Raues Wetter - Robert B. Parker Parker - E-Book

Raues Wetter E-Book

Robert B. Parker Parker

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Beschreibung

Ein neuer Auftrag für Spenser. Die reiche Heidi Bradshaw engagiert Spenser als persönlichen Schutz bei der Hochzeit ihrer Tochter auf der exklusiven Insel Tashtego. Auf der Hochzeitsfeier wird er Zeuge, wie die Tochter entführt und der frisch vermählte Ehemann ermordet wird. Der Täter: niemand Geringeres als der Graue Mann, Spensers Widersacher aus vergangenen Zeiten. Als die Insel von einem heftigen Sturm heimgesucht wird, bricht Chaos aus. Die Verbrecher sitzen auf der Insel fest, aber es kann auch keine Hilfe für die Hochzeitsgäste kommen. Am nächsten Tag sind der Graue Mann und die Tochter verschwunden. Spenser glaubt nicht, dass es nur um die Entführung geht. Gemeinsam mit seinem Kumpel Hawk versucht er, Licht ins Dunkel zu bringen …

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Robert B. Parker

Raues Wetter

Robert B. Parker wurde 1932 geboren. Nach seinem M.A. in amerikanischer Literatur promovierte er 1971 über die „Schwarze Serie“ in der amerikanischen Kriminalliteratur. Seit seinem Debüt „Spenser und das gestohlene Manuskript“ im Jahr 1973 sind fast 40 Spenser-Krimis erschienen. 1976 wurde Parkers Roman „Auf eigene Rechnung“ von der Vereinigung amerikanischer Krimi-Autoren mit dem „Edgar Allan Poe Award“ als bester Kriminalroman des Jahres ausgezeichnet.

Am 18. Januar 2010 verstarb Robert B. Parker in Massachusetts. www.robertbparker.de

Im Pendragon Verlag erscheinen von Robert B. Parker die beiden überaus erfolgreichen Reihen „Ein Auftrag für Spenser“ und „Ein Fall für Jesse Stone“.

Robert B. Parker

Raues Wetter

Ein Auftrag für Spenser

Übersetzt von Marcel Keller

PENDRAGON

1

Wenn ich mit meinem Bürostuhl rückwärts in den Erker hinter meinem Schreibtisch rollte, gelang es mir, oben zwischen den Bürogebäuden einen Blick auf den Himmel zu erhaschen. Es war nicht wirklich bedeckt. Eher leicht grau mit schwachen Sonnenstrahlen, die sich ab und zu zwischen den dünnen Wolken blicken ließen. Unten auf der Berkeley Street hatten die jungen Damen aus den Büros der Banken und Versicherungen damit begonnen, die Herbstmode zu präsentieren. Ich verbrachte einige Zeit damit, sie zu studieren und kam zu dem Ergebnis, dass der modische Chic der Kleidung in der Wirkung sehr davon abhing, wer sie trug. Ich schaute auf den Kalender: 13. September. Im Prinzip lief die Baseball-Saison noch, aber Anfang August waren die Sox aus dem Turnier geflogen, was dazu führte, dass ich mich in Gedanken jetzt nur noch mit Sex beschäftigen konnte … was meiner Ansicht nach immer noch besser war, als wenn es andersrum gewesen wäre.

Ich dachte an Sex, als es zart an meine Tür klopfte. Gleich darauf betrat eine Frau mein Büro, wie sie besser nicht zu meinen Gedanken gepasst hätte. Eine Symphonie von kräftigem rotbraunem Haar, ebenmäßigen Zügen, vollen Lippen, großen Augen, einer umwerfenden Figur, eleganter Kleidung, teurem Parfum und etwas, das von Leuten, die sich so ausdrückten, paarungswillig genannt wurde. Sie steuerte auf meinen Tisch zu und streckte mir die Hand entgegen, als ich aufstand.

„Hi, ich bin Heidi“, sagte sie.

„Miss Bradshaw, ich erinnere mich“, antwortete ich.

Ihr fester Händedruck verriet, dass sie geübt hatte.

„Und Sie sind Mr. Spenser“, stellte sie fest.

„Hat mich der Name an der Tür verraten?“, fragte ich.

Sie nickte fröhlich, nahm vor meinem Schreibtisch Platz und kreuzte die Beine. Wow!

„Ich hatte gehofft, dass er das tun würde“, sagte sie. „Und Sie sehen aus, als seien Sie der Richtige für den Job.“

„Tapfer“, schlug ich vor.

„Tapfer. Und ziemlich groß“, ergänzte sie.

„Sie haben noch nicht alles gesehen“, sagte ich.

Sie schaute mich einen Moment lang an und sagte dann „Wirklich?“

Ich war zu tapfer, um rot zu werden.

„Eine Redensart“, erläuterte ich.

„Ich hätte einen Auftrag für Sie“, sagte sie.

„Das hatte ich gehofft“, antwortete ich.

Sie lächelte wieder und behielt das Lächeln für eine Weile. Hatte ich jemals an Baseball gedacht?

„Ich bin eine starke Frau“, erklärte sie. „Selbständig, wohlhabend. Außerdem bin ich geschieden, von einem Mann, der es nicht besser verdient hat. Derzeit habe ich keinen Mann an meiner Seite, was mich ein wenig verunsichert.“

„Kommt öfter vor“, sagte ich.

„Nicht zwingend“, antwortete sie. „Ich arbeite mit meinem Therapeuten daran. In der Zwischenzeit trage ich meiner Unsicherheit Rechnung, wenn mir das nötig erscheint. Ich besitze ein Haus auf Tashtego Island. Kennen Sie es?“

„Die Insel ja, das Haus nicht.“

„Präzise formuliert“, stellte sie fest. „Das Anwesen nennt sich ebenfalls Tashtego. Mein Exmann war ein großer Moby-Dick-Fan. Ende Oktober veranstalte ich dort eine Party, an welcher einige der wichtigsten und berühmtesten Leute der Welt teilnehmen werden.“

„Und natürlich wollen Sie mich unbedingt dabei haben“, sagte ich.

Sie lächelte wieder dieses Lächeln. Offensichtlich wusste sie, was sie mit diesem Lächeln anrichten konnte.

„In gewisser Weise, ja“, antwortete sie. „Ich würde Sie gerne als eine Art Gegengewicht zu meiner Unsicherheit engagieren.“

„Als Insecurity-Man?“

„Genau“, sagte sie. „Ich hätte gerne, dass sie der Mann sind, an den ich mich wenden kann, wenn ich etwas brauche.“

„Benötigen Sie mich auch im mehr herkömmlichen Sinn von Security?“

„Nein. Die Insel hat eigenes Wachpersonal. Sie wären dort, um mich persönlich zu unterstützen.“

„Außer Ihre Therapie ist vor Ende Oktober erfolgreich“, sagte ich

„Außer das“, antwortete sie. „Oder eine plötzliche Romanze.“ Ich nickte.

„Darf ich einen Gast mitbringen?“, fragte ich.

„Welche Art Gast?“, fragte sie.

„Eine umwerfende Jüdin, mit einem Dr. Phil. von Harvard.“ „Ihre Frau?“

„Nicht richtig wirklich.“

„Freundin?“

„So in der Art. Für mich ist sie die Einzige.“

„Warum wollen Sie sie mitbringen?“

„Ich vermisse sie, wenn ich nicht in ihrer Nähe sein kann. Und ich würde mir weniger wie ein Gigolo vorkommen.“

Sie brach in schallendes Gelächter aus.

„Sie sind süß“, bemerkte sie. „Bringen Sie die Einzige mit.“

„Möchten Sie noch über’s Geschäftliche sprechen?“, fragte ich.

Sie zog ein grünes ledernes Scheckbuch aus ihrer Handtasche.

„Eigentlich nicht“, antwortete sie. „Wie wäre es mit einem großzügigen Vorschuss?“

„Ein guter Anfang“, musste ich feststellen.

2

Ich traf mich mit der Einzigen zum Dinner, in einem neu eröffneten Lokal namens Sorellina.

„Du weißt natürlich, wer Heidi Bradshaw ist“, sagte Susan.

„Meine Kundin.“

„Abgesehen davon“, sagte Susan.

„Sie ist berühmt“, stellte ich fest.

„Weißt du, wofür sie berühmt ist?“

„Abgesehen davon, dass sie meine Kundin ist?“

„Abgesehen davon.“

„Ich nehme an, sie ist berühmt dafür, berühmt zu sein“, antwortete ich.

Das Lokal war groß und nicht laut. Zwischen den Tischen war ausreichend Abstand. Durch die Fenster konnte man auf den Copley Square sehen. Der Service war gut. Ich zahlte mit einem winzigen Bruchteil von Heidi Bradshaws großzügigem Vorschuss.

Und war hier mit meiner Traumfrau.

„Sie war mit einigen der reichsten Männer der Welt verheiratet“, sagte Susan.

„Und hat von jeder Heirat profitiert“, ergänzte ich.

„Das würde jede so machen“, stellte Susan fest. „Wie ist sie auf dich gekommen?“

„Vielleicht hat sie im Netz ‚Geiler Typ‘ gegoogelt“, sagte ich. „Hab ich ausprobiert“, bemerkte Susan. „Du tauchst da nicht auf.“

„Verdammt“, sagte ich.

„Also, wie ist sie auf dich gekommen?“

„Jemand hat jemanden angerufen“, vermutete ich. „Und dann hat eines zum anderen geführt.“

„Okay, falls es so gewesen ist, was könnte der Anlass gewesen sein, dich zu empfehlen?“

„Ich bin ein großartiger Ehemann-Ersatz“, schlug ich vor. „Wohl eher nicht“, meinte Susan.

„Ich bin ein harter Kerl und ich habe eine Waffe.“

„Schon eher.“

Wir schwiegen eine Weile. Susan aß exotischen Fisch. Sie nahm einen kleinen Happen. Susan nahm immer kleine Happen. Sie aß langsam und selten aß sie alles, was sie bestellt hatte. Ich hatte Pasta bestellt und schon fast zur Gänze verschlungen.

„Ich hab darüber nachgedacht“, sagte ich.

„Ich auch“, bemerkte Susan.

„Warum engagiert jemand einen Typen mit einer Waffe zu einer Party?“, fragte ich.

„Weil jemand Angst hat“, sagte Susan.

„Obwohl die Insel von Security-Leuten bewacht wird?“

„Obwohl“, sagte Susan.

„Vielleicht hat sie Angst vor ihren Security-Leuten“, sagte ich.

„Vielleicht hält sie ihre Security für inkompetent“, meinte Susan.

„Es ist ihre Insel, verdammt nochmal“, sagte ich. „Es sind ihre Security-Leute.“

Susan zuckte die Schultern und knabberte an ihrem Fisch. Ich vernichtete den letzten Fleischklops. Susan nahm einen kleinen Schluck Wein.

„Was auch immer der Grund sein mag“, stellte Susan fest, „Sie scheint das Bedürfnis zu haben, ihre Security aufzustocken.“

„Um einen einzigen Mann?“

„Was vielleicht der Grund dafür ist, dass du dieser einzige Mann bist.“

„Quatsch!“, sagte ich.

„Was bedeutet, dass sie dich gesucht haben“, sagte Susan. „Oder jemanden wie dich.“

„Was bedeutet, dass ich besser zwei Waffen mitbringen sollte?“ „Eine sollte genügen“, meinte Susan. „Schließlich bringst du mich auch mit.“

3

Tashtego Island hatte seine eigene Fähre, einen Hochgeschwindigkeits-Katamaran, der täglich Leute zur und von der Insel brachte. Der Trip von New Bedford aus dauerte ungefähr 40 Minuten. Die Insel hob sich wie ein schwarzer Solitär von der Buzzards Bay ab und das Haus glänzte auf ihrer Spitze. Weißer Marmor zwischen immergrünen Bäumen ließ die Felslandschaft weniger rau erscheinen.

„Höre ich die Titelmusik von Camelot?“, fragte Susan.

Sie hatte soviel Gepäck für das Wochenende dabei, dass sie locker den Cirque du Soleil hätte ausstatten können. Aber das Personal an der Anlegestelle war zahlreich genug, um diese Aufgabe zu meistern und so ging ich völlig unbelastet an Land. Das Häuschen an der Anlegestelle war aus dem gleichen weißen Marmor wie das Haupthaus. Daneben parkte ein weißer Jeep. In dem weißen Jeep saßen zwei Typen in Safari-Jacken mit Piloten-Sonnenbrillen. Ihre Waffen trugen sie in polierten Cordova-Leder-Holstern. Vor dem Häuschen stand eine offene Kutsche. Die beiden angeschirrten Pferde waren weiß. Der Kutscher hatte einen blonden Bürstenschnitt. Er trug einen Blazer und weiße Freizeithosen und sah wie ein großer Collegestudent aus. Vielleicht ein Mittelverteidiger. Ich klopfte einem der Pferde auf die Flanke.

„Clydesdales?“, fragte ich.

„Brabanter“, antwortete der Fahrer. „Im Mittelalter dienten sie als Schlachtrosse.“

„Großartig“, sagte ich.

„Yes, Sir.“

Neben dem Anhänger stand eine kantig wirkende Frau in einem maskulinen weißen Hemd und grauen Flanellhosen, ein Mobiltelefon am Gürtel. Für’s College war sie ein bisschen zu alt, sie war auch nicht so groß, aber sie hatte durchaus ebenfalls etwas von einem Verteidiger an sich. Vielleicht gehörte Bradshaw ja ein ganzes Team.

„Mr. Spenser“, wandte sich die Verteidigerin an mich, „Ich bin Maggie Lane, Mrs. Bradshaws Assistentin.“

Wir gaben uns die Hand. Ich stellte ihr Susan vor. Sie gaben sich die Hand. Eines der Pferde wandte seinen Kopf ohne große Neugier zu uns um. Maggie Lane wies in Richtung Kutsche.

„Bitte sehr“, sagte sie.

„Unser Gepäck?“, fragte Susan.

„Wird auf ihre Zimmer gebracht“, antwortete Maggie Lane.

Der Gedanke, dass sich ihr Gepäck in fremden Händen befand, hatte für Susan etwas fast lebensbedrohliches an sich. Aber sie lächelte bloß und stieg in die Kutsche. Sie war perfekt gekleidet und ich bewunderte ihre Geschicklichkeit beim Besteigen der Kutsche. Ganz zu schweigen von ihrer Hinteransicht. Ich stieg hinter ihr ein, Maggie Lane nahm neben dem Kutscher Platz.

„Außer den Jeeps der Wachmannschaft gibt es keine Autos auf der Insel“, erklärte sie.

„Wie schön für die Gegend“, bemerkte Susan.

„Und die Atmosphäre“, ergänzte Maggie Lane.

„Und eine gute Quelle für Düngemittel“, sagte ich.

Maggie Lane nickte lächelnd, wobei mir dieses Lächeln nicht allzu warm erschien. Der Weg von der Anlegestelle zum Anwesen war, soweit ich das beurteilen konnte, nicht so steil, dass er die Brabanter auch nur im Geringsten angestrengt hätte. Er wand sich gemütlich ansteigend um den Felsen, den Ozean zu unserer Rechten und die Südküste von Massachusetts gerade noch erkennbar am Horizont hinter uns, bis wir das Plateau erreichten, wo das Haus lag, umgeben von Bäumen und Gärten, die offensichtlich von der Größe der Pferde und ihrer Hinterlassenschaften profitiert hatten. Solche grüne Pracht konnte sich unmöglich per Zufall auf diesem Felsen entwickelt und ohne Hilfe so reichhaltig entfaltet haben.

Das Haus machte den Eindruck, von Cornelius Vanderbilt erbaut worden zu sein. Es sah aus, als könnte man von dort aus den Nachtzug nach Chicago nehmen. Es gab Säulen, Gesimse, Friese und bestimmt sechs Meter hohe Bogenfenster.

„Wir haben eine kleine Suite für Sie im Nordostflügel des Hauses“, sagte Maggie Lane. „Nicht weit von Mrs. Bradshaws Privaträumen entfernt.“

Ich überlegte, dass eigentlich jedermanns Räume privat sein sollten, entschied aber, diese Frage nicht zu thematisieren.

„Und das Gepäck?“, fragte Susan.

„Sollte schon dort sein“, antwortete Maggie, „Ausgepackt und sorgsam aufgehängt.“

Susan erbleichte leicht. Aber Maggie Lane schaute in Richtung Haus und bemerkte es nicht. Ich wusste, dass der Gedanke, dass irgendwer Susans Gepäck öffnen und ihre Sachen vorsichtig aufhängen könnte, für sie unerträglich war.

„Oh, wie nett“, brachte Susan zwischen ihren zusammengepressten Lippen hervor.

Der Muschelkalk des gebogenen Anfahrtsweges glänzte weiß in der Morgensonne, als wir die weitläufige Säulenfront eines Hauses hinter einer zweistöckigen Toreinfahrt erreichten. Ein anderer junger Typ in Blazer und weißen Hosen, vielleicht ein Außenverteidiger, kam heraus, um uns beim Aussteigen behilflich zu sein. Susan hasste so etwas, also sprang sie kurzerhand heraus, bevor er sie erreichen konnte. Ich stieg gemächlicher, aber nicht weniger sportlich aus. Vor uns, näher beim Haus, stand ein weiterer Jeep mit zwei Typen in Safari-Hemden, Sonnenbrillen und ledernen Holstern am Gürtel. Wie die beiden an der Anlegestelle, waren sie mit wahnsinnig unauffälligen Kopfhörern ausgestattet.

Maggie Lane führte uns durch ein Eingangsportal, das auch für eine Giraffenfamilie absolut bequem zu durchschreiten gewesen wäre. Wir standen in einem Foyer, das locker die Serengetiwüste hätte fassen können, am Fuß einer geschwungenen Treppe, die wahrscheinlich in den Himmel führte.

„Bleib in meiner Nähe“, flüsterte ich Susan zu.

Wir nahmen die Treppe und gelangten zu einem Gang von etwa neun Metern Breite, an dessen fernem Ende eine große geöffnete Doppeltür sichtbar wurde, durch welche weiches Sonnenlicht strömte. Die Wände des Ganges waren mit prachtvoll gerahmten Ölgemälden geschmückt, welche mit großer Wahrscheinlichkeit Leute zeigten, die sehr reich waren und dies offensichtlich genossen. Etwa in der Mitte des Korridors hielt Maggie Lane an, zückte einen Schlüsselbund und öffnete eine Tür zur Linken.

„Da wären wir“, sagte sie und übergab mir zwei Schlüssel. „Sie können sich ein wenig frisch machen.“

Sie nahm eine Karte aus ihrer Brusttasche.

„Es sollte für alles gesorgt sein“, sagte sie. „Aber sollten Sie irgendetwas benötigen, was Sie nicht vorfinden, was es auch sei, rufen Sie mich an und ich werde dafür sorgen, dass Sie es bekommen. Der Butler wird kommen und Ihre Bestellung für den Lunch aufnehmen.“

Ich nahm die Karte. Wir traten ein. Maggie Lane schloss die Tür hinter uns. Wir schauten uns einen Moment lang an, dann begannen wir, die Räumlichkeiten zu erkunden, was einige Zeit in Anspruch nahm. Es wäre nicht falsch, einfach zu sagen, dass es einen Salon, zwei Schlafzimmer, zwei Bäder und eine kleine Küche gab. Es wäre auch nicht falsch, zu sagen, dass Niagara ein Wasserfall ist. Der Salon ging von der Größe her als Basketballfeld durch. Eine Bar aus poliertem Mahagoni trennte die Küche vom Salon. Eine Halle mit schwarz-braunem Parkett führte zu zwei Schlafzimmern, von denen jedes über ein eigenes Bad verfügte. Die Front aus sechs Metern hohen Bogenfenstern gegenüber dem Eingang gab den Blick auf die zum Wasser hin abfallende Rasenfläche hinter dem Haus frei, und dahinter den Atlantischen Ozean Richtung Europa. Der Raum selbst war sandfarben, Wände, Decke, Vorhänge, Sofas und Clubsessel. Die Holzverkleidungen waren aus Mahagoni. Farbakzente in Mahagoni und Schwarz.

Wir schauten uns eine Weile in vollkommenem Schweigen um. Als wir beide wieder den Salon erreichten, sah mich Susan an.

„Allmächtiger“, flüsterte sie.

4

Das Mittagessen bestand aus Hummer und Mango-Salat, mit frischen Brötchen und einer Flasche Weißwein. Susan und ich stellten den Wein für später beiseite. Nach dem Lunch erkundeten wir das Anwesen, welches alles zu bieten hatte, was man von einem Anwesen erwarten konnte. Es war ein für Oktober angenehm warmer Tag. Wir fanden eine Bank in der Nähe des Eingangsbereiches des Hauses, nahmen dort Platz und beobachteten die Gäste, welche sich allmählich einfanden.

„Was ist eigentlich der Anlass für diese Party“, fragte mich Susan. „Das hast du mir noch gar nicht erzählt.“

„Du hast nie danach gefragt.“

„Ich war so überwältigt von der Einladung, dass es mir schier die Sprache verschlagen hat“, erklärte Susan.

„Verständlicherweise“, sagte ich. „Nun, der Hauptanlass ist die Heirat von Adelaide, Heidi Bradshaws Tochter, mit einem Typen namens Maurice Lessard, dessen Familie ein Pharmakonzern gehört.“

„Adelaide?“, fragte Susan.

„Die liebreizende Adelaide“, bestätigte ich.

„Wie alt?“

„22, schätze ich.“

„Demnach müsste Heidi um die 40 sein.“

„Vermutlich.“

Heidi Bradshaw kam mit Schwung über den Rasen auf uns zu.

„Tut mir so leid, dass ich nicht hier sein konnte, um Sie bei Ihrer Ankunft willkommen zu heißen.“

„Sicher viel zu tun“, sagte ich und stellte ihr Susan vor.

„Freut mich außerordentlich, Miss Silverman“, sagte Heidi. „Der Junge hier hat nur Gutes über Sie erzählt.“

„Sehr erfreut“, sagte Susan.

Susan war überaus freundlich, aber für mich war eine gewisse Kühle nicht zu überhören.

„Es handelt sich übrigens um Dr. Silverman“, sagte ich.

„Tatsächlich, eine Ärztin?“, fragte Heidi.

„Psychotherapeutin“, erklärte Susan. „Aber bitte nennen Sie mich Susan.“

„Therapeutin? Wie faszinierend. Macht es Spaß?“

„Nicht immer“, antwortete Susan.

„Na, ich wette, es ist hilfreich, um mit dem scharfen Typ hier zurechtzukommen“, scherzte Heidi und schenkte mir ein verschwörerisches Lächeln.

„Dummerweise bin ich keine Expertin für Erwachsenenpsychologie“, sagte Susan.

„Sie sind echt witzig“, sagte Heidi. „Oh mein Gott, da ist ja Leopold!“

Sie wandte sich von uns ab und eilte in die Arme eines wettergebräunten Gentlemans mit weißem Haar, der gerade aus der Kutsche stieg und vielleicht ein berühmter Dirigent sein mochte.

„Hat sie uns genervt?“, fragte ich Susan.

„Hat sie.“

„War es das ‚Miss‘ Silverman?“

„Du hast sie sehr schnell korrigiert.“

„Ich konnte deinen Schmerz spüren.“

„Eine beabsichtigte Herabsetzung.“

„Dich ‚Miss‘ zu nennen?“

„Mit Sicherheit“, sagte Susan. „Und sie war so besitzergreifend intim mit dir.“

„Intim?“

„Ja, du scharfer Typ.“

„Ich bin mir trotzdem nicht sicher, wie es auf Dauer mit uns beiden aussieht“, sagte ich. „Sie hat nur eine Millisekunde gebraucht, um mich für diesen Kapellmeister dort stehenzulassen.“

„Ich mag sie nicht“, stellte Susan fest.

Ich schaute Susan an. Sie beobachtete die Leute, die aus der zweiten Kutsche stiegen. Ihr Gesicht erstarrte.

„Grundgütiger“, sagte sie.

Ich schaute in ihre Blickrichtung. Aus der Kutsche stieg, gekleidet wie gewöhnlich und mit einem kleinen Köfferchen bewaffnet, der Graue Mann. Er warf uns einen Blick zu. Ich schaute zurück. Sein Gesicht blieb ausdruckslos.

„Freund der Braut?“, fragte ich Susan. „Oder des Bräutigams?“

5

„Vielleicht hat er uns nicht gesehen“, sagte Susan.

„Er sieht uns.“

„Bist du sicher?“

„Rugar entgeht nichts.“

„Glaubst du, das ist sein richtiger Name?“

„Es ist der, den er letztes Mal benutzt hat“, sagte ich.

„In Marshport?“

„Ja“, sagte ich. „Vor zwei oder drei Jahren.“

„Als er dir geholfen hat?“

„Jepp.“

„Und wie war es, als er dich fast umgebracht hat?“

„Da nannte er sich auch Rugar“, antwortete ich. „Vor fast zehn Jahren.“

Mit seinem kleinen Koffer in der Hand, kam Rugar über den Rasen auf uns zu.

„Dr. Silverman“, sagte er zu Susan. „Erfreut, Sie wiederzusehen.“

Susan nickte wortlos. Rugar trug einen grauen Blazer, graue Hosen, ein graues Hemd mit Windsor-Kragen und saphirblauen Manschettenknöpfen, einen anthrazitfarbenen Schlips mit saphirblauer Kravattennadel und spitze schwarze Schuhe.

„Spenser“, sagte Rugar.

„Rugar“, sagte ich.

Er lächelte.

„Scheint, dass sich unsere Pfade immer wieder kreuzen“, sagte Rugar.

„Kismet“, antwortete ich.

„Ich hoffe, wir bekommen keinen Ärger durch sich widersprechende Aufträge“, sagte Rugar.

„Sagen Sie mir, warum sie hier sind und ich verrate Ihnen, ob es Ärger gibt“, sagte ich.

Rugar lächelte wieder. Es war mehr ein Automatismus, als ein bestimmter Ausdruck von irgendwas.

„Das könnten Sie“, sagte er. „Aber Sie würden’s nicht tun.“

„Woher wissen Sie das?“

„Weil ich es nicht tun würde“, antwortete Rugar.

„Ich weiß nicht, ob wir uns so ähnlich sind, wie Sie denken“, sagte ich.

„In Marshport schienen wir uns ziemlich ähnlich zu sein“, sagte er.

„Als wir uns das erste Mal begegnet sind, haben Sie mich beinahe umgebracht“, bemerkte ich.

„Aber ich hab’s nicht getan“, entgegnete Rugar. „Sie haben mich fast ins Gefängnis gebracht.“

„Aber ich hab’s nicht getan“, sagte ich.

„Also steht es unentschieden zwischen uns“, stellte Rugar fest.

„Das hätten Sie gerne“, sagte ich.

Wieder das bedeutungslose automatische Lächeln.

„An Selbstbewusstsein hat es Ihnen noch nie gemangelt“, sagte er.

„Hatte keinen Anlass dazu“, sagte ich.

„Und Sie sind vielleicht verspielter als ich“, sagte Rugar.

„Es gibt Geschwüre, die verspielter sind als Sie“, entgegnete ich.

Rugar nickte.

„Aber Sie wissen genau so gut wie ich, dass das Spiel, welches wir spielen weder Sieger noch Verlierer kennt“, stellte Rugar fest. „Es gibt nur die Flinken und die Toten.“

„Ich weiß“, antwortete ich.

„Vielleicht macht es das Spiel deswegen interessant.“

„Vor allem für die Flinken“, sagte ich.

„‚Nur wenn Liebe und Notwendigkeit eins sind …‘“, zitierte Rugar.

„‚Und der Einsatz für die Mühen ist der Tod …‘?“

„Sie kennen die Zeilen“, stellte Rugar fest.

„Das hatten Sie doch angenommen“

„Hatte ich.“

„Wir Flinken sind doch echt gebildet.“

„Hoffen wir, dass es so bleibt“, meinte Rugar.

Er nickte Susan bedeutungsvoll zu.

„Vielleicht plaudern wir ja noch einmal“, sagte er.

Wir sahen ihm zu, wie er über den Rasen zurück Richtung Haus schritt. Susan kreuzte die Arme über der Brust.

„Mein Gott, als ob es Winter wird, wo er aufkreuzt“, sagte sie.

„Wenn ich mich recht erinnere, ist der Satan in den Tiefen von Dantes Inferno in Eis gefroren“, sagte ich.

„Es kommt mir vor, als ob Rugar keine Seele hätte“, sagte Susan.

„Wahrscheinlich nicht“, sagte ich. „Ich denke, er hat ein paar Grundsätze. Aber ob er eine Seele hat?“

„Macht er dir Angst?“

„Wenn ich drüber nachdenke, wahrscheinlich. Er ist ziemlich angsteinflößend.“

„Aber das würde keinen Einfluss darauf haben, was du tust“, sagte Susan.

„Nein.“

Das Tageslicht nahm ab. Ich schaute hoch. Wolken hatten sich zwischen uns und die Sonne geschoben. Es war still. Kein Windhauch zu spüren.

„So was“, sagte ich. „Er hinterlässt wirklich eine gewisse Kälte.“

Susan warf einen Blick Richtung Himmel und schauderte leicht. Wenn sie etwas beschäftigte, konnte man sie kaum davon abbringen.

„Denkst du, es ist ein Zufall, dass er hier ist und du hier bist?“, fragte Susan.

„Schwer vorstellbar, dass es nicht so wäre.“

„Aber denkst du, dass es ein Zufall ist?“

„Nein.“

„Wenn es kein Zufall ist, was bedeutet das?“, fragte Susan.

„Keine Ahnung.“

„Also machst du einfach weiter und wartest, wie sich die Dinge entwickeln?“

„Jau“, sagte ich.

6

Bis ich es endlich geschafft hatte, meinen Smoking und meine fertig gebundene Fliege anzulegen (ich, als wahrhaftiger Fashionpapst hatte mich natürlich noch nie mit der Kunst, eine Fliege zu binden, beschäftigt), war es draußen vor den Fenstern grau geworden. Die Wolken waren dunkel und lagen tief. Der Ozean war regungslos und hatte beinahe dieselbe Farbe wie der Himmel. Man musste lange hinschauen, um die Horizontlinie zwischen Wasser und Wolken zu entdecken. Es war windstill, aber es gab Anzeichen in der Atmosphäre, dass Wind aufkommen würde.

Mit einem Fuß auf einem elfenbeinfarbenen Sitzpolster, war ich gerade damit beschäftigt, einen kurzläufigen .38er Revolver in meinem Knöchelholster zu verstauen, als Susan den Salon in einem umwerfenden weißen Kleid betrat. Sie sah aus, als sollte sie den Oscar für die überwältigendste Erscheinung bekommen. Ich nahm den Fuß vom Polster, stellte ihn auf den Boden und schüttelte das Hosenbein über die Waffe.

„Wow!“, sagte ich.

Sie lächelte.

„Etwas Ähnliches habe ich auch gedacht, als ich in den Spiegel geschaut habe“, sagte Susan.

„Und wie steht’s mit mir?“, fragte ich.

„Ich dachte, du würdest auch ‚Wow‘ sagen.“

„Und was sagst du zu meiner Erscheinung“, wollte ich wissen. „Erinnere ich dich nicht an Cary Grant?“

„Wie gespuckt, wenn man vom guten Aussehen absieht“, antwortete Susan.

„Vor einer halben Stunde hast du noch ganz anders geklungen“, stellte ich fest.

„Vor einer halben Stunde hast du mich verführt“, sagte Susan.

„Was nicht so schwer war“, sagte ich.

„Stimmt“, sagte Susan.

Wir standen dicht beieinander und schauten nach draußen auf die sich zusammenballenden Wolken.

„Ich dachte, das Unwetter würde an uns vorüberziehen“, sagte Susan.

„Traue nie den Wetterfröschen“, sagte ich.

„Wem kann man dann noch vertrauen“, meinte Susan.

„Werd mir jetzt nicht existentialistisch“, antwortete ich.

Sie lächelte und musterte mich genau.

„Du siehst überhaupt nicht nach jemandem aus, der einen Smoking besitzt“, stellte sie fest.

„Ist ziemlich schwierig, meine Größe bei einem Verleih zu finden“, sagte ich.

„Oder überhaupt irgendwo, könnte ich mir vorstellen“, ergänzte Susan. „Ist die Fliege selbstgebunden?“

„Keine Ahnung, wie man so was macht“, sagte ich. „Wenn ich eine kaufe, würdest du sie mir binden?“

„Keine Ahnung, wie man so was macht“, sagte Susan.

„Die Dinge, von denen du Ahnung hast, wiegen das mehr als auf “, sagte ich.

„Abgesehen davon könnte eh niemand sagen, ob es ein Selbstbinder ist oder nicht“, stellte Susan fest.

Wir schauten noch ein wenig aus dem Fenster.

„Was ist der Plan?“, fragte Susan.

„Wir treffen uns um vier bei der Kapelle“, erklärte ich. „Wir bleiben in Heidi Bradshaws Nähe, sitzen während der Zeremonie in ihrer Kirchenbank und sind während des anschließenden Empfangs immer in Reichweite.“

„Eine Kapelle“, sagte Susan.

„Für gewöhnlich ist es, glaube ich, die Bibliothek“, erklärte ich. „Aber Heidis Eventmanager hat sie für den heutigen Tag kapellisiert.“

Weit draußen auf dem Meer erschien für einen kurzen Moment ein vertikaler Blitz.

„Um diese Jahreszeit sieht man so etwas nicht so häufig“, sagte ich.

Susan nickte. Ihre Schulter lehnte sich an meinen Oberarm. Draußen vor dem Fenster war eine Art Atemlosigkeit, als ob der Blitz die Spannung in der Atmosphäre noch gesteigert hätte.

„Was glaubst du, warum er hier ist?“, fragte Susan.

Ich wusste, von wem sie sprach.

„Er ist kein sehr geselliger Typ“, sagte ich. „Daher nehme ich an, dass es was Geschäftliches ist.“

Susan nickte.

„Wir wissen immer noch nicht genau, warum du hier bist“, sagte sie.

„Gleiche Antwort“, sagte ich.

„Vielleicht weiß er es auch nicht“, meinte Susan.

„Vielleicht“, sagte ich.

Wieder ein Blitz, und diesmal begannen die Blätter einiger der Bäume in der Nähe des Hauses leicht zu zittern. Susan drehte sich abrupt zu mir um, schlang die Arme um mich und drückte ihr Gesicht an meine Brust. Normalerweise war es undenkbar, dass sie mich zu einem solchen Zeitpunkt umarmte und so ihr Outfit ruinierte. Ich umarmte sie behutsam und streichelte sie sanft.

„Wenn er dich tötet“, sagte sie ruhig, „sterbe ich.“

„Das wären dann schon zwei“, sagte ich. „Er wird mich nicht töten.“

„Ich würde sterben“, wiederholte Susan.

Ein erster Regenschauer traf die Fenster.

„Bisher hat das noch keiner geschafft“, ergänzte ich.

„Vor zehn Jahren war er nahe daran“, sagte Susan.

„Nahe daran zählt nur beim Hufeisenwerfen“, antwortete ich.

Ich tätschelte zärtlich ihren Rücken. Sie nickte und richtete sich auf.

„Du kannst diesen Job nicht einfach sein lassen, oder?“, fragte sie.

„Nein“, sagte ich.

„Verstehe“, sagte Susan.

„Ich weiß“, sagte ich.

„Es war der Revolver“, erklärte sie. „Als ich gesehen habe, wie du den Revolver angelegt hast.“

„Ich trage immer eine Waffe“, sagte ich.

„Ich weiß.“

„Wir müssen los.“

„Ja.“

Wir verharrten noch einen Moment in unserer Umarmung, während der Regen draußen vor der Fensterfront regelmäßiger wurde. Susan trat zurück, schaute mich an und lächelte.

„Na dann, los geht’s“, sagte sie. „Lass mich nur kurz im Spiegel kontrollieren, ob ich mir mit meinem Mini-Zusammenbruch nicht den Look ruiniert habe.“

„Kaum möglich“, sagte ich.

Sie begab sich zu einem der großen Spiegel an der Stirnwand des Salons und begutachtete sich für einen Moment.

„Weißt du was?“, sagte sie. „Da hast du recht.“

7

Als wir den langen Flur zur Kapelle entlanggingen, konnte ich das schwache Brummen eines Helikopters hören, der am Landeplatz hinter dem Haus auf der Südseite der Insel eintraf. Ein Helikopter ist wie ein Panzer. Wenn du einmal dieses Geräusch gehört hast, bleibt es dir für immer in Erinnerung.

„Ziemlich spät“, sagte ich zu Susan.

„Was?“

„Der Hubschrauber“, sagte ich. „Es ist Glück, dass sie gelandet sind, bevor der Sturm mit der Rumba anfängt.“

„Du denkst der Sturm wird schlimmer?“

„Ja.“

„Ich habe den Helikopter gar nicht gehört“, sagte Susan.

„Weil du nur auf mich in meinem Smoking fokussiert warst“, sagte ich.

„Aber sicher“, gab sie zurück. „Du spitzt immer die Ohren, stimmts?“

Ich nickte.

„Manchmal strenge ich auch die Augen an“, meinte ich.

Sie sah mich von der Seite an, während wir weitergingen.

„Dessen bin ich mir bewusst.“

Hinter uns erleuchtete das Licht eines Blitzes kurz durch die große Glastür die Halle. Einige Sekunden später donnerte es.

„Der Sturm ist noch weit weg“, sagte ich.

„Wegen der Entfernung zwischen Blitz und Donner?“, fragte Susan.

„Der Blitz bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit und der Donner mit Schallgeschwindigkeit. Je näher sie sich sind, desto mehr kongruieren sie.

„Mein Gott, Holmes“, sagte Susan mit ihrer tiefsten Stimme. „Sind Ihrem Wissen keine Grenzen gesetzt?“

„Ich war niemals imstande zu beantworten, was eine Frau will.“

Susan lächelte und stupste leicht meine Schulter mit ihrem Kopf an.

In einem kleinen Vorraum zu der früheren Bibliothek standen Heidi, ihre Tochter und Maggie Lane. Bei ihnen war der berühmte Dirigent mit Sonnenbräune und silbernem Haar. Heidi war in ihrem gebieterischen Modus. Sie stellte uns sehr formell vor. Eigentlich stellte sie mich vor und ich stellte dann Susan vor. Hoffentlich hatte Susan das nicht bemerkt?

Pustekuchen.

Adelaide stand in ihrem vollen Hochzeitsaufzug da, nur eine Schleppe fehlte. Vielleicht, weil sie keine Schleppenträger gefunden hatten. Sie hatte ein schmales Gesicht, das noch schmaler wirkte, da sie dickes, rotes Haar hatte, das nur unzureichend von ihrem Schleier zusammengehalten wurde.

„Adelaides Vater hat beschlossen nicht zu erscheinen“, sagte Heidi. „Leopold wird Adelaide zum Altar führen.“

„Okay“, sagte ich.

„Sie werden hier mit uns warten Mr. Spenser“, sagte Heidi. „Dr. Silverman, ein Platzanweiser wird Sie zu Ihrem Platz in der ersten Reihe rechts führen. Mr. Spenser wird sich Ihnen später anschließen. Bitte setzen Sie sich am Ende neben der Wand hin.“

„Okay“, antwortete ich.

Ich war in meinem sanftmütigen Modus.

Susan winkte mir und folgte dem Platzanweiser aus dem Vorraum. Durch das Fenster hinter mir zuckte wieder ein Blitz. Und eine kurze Zeit später donnerte es. Niemand achtete darauf.

„Sie werden der letzte sein, der den Raum betritt, Mr. Spenser. Nachdem Leopold Adelaide ihrem Mann übergeben hat. Bitte versuchen Sie unauffällig reinzugehen.“

„Auf leisen Katzenpfoten“, sagte ich.

Ich bezweifelte, dass Heidi mich gehört hatte.

„Mut-ter“, sagte Adelaide, das Word in Silben auseinanderziehend. „Alle sind hier. Es ist Zeit anzufangen.“

Heidi nickte gedankenverloren. Der Vorraum hatte ein kleines Guckloch, durch das man in die Kapelle schauen konnte. Heidi schien den Raum zu überwachen.

„Wozu gibt es in einer Bibliothektür ein Guckloch?“, fragte ich. „Um die Leute vom Klauen der Bücher abzuhalten?“

„Als das gemacht wurde, sollte es die geheimnisvolle mittelalterliche Atmosphäre unterstützen.“

Ich nickte. Ich konnte das Streichensemble spielen hören, als die Gäste hineinbegleitet wurden.

Nach einiger Zeit sagte Heidi: „Gut, ich gehe.“

Sie sah ihre Tochter an.