Sauerbratentod - Mila Kuhn - E-Book

Sauerbratentod E-Book

Mila Kuhn

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Beschreibung

Mombert Gryn von Frenz ist das schwarze Schaf seiner adeligen Familie. Mit Verbrechen will er eigentlich nichts mehr am Hut haben. Doch dann wird im Kottenforst bei Bonn die Leiche einer Frau gefunden - und schnell gibt es einen Verdächtigen: Magnus Preuss, Hausmeister eines nahegelegenen Tagungszentrums.

Mombert kennt den Verdächtigen, da der nebenbei einen kleinen Bauernhof betreibt. Auf keinen Fall hat dieser sanftmütige Mann einen Mord begangen! Davon kann Mombert auch den gemütlichen Dorfpolizisten Heinz Heckenbusch überzeugen. Gemeinsam mit der smarten Kommissarin Mariella Papen machen sie sich auf die Suche nach dem wahren Mörder ...

Spannend, liebenswert-skurril, lustig - der zweite Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.

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Ähnliche


Inhalt

Cover

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

Prolog

Sturmvogel

Ziegenbart

Saulecker

Schräger Vogel

Hasenherz

Bunter Hund

Katzenmusik

Löwenmäulchen

Pferdefuß

Wildwechsel

Kuhhaut

Windhund

Rabeneltern

Schlafende Hunde

Wolfsmilch

Friesennerz

Zaunkönig

Bockshorn

Wolfsnacht

Bluthund

Drachenauge

Zuckerschnecke

Wilde Hummel

Krummer Hund

Rosskastanien

Affenzahn

Lackaffe

Herzkäfer

Krähenauge

Hundewetter

Scharfer Hund

Pechvogel

Ochsentour

Nachteulen

Nestflüchter

Mausefalle

Rollmops

Schlaufuchs

Pleitegeier

Diebische Elster

Hahnentritt

Bärendienst

Höllenhund

Hundstage

Hasenbrot

Haifischbecken

Hornochse

Geißfuß

Glücksschwein

Sturmvogel

Rattenloch

Todesvogel

Katzensprung

Venusfliegenfalle

Herzmuschel

Schlangenwurz

Mopsfidel

Epilog

Glossar

Endnoten

Über die Autorin

Weitere Titel der Autorin

Impressum

 

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Über dieses Buch

Mombert Graf Gryn von Frenz, schwarzes Schaf seiner adeligen Familie und von Beruf Landwirtschaftskontrolleur, will eigentlich mit Verbrechen und Ermittlungen nichts mehr am Hut haben. Doch dann wird im Kottenforst bei Bonn die Leiche einer Frau gefunden – und schnell gibt es einen Verdächtigen: Magnus Preuss, der Hausmeister eines nahegelegenen Tagungszentrums. Mombert kennt den Verdächtigen, da der nebenbei einen kleinen Bauernhof betreibt. Auf keinen Fall hat dieser sanftmütige Mann einen Mord begangen! Davon kann Mombert auch den gemütlichen Dorfpolizisten Heinz Heckenbusch überzeugen. Gemeinsam mit der smarten Kommissarin Mariella Papen machen sie sich auf die Suche nach dem wahren Mörder …

Spannend, liebenswert-skurril, lustig – der zweite Fall für den ermittelnden Graf Mombert aus dem Rheinland.

Mila Kuhn

Provinzkrimi

 

Für Uwe

Prolog

Der Wind riss ihr die Autotür aus der Hand, als sie ausstieg. Das überdehnte Metallscharnier knarzte gequält. Zum Glück war der Parkplatz um diese späte Uhrzeit fast leer, bis auf den Wagen ihres Mannes und einiger Mitarbeiter, die heute Überstunden machen mussten. Hätte ein Wagen direkt neben ihr gestanden, hätte er garantiert eine Delle abbekommen. Ungeduldig stemmte sie die Wagentür zu, querte den Parkplatz und betrat den schmalen Weg, der durch das kleine Gehölz zum Gebäude führte. Der Weg wurde durch ein paar niedrige Lampen, die auf Metallfüßen standen, schwach erhellt.

An ihrem Schultertuch zog der Wind jetzt auch. Fröstelnd zerrte sie es enger um sich. Zu blöd, dass sie so spät noch mal herkommen sollte. Wenigstens ließ das stetige Wehen etwas nach, als sie die ersten Meter ins Wäldchen hineingegangen war. Nur oben in den Kronen rauschte es weiterhin, und irgendwo knackte es leise. Es störte sie nicht, sie hatte noch nie Angst gehabt im Dunkeln. Nur noch ein paar Schritte, dann würde sie die offene Wiese vor dem dreistöckigen Tagungshaus erreichen. Sie konnte schon das chromglänzende Kunstwerk aus Stahl sehen, das davor auf dem Rasen stand, es wurde von zwei Bodenstrahlern angeleuchtet. Bei dem Licht sah man die Beschädigung fast nicht, die kürzlich durch einen umgestürzten Baum entstanden war, auch wenn die Skulptur etwas schräg stand. Die Fassade aus Waschbeton und Glas tauchte jetzt ebenfalls hinter den Ästen auf. Gleich würde sie im Warmen sein. Sie sah, dass die meisten Etagen bereits dunkel waren. Viktors Büro im obersten Stockwerk war noch hell, und auch in ein, zwei Nachbarbüros brannte noch Licht. Gelbe Würfel im Dunkel.

Nach ein paar Momenten der Stille knackte und raschelte es schräg hinter ihr erneut. Vermutlich eine Maus oder vielleicht auch ein Marder, der im trockenen Laub nach Schnecken suchte. Obwohl, dafür war das Geräusch ein bisschen zu laut. Ihr fiel ein, wie sie und Viktor neulich beim Abendspaziergang im Kottenforst zwei Rehe aufgescheucht hatten. Sie sah kurz über die Schulter, ohne anzuhalten. Hauptsache, es war kein Wildschwein. Die sollten angeblich gefährlich sein, vor allem jetzt im Frühling, wenn sie Frischlinge hatten. Im Unterholz war alles schwarz, das Licht der Bodenstrahler reichte nicht bis ins Gebüsch. Jetzt war alles wieder ruhig.

Während sie weiterging, dachte sie an die Tagung, die am Vormittag abgesagt worden war. Über hundert Teilnehmer wären gekommen. Was für ein herber Verlust. Der Kunde, eine große Versicherung, hatte das ganze Paket gebucht, die Tagungsräume, die Kommunikationselektronik, die Zimmer mit Vollpension im Haus. Sie hätten den Auftrag nach den schwierigen Jahren so gebraucht. Jetzt würden sie maximal die Anzahlung einbehalten können.

Hinter ihr knackte es plötzlich erneut, diesmal lauter. Es war wohl doch ein größeres Tier im Gebüsch. Und wenn es gar kein Tier …? Unsinn, schalt sie sich, wer sollte sich denn abends und noch dazu bei dem Wetter hier herumtreiben? Trotzdem ging sie ein wenig schneller. Gerade als sie abermals über die Schulter nach hinten schauen wollte, knickte sie mit dem rechten Pumps um. Vor Schmerz schrie sie auf. Stöhnend und mit verzerrtem Gesicht beugte sie sich nach vorn, zog den Schuh vorsichtig ganz ab und rieb sich den Knöchel. Das durfte doch nicht wahr sein! Sie hatte schon x-mal gesagt, dass auch der Weg durchs Wäldchen endlich gepflastert werden musste. Viktor hatte entgegnet, sie sollten im Moment lieber sparen, wo es ging.

Sie wartete einige Augenblicke, bis der erste Schmerz nachließ. Vorsichtig trat sie auf. Es tat sehr weh, trotzdem schien der Fuß nicht gebrochen. Es half nichts, sie würde auch den zweiten Schuh ausziehen müssen, um dann zum Gebäude zu humpeln. Von dort würde Viktor sie heimfahren müssen, denn selbst fahren konnte sie so auf keinen Fall. Wäre sie doch bloß zu Hause geblieben!

Als beide Füße bis auf die dünnen Nylons nackt waren, fühlte sie die Kälte des Bodens an der Fußsohle. Die spitzen Steinchen des geschotterten Wegs stachen schmerzhaft in die Haut. Fluchend griff sie mit der linken Hand nach den Pumps und wollte sich gerade wieder aufrichten, als sie hinter sich schnelle, kurze Schritte hörte. Mit einem erschrockenen Laut atmete sie ein. Einer der Schuhe fiel herunter.

»Was …«

In der nächsten Sekunde schlug ihr jemand auf den Rücken. Zweimal kurz hintereinander. Es gab jeweils ein dumpfes Geräusch, und es tat weh. Kurz schrie sie auf. Als sie erschrocken Luft holen wollte, musste sie husten. Sie beugte sich vor. Zum Glück verebbte der Schmerz nach einigen Augenblicken wieder. Sie versuchte, die Panik niederzukämpfen. Immerhin hatte der Unbekannte ihr offenbar sonst nichts getan. Erleichtert richtete sie sich wieder auf. Es war wohl nur ein Handtaschenräuber gewesen, denn die Tasche hing nicht mehr über ihrer Schulter.

Trotz der Schmerzen im Fuß hastete sie weiter auf das Gebäude zu. Erst drinnen würde sie ganz in Sicherheit sein. Kurz wunderte sie sich darüber, dass sie den Dieb nicht hatte weglaufen hören. Egal, sie hatte keine Zeit, sich umzusehen, sie wollte nur noch ins Haus.

Sie erreichte jetzt den Rasen. Das Laufen wurde auf einmal seltsam anstrengend. Mühsam setzte sie einen Fuß vor den anderen. Sie war plötzlich unsäglich müde. Und der Husten, der bestimmt von den heftigen Schlägen kam, hörte auch nicht auf.

Sie beugte sich wieder nach vorn und stützte die Hände auf den Knien ab. Sie würde sich kurz ausruhen müssen. Am besten setzte sie sich einfach hin, es sah sie schließlich keiner. Sie ging in die Hocke und wollte sich dann vorsichtig seitlich setzen, wegen des engen Rocks. Auf einmal gab ihr Arm nach, und sie lag mit der Wange auf dem spitzen, kalten Schotter. Ein bleicher Nachtfalter tauchte in ihrem Sichtfeld auf, der um eine der niedrigen Lampen taumelte. Sie sah ihm zu.

Nach einigen Augenblicken fiel ihr dieses Röcheln auf. Seltsam. Das Geräusch schien von weit weg zu kommen. Noch von dem Dieb? Nein, es gehörte eher zu jemandem, den sie gerade träumte. So musste es sein. Sicher würde sie gleich aufwachen. So war es doch immer bei Albträumen.

Sturmvogel

Dieses ewige Pfeifen der Zugluft macht mich wahnsinnig. Und nicht nur mich. Alle in unserer kleinen Behörde macht der sirrende Ton, der seit Wochen nicht aufhört, atemlos und fiebrig. Die Stimmung ist gereizt. Keiner kann sich daran erinnern, dass es so etwas schon mal gegeben hätte. Dass der Wind sich gar nicht mehr legt, nicht mal für eine Minute.

Noch schlimmer ist, dass das unheimliche Geräusch die verschütteten Wolfsgene von unserem Amtsdackel Friedhelm II. weckt. Ständig stimmt er mit melancholischem Geheul darin ein. In seinen eigenen Ohren klingt er vermutlich nach wildem Steppenwolf. In Wahrheit hört er sich an wie ein lungenkranker Uhu. Unsere Dämoni, die eigentlich nur Moni heißt und der Vorzimmerdrachen vom Chef ist, ist zurzeit noch übler gelaunt als sonst. Sie schreit gefühlt hundertmal am Tag: »Fenster zu! Sonst hört der Köter nie auf!«

Dabei hat Friedhelm Zwei es momentan echt schwer. Er steckt mitten in einer Depression, was seinen Drang, sich quasi mal richtig auszuheulen, natürlich verstärkt. Denn sein Frauchen Julia Koslowski, das immer nur für ihn da war, hat sich neuerdings verliebt. Und zwar ausgerechnet in den Kollegen Toni, seinen Erzfeind. Der Dackel, vor dem früher keine von Tonis Hosen sicher war, steht seitdem komplett neben sich.

Die Wetterkarte im Fernsehen sieht seit Wochen so unverändert aus, dass ich ziemlich sicher bin, dass sie inzwischen jeden Tag dieselbe nehmen. Mehrere runde Hochdruckzellen sind da über dem Westen Europas zu sehen. Zwischen denen, erklären die Meteorologen mit beseeltem Gesicht, haben sich schmale Tiefdruckkorridore gebildet. Und durch die werden unaufhörlich riesige Luftmassen hindurchgesogen, wie durch gigantische Schlüssellöcher. Und dabei nehmen sie ordentlich Fahrt auf.

Zuerst hatten wir uns alle über den lauwarmen Wind gefreut. Er hatte auf den Bürgersteigen die letzten schmutzigen Schneepolster aufgesaugt. Okay, neben ersten Schneeglöckchen hatte er auch vom Winter konservierte Hundehaufen zum Vorschein gebracht, und auch Klumpen aus alten Papiertaschentüchern bekamen ihr Comeback. Trotzdem, der linde Frühling schien endlich da. Aber seit der Wind gar nicht mehr aufhört, gibt es niemanden mehr, dem das noch geheuer wäre.

Ich bin heute früh dran, es ist noch ruhig im Amt, vom üblichen Singen der Luft in den Fluren abgesehen. Zuerst steuere ich unsere kleine Küche an. Ich brauche einen Kaffee. Daheim in meinem Bauwagen konnte ich heute Morgen noch keinen trinken. Der Rauch meines Kanonenofens kann bei dem Wind nicht abziehen, er wird ständig wieder zurückgedrückt.

Klar, ich hätte auch einen Kaffee drüben im Bauernhaus bei Cora kriegen können. Seit ich allerdings mein Tiny House bei ihr auf dem Hof parke, wie soll ich sagen, stagniert unsere Beziehung irgendwie. Ich sehe Cora meistens nur von Weitem, wenn sie auf dem Gabelstapler sitzt und mit wehendem Schopf Strohballen hin und her fährt. Wie eine Wildrose sieht sie dann aus mit ihrem erhitzten Gesicht und dem roten Haar. Sie winkt immer kurz, und wenn ich zu ihr hin will, ist sie schon wieder verschwunden. Fast kommt es mir vor, als ob der Wind sie von mir wegwehen würde.

Letztes Jahr hatte ich ihr angeboten, meinen Bauwagen bei ihr auf dem Hof zu parken. Nach dem Mord an ihrem Mann hatte sie Angst, allein zu sein. Immerhin war der Täter in ihrem Haus gewesen. Ich hatte eigentlich gehofft, wir würden einander näherkommen. Nach einer gewissen Trauerzeit natürlich, auch wenn ihre Ehe schon lange zerrüttet war. Ich mag Cora nämlich sehr. Ehrlicherweise noch mehr als das. Und auch sie hatte mir signalisiert, dass ich ihr nicht völlig egal war. Das habe ich mir zumindest eingebildet. Aber inzwischen bin ich mir nicht mehr so sicher.

Die Kaffeedose ist leer. War eh klar. Hinten im Schrank finde ich noch eine uralte angebrochene Packung mit einem Gummi drum. Der Kaffeeduft, der kurz darauf die kleine Büroküche erfüllt, hebt meine Stimmung immerhin etwas. Während die Maschine ihre letzten Schnorchler von sich gibt und ich meine Tasse schon mal fülle, ertönt plötzlich eine schrille Stimme im Flur.

»Hat das hier irgendjemand verloren?«

Lustlos schlurfe ich mit der dampfenden Tasse zur offenen Küchentür und werfe einen Blick in den Gang. Moni steht mitten auf dem Flur. Sie steckt heute in einer längsgestreiften Satinbluse, die aussieht wie ein Pyjama-Oberteil. In der rechten Hand hält sie einen dünnen, langen Stock. An dessen Spitze hängt etwas runter, das aussieht wie ein ziemlich struppiges und ziemlich totes Tier.

Nun doch neugierig geworden, gehe ich näher.

»Das sieht aus wie … Ach, das ist ein Toupet!«, sage ich einigermaßen überrascht.

»Ich weiß. Ich bin ja nicht blind«, entgegnet Moni trocken. »Es hing in dem kleinen Baum am Parkplatz. Zuerst dachte ich, es wär ein toter Vogel.« Sie blickt leicht angeekelt auf das Haarteil. »Wem ist das?« Argwöhnisch sieht sie auf meinen Kopf.

»Also, meins ist es jedenfalls nicht.« Ich bin keine Schönheit, aber auf meine dichten Haare, die gerade lang genug sind, dass ich sie mit einem Lederband zusammenbinden kann, bin ich schon ein bisschen stolz. Ich habe kaum zu Ende gesprochen, als die letzte Tür hinten im Korridor aufgeht.

»Frau Heisterbach! Komm ma her!«, zischt unser Amtsleiter Luzius Frings und winkt energisch. Fast hätte ich ihn nicht erkannt, denn wo sich sonst Frings’ Haupthaar befindet, leuchtet jetzt eine bleiche Schneise.

Kurz blickt Moni zwischen unserem Chef und dem struppigen Etwas an ihrem Stock hin und her, kapiert dann, eilt den Flur entlang und hält ihm den Ast aus sicherem Abstand hin. Sein Arm schießt vor, schnappt sich das Büschel, und schon knallt die Tür wieder zu. Moni schaut eine Sekunde konsterniert auf die leere Stockspitze. Dann dreht sie sich zu mir um. Und ich kann es kaum glauben, auf einmal zuckt ein Grinsen über ihr chronisch missgelauntes Gesicht. Eine Sekunde später bricht sie in haltloses Kichern aus. Das ist ein sehr rarer Anblick, und ein angenehmer noch dazu. Denn die Moni sieht, wenn man ihren gruseligen Kleidergeschmack außen vor lässt, ziemlich gut aus. Erst recht, wenn sie lacht.

Ihr Kichern ist ansteckend, und in seltenem Einvernehmen lachen wir unterdrückt, bis wir uns krümmen.

Plötzlich geht Frings’ Tür erneut auf. Er hat sich das Haarteil wieder auf den Kopf getackert, oder wie auch immer man so was befestigt. Während er jetzt versucht, mit den Fingern die letzten Strähnen an ihren Ort zu kleben, kommt er leutselig auf uns zu. Wir hören auf zu lachen, Moni streicht ihre Bluse glatt, und ich zeige auf meine Bürotür.

»Also, ich muss dann mal wieder.«

Leider ist es zu spät.

»Hören Sie mal, Gryn von Frenz! Isch wollte wat mit Ihnen besprechen.« Frings lächelt wie ein Krokodil und baut sich in seiner imposanten Größe von einem Meter achtundsechzig vor mir auf. Dann wendet er sich kurz an Moni. »Isch will disch nit aufhalten, Frau Heisterbach, du hast sischer irgendwat zu tun.«

»Klar. Ich lass Sie dann mal allein«, sagt Moni schnell, grinst mich schadenfroh an und entfernt sich, wobei sie den Stock wie einen Speer über die Schulter legt.

»Also, von Gryn, wat isch sagen wollte«, er hört auf zu lächeln und fasst mich plump-vertraulich am Arm. »Mir is da wat aufgefallen. Ihre Berichte werden in letzter Zeit immer kürzer. Kaum noch Beanstandungen auf den Höfen.« Jetzt sieht er mich streng an. »Also, entweder sind unsere Landwirte alle brav geworden wie die Lämmer. Oder Sie sind zu lax.«

»Nee, das ist Zufall«, hebe ich an. »In letzter Zeit waren tatsächlich die meisten …«

»Seien Sie bloß nit zu nachsichtig!«, unterbricht er mich. »Bringen Sie Ihre Dings, kriminelle Energie ruhig mehr ein bei den Kontrollen.«

»Äh, kriminelle Energie?«, frage ich ratlos.

»Sie wissen schon, Ihre Erfahrungen als Krimineller … Kriminaler, mein isch. Ihre Spürnase halt. Zeigen Sie doch mal, wat Sie bei der Polizei gelernt haben. Bei Ihren Ermittlungen letztes Jahr.« Bei »Ermittlungen« malt er Anführungszeichen in die Luft und lacht gönnerhaft auf. Dann wird er wieder ernst. »Sie müssen dafür sorgen, dat wir als Landwirtschaftsamt respektiert werden! Wo kommen wir denn sonst hin?«

Nach Köln vermutlich nicht, denke ich sarkastisch. Denn ich weiß, unser Amtsvorsteher möchte lieber ein hohes Tier bei der Bezirksregierung werden, anstatt bei uns in der Provinz zu versauern. Und dafür muss er wohl eine gewisse Erfolgsbilanz vorweisen.

»Jawohl, Chef!«, sage ich schneidig. Und während er noch überlegt, ob ich ihn jetzt verscheißere, ergänze ich: »Dann will ich Sie auch nicht länger aufhalten, sondern unverzüglich die nächste Betriebskontrolle vorbereiten.« Ohne seine Reaktion abzuwarten, drehe ich mich um und verschwinde in meinem Büro.

Entnervt lasse ich mich in meinen Schreibtischstuhl fallen und nehme erst mal einen Schluck Kaffee. Der schmeckt wie ein Tritt vors Schienbein. Was für ein Montag!

Ich habe gerade ein paar Anträge auf Ausgleichszahlungen bearbeitet, als der SMS-Pling mich aus der morgendlichen Beschaulichkeit reißt.

Hi, Mo! Lange nichts gehört. Geht einem auf den Senkel, der Wind, oder? Ich hoffe, es ist alles gut bei dir. Hast du schon das mit der abgehackten Hand gehört? Gruß, Melly.

Sofort habe ich ein schlechtes Gewissen. Ich habe mich ewig nicht bei Mariella Papen, der Bonner Kriminaloberkommissarin, gemeldet. Wir haben im letzten Sommer den Mord an Coras Mann aufgeklärt, an den Mellys Vorgesetzte nicht glauben wollten. Mit Heinz, dem dritten Part unserer nicht ganz legalen Soko, bin ich immerhin mal auf ein Bier gewesen. Aber auch von dem gutmütigen Polizeiobermeister habe ich schon länger nichts gehört. Erst jetzt erreicht Mellys letzter Satz mein Bewusstsein. Was ist das für eine Horrorstory mit der abgehackten Hand?

Rasch sehe ich im Internet nach. Grausiger Fund im Kottenforst – Kinder traumatisiert,leuchtet mir zwei Sekunden später die Schlagzeile eines Nachrichtenmagazins entgegen. Die Meldung ist vom Samstagmorgen, also von vor zwei Tagen. Am Wochenende habe ich meine Familie besucht, in unserem Weinschlösschen in Boppard. Meine große Schwester Theodora hatte ihren neuen »Bekannten« angeschleppt. Wenzel Baron von Soundso, ein ältliches Männchen mit einem Stock im Hintern. Keiner hat kapiert, was Theo von dem will. Das Schlimmste ist, er hat die Haare blondiert. Allerdings ist da was schiefgegangen, denn die Farbe sieht aus wie Urin im Schnee. Seit meine Schwester von Bertil, ihrer Flachzange von Verlobtem, verlassen worden ist, sucht sie krampfhaft einen neuen potenziellen Ehemann. Liebe scheint dabei nebensächlich zu sein, Hauptsache es ist jemand aus »unseren Kreisen«. Ich argwöhne, dass sie momentan einfach einen weg hat, weil ihr blöder Bertil sie so enttäuscht hat.

Das Foto eines abgetrennten Unterarms, das gerade auf dem Display aufpoppt, reißt mich unsanft aus meinen Gedanken. Der Armstumpf ist seltsam grau und geht bis zum Ellenbogen. Schwarz geronnenes Blut klebt dick an der offenen Stelle. Als hätte jemand den Arm in dunkle Schokolade getaucht. Mittendrin gibt es zwei kleine, bleiche Flecken, und ich kapiere, dass das die beiden Unterarmknochen sind. Ich spüre, wie mir eine Mischung aus Magensäure und Kaffee die Speiseröhre hochwandern will.

Benommen lese ich, dass die Hand einer Frau gehörte, und dass das Körperteil in einem hohlen Baumstamm im Kottenforst gefunden wurde, in der Nähe von Bornheim. Der Baum wird im Artikel »Kamelleboom« genannt. Nur, was haben Kamelle, also Bonbons, mit einem Baum zu tun? Der amputierte Arm, steht da weiter, wurde von zwei Schulkindern entdeckt, die in die Höhlung des Baums gefasst hatten.

Ich greife nach meinem Handy und tippe schnell ein paar Worte in die Tasten.

Hallo, Melly. Gut geht’s, ich hoffe, dir auch. Was ist denn das für eine Sache mit dem Arm?

Keine zehn Sekunden später klingelt mein Telefon.

»Was soll denn damit sein? Denkst du, eine Spaziergängerin hat ihre Hand in das Loch gesteckt und sie dann da drin vergessen?«, fragt die Oberkommissarin spöttisch. »Ein Gewaltverbrechen war das, was denn sonst?«

»Hallo, Melly, ich freu mich auch, dich zu hören.«

Sie lacht verlegen. »Sorry! Okay, noch mal von vorn: Hallo, Mo, ich wollte mich längst mal bei dir …‟

»Schon gut, geht mir doch auch so. Habt ihr den Täter schon?«

Sie seufzt. »Bisher nur einen Verdächtigen. Aber das ist nix fürs Telefon. Können wir uns vielleicht mal treffen? Am liebsten noch heute.«

»Wieso?«

»Erklär ich dir dann.«

»Ich kann erst in der Mittagspause.«

»Ich auch. Um halb eins in der ›Sitzenden Wildsau‹? Ich könnte töten für eine Kartoffelsuppe vom Jupp. Du weißt schon«, sie seufzt wohlig, »diese spezielle, mit Äpfeln und Bier, die so toll von innen wärmt.«

Nach dem Anruf kann ich mich nicht mehr richtig auf die Arbeit konzentrieren. Geistesabwesend erledige ich noch ein bisschen Papierkram und brauche dafür doppelt so lange wie sonst. Wieso hat Melly mich angerufen? Sie hat nach dem Mordfall damals unmissverständlich klargestellt, dass unsere Zusammenarbeit eine Ausnahme gewesen ist. Und ich bin auch überhaupt nicht scharf darauf, mich wieder mit Leichen und mordwütigen Zeitgenossen zu beschäftigen. Für so was bin ich nicht taff genug. Da fahre ich doch lieber auf die Höfe und checke ab, ob die Bauern auch folgsam alle Bedingungen für ihre Fördergelder einhalten. Mein Beruf als Landwirtschaftskontrolleur kommt mir seitdem viel reizvoller vor.

Ich unterdrücke den Impuls, Heinz anzurufen und ihn zu fragen, ob Melly sich auch bei ihm gemeldet hat. Andererseits weiß ich noch gar nicht, was die junge Kriminaloberkommissarin überhaupt will. Also beschließe ich, erst mal das Treffen abzuwarten.

Nachdem der Monitor zum dritten Mal dunkel geworden ist, weil ich nur darauf gestarrt habe, gebe ich auf. Ich muss mal raus. Deshalb beschließe ich, zwei Hofkontrollen vorzuziehen, auch wenn ich da eigentlich erst am Nachmittag erscheinen wollte. Dann kann ich anschließend weiter zum Lunch mit Melly fahren.

Vorher will ich Toni kurz Bescheid geben, dass ich mein Telefon zu ihm umgestellt habe. Ich klopfe, mache seine Tür auf und bereue es sofort. Er und Julia Koslowski, das Frauchen von unserem Bürodackel, fahren auseinander, wobei Julia erschreckt aufquiekt.

»Verdammt!«, entfährt es mir.

Toni starrt mich betreten an. Auf seinem Mund prangt etwas roter Lippenstift, den er hektisch mit dem Handrücken wegwischt.

Es gibt so Bilder, die kriegt man nie mehr aus dem Kopf. Ich wünschte, ich hätte den dürren Toni, wie er am Busen der üppigen, wasserstoffblonden Kollegin klemmt, nie gesehen. Dabei hat er mir kürzlich noch erklärt, dass seine Zuneigung rein platonisch sei, schließlich hat er schon eine Frau.

Ich sehe an den beiden vorbei. »Äh, Toni, ich wollte nur sagen, ich hab mein Telefon auf deinen Apparat gelegt. Ich bin unterwegs. Zwei Nachkontrollen.«

Als immer noch keiner von beiden etwas sagt, murmle ich: »Na, dann«, und verlasse eilig Tonis Lotterhöhle.

Ziegenbart

Die Zugluft lässt die Eingangstür vom Amt heftig hinter mir zuschlagen. Draußen kriege ich erst mal keine Luft, weil mir der Wind genau ins Gesicht drückt. Unwillkürlich muss ich ein paarmal schlucken, während ich meinen alten Passat ansteuere.

Unser Parkplatz ist so weiß, als wäre Schnee darauf gefallen. Das sind bloß irgendwelche Blüten, die der Dauerwind vorzeitig abgerissen hat. Wie Konfetti kleben sie auf dem Asphalt, und es riecht süßlich-verfault. Ein Mitarbeiter des Gartenbauamts fährt gerade mit einem kleinen Reinigungsfahrzeug darüber. Er nickt mir zu.

»Is arschglatt, dat Zeug.« Jetzt zeigt er auf das ungepflegte Gestrüpp, von dem die Blüten stammen. »Dat jehört da auch gar nit hin. Am besten hilft da die chemische Keule!«, ruft er, um das Motorengeräusch zu übertönen. »Nur, dat dürfen wir heutzutage ni mi. Von wegen dem Umweltschutz und so.« Er zuckt die Schultern und wendet das Fahrzeug, um die nächste Bahn über den Parkplatz zu ziehen.

Fünfzehn Minuten später beobachtet Landwirtin Jacqueline Brüntjen sichtlich sub-erfreut, wie mein Wagen direkt vor ihrer Scheune zum Stehen kommt. Sie wischt sich die Hände an ihrem fleckigen Arbeitskittel ab. Ihr strähniges Haar ist schon etwas angegraut und sieht aus, als hätte es seit Jahren keinen Kamm gesehen.

»Ach, Herr Grunz von, äh, Dings«, sagt sie statt einer Begrüßung, als ich ausgestiegen bin.

Ich verdrehe die Augen. Statistisch gesehen schaffen es höchstens zwei von zehn Leuten, meinen Namen richtig auszusprechen. Wenn überhaupt. Ich nehm’s ihnen nicht krumm, denn der Name Graf Gryn von Frenz ist definitiv eine Zumutung. Von meinem Vornamen Mombert, für den ich meinen Eltern ewig dankbar sein werde, ganz zu schweigen.

»Sie brauchen gar nit so zu luren«, sagt sie. Offenbar hat sie meinen Blick missverstanden. »Wir haben alles in Ordnung gebracht. Kommen Sie ruhig mit!« Sie winkt mich hinter sich her.

»Tag, Frau Brüntjen. Moment!« Ich ziehe die Schuhe aus, steige geübt in meine Gummistiefel und greife nach dem Tablet. »Nach Ihnen«, sage ich.

Sie sieht mich überrascht an, dann grunzt sie: »Vornehm geht die Welt zugrunde. Na, von mir aus!«

Meine anerzogene Höflichkeit passiert mir manchmal, ohne dass ich da viel gegen machen kann.

Die Bäuerin stapft los in Richtung des Futtersilos. Auf halber Strecke trabt auf einmal ein dunkelbrauner Ziegenbock von der Seite her auf mich zu. Als ich nicht stehen bleibe, läuft er mir einfach hinterher. Er sieht krank aus. Die Hüftknochen stehen spitz hervor, und das Fell wirkt struppig. Sogar das Gesicht, über das zwei hübsche, hellbraune Streifen verlaufen, sieht elend aus.

»Kalli, hau ab, du blödes Vieh!« Die Brüntjen ist stehen geblieben und macht eine scheuchende Bewegung.

Der Bock bleibt stehen, bis wir uns ein paar Meter entfernt haben, dann stakst er mit steifen Beinen weiter hinter uns her.

Kurz darauf hat unsere Abordnung, bestehend aus der Landwirtin, dem Ziegenbock und mir, den Silo erreicht.

»Nix mehr mit Schimmel«, sagt die Landwirtin jetzt zufrieden. »Wir haben das alte Zeugs verbrannt, das neue feiner gehäckselt und stärker, äh, verdichtet, oder wie dat heißt. Genau wie Sie’s gesagt haben.«

»Wann war das?«

»Vor zehn Wochen. Ist jetzt fast fertig gegoren. Und ist picobello geworden. Machen Sie ruhig Ihre Proben!«, sagt sie und sieht mich auffordernd an.

Das mache ich dann auch, obwohl ich jetzt schon sehe und rieche, dass die Silage dieses Mal in Ordnung ist. Denn ein schwacher Geruch nach Brot und frischem Joghurt strömt aus der offenen Klappe, während es hier beim letzten Mal nach vergammelter Milch und faulen Eiern gestunken hat. Und die Handvoll Maishäcksel, die ich herausgreife, ist schön grün. Das findet auch Ziegenbock Kalli, der sofort sein weiches Maul in meine Hand stößt und zu fressen anfängt.

»Geht es ihm gut?«, frage ich und drehe mich zu der Landwirtin um. »Er sieht so …«

»Der kommt eh zum Abdecker. Ist zu nix nutze. Mein Mann hat den beim Skat gewonnen. Er musste ihn ja unbedingt behalten.« Sie schüttelt ärgerlich den Kopf. »Dabei haben wir doch nur Kühe.«

»Was sagt denn der Tierarzt?«

»Tierarzt, Tierarzt. Wissen Sie, wat der kostet? Das lohnt nicht für so nen Bock. Es reicht schon, dass der Quacksalber uns ständig Unsummen für die Rinder abknöpft.« Die Bäuerin schiebt das Tier jetzt grob weg. »Manchmal leiht sich der Preuss den Kalli aus. Damit er das Gras unter seinen Obstbäumen wegfrisst. Dann hab ich den mal aus den Füßen. Doch damit ist jetzt wohl auch Schluss.«

»Meinen Sie Landwirt Preuss?«

»Ja, drübbe bei Wachtberg.«

»Und jetzt ist der Bock zu krank dafür?«

»Nä, nicht deshalb. Haben Sie es noch nicht gehört? Der Preuss ist verhaftet worden. Heute Morgen.«

Mir wird wieder mal klar, die Buschtrommeln im Rheinland sind eindeutig schneller als jedes LTE-Netz. Gleichzeitig zieht sich mein Magen zusammen. Ich kenne Magnus Preuss von früheren Kontrollen. Was kann ein beinahe sanft wirkender Mann wie er verbrochen haben?

»Was hat er denn …?«, stottere ich und schäme mich dafür, dass ich auf den Klatsch der Bäuerin eingehe.

»Keine Ahnung, aber dat wird man sicher bald hören«, sagt sie entschieden, bevor sie nach einer Heugabel greift. »Vielleicht hat das sogar was mit dem … ach, ich sach lieber nix.« Sie dreht sich um und stapft in Richtung des großen Kuhstalls. »Geben Sie Bescheid, wenn Sie fertig sind.«

Kurz darauf bin ich das dann auch. Ich schreibe noch eine Bescheinigung, dass der Mangel vom letzten Mal behoben wurde, und verabschiede mich.

Ich setze mich in die hintere Autotür auf die Rückbank, ziehe ächzend die engen Gummistiefel aus und meine normalen Schuhe an. Dann gehe ich um den Wagen herum, werfe die Stiefel in den Kofferraum und fahre ein paar Augenblicke später vom Hof.

In meinem uralten Passat Variant riecht es heute irgendwie besonders streng. Ich habe mich daran gewöhnt. Mein Job bringt es mit sich, dass auch mal etwas Stalldreck in den Wagen gerät. Meine adeligen Eltern, die sich für ihren einzigen Sohn eine ganz andere Art von Karriere vorgestellt hatten, weigern sich deshalb, überhaupt noch bei mir mitzufahren.

Ich fahre ziemlich schnell, weil ich die zweite Nachkontrolle noch vor dem Treffen mit Melly schaffen will. Ich bin keine zehn Minuten unterwegs, als es hinter mir plötzlich trocken und entschieden »Mäh!« macht.

Ich verreiße das Lenkrad und fahre Schlangenlinien. Die Straße wird von Bäumen flankiert, und ich sehe meinen Wagen schon an einem von ihnen zerschellen. Eigentlich müsste mein Leben jetzt in Bruchteilen von Sekunden an mir vorbeiziehen. Nur, das passiert irgendwie nicht. Vermutlich, weil es da nicht viel vorüberzuziehen gibt.

Einen Moment später habe ich den Wagen wieder unter Kontrolle. Ich bremse ab und schiele vorsichtig nach hinten. Auf meiner Rückbank liegt Kalli, der Ziegenbock. Er hat die Beine untergeschlagen und sieht mich mit undefinierbarem Gesichtsausdruck an.

»Och nee, ne? Das darf doch wohl nicht wahr sein!«, fluche ich. Wie ist der denn hier reingekommen? Ich fahre noch langsamer. Nicht dass das Tier plötzlich einen Satz zu mir nach vorn macht. Hektisch suche ich eine Stelle, wo ich halten kann. Nach ein paar Hundert Metern kommt eine Anliegerstraße. Da halte ich und schlage schnell die Fahrertür hinter mir zu. Dann schaue ich durchs Seitenfenster. Kalli steht jetzt auf der Rückbank und sieht mich aufmerksam durch die Scheibe an. Seine Beine zittern leicht.

Ich kratze mir ratlos den Kopf. Natürlich muss ich ihn postwendend wieder bei seiner liebevollen Besitzerin abliefern. Allerdings habe ich Bammel, dass der Bock anfängt, im Auto herumzuturnen, wenn ich weiterfahre.

»Und was mach ich jetzt mit dir?«, frage ich ihn sauer durch die Scheibe.

»Mä-äh«, sagt Kalli leise. Man hört es kaum durch das geschlossene Fenster. Er sieht mich mit seinen bernsteinfarbenen Augen an, und sein Blick sagt: »Du weißt es. Dass ich sterben werde, wenn du mich zurückbringst. Sag, willst du das?«

»Das ist jetzt nicht dein Ernst!«, schimpfe ich. »Ziegen können nicht sprechen. Auch nicht mit Blicken.«

»Mä-äh«, widerspricht Kalli und klingt dabei schon etwas kräftiger.

»Haben Sie den Bock einkassiert, weil ein Bauer gegen die Haltungsvorschriften verstoßen hat?«, lacht Landwirt Reiferscheidt zehn Minuten später und schaut interessiert auf den hinteren Teil meines Wagens.

Ich habe ein Abschleppseil aus dem Kofferraum gekramt und Kalli provisorisch am Haltegriff über dem Seitenfenster festgemacht.

»Ja, nee. Der gehört … also, was mit dem wird, ist noch nicht klar. Er muss jedenfalls zum Tierarzt«, sage ich wenig erhellend.

»Ach so.« Der Landwirt sieht nicht überzeugt aus. »Solche Tiere gehören nicht ins …«

»Ins Auto, ich weiß«, sage ich entnervt.

Weil ich die Ziege im Wagen habe, mache ich die Nachkontrolle in diesem Betrieb noch schneller als bei der Brüntjen. Nicht dass mir der Bock die Polster vollkackt, man muss es mit dem ländlichen Flair ja nicht übertreiben. Ich lasse mir also nur den Nachweis zeigen, dass der Landwirt die Fortbildung nachgeholt hat, die er zwei Jahre lang geschlabbert hat. Obwohl, ein bisschen dauert’s dann doch, weil der verflixte Wind ihm die losen Zettel just in dem Moment aus der Hand reißt.

»Jo, leck misch an de Fott«, schimpft er und stampft schwerfällig hinter den flatternden Blättern her. Immer wenn er sie fast erwischt hat, fliegen sie wieder ein paar Meter weiter. Ich verdrehe die Augen und will die Papiere gerade selbst einfangen, als der Landwirt kurz entschlossen mit seinen klobigen Arbeitsstiefeln auf die Formulare tritt. Resigniert schaue ich auf die vom Matsch unleserlichen Seiten, die er mir jetzt zufrieden in die Hand drückt.

Saulecker

Als ich auf die Uhr schaue, sehe ich, dass es später ist, als ich dachte. In zehn Minuten bin ich mit Melly bei Jupp verabredet. Dann muss ich eben hinterher überlegen, was ich mit dem Bock mache.

Kurz darauf biege ich in den Parkplatz der »Sitzenden Wildsau« ein. Der Wagen der Kriminaloberkommissarin steht bereits da, und neben ihrem parkt ein Streifenwagen. Das kann nur Heinz sein. Also hat Melly auch ihn angerufen. Ich merke, dass ich mich freue, dass wir mal wieder zu dritt an einem Tisch sitzen werden.

Ich öffne die hintere Wagentür und mache Kalli los. Vorsichtig und würdevoll klettert er aus dem Wagen. Vor der Gaststätte binde ich ihn an einem niedrigen Holzzaun fest.

Als ich reingehen will, schlägt der schwere Filzvorhang, der als Windfang im Eingang hängt, hin und her wie ein Pferd beim Rodeo. Als ich endlich drin bin, muss ich die Tür mit meinem ganzen Gewicht abbremsen, damit sie nicht zuknallt.

Melly und Heinz sitzen schon an einem Ecktisch, der einen besonders schönen Blick auf Käthe bietet, das ausgestopfte, leicht räudige Wildschwein, das auf einem Sockel hockt.

Melly hat eine neue Frisur, wie ich überrascht sehe. Ihr blonder Pferdeschwanz ist einer frechen Kurzhaarfrisur gewichen.

Ich winke den beiden kurz zu und gehe zu der Schwingtür, die in die Küche führt. »Jupp, bist du da?«

»Hier!«, ruft der Wirt fröhlich und erscheint einen Augenblick später mit einem Küchentuch über der Schulter. »Mo, Jung! Was ist los? Willst du mir beim Kochen helfen?«

Ich grinse. »Vielleicht ein andermal. Ich hab da eine Bitte. Da draußen steht eine Ziege. Die müsste etwas Wasser haben.«

Der Wirt wirft einen Blick aus dem Fenster, dreht sich um und verschwindet in der Küche. Melly und Heinz gucken fragend in meine Richtung. Gleich darauf kommt Jupp mit einer kleinen Schüssel mit Wasser zurück, in der anderen Hand hält er einen Kopfsalat. Er drückt mir beides in die Hand.

»Super, danke dir!« Ich sehe zu Heinz und Melly rüber und rufe: »Bin gleich wieder da.«

Draußen versorge ich den Ziegenbock.

»Kalli!«, hebe ich ernst an. »Du musst ein bisschen warten. Sei schön brav, hörst du?«

Kalli quittiert meine kindischen Ermahnungen mit herablassendem Blick und nimmt mit seinem kleinen Maul ein Salatblatt in Angriff.

Danach gibt es erst mal ein großes Hallo mit Umarmungen, Schulterklopfen und Freudenbekundungen darüber, dass sich unser Trio mal wieder in Originalbesetzung trifft.

»Wenn ich das junge Glück mal stören darf«, Jupp hat geduldig gewartet, bis unser Begrüßungstaumel vorbei war. »Also, heute hätt ich einen herrlichen Sauerbraten, und zwar von der Wildschweinkeule. Was ganz Besonderes. Das Sößchen hat meine Renate gemacht, und ihr wisst, sie macht die beste.«

»Was sagt denn deine vegane Bonustochter zu deinem Tagesgericht?«, stichelt Heinz.

»Ach, seit die Nati diese Ausbildung zu diesem Pferdedings … zur Pferdewirtin macht, hat sie keine Zeit mehr auszuhelfen. Und ich muss mich nicht mehr für jedes Fleischgericht rechtfertigen«, antwortet der Wirt grinsend. Natascha ist Jupps Stieftochter.

Heinz und ich sind uns schnell einig, dass wir den Braten nehmen, während Melly auf ihrer Kartoffelsuppe besteht.

»Ich esse auch kein Fleisch mehr«, erklärt sie.

»Aha. Soll’s ja geben«, sagt Jupp trocken. »Schade, ich hätt da auch noch ein schönes Hämmchen.« Eisbein also. Er schaut die junge Kommissarin verheißungsvoll an.

Melly verzieht das Gesicht, und Jupp gibt sich geschlagen.

»Und was wollen die Herrschaften trinken? Zwei Kölsch und ein Kinderbier?« Er zwinkert mir zu.

»Ich würde sagen, da wir im Dienst sind, trinken wir heute alle mal Mos Lieblingsgetränk«, schlägt Melly vor.

»Drei Malz also!«

Als der Wirt zufrieden abdreht, ruft Melly ihm noch nach: »Und zur Suppe ein Röggelchen, bitte!«

»Sehr wohl, die Dame!« Jupp verbeugt sich kurz.

»Dein neues Haustier?«, fragt Heinz jetzt mit einem Blick durchs Fenster. »Du weißt aber schon, dass das kein Hund ist, sondern ne Ziege?«

»Es ist ein Bock. Und er gehört mir nicht. Ich hab ihn vor einem Landwirtpaar gerettet, das ihn schlecht gehalten hat«, sage ich knapp. Ich will mir im Moment noch nicht den Kopf darüber zerbrechen, was ich mit Kalli mache.

»Steht dir gut!«, sage ich zu Melly, um das Thema zu wechseln, und deute auf ihr Haar.

»Danke.« Sie fährt sich lächelnd durch die strubbelig gegelte Frisur.

Wie es sich im Rheinland gehört, reden wir während des Essens nicht über die böse Welt und ihre Schauerlichkeiten, sondern genießen erst mal. Jupp hat sich mit dem Sauerbraten selbst übertroffen. Goldfarbene Knödel und dunkler Apfelrotkohl schmücken den Hauptdarsteller des Gerichts, zwei wunderbar dicke Scheiben Fleisch, die ganz zart sind. Die Soße mit Printen, Rosinen und Rübensirup duftet himmlisch.

Melly guckt ein wenig neidisch, stürzt sich aber dann mit sichtlichem Appetit auf ihren Kartoffeleintopf. Auf einmal greift sie sich in den Mund. »Bäh, was ist das denn?«, nuschelt sie und zieht etwas Dünnes zwischen den Lippen hervor.

»Ein Haar?«, fragt Heinz leicht angeekelt.

»Das sieht eher aus wie eine Borste«, sage ich. Dann habe ich eine Erleuchtung. »Die ist garantiert von ihr hier.« Ich deute mit dem Kopf auf die ausgestopfte Käthe, die gleichgültig auf uns herabsieht.

»Äh, Herr … Jupp?« Melly hat sich zu dem Wirt umgedreht, der ein paar Tische weiter bedient, und hält ihm die Borste auf ihrer Serviette hin.

Jupp kommt, sieht und versteht. »Ja, sie haart in letzter Zeit ein bisschen. Moment, ich weiß da was.« Er geht weg und kommt kurz darauf mit einem kleinen Handsauger wieder. Mit dem fährt er der staubigen Wildsau über Kopf, Rücken und Vorderbeine. »So. Alle losen Haare weg«, sagt er schließlich zufrieden. Doch plötzlich verfinstert sich sein Blick. Käthe hat jetzt ein paar unübersehbar kahle Stellen. »Was ist das denn für ’n Driss!«, knurrt er.

Der Rest der Mahlzeit verläuft borstenfrei. Als wir uns schließlich satt und glücklich zurücklehnen, sagt Heinz: »Jetzt erzähl mal, Melly, warum du unsere alte ›Soko‹ wieder zusammengetrommelt hast. Ich meine, ich kann verstehen, dass du Sehnsucht nach uns hattest. Ich fress allerdings einen Besen, wenn das Ganze nicht was mit dem abben Arm im Kamelleboom zu tun hat.«

»Es heißt nicht abben, sondern abgetrennten.« Melly kichert und wischt sich den Mund mit einer von Jupps winzigen und null saugenden Papierservietten ab. Dann nimmt sie noch einen Schluck Malzbier. »Boah, ist das süß. Dass du das magst, Mo!«

Heinz und ich sagen nichts, sondern sehen sie ungeduldig an.

»Na gut, es ist wirklich kein Zufall. Ich meine, ihr habt mir gefehlt, das wisst ihr hoffentlich. Nur hab ich irgendwie nie Zeit, Überstunden, Wochenenddienste und so. Ich meine, ihr hättet euch ruhig auch mal …«

»Melly! Alles gut. Nun schieß schon los!«, unterbreche ich sie.

»Okay. Wo fange ich an?« Geistesabwesend sieht die junge Frau auf die zerknüllte Serviette in ihren Händen. »Wir waren natürlich das ganze Wochenende am Rödeln. Nach dem Fund des Arms hat der Gerichtsmediziner nicht lange gebraucht, um zu bestätigen, was man eh schon sah. Dass die Hand einer Frau gehört. Ungefähr Mitte dreißig, schlank, blond, wie Härchen auf der Haut verrieten. Gefunden haben den Arm zwei Kinder. Sie wohnen in der Nähe von Alfter und waren mit dem Fahrrad unterwegs. Sie haben in den Baum gegriffen, weil jemand dort manchmal Süßigkeiten hineingibt.«

»Wieso? Ich meine, wo tut er die denn rein?«, will ich wissen.

»Der ganze Stamm ist hohl. Der Baum ist fünfhundert Jahre alt und war mal eine Grenzeiche. Heute ist nur noch ein Stumpf übrig. Jedenfalls, man kann von oben Bonbons hineinwerfen, und unten ist ein kleines Loch, wo man sie dann herausklauben kann.« Sie seufzt. »Die Kinder hatten das Pech, dass sie die Ersten waren, die hineingefasst haben, nachdem jemand den Arm dort deponiert hat. Das war ja ursprünglich auch so gedacht, ich meine, das mit den Kindern. In alten Zeiten haben die Marktfrauen auf dem Heimweg immer ein paar Süßigkeiten in den Stamm gegeben. Ihre Kinder kamen ihnen entgegengelaufen und durften sich die Bonbons unten herausklauben.«

»Aber das ist doch lange her«, wende ich ein.

»Ja, schon«, mischt Heinz sich jetzt zu meiner Überraschung ein. »Nur seit einiger Zeit tut da jemand wieder Süßigkeiten rein. Das war neulich auch Thema beim Elternabend an der Grundschule. Die Eltern wollten, dass die Polizei herausfindet, wer das ist. Die Schulleiterin hatte mich deshalb gebeten, auch zu kommen. Die Eltern hatten Angst, es könnte jemand sein, der das Vertrauen der Kinder erschleichen will. Oder dass er etwas Giftiges in die Süßigkeiten gibt.«

»Genau. Und zumindest zwei der Kinder haben nicht auf ihre Eltern gehört.« Melly zuckt die Achseln und hebt die Hände. »Man kann’s verstehen. Am Samstag wollten sie nachschauen, ob wieder was im Baumstamm drin ist.« Sie schaudert leicht. »Na ja, und dann haben sie die Hand gefühlt.« Sie sieht uns unbehaglich an.

Wir schweigen einen Moment, jeder von uns sieht die Szene lebhaft vor dem inneren Auge.

Heinz fasst sich als Erster. »Und wisst ihr inzwischen, wem das Körperteil gehört? Es muss doch auffallen, wenn einer Frau plötzlich der Arm fehlt.« Er lächelt schief.

»Es gab eine Vermisstenmeldung. Na ja, eigentlich keine richtige. Ein Mann wollte seine Frau bei der Polizei in Bornheim als vermisst melden, weil sie über Nacht nicht heimgekommen ist. Das war am Samstagmorgen. Es ging allerdings noch nicht, weil ein Erwachsener dafür mindestens drei Tage lang verschwunden sein muss. Schon am Samstagnachmittag war klar, dass der Arm einer Frau gehört, und den Kollegen fiel der Mann wieder ein. Er bekam ein Foto gezeigt und hat die zwei Ringe erkannt, die an den Fingern steckten.«

»Komisch, dass die nicht geklaut wurden«, sage ich.

»Der Täter war kein Dieb. Ein Raubmörder macht sich schließlich nicht die Mühe, eine Leiche zu zerhacken.« Melly sieht mich mit einem Blick an, der sagt: Laien! Keine Ahnung, diese Leute. »Tja, danach gab’s natürlich einen DNA-Abgleich. Und der war positiv.«

»Eine Leiche gibt’s noch nicht dazu?«, fragt Heinz.

»Nein. Bisher nicht.«

»Vielleicht lebt die Frau noch?«, spekuliere ich.

Die Kommissarin zuckt die Schultern. »Nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich. Wir haben in sämtlichen Krankenhäusern der Region nachgefragt. Nirgendwo ist jemand mit schweren Blutungen und amputiertem Unterarm aufgetaucht.«

»Du sagtest doch, ihr habt jemanden gefasst. Hat der nicht gesagt, wo der Rest … also, von der Frau ist?«

Jetzt seufzt die junge Kommissarin. »Nee, hat er nicht. Das wäre ja auch zu schön.« Sie kratzt sich unbehaglich an der Stirn.

»Wie seid ihr denn überhaupt auf euren Verdächtigen gekommen?«, will Heinz wissen.

»Hast du das noch nicht gehört?« Melly sieht den Polizeiobermeister überrascht an. »Er ist derjenige, der die Bonbons für die Kinder in den Kamelleboom getan hat.«

»Gibt’s nicht. Woher wisst ihr das?«, fragt Heinz.

»Ein paar Stunden, nachdem das Ganze in den Lokalnachrichten berichtet wurde, hat sich jemand gemeldet. Mit unterdrückter Rufnummer. Er hat den Mann frühmorgens mal an dem Baum gesehen, wie er da herumfuhrwerkt hat. Und er kannte ihn offenbar.«

»Wieso hat er das anonym gemacht?«, frage ich.

»Ach, das ist nicht so ungewöhnlich. Manche Menschen wollen nichts mit der Polizei zu tun haben. Jedenfalls, der Tipp stimmte. Unser Verdächtiger hat das mit den Süßigkeiten zugegeben. Er ist ein komischer Typ.«

»Und das macht ihn zum Hauptverdächtigen? Dass er Süßes in den Baum legt und ein komischer Typ ist?«, frage ich.

»Nee, natürlich nicht. Zumindest nicht nur.« Melly sieht mich an. »Das Problem ist, er kennt das Opfer. Und zwar ziemlich gut.«

Schräger Vogel

»Wenn ich ehrlich sein soll, Melly, ich versteh nicht, wo Mo und ich da ins Spiel kommen«, sagt Heinz. Er kürzt meinen Namen ab, wie alle, die es gut mit mir meinen. Und der untersetzte Polizist spricht exakt aus, was ich denke.

»Es ist, weil der Verdächtige von Beruf Landwirt ist. Da dachte ich sofort an dich, und dass du ihn vielleicht von deinen Hofkontrollen kennst«, sagt die Kriminalistin und sieht mich an. »Er ist ein Eigenbrötler, keine näheren Verwandten, offenbar wenige Freunde. Vielleicht kannst du mir was über ihn sagen, was uns weiterbringt. Alles ist wichtig, auch Kleinigkeiten.« Dann bemerkt sie Heinz’ fragenden Blick und wendet sich ihm zu. »Und du hattest ja auch schon mit der Sache zu tun. Wegen der besorgten Eltern und der Süßigkeiten im Baum. Außerdem kennst du hier in der Gegend doch Hinz und Kunz. Wir in Bonn sind ja ziemlich weit ab vom Schuss.«

Ich kratze mich unbehaglich im Nacken. So sehr ich mich freue, die beiden wiederzusehen, so wenig Lust habe ich auf einen dauerhaften Zweitjob als Ermittler. Mein letztes Abenteuer in dieser Richtung hat mich fast umgebracht. Eine Wiederholung muss ich nicht haben.

Heinz dagegen sieht erfreut aus. Vermutlich findet er etwas Abwechslung zum Blitzen von Verkehrssündern oder Ermahnungen wegen nächtlicher Partymusik durchaus verlockend.

Als hätte sie mich gehört, sagt die junge Kommissarin jetzt: »Damit ihr mich nicht falsch versteht: Ihr sollt nicht mit ermitteln. Es geht mir nur um ein paar Auskünfte.«

»Wie heißt denn der Mann, den ihr festgenommen habt?«, frage ich.

»Wir haben ihn nicht festgenommen, wir machen nur eine Vernehmung.« Jetzt sieht sie mich leicht verzweifelt an und rauft sich die Haare. »Ich dürfte dir all das nicht erzählen, geschweige denn, den Namen nennen. Ich komm schon wieder in Teufels Küche.« Sie seufzt. »Ich würde ihn dir gern erst mal zeigen, Mo. Vielleicht kennst du ihn. Und dir natürlich auch.« Sie sieht Heinz an.

»Hast du denn ein Foto von ihm dabei?«, frage ich.

»Nein. Weil er erst mal nur vernommen wird, dürfen wir nicht einfach so ein Foto von ihm machen. Aber ich habe eine andere Idee. Ihr kommt einfach mit.«

»Geht das überhaupt? Ich meine, wie schleust du uns rein in euer Allerheiligstes?«, frage ich und bin nun doch neugierig.

Sie grinst und freut sich offenbar, dass sie auch mich am Haken hat. Dann wird ihr Gesicht entschlossen. »Das klappt schon.«

Bevor wir uns am Nachmittag in Bonn treffen, muss ich noch den Ziegenbock loswerden. Ich weiß noch immer nicht, was ich mit ihm machen soll. Erst mal muss Kalli wohl mit zu mir, oder besser, mit auf Coras Hof.

Als hätte sie etwas geahnt, kehrt Cora gerade den kleinen Platz vor dem Haupthaus. Es ist das erste Mal seit Langem, dass ich sie nicht nur von Weitem zu sehen kriege.

»Mo, du hier? Am helllichten Tag? Machst du heute bei dir im Wagen Mittag?« Sie stellt den Besen neben sich ab.

»Nee. Ich bin wegen was anderem hier«, fange ich an und schaue unwillkürlich auf das Heck meines Wagens.

»Ist das da drinnen eine Ziege?« Cora schaut halb belustigt, halb verwirrt.

»Ein Bock, um genau zu sein. Er heißt Kalli.«

Sie geht näher zum Wagen und schaut hinein. »Oh, der sieht gar nicht gut aus. Ist er alt?«

»Ich weiß nicht. Krank auf jeden Fall.«

»Dann rufe ich gleich mal meine Tierärztin an. Doktor Giesen, sie betreut auch meine Schweine.«

»Er gehört mir doch gar nicht. Ich kann ihn nicht behalten.«

»Zu seinem Besitzer kannst du ihn auf keinen Fall zurückbringen. Den Armen so zu vernachlässigen, ein Unding ist das! Wem gehört er denn?«

»Einem Landwirts-Ehepaar. Sie wollen ihn zum Abdecker bringen.«

»Du arme Socke!«, sagt sie jetzt und schaut Kalli durchs Wagenfenster mitfühlend an. Sie öffnet die Tür, löst die Kordel und zieht sanft daran. »Na, komm! Du kriegst jetzt erst mal was Gutes zu fressen.«

Kalli verlässt mit einem vorsichtigen Hüpfer den Wagen und stakst neben Cora her, wobei er aufmerksam nach rechts und links schaut.

Eine halbe Stunde später haben wir in einem Schuppen provisorisch eine Ecke abgezäunt und dick mit Stroh ausgelegt. Nachdem wir den Bock mit Wasser, Heu und frischem Rucola aus Coras Kräutergarten versorgt haben, ruft sie die Tierärztin an. Nach einem kurzen Gespräch steckt sie das Handy zurück in die Jeans.

»Frau Doktor Giesen kommt. Sie weiß nicht, ob sie’s noch heute schafft oder erst morgen früh.« Sie sieht mich freundlich an: »Hast du schon gegessen? Es gibt Schnitzel, natürlich von den eigenen Schweinen. Mathilde isst auch mit.«

Mathilde ist seit einigen Monaten Coras Azubine auf dem Hof. Es ist das erste Mal seit ewigen Zeiten, dass Cora mich ins Haus einlädt, und ausgerechnet heute habe ich keine Zeit.

»Ich würde gern. Wirklich!«, sage ich. »Aber ich muss leider wieder los. Melly hat heute Morgen angerufen. Mich und Heinz. Wir treffen uns gleich in Bonn.« Ich sehe sie entschuldigend an.

»Oh, okay. Kein Problem.« Cora sieht enttäuscht aus.

»Vielleicht können wir in den nächsten Tagen … gern auch bei mir. Essen, meine ich«, stottere ich.

»Klar.« In ihren grauen Augen steht ein schwer ergründbares Lächeln.