Praxiswissen User Requirements - Thomas Geis - E-Book

Praxiswissen User Requirements E-Book

Thomas Geis

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Beschreibung

User Requirements Engineering schlägt die Brücke zwischen Human-centred Design (HCD) und Requirements Engineering. Es verbindet User-Research-Methoden mit Theorie und Methoden der Anforderungsanalyse, um den Fokus auf die eigentlichen Nutzer eines Systems zu setzen. Das Buch vermittelt Wissen über die Grundlagen und deren praktische Anwendung für die Herleitung und Strukturierung von Nutzungsanforderungen. Nach einer fundierten Einführung in die Nutzungskontextanalyse erläutern die Autoren wesentliche Begriffe sowie Methoden von User Research und User Requirements Engineering. Detailliert wird beschrieben, wie Benutzergruppenprofile erstellt, Nutzungskontextinformationen erhoben und dokumentiert, Erfordernisse aus Nutzungskontextbeschreibungen extrahiert und Nutzungsanforderungen spezifiziert, strukturiert und priorisiert werden. Der Leser gewinnt ein tiefes Verständnis für Human-centred Design und wie die Nutzungsqualität interaktiver Systeme bereits zu Projektbeginn berücksichtigt werden kann. Dieses Buch eignet sich nicht nur als Vorbereitung auf die Zertifizierung CPUX-UR, sondern auch als kompaktes Basiswerk zum Thema "User Requirements" in der Praxis und an Hochschulen.

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Thomas Geis ist Geschäftsführer der ProContext Consulting GmbH und seit 25 Jahren Vollzeit im Arbeitsgebiet Usability-Engineering tätig. Er ist Vorsitzender des International Usability and User Experience Qualification Board (UXQB) und Gründer des Arbeitskreises Qualitätsstandards des deutschen Berufsverbands der Usability und User Experience Professionals (German UPA), Leiter des ISO-Ausschusses »Common Industry Format for Usability«, Editor von ISO 9241-110 »Grundsätze der Dialoggestaltung« und von ISO 25060 »Common Industry Format (CIF) for Usability – General Framework for Usability-related Information«, Leiter des DIN-Ausschusses »Benutzungsschnittstellen« sowie Träger des Usability Achievement Award der German UPA (2013).

Knut Polkehn ist seit vielen Jahren als Partner, Berater und Projektleiter bei artop – Institut an der Humboldt-Universität zu Berlin tätig. Zu seinen Aufgabenbereichen gehören Kundenprojekte zu Analyse, Design und Evaluation interaktiver Systeme sowie die Weiterbildung von Usability Professionals. Als systemischer Komplementärberater bildet die Begleitung von Veränderungsprozessen durch Training, Mentoring, Moderation sowie verschiedene Formen von Fach- und Prozessberatung insbesondere hinsichtlich des Etablierens von Human-centred Design-Aktivitäten in Organisationen einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Er bringt seine Expertise in Arbeitskreisen der German UPA sowie im Vorstand des UXQB e.V. ein und ist Co-Editor für das Curriculum CPUX-UR.

Zu diesem Buch – sowie zu vielen weiteren dpunkt.büchern – können Sie auch das entsprechende E-Book im PDF-Format herunterladen. Werden Sie dazu einfach Mitglied bei dpunkt.plus+:

www.dpunkt.plus

Thomas Geis · Knut Polkehn

PraxiswissenUser Requirements

Nutzungsqualität systematisch, nachhaltig und agil in die Produktentwicklung integrieren

Aus- und Weiterbildung zum UXQB® Certified Professionalfor Usability and User Experience – Advanced Level»User Requirements Engineering« (CPUX-UR)

Thomas Geis

[email protected]

Knut Polkehn

[email protected]

Lektorat: Christa Preisendanz

Copy-Editing: Ursula Zimpfer, Herrenberg

Satz: Birgit Bäuerlein

Herstellung: Stefanie Weidner

Umschlaggestaltung: Helmut Kraus, www.exclam.de

Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN:

 

Print

978-3-86490-527-8

PDF

978-3-96088-587-0

ePub

978-3-96088-588-7

mobi

978-3-96088-589-4

1. Auflage 2018

Copyright © 2018 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Alle Angaben und Programme in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt kontrolliert. Weder Autor noch Verlag können jedoch für Schäden haftbar gemacht werden, die in Zusammenhang mit der Verwendung dieses Buches stehen.

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Geleitwort

Der Berufsverband der Deutschen Usability und User Experience Professionals (German UPA) wurde im Jahr 2002 gegründet und hat heute mehr als 1400 Mitglieder (Stand: Dezember 2017). Im Jahr 2013 wurde zunächst innerhalb des Berufsverbands durch den Arbeitskreis Qualitätsstandards das Zertifizierungsschema »Certified Professional for Usability and User Experience – Foundation Level« (CPUX-F) erarbeitet und veröffentlicht.

Aufgrund der starken internationalen Nachfrage nach dem Zertifikat wurde dann das »International Usability and User Experience Qualification Board« (UXQB e.V.) aus der German UPA ausgegründet. Seit 2014 haben sich inzwischen weltweit mehr als 3000 Personen zertifizieren lassen. Inzwischen gibt es die beiden Advanced-Level-Zertifizierungen »User Requirements Engineering« (CPUX-UR) und »Usability Testing and Evaluation« (CPUX-UT).

Der UXQB e.V. konstituiert sich durch internationale Mitgliedsorganisationen und deren Experten in Großbritannien, Dänemark, Österreich und der Schweiz sowie durch Experten aus Deutschland. Strategische Partner des UXQB e.V. sind inzwischen das International Requirements Engineering Board (IREB e.V.), das International Institute of Business Analysis™ (IIBA®) und das German Testing Board e.V. (GTB).

Der Berufsverband der Deutschen Usability und User Experience Professionals ist stolz darauf, dass sich das Berufsbild des »Usability und User Experience Professional« auf Grundlage der Zertifizierungen des UXQB stark professionalisiert hat.

Das vorliegende Buch der beiden langjährigen Verbandsmitglieder und Arbeitskreisleiter Thomas Geis und Knut Polkehn ist ein wertvoller Beitrag aus der Praxis für die Praxis und hilft bei der systematischen Einbindung der Benutzer eines interaktiven Systems bereits zu Beginn der Entwicklung.

Das Thema Usability und User Experience hat in den letzten 15 Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Ich freue mich, dass es mit dem vorliegenden Buch nun eine fundierte und verständliche Vorgehensbeschreibung gibt, die in jedem Softwareentwicklungsprojekt umgesetzt werden sollte.

Astrid BeckPräsidentin des Berufsverbands der Deutschen Usability und User Experience Professionals (German UPA)

Vorwort

Usability, User Experience und Human-centred Design (HCD) haben sich vom Schlagwort zum genormten Konzept entwickelt. ISO 9241-210 »Human-centred design for interactive systems« definiert die drei Begriffe und beschreibt den grundsätzlichen Prozess der Entwicklung gebrauchstauglicher interaktiver Systeme.

Dieser Prozess beinhaltet die folgenden Handlungsfelder menschzentrierter Gestaltung:

Den Nutzungskontext verstehen und beschreiben.

Die Nutzungsanforderungen spezifizieren.

Gestaltungslösungen entwerfen, die die Nutzungsanforderungen erfüllen.

Gestaltungslösungen aus der Benutzerperspektive evaluieren.

Das vorliegende Buch beschreibt unter dem Titel »User Requirements Engineering« für die ersten beiden Handlungsfelder konkret, wie man welche Aktivitäten professionell durchführt und dokumentiert, wie man

die Informationen identifiziert und beschreibt, die den Nutzungskontext für die Gestaltung eines interaktiven Systems darstellen, und

hieraus Nutzungsanforderungen ableitet und spezifiziert, die die Basis für die Entwicklung und Evaluierung von Gestaltungslösungen bilden.

Außerdem fokussiert dieses Buch auf ein Vorgehen, das Nutzungskontextinformationen und Nutzungsanforderungen

explizit,

systematisch,

nachvollziehbar und

wiederverwendbar

macht.

Dies ist besonders wichtig in Projekten, in denen sich Nutzungskontexte als komplex und risikobehaftet erweisen und spätere Korrekturen bei Lösungen sehr teuer bzw. unmöglich sind, und immer dann, wenn viele Personen in einem Projekt (oder mehreren Projekten eines Projektprogramms) miteinander kommunizieren und parallel agieren müssen. Typische Beispiele sind Entwicklungsprojekte für Medizinprodukte oder auch autonome Systeme, die Gefährdungssituationen verursachen können.

Des Weiteren führt User Requirements Engineering gemäß unserer Erfahrung zielgerichtet zu Konsens in Projekten mit vielen Stakeholdern, weil die Sichtbarkeit von Anforderungen der Benutzer an die Nutzung eines interaktiven Systems im Kontext der Anforderungen weiterer Stakeholder zu einer nutzerzentrierten Sicht im Projekt führt. So kann z.B. User Requirements Engineering als »Vorprojekt« sicherstellen, dass das »Hauptprojekt« in die richtige Richtung läuft.

Im Innovationsmanagement kann dieses Vorgehen der gezielten Identifikation von bisher unbekannten Nutzungsanforderungen dienen, die sich auf diese Weise methodisch aufdecken lassen, und somit Ansätze ergänzen wie Lean UX und Design Thinking, bei denen Nutzungsanforderungen eher implizit im gemeinsamen Verstehen von User-Research-Ergebnissen und der darauf basierenden Erarbeitung von Ideen und Konzepten im Team betrachtet werden.

Der in diesem Buch vorgestellte Ansatz des User Requirements Engineering basiert auf dem Curriculum für den »Certified Professional for Usability and User Experience – Advanced Level User Requirements Engineering« (CPUX-UR) des International Usability and User Experience Qualification Board (UXQB) und dient zur Vorbereitung auf die entsprechende Zertifizierungsprüfung.

Wir wünschen allen Lesern viel Freude und Erfolg beim Lesen dieses Buches und bei der Anwendung der vorgestellten Konzepte und Methoden in ihren Projekten. Der sich früh einstellende Konsens in den Projekten über das, was aus Sicht der Benutzer des zu entwickelnden Systems wirklich erreicht werden muss, sowie die zufriedenen Benutzer selbst am Ende des Projekts sind ein sehr guter Lohn hierfür.

Thomas Geis und Knut PolkehnKöln/Berlin, im Mai 2018

Danksagungen

Das Autorenteam bedankt sich recht herzlich bei allen, die zum Entstehen und Gelingen dieses Buches beigetragen haben:

Bei den Reviewern, die sorgfältig alle Kapitel des Buches gelesen und uns zahlreiche wertvolle Änderungshinweise gegeben haben.

Bei den National Experts des UXQB e.V. und den Mitgliedern des »Arbeitskreises Qualitätsstandards« der German UPA e.V., die die Qualität des Lehrplans »Certified Professional for Usability and User Experience – Advanced Level User Requirements Engineering« mit ihrem Fachwissen, ihren Beiträgen und Diskussionen sichergestellt haben.

Bei den Experten der ISO/IEC Joint Working Group »Common Industry Format for Usability« (CIF), die den internationalen Konsens über das, was User Requirements wirklich sind und welche Inhalte in einer User Requirements Specification stehen sollen, vorantreiben.

Bei Christa Preisendanz und ihren Kolleginnen und Kollegen vom dpunkt-verlag, die uns in allen Belangen sehr gut beraten und unterstützt haben.

Und natürlich bei unseren Familien, die viele Stunden auf uns Autoren verzichten und oftmals auch unsere Erschöpfung ertragen mussten.

Inhaltsübersicht

1Einleitung

2Was sind User Requirements?

3Nutzungskontextanalysen planen

4Nutzungskontextinformationen erheben und dokumentieren

5Erfordernisse in Nutzungskontextinformationen identifizieren

6Nutzungsanforderungen aus Erfordernissen ableiten und strukturieren

7Nutzungsanforderungen konsolidieren

8Arbeitsprodukte und verantwortliche Rollen als Basis für Nutzungsqualität

Anhang

AAusblick über die Verwendung von Nutzungsanforderungen bei Konzeption und Gestaltung von Benutzungsschnittstellen

BZertifizierung CPUX-UR: Lernziele & Glossarbegriffe (nach [UXQB 2016])

CLiteratur

Index

Inhaltsverzeichnis

1Einleitung

1.1User Requirements Engineering im Zertifizierungsmodell des UXQB

1.2Beiträge des User Requirements Engineering für Wertschöpfung und Innovation

1.3Qualität: Nutzungsqualität und technische Qualität unterscheiden

1.4Anforderungen und Lösungen unterscheiden

1.4.1Nutzungskontext, Erfordernis, Anforderung und Lösung im Zusammenhang

1.4.2Anforderungen (Requirements) von Forderungen (Requests) unterscheiden

1.4.3Der Nutzen von Anforderungen als Basis für die Erarbeitung von Lösungsalternativen

1.5Stakeholder-Anforderungen und Systemanforderungen unterscheiden

1.6User Requirements Engineering im Überblick

1.7Überblick über das Buch – Kapitelstruktur

1.8Lernkontrollfragen

2Was sind User Requirements?

2.1Nutzungsanforderungen als eigene Anforderungskategorie innerhalb der Stakeholder-Anforderungen

2.1.1Wechselseitige Beziehung zwischen Nutzungsanforderungen und anderen Stakeholder-Anforderungen

2.1.2Quellen für qualitative Nutzungsanforderungen

2.1.3Quellen für quantitative Nutzungsanforderungen

2.2Die Komponenten des Nutzungskontexts

2.2.1Die vier Komponenten des Nutzungskontexts

2.2.2Primäre, sekundäre und indirekte Benutzer

2.2.3Benutzergruppen anhand der Komponenten des Nutzungskontexts unterscheiden

2.2.4Angestrebte Arbeitsergebnisse sowie Aufgaben und Teilaufgaben zur Zielerreichung

2.3Lernkontrollfragen

3Nutzungskontextanalysen planen

3.1Anlass und Ziele der Nutzungskontextanalyse ermitteln

3.1.1Typische Anlässe für Nutzungskontextanalysen innerhalb eines Projekts

3.1.2Benutzerbezogene Qualitätsziele: »Was soll aus Benutzersicht innerhalb eines Projekts erreicht werden?«

3.2Das Vorgehen bei der Nutzungskontextanalyse festlegen

3.2.1Klassisches Vorgehen versus modellbasiertes Vorgehen

3.2.2Das klassische Vorgehen bei der Nutzungskontextanalyse

3.2.3Das modellbasierte Vorgehen bei der Nutzungskontextanalyse

3.2.4Modellbasierte Nutzungskontextanalyse, Design Thinking und Lean UX

3.3Lernkontrollfragen

4Nutzungskontextinformationen erheben und dokumentieren

4.1Benutzer für die Erhebung von Nutzungskontextinformationen auswählen und rekrutieren

4.1.1Benutzer, Benutzergruppen und Benutzergruppenprofile

4.1.2Benutzergruppenprofile ermitteln und dokumentieren

4.1.3Rekrutierungsfragebögen auf Basis von Benutzergruppenprofilen erstellen

4.1.4Benutzer rekrutieren

4.2Die Erhebung von Nutzungskontextinformationen vorbereiten und durchführen

4.2.1Meister-Schüler-Modell

4.2.2Qualitative Informationen erheben

4.2.3Methoden zur Erhebung von Nutzungskontextinformationen

4.2.3.1Kontextuelle Interviews

4.2.3.2Vorgehen und typische Fehler bei kontextuellen Interviews

4.2.3.3Beobachtungen

4.2.3.4Vorgehen und typische Fehler bei Beobachtungen

4.2.3.5Fokusgruppen

4.2.3.6Vorgehen und typische Fehler bei Fokusgruppen

4.2.3.7Kriterien für die Auswahl von Erhebungsmethoden

4.2.4Kombination von Erhebungsmethoden

4.3Nutzungskontextinformationen als Nutzungskontextbeschreibungen auswertbar und erfahrbar dokumentieren

4.3.1Beschreibungsformen für Nutzungskontextbeschreibungen

4.4Lernkontrollfragen

5Erfordernisse in Nutzungskontextinformationen identifizieren

5.1Erfordernisse gezielt identifizieren und formulieren

5.2Arten von Erfordernissen

5.3Syntaxregeln für das Formulieren von Erfordernissen

5.4Gütekriterien für Erfordernisse

5.5In Nutzungskontextinformationen enthaltene Erfordernisse gezielt identifizieren

5.6In organisatorischen Anforderungen enthaltene Erfordernisse identifizieren

5.7Forderungen von Erfordernissen unterscheiden

5.8Lernkontrollfragen

6Nutzungsanforderungen aus Erfordernissen ableiten und strukturieren

6.1Erfordernisse gezielt in Nutzungsanforderungen überführen

6.1.1Qualitative und quantitative Nutzungsanforderungen

6.1.2Die Elemente einer qualitativen Nutzungsanforderung

6.1.3Die Elemente einer quantitativen Nutzungsanforderung

6.1.4Gütekriterien für Nutzungsanforderungen

6.1.5Qualitative Nutzungsanforderungen aus Erfordernissen ableiten

6.1.6Syntaxregel für das Formulieren von qualitativen Nutzungsanforderungen

6.1.7Umgang mit sich widersprechenden Erfordernissen bei resultierenden Nutzungsanforderungen

6.2Nutzungsanforderungen angemessen strukturieren

6.2.1Nutzungsanforderungen nach zu unterstützenden Aufgaben strukturieren

6.2.2Aufgabenmodelle für jede zu unterstützende Aufgabe entwickeln

6.2.3Einsatz der Struktur »Aufgaben/Teilaufgaben/Nutzungsanforderungen« bei modellbasierten Nutzungskontextanalysen

6.3Lernkontrollfragen

7Nutzungsanforderungen konsolidieren

7.1Angemessenheit, Vollständigkeit und Relevanz von Nutzungsanforderungen aus Benutzersicht sicherstellen

7.1.1Das Kano-Schema zur Einordnung der Relevanz von Nutzungsanforderungen

7.1.2Konsolidierungsworkshops mit Benutzern durchführen

7.2Die Umsetzungspriorität von Nutzungsanforderungen mit Projektbeteiligten festlegen

7.3Lernkontrollfragen

8Arbeitsprodukte und verantwortliche Rollen als Basis für Nutzungsqualität

8.1Arbeitsprodukte im User Requirements Engineering

8.2Verantwortliche Rollen

8.3Produkt-, Projektmanagement und Systementwicklung

8.4Als User Requirements Engineer erfolgreicher Lieferant anderer Rollen sein

8.5Lernkontrollfragen

Anhang

AAusblick über die Verwendung von Nutzungsanforderungen bei Konzeption und Gestaltung von Benutzungsschnittstellen

BZertifizierung CPUX-UR: Lernziele & Glossarbegriffe (nach [UXQB 2016])

CLiteratur

Index

1Einleitung

Mit dem vorliegenden Buch verfolgen die Autoren mehrere Zwecke: Zum Ersten sollen interessierte Leser eine Einführung und einen Überblick über das Thema User Requirements Engineering erhalten, zum Zweiten soll anhand von Methodenbeschreibungen und Beispielen Zugang zum eigenständigen Erarbeiten der Methodik für die Anwendung in den eigenen Projekten gegeben werden. Und zum Dritten soll das Buch ermöglichen, sich im Selbststudium auf die erfolgreiche Teilnahme an der Zertifizierungsprüfung zum »Certified Professional for Usability and User Experience – Advanced Level User Requirements Engineering« (CPUX-UR) des UXQB vorzubereiten.

Das Buch bietet keine allgemeine Einführung in Usability Engineering oder User Experience Design (siehe hier z.B. [Hartson & Pyla 2012]), sondern es fokussiert auf die beiden Handlungsfelder der menschzentrierten Gestaltung »Verstehen und Beschreiben des Nutzungskontexts« sowie »Spezifizieren der Nutzungsanforderungen« [ISO 9241-210:2010]. Es setzt also einschlägiges Vorwissen auf dem Niveau der CPUX-F-Zertifizierung des UXQB e.V. [UXQB 2018]1voraus.

Der in diesem Buch dargestellte Inhalt beruht auf verschiedenen Quellen. Hauptquelle ist das Curriculum und Glossar CPUX-UR des UXQB e.V. [UXQB 2016]. Der dort verwendete Inhalt wurde unter Berücksichtigung der Sichtweisen internationaler Normen, Standards und anerkannter Lehrbücher in einem Peer-Review-Verfahren durch die Editoren, die persönlichen Mitglieder des UXQB sowie die jeweiligen nationalen Experten der Mitgliedsverbände entwickelt. Diese Inhalte werden in diesem Buch im Allgemeinen nicht gesondert referenziert.

Bei Inhalten, die spezifisch für bestimmte Personen, Methoden oder Vorgehensweisen sind, werden die Quellen – teilweise auch als Fußnote – angegeben.

Glossarbegriffe aus dem CPUX-UR-Glossar, die im Vergleich mit dem CPUX-F-Glossar erweitert oder neu eingeführt wurden, werden fett hervorgehoben und erscheinen in der Regel in einem Kasten.

Aus Sicht der Autoren wichtige Merksätze erscheinen ebenfalls in einem Kasten, jedoch ohne Hervorhebung!

Auf Aussagen, die auf den Erfahrungen der Autoren beruhen, wird gesondert hingewiesen. Abbildungen, zu denen keine Quelle angegeben wurde, stammen von den Autoren.

In den folgenden Abschnitten wird das Thema User Requirements Engineering zunächst in das Zertifizierungsmodell des UXQB eingeordnet und dessen Beitrag für Wertschöpfung und Innovation diskutiert. Daran anschließend werden grundlegende Begriffe und Konzepte eingeführt, bevor ein erster inhaltlicher Überblick über das Vorgehen im User Requirements Engineering gegeben wird. Nach einer Erläuterung der Kapitelstruktur dieses Buches finden sich im letzten Abschnitt wie in jedem weiteren Kapitel Lernkontrollfragen zur Unterstützung des Selbststudiums2.

1.1User Requirements Engineering im Zertifizierungsmodell des UXQB

Um zu verstehen, welche Rolle User Requirements Engineering innerhalb des UXQB-Zertifizierungsmodells spielt, muss zunächst inhaltlich geklärt werden, was eigentlich das »Aufgabenobjekt« des User Experience Professional ist. Die Frage ist also, woran die Arbeit des UX Professional wirksam wird.

Sicherlich unstrittig ist, dass es dabei um User Experience geht, insbesondere um alle Aktivitäten, die während der Entwicklung interaktiver Produkte, Systeme oder Services (kurz: interaktiver Systeme) notwendig sind, um beim Benutzer die passende User Experience zu erzeugen.

Abbildung 1–1 zeigt diesen Zusammenhang. Demnach entsteht User Experience dann, wenn Menschen versuchen, mithilfe von interaktiven Systemen ihre Ziele zu erreichen. Die Welt, in der Menschen versuchen, ihre Ziele zu erreichen, wird zum Nutzungskontext und sie selbst werden zu Benutzern.

Abb. 1–1Menschen nutzen interaktive Systeme, um ihre Ziele zu erreichen, und werden so zu Benutzern – Nutzungsqualität wird zum wichtigen Qualitätsmerkmal.

Die individuellen Einstellungen und Merkmale, die Aufgaben sowie die sozialen und physischen Umgebungen von Benutzern beeinflussen,

ob sie ihre Ziele erreichen und mit welchem Aufwand (

Usability

),

ob ihre Erfahrungen und Erlebnisse vor, während und nach der Nutzung interaktiver Systeme ihren Erwartungen entsprechen (

User Experience

),

ob und wie zugänglich das interaktive System für Benutzer mit bestimmten Einschränkungen ist (

Barrierefreiheit

) und

ob Schäden bei der Nutzung des interaktiven Systems auftreten oder zu befürchten sind (

Vermeidung von Schäden aus Nutzung

bzw.

Freiheit von unakzeptablen Risiken

).

Es geht also für den UX Professional – über die reine User-Experience-Fragestellung hinaus – um die Arbeit an der Nutzungsqualität (Usability, User Experience, Barrierefreiheit, Vermeidung von Schäden).

Professionell an der Nutzungsqualität interaktiver Systeme zu arbeiten, heißt also, (a) zu verstehen, welche Voraussetzungen im Nutzungskontext erfüllt sein müssen (Erfordernisse, auf Englisch User Needs), und, damit der Benutzer seine Ziele erreicht, (b) User-Interface-Konzepte für Benutzungsschnittstellen zu entwickeln, die ein optimales zukünftiges Nutzerverhalten unterstützen, also die Erfordernisse des Nutzungskontexts befriedigen.

Abb. 1–2Anforderungen als Brücke zwischen dem Problemraum »Nutzungskontext« und dem Lösungsraum »interaktive Systeme«

Doch wie kann erreicht werden, dass die passenden User-Interface-Konzepte entwickelt werden? Abbildung 1–2 zeigt, dass dazu Designer und Entwickler alle Anforderungen berücksichtigen müssen, die in der zukünftigen Lösung umgesetzt werden sollen, um die Erfordernisse des Nutzungskontexts zu befriedigen. Nutzungsanforderungen (Anforderungen an die Nutzung) dienen also als Brücke zwischen dem Problemraum »Nutzungskontext« und dem Lösungsraum »interaktive Systeme«.

Das Zertifizierungsmodell des UXQB berücksichtigt deshalb bei der Gestaltung seiner Zertifizierungsangebote explizit die Rolle von Nutzungsanforderungen in der menschzentrierten Gestaltung durch die Vermittlung entsprechender systematischer Vorgehensweisen und Methoden.

Allen UXQB-Zertifizierungsangeboten gemein ist der Anspruch, Vorgehensweisen und Methoden anzubieten, die die folgenden Qualitätsaspekte hinsichtlich der Erarbeitung von und des Umgangs mit Arbeitsergebnissen berücksichtigen:

explizit statt implizit

(analytisch, sichtbar, die Methode wirklich anwenden),

systematisch statt unsystematisch

(Nutzung von Vorgehensmodellen, Systematiken, Templates etc.),

nachvollziehbar statt willkürlich

(nachverfolgbar/traceable, erklärend, Stakeholder-tauglich) und

wiederverwendbar statt »einmaliges Strohfeuer«

(einmal investierter Aufwand, der wiederholt nutzbar ist, z.B. über Releases hinweg bzw. auch über Projekte hinweg).

Die Basiszertifizierung »Certified Professional for Usability and User Experience – Foundation Level (CPUX-F)« des UXQB ist vorrangig auf das Kennenlernen und Verstehen der Begriffe und Konzepte rund um Usability and User Experience ausgerichtet.3

Die Advanced-Level-Zertifizierungen des UXQB wiederum zielen auf das Beherrschen von Methoden innerhalb der Analyse, Gestaltung und Evaluierung ab.

In Abbildung 1–2 sind die drei Advanced-Level-Zertifizierungen des UXQB-Zertifizierungsmodells (CPUX-UR, CPUX-UT und CPUX-IIP) dargestellt:

CPUX-UR (User Requirements Engineering) ist mit dem Thema User Requirements Engineering auf das Verstehen des Nutzungskontexts, das Identifizieren der Erfordernisse (User Needs) und das Ableiten von Nutzungsanforderungen (User Requirements) zugeschnitten.

CPUX-IIP (Interaction Specification, Information Architecture and Prototyping) umfasst, wie ausgehend von vorliegenden Nutzungsanforderungen User-Interface-Konzepte, insbesondere hinsichtlich Informationsarchitektur, Interaktionsdesign und Navigation, erarbeitet und anhand von Prototypen erfahrbar gemacht werden können.

CPUX-UT (Usability Testing and Evaluation) umfasst, wie die Nutzungsqualität interaktiver Systeme formativ oder summativ durch echte Benutzer oder mittels Experten-Begutachtungen evaluiert werden können.

Auch wenn die Praxis häufig genug pragmatisches Handeln unter schwierigen Randbedingungen verlangt, hilft das Erlernen einer Methodik, die den oben formulierten Qualitätsansprüchen genügt, bessere Entscheidungen in schwierigen Situationen zu treffen.

Eine beispielsweise in einem Meeting geforderte Lösung in eine Hypothese über angenommene Erfordernisse zurückzuübersetzen, um auf dieser Basis zu diskutieren und bessere benutzerbezogene Projektentscheidungen zu treffen, ist möglich – dank explizit erlernter Methodik.

1.2Beiträge des User Requirements Engineering für Wertschöpfung und Innovation

Für Individuen oder Organisationen, die für sich selbst oder für Dritte interaktive Produkte, Systeme oder Services beschaffen, deren Herstellung beauftragen oder entwickeln, muss sich im IT-Projekt ein Mehrwert realisieren.

So wird ein Arzt als Inhaber einer Praxis, in der eine neue Software für das Management von Behandlungsterminen eingeführt werden soll, daran interessiert sein, dass seine medizinischen Fachangestellten (MFA) in Zukunft effizienter Patienteninformationen und Termine verwalten können, um keine zusätzliche MFA einstellen zu müssen. Ein Techniker in der Praxis hätte andere Interessen, die einen Mehrwert für seine Tätigkeit realisieren würden. Er würde vor allem Wert darauf legen, dass die neue Software kompatibel zu den bestehenden Anwendungen und zur sonstigen IT-Infrastruktur ist. Fragt man die MFA, so möchten sie durch eine neue Software eher in ihren Aufgaben unterstützt als durch eine weitere komplizierte Anwendung behindert werden.

Dieses Beispiel, was auf alle möglichen Business-to-Business(B2B)- oder Business-to-Customer(B2C)-Kontexte übertragen werden kann, zeigt, dass es die unterschiedlichsten Ziele und Beweggründe für verschiedene Stakeholder bei der Beschaffung, Beauftragung oder Entwicklung eines neuen interaktiven Systems geben kann. Diese können potenziell dazu führen, dass den Nutzern je nach Zielsetzung ein aus Sicht von Nutzungsqualität anderes System zur Verfügung gestellt wird. Der Praxisbetreiber nimmt das System, das ihm das größte Einsparpotenzial verspricht, der Techniker entscheidet sich wegen der Kompatibilität eher konservativ und (seien wir ehrlich) die MFA sind als Benutzer zwar Stakeholder, dürften aber wahrscheinlich bei der Entscheidung für ein System kaum mitreden und müssten »mit dem leben, was kommt«.

Im Buch wird als durchgängiges Beispiel eine Software für das Management von Behandlungsterminen in einer Arztpraxis verwendet. Für diese Software werden systematisch die Nutzungsanforderungen aus der Perspektive der beteiligten Benutzergruppen hergeleitet.

Abb. 1–3Stakeholder-Gruppen mit unterschiedlichem Qualitätsfokus

Abbildung 1–3 zeigt unterschiedliche Stakeholder-Gruppen mit ihrem üblichen Qualitätsfokus und wichtigen Qualitätsaspekten. Aus Businesssicht muss das Überleben und die Entwicklung der eigenen Organisation gesichert werden (das gilt auch für die Businessaspekte eines Individuums, das mit dem zur Verfügung stehenden Monatseinkommen klarkommen muss). Aus Sicht von Technologie und Systementwicklung muss sichergestellt sein, dass der Businesswert überhaupt über die passenden IT-Infrastrukturen und Anwendungen realisierbar wird.

Während früher in IT-Projekten vor allem die Technologieperspektive dominierte, setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Entscheidungen in IT-Projekten vor allem hinsichtlich der zu realisierenden Businesswerte gefällt werden müssen [Gothelf & Seiden 2012]. Das ist aus Sicht der Organisation prinzipiell gut, aber das reicht noch nicht, denn der Businesswert hinsichtlich der Entwicklung oder Beschaffung eines interaktiven Systems kann aus Sicht der Autoren nur über die (immer noch viel zu häufig vernachlässigten) Anwender der zu entwickelnden interaktiven Produkte, Systeme oder Services realisiert werden – denn dort wird der Wert durch Nutzung oder Kauf gehoben.

Im B2C-Bereich hat man das wohl längst erkannt. Beobachtet man die Entwicklung der letzten Jahre bei Kunden, Projektpartnern, auf Tagungen und Messen, dann gibt es so gut wie kein B2C-Unternehmen, das nicht schon längst eine UX-Abteilung gegründet hat oder sich in diversen Rollen um User und/oder Customer Experience kümmert.

User Requirements Engineering soll helfen »den Spieß umzudrehen«, indem zunächst auf die potenziell vorhandenen und dann auf die realisierbaren Wertschöpfungsaspekte aufseiten der Nutzer fokussiert wird, um diese in die Businessbetrachtungen einfließen zu lassen. Technologie und Systementwicklung müssen vor allem unter dem Aspekt der für die Wertschöpfung zu realisierenden Rahmenbedingungen gesehen werden.

Im Beispiel der Software für das Management von Behandlungsterminen sollte also zunächst eine Nutzungskontextanalyse unter Berücksichtigung der Benutzergruppen Arzt und MFA stattfinden, um zu verstehen, welche Aspekte der Nutzungsqualität besonders wichtig sind. Vor diesem Hintergrund kann der Betreiber der Arztpraxis herausfinden, was beauftragt, beschafft oder entwickelt werden muss, um eine optimale Wertschöpfung und die Erfüllung seiner Businessziele zu realisieren. Der Techniker muss kontinuierlich ins Projekt einbezogen werden, um das IT-Projekt auch tatsächlich unter den gegebenen technischen Rahmenbedingungen erfolgreich umsetzen zu können. Gegebenenfalls kann entschieden werden, neue technische Voraussetzungen zu schaffen, wenn es sich im Hinblick auf die Zukunft (»falls höhere Nutzungsqualität Businessmehrwerte generiert«) auch unter Kosten- und Aufwandsaspekten für den Betreiber lohnt.

User Requirements Engineering liefert systematisch die Basis für Innovation, d.h. für »die Lösung eines Problems, bei der das Problem dem Benutzer erst bewusst wird, nachdem das Problem nicht mehr vorhanden (abgestellt) ist« [Fischer et al. 2011]. Denn wenn die folgende Formel aus dem Innovationsmanagement [Müller-Prothmann & Dörr]4 gilt:

dann helfen identifizierte Erfordernisse, abgeleitete Nutzungsanforderungen, Benutzergruppenprofile und Aufgabenmodelle dabei, herauszufinden, wo echte Mehrwerte aus Benutzersicht bisher unentdeckt schlummern, oder zu bewerten, ob vermeintlich gute Ideen auch genügend Mehrwert mit sich bringen, der den Aufwand in der Realisierung rechtfertigt. Auch die erfolgreiche Umsetzung von Ideen in der Produkt- bzw. Systementwicklung profitiert von den Ergebnissen des User Requirements Engineering – kann doch jederzeit gegen die abgeleiteten Nutzungsanforderungen getestet werden.

1.3Qualität: Nutzungsqualität und technische Qualität unterscheiden

Die Qualität des zu entwickelnden oder zu beschaffenden interaktiven Systems spielt ohne Zweifel eine wichtige Rolle für die Realisierung der Wertschöpfung durch die Beschaffung oder Nutzung entsprechend der Anforderungen der Stakeholder.

Qualität ist der Grad der Erfüllung von Anforderungen durch ein interaktives System5.

Eine Anforderung ist eine Bedingung oder Fähigkeit, die ein interaktives System erfüllen oder besitzen muss, um einer Vereinbarung, einem Standard, einer Spezifikation oder anderen formal zugrunde gelegten Dokumenten zu genügen.

Nicht ohne Grund sind inzwischen Qualitätssicherungsmaßnahmen Bestandteil von Systementwicklungsprozessen und werden in Standards zu Softwarequalität [ISO/IEC 25010] gefordert. Es muss jedoch zwischen der dort definierten technischen Qualität einerseits und der Nutzungsqualität andererseits unterschieden werden [ISO 9241-220].

Nutzungsqualität ist der Grad der Erfüllung von Stakeholder-Anforderungen durch ein interaktives System.

Nutzungsqualität6 umfasst die Qualitätsdimensionen:

Gebrauchstauglichkeit (englisch:

Usability

)

Barrierefreiheit (englisch:

Accessibility

)

Benutzererlebnis (englisch:

User Experience

)

Freiheit von unakzeptablen Risiken/Vermeidung von Schäden aus Nutzung

7

(englisch:

Freedom from unacceptable risk/Avoidance of harm from use

)

8

Nutzungsqualität ist die Komponente von Qualität, die die Benutzer und andere Stakeholder durch die Interaktion mit dem interaktiven System aktiv wahrnehmen, während die technische Qualität die Voraussetzungen hierfür liefert.

Technische Qualität ist der Grad der Erfüllung von Systemanforderungen durch ein interaktives System.

Technische Qualität9 umfasst die Qualitätsdimensionen:

Funktionale Angemessenheit (englisch:

Functional Appropriateness

)

Technische Performanz (englisch:

Performance

)

Interoperabilität (englisch:

Interoperability

)

Zuverlässigkeit (englisch:

Reliability

)

Sicherheit (englisch:

Security

)

Wartbarkeit (englisch:

Maintainability

)

Übertragbarkeit (englisch:

Portability

)

Abbildung 1–4 illustriert den Zusammenhang zwischen Nutzungsqualität und technischer Qualität.

Nutzungsqualität ist die Komponente von Qualität, die die Benutzer und andere Stakeholder durch die Interaktion mit dem interaktiven System (»über der Haube«) aktiv wahrnehmen, während die technische Qualität die Voraussetzungen hierfür liefert (»unter der Haube«).

»Technische Performanz« als Dimension von technischer Qualität ist z.B. eine Voraussetzung dafür, dass der Benutzer ohne wahrnehmbare Verzögerungen mit dem System interagieren kann, was wiederum Voraussetzung für Gebrauchstauglichkeit und Benutzererlebnis als Dimensionen der Nutzungsqualität ist.

Die technische Qualität wird von Benutzern oft als selbstverständlich vorausgesetzt. So geht der Benutzer einer Waschmaschine unbewusst davon aus, dass die Wäsche sauber wird und dass die Uhr die richtige Uhrzeit anzeigt.

Ein interaktives System kann eine hohe technische Qualität haben und eine niedrige Nutzungsqualität. Die Qualität des interaktiven Systems insgesamt ist das Produkt aus Nutzungsqualität und technischer Qualität.

Aus der Erfahrung der Autoren ist die Gesamtqualität eines interaktiven Systems das Produkt aus Nutzungsqualität und technischer Qualität.

Ist die technische Qualität des interaktiven Systems hoch und die Nutzungsqualität niedrig, so ist die Qualität des interaktiven Systems insgesamt niedrig.

Abb. 1–4Unterscheidung Nutzungsqualität und technische Qualität

1.4Anforderungen und Lösungen unterscheiden

Die Konzeption einer (oder mehrerer) Benutzungsschnittstellen für ein interaktives System ist oft sehr mühsam. Die Konsensfindung über geeignete Lösungen im Projektteam kann viele Ressourcen verbrauchen, z.B. durch wiederkehrende Workshops, die kein konsensfähiges Ergebnis liefern. Meist gibt es mehrere, manchmal sogar zahlreiche Umsetzungsmöglichkeiten und jedes Projektmitglied bringt seine eigenen Erfahrungen mit interaktiven Systemen in die Diskussion ein.

Dieses Phänomen lässt sich sicher nicht so einfach vermeiden, führt jedoch regelmäßig zu besonderen Herausforderungen im Projekt, da ein interaktives System technisch perfekt funktionieren mag, sich jedoch, wenn das Projektbudget verbraucht ist, in der Nutzung als problematisch erweisen kann.

User Requirements Engineering hilft, mit diesen Herausforderungen schon früh und konsensorientiert umzugehen. Um Konsens über Lösungen zu erreichen, braucht man (siehe oben: Qualität) zunächst Konsens über Anforderungen.

Eine Lösung ist definiert als »ein Produktmerkmal oder mehrere zusammenhängende Produktmerkmale, die spezifiziert oder realisiert sind und dazu vorgesehen sind, ein oder mehrere Anforderungen umzusetzen«.

Lösungen sind also immer etwas »von Menschenhand Gemachtes«, also Dinge, die man wahrnehmen und/oder anfassen kann. Beispiele sind das Wecksignal selbst, das zum Wecken verwendet wird, oder ein Drehrad zum Auswählen der Weckzeit.

Während Nutzungsanforderungen beschreiben, was der Benutzer am System »leisten können muss«, ohne ein konkretes Produktmerkmal vorzugeben, beschreiben Systemanforderungen, was das System leisten können muss, damit die Nutzungsanforderung technisch umgesetzt werden kann.

1.4.1Nutzungskontext, Erfordernis, Anforderung und Lösung im Zusammenhang

Nutzungsanforderungen beziehen sich immer auf die Nutzungsqualität eines interaktiven Systems.

Doch wie schafft man es, Überraschungen hinsichtlich Nutzungsqualität weitestgehend zu vermeiden? Wie leitet man frühzeitig Nutzungsanforderungen als Basis für die Gestaltung ab, statt umgekehrt die nicht erfüllten Nutzungsanforderungen im Usability-Test festzustellen? Die Antwort lautet: Indem systematisch mit dem Ansatz des User Requirements Engineering gearbeitet wird. Kern ist ein Datenmodell, dessen Anwendung es ermöglicht, Nutzungsanforderungen so gut wie möglich bereits vor der Gestaltung zu identifizieren. Abbildung 1–5 illustriert das »Datenmodell des User Requirements Engineering« [Geis 2012]. Die einzelnen Bestandteile innerhalb jedes Kastens dieses Modells werden in späteren Kapiteln genauer erläutert.

Problemraum ist ein Sammelbegriff für den Nutzungskontext und die darin enthaltenen Erfordernisse zur Zielerreichung der Benutzer.

Der Problemraum ist der Nutzungskontext, innerhalb dessen die Benutzer ihre Aufgaben mit gegebenen Ressourcen in ihrer gegebenen Umgebung erledigen. So möchte z.B. eine Person beim Zubettgehen zu Hause sicherstellen, dass sie am nächsten Morgen rechtzeitig wach sein wird, um pünktlich den Flieger erreichen zu können. Dazu muss sie jemanden beauftragen (eine Person oder ein technisches Gerät), im richtigen Moment die passende Weckmethode anzuwenden. In diesen faktischen Informationen aus dem Nutzungskontext sind die sogenannten Erfordernisse bereits enthalten (aber nicht notwendigerweise explizit sichtbar), aus denen sich dann die Nutzungsanforderungen für die Unterstützung durch ein interaktives System ableiten lassen. Ein Beispiel wäre das folgende Erfordernis: Der Reisende muss beim Zubettgehen wissen, dass ihn jemand rechtzeitig wecken wird, um den Flieger pünktlich zu erreichen. Ein Erfordernis ist also eine Voraussetzung, die im Nutzungskontext gegeben sein muss (z.B. wissen, dass man rechtzeitig geweckt wird), um ein oder mehrere Ziele der handelnden Person(en) im Nutzungskontext zu erreichen (z.B. pünktlich am Flieger zu sein).

Lösungsraum ist ein Sammelbegriff für die Nutzungsanforderungen und Lösungen, die die Erfordernisse zur Zielerreichung der Benutzer befriedigen.

Der Lösungsraum