Professor Zamorra 1273 - Adrian Doyle - E-Book

Professor Zamorra 1273 E-Book

Adrian Doyle

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Beschreibung

Der Sterbende brüllte wie von Sinnen. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, dem Mund entwich zwischen allen Schreien nur sabberndes Gebrabbel. Ein unlöschbares Feuer hatte Besitz von ihm ergriffen und verstümmelte ihn, als wären es nicht Flammen, die Schicht um Schicht seines Leibes abschälten, sondern Klingen, denen am Ende nicht einmal mehr das knöcherne Gebein zu widerstehen vermochte.
Dennoch wollte der Siechende bis zuletzt nicht wahrhaben, dass es so enden sollte. Solange seine Augen existierten, starrte er ungläubig auf das Geschenk der Hölle, das beharrlich seinen Versuchen trotzte, es doch noch zur Räson zu bringen.
Und das am Ende nicht einmal vor seiner vergifteten Seele haltmachte ...


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Inhalt

Cover

Homunkulus

Leserseite

Vorschau

Impressum

Homunkulus

von Adrian Doyle

Arthur Averett brüllte wie von Sinnen.

Ein unlöschbares Feuer hatte Besitz von ihm ergriffen und verstümmelte ihn, als wären es nicht Flammen, die Schicht um Schicht seines Leibes abschälten, sondern Klingen, denen am Ende nicht einmal mehr die Gebeine zu widerstehen vermochten.

Dennoch wollte der Sterbende bis zuletzt nicht wahrhaben, dass es so enden sollte. Solange seine Augen existierten, starrte er ungläubig auf das Geschenk der Hölle, das allen Versuchen trotzte, es wieder zur Räson zu bringen.

Und das am Ende nicht einmal vor seiner schwarzen Seele haltmachte ...

Gegenwart

England

Doreen Guthrie erwachte von einem Geräusch, als würde irgendwo im Haus Glas zu Bruch gehen. Es war nicht sonderlich laut, aber sie hatte einen leichten Schlaf, der schon vor Jahren dazu geführt hatte, dass sie ihren Mann aus dem gemeinsamen Ehebett verbannt hatte, nachdem sein lautes Schnarchen immer mehr zur Zumutung geworden war.

Ihr Gatte James wiederum, ein mehrfach wegen Tapferkeit vor dem Feind ausgezeichneter Kriegsveteran, hatte es klaglos akzeptiert; zu klaglos, wie seine Frau ihm vorwarf, weil er ihrer Meinung nach viel zu schnell in das Arrangement eingewilligt hatte. Geradeso, als käme es ihm gelegen, das Bett nicht länger mit ihr teilen zu müssen. James konnte noch so oft und heftig das Gegenteil beteuern, es änderte nichts an Doreens tiefwurzelndem Misstrauen. Während ihrer häuslichen Debatten rieb sie ihrem Mann stets ein Vergehen unter die Nase, das noch in seine aktive Soldatenzeit gefallen war. Damals war er während des Junggesellenabschieds eines Kameraden beim Feiern in einem stadtbekannten Strip-Club der Versuchung erlegen und hatte sich nach reichlich genossenem Alkohol von einer Animierdame ins Séparée entführen lassen.

Doreen hatte es erst Wochen später spitzbekommen, als sie zufällig Zeugin eines Telefonats zwischen James und dem Frischvermählten geworden war. Obwohl im Nebenraum befindlich, hatte sie jedes Wort, das ihr Mann mit seinem Freund wechselte, mitgehört und sich ihren Reim darauf gemacht. Hinterher hatte James ihren Verdacht noch so vehement bestreiten können, an Doreen hatte er sich die Zähne ausgebissen. Schließlich war er eingeknickt und hatte reumütig eingeräumt, dass er infolge seiner Trunkenheit an jenem Abend vermutlich tatsächlich übergriffig – so nannte er es – geworden sei.

Daraufhin hatte über Monate eine eheliche Eiszeit zwischen ihnen geherrscht. Ihr Mann hatte sich erst durch den Besuch eines Juwelierladens und den Erwerb eines sündhaft teuren Brillantrings seine »Absolution« erkaufen können. Aber so ganz verziehen hatte Doreen ihm den Fehltritt bis heute nicht, was sie ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit aufs Brot schmierte; zuletzt nach dem Anstandsbesuch der neuen Nachbarin, nach dem er Doreen vorgeworfen hatte, die »Neue« grundlos brüskiert zu haben. Auf ihn habe sie überaus freundlich und bemüht gewirkt, ein gutes nachbarschaftliches Verhältnis herzustellen – jedenfalls, bis Doreen ihr in die Parade gefahren sei und ihr eine mehr als derbe Abfuhr erteilt habe.

Unglücklicherweise konnte Doreen nicht ins Feld führen, er sei den Reizen dieser Hazel Harper erlegen – dafür platzte die Lady zu sehr aus allen Nähten. James' Frauengeschmack war ein anderer, wenigstens was das anging, war sie sich sicher. Aber auch der Umstand bewahrte ihn nicht davor, von Doreen zurechtgestutzt zu werden. Sie verbat es sich, dass er sich in ihre Angelegenheiten einmischte – und die Nachbarschaftspflege falle, so ihr Credo, in ihren, nicht seinen Zuständigkeitsbereich. Außerdem solle er sich erinnern, wie oft ihre Menschenkenntnis sich im Nachhinein als richtig erwiesen habe. Zu seinem Leidwesen führte sie haarklein ein Dutzend Namen aus dem Stegreif auf, mit denen sie tatsächlich nicht die besten Erfahrungen gemacht hatten.

James hatte, wie so oft – selbst das warf sie ihm insgeheim vor –, klein beigegeben und das Thema schließlich auf sich beruhen lassen. Ein Verhalten, das Doreen in ihrer Überzeugung bestärkte, immer noch die Zügel in ihrer Ehe in der Hand zu halten, was sie als einen der wenigen Lichtblicke insgesamt in ihrem Dasein betrachtete.

Reflexartig war sie geneigt, das Geräusch, von dem sie aufgeschreckt worden war, James zuzuordnen, der in manchen Nächten mehrere Male zur Toilette musste. Ein typisches Altmännerleiden, für das Doreen auch nicht viel Verständnis aufbrachte, weil ihr Gatte die längst nötige Operation, mit der ihm geholfen worden wäre, seit Jahren vor sich hinschob.

Während sie sich im Bett aufrichtete, murmelte sie einen Fluch. Ihre Hand fand wie selbstverständlich den Lichtschalter, und auch alles Weitere geschah routiniert: das Überstreifen des bereitliegenden Morgenmantels und das Schlüpfen in die Hausschuhe. Natürlich durfte James, wann immer ihm danach war, in die Küche und sich ein Glas Milch oder etwas gebratenes Hühnchen holen, das zur Standardausstattung ihres Kühlschranks gehörte. So weit ging ihr Kontrollwahn dann doch nicht, ihm diese kleinen Freiheiten auch noch nehmen zu wollen.

Aber er hätte sich still zu verhalten, bei ihm hätte es keinen Fauxpas gegeben, von dem sie aus dem Schlaf gerissen würde. Wurde er jetzt auch schon, was solche Rücksichtnahme anging, nachlässig? Innerlich bereitete sie eine geharnischte Standpauke vor, während sie die Schlafzimmertür öffnete. Sie wollte schon in den Flur hinaustreten ...

... bremste aber irritiert ab und versuchte erst einmal die Überraschung zu verarbeiten, dass der Gang vor ihr in Dunkelheit getaucht war. Weder die Deckenleuchte war angeschaltet noch drang ein Helligkeitsschimmer die Treppe herauf, wie es unweigerlich der Fall gewesen wäre, wenn sich James in der Küche zu schaffen gemacht hätte.

Schon das fehlende Flurlicht entsprach ganz und gar nicht James' Gepflogenheiten. Er hatte es noch nie hinter sich gelöscht, wenn er sein am anderen Ende des Ganges gelegenes »Rückzugsgebiet« – so nannte er es augenzwinkernd, als befände er sich immer noch in einem Kriegsgebiet – nächtens verließ, um zu urinieren oder etwas trinken zu gehen.

Noch während Doreen überlegte, ob sie das Geräusch doch nur geträumt hatte, wiederholte sich das Klirren. Und bei offener Tür gab es keinen Zweifel, dass es von unten kam, entweder aus dem Küchen- oder dem Wohnbereich. Zwischen beidem gab es keine klare Abtrennung. Aber dass James sich dort im Dunkeln bewegen sollte – und auch im Dunkeln die Stufen hinabgestiegen war –, erschien mehr als abwegig.

Doreen konnte gerade noch den fragenden Ruf: »James ...?« unterdrücken, weil ihr im selben Moment klar wurde, dass es eine wahrscheinlichere Erklärung für den Lärm gab und sie nicht das Geringste mit ihrem Mann zu tun hatte. Dafür sprach auch das andere Geräusch, das sie erst jetzt bemerkte, weil eine gut gedämmte Tür und leidlich dicke Wände zwischen ihm und Doreens Standort lagen: die sich regelmäßig wiederholende Abfolge sonorer Töne.

Das Schnarchen lieferte den letzten Beweis, dass ihr Mann als Verursacher des Klirrens ausschied. Und es zeigte zum anderen, dass die Situation um einiges brenzliger war, als Doreen es vor einer Minute noch angenommen hatte. Es gab keinen Zweifel: Jemand war im Haus. Und zwar jemand, der hier nichts zu suchen hatte, ein Einbrecher also!

Sie besaßen kein Haustier, das hinter dem Lärm hätte stecken können. Fenster und Türen waren über Nacht verschlossen; akribisch von den Eheleuten vor dem Zubettgehen überprüft, zumal es vor Jahren unweit von ihnen zu einem Fall von Vandalismus gekommen war, während sich die Besitzer des dortigen Anwesens im Urlaub befunden hatten.

Was ihr Sicherheitsbedürfnis anging, waren sie sich also tatsächlich einmal einig. Doreen empfand es zudem als beruhigend, dass James nicht nur mehrere Schusswaffen besaß, sondern auch damit umgehen konnte. Ihr hatte er ebenfalls eine Pistole in der Nachttischschublade deponiert – »für alle Fälle« –, aber sie hasste das Ding.

Und selbst jetzt wählte sie eine andere Lösung, als umzukehren und sich zu bewaffnen. Auf Zehenspitzen eilte sie den Gang hinunter und stahl sich, immer noch um kein verräterisches Geräusch ihrerseits bemüht, in James' Zimmer.

Kaum hatte sie die Tür leise wieder hinter sich ins Schloss gedrückt, knipste sie das Licht an und huschte zum Kopfende des Bettes, wo sich ihr Mann, vom Licht geweckt, herumwälzte und ihr entgegenschaute. Sie beugte sich schnell über ihn und presste ihre Hand auf seinen Mund, um ihn an einer Lautäußerung zu hindern.

»Pssst!«, wies sie ihn außerdem zurecht und erklärte ihm flüsternd den Grund ihres Verhaltens.

James reagierte wie erhofft. Er verzichtete auf unnötige Fragen und verdonnerte Doreen dazu, im Zimmer zu bleiben, während er nicht kleckerte, sondern klotzte, und dementsprechend gar nicht erst nach einer kleinkalibrigen Handfeuerwaffe griff, sondern ein geladenes Sturmgewehr unter dem Bett hervorzog.

Doreens Herz klopfte bis zum Hals, als sie ihrem Mann zusah, wie er das Zimmer verließ, um den Eindringling zu stellen. Sie hoffte inständig, dass nicht auch der Einbrecher bewaffnet war. Und wenn doch, dass James nicht verlernt hatte, mit der Waffe umzugehen.

Mit Verlassen seines Zimmers legte James seine bis dahin demonstrativ zur Schau gestellte Zurückhaltung ab. Absichtlich ließ er die Tür krachend ins Schloss fallen und knipste die Flurbeleuchtung an.

Anders als seine Frau zuvor wollte er bemerkt werden. Wer auch immer sich widerrechtlich Zutritt zu ihrem Haus verschafft hatte, sollte gar nicht erst auf den Gedanken kommen, dass der Hausherr Schwächen oder sogar Angst zeigte.

Der Pyjama, den James trug, karikierte beinahe die martialische Waffe, mit der im Anschlag er sich der abwärts führenden Treppe näherte. Das kantige, wie eingefroren wirkende Mienenspiel wog den Eindruck aber auf; den Rest erledigte die Körperspannung des Veteranen, der sich gedanklich in die Golfregion zurückversetzt sah. Selbst mit nackten Füßen klangen seine Schritte auf dem Dielenboden beinahe wie Hufschlag. Das Adrenalin, das durch seine Adern peitschte, tat ein Übriges, um ihn nicht nur in Alarmbereitschaft zu versetzen, sondern das Geschehen tief im Innern sogar auskosten zu lassen. Der Ruhestand hatte ihm nicht gutgetan. Das ständige Zusammensein mit Doreen hatte ihm nicht gutgetan. Sie hatte ihn als voll im Saft stehenden Berufssoldaten kennengelernt, und seine häufigen Auslandseinsätze hatten lange kaschiert, dass sie völlig gegensätzliche Charaktere waren und niemals eine engere Beziehung miteinander hätten eingehen dürfen. Doreen hatte ihn von Anfang an eingeengt und seine Unternehmungen im Kreise seiner Kameraden so stark reglementiert, dass manche Freundschaft mit der Zeit weggebrochen war. Ganz schlimm war es aber nach seiner Pensionierung geworden. Auf dem Schlachtfeld hatte James kaum jemand etwas vormachen können; dort hatte er stets Führungsqualitäten, Durchsetzungsvermögen und Durchschlagskraft bewiesen. Dauerhaft zu Hause hatte er sich schon nach wenigen Monaten kaum mehr wiedererkannt ...

In diesem Moment hörte er mit eigenen Ohren, wovon Doreen ihm berichtet hatte: Es klirrte, als würde Glas oder Porzellan zerspringen!

Er befand sich auf halber Treppe und beschloss, eine letzte Warnung abzugeben, bevor er in direkter Konfrontation gezwungen sein würde, den Abzug zu betätigen. Wirklich erpicht war er auf eine solche Eskalation nicht. Dafür hatte er schon zu viele Menschen sinnlos sterben sehen.

»Komm mit erhobenen Händen raus, du kleiner Scheißer, oder verschwinde auf dem gleichen Weg, den du gekommen bist! – Fordere dein Glück nicht heraus, du legst dich mit dem Falschen an!«

Die einzige Reaktion bestand aus einem ... ja, was? War das ein Lachen?

Das Glucksen, das James' Ohren erreichte, hörte sich jedenfalls verdächtig danach an. Offenbar wollte der Unbekannte ihn in seinem eigenen Haus verhöhnen – was sein Blut noch mehr in Wallung brachte.

Hätte der Einbrecher geahnt, welche Wut er mit seinem Verhalten in dem Veteranen auslöste, hätte er sich sein dümmliches Lachen verkniffen. Aber für einen Rückzieher war es zu spät. James war nicht mehr zu bremsen. Seine Beine verhaspelten sich beinahe auf der Treppe, als er nach unten stürmte. Auch im Erdgeschoss flammten nun sämtliche Lichter auf, an deren Schaltern er vorbeikam. Zuletzt entriss er die Küche, von wo die Geräusche kamen, der Dunkelheit.

Die Bewegungen, mit denen James weiterschritt und dabei immer wieder den Lauf seiner Automatik korrigierte, waren über Jahrzehnte antrainiert und in Fleisch und Blut übergangen. Kein Soldat verlernte jemals den Umgang mit seiner Überlebensgarantie. Es war wie Fahrradfahren.

Der Vergleich brachte James' Mundwinkel zum Zucken. Sein hämmernder Herzschlag machte ihm bewusst, dass sich zu seinem Leidwesen doch manches gegenüber seiner aktiven Soldaten-Laufbahn verändert hatte. Die Hände zitterten, wie es früher nie der Fall war.

Zu allem Überfluss hörte er im selben Moment, da er die Küche erreicht hatte, ein anderes Geräusch, und zwar von oben. Von dort, woher er kam. Es war das Klappern der Tür, die er hinter sich zugeschlagen hatte. Schritte folgten.

Doreen musste gegen seine Anweisung das Zimmer verlassen haben. Als er auch noch ihre Stimme hörte – »James! James – alles in Ordnung bei dir?« – irritierte ihn daran am meisten die lange nicht mehr gehörte Besorgnis, die darin schwang. Für einen Augenblick war er so abgelenkt, dass der bis dahin Unsichtbare es sich zunutze machte.

Er trat aus seiner Deckung heraus – wobei heraustreten es nicht wirklich traf. Richtiger wäre gewesen: Er waberte oder quoll heraus.

Von einem Moment zum anderen füllte etwas Ungeheuerliches die Öffnung zum Küchenbereich.

Wahrscheinlich hätte es nicht einmal der kurzzeitigen Ablenkung bedurft, um James mit der ins Absurde abdriftenden Situation zu überfordern. Der Anblick der seltsamen Masse, die ihm entgegenquoll, hätte ihn so oder so aus dem Konzept gebracht.

Was um alles in der Welt ...?!?

»James?«

Doreens neuerlicher Zuruf schaffte es, ihn aus seiner Starre zu reißen.

»Bleib, wo du bist!«, fauchte er. »Verschwinde! Geh zurück ins Zimmer und schließ dich ein, bis ... bis ich das hier erledigt habe!«

Was immer »das hier« auch sein mochte.

Seine alten Instinkte benötigten keinen weiteren Weckruf. James tat, was er in den Krisengebieten, in die er geschickt worden war, immer getan hatte, wenn es darum ging, das eigene oder das Leben von Kameraden zu verteidigen. Im Grunde war die Situation hier in seinem Haus auf den gleichen simplen Nenner zu bringen wie auf einem Schlachtfeld: der andere oder ich!

Einen Unterschied allerdings gab es doch, und der war gravierend: In der Vergangenheit hatte sich dort, wohin die Mündung seiner Waffe zeigte, immerhin noch ein Mensch befunden. Davon war hier und jetzt, wenn ihn die Augen nicht trogen, unglücklicherweise nicht auszugehen.

James feuerte das Magazin in seinem Sturmgewehr bis auf die letzte Patrone leer und war sicher, dass nicht eine Kugel fehlging. Was ihn angesichts des Kolosses, der sich auf ihn zu wälzte, auch einem Wunder gleichgekommen wäre.

In den Lärm der Schüsse mischte sich das hysterische Gekeife seiner Frau, die seinen wohlgemeinten Rat offenbar ignorierte und sich immer noch nicht zurückgezogen hatte. Aber selbst nachdem der Schlagbolzen nur noch metallische Geräusche produzierte, weil die Munition ausgegangen war, schaffte James' Hirn es nicht, den Sinn dessen zu erfassen, was Doreen ihm zuschrie.

Derweil war das Ding schon fast bei ihm, und noch während er vergeblich Ausschau nach den Wunden hielt, die er ihm zugefügt haben musste, drehte er das Gewehr in den Händen so, dass er es am Lauf packen und zur Keule umfunktionieren konnte.

Nichts hätte seine Hilflosigkeit mehr zum Ausdruck bringen können.

Noch während er ausholte, erreichte ihn das Unaussprechliche. Während das Gewehr in der Masse versank, überwand der Angreifer auch noch die letzte Distanz und fiel über den Veteranen her. Prallte gegen ihn, schleuderte ihn zu Boden und begrub ihn anschließend vollständig unter sich.

Der Schmerz, der James überrollte, fühlte sich an, als würde sich etwas in ihn hineinwühlen; nicht nur an einer bestimmten Stelle, sondern über den gesamten Körper verteilt.

Sein letzter Gedanke galt Doreen. Vielleicht, hoffte der gute Ehemann, der James Guthrie bis auf jenes eine Mal immer gewesen war, würde wenigstens sie dem gestaltgewordenen Horror entrinnen können.

Aber noch während er das dachte, war sich etwas in ihm nicht mehr sicher, ob er es nicht doch tröstlicher gefunden hätte, wenn ... nun, wenn Doreen den Schmerz, der ihn durchwogte, hätte teilen müssen.

(Geteiltes Leid ist halbes Leid ...)

Ob das Ding Gedanken lesen konnte, erfuhr er nie.

Monate zuvor

Spätsommer 2022

Hazel Harper, ihres Zeichens frischgebackene Witwe, stolperte bei der allmorgendlichen Lektüre ihrer Tageszeitung über eine der Immobilien-Anzeigen. Die grafische Gestaltung wirkte etwas aus der Zeit gefallen, war Hazels erster Eindruck, und die schnörkelreiche Schrift verstärkte das Gefühl noch. Ganz zweifellos aber war die Aufmerksamkeit der vom Schicksal arg gebeutelten Frau sofort geweckt.

Das Aldrige-Haus

Traumhaft in Minehead, Somerset, gelegen.

Sofort bezugsfertig, unschlagbar im Preis.

Keine Makler-Gebühr.

Besichtigung nach vorheriger Absprache.

Alles Weitere unter Tel. 1643728103

Auf dem dazugehörigen Bild war ein pittoreskes Häuschen zu sehen, das ohne jede Übertreibung zauberhaft genannt werden durfte – falls der Abbildung zu trauen war.

Normalerweise ignorierte Hazel solche Anzeigen; Anzeigen, in denen mit den wirklich relevanten Angaben, allen voran der Verkaufspreis, so offensichtlich gegeizt wurde. Immerhin spielten das Alter eines Objekts, die Wohnfläche und die Zimmeraufteilung bei einer Immobilien-Kaufentscheidung eine nicht unbeträchtliche Rolle.

Diesmal aber ließ das doch sehr diffus gehaltene Inserat sie auch für den Rest ihres opulenten Frühstücks nicht mehr ruhen. Immer wieder blätterte sie zu der betreffenden Seite zurück. Und jedes Mal saugte sich ihr Blick aufs Neue an der aufgeführten Telefonnummer fest, sodass sie die Zahlenfolge schließlich auswendig hätte aufsagen können. Vielleicht gab das am Ende den Ausschlag, zum Handy zu greifen.

Und dem Unheil Tür und Tor zu öffnen.

»Sie sind aus der Gegend?« Die Freundlichkeit des Maklers am anderen Ende der Strippe klang aufgesetzt.

Entsprechend reserviert antwortete Hazel: »Aus Devon.«

»Das ist ja fast um die Ecke. Dann muss ich Ihnen ja die Vorzüge dieses wundervollen Fleckens nicht erst schmackhaft machen?«

»Nein. Mich würde, neben dem genauen Zustand des Hauses, zunächst einmal der Preis interessieren. Kein ganz unwichtiges Kaufkriterium, wie Sie sich denken können.«

»Darüber möchte ich mich am Telefon lieber bedeckt halten.«

Hazels sah bereits nach wenigen Sekunden, die das Telefonat dauerte, ihre insgeheime Befürchtung bestätigt. »So teuer also ...«

»Im Gegenteil«, beeilte der Makler sich zu versichern. »Aber, wenn ich Ihnen verrate, welche Summe dem Eigentümer vorschwebt – eine Summe, die ich ihm nicht ausreden konnte, obwohl ich, wie ich zugebe, es mit Engelszunge versucht habe – erklären Sie mich hier und jetzt am Telefon für verrückt. Sie würden mir gar erst nicht die Chance geben, Sie durch das Objekt zu führen.«

Hazel stand kurz davor, wieder aufzulegen, entschied sich dann aber doch dagegen – vorerst zumindest. »Wenn das zuträfe, was sollte mich dann vor Ort überzeugen?«

»Es ist immer besser, etwas mit eigenen Augen zu sehen. Fotos und Worte können niemals ersetzen, was ...«

Sie ließ ihn nicht ausreden. »In der Anzeige steht ›keine Makler-Gebühr‹. Sie haben sich aber vorhin als Maklerbüro gemeldet. Wie kommen Sie auf Ihre Kosten, wenn Sie keine Courtage verlangen?«

»Das wurde mit dem Besitzer so verabredet. Er zahlt uns eine festgeschriebene Summe. Eine fixe Aufwandsentschädigung, und ich darf sagen, sie ist großzügig bemessen.«

»Demnach ist der Lohn Ihres Engagements also bereits in der Kaufsumme eingepreist.«

Für einen Moment herrschte verdutztes Schweigen. Dann versicherte Mister Malone: »Ihr Misstrauen in Ehren, aber Sie werden keinen einzigen Penny bedauern müssen, sollten Sie sich zum Kauf entschließen. Geben Sie mir die Chance, es Ihnen zu beweisen.«

Unter anderen Umständen hätte Hazel an der Stelle aufgelegt. Aber nach dem Tod ihres Mannes war das Haus, das sie vor bald dreißig Jahren von einem befreundeten Architekten nach ihren Wünschen hatten planen lassen, nicht mehr derselbe heimelige Ort wie zu Carls Lebzeiten. Ihr jetziges Haus hatte nicht nur all seinen Charme verloren, sondern riss auf Schritt und Tritt immer wieder die Wunde auf, die Carls Ableben verursacht hatte.