RIVERDALE - Der Tag davor - Micol Ostow - E-Book
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RIVERDALE - Der Tag davor E-Book

Micol Ostow

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Beschreibung

Die exklusive Vorgeschichte zu DEM Netflix-Serien-Hype

Die Legende nimmt ihren Anfang: Archie, Jughead, Betty und Veronica verraten ihre tiefsten Geheimnisse…
Willkommen in Riverdale – einer Bilderbuchstadt, hinter deren Fassade dunkle Geheimnisse schlummern… Hast du dich je gefragt, was für ein Leben Veronica in New York geführt hat, bevor sie nach Riverdale kam? Warum Jughead und Archie eigentlich zerstritten waren? Und wie lange Betty wirklich schon in Archie verliebt ist? Deine vier Lieblings-Charaktere verraten in dieser Vorgeschichte ihre Geheimnisse und erzählen in ihren eigenen Worten, was passiert ist, bevor RIVERDALE seinen Anfang nahm…

Eine brandneue Hintergrundgeschichte zu dem erfolgreichen Serienhit RIVERDALE. Die Romane erzählen exklusive Geschichten, die nicht in der Serie vorkommen – ein must-have für alle Fans!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 289

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MICOL OSTOW

DER TAG DAVOR

Aus dem amerikanischen Englisch

von Doris Attwood

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1. Auflage

Erstmals als cbt Taschenbuch Februar 2019

© 2019 Archie Comics Publications, Inc.

All Rights Reserved. Riverdale and Archie Comics are trademarks and/or registered trademarks of Archie Comics in the US and/or other countries. German-language edition published by Verlagsgruppe Random House GmbH/cbj Verlag, by arrangement with Scholastic Inc., 557 Broadway, New York, NY 10012, USA.

Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Riverdale. The Day Before« bei Scholastic Inc., New York.

© 2019 für die deutschsprachige Ausgabe cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Aus dem amerikanischen Englisch von Doris Attwood

Lektorat: Ulrike Hauswaldt

Umschlaggestaltung: init | Kommunikationsdesgin, Bad Oeynhausen

Umschlagmotive und Innenillustrationen:

© 2019 Archie Comics Publications, Inc.

All Rights Reserved.

Cover art by David Curtis

he · Herstellung: UK

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN 978-3-641-23755-4V001

www.cbj-verlag.de

PROLOG

JUGHEAD

Riverdale nennt sich selbst »die Stadt mit Pep!«. Aber wenn man erst mal lange genug hier ist, erkennt man allmählich, wie oft ein aufgeklebtes Lächeln in Wahrheit nur einen Narnia-großen Wandschrank voller Skelette verbirgt. Sicher, jede Kleinstadt hat ihre Geheimnisse. Aber selbst diejenigen von uns, die hier aufgewachsen sind und ihr ganzes Leben in Riverdale verbracht haben, sind schockiert darüber, was man hier so alles aus Pandoras Büchse zieht.

Vertraut mir, ich muss es schließlich wissen. In letzter Zeit musste ich nämlich erkennen, dass jeder, der mir etwas bedeutet, in ein David-Lynch-artiges Melodrama nach dem anderen verstrickt ist.

Riverdale ist eine Stadt in bester amerikanischer Tradition: mit mitternächtlichem Pfannkuchen-Fest gegen Ende des Winters, Eisblumen an den Fensterscheiben der Stadthalle und Dampfwolken, die aus unseren Mündern aufsteigen, wenn – falls – wir einen Fuß vor die Tür setzen. Und natürlich das Homecoming-Wochenende an der Riverdale Highschool, bei dem wir in makelloser Fernsehqualität die Gipfel der amerikanischen Kultur feiern: Football, Tanz und Kleinstadtstolz.

Aber mein persönlicher Favorit – und ehrlich gesagt das Einzige, was mir je etwas bedeutet hat – ist der allsommerliche Jahrmarkt am 4. Juli. Normalerweise gehen Betty, Archie und ich immer gemeinsam hin, stopfen uns mit Hotdogs und Zuckerwatte voll und testen unsere Wurfkraft am Dunk Tank, auch wenn Betty schon immer den besten Arm hatte. Abends fahren Archie und ich dann nach Centerville, um uns dort das Feuerwerk anzuschauen, während Betty in der Stadt bleibt und sich mit ihrer Schwester Polly die Show in Riverdale ansieht. Es hat sie nie gestört, bei Polly das fünfte Rad am Wagen zu sein – und in jüngster Vergangenheit bei Polly und ihrem Freund Jason, mit dem sie an der Hüfte zusammengewachsen zu sein scheint. Das Sommerfest ist einfach unser Ding. Das war es schon immer. Archie und ich waren schon dabei, als wir noch nicht mal laufen konnten, mit unseren Eltern. Betty hat sich uns dann ungefähr in der ersten Klasse angeschlossen und seither ist es unsere eigene kleine Tradition.

Oder ich sollte besser sagen: Es war unsere Tradition.

Denn in diesem Sommer ist alles anders. Betty ist in L. A. und feilt während eines Praktikums bei Hello Giggles an ihren Fähigkeiten als Schriftstellerin – ganz davon zu schweigen, dass Polly und Jason sich in einem kinoreifen Verbrannte-Erde-Drama getrennt haben, das es locker mit DerRosenkrieg aufnehmen könnte. Archie ist damit beschäftigt, für seinen Dad auf dem Bau zu arbeiten …

Ehrlich gesagt, hab ich ihn in letzter Zeit nicht oft gesehen. Ich weiß auch nicht. Fragt mich nicht, warum.

Und ich? Bisher lief mein Sommer wie üblich. Ich arbeite nachts im Twilight, dem Autokino, und versuche ein bisschen was zu verdienen, um nicht zu Hause abhängen zu müssen und gleichzeitig meinem Dad aus dem Weg gehen zu können …

Den Leuten aus dem Weg zu gehen ist meine Spezialität. Die Dinge aus der Entfernung zu betrachten und darüber zu schreiben.

Und zur selben Zeit in diesem Sommer, auch wenn das damals keiner von uns wusste, spielte in New York City Veronica Lodge, ein reiches It-Girl, die Hauptrolle in ihrer eigenen Episode von Gossip Girl, dank ihres Daddys – eines gewissen Hiram Lodge – und seines niemals versiegenden Bankkontos. Veronicas Eltern verband eine persönliche Geschichte mit Riverdale, aber, hey – das hatte nichts mit uns zu tun.

Na ja, zumindest dachten wir das.

Aber laut der Theorie des Schmetterlingseffekts können schon kleine Ursachen unberechenbare – oder geradezu katastrophale – Auswirkungen haben. Eine Handlung – ein ganzes Meer aus Wellen. Ein Ende, das niemand vorhersehen kann.

Das passierte in diesem Sommer. Archie, Betty, Veronica und mir. Es war der 3. Juli. Die Ferien erstreckten sich vor uns wie ein gebrochenes Versprechen. Wir waren getrennt und doch auf eine Weise miteinander verflochten, von der wir nicht die geringste Ahnung hatten. Wie kleine, dämliche Schmetterlinge flatterten wir blind mit den Flügeln.

TEIL I:

DER MORGEN

Von:[email protected]

An: [Liste: Alle Pfadfinder]

Betreff: Packliste für Übernachtung

An alle Riverdale Adventure Scouts:

Hoffentlich seid ihr alle gut auf das Zelten heute Abend vorbereitet – aber ihr wärt nicht meine Pfadfindertruppe, wenn ihr nicht wüsstet, wie man für alle möglichen und unmöglichen Ereignisse plant! Trotzdem, nur für den Fall, hier die Packliste mit allem, was ihr zum Übernachten braucht:

– Rucksack mit Außengestell

– Zelt (Heringe, Spannseile und Zeltunterlage nicht vergessen! Der Boden in den Sweetwater Woods kann richtig matschig sein.)

– Schlafsack (ggfs. auch Innenschlafsack)

– Multifunktionswerkzeug – keine Taschenmesser, gemäß unseren Regeln

– Taschenlampe (und Ersatzbatterien)

– Badesachen

– wasserfeste Sandalen

– lange Unterwäsche, Schlafanzug und Socken zum Schlafen

– Wasserflasche

– Energieriegel oder andere kleine Snacks

– Sonnencreme

– Lippenpflegestift

– Toilettenpapier

– Insektenschutzmittel

– Zahnbürste/Waschzeug

Ich packe das Erste-Hilfe-Kit ein. Wenn ihr wollt, bringt eine Kamera mit, euer Fernglas und den angehängten Wanderführer für die Sweetwater Woods (obwohl ihr inzwischen alle mit dem Gelände vertraut sein solltet).

Ihr solltet euch auf zwei anspruchsvolle Wanderungen einstellen: die heute Abend zum Zeltplatz und dann noch eine morgen früh bei Sonnenaufgang. Es werden Abzeichen an diejenigen verteilt, die auf einer oder beiden Wanderungen verschiedene Pflanzen- und Tierarten bestimmen können.

Ich freue mich auf diesen Ausflug mit so tüchtigen Jungpfadfindern wie euch! Meldet euch, wenn es noch Fragen gibt.

Allzeit bereit!

Dilton

Cheryl:

Jay-Jay, nur zur Info: Daddy sucht dich. Kriegspfad. Bleib in Deckung, aber irgendwann musst du den Tatsachen ins Auge blicken.

Jason:

Danke, mach ich. Bis gleich?

Cheryl:

Bin unterwegs. Konnte Daddy Darling gerade noch entkommen. xo

KAPITEL 1

BETTY

Liebes Tagebuch,

ich kann nicht glauben, dass schon der 4. Juli ist! Es ist total komisch, ihn hier in L. A. zu feiern, ohne Polly und Archie und Jughead. Ich kann mich gar nicht daran erinnern, wann wir das Sommerfest in Riverdale zum letzten Mal verpasst haben. Ich schätze, das war in diesem einen Sommer, als Archie und Jughead ein Baumhaus bauten und Archie sich den Arm brach. Damals sind wir den ganzen Tag drinnen geblieben, haben Comics gelesen und rot-weiß-blaues Wassereis gegessen. Unsere Zungen waren alle ganz lila, und jedes Mal, wenn Archie und ich uns ein Eis nahmen, hat Juggie gleich drei verdrückt. Aber das ist schon Ewigkeiten her.

Ich vermisse Riverdale, und natürlich meine Freunde. Aber L. A. ist UNGLAUBLICH. Tante Gertrudes Haus riecht zwar ein bisschen komisch (was immer es auch ist, ich glaube, der Geruch ist längst in die Wände eingedrungen, ernsthaft – irgendeine eigenartige Mischung aus Knoblauch und Alte-Damen-Seife), aber dafür wohnt sie direkt am Rand des Runyon Canyon Parks. Ich kann deshalb jeden Tag vor der Arbeit durch den Canyon kraxeln. Der Ausblick ist einfach Wahnsinn. Richtig erhebend. So was gibt’s in Riverdale nicht.

Das Wetter ist natürlich auch unglaublich und der Barista im Blackwood Coffee kennt inzwischen meine übliche Bestellung (Filterkaffee, Milch und zwei Päckchen Zucker) … Oh, und da ist noch was …

Klar, ich vermisse Polly. Aber zum allerersten Mal von Mom getrennt zu sein?

Tja, das ist wirklich nicht übel.

Natürlich hab ich sie lieb, und ich weiß ja, dass sie mich auch liebt, aber sie ist so ein Kontrollfreak. Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, ein bisschen Unabhängigkeit zu genießen. Und das hat einfach was.

Die Arbeit bei Hello Giggles ist auch ziemlich cool, auch wenn ich meine Chefin, Rebecca Santos, die Kulturredakteurin, erst noch von mir überzeugen muss. Ich weiß nicht, ob sie mich einfach für eine Hinterwäldlerin aus der Kleinstadt hält oder so, aber bisher scheint sie wirklich alles andere als beeindruckt von mir zu sein.

Ich weiß ja, dass ich die Neue bin und nicht hier aus der Stadt komme, und wahrscheinlich bin ich auch diejenige unter den Mitarbeitern, die am wenigstens Erfahrung hat, aber bisher lässt mich Rebecca nur Besorgungen erledigen, Kaffee holen, Meetings koordinieren und Päckchen zur Post bringen – wie ein Mädchen für alles eben.

Ich meine, ich finde es trotzdem toll. Aber das einzige Mal, dass ich bisher überhaupt etwas schreiben durfte, war bei der Etikettierung von Akten. Rebecca will, dass ich die Etiketten immer zuerst mit Bleistift beschrifte und dann mit Filzstift nachfahre. Vielleicht leidet sie unter einer Zwangsstörung? Wie dem auch sei, es ist jedenfalls nicht unbedingt Pulitzer-Preis-verdächtige Arbeit.

Aber wenigstens sorgt Rebecca dafür, dass ich immer was zu tun habe. Was gut ist. Aus mehreren Gründen. Nicht zuletzt, weil ich dann gar keine Zeit habe, über das Einzige nachzudenken, was mich in meinem Sommer in L. A. so richtig runterziehen könnte: dass ich am 4. Juli nicht mit meinen Freunden zusammen sein kann.

Ach, wem mache ich was vor, Tagebuch? Was mich runterzieht, ist, dass ich nicht mit Archie zusammen sein kann.

Polly:

Hey, Schwester. Bist du da? Wollte mal hören, wie’s läuft. Und ich will noch ein paar Details über deinen »Rad Brad«. Klingt sehr … un-Archie. Kann also gar nicht schlecht sein. Vermisse dich.

Betty:

Ich dich auch! Aber nenn ihn einfach »Brad«. BITTE.:) Total un-Archie. Was gut ist. Aber eben auch nicht Archie. Was schlecht ist.

»Rad Brad, wie in ›Radical Brad‹.« So hat er sich mir allen Ernstes vorgestellt. Es war so was von absichtlich peinlich, dass ich einfach lachen musste. Ich schätze, genau das war seine Absicht.

Ich hab ihn in meiner zweiten Woche hier kennengelernt. Ich hatte mich endlich ein bisschen an diese spezielle Energie von L. A. gewöhnt. An den irrsinnigen Verkehr oder daran, dass man jeden Tag stundenlang auf dem Highway zubringt und dass das Wetter immer dasselbe ist. (Ernsthaft, die Leute hier haben nicht den Hauch einer Ahnung, was sie machen sollen, wenn es tatsächlich mal regnet, was nur äußerst selten vorkommt. Sie würden alle AUSFLIPPEN, wenn sie einen Winter lang in Riverdale überleben müssten, selbst wenn wir genügend Ahornsirup haben, um die ganze Stadt einer unbegrenzten Master-Cleanse-Diätkur zu unterziehen.) Oder an die Tatsache, dass hier selbst gewöhnliche Leute aussehen wie Celebrities und vielleicht wirklich die Stars von morgen sind. Trotzdem kam ich mir immer noch vor wie das Kleinstadtmädchen in der großen Stadt – und wie sollte es auch anders sein? Wirklich alle meine Klamotten haben irgendeinen rosa Blumenaufdruck. Genauso gut hätte ich mir ein Schild mit der Aufschrift TOURISTIN oder ALIEN auf die Stirn kleben können. Aber irgendwann habe ich angefangen, mit dem Rhythmus der Stadt mitzuschwingen, und obwohl ich mir hier immer noch fremd vorkomme, fühle ich mich auch wohl.

Polly hat mir andauernd Nachrichten geschickt und mich nach den Jungs in L. A. ausgefragt, aber ich hab ihr immer nur gesagt: Jungs bemerken mich normalerweise gar nicht. Ich bin »die Nette«. Das Mädchen von nebenan. Und der einzige Junge, von dem ich mir seit Ewigkeiten wünsche, dass er mich bemerkt, liebt mich ganz sicher … nur wahrscheinlich nicht so, wie ich es mir wünsche. Für ihn bin ich das Mädchen von nebenan.

Allerdings weiß ich nicht mit Sicherheit, wie er fühlt. Ich habe mich nie getraut, ihn zu fragen.

Jedenfalls war es an einem Freitag im Sommer. Rebecca hatte mich losgeschickt, damit ich Sushi für sie hole: Tempura-Rollen mit Felsengarnelen, brauner Reis, dazu extrascharfe Majo und Algensalat – ich kenne Rebeccas Bestellung inzwischen auswendig. Aber obwohl ich vorher angerufen hatte, meinte die Bedienung, es würde eine Weile dauern. Deshalb hab ich mein Buch rausgeholt (Sehr blaue Augen, immer wieder gut!) und mich im Maguire Gardens auf die Wiese gesetzt. Dort kann man immer prima Leute beobachten.

Es war einer dieser Tage, die sogar nach Sommer riechen: Alles grünte und blühte, und der Himmel war so blau, wie man es sonst nur auf professionellen Fotos sieht. Nur, dass das hier das echte, wahre Leben war. Hashtag: ohne Filter.

Plötzlich legte sich ein Schatten über die aufgeschlagenen Seiten. »Na? Was zum Träumen?«

Ich blickte auf. Es war ein Junge, ungefähr in meinem Alter, lässig in T-Shirt und Cargohose und mit sandblondem Surferhaar. Er strahlte mich mit einem Zahnpastawerbung-Lächeln an.

Ich lief knallrot an. »Na ja, das Buch taugt wahrscheinlich wirklich nicht als klassische sommerliche Realitätsflucht, aber sie ist nun mal meine Lieblingsschriftstellerin«, erwiderte ich. Die Untertreibung des Jahrhunderts. Toni Morrison ist mein IDOL. Hello Giggles veranstaltet diesen Sommer eine Autogrammstunde mit ihr, und ich kann es gar nicht erwarten, dabei zu sein. Ich habe immer wieder »subtile« Hinweise fallen lassen – zum Beispiel indem ich ständig eins ihrer Bücher mit mir herumschleppe –, seit ich davon erfahren habe.

»Wenn das deine Realitätsflucht ist, dann brauchst du noch ’ne andere Fluchtmöglichkeit«, scherzte er. Als er lächelte, bildeten sich kleine Fältchen um seine Augenwinkel.

»Und was schlägst du vor?«, fragte ich. Flirtete ich etwa? Vielleicht konnte L. A.-Betty ja flirten. Vielleicht konnte Riverdale-Betty noch das eine oder andere von ihr lernen.

Die Fältchen an seinen Augen kehrten zurück. »Ich hatte gehofft, dass du das fragst. Mein erster Vorschlag wäre: Du stellst mich als deinen Freizeitplaner ein.« Ich muss ihn ziemlich überrascht angestarrt haben, denn er fügte hinzu: »Oder du gehst einfach mit mir essen. Ganz entspannt. Ich schwöre hoch und heilig, dass ich kein psychopathischer Serienkiller bin.«

»Hmm.« Ich tat so, als würde ich darüber nachdenken. »Ich meine, wenn du wirklich kein psychopathischer Serienkiller bist … Entspannt gefällt mir.«

»Siehst du? Wir sind Seelenverwandte.«

Seelenverwandte. Plötzlich blitzte Archies roter Haarschopf vor mir auf, seine Sommersprossen und seine dunkelgrünen Augen. Aber obwohl Archie und ich andauernd zusammen bei Pop’s essen, könnte man diese Treffen niemals mit einem Date verwechseln.

»Hier – gibst du mir deine Nummer?« Er reichte mir sein Handy. Dann runzelte er die Stirn. »Oh. Und dein Name wäre auch ganz nett. Ich schätze, da sind die Pferde wohl ein bisschen mit mir durchgegangen.«

Ich lachte. »Ich heiße Betty. Betty Cooper.« Ich nahm ihm das Handy ab und schnappte erschrocken nach Luft, als ich sah, wie spät es war. Rebeccas Felsenkrabben-Tempura waren inzwischen sicher eiskalt. Mist. Ich tippte so schnell ich konnte meine Nummer ein, schnappte mir meine Sachen und wandte mich zum Gehen. »Tut mir leid, aber ich muss mich beeilen. Ich muss … mein Praktikum …«

»Kein Problem. Du kannst es mir später erzählen. Beim Abendessen.«

Ich lächelte und fragte mich, ob sich um meine Augenwinkel wohl auch Lachfältchen bildeten. »Okay.«

»Oh! Und ich bin übrigens Brad. Du bist mit dem SoCal-Lifestyle wahrscheinlich noch nicht so vertraut, aber du kannst mich auch Rad Brad nennen – wie in ›Radical Brad‹.«

Ich schaute ihn an. »Cool. Aber ich kann dich auch NICHT so nennen, oder?« Da war sie wieder, die flirtende L. A.-Betty! Schockierend. Und irgendwie spaßig.

»Betty Cooper, du kannst mich nennen, wie du möchtest. Aber du solltest jetzt besser wieder an die Arbeit, bevor dein Boss dich noch dabei erwischt, wie du in deiner Mittagspause irgendwelche Surfertypen anbaggerst.«

Von: [email protected]

An: [Liste: Bad_Kitties]

Betreff: Setlist für morgen

Meine wundervollen Göttinnen/Schwestern/Sängerinnen:

Danke euch beiden, dass ihr’s gestern in der Probe so richtig habt krachen lassen. Wir sind die Besten, ganz eindeutig!

Denkt dran, wir treffen uns heute um Punkt 14 Uhr wieder in der Schule, letzte Session vor der großen Show morgen Abend an der Stadthalle. Ich habe euch die Setlist von gestern angehängt. Schaut sie euch noch mal an und legt euch schon mal eure Argumente zurecht, falls ihr noch irgendwas ändern wollt.

Morgen treffen wir uns dann um 16 Uhr für den Soundcheck. Pünktlichkeit ist gefragt, Ladys. Es kann uns egal sein, ob wir rechtzeitig zur alljährlichen Aufführung von Independence Day im Twilight auflaufen (glaubt Jughead Jones vielleicht, das wäre ironisch oder so?), aber wir brauchen genügend Zeit, um uns in bester Pussycat-Tradition auf den Auftritt einzustimmen.

Und last but not least: Wenn eine von euch heute zufällig Reggie Mantle über den Weg läuft, dann schlage ich vor, dass ihr einen großen Bogen um ihn macht. Er stalkt mich schon die ganze Zeit und hat angeboten, die Pussycats zu »managen« oder so. Lasst euch von ihm nicht festquatschen, wenn ihr keine Kopfschmerzen kriegen wollt – Kopfschmerzen können wir uns nicht leisten!

Hab euch lieb,

J

KAPITEL 2

JUGHEAD

Der Wohnwagen ist am frühen Morgen immer besonders widerlich – oder sollte ich es »Elends-Chic« nennen? Zu dumm, dass ich von Natur aus Frühaufsteher bin. Das winzige bisschen Licht der aufgehenden Sonne, das nur mit Mühe durch die Puppenstubenfenster hier kriecht, wirft am Ende doch nur Schatten auf die abgenutzten Möbel aus dem Secondhandladen und leuchtet auch noch die letzte Staubmaus in der hintersten Ecke aus. Im Grunde ist das Ganze eine kunstvolle Hommage an die Vernachlässigung.

Es zeigte sich sofort, dass dieser Morgen da keine Ausnahme bilden würde. Schaler Zigarettenrauch und der Geruch von billigem Bier hingen in der Luft. Ich quälte mich auf der Couch in eine sitzende Position. Da ich es vergangene Nacht vor Dad nach Hause geschafft hatte, hatte ich mich selbst auf die Couch legen und ihm das Schlafzimmer überlassen können. Das war im wahrsten Sinne des Wortes das Wenigste, was ich für ihn tun konnte. Ich blickte mich um.

Der Wohnwagen war leer. Er fühlte sich auch leer an – auf diese merkwürdige, beklemmende Art, die man nicht richtig beschreiben kann, aber sofort durch und durch begreift. In manchen Räumen kann man die Leere förmlich bis in die Knochen spüren.

Dass ich vor Dad nach Hause gekommen war, bedeutete allerdings auch, dass er noch spät unterwegs gewesen war. Und das bedeutete wiederum …

Na ja, jedenfalls nichts Gutes.

Die ständigen Streitereien meiner Eltern waren schrecklich gewesen, und mir hatte sich jedes Mal richtig der Magen zusammengekrampft, wenn ich mit ansehen musste, wie sie einander anbrüllten. Vor allem vor Jellybean, weil man eindeutig merkte, wie sehr sie das mitnahm. Aber wenn Mom Dad anbrüllte – auch wenn es für Jellybean und mich noch so schrecklich war –, hatte das wenigstens bedeutet, dass die beiden am selben Ort waren, zusammen.

»Es ist nur für eine Weile«, hatte sie zu mir gesagt, kurz bevor sie einen abgewrackten Koffer in den Kofferraum eines noch abgewrackteren Autos hievte, Jellybean auf dem Rücksitz festschnallte – obwohl meine Schwester behauptete, dass sie groß genug sei, auf dem Beifahrersitz mitzufahren – und davonbrauste. »Nur bis dein Vater sich wieder im Griff hat.« Als wäre es so einfach, sich »im Griff« zu haben. Als gäbe es eine von der Gesellschaft gesetzte Checkliste, die mein Vater Punkt für Punkt abarbeiten konnte, bis er wie durch ein Wunder mit einem Mal wieder völlig in Ordnung war.

Als wäre mein Vater überhaupt jemals völlig in Ordnung gewesen.

Es war ja nicht so, dass ich nicht an ihn glauben wollte. Oder an sie. Aber selbst mit sechzehn konnte ich mich an keine Zeit erinnern, zu der mein Vater sich »im Griff« gehabt hätte. Für die Pläne meiner Mutter verhieß das nichts Gutes.

Und was die Tatsache anging, dass sie mich nicht gefragt hatte, ob ich mit ihr kommen wollte? Ich versuchte, nicht darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte. Es musste sowieso jemand hier bei Dad bleiben und ihn im Auge behalten, weil er sich eindeutig nicht im Griff hatte. Und hier war ich nun also, das genaue Gegenteil des verlorenen Sohnes, zurückgelassen in Riverdale, und behielt ihn im Auge.

Was entschieden einfacher gewesen wäre, wenn Dad irgendwann mal hier gewesen wäre. Aber ich schätze, genau das war der Punkt.

Die meisten von uns zählen die Tage bis zu den Sommerferien. Aber um ehrlich zu sein, vermisste ich die festen Strukturen des Schuljahrs, den regelmäßigen Tagesrhythmus – selbst wenn dieser Rhythmus hin und wieder unangekündigte Tests und Hausarbeiten und all das mit sich brachte. Aber vielleicht lag es auch nur daran, dass sich dieser Sommer besonders strukturlos anfühlte, seit Mom mit Jellybean ausgezogen und Betty fort war … und seit Archie so mit … ach, wer wusste schon, womit er beschäftigt war? Schließlich war er nie hier. Was allerdings auf keinen Fall daran liegen konnte, dass er die ganze Zeit für seinen Dad auf dem Bau schuftete. Das kaufte ich ihm nicht ab.

Früher waren Archie und ich praktisch wie Brüder. Unsere Väter waren Partner, deshalb sind wir zusammen aufgewachsen. Aber Archie hat sich in letzter Zeit verändert. Als ich vor drei Wochen zu ihm wollte, um ihm zu erzählen, was mit meiner Mom los war – dass sie ausgezogen ist und Jellybean mitgenommen hat? Tja, da war er nicht für mich da. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und er hat auch nicht auf meine Nachrichten geantwortet. Mein bester Freund hat mich einfach … wie Luft behandelt.

Und überhaupt, wie lange dauert eigentlich »eine Weile«?

Ich duschte, um das klebrige Gefühl der schwülen Nacht loszuwerden, zog mich dann schnell an und steckte mein mieses Handy mit dem gesprungenen Bildschirm – keine Nachrichten – in die eine Hosentasche und meinen beklagenswert leeren Geldbeutel in die andere. Aber ich arbeite heute Abend. Deswegen wird er nicht allzu lange leer sein, immerhin. Doch bevor ich im Twilight auflaufe und alles für unsere absolut unironische Vorführung von Independence Day am 3. Juli vorbereite, will ich, dass mir Archie ins Gesicht sagt, dass wir dieses Jahr nicht nach Centerville fahren, unser übliches Beste-Kumpels-Ding durchziehen und uns gemeinsam das kitschige Feuerwerk anschauen. Ich weiß, ich weiß – aber es hat nun mal Tradition.

Und das bedeutete, dass ich meinen Dad und Archie finden musste.

Warum beschlich mich nur das Gefühl, dass es mir keiner der beiden besonders leicht machen würde?

Ich ging zu Fuß vom Wohnwagen zum Pop’s. Das war zwar nicht ideal, aber ich nahm an, dass es nicht so gut ankommen würde, wenn ich mir Dads Truck borgte, um ihn zu suchen und dann zu fragen, ob ich mir seinen Truck mal für eine Weile ausleihen dürfte. Natürlich kommt einem das kleine Riverdale nie so klein vor, wenn man zu Fuß unterwegs ist. Als ich aufbrach, stand der Wagen vor der Tür, was bedeutete, dass Dad mit dem Motorrad unterwegs war – was, das nur am Rande bemerkt, auch nicht viel besser war als der Truck, wenn er getrunken hatte. Aber das war ein ganz anderes Problem, über das ich mir erst später Gedanken machen würde, wenn überhaupt. Wie dem auch sei, ich ließ den Wagen, wo er war, und ging zu Fuß.

Ich entschied mich für den langen Weg, was überhaupt keinen Sinn machte, es sei denn, man wusste, dass ich dadurch an Archies Haus vorbeikam und ihn vielleicht erwischte, um mit ihm über morgen Abend zu sprechen. Die Straße wirkte still, die Häuserreihen waren noch immer dunkel und warteten darauf, dass die Sonne vollständig aufging. Das einzige Fenster, in dem Licht brannte, war tatsächlich Archies, was so früh am Morgen ziemlich verrückt war. Vermutlich bedeutete es, dass er wach war. Aber auch nachdem ich ein paar Minuten gewartet hatte und mir schon wie ein Stalker vorkam – oh, das ist nur Jughead Jones, der da in den Schatten herumlungert; der Typ ist eben ein Freak –, konnte ich dort oben keinerlei Lebenszeichen feststellen. Ich konnte direkt auf sein Bett schauen; er lag nicht drin.

Ich seufzte und angelte mein Handy aus der Hosentasche. Bist du wach?, schrieb ich und kam mir vor wie ein Perverser beim Telefonsex und nicht wie ein ganz normaler (wenn auch etwas freakiger, herumlungernder) Kerl, der nur mal mit seinem Kumpel reden wollte. Ich beobachtete das Fenster aufmerksam, aber es tat sich nichts.

Und es tauchte auch keine Nachricht auf meinem Bildschirm auf, nicht einmal diese quälenden kleinen Pünktchen, die einem verraten, dass jemand am anderen Ende wenigstens darüber nachdenkt, was er einem antworten soll. Nach ein paar Minuten – mehr, als ich eigentlich gerne zugeben würde – zuckte ich schließlich mit den Schultern, steckte das Handy weg und setzte mich wieder in Bewegung, einmal quer durch die Stadt zum Pop’s.

Ich hatte keine Ahnung, wo Archie um diese Uhrzeit sein könnte. Ich hätte mir einreden können, dass er mit seinem Dad auf der Baustelle und schon früh bei der Arbeit war. Das wäre die einfachste Erklärung gewesen. Aber dafür hätte ich so tun müssen, als hätte ich nicht bemerkt, dass Mr Andrews’ Truck immer noch in ihrer Einfahrt stand – was wiederum bedeutete, dass Mr Andrews nicht bei der Arbeit war. Und wenn Mr Andrews nicht bei der Arbeit war, dann war Archie es auch nicht. Nicht mal ich konnte mir für diese Unstimmigkeit eine plausible Geschichte zusammenreimen.

Also, wo zur Hölle war Archie?

Als ich das Pop’s erreichte, war die Sonne endgültig aufgegangen, und ich klebte bereits vor Hitze. Es war immer noch so früh, dass der Parkplatz vor dem Diner leer war … aber nicht vollkommen verlassen, wie ich es erwartet hätte. Wie Sartre sagte: »Die Hölle, das sind die anderen«, und man musste nicht allzu viel Zeit mit mir verbringen, um herauszufinden, dass ich ihm da in vollem Umfang zustimmte.

(Ich meine, dank diesem Motto kommt natürlich sowieso fast niemand in den Genuss, besonders viel Zeit mit mir zu verbringen – und die meisten wollen das auch gar nicht.)

Immer noch nichts von Archie. Das wäre auch kein bisschen merkwürdig gewesen, wenn man bedachte, wie früh es noch war – nur, dass ich wusste, dass er nicht zu Hause war, was wiederum bedeutete, dass er wach sein musste. Archie Andrews hatte sich in ein rätselhaftes Wesen verwandelt.

Das letzte Mal, dass ich ihn gesehen hatte, war zufällig auch im Pop’s gewesen. Vor einer Woche, auf den Tag genau. Es war, wie es immer so schön heißt, eine dunkle, stürmische Nacht, und ich saß zusammengesunken allein an einem Tisch und versuchte zu schreiben. In letzter Zeit mache ich das öfters. Ich habe keine Ahnung, ob das, was ich schreibe, irgendetwas taugt – wahrscheinlich nicht, machen wir uns mal nichts vor. Aber eigentlich ist mir das auch egal. Beim Schreiben kann ich den Rest der Welt komplett ausblenden und zugleich kann ich Dinge verarbeiten. Ich tauche dabei in die beste aller Welten ab, jedenfalls für mich.

Natürlich ist mir klar, dass »es war eine dunkle, stürmische Nacht« vielleicht die klischeehafteste Phrase überhaupt ist, mit der ein Schriftsteller seine Geschichte beginnen kann, aber, ihr wisst schon … Schreib deine eigene Wahrheit auf und so weiter. Also: In dieser Nacht war es dunkel und stürmisch. Ich kann schließlich nichts dafür, wie es draußen aussah.

Pop zieht mich sowieso immer damit auf, dass ich so viel Zeit in seinem Laden verbringe, allein an einem Tisch, über meinen klobigen alten Laptop gebeugt. Man sollte meinen, dass er inzwischen daran gewöhnt ist. Aber an jenem Abend legte er noch eine Schippe drauf und meinte, wenn ich mich noch mehr zurückzöge und weiter so viel schrieb – obwohl ich mich ja genau genommen in der Öffentlichkeit befand –, dann würde ich mich irgendwann in eine Figur aus einem Horrorstreifen verwandeln, wie der Typ in The Shining. Oder noch Schlimmeres.

»Typen wie den gibt’s in Riverdale nicht«, erwiderte ich nur. Damals glaubte ich das noch. Auch wenn ich schon bald eines Besseren belehrt werden sollte.

Draußen tobte es stundenlang so heftig, dass nur Pop und ich im Diner waren. Es kamen zwar ein paar Kunden vorbei und nahmen sich was zu essen mit, aber es war ziemlich offensichtlich, dass Pop den Laden nur deshalb nicht dichtmachte, damit ich hierbleiben konnte. Er war einer von den Guten und ich wollte seine Freundlichkeit nicht ewig ausnutzen. Ich spielte gerade mit dem Gedanken, zusammenzupacken und zu verschwinden – und dachte darüber nach, ob ich irgendwo anders hin oder doch zum Wohnwagen zurückgehen sollte, wo Moms und Jellybeans Abwesenheit wie ein mächtiger Fleck im Raum klebte, den man nicht mal mit Bleiche ganz loswurde –, als die Glocke über der Tür läutete und jemand hereinkam.

Bevor ich den Kopf heben und nachsehen konnte, wer es war, hörte ich auch schon, wie Pop ausrief: »Archie! Jetzt schau nur mal, was uns da zur Tür reinweht! Was treibst du dich denn bei diesem Wetter draußen rum?«.

»Jughead.« Archies Haare klebten vom Regen an seiner Stirn und um seine Füße bildete sich eine kleine Pfütze. Er sah nicht wie jemand aus, den der Wind hereingeweht hatte, sondern wie jemand, der durch die Hölle gezerrt worden war – und dass er klatschnass war, war noch nicht mal das Schlimmste. Er hatte einen völlig abwesenden Ausdruck in den Augen. Nein, mehr als abwesend. Vielleicht eher verfolgt.

»Hey«, erwiderte ich, unsicher, wie ich reagieren sollte. Nachdem ich ein paar Sekunden lang zugeschaut hatte, wie sich die Regentropfen an seinen Fingerspitzen sammelten und dann auf den Boden fielen, winkte ich ihn zu mir. »Willst du dich nicht setzen?«

Er schien zu zögern, was sich definitiv anfühlte, als würde er das sprichwörtliche Messer noch mal schön in meiner Wunde herumdrehen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der ich ihn gar nicht hätte fragen und er gar nicht erst darüber hätte nachdenken müssen. Und das war noch gar nicht so lange her.

Aber ein Sommer kann alles verändern, schätze ich.

Ich zuckte mit den Schultern, als sei es mir egal, und versuchte, mir selbst zu glauben. Er setzte sich. »Hey.«

»Lang nicht mehr gesehen«, sagte ich, da ich an diesem Abend offenbar ausschließlich in Klischees dachte. »Was hast du denn die ganze Zeit getrieben?«

»Für meinen Dad gearbeitet. Beton gegossen und so.« Er verzog das Gesicht. »Ist nicht unbedingt mein Traumjob, aber Dad braucht nun mal meine Hilfe. Du weißt schon.«

»Jap«, bestätigte ich. Mein Dad arbeitete auch für Mr Andrews, deshalb musste Archie mir nicht sagen, wie zermürbend der Job war.

»Und … du schreibst immer noch?«, fügte er hinzu und nickte in Richtung des Laptops vor mir.

»Ich versuche es. Ist allerdings nicht unbedingt der nächste Kandidat für den National Book Award. Wer weiß, ob das Zeug überhaupt mal jemand lesen will.«

Seine Miene entspannte sich, so als würde er an etwas weit Entferntes denken. »Aber klar! Du warst doch schon immer der Beste darin, dir Geschichten auszudenken. Erinnerst du dich noch an unsere unzähligen Übernachtungen im Baumhaus? Deine Geistergeschichten waren immer die gruseligsten. Ich hab natürlich immer so getan, als hätte ich keine Angst, aber meistens wäre ich am liebsten zurück ins Haus gerannt und hätte mich mit Vegas unter meinem Bett versteckt.«

Ich lächelte. »Ja, ich erinnere mich. Ich hab dich jedes Mal durchschaut.«

Ich konnte in dir lesen wie in einem offenen Buch, Archie, dachte ich. Das kann ich immer noch. Der Job auf dem Bau erklärte nicht, warum wir uns voneinander entfernt hatten, warum er nie da war. Und er erklärte auch nicht den traurigen, abwesenden Ausdruck in seinem Gesicht.

»Hey«, sagte er plötzlich und wirkte richtig aufgeregt, aber auch verlegen. »Was, wenn ich dir sagen würde … dass ich auch angefangen habe, ein bisschen zu schreiben?« Er schaute auf den Tisch hinunter, so als sei das das Peinlichste, was er mir überhaupt je hätte gestehen können.

»Ernsthaft?« Es musste ihm nicht peinlich sein, aber eine Überraschung war es trotzdem. Archie, der Footballstar, schrieb heimlich? Unerwartet war noch untertrieben. »Einen Roman, oder was?«

»Äh, nein, eher Gedichte«, antwortete er und errötete ein wenig.

»Gedichte? Du?«

»Ja. Ich weiß auch nicht … Vielleicht auch eher … Songtexte?« Jetzt sah er wirklich aus, als würde er sich zu Tode schämen. Er winkte ab. »Vergiss es. Ist ja auch egal.« Der kleine Moment der Verletzlichkeit war vorbei. »Was machst du am vierten?«

»Independence Day im Twilight am dritten, wie die Tradition es verlangt. Aber am vierten haben wir geschlossen, deshalb hab ich den ganzen Tag frei.«

»Richtig, stimmt ja. Cool.« Er fuhr sich nachdenklich mit den Fingern durchs Haar.

Ich habe keine Ahnung, was mich dazu getrieben hat, zu sagen, was ich als Nächstes sagte. Ich hatte schon seit Wochen darüber nachgedacht – verdammt, es war das Erste, was mir durch den Kopf ging, wenn ich morgens aufwachte. Aber zwischen mir und Archie war irgendetwas zerbrochen. Eigentlich hatte ich vorgehabt, es gut sein zu lassen. Aber dann änderte ich plötzlich meine Meinung.

Vielleicht lag es an diesem schwermütigen Ausdruck in seinen Augen. Vielleicht auch an unserer Unterhaltung über das Baumhaus, darüber, wie lange wir uns schon kannten. »Weißt du noch, wie wir jedes Jahr nach Centerville gefahren sind, um uns das Feuerwerk anzuschauen?«

»War immer super.«

»Warum machen wir das dieses Jahr nicht wieder? Wir könnten den Bus nehmen. Eine Reise in die Vergangenheit.«

Meine Nerven flatterten richtig, weil ich ehrlich Angst hatte, es könnte sich wie ein Schlag in den Magen anfühlen, falls er Nein sagte. Aber seine Augen leuchteten auf. »Ja. Ja, das klingt nach ’nem Plan. Holst du mich um vier ab?«

»Na klar«, antwortete ich, und eine Sekunde lang fühlte es sich so an, als sei zwischen uns immer noch alles so wie früher.

Es machte mich richtig krank, wie sehr ich mir wünschte, dem wäre tatsächlich so. Doch als mir bewusst wurde, wie es zwischen Archie und mir wirklich aussah und wie zerbrechlich unsere alte, vertraute Freundschaft in Wahrheit geworden war … tja, da war es längst zu spät, und sie war längst vorbei.

WETTERBERICHT UND TIPPS FÜR ANGLER

SWEETWATER RIVER

FÜR DEN 4. JULI

Fließgeschwindigkeit: 2,13 m/s

Sichtweite: 92 cm

Wassertemperatur zur Mittagszeit: 11 °C

Wasserzustand: Klar

Beste Angelzeit: Später Vormittag bis früher Abend

Bester Abschnitt: Hinter Striker’s Cove

Bester Zugangspunkt: Parken am Campingplatzeingang, dann 5,5 km zu Fuß

Fischarten: Forelle

Angelsaison: 1. April bis 30. November

Empfohlene Vorfachstärke Fliegenfischen: 0,18 mm

Beste Rute für Fliegenfischen: 23 cm Fliegenrute Klasse 5

Beste Schwimmschnur: WF Trout Fly Line

Beste Sinkschnur: Class V Sink Tip Fly Line

Das Büro des Bürgermeisters von Riverdale und

das Städtische Grünflächenamt wünschen