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Mila Kuhn

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Mombert Gryn von Frenz ist das schwarze Schaf seiner Familie. Obwohl als Sohn eines altehrwürdigen rheinischen Adelsgeschlechts geboren, arbeitet er als Agrarkontrolleur beim Landwirtschaftsamt Rheinbach. Ganz zum Leidwesen seiner Familie lebt er zudem in einem Bauwagen in der Nähe des Kottenforsts. In diesem Wald stolpert Mombert auch mitten hinein in seinen ersten Mordfall, als auf einer Lichtung ein Bauer tot aufgefunden wird - angeblich vom Blitz erschlagen. Mombert merkt schnell, dass an der Sache etwas faul ist, und so begibt er sich heimlich auf Spurensuche. Zur Seite stehen ihm dabei der gemütliche Dorfpolizist Heinz Heckenbusch und die taffe Kommissarin Mariella Papen. Und während Mombert dem Mörder immer näher kommt - gefährlich nah - machen ihm im Amt die scharfzüngige Moni und der neurotische Amtsdackel Friedhelm II das Leben schwer ...

Spannend, liebenswert-skurril, lustig - der erste Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.

»Humor, ohne ins Lächerliche abzudriften, Spannung ohne unnötige Gewalt und eine große Portion Liebe und Menschlichkeit - dieses Ermittlertrio hat es voll in sich!« (JOERN_SCHNEIDER, Lesejury)

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!

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Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Prolog

Kuhblumen

Rabenschwarz

Schwanengesang

Schweinskopf

Katzenjammer

Dackelblick

Kirchenmaus

Rehauge

Elefantenhochzeit

Amtsschimmel

Kettenhund

Nacktschnecke

Hühnerauge

Pleitegeier

Pferdefuß

Bienenbrot

Rehsprung

Ziegenbart

Pechvogel

Schlosshund

Nachtigall

Tagfalter

Flohsamen

Bärenhunger

Wurmstich

Affenhitze

Drehwurm

Werwolf

Schmierfink

Wandervogel

Fuchsschwanz

Fischauge

Wolfsnacht

Schlangenbiss

Schneckentempo

Wühlmäuse

Finanzhai

Bärenruhe

Kuckuckskind

Vogelfänger

Springforelle

Kampfhahn

Vogelhochzeit

Hasenfuß

Rattenloch

Mausefalle

Neuntöter

Fuchsbau

Unschuldslamm

Bluthund

Spinnennetz

Adlerauge

Hornochse

Gänsehaut

Epilog

Glossar

Ein kurzes Wort danach

Über die Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Mombert Gryn zu Frenz ist das schwarze Schaf seiner Familie. Obwohl als Sohn eines altehrwürdigen rheinischen Adelsgeschlechts geboren, arbeitet er als Agrarkontrolleur beim Landwirtschaftsamt Meckenheim. Ganz zum Leidwesen seiner Familie lebt er zudem in einem Bauwagen in der Nähe des Kottenforst. In diesem Wald stolpert Mombert auch mitten hinein in seinen ersten Mordfall, als auf einer Lichtung ein Bauer tot aufgefunden wird – angeblich vom Blitz erschlagen. Mombert merkt schnell, dass an der Sache etwas faul ist, und so begibt er sich heimlich auf Spurensuche. Zur Seite stehen ihm dabei der gemütliche Dorfpolizist Heinz Heckenbusch und die taffe Kommissarin Marielle Papen. Und während Mombert dem Mörder immer näher kommt – gefährlich nah – machen ihm im Amt die scharfzüngige Moni und der neurotische Amtsdackel Friedrich III das Leben schwer …

Mila Kuhn

Provinzkrimi

 

Für meine Eltern

Prolog

Was für eine blöde Idee von diesem Spießer, dass sie sich mitten im Kottenforst treffen sollten. Sie hätten das Ganze genauso gut in irgendeinem abgelegenen Kaff auf der Straße regeln können. Egal, in einer halben Stunde würde er das Geld haben. Wenn er dann noch den verdammten Betrieb verkauft hätte, würden er und Vivien von hier weg und sich in Miami niederlassen. Endlich. Sonne satt und ein gutes Leben. Bei dem Gedanken an seine junge Geliebte stieg seine Stimmung. Kurz schob sich Coras Bild vor den angenehmen Tagtraum, aber er wischte den Gedanken an sie rasch beiseite.

Er sah kurz auf die Uhr und beschleunigte seine Schritte. Der Weg zu dem kleinen Platz war weiter, als er ihn in Erinnerung hatte. Die hereinbrechende Dunkelheit wurde verstärkt von den dichten Baumkronen und den schweren Wolken, die in der letzten Stunde allmählich aufgezogen waren. In der Ferne hörte er jetzt ein erstes, dumpfes Grollen, fast gleichzeitig kam ein frischer Wind auf. Er fluchte leise. Vom schnellen Gehen hatte er einen dünnen Schweißfilm auf der Haut, und von so was kriegte er gern mal Halsschmerzen. Und ausgerechnet heute hatte er einen Pulli mit so einem blöden V-Ausschnitt an. Mit der einen Hand raffte er den flachen Kragen etwas zusammen, um den Hals vor dem kühlen Wind zu schützen, mit der anderen hielt er die schmale Aktentasche fest. Hoffentlich ging die Übergabe über die Bühne, bevor das Gewitter kam, er hatte keine Lust, klatschnass zu werden.

Doch wenige Minuten später wurde es noch dunkler, und es fielen erste dicke Tropfen. Kurz wurden die Baumkronen und der Himmel von einem grellen, bleichen Licht erhellt, und nur Augenblicke darauf knallte ein langgezogener Donner durch die Stille des Waldes. Er fuhr halb erschrocken, halb ärgerlich zusammen. Der Einschlag musste ganz in der Nähe gewesen sein.

Der andere stand schon da. Er wartete im Schatten der offenen Schutzhütte. In der Hand hielt er etwas Flaches, Weißes. Sie hatten es sich also nicht anders überlegt.

Er ließ seinen Shirtkragen los und ging eilig auf die schlanke, hochgewachsene Gestalt zu.

Auch der andere kam ihm entgegen. Im Halbdunkel erkannte er überrascht, dass es nicht der Mann war, der ihn neulich auf dem Hof besucht hatte. Er verlangsamte seine Schritte.

»Sie haben lieber mich geschickt«, sagte der Unbekannte jetzt statt einer Begrüßung. »Ist unauffälliger, ich hab keine leitende Funktion in der Gruppe, kaum einer kennt mich.«

Noch so ein Blödsinn, die schienen ja wirklich paranoid zu sein. Aber es war ihm gleich, Hauptsache der Typ hatte das Geld.

Der Mann hielt den weißen Umschlag hoch. »Haben Sie das Dokument dabei?«, fragte er freundlich.

»Ja, natürlich, Moment!« Er blieb stehen und zog den Reißverschluss der Mappe auf. Während er versuchte, das Blatt herauszufischen, ohne es zu zerknittern, sah er aus den Augenwinkeln, dass der Mann seine Schritte plötzlich beschleunigt hatte. Der scheint es aber eilig zu haben, dachte er unwillkürlich. Aber etwas stimmte nicht. Er sah ganz auf. Der Mann hatte den Umschlag nicht mehr in der Hand. Stattdessen hielt er die Arme ausgestreckt nach vorn.

Sein überraschtes »Was soll …?« wurde abgerissen von dem heftigen Stoß gegen die Brust, den der Mann ihm versetzte, bevor er schnell einen Schritt zurücktrat.

Er selbst flog rückwärts. Wut flammte in ihm auf. Was fiel dem denn ein?

Er sah noch, dass der andere ihn mit seltsamem Gesichtsausdruck beobachtete, dann spürte er, wie etwas Weißglühendes von hinten in seinen Rücken stach und mühelos hindurchschnitt. Es spaltete sein Rückgrat, dann den Kopf. Kurz war er fassungslos über den grellen Schmerz, der alles verbrannte, den Platz, den Wald, den Himmel. Ein Schrei explodierte in seinem Inneren, fand jedoch keinen Weg mehr nach außen. Die Zeit schmolz zu einem grauen, bleiernen Klumpen zusammen und erstarrte.

Kuhblumen

Wenn ich damals auf meine Eltern gehört hätte, säße ich jetzt in einem sauberen Büro in der Firma meines Onkels Welf in London. Im Businessanzug natürlich, und an einem edlen Schreibtisch, in dessen blanker Oberfläche sich das kühle Licht der Deckenleuchten spiegeln würde. Stattdessen sitze ich unter der offenen Heckklappe meines alten Passat Variant und kratze mir heute schon zum zweiten Mal die Kuhscheiße aus dem Profil meiner Gummistiefel. In solchen Momenten frage ich mich schon, wie das passieren konnte.

»Sie, Herr … Grütz! Wat is dann jetz mit denne Jungbulle und den Ohrmarken?«, unterbricht Bauer Hentze meine trüben Gedanken mit hoher, quengelnder Stimme.

Überrascht sehe ich auf, ich habe gar nicht bemerkt, dass der Landwirt mir nachgekommen ist. Eigentlich habe ich mich schon vor fünf Minuten von ihm verabschiedet. Auch sein Hund, ein Deutsch Drahthaar, der direkt neben ihm bei Fuß sitzt, sieht mich anklagend an. Dabei drückt er mit dem Hintern ein paar leuchtend gelbe Kuhblumen platt, die seitlich herausgucken.

Während ich die Säuberung meiner Stiefel fortsetze, wiederhole ich seufzend, was ich Hentze vorhin schon gesagt habe. »Dafür bin ich nicht zuständig. Sie wissen ja: Das sind die Kollegen vom Veterinäramt. Wenn die Ihnen die Direktzahlungen kürzen, weil Sie die Kälber wieder nicht rechtzeitig gekennzeichnet haben, müssen Sie das bitte mit denen klären. Wir vom Landwirtschaftsamt haben mit Tieren nichts zu tun. Und ich heiße Gryn von Frenz.«

Den letzten Satz habe ich nur leise gesagt, weil: Es bringt eh nichts. Meistens korrigiere ich die Leute gar nicht mehr, wenn sie meinen Namen falsch aussprechen. Ich bin auch gar nicht sauer deswegen. Mit dem Namen Mombert Graf Gryn von Frenz habe ich quasi von Geburt an lebenslänglich. Beschert haben mir das Elend meine Eltern und meine Vorfahren, alter mittelrheinischer Adel. Ich bin also leidgeprüft.

»Nit zuständisch, jo klar! Et is immer datselbe mit denne Windbüggele!«, wehklagt Hentze weiter, während er mit wegwerfender Geste abdreht, seinen ebenfalls empörten Hund im Schlepptau. Der wirft mir über die Schulter einen giftigen Blick zu, als ob er sagen wollte, dich kriege ich als Nächsten an der Wade.

Ich schaue resigniert auf die vom Hundearsch flachgepressten Löwenzahnblüten und entferne die letzten Reste von Hentzes Grund und Boden von meinen Stiefeln, indem ich sie kräftig gegeneinanderschlage. Viel bringt das nicht, weil sich der Geruch nach Mist längst in sämtliche Polster meines Wagens eingefressen hat. Wenn der Tag stressig ist und ich zwei oder drei Höfe abklappern muss, steige ich zwischen den Begehungen oft auch einfach so ins Auto, ohne die Stiefel auszuziehen. Manchmal vergesse ich dann völlig, dass ich die Dinger immer noch anhabe, und stapfe damit auch in mein Büro im Landwirtschaftsamt. Was ganz schlecht ist. Denn wenn dann ein paar Krümel abgefallener Stalldreck auf dem Korridor liegen bleiben, macht Moni, die humorlose Sekretärin vom Chef, mir jedes Mal die Hölle heiß. Weil, was sollen denn die Besucher denken, wenn der klinisch reine Amtsflur derart geschändet wird?

Unsere Besucher sind fast alle Landwirte und werden ein bisschen Stallatmosphäre eher gemütlich finden, denke ich. Aber ich würde es nie wagen, der Moni das zu sagen. Ich nenne sie auch gar nicht Moni, sondern Frau Heisterbach. Nur unser allseits verehrter Amtsleiter Luzius Frings darf sie Moni nennen. Sie muss ihn aber trotzdem siezen.

Jedenfalls, als mir das mit dem Dreck zum ersten Mal passiert ist, habe ich gar nicht kapiert, was Moni hatte. Ich dachte, ihr fehlt was. Als ich gerade aus meinem Büro kam, stand sie plötzlich ganz starr auf dem Gang, sah auf den Boden und schnappte leise röchelnd nach Luft. Das war kein schönes Geräusch. Dann hob sie plötzlich den Kopf, und aus ihren Augen schossen wütende Blitze.

»Sie! Herr von und zu Franz! So jeht dat nit!«, stieß sie empört hervor und zeigte auf den Boden.

Ich sah zuerst gar nichts. Ein paar Krümel halt. Aber offenbar meinte sie genau die. Ich fand das schon arg übertrieben, aber als sie die tiefblauen Augen wie kleine Magnete auf meine Augäpfel heftete, fühlte ich, wie ich trotzdem rot wurde. Ich stotterte eine Entschuldigung und traute mich auch nicht, sie darauf hinzuweisen, dass ich Gryn von Frenz heiße und Gryn dabei auch nicht mein Vorname ist (okay, schlimmer als Mombert wäre das jetzt auch nicht). Denn erstens wusste die Moni das natürlich, und zweitens hörte sie mir eh nicht mehr zu. Sie holte schon das Kehrzeug aus der Abstellkammer neben den Klos und hielt es mir wortlos hin. Widerwillig nahm ich Besen und Blech entgegen und fegte die Bescherung unter ihren gestrengen Blicken weg. Es war erniedrigend.

Unsere Sekretärin ist also eine durchaus furchteinflößende Frau. Und damit ist sie nicht allein. Nicht wenige Frauen hier im Rheinland sind ähnlich wie sie. Einfach so … wahnsinnig energisch eben. Seit der Sache mit dem Schmutz im Flur hole ich mir jedenfalls immer schon freiwillig die Kehrschaufel, sobald ich wieder ein Stäubchen mit ins Amt bringe. Also, zumindest wenn ich weiß, dass unsere Dämoni, wie ich sie seitdem insgeheim nenne, da ist.

Jetzt verstaue ich die Stiefel hinter dem Fahrersitz, ziehe meine normalen Schuhe über und rufe Bauer Hentze, der gerade schimpfend in der offenen Stalltür verschwindet, ein »Tut mir leid! Auf Wiedersehen!« nach, auch wenn er mich gerade Windbeutel genannt hat. Man hat mich schließlich zu ausgesuchter Höflichkeit erzogen, und die ist längst eine Art Reflex geworden, den ich kaum abstellen kann. Als ich klein war, hat meine Großmutter, eine hauchzarte Dame mit fluffig-silbrigem Haar, immer gesagt: »Adel hat nichts mit der Kleidung zu tun, Mombert. Er ist entweder innen, oder er ist gar nicht.«

Ich frage mich, ob sie das auch sagen würde, wenn sie mich jetzt sehen könnte. Vermutlich würde sie mich gar nicht erkennen. Jeans, Flanellhemd und lange Haare kamen in ihrem Universum schlicht nicht vor. Eher hätte die englische Queen beschlossen, fortan nur Jumpsuits zu tragen, als dass meine Großmutter sich in etwas anderem als einem Seidenkleid hätte blicken lassen.

Ich schließe die Heckklappe, stapfe zur Fahrertür und wuchte mich hinters Steuer, das seit einiger Zeit komischerweise immer zu dicht an meinem Bauch zu klemmen scheint. Bevor ich die Autotür zuziehe, höre ich aus der offenen Stalltür Hentzes wütendes »Jau. Du misch auch!«.

Aber egal. Solche Reaktionen bin ich gewöhnt. Klar wäre es schön, wenn jemand es gut fände, dass ich diesen Job mache, wo sich schon meine Eltern leicht angeekelt von meiner Berufswahl und damit gefühlt auch von mir abgewandt haben. Schon von wegen der Anerkennung und so. Aber ich kann wirklich nicht behaupten, dass sich die Landwirte aufrichtig freuen, wenn ich mitsamt Tablet und GPS-Flächenvermessungsgerät bei ihnen aufschlage, um meine Nase mal ganz genau in alles zu stecken. Wir Kontrolleure sind bei den Landwirten ungefähr so beliebt wie ein hartnäckiger Wurmbefall bei ihren Milchkühen.

Ich finde aber, eigentlich bräuchten sich die Bauern nicht zu beschweren. Nur ein paar Prozent beträgt ihre jährliche Chance auf den Jackpot, nämlich meinen Besuch. Wen es ereilt, legt unser Computersystem ganz allein fest. Und zwar mit einer ausgebufften Formel aus Zufallsprinzip und der Frage, ob es schon mal Mängel auf dem Betrieb gab oder die Höhe der Subventionen auffällig abweicht von ähnlichen Höfen. So was schärft unser Programm natürlich richtig an, da wird es ganz wuschig.

Nach dem erbaulichen Vormittag brauche ich erst mal einen Kaffee. Zehn Minuten später halte ich an der Tankstelle am Ortsausgang von Meckenheim und hole mir einen Coffee to go. Schwarz und ohne Milch, so kann ich ein paar Kalorien einsparen. Zurück im Auto will ich einen ersten Schluck nehmen, aber es kommt fast nichts raus aus dem winzigen Schlitz. Ich mache den Deckel einfach ab, nippe ein paarmal an dem heißen Getränk, damit der Becher nicht mehr so voll ist, und stelle ihn offen in die Konsole.

Gerade bin ich losgefahren, da klingelt das Handy, und das Display verrät mir: Es ist Frings, der leuchtende Stern am Amtsleiterhimmel.

Ich schalte auf die Freisprechanlage und melde mich.

»Isch bin et. Hören Se mal …«, sagt Frings statt einer Begrüßung. Er ist immer der Ansicht, wer so wichtig ist, braucht sich nicht vorzustellen.

Als er weiterreden will, unterbreche ich ihn. »Wer spricht denn da?«

»Isch, Frings eben. Menschenskind. Also, wat ist denn da auf dem Betrieb passiert?«

»Äh, wo genau jetzt?«

»Na, bei dem Dingshof, wo Sie waren. Da is einer tot!«

Wie, tot?! Mein Verstand steht kurz still. Hat der Chef was getrunken? Ach Quatsch, der meint sicher ein Tier, das eingegangen ist, wo ich kontrolliert habe. Andererseits … Wo soll da der Zusammenhang sein? Außerdem würde er mich wegen so was kaum auf dem Handy anrufen.

»Gab es einen Unfall?« frage ich ratlos. »Wo denn? Beim Hentze?«

»Nee. Ja. Beim Lammershof. Also nicht auf dem Hof, sondern im Wald, im Kottenforst. Wat genau passiert ist, weiß keiner, dat isset ja. Is Ihnen denn da gestern nix aufgefallen?«

»Nein, als ich da war, haben alle noch gelebt«, witzele ich lahm, und meine Gedanken fahren Karussell.

»Dat is nicht lustig, von Gryn! Der Lammers is tot. Mausetot. Der liegt beim Eisernen Mann. Also, jetzt nicht mehr. Aber die Polizei hat gesagt, der wär … angebrannt. Wie bei ’nem Stromschlag.«

Stromschlag? Ich kapiere rein gar nichts und versuche, einen Sinn in dem zu finden, was der Chef da gerade erzählt.

Als er merkt, dass von mir nichts kommt, redet er weiter. »War vermutlich ein Blitz, aber ganz sicher wissen die dat nicht. Jedenfalls, Sie müssen herkommen. Hier sind drei Beamte, die Sie sprechen wollen. Die Polizei hat die Frau vom Lammers gefragt, wie die letzten Tage abgelaufen sind. Und da hat sie auch von der Betriebskontrolle erzählt.«

»Aber ich bin unterwegs zum Schmiedekotten, dem Hof von den Grünwalds. Wegen der Umstellung auf Bio«, sage ich und höre mich an wie ein Automat.

»Verjessen Se dat! Da können Se später noch hinfahren. Kommen Se jetzt einfach her!«, sagt Frings, und ich höre an seiner Stimme, dass er langsam ungeduldig wird. Prompt setzt er nach: »Aber ’n bessche flöck!«

»Flöck?«, stelle ich mich dumm.

»Na, schnell halt. Dalli!«

Jetzt lässt er wieder den Big Boss raushängen. Wie ich das hasse. Das macht er nur, wenn jemand anwesend ist, den er beeindrucken will. Die Polizisten müssen also gerade mit im Raum sein. So richtig ärgern kann ich mich aber diesmal nicht, dafür ist das alles zu verwirrend.

Sobald ein kleiner Feldweg von der Straße abgeht, wende ich widerwillig und fahre Richtung Rheinbach. Gerade fängt es an zu regnen, und ich stelle die Wischer an. Der Frings muss da was falsch verstanden haben, beschließt mein überfordertes Gehirn. Der Eisenmann ist angebrannt? Hat er damit den Lammers gemeint? Gedankenlos greife ich nach dem Kaffeebecher. Eine Sekunde später schreie ich los, denn ein Riesenschwall heißer Kaffee klatscht mir über Gesicht und Oberkörper. Ich habe vergessen, dass der Deckel vom Becher ab war, verdammt!

Mein Hemd klebt braun auf meiner Haut. Es ist keine Zeit, vorher nach Hause zu fahren und mich umzuziehen, denn im Büro wartet die Polizei. Fluchend fahre ich die nächste Bushaltestelle an, fische mir vom Rücksitz eine alte Zeitung und versuche, das Hemd damit trockenzutupfen. Der Erfolg ist gleich null, war eh klar. Meine Stimmung sinkt tiefer als der Rheinpegel im Hochsommer. Am besten wäre ich heute Morgen gar nicht erst aufgestanden.

Als ich kurz darauf die Glastür der Kreisstelle aufmache, kommt mir unsere Dämoni schon aufgeregt entgegengeeilt. Die hat mir gerade noch gefehlt.

Eigentlich sieht Moni ziemlich gut aus, mal ganz objektiv betrachtet. Sie macht sich aber total bieder zurecht, was keiner im Amt versteht. Sie hat streichholzkurze Haare, aber nicht die schicke Version, sondern die praktische, Marke Herrenschnitt. Sie hat eine zu große Brille, die ihr nicht steht. Und sie trägt ältliche Blusen, obwohl sie erst Mitte dreißig ist. So stark gemusterte Teile, bei denen man sich fragt, wie sich jemand davon so aufrichtig verzückt fühlen kann, dass er unverzüglich zum Kauf schreitet. Wenn sie sich nicht so entstellen würde, kämen ihre ziemlich prachtvolle Figur, die leicht getönte Haut und die dunkelblauen Augen viel besser zur Geltung. Und natürlich vor allem, wenn sie nicht so miesepetrig wäre.

»Die muss erst einer wachküssen«, seufzt mein Kollege Toni immer und sieht ihr schmachtend nach, wenn sie wieder schlecht gelaunt durch die Büros fegt.

Obwohl ich nicht anhalte, dreht Moni mitten im Gehen elegant bei, sodass sie jetzt direkt neben mir läuft. Sie kommt ganz dicht an mich ran und zischt mir laut flüsternd zu: »Gut, dass Sie endlich kommen! Die sind alle beim Frings drin und warten auf Sie. Drei Stück. Beamte, meine ich. Ich mach’ denen gerade Kaffee.«

»Sehr gut! Weiter so!«, flüstere ich konspirativ zurück und hebe ermutigend den Daumen.

Während sie überlegt, ob ich sie jetzt verarscht habe oder nicht, lasse ich sie stehen und steuere das Ende des Gangs an. Ich klopfe an die letzte Tür rechts.

Rabenschwarz

»Ah, dat isser bestimmt! Nun kommen Se schon rein, von Gryn«, erklingt es von drinnen ungeduldig.

Während ich die Tür hinter mir zumache, erhebt sich Frings von seinem schwarzledernen Monstrum von Schreibtischstuhl. In dem mimt er gern den großen Mann, weil er in Wirklichkeit höchstens einen Meter achtundsechzig groß ist. Er kommt auf mich zu, fasst mich plump-vertraulich am Arm und wendet sich mit übertriebenem Lächeln an die zwei Männer und die Frau, die an dem runden Besprechungstisch sitzen: »Das ist unser Herr Graf Gryn von Frenz.« Sein Blick fällt auf mein nasses Hemd. »Was haben Sie denn …«, aber dann kriegt er doch noch die Kurve und sagt: »Also, der macht seit … schon seit einigen Jahren bei uns die Hofkontrollen. Zusammen mit Herrn Küpper, also Toni Küpper, nee, Anton Küpper. Für Ihr Protokoll.«

Als die Beamten keine Anstalten machen, sich etwas zu notieren, gerät er kurz aus dem Konzept, fasst sich aber schnell wieder.

»Genau. Also, auf dem Lammershof war der Herr Graf gestern ja auch allein. Weil der nicht so viel Kontrollaufwand braucht. Also, der Hof.«

Ich verdrehe innerlich die Augen.

Die drei Beamten schweigen nach wie vor und versuchen sichtlich, meinen Namen mit meinem Anblick zu vereinen. Aber das kenne ich schon. Normalerweise dauert es unter drei Sekunden, bis die Leute sich berappeln und so tun, als wäre rein gar nichts Ungewöhnliches an einem Grafen mit abstrusem Namen, der aussieht wie ein Waldschrat. Aber heute kommt erschwerend der riesige Fleck auf meinem Hemd dazu.

Die Polizistin fängt sich als Erste, steht halb auf und macht mit der Hand eine einladende Geste: »Guten Tag, Herr, äh …«, sie guckt auf einen kleinen Schreibblock, der vor ihr auf dem Tisch liegt.

»Gryn von Frenz«, helfe ich widerwillig.

»Ach, richtig. Setzen Sie sich bitte. Ich bin Kriminaloberkommissarin Mariella Papen, das ist mein Kollege, Kriminalinspektor Verhoven.« Sie zeigt auf den jüngeren der beiden Männer. »Wir sind von der Direktion Kriminalität in Bonn. Und der Kollege hier ist Polizeiobermeister Heckenbusch von der Bezirksdienststelle Rheinbach.«

Die beiden Männer murmeln einen Gruß, den ich erwidere, während ich mir einen Stuhl heranziehe. Der ältere Beamte kommt mir irgendwie bekannt vor, aber ich erinnere mich nicht, woher.

»Der Herr Heckenbusch und ich, wir kennen uns ja schon lange«, quatscht Frings dazwischen und lächelt komplizenhaft. »Wir vertreten ja quasi beide den Staat hier im Ort.«

Der ältere Polizist sieht auf und deutet ein säuerliches Lächeln an.

Die Oberkommissarin tut so, als hätte sie Frings nicht gehört. »Danke, dass Sie hergekommen sind. Wir haben nur ein paar Fragen, es dauert nicht lange.«

Sie wartet, bis ihr junger Kollege, ein sportlicher Mann mit dunklem, zum Undercut geschnittenem Haar, sein Notebook aufgeklappt hat und darauf zu tippen beginnt.

Was gibt es denn jetzt schon zu notieren, denke ich, ich habe doch noch gar nichts gesagt.

»Wieso klappt das jetzt wieder nicht?« Der Beamte sieht verärgert auf, und ich überlege erschrocken, ob ich vielleicht gleich die erste Frage nicht mitbekommen habe. Bis mir klar wird, dass er von seinem Laptop spricht.

Die junge Polizistin beugt sich zu ihrem Kollegen rüber. »Der hängt sich in letzter Zeit ständig auf. Mistding. Ist einfach zu alt.« Sie tippt jetzt ebenfalls ein bisschen auf der Tastatur herum.

»Jetzt lass halt, ich nehm den Notizblock und schreib mit«, sagt der junge Beamte entnervt.

Die Oberkommissarin sagt: »Okay, fangen wir einfach an.« Sie wendet sich wieder mir zu. »Es geht um Herrn Horst Lammers. Er ist verstorben, das hat Ihnen Herr Frings ja am Telefon schon gesagt. Sie waren gestern Vormittag zur Betriebskontrolle auf dem Hof des Ehepaars Lammers?«

Ich nicke und schiebe ein »Ja« hinterher, das ist wahrscheinlich besser zum Mitschreiben. Gleichzeitig wird mir das Irrwitzige der Situation bewusst. Wie ich hier sitze und mich mit der Polizei über einen Toten unterhalte. Und um das absurde Theater perfekt zu machen, bin ich offenbar einer der Letzten, die den Landwirt lebend gesehen haben.

»Wann genau sind Sie denn dort eingetroffen?«, fragt die Papen gerade.

Ich überlege kurz. »So um Viertel nach acht vielleicht. Ich kann nachsehen, ich schreib ja immer ein Protokoll.« Zu spät fällt mir ein, dass ich dazu bisher nicht gekommen bin. »Also, normalerweise«, schiebe ich nach. »Ich hab noch nicht geschafft, es fertig zu machen.« Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie sich Frings’ Körperhaltung versteift.

»Aber wenn Sie einen Augenblick warten … Den Kontrollbogen hab ich natürlich abgespeichert, ich hol kurz das Tablet.«

»Das kann die Moni machen«, unterbricht mich mein Vorgesetzter, »die steht eh vor der Tür und lauscht.« Und schon schreit er: »MON … äh, Frau HEISTERBACH! Kommen Se mal und bringen dem Gryn sein Dings, sein Tablett mit! Das liegt …«, er sieht mich fragend an.

»In der rechten Konsole von meinem Schreibtisch«, sage ich. Da habe ich es gestern nämlich liegen lassen, weshalb ich mir heute bei Bauer Hentze mit dem Handy behelfen musste. Frings echot brüllend in Richtung Tür, was ich gesagt habe.

Tatsächlich tönt es fast unmittelbar von draußen: »Moment, kommt sofort!«

Die junge Polizistin zieht daraufhin die Mundwinkel nach unten. Ihre beiden Kollegen tun unbeteiligt und gucken auf das riesige Ölbild, das an der Wand über Frings’ Schreibtisch prangt. Es ist eine ländliche Szene in fifty shades of Kackbraun, die aussieht, als hätte sie ein Zweitklässler gemalt. Man sieht eine schiefe Baumreihe mit dunkelbraunem Laub vor einem ockerfarbenen Himmel. Auf einer Wiese in Karamell stehen ein paar Kühe. Die sehen aus wie zu groß geratene Hunde und glotzen den Betrachter mit hervorquellenden Augen verzweifelt an. Das Opus stammt von unserem Amtsleiter höchstselbst. In seinem Büro stört der in Acryl erstarrte Albtraum nicht weiter. Viel schlimmer ist, dass Frings’ Werke auch unseren Amtskorridor zieren.

Der ältere Beamte sieht nicht ganz ohne Wohlwollen auf das Bild. Der jüngere aber guckt, als hätte ihm eine der Kühe gerade direkt vor die Füße gekotzt.

Schließlich kommt Moni eilfertig rein, um das Tablett zu bringen, und ergänzt ebenso eifrig, dass der Kaffee gleich durchgelaufen sei. Es dauert ein paar lange Augenblicke, bis ich das Gerät hochgefahren habe. Erleichtert lese ich vor: »Beginn der Hofbegehung 8:20 Uhr.« Genau, da hatte ich schon wieder Hunger gehabt, weil ich nur ein labberiges Toast mit Margarine und Käse gefrühstückt hatte.

»Was haben Sie denn da so kontrolliert?« Die Oberkommissarin, die das Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hat, sieht mich interessiert an.

Ja, du meine Güte, soll ich denen jetzt meinen Job erklären? Ich versuche es kurz zu machen und erzähle knapp vom Check der Betriebsdaten, der immer den Anfang bildet, von Nitratproben, der Kontrolle der Fruchtfolge auf den Äckern oder auch der Einstreu der Tierställe. Trotzdem dauert die Fragerei. Die wollen den Ablauf ziemlich genau wissen. Und sie fragen, ob mir bei dem Bauernpaar was aufgefallen sei. Ob sie Streit gehabt oder gereizt miteinander gesprochen hätten. Ob weitere Personen auf dem Hof gewesen seien. Und wie der Landwirt eigentlich auf die Kontrolle reagiert habe.

Falls die jetzt etwas wahnsinnig Aufwühlendes erwartet haben, das zu einem düsteren Mordszenario passen würde, kann ich damit leider nicht dienen. Bis auf die Tatsache, dass der Lammers ein ziemlicher Unsympath war, war auf dem Hof alles so stinknormal, wie es nur sein kann. Von der umwerfenden Optik der Bäuerin mal abgesehen, aber die tut wohl nichts zur Sache.

Cora Lammers sieht nämlich so gar nicht aus, wie man sich landläufig eine Bäuerin vorstellt. Sie ist vielleicht Mitte dreißig, hat sehr helle Haut und rotes Haar, und das leuchtete gestern in der Sonne so warm wie Kirschholz. Ihre Milchhaut setzt sich über einen langen, schwanengleichen Hals bis in das beachtliche Dekolleté fort, und mein Blick war aus Versehen kurz in diese Richtung abgerutscht, bevor ich mich energisch selbst zurückgepfiffen hatte.

Inspektor Verhoven reißt mich unsanft aus der angenehmen Erinnerung. Er stellt mir die Frage, auf die ich schon die ganze Zeit gewartet habe: »Was haben Sie denn eigentlich gestern Abend gemacht? So ab zwanzig bis circa dreiundzwanzig Uhr?«

Offenbar ist der Lammers in der Zeit gestorben. Anstatt aufgeregt zu sein – immerhin scheine ich zum Kreis der Verdächtigen zu gehören –, geniere ich mich plötzlich. Denn ich war weder im Theater oder Kino, noch habe ich mit einer Frau in einem guten Restaurant zu Abend gegessen. Oder was es an kultivierten Beschäftigungen für den Mann von Welt sonst so alles gibt. Beschämt gestehe ich: »Ja also, nicht viel. Ich habe einen Film gestreamt. Ach so, vorher war ich kurz was einkaufen. Ich hatte bloß Toast und Margarine …«

Ich habe einfach kein Leben.

Verhoven macht sich eine Notiz. Keiner der drei fragt nach, ob jemand das bezeugen kann. Wahrscheinlich trauen sie einem Langweiler wie mir sowieso keinen Mord zu.

»Was ist denn eigentlich mit dem Herrn Lammers passiert?«, frage ich in die entstandene Pause hinein.

»Das wissen wir noch nicht genau.« Oberkommissarin Papen wirkt plötzlich reserviert. »Herr Lammers wurde heute am frühen Morgen von einer Spaziergängerin tot aufgefunden. Tief im Wald, beim Eisernen Mann. Gestern Abend hat es in der Gegend ein Gewitter gegeben, möglicherweise wurde er vom Blitz erschlagen. Wir müssen nur sichergehen, dass keine andere Ursache infrage kommt.«

»Janz schwarz war der hinten, total verkohlt!«, mischt sich Frings wieder ein.

»Das hat niemand gesagt«, stellt Inspektor Verhoven angesäuert klar.

»Das kann man sich ja denken. Also, wenn der Strom so stark war, dass der davon totging«, sagt Frings schmollend.

Ich kann noch immer nicht fassen, dass der Landwirt, der gestern zwar schlecht gelaunt, aber eindeutig lebendig vor mir stand, jetzt so einfach tot sein soll. »Was ist noch mal der Eiserne Mann?«, frage ich ratlos, um überhaupt etwas zu sagen. Eigentlich bin ich aus Boppard, ein Stück rheinaufwärts. »Ist das ein Denkmal?«

»Ach so. Nee, das ist so eine Art schmaler Eisenblock«, sagt die Oberkommissarin.

»Eine Stele, vielleicht eins zwanzig hoch«, ergänzt der ältere Polizist, der bisher geschwiegen hat. »Uralt. Steht mitten im Kottenforst an einer Wegkreuzung, ungefähr zwischen Buschhoven und Dünstekoven. War im siebzehnten Jahrhundert wohl eine Art Grenzmarkierung.«

»Dat weiß man nicht! Der könnte auch wat janz anderes sein«, wirft Frings mit düsterer Stimme ein. »Dat Seltsame ist, man kann den nicht bewegen, keinen Millimeter. Nicht mal mit ’nem Trecker.«

»Außerdem heißt es, da spukt’s«, ergänzt Moni, die aus unerfindlichem Grund immer noch im Zimmer steht. »Wenn die Kirchenglocken um Mitternacht läuten, soll er sich dreimal um sich selbst drehen. Wie der General Eisenmann im Dreißigjährigen Krieg. Der hat sich auch dreimal im Grab rumgedreht, und der soll da begraben sein.« Sie schaudert leicht.

»Meine alte Tante hat mal erzählt, dass sie das mit dem Drehen sogar selbst gesehen hat«, rutscht es Frings raus. »Das ist natürlich Blödsinn«, schiebt er schnell nach, als ihn die Beamten entgeistert anstarren. Verlegen wendet er sich an Moni und herrscht sie an: »Frau Heisterbach, wo bleibt denn jetzt der Kaffee?«

Moni schießt einen giftigen Blick hinunter auf unseren Vorgesetzten und verlässt beleidigt das Büro. Ich muss ein Grinsen unterdrücken.

Kurz darauf ist die Befragung zu Ende. Die Kriminalistin und ihr junger Kollege trinken höflich einen Schluck von dem Kaffee, den Moni kurz vor Ultimo noch angeschleppt hat, bedanken sich und ziehen ab. Frings wedelt mich ungeduldig aus dem Büro, während der ältere Polizist einfach sitzen bleibt. Kurz darauf hört man Gläserklirren. Der Chef hat offenbar den Cognac rausgekramt, den er für besondere Besucher bereithält. Heckenbusch scheint enger mit Frings zu sein, als er vor seinen Bonner Kollegen zugeben wollte. Sogar von meinem Büro aus höre ich die beiden lachen.

Zehn Minuten später bricht auch der Wachtmeister auf. Kaum ist er weg, finden sich auf dem Flur ein paar neugierige Kolleginnen und Kollegen ein. Sie wollen von Moni wissen, was die Polizisten im Amt zu suchen hatten.

Bevor Moni loslegen kann, kommt auch der Frings aus seinem Büro und fängt an, wichtigtuerisch herumzuschwadronieren. Er spekuliert lautstark, ob der Tod des Landwirts wohl ein Unfall war, und alle diskutieren jetzt mit, ob vielleicht gar ein Mörder frei herumläuft. Mitten hinein kläfft Friedhelm II., der Rauhaardackel von Kollegin Julia Koslowski. Offensichtlich stachelt der kleine Menschenauflauf unseren Amtsdackel an, denn normalerweise verschläft er den Tag unter dem Schreibtisch seiner Besitzerin. Was ein Glück ist, denn das schlecht erzogene Biest ist bissig.

Frings will seine höchstamtliche Autorität demonstrieren und sagt energisch: »Frau Koslowski, schaffen Sie den Friedhelm hier weg, sonst bleibt der in Zukunft zu Hause!«

Wir wissen alle, das sind nur leere Worte. Der Chef hat den richtigen Moment bereits vor Jahren verpasst. Schon beim Vorgängermodell Friedhelm I. hatte sich Julia, die aus Polen stammt, mit ihrem stählernen Charme durchgesetzt. Sie hatte Frings tagelang mit ihren leicht schräg stehenden Augen umschnurrt – »So eine stattliche Maan! Furchtet sich doch nicht vor kleine Dackelchen, eeeh?« –, bis Frings hilflos nachgegeben hatte.

»Friedchelme! Wo biest du denn? Komme zu dein Frauchän!«, versucht Julia jetzt, ihren kleinen Aggro aus dem Wald aus Menschenbeinen herauszulotsen.

In dem Gewirr von Stimmen und Gebell höre ich auch unsere Dämoni. »Versteht ihr, was Herr Lammers im Wald gewollt hat?«, fragt sie schrill, um den Dackel zu übertönen. »Also, mich würden keine zehn Pferde in den Kottenforst kriegen, wenn es dunkel wird.« Jetzt senkt sie die Stimme, wovon diese seltsamerweise gar nicht leiser wird. »Wisst ihr noch das mit dem Unfall von dem Baumfäller?«, zischt sie. »Das war auch direkt beim Eisernen Mann. Die wollten damals an der Jahrhunderteiche ein paar Äste kappen. Und dann hat der eine sich mit der Kettensäge ins Bein geschnitten, in eine Arterie.« Sie schüttelt sich leicht. »Wahrscheinlich geht das alles wirklich nicht mit rechten Dingen zu!«

Ich muss hier raus. Ich murmle etwas von »Bin weg« und »Eh schon spät dran«, aber es beachtet mich sowieso keiner.

Draußen vor der Kreisstelle atme ich erst einmal tief durch. Was für ein Tag! Wenigstens hat es aufgehört zu regnen. Eigentlich müsste ich jetzt zum Biohof der Grünwalds. Stattdessen beschließe ich, dass ich zunächst eine Pause brauche, auch wenn es noch nicht ganz Mittag ist. Auf dem Weg zu meinem Wagen stoppe ich abrupt.

Ein großer schwarzer Vogel sitzt auf dem Autodach. Eine Krähe, denke ich zuerst. Dann kapiere ich, dass er dafür viel zu groß ist. Das ist ein Kolkrabe! Ich dachte, die gäbe es in der Gegend schon lange nicht mehr. Ich kann mich nur kurz wundern, denn das Riesenvieh kackt gerade mitten auf den Lack.

»Hey, kschsch, weg da!«, schreie ich und fange an zu rennen. Der Rabe beobachtet mich aus kleinen, kalten Knopfaugen. Erst als ich schon fast am Wagen bin, fliegt er schnarrend weg. Es hört sich an wie Hohngelächter.

Schwanengesang

Eigentlich hatte ich vor, in Jupps Gartenlokal zu Mittag zu essen. Als ich den Motor starte, habe ich plötzlich eine andere Idee. Ich könnte mir vorher mal den Platz im Wald ansehen, auf dem der Bauer getötet wurde. Wo ich quasi offiziell ein Mordverdächtiger bin. Außerdem habe ich bisher nie einen richtigen Tatort gesehen.

Kurz darauf biege ich am Rande von Swisttal in ein schmales, geteertes Sträßchen ein, das zwischen den Feldern verläuft. Auf einem kleinen Wanderparkplatz stelle ich den Wagen ab.

Nachdem ich dem Weg ein Stück weiter gefolgt bin, erreiche ich den Waldrand. Die kleine Straße wird abgelöst von einem Forstweg, der tief in den Wald hineinführt. Die Stelle, wo der Eiserne Mann steht, habe ich in meine Karten-App eingegeben. Ich orientiere mich an der dünnen Linie auf dem Display. Der Weg ist nach wie vor nass vom Regen, erst jetzt kommt die Sonne durch, und sofort wird es warm. Kein Laut ist zu hören.

Etwa einen Kilometer später komme ich an einem Jägerhochsitz vorbei, der einige Meter vom Weg entfernt steht. Am Fuß der Leiter steht ein Rucksack. Mein Blick wandert von selbst nach oben. Auf der Sitzbank, halb von Ästen verdeckt, hockt jemand.

Der Mann hat einen ziemlich wilden Bart und trägt einen riesigen Mantel. Neben ihm leuchtet etwas in warmem Rot auf. Erst nach ein paar Momenten kapiere ich: Es ist ein halb gefülltes Glas Rotwein, in dem sich das Sonnenlicht bricht. Vor sich auf der schmalen Ablage hat er einige offene Plastiktöpfchen verteilt. Gerade streicht er sich mit einem Brotmesser etwas aus einem der Töpfchen auf ein Stück Baguette, beißt ab und kaut bedächtig. Er brummt einen kurzen Gruß runter und widmet sich dann wieder dem Essen, ohne mich weiter zu beachten. Der frühe Sommer ist keine Jagdzeit, der Mann kann also kaum Jäger sein. Leicht verwirrt grüße ich zurück und gehe weiter.

Wenige Minuten später erreiche ich eine kleine Lichtung mit einer halboffenen, runden Schutzhütte. Ein paar Holzbänke stehen herum und ein Picknicktisch.

Erst auf den zweiten Blick entdecke ich den etwas gekrümmten Metallpfahl, der am Rande des Platzes in der Erde steckt. Das muss er sein, der Eiserne Mann. Die knotig gewellte, seltsamerweise nicht rostige Oberfläche ist eingedunkelt. Kein Wunder, wo er jahrhundertelang der Witterung ausgesetzt war.

Ich kann nicht näher an ihn heran, denn ein rotweißes Flatterband mit der Aufschrift »Polizeiabsperrung – Betreten verboten« umspannt den Bereich. Der Platz ist menschenleer.

Abgesehen davon kann ich nichts Spektakuläres entdecken. Der ganze Bereich ist dünn geschottert, es gibt ein paar kahle, lehmige Stellen, in denen ein paar alte Fahrradspuren und Abdrücke von Wanderschuhen zu sehen sind. Vereinzelt liegen Kippen und Kronkorken herum.

Ich stelle mir vor, wie er tot und vom Blitz versengt an dem Metall gelehnt hat, der Lammers. Bestimmt hat die Spurensicherung Haut- oder Kleidungspartikel von dem Toten gefunden. Die müssen ja an dem Pfahl kleben, auch wenn man nichts sieht. Jetzt, wo ich die Stelle selbst sehe, kann ich noch weniger glauben, dass jemand sich im Gewitter neben dem Metallpfahl aufstellt und dann wartet, bis da der Blitz einschlägt. Jeder vernünftige Mensch wäre die paar Meter zur Regenschutzhütte gegangen.

Ich sehe mich ein wenig um und mache ein paar Handyfotos von der metallenen Stele und dem Platz. Bis auf das Absperrband sieht alles so normal und friedlich aus, kaum vorstellbar, dass es hier ein Gewaltverbrechen gegeben haben soll. Fast bin ich ein wenig enttäuscht. Vermutlich haben Tatorte es so an sich, dass sie meistens völlig unspektakulär sind.

Zurück nehme ich einen schmalen Weg, der auf dem Handy wie eine Abkürzung aussieht. Es ist nur ein Pfad. Offenbar ist der gar nicht für Fußgänger gedacht, sondern es scheint ein MTB-Trail zu sein, denn zwei Biker brausen mit ihren Fullys an mir vorbei und klingeln ungeduldig, als ich nicht schnell genug Platz mache.

Als ich schon fast wieder am Wanderparkplatz bin, höre ich hinter mir eine Männerstimme aggressiv »Achtung!« rufen. Nur eine Sekunde später rast ein weiterer Radfahrer mit verbissenem Gesichtsausdruck und dunkler Brille an mir vorbei. Und zwar mitten durch eine Pfütze, die anschließend halb leer ist, während meine Jeans vor Schlamm trieft. »Danke, du Arsch!«, rufe ich ihm erbost nach.

Weil ich keine Lust habe, länger als nötig mit einer klatschnassen Hose herumzuspazieren, stapfe ich die letzten fünfzig Meter zum Parkplatz quer durch den Wald über Moos und Reisig.

Plötzlich fahre ich zusammen: Über mir im Baum schnarrt es krächzend, Blätter rascheln heftig. Etwas Großes, Schwarzes kreischt schrill und flattert auf. Der Rabe ist kurz als Schatten vor dem hellen Grün zu sehen, die Äste des Baums zittern ein paar Sekunden nach. Dann ist es wieder still.

Schweinskopf

Wenig später biege ich mit knirschenden Reifen auf den gekiesten Parkplatz von Jupps Gartenlokal ein. Es heißt »Zur sitzenden Wildsau« und war früher mal eine kleine Schule. Das schwarzweiße Fachwerkgebäude liegt direkt am Rande des riesigen Naturschutzgebiets Kottenforst. Ich bin früh dran, der Parkplatz ist bis auf Jupps alten Volvo ganz leer. Draußen stehen unter riesigen Kastanienbäumen ein paar Holztische mit Bänken, die nass vom Regen sind. Zum Glück hat Jupp schon geöffnet, und ich gehe rein.

An den Wänden hängen räudige Hirsch- und Rehbockköpfe, die missmutig auf die Stühle und Tische in altdeutscher Eiche herunterblicken. Auf einer Anrichte staubt ein erschöpfter Fuchs vor sich hin, der seit Jahrzehnten eine filzige Maus im Fang trägt. Und auf einem breiten Sockel mitten im Gastraum hockt »Käthe«, ein ausgestopftes Wildschwein. Niemals würde meine Mutter hier einkehren. Sie zieht eine gediegene Atmosphäre vor, wo man sich an einen Tisch mit weißer Damastdecke und Bleikristallgläsern setzt. Mir ist die Einrichtung schnurz. Ich nehme oft weite Fahrstrecken in Kauf, um zwischen den Hofkontrollen beim Jupp zu essen. Denn hier gibt’s die besten Spezialitäten des Rheinlands ohne jedes Chichi.

»Mo, Jung! Wie isset? Du bist ja früh heut. Allet klar?« Der Wirt steckt fröhlich den Kopf aus der halboffenen Küchentür, während ich meinen Lieblingstisch an einer Eckbank ansteuere. Nicht nur er nennt mich Mo. Meinen Vornamen habe ich schon zur Schulzeit abgekürzt. Das war eine reine Selbstschutzmaßnahme, obwohl es sich inzwischen ganz gut anfühlt.

»Mahlzeit, Jupp«, grüße ich zu dem erstaunlich dürren Wirt rüber. »Geht so. ’n bisschen Stress mit der Kundschaft.« Ich hab keine Lust, vor dem Essen von dem toten Landwirt zu erzählen. Stattdessen frage ich: »Sag mal, kannst du mir ein T-Shirt leihen?«

Er wirft einen Blick auf mein nasses Hemd, verzieht keine Miene und sagt nur knapp: »Ich seh mal!« Er verschwindet hinter der Tür mit der Aufschrift Privat. Kurz darauf erscheint er mit einem Sweatshirt, auf dem riesengroß das weiß-rote Logo einer Kölner Brauerei prangt. Ich bedanke mich, ziehe umstandslos mein Hemd aus und streife das Shirt über. Das nasse Hemd rolle ich zusammen und stopfe es in meine Aktentasche.

Jupp ist inzwischen hinter den Tresen gegangen und hat eine Flasche Malzbier aus dem Kühlschrank gegriffen. »Kein guter Tag heute, wat?«, sagt er im mitfühlenden Tonfall eines Beichtvaters, während er den Kronkorken abknipst.

»Nee, nich so.«

Er nickt verständnisvoll, während er mir routiniert die offene Malzbierflasche und das halb gefüllte Glas hinstellt. »Was krichste denn heute?«, fragt er. »Wieder dat Tagesjericht?« Und dann singend und mit lockender Stimme: »Heute gibbet Rievkooche!« Er grinst.

Tatsächlich steigt meine Laune augenblicklich. Den Teig für die Reibekuchen macht immer Jupps Frau Renate, der ist ihre Spezialität. So ausgemergelt der Jupp ist, so rosig und rund ist Renate. Sie ist ein Flintenweib, und wenn man mich fragt, hat selbst ihr Mann Angst vor ihr. Kochen kann sie allerdings, und zwar so was von gut. Obwohl ich eigentlich abnehmen will, sage ich deshalb bereitwillig Ja zu den fettgetränkten Reibekuchen. »Machste mir eine extragroße Portion Apfelkraut drauf?«

»Ich hab schon ein neues Glas aufgemacht, als ich deinen Wagen gesehen habe«, sagt mein Lieblingswirt. »Weißt ja, dass ich da nicht geize. Auch wenn meine Renate ständig meckert, wieso das Zeug so schnell leer wird. Sie sagt, ich soll überhaupt weniger auf die Teller tun. Als ob wir davon reich würden.« Er sieht über die Schulter, als ob er sichergehen will, dass sein Eheweib sich nicht plötzlich hinter ihm materialisiert hat, und raunt mir zu: »Ihre Mittelmeerkreuzfahrt kriegt sie davon auch nicht. Da kann ich nix für. Sondern dat ist, weil sie ihrer Natascha ständig Geld in den Hintern schiebt.«

Natascha ist Jupps Stieftochter aus Renates erster Ehe. Das letzte Mal, als ich sie gesehen habe, saß sie schlecht gelaunt in so einer roten Riesenerdbeere an der Landstraße und verkaufte Obst und Spargel.

»Neuerdings will sie Hundepsychologin werden, ich fasset nicht. Diese ›Ausbildung‹«, Jupp malt Anführungszeichen in die Luft, »kostet mal eben zweitausend Euro und dauert sechs Wochenenden. Wat für ein Kappes! Und wir können das auch nicht mal eben aus der Lamäng bezahlen.«

Ich sag lieber nichts dazu und nehme einen großen Schluck Malzbier. Anderer Leute Familienprobleme zu hören macht mich immer verlegen. Vor allem bei Tisch. Denn bei uns gilt die Regel, dass da nicht über Sorgen mit der lieben Sippe gesprochen wird. Genauso wenig wie über Religion oder gar über Krankheiten. Okay, in der »Sitzenden Wildsau« ist man vielleicht nicht wirklich »bei Tisch«. Manche Traditionen stecken bei mir so fest im Kopf wie eine Futterrübe im Lehmboden. Zum Glück kommen gerade drei Gäste rein, ihrer Kleidung nach offenbar Handwerker, und Jupp begrüßt die neuen Besucher.

Kurz darauf bringt er die dampfenden Reibekuchen, und sie sind wieder mal ein Gedicht: außen fast dunkelbraun und innen goldgelb und samtig. Ich esse sie mit der Hand, auch wenn ich sie kaum anfassen kann, so heiß wie sie sind. Hinterher lecke ich mir glücklich das letzte Apfelkraut von den Fingern und wische sie notdürftig an der winzigen, dünnen Papierserviette ab. Ich lege Geld auf den Tisch und rufe kurz: »Danke Jupp! Tschö und bis nächstes Mal!«

»Jau, machet joot, Mo! Und lass disch nit ärgere von denne Buure, ne?«, ruft er fröhlich von der Theke zurück und winkt kurz mit dem Lappen, mit dem er gerade die Theke abwischt.

Als ich meinen Wagen ansteuere, fühle ich mich so schwer, als hätte ich einen ganzen Sack Kartoffeln verschluckt. Die Frontscheibe ist wegen der regenfeuchten Luft beschlagen. Während ich warte, bis die Lüftung die Scheibe freigeblasen hat, gebe ich schon mal die Adresse vom Schmiedekotten ein. Nur, irgendwie klappt es schon wieder nicht mit der Motivation. Und auf einmal merke ich: Viel lieber würde ich stattdessen erneut zum Lammershof fahren. Um nach der schönen Bäuerin zu sehen. Ihr zu sagen, dass mir das mit ihrem Mann leidtut. Sie vielleicht zu fragen, ob sie Hilfe braucht. Nur würde sie vermutlich keinen Wert drauf legen.

Es war gestern das erste Mal gewesen, dass ich dort kontrolliert habe. Der Lammers hatte mich verächtlich von oben bis unten gescannt und dann in Gutsherrenmanier gefragt: »Was machen Sie hier?«

Ich stellte mich vor. Meinen Dienstausweis habe ich vergessen. Wäre seine Frau nicht gewesen, hätte er mich garantiert nicht auf seinen Betrieb gelassen. Sie überging ihn einfach, hielt mir die Hand hin und fragte umstandslos: »Was möchten Sie denn als Erstes sehen?«

Sie hatte so eine Art … Sie wirkte sanft und gleichzeitig vornehm. Und sie hatte diesen Blick, der sich nicht damit zufriedengibt, nur die Oberfläche zu sehen. So als ob sie ganz genau ergründen wollte, was für ein Mensch da vor ihr steht. Ich nahm ihre Hand, und bevor ich es verhindern konnte, habe ich ihr einen Handkuss gegeben, ich Idiot. Ihr Mann schnaubte nur ungläubig, als er das sah. Sie schaute mich zwar amüsiert, aber nicht unfreundlich an.

Als ich ein paar Stunden später mit der Hofbegehung fertig war, werkelte sie gerade im Bauerngarten vor dem Haus herum und sang dabei leise vor sich hin. Am liebsten wäre ich noch ein bisschen stehen geblieben. Nur um ihr zuzuhören.

Da kreuzt ein neuer und verdammt kratziger Gedanke mein Hirn: Sind nicht in der Mehrzahl der Fälle die Angehörigen die Täter, wenn jemand ermordet wird?

Nein, es war ja ein Blitzschlag,beruhige ich mich und denke an das Gewitter, das auch bei mir in Meckenheim getobt hatte. Das Blechdach meines umgebauten Bauwagens hatte von dem Donner förmlich gescheppert. Trotzdem, ich würde gern wissen, ob ich mich in sie, nur rein theoretisch … Seit meine Exfrau Nabisha mich damals verlassen hat, ohne mir zu sagen, wieso, habe ich mich für keine Frau mehr interessiert. Also, nicht richtig. Ich wünsche mir jedenfalls unheimlich, dass die Witwe Lammers nichts mit dem Tod ihres Mannes zu tun hat. Und jetzt steuert mein Wagen quasi selbsttätig ihren Hof an, ohne dass ich da viel gegen machen kann.

Als ich auf die Zufahrt einbiege, spritzen unter den Reifen ein paar schlammige Steinchen weg.

Nachdem ich den Motor ausgestellt habe und ausgestiegen bin, ist es totenstill. Der Hof wirkt verlassen, obwohl nur wenige Meter entfernt immerhin Hunderte Schweine leben. Nur das leise Summen der Lüftung für die schlauchartigen Stallgebäude ist zu hören. Ich habe das starke Gefühl, dass es eine blödsinnige Idee war, herzukommen. Nun ist es zu spät. Falls die Bäuerin zu Hause ist, hat sie mich bestimmt längst bemerkt. Ich gebe mir einen Ruck, atme ein letztes Mal tief durch und gehe zur Haustür.

Auf mein Klingeln hin scheint sich das Haus förmlich in ein abwehrendes Schweigen zurückzuziehen. Kein Hund bellt, nicht einmal eine Katze kräuselt drinnen den Vorhang, weil sie neugierig auf die Fensterbank springt. Ich sehe mich um. An der halb offen stehenden Tür des gekalkten Nebengebäudes hängt eine saubere weiße Schlachterschürze aus Gummi. Die Tür war bei meinem ersten Besuch geschlossen gewesen. Sieht so aus, als machten sie hier auch Hofschlachtungen. In dem Anbau ist ein orangefarbener Stromgenerator zu sehen.

Die Landwirtin selbst kann ich nirgends entdecken. Vielleicht ist sie im Schweinestall, da kann ich nicht einfach so reingehen. Sonst kann bei den überzüchteten und psychisch labilen Tieren Panik ausbrechen. Und dann scheiden sie gern mal reihenweise am plötzlichen Herztod dahin.

Ich rufe ziemlich entmutigt in die Stille: »Frau Lammers?«

Keine Antwort. Unschlüssig sehe ich wieder auf das Haus aus Naturstein mit seinen dunkelrot gestrichenen Fensterrahmen und grünen Klappläden. Die Farbkombi hatte mir bei meinem ersten Besuch schon gefallen. In ferner Zukunft möchte ich auch so ein Haus haben. Darin hätte ich honigfarbene Möbel aus Massivholz und gewachste Dielenböden mit hellen Wollteppichen, auf die die Sonne scheinen würde.

Als ich gerade gehen will, höre ich drinnen Schritte. Cora Lammers öffnet die Tür. Ihr Blick streift kurz mein Gesicht. »Ach, Sie sind’s«, sagt sie. Dann sieht sie an mir vorbei, und ihre Augen werden leer. Sie wirkt nicht überrascht, nicht einmal neugierig. Wahrscheinlich steht sie einfach unter Schock, denke ich. Ansonsten sieht sie völlig normal aus, will heißen: genauso gut wie gestern. Keine Ringe unter den Augen, keine geröteten Lider. Bestimmt hat sie ein Beruhigungsmittel genommen.

»Guten Tag, Frau Lammers. Ich wollte …« Ja, was will ich eigentlich? Meine Zweifel, ob das alles eine gute Idee war, nehmen gerade riesengroße Ausmaße an. Mein Auftritt hier kommt der Witwe garantiert völlig bizarr vor.

»Äh, ich wollte einmal nachschauen, wie es Ihnen geht. Die Polizei war bei uns in der Kreisstelle und … Das mit Ihrem Mann tut mir sehr leid!«, stottere ich.

Sie schweigt. Dann richtet sie die Augen auf den Boden, lacht bitter auf und sagt leise: »Tja.«

Das ist nun doch … eine verwirrende Reaktion. Ich fange mich. »Kann ich etwas für Sie tun? Ich meine, brauchen Sie Hilfe mit den Tieren und so? Sie können bei Ihrer Genossenschaft einen Betriebshelfer beantragen für die Zeit bis … also, bis Sie wissen, wie es weitergehen soll.«

Sie sieht mich zum ersten Mal direkt an. »Das habe ich auch schon überlegt. Bis Ende letzten Monats hatten wir auch einen Mitarbeiter, den Nick. Aber der hat jetzt angefangen, Landwirtschaft studieren. Seitdem sind … waren wir nur noch zu zweit. Schon das war kaum zu schaffen.« Auf einmal sieht sie müde aus. »Was muss ich denn da machen?«

Sie wirkt so zerbrechlich, dass ich mich sagen höre: »Ich kann für Sie da anrufen, wenn Sie wollen. Sie müssen dann nur den Antrag ausfüllen. Das geht natürlich auch später, wenn der Helfer kommt.«

Sie nickt. Als sie nichts weiter sagt und das Schweigen langsam peinlich wird, stottere ich: »Okay, dann wissen Sie ja Bescheid. Haben Sie denn … gibt es jemanden, der Ihnen jetzt zur Seite steht?«

»Nein.« Und dann, als ob ihr das gerade erst einfiele: »Meine Schwester. Sie kommt heute Nachmittag.« Sie zögert. »Sie war ein paar Jahre nicht hier. Seit meiner Hochzeit damals haben wir uns … nicht mehr so gut verstanden.«

Dann fällt sie mir förmlich aus dem Mund, die Frage: »Was war denn eigentlich mit Ihrem Mann? Ich meine, was ist passiert?«

Sie schaut mich an, als ob ich sie nach Ihrer Körbchengröße gefragt hätte. Schließlich antwortet sie zögernd: »Er war am Abend im Kottenforst. Wir haben da ein paar Waldgrundstücke. Er war in letzter Zeit öfters da.« Sie sieht meinen fragenden Blick und ergänzt: »Weil er einige Grundstücke abstoßen wollte. Ich glaube, er hatte vor, nach den Vermessungspunkten zu suchen. Er sagte, sie seien zugewachsen.«

»Um die Uhrzeit noch?«

»Es wird ja im Moment spät dunkel. Und Horst hat nie früh Feierabend gemacht. Er war ständig unterwegs.« Geistesabwesend sieht sie an mir vorbei.

Gerade als ich denke, mehr wird nicht mehr kommen, redet sie weiter.

»Die Polizei sagt, er hatte Spuren hinten am Kopf. Und am Rücken. Schlimme Verbrennungen, wie von Strom. Es war bestimmt ein Blitzschlag, abends war ja ein schweres Gewitter.«

»Und er lehnte wirklich an diesem … Eisernen Mann?«