis genauso gewahrt wie meines.

Adena seufzt. Ich werde zurück in die Gegenwart gerissen, als sie kauend erklärt: »Kann mich nicht beschweren. Oh! Ich habe dieses Oberteil verkauft, an dem ich so lange gearbeitet habe! Für drei ganze Schillinge! Du weißt schon, das grüne mit dem tiefen Ausschnitt und dem gewellten Saum …«

Ich schenke ihr denselben verwirrten Blick, den ich ihr jedes Mal zuwerfe, wenn sie anfängt, in Näherinnensprache zu reden.

»Ach, du bist wirklich hoffnungslos, wenn es um Kleidung geht, Pae.«

Ich senke den Blick, um mein ramponiertes Hemd und die olivgrüne Weste zu mustern, die ich darüber trage. An dem Tag, an dem Adena mir die Weste mit den vielen Taschen angefertigt hat – perfekt geeignet für eine Diebin –, hat sich alles verändert. An diesem Tag hat unsere unsichere Allianz langsam begonnen, sich zu einer Freundschaft zu entwickeln.

Adena tippt sich nachdenklich mit dem Finger gegen die Lippen. »Ich wette, wenn du die richtige Kleidung hättest, wären alle zu sehr damit beschäftigt, dich anzustarren, um auch nur zu bemerken, dass du sie ausraubst.«

Ich schnaube. »Mir wäre es lieber, wenn die Leute mich nicht anstarren, während ich Verbrechen begehe. Das erscheint mir sogar ziemlich zweckwidrig.«

Ich greife nach meinem Dolch und schiebe ihn in den Stiefel, lasse vorher noch die Fingerspitzen über den silbernen Griff mit dem geschwungenen Muster darauf gleiten. Die Waffe ist außer dem Ring das einzige Andenken, das ich an Vater habe – und beides trage ich immer bei mir. Ich bewundere den aufwendig gestalteten Griff zum hundertsten Mal, dann zucke ich zusammen, als mir etwas einfällt. »Sei heute vorsichtig, A. Aus irgendeinem Grund sind weniger Wachen unterwegs als gewöhnlich, und das gefällt mir nicht. Halt …« Ich kämpfe darum, die richtigen Worte zu finden. »Halt einfach die Augen nach allem offen, was vom Üblichen abweicht, okay?«

Sie wirkt ein wenig beunruhigt, doch trotzdem kneift sie neckend die Augen zusammen. »Ist das deine Hellsicht, die dich vor möglicher Gefahr warnt?«

»Jepp, wir müssen definitiv an deiner Subtilität arbeiten.« Lächelnd schüttele ich den Kopf, bevor ich gespielt genervt seufze.

Dann stehe ich auf, um mich auf den Weg zu machen; stöhne, als ich meinen wunden Körper strecke. Adena sammelt ihre Kleidung ein – jedes Stück in einer anderen Größe und Farbe – und winkt mir widerwillig zum Abschied, bevor sie zurück auf die Beuteallee tritt, in der Hoffnung, vor Sonnenuntergang noch mehr zu verkaufen.

Auch ich trete auf die belebte Straße, die jetzt im warmen Licht der Nachmittagssonne liegt, und halte auf das Gedränge des Marktplatzes zu. Ich beginne mit einfachen Übungen. Stehle ein paar Früchte und Stoff … bis mir langweilig wird und ich mich größeren, lohnenderen Zielen zuwende. Geldbeutel, Uhren und Schillinge sind es, auf die ich es heute Abend wirklich abgesehen habe.

Ich entdecke einen Mann mit dunkelblauem Haar und einer glitzernden Uhr an seinem dicken Handgelenk und entscheide schnell, ihn zu meinem nächsten Opfer zu machen. Ich spähe die belebte Straße entlang und entdecke noch ein paar andere Leute mit außergewöhnlich gefärbtem Haar in der Menge – ein Beweis, dass die Seuche, die bis in die Gene der Leute eingreift, mehr Vorteile zu bieten hatte als nur übernatürliche Fähigkeiten. Doch obwohl ich dichtes silbernes Haar auf dem Kopf trage, wurde mir dazu keine Fähigkeit verliehen. Es dauert viel zu lange, dem blauhaarigen Mann zu entkommen, nachdem ich seine Uhr gestohlen habe. Nicht etwa weil er mich erwischt hätte – sondern weil er nicht aufhören wollte, mit mir zu reden. Als ich gegen ihn gestolpert und ihm das Schmuckstück mit einer geschickten Bewegung abgenommen hatte, wurde schnell offenkundig, dass sich der arme Mann danach verzehrte, mit jedem zu tratschen, der bereit war, ihm ein Lächeln und ein Nicken zu schenken.

Ich stehe kurz davor, es für heute gut sein zu lassen und den Abend zu einem angemessenen Erfolg zu erklären, als eine ganz in Schwarz gekleidete, große Gestalt auf die Beuteallee schlendert. Der Mann bewegt sich voller Selbstbewusstsein, die in heftigem Kontrast steht zu der vorgebeugten Haltung, die sich die Obdachlosen angewöhnt haben, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich auf sich zu ziehen.

Aber dieser Mann … Es fällt mir schwer, den Blick von ihm abzuwenden.

Er trägt ein lockeres Knöpfhemd, das er in die eng anliegende schwarze Hose geschoben hat, hinter einen schlichten Gürtel. Die Knöpfe am Kragen stehen offen, sodass sich der Stoff in der Brise bewegt und Teile seiner gebräunten Brust enthüllt. Aus dieser Entfernung kann ich sein Gesicht nicht deutlich sehen, aber sein teerschwarzes Haar fällt ihm in unordentlichen Locken in die Stirn. Die Hände tief in den Taschen vergraben, dringt er mit großen Schritten weiter auf den Markt vor. Er wirkt kühl und gelassen.

Er ist nicht von hier. Das erkenne ich daran, wie er sich umschaut, als sähe er alles zum ersten Mal. Wahrscheinlich ist er ein Offensiver – eine Elite mit höherem Status oder adligem Blut, die kaum je die Slums betritt. Die Art, wie er geht, und seine glänzenden Schuhe verraten mir, dass dieser Mann mehr Geld bei sich trägt als nur ein paar jämmerliche Schillinge. Ich kneife die Augen zusammen, um herauszufinden, wo er dieses wahrscheinlich aufbewahrt.

Da.

Ein Beutel, mit einem Band an seinem Gürtel befestigt, schlägt bei jedem Schritt gegen sein Bein. Die Art von Beutel, die viele Ilyaner verwenden, um ihr Kleingeld darin aufzubewahren. Na ja, die selbstsicheren Ilyaner – wenn man bedenkt, dass ein frei hängender Geldbeutel schnelles Geld für Diebe bedeutet. Schnelles Geld für mich.

Mein letztes unglückliches Opfer für den heutigen Abend.

Nur gut, dass er so verflixt groß ist, sonst hätte ich ihn in der Menge verloren. Ich bemerke, wie Frauen aller Altersklassen sich nach ihm umdrehen, als er an ihnen vorbeikommt – bemüht, einen besseren Blick auf den gut aussehenden Fremden zu erhaschen, bevor er wieder im Gedränge verschwindet. Ich schiebe mich durch die Menge, folge ihm, bis er zwischen zwei Händlerkarren hindurchgeht, um die Allee zu verlassen und auf eine weniger belebte Straße zu treten. Ich schüttele mein Haar aus, erlaube meinen langen Locken, offen über meine Schultern zu fallen, dann springe ich in eine Gasse, um ihm den Weg abzuschneiden. Die schmale Gasse, die ich gewählt habe, führt mich auf dieselbe Straße, die der Fremde gewählt hat … sodass ich jetzt direkt auf ihn zugehe.

Als wir kollidieren, halte ich den Blick stur zu Boden gerichtet.

Wie üblich tue ich so, als hätte der Aufprall mich nach hinten geworfen. Ich stolpere, kämpfe dabei gegen den Instinkt, einen Ausfallschritt zu machen und mich so zu fangen. Starke Arme schlingen sich um meine Taille, um mich zu stützen, sodass sein Geldbeutel für Abschaum wie mich frei zugänglich ist. Ich vergrabe die Finger vorne in seinem Hemd, gebe vor, es wäre ein Reflex, um mein Gleichgewicht zu wahren. Aber eigentlich brauche ich nur eine Ausrede, um meine Hände in die Nähe seines Körpers zu bringen, ohne Verdacht zu erregen.

Die verhungernden Jungs aus Beute fühlen sich nicht so an.