Schweine - Carl-Johan Vallgren - E-Book

Schweine E-Book

Carl-Johan Vallgren

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Beschreibung

"Brutal und rabenschwarz. Eine fast schmerzhafte Lektüre." Göteborgs-Posten

Perversion und Gewalt sind die Eckpfeiler in Carl-Johan Vallgrens zweitem Kriminalroman um Ermittler Danny Katz und Staatsanwältin Eva Westin. Katz, der erneut im Drogensumpf zu versinken droht, ist auf der Suche nach der Freundin eines alten Kumpels, der ihm einst das Leben gerettet hat. Doch Jenny scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Die Ermittlungen laufen ins Leere. Bis Danny Katz eine Spur auftut, die ihn in ein abgelegenes Sommerhaus führt. Hier wird er Zeuge eines Verbrechens, das an Abscheulichkeit kaum zu überbieten ist. Katz setzt alles daran, die Täter auszuschalten.

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Seitenzahl: 448

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Das Buch

Perversion und Gewalt sind die Eckpfeiler in Carl-Johan Vallgrens neuem Kriminalroman um Ermittler Danny Katz und Staatsanwältin Eva Westin. Katz, der erneut im Drogensumpf zu versinken droht, ist auf der Suche nach der Freundin eines alten Kumpels, der ihm einst das Leben gerettet hat. Doch Jenny scheint wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Die Ermittlungen laufen ins Leere. Bis Danny Katz eine Spur auftut, die ihn in ein abgelegenes Sommerhaus führt. Hier wird er Zeuge eines Verbrechens, das an Abscheulichkeit kaum zu überbieten ist. Katz setzt alles daran, die Täter auszuschalten.

Der Autor

Carl-Johan Vallgren wurde 1964 in Linköping geboren und veröffentlichte 1987 seinen ersten Roman. 2002 erhielt er für Geschichte einer ungeheuerlichen Liebe den August-Preis für den besten Roman des Jahres. Mit diesem Buch gelang ihm der internationale Durchbruch, es wurde in 25 Sprachen übersetzt und stürmte in vielen Ländern die Bestsellerlisten. Nach Stationen in Madrid, Kopenhagen und Berlin ist er heute mit seiner Frau und seinen drei Kindern in Stockholm zu Hause.

Lieferbare Titel

Schattenjunge

CARL-JOHAN VALLGREN

SCHWEINE

THRILLER

Aus dem Schwedischen vonSusanne Dahmann

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

SVINEN

bei Albert Bonniers Förlag, Stockholm

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2015 by Carl-Johan Vallgren

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabeby Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Published by arrangement with Hedlund Agency

Redaktion: Leena Flegler

Umschlaggestaltung: Johannes Wiebel nach einem Originalentwurf von: Anna Henriksson / Pixelpiraya, Motiv: Shutterstock (Anna Jaczi, Ollyy)

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-17958-8V001

www.heyne-encore.de

I

Stockholm, September 2013

ER SASS AUF EINER BANK IM MIDSOMMARPARKEN und nahm jede Bewegung um sich herum wahr. Nichts Verdächtiges zu sehen, seit er vor einer Viertelstunde die Wohnung verlassen hatte. Ein paar Kindergartenkinder in gelben Reflektorwesten tobten auf dem Spielplatz. Er rutschte ein wenig zur Seite, sodass er im Schatten eines Baumes saß. Rieb über einen Fleck auf seiner Hose. Konnte sich nicht erinnern, wo der herstammte. Vielleicht vom Mittagessen, als er sich zwei Eier gebraten hatte?

An der Ecke am Svandammsvägen lag die Kneipe, in die er immer ging. Tre Vänner hieß sie, Drei Freunde. Um diese Uhrzeit standen dort die Stühle noch auf den Tischen. Erst am Abend würde dort aufgemacht werden, dann würde er hingehen und über die Informationen des Kontaktmanns nachdenken können. Er mochte das Lokal. Ab und zu trank er dort ein Glas Murphy’s Irish Stout, allerdings nur unregelmäßig, höchstens einmal im Monat. Wollte vermeiden, dass die Leute ihn wiedererkannten.

Das gehörte zu den anstrengenden Seiten seines Berufs, dachte er. Dass man niemals jemandem erzählen konnte, womit man beschäftigt war. Je weniger darüber Bescheid wussten, desto weniger lief er Gefahr, dass es Ärger gab. Deshalb war er auch nur auf einen Bruchteil aller Jobs, die er gemacht hatte, wirklich scharf gewesen.

Der Blick wanderte zum Eingang des U-Bahnhofs. Eine Frau kam durch die Tür: das thailändische Mädchen, das einige Monate zuvor bei dem Nachbarn über ihm eingezogen war. Grün und blau geschlagen, das rechte Auge zugeschwollen. Er sollte wirklich etwas unternehmen. In letzter Zeit war der Streit zusehends eskaliert. Die anderen Nachbarn hatten Angst vor dem Kerl, und das Mädchen wirkte einfach nur hilflos, sprach kein Wort Schwedisch, schien kaum zu wissen, in welchem Land es sich befand.

Er sah auf die Uhr. Noch eine Stunde und zehn Minuten. Wenn er auf der sicheren Seite sein wollte, dann sollte er allmählich in die Gänge kommen.

Er kaufte sich am Kiosk ein belegtes Brötchen, ehe er zum Gleis hinunterging. Zog die Fahrkarte über das Lesegerät und trat kauend durch die Absperrung. Die grünen Kacheln an den Wänden entlang der Rolltreppe erinnerten ihn an eine Anstalt. Zoran dürfte gerade das Gleiche machen, nur eben in Tensta am anderen Ende der Stadt. Der Typ war seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr auf Spur gelaufen. Hatte eine Ausbildung zum Masseur gemacht, hatte eine Frau geheiratet, die sauber war, und angefangen, kleine Brötchen zu backen. Zwei kleine Kinder, sechs und drei Jahre alt. Hatte jetzt andere Dinge um die Ohren als Raubüberfälle. Wechselte Windeln. Grillte Würstchen. Lebte ein echtes Leben.

Jorma kannte ihn seit mehr als zwanzig Jahren, seit seiner Zeit als Wachmann in den illegalen Clubs in Hammarbyhamnen. Sie hatten gemeinsam Einbrüche verübt, mit gestohlenen Autos gehandelt, vier Geldtransporte hochgenommen. Doch das war lange her. Urplötzlich war er von der Bildfläche verschwunden und hatte nichts mehr von sich hören lassen – bis vor drei Wochen. Da war er mit dem Auftrag des Kontaktmanns angekommen.

Jetzt war er unten bei den Gleisen. Bog nach rechts ab zu dem Bahnsteig, von dem der Zug in Richtung Norden fuhr.

Während er wartete, studierte er diskret die anderen Fahrgäste. Sicher machte er sich unnötig Sorgen. Eine alte Frau mit Gehstock stand vor dem Wandfahrplan. Ein Stück weiter entfernt knutschte ein Teenagerpärchen. Auf der Bank direkt neben ihm saß ein Finne im Nadelstreifenanzug mit dem Handy am Ohr. Er hörte Gesprächsfetzen, irgendwas von einer Besprechung in einem IT-Unternehmen und einem Geschäftsessen später am Tag.

Es lief ihm eiskalt den Rücken hinunter, wenn er an Harri dachte, seinen Vater. Wie der in den letzten Jahren seines Lebens auf Parkbänken herumgehangen und gesoffen hatte, ehe er mit knapp fünfzig an einem Herzinfarkt gestorben war. Ein echter Klischeefinne. Manchmal war er ihm in Vällingby Centrum begegnet, mit seinen Notenblättern und einer Flasche Dessertwein neben sich auf der Parkbank und dermaßen voll, dass er nicht einmal seinen eigenen Sohn erkannt hatte.

Der Zug Richtung Hauptbahnhof donnerte heran. Als er zum vordersten Wagen marschierte, warf er noch einen Blick über die Schulter, obwohl er genau wusste, dass alles in Ordnung war. Niemand folgte ihm. Die Türen glitten auf, und er bestieg den halb leeren Waggon. Eine Minute später war der Zug auch schon durch den Tunnel nach Liljeholmen gefahren.

Er war der einzige Passagier, der ausstieg. Auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig fuhr der voll besetzte Zug aus den entfernteren Vororten in Richtung Norsborg ein. Ein Babel, dachte er, während er sich in den Waggon zwängte. Ein Dutzend Sprachen war zu hören, junge Männer afrikanischer Abstammung, zwei Frauen mit Schleier, ein älterer Araber mit einer Plastiktüte auf dem Schoß, in der eine Wasserpfeife steckte. Arme Leute. Ganz unten in der sozialen Hierarchie, so wie früher die Finnen.

Jetzt ging die Reise schneller. Hornstull, Zinken. In der Innenstadt strömten immer mehr Jugendliche in den Zug, Gymnasiasten, entweder in schweineteuren Markenklamotten oder in bewusstem Understatement. Es gab kaum eine Stadt auf der Welt, in der die Klassenunterschiede so offensichtlich waren wie in Stockholm.

Am Mariatorget stand neben den Rolltreppen am Aufgang ein Mann mit Kippa, der auf jemanden zu warten schien. Der Typ sah aus wie Katz, dachte er, bei den wenigen Gelegenheiten, da er seinen ältesten Freund die traditionelle Kopfbedeckung hatte tragen sehen. In der letzten Woche hatte Katz ein halbes Dutzend Mal auf seinen Anrufbeantworter gequatscht, so als ahnte er, dass sich was anbahnte, und als wollte er ihn überreden, die Sache bleiben zu lassen.

Im Lauf des vergangenen Jahres hatte Jorma ihn öfter als sonst getroffen. Die Ereignisse im vorigen Sommer hatten sie wieder zusammengeschweißt. Die Klingberg-Geschichte. Katz war unschuldig wegen Mordes angeklagt worden, und er hatte versucht, ihm zu helfen. Eva Westin, ihre gemeinsame Freundin aus Hässelby-Zeiten, war ebenfalls in die Sache verwickelt gewesen, und ihre Tochter auch. Am Ende hatte sich alles aufgelöst und aufgeklärt, und Katz war freigesprochen worden. Doch es war, als hätten sie seither ein größeres Bedürfnis, einander zu sehen.

Am Östermalmstorg stieg er wieder um, sah erneut über die Schulter, ehe er in Richtung Ropsten weiterfuhr. Auffällig, wie leer die Bahnsteige waren, hier stieg niemand ein. Die Einzigen, die hier öffentlich fuhren, waren diejenigen, die in den Vierteln arbeiteten. Fußvolk.

Auf der Rolltreppe am Aufgang nach Gärdet überkam ihn wieder dieses mulmige Gefühl. Verstohlen sah er sich um. Zwei Männer in Jogginganzügen standen ungefähr zehn Meter hinter ihm. Der Typ, der näher an ihm dran war, hatte Kopfhörer um den Hals. Einen Bullenblick. Er spürte, wie sich sein Puls beschleunigte.

Er ging weiter, wollte sehen, wie sie reagierten. Tat so, als würde er die Werbeplakate an den Wänden mustern, und beobachtete aus dem Augenwinkel, wie sie sich ihm an die Fersen hefteten. Polizei, dachte er, oder einfach nur Zufall …

Während er auf die Eingangshalle mit den Fahrkartenschaltern zumarschierte, erwog er, alles abzubrechen, wieder nach Hause zu fahren und Zoran mitzuteilen, dass die Bullen ihn verfolgt hätten und es am besten wäre abzutauchen.

Vor ihm tauchte die Absperrung auf, dahinter der Kiosk. Als die Rolltreppe ihn oben ausspuckte, flatterten ein paar Tauben, die sich in den Fußgängertunnel verirrt hatten, erschrocken zur Decke empor. Er wandte sich nach links in Richtung Fahrstuhl, rempelte versehentlich einen älteren Mann mit Rollator an, murmelte eine Entschuldigung, ehe er weiter auf den Fahrstuhl zulief.

Die Tür stand offen. Ohne sich umzudrehen, stieg er ein und drückte auf den Knopf zurück nach unten. Noch während die Tür hinter ihm zuglitt, wandte er sich um. Falscher Alarm, die Männer in den Jogginganzügen waren durch die Sperren gegangen, sie lachten über irgendwas, sprachen laut miteinander, dann joggten sie durch den Fußgängertunnel davon. Auf dem Weg nach Gärdet, dachte er, genau wie er selbst, nur mit dem Unterschied, dass sie nicht die Eckdaten für einen Raubüberfall in Erfahrung bringen, sondern eine Runde laufen würden.

SIE HATTEN SICH FÜR DREI UHR VERABREDET. Jorma war wie geplant eine halbe Stunde früher vor Ort. Der Sportplatz von Gärdet war der perfekte Treffpunkt. Freie Sicht in alle Richtungen. Keine Verstecke, in denen Bullen lauern konnten.

Er folgte dem Fußweg oberhalb des Platzes. Schwitzte, als er sich auf einer Bank niederließ. Der weitläufige Rasen unter ihm war fast menschenleer.

Ein paar Jogger liefen vorbei, Oberschichtmädchen mit anorektischen Vorbildern. Ein Glatzkopf mit einem Dackel an der Leine verschwand in Richtung eines Wäldchens. Er sah zu den Backsteingebäuden des Rüstungswerks auf der anderen Seite des Sportplatzes hinüber. Keine verdächtigen Bewegungen. Aus der Entfernung glichen die Wagen auf dem Lindarängsvägen Spielzeugautos.

Was machte er hier eigentlich? War er überhaupt sicher, dass er das wollte?

Ein Jahr zuvor hatte er beschlossen aufzuhören. Er hatte bei seinen Jobs anständig verdient. Hatte erwogen, wieder in der Baubranche anzufangen, vielleicht ein eigenes Unternehmen zu gründen. Abgesehen von den Raubüberfällen und dem Klavierspielen, war genau das seine dritte Begabung: Er war ein guter Handwerker. Der Beschluss war schon gefasst gewesen, dachte er, es werden keine Dinger mehr gedreht.

Er hatte sich unerreichbar gemacht, war umgezogen, niemand hatte gewusst, wo er wohnte. Er hatte keinen Festnetzanschluss mehr gehabt und war nur mehr über eine Mail-Adresse erreichbar gewesen. Nach und nach hatte er all seine alten Verbindlichkeiten abgewickelt, zu guter Letzt auch den Gedanken daran, sein kriminelles Leben fortzusetzen. Und da hatte plötzlich Zoran von sich hören lassen. Am Ende hatte er Ja gesagt, und er wusste auch, warum. Es hatte ihm gefehlt. Das Leben war langweilig geworden. So einfach war das. Ihm hatte die Anspannung gefehlt, das minutiöse Planen eines Bruchs, das Gefühl, inmitten von all dem Chaos die Kontrolle zu haben.

Und Zoran?, dachte er. Was waren seine Beweggründe? Der Traum vom großen Coup? Geldprobleme? Oder war er genau wie er selbst gelangweilt und auf einen Kick aus?

Ein Mann kam vom Värtavägen herauf und stellte sich an eins der Fußballtore. Der Kontaktmann. Er kannte ihn: Hillerström. Im vorigen Sommer hatte der ihn wegen eines Einbruchs in eine Lagerhalle angefragt. Es war nichts daraus geworden, weil er damals gerade beschlossen hatte aufzuhören.

Ganz hinten bewegte sich vom Lindarängsvägen ein Punkt auf sie zu. Er konnte Zoran schon am Gang erkennen. Selbstsicher, aber dennoch wachsam. Es gab diverse falsche Fuffziger in der Branche, Leute, die kuschten, sobald es zu heiß wurde. Zoran gehörte nicht dazu. Der kassierte lieber eine Kugel ein.

»Ich hab einen Insider bei einer Geldtransportfirma«, sagte Hillerström, nachdem sie die Begrüßungsformalitäten hinter sich gebracht hatten. »Der Typ scheint verlässlich zu sein. Und der Job muss aus mehreren Gründen schnell über die Bühne gehen. So wie ich es sehe, ist da eine Menge drin: Die Beute liegt irgendwo zwischen fünf und acht Millionen. Zehn Prozent gehen an mich.«

Weder Jorma noch Zoran sagte irgendwas. Hillerström schien zu ahnen, was sie dachten.

»Ich weiß. Die Leute behaupten, es wär das Risiko nicht mehr wert. Neue Autos mit Anlasssperre und Videoüberwachung, Koffer mit Zerstörsystemen … Aber das hier wird funktionieren. Die Firma heißt Trans Security. Gibt es seit 2002, hat nie größere Aufmerksamkeit erregt. Macht die gleichen Sachen wie Loomis und Falck, nur auf niedrigerem Niveau. Bargeldtransporte, Einzahlungsautomaten. Anscheinend sind sie noch nie überfallen worden, aber irgendwann ist immer das erste Mal.«

Einen Monat zuvor war in der Garage des Betriebs ein Feuer ausgebrochen. Der Inhaber hatte bei den Brandschutzvorschriften geschlampt. Zwei Autos waren zerstört worden, und bis Mitte September, wenn neue Wagen aus Deutschland geliefert würden, müssten sie alte Fahrzeuge benutzen.

»Diese Bargeldtransporte funktionieren auf die alte Tour, sie haben ein GPS, an das man nicht rankommt, aber das Schloss kann man mit einer gewöhnlichen Axt kaputt schlagen, wenn man die richtige Stelle trifft. Dann muss man sich das Geld nur noch in die eigenen Taschen packen. Die Farbampullen, wenn sie überhaupt ausgelöst werden, zerstören maximal zwanzig Prozent der Scheine. Einige davon kann man bestimmt sogar waschen. Was sollen sie denn auch machen?«, fuhr Hillerström fort, zündete sich eine Zigarette an und blies aus beiden Nasenlöchern Rauchsäulen aus. »Die Kunden anrufen und ihnen sagen, dass sie versehentlich ihre Transporter abgefackelt haben und deshalb leider erst Mitte nächsten Monats die Kassen leeren können? Klingt nicht gerade vertrauenerweckend.«

»Und woher stammen diese alten Wagen?«

Die Frage hatte Zoran gestellt. Genau wie früher: überaus gewissenhaft mit den Details.

»Vom Inhaber des Unternehmens selbst. Der hatte auf irgendeinem Parkplatz wohl noch zwei in Reserve rumstehen.«

Hillerström schielte zum etwa zweihundert Meter entfernten Waldrand hinüber. Seine Jacke war auf Brust und Rücken ein wenig ausgebeult, als hätte er eine Schutzweste darunter angezogen.

»Und wer ist dieser Insider?«, fragte Jorma.

»Ein Logistiker aus der Firma. Schwede. Ehemaliger Wachmann, der Bürohengst geworden ist. Er erstellt die Zeitpläne für die Transporte. Die Fahrer erfahren erst am Morgen beim Einsteigen, welche Tour sie übernehmen. Dieser Typ weiß es im Vorfeld … und er wird dafür sorgen, dass zumindest eins der älteren Autos mit Scheinen vollgeladen wird. Der Typ hat Schulden. Er will ein Drittel der Beute, sagt er, aber so viel wird er nicht bekommen. Ich verhandle noch mal neu mit ihm, sobald der Job erledigt ist. Es ist euer Auftrag, wenn ihr wollt – aber wartet nicht zu lange, ich hab noch ein paar andere Interessenten.«

Hillerström sah sie an. Der Jackenärmel war ein Stück hochgerutscht. An seinem Handgelenk kam eine Hunderttausend-Kronen-Uhr zum Vorschein.

»Wir wollen diesen Typen kennenlernen, bevor wir die Entscheidung treffen«, sagte Jorma.

»Ist für mich in Ordnung. Wann?«

»Morgen Abend?«

»Sure. Ihr bestimmt den Ort, und ich sorge dafür, dass er da ist.«

Fünf Minuten später trennten sie sich und verschwanden in entgegengesetzte Richtungen über den Sportplatz.

»Was meinst du?«, fragte Jorma, als sie zu den alten Industrieanlagen oberhalb des Värtahamnen hinübermarschierten.

»Klingt fast zu gut, um wahr zu sein. Aber ich glaube daran. Muss nur noch ein paar Sachen mit diesem Insider abchecken.«

Weit hinten im Fahrwasser war die Fähre nach Helsinki zu erkennen. Wenn das hier erledigt wäre, würde er endlich wieder wegfahren, dachte Jorma. Vielleicht nach Finnland. Katz mitnehmen, um zu sehen, ob er die Sprache noch beherrschte. Er hatte sie ihm selbst beigebracht, als sie beide Teenager in Hässelby gewesen waren. Katz war wie ein Schwamm, was Sprachen anging. Er sog sie in null Komma nichts in sich auf.

»Hoffe, dass es mit dem Treffen morgen klappt. Hillerström will es abchecken und uns in einer Stunde Bescheid geben. Nur eins noch, Zoran: Warum machst du das hier?«

»Wieso fragst du?«

»Du hast zwei Kinder zu Hause, einen anständigen Job, hast lange keinen Bruch mehr gemacht.«

»Ich brauch die Kohle. Hillerström ist mit dem Tipp genau zur richtigen Zeit gekommen.«

Zoran warf ihm einen schwer zu deutenden Blick zu.

»Ich meine nur, vielleicht ist das hier einfach nicht das Richtige«, fuhr Jorma fort. »Was, wenn es schiefgeht?«

»Es wird nicht schiefgehen. Was zum Teufel ist denn los mit dir?«

Er senkte den Blick.

»Nichts. Ich hau dann wohl mal ab nach Hause. Wir hören voneinander.«

Ein Inlineskater glitt auf dem Bürgersteig vorüber. Irgendwo in seinem Rücken spürte er einen Beobachter, aber als er sich umdrehte, war dort niemand zu sehen.

ALS ER RUNTER ZUM LILL-JANSSKOGEN KAM, schaltete er das Handy wieder ein. Es war während des Treffens und auf der Fahrt dorthin abgeschaltet gewesen. Was das Abhören von Telefonen anging, waren die Bullen ihnen eine Nasenlänge voraus. Aber jetzt war Zoran unterwegs nach Hause und Hillerström ebenso.

Er bog auf einen der Reitwege ab, die zum Ostbahnhof führten, und rief seine Schwester an. Hörte, wie die Verbindung zustande kam, und wusste, welchen Klingelton sie gleich hören würde: die Titelmelodie der Sopranos. Wie passend, dachte er. Leena war schon immer für ihn in die Bresche gesprungen. Hatte wie ein Grab geschwiegen, wann immer sie von der Polizei besucht worden war, die ihr Fragen über ihren Bruder hatte stellen wollen. Hatte ihn gedeckt, Sachen für ihn versteckt. War als Besitzerin des Bankfachs in Huddinge eingetragen, in dem er seine Ersparnisse verwahrte.

Er ließ es achtmal klingeln, ehe er wieder auflegte. Wahrscheinlich war sie in der Schule, wo sie als Aushilfskraft für Schüler mit Konzentrationsschwierigkeiten arbeitete. Oder im Schrebergarten, den sie zu ihrem Lieblingsprojekt gemacht hatte. Oder – und das hoffte er – bei ihrem Sohn, das Telefon lautlos gestellt. Kevin war neunzehn und gerade von zu Hause ausgezogen. Und Leena wäre nicht Jormas Schwester, wenn sie nicht jede freie Minute darauf verwenden würde, ihm unter die Arme zu greifen.

Er dachte kurz darüber nach, stattdessen seine Mutter anzurufen. Aino. Die fast achtzigjährige Dame wohnte in einem finnischsprachigen Altersheim in Nacka, saß seit ein paar Jahren im Rollstuhl und hatte, wie sie es selbst ausdrückte, einen Schlag Alzheimer weg. Aber es war Mittagszeit, und er wusste, dass sie mit hundert anderen halb dementen Senioren im Speisesaal sitzen und erst mit ihm würde sprechen können, wenn sie wieder auf ihrem Zimmer wäre.

Er steckte das Handy wieder ein. Dachte an das Leben, das er gelebt hatte, und fragte sich, warum er niemals Reue verspürt hatte.

Die späten Achtziger – als er Türsteher für die Spielhöllen in Hammarbyhamnen gewesen war. Das Netzwerk, das er sich mit gerade einmal zwanzig Jahren aufgebaut hatte. Er hatte als Ausputzer für ein paar erfahrenere Ganoven gearbeitet, Leute zusammengeschlagen, sodass sie nur mit knapper Not überlebt hatten. Kein bisschen hatte er sich dafür geschämt, war felsenfest davon überzeugt gewesen, sie hätten es verdient.

Dann hatte er als Eintreiber angefangen. Da war es dasselbe gewesen – nicht der geringste Hauch von Reue. Die Leute, aus denen er das Geld rausgepresst hatte, waren keine gesetzestreuen Bürger, sondern Kriminelle gewesen, die versuchten, andere Kriminelle um ihr Geld zu bringen.

Er erinnerte sich noch gut an die Zeit, kurz nachdem er zum ersten Mal eingefahren war. Da war er gerade Mitglied bei den Hells Angels geworden, hatte wieder als Türsteher angefangen und zwei Männer angezeigt, die ihn in einer Schlange vor einem Club mit einer abgesägten Schrotflinte bedroht hatten. Zwei Prospects von einer konkurrierenden Motorradgang. Er hatte sie bei der Polizei auf ein paar Fotos identifiziert, und als irgendwann die Papiere von der Staatsanwaltschaft kamen, kannte er ihre Namen und Personennummern und brauchte nur noch den richtigen Moment abzupassen. Genau wie er es vorhergesehen hatte, wurden die Ermittlungen eingestellt, als er die Anzeige zurückzog. Im Volksbuchregister fand er ihre Adressen … und übte einige Monate später eiskalt Rache. Einer der beiden konnte bis heute nicht mehr laufen.

Er hatte das Leben als Krimineller fortgeführt, weil er dafür geeignet gewesen war. War es nicht so gewesen? Weil es zu ihm gepasst hatte. Weil es ihm an Gewissen mangelte. Natürlich hatte er sich Feinde gemacht, aber auch mindestens ebenso viele Freunde. War in verschiedene Netzwerke rein und wieder raus, hatte trotzdem immer seine Bewegungsfreiheit bewahrt. Die zwei Jahre bei den Hells Angels waren die längste Zeit, in der er sich je einer Sache verpflichtet und sich darauf eingelassen hatte, Befehle von anderen entgegenzunehmen. Er hatte mit dem Posten eines Sergeant at Arms geliebäugelt, dann aber den Club in gutem Einvernehmen verlassen. Einer der wenigen, denen das Kunststück gelungen war. Er hatte die Lust daran verloren, und der President hatte gewusst, dass sie ihm vertrauen konnten. Er würde sie niemals verraten, würde mit keinem Wort einem Außenstehenden, nicht einmal Katz gegenüber offenbaren, was er gesehen, gehört oder getan hatte.

Reue? So etwas zu empfinden hatte er sich nie zugestanden.

Doch jetzt plötzlich all diese Erinnerungen, die genau das von ihm forderten. Ainos Verzweiflung, wenn sie ihn bei der Polizei oder beim Jugendamt abgeholt hatte, damals, als er gerade dreizehn Jahre alt gewesen war. Die Angst der Menschen, die er bedroht hatte, die Männer, Väter, Geschwister … oder selbst noch Kinder gewesen waren. Der Schmerz einer Person, der man die Beine brach oder den Kiefer zertrümmerte. Die Opfer von Raubüberfällen, die sich vor Angst einpissten. Er hatte nicht gewagt, die Ereignisse mit ihren Augen zu sehen. Hatte gefürchtet, dass dann irgendwas in ihm zerbrechen könnte.

ES WAR ELF UHR ABENDS, und sie befanden sich in einem Wald auf Ekerö. Der Insider war bereits mit dem eigenen Auto vorgefahren. Das hier war der einzige Direktkontakt, den es zwischen ihnen geben würde, und je weniger er von ihnen wusste, umso besser. Keine Namen. Keine Gesichter. Der Typ sah zu Tode erschrocken aus, als er sie mit Wollmasken über den Köpfen den Kiesweg entlangkommen sah.

»Verdammt, ihr könnt einem aber auch einen Schrecken einjagen«, sagte er. »Ist heute Halloween oder was?«

»Komm, wir gehen ein Stück.«

Ein Stück tiefer in den Wald hinein blieben sie auf einer von Birken umgebenen Lichtung stehen. Schwaches Mondlicht sickerte durch die Baumkronen.

Der Typ fing ganz von selbst an, ihnen von den Wagen zu erzählen, gab Informationen über Zeiten und Bewachungsroutinen preis und fing vor Nervosität regelrecht an zu stottern, als er auf das Thema Beute zu sprechen kam.

»Mit ein bisschen Glück reden wir von acht Millionen. Aber ich will ein Drittel … sonst scheiß ich auf das Ganze. Ich setze immerhin eine Menge aufs Spiel, zum Beispiel meinen Job.«

Weichei, dachte Jorma und hielt ihm eine Zigarette hin, verrät Leute für Geld, verrät seine Kollegen, hat keine Ehre.

Er wartete, bis der Typ seine Zigarette angezündet hatte, dann knallte er ihm eine. Der Typ griff sich an die Wange.

»Zum Teufel, was sollte das?«

Er antwortete nicht, sondern schlug stattdessen erneut zu, diesmal fester.

Der Insider zitterte am ganzen Leib und sah aus, als wollte er die Flucht ergreifen.

»Du stellst hier überhaupt keine Bedingungen. Deinen Deal kannst du mit unserem Kontaktmann ausmachen. Und von jetzt an führt kein Weg zurück. Es ist zu spät, verstanden? Du hast die rote Linie überschritten.«

Der Typ nickte.

»Gut. Dann werden wir dir jetzt mal ein paar Fragen stellen, und die beantwortest du, so ausführlich du kannst, kapiert?«

Er entspannte sich, je länger sie ihn ausfragten. Schien die Ohrfeige geschluckt zu haben, hatte vielleicht sogar eingesehen, dass er sie verdient hatte und dass er ab jetzt auf Zack sein musste.

»Was für Transporte fahrt ihr?«

»Alle möglichen … meist Bargeld. Klasse vier, soll heißen, mindestens zwei Millionen in jedem Transport.«

»Für Banken?«

»Für Unternehmen. Möbelhäuser, Großmärkte, Haushaltsgeräte-Ladenketten. Wir holen die Tagesumsätze bei ihnen ab und bringen sie ins Depot. Die Bankautomaten haben die großen Geldtransportfirmen mehr oder weniger unter sich aufgeteilt.«

»Wie sieht es in den Laderäumen der Fahrzeuge aus?«

»Ganz hinten sind die Kontrollkonsolen für den Alarm und die Zeitschlösser. Sicherheitsschränke, die mit Codes geöffnet werden. Raum für die Geldkoffer. Das Geld wird nach Wert sortiert, die Tausender und Fünfhunderter in grauen Koffern, die sind im Schrank rechts.«

»Wie viele Personen fahren einen Transport?«

»Zwei. Einer mit der entsprechenden Ausbildung, der andere ist Wachmann.«

»Eskorte?«

»Manchmal. Ein Wachmann in einem zivilen Pkw, der hinterherfährt und den Funkkontakt zur Zentrale hält. Aber ich denke, das kann ich unterbinden.«

Sie nickten. Speicherten die Informationen ab.

»Wir brauchen Fotos von der Inneneinrichtung der Wagen«, sagte Zoran. »Ist das möglich?«

»Hab ich schon erledigt. Hab letzte Woche heimlich Bilder gemacht, sie liegen bei mir im Handschuhfach, seht sie euch nachher an … Ich denke mal, ich hab jetzt wirklich an alles gedacht. Sogar gegen wen sich der Verdacht richten soll, wenn der Chef auf die Idee kommt, dass einer der Angestellten in die Sache verwickelt sein könnte. Ich sorge dafür, dass ein bestimmter Typ am Steuer sitzt, Göran. Der Kerl geht regelmäßig zu polnischen Nutten in einem Wohnhaus-Puff in Huddinge. Hat er mal im Suff bei einer Firmenfeier erzählt … Hat sogar gefragt, ob ich Interesse hätte mitzukommen. Die Polizei wird annehmen, dass er irgendwie erpresst wird oder so.«

Das Erste, was die Bullen machen, ist zu checken, wer die Fahrt geplant hat, dachte Jorma, sprich, wer hinter der Logistik steckt. Dieser dämliche Vollidiot wird sofort auffliegen, der hält doch keine zwei Minuten in einem Polizeiverhör durch. Aber bis dahin würden sie mit der Beute längst über alle Berge sein, und er würde sie nicht identifizieren können.

»Es gibt nur ein Problem.«

»Und das wäre?«

»Der Job muss innerhalb der nächsten Woche über die Bühne gehen. Die neuen Wagen aus Deutschland kommen früher als erwartet. Der Chef hat dem Lieferanten Druck gemacht. Wenn wir das große Geld machen wollen, dann muss es diesen Montag sein, gleich nach dem Wochenende. Da haben die Leute gerade ihren Lohn gekriegt.«

Er sah sie an wie ein kleiner Junge, der gelobt werden wollte.

»Ich sorge dafür, dass Göran die Fahrt in einem der alten Wagen bekommt. Das ist unter anderem Geld aus Södertälje, Cash von einem Gemüsegroßmarkt und aus dem Einkaufszentrum Kungens kurva. Die gehen alle mit demselben Transport. Letzter Halt ist der nicht öffentliche Bereich im Einkaufszentrum Skärholmen. Wenn er dort rausfährt, kann man ihn abgreifen.«

»Da ist eine Polizeidienststelle um die Ecke«, warf Jorma ein.

»Das hab ich schon gecheckt. Die ist wegen eines Wasserschadens im Keller noch drei Monate geschlossen. Irgendein Rohrbruch. Die sind übergangsweise nach Alvsjö gezogen.«

Muss überprüft werden, dachte er. Vier Tage noch, das Zeitfenster wird immer kleiner.

Er sah den Insider ausdruckslos an. Der Kerl schwitzte wie blöd, obwohl es draußen kühl war. Ein schmales Kerlchen war das, fiel ihm jetzt auf, eine Bohnenstange. Ausgemergeltes Gesicht. Krank, dachte er, weiß es aber vielleicht noch gar nicht. Womit er sich wohl verschuldet hatte? Glücksspiel? Drogen?

Hinter ihnen im Wald knackte ein Ast, und er war schlagartig alarmiert.

»Wartet hier«, sagte er.

Er kam sich fast schon idiotisch vor, als er in die Richtung marschierte, aus der das Geräusch gekommen war. Bullenparanoia. Die er offensichtlich nicht im Griff hatte.

Dreißig Meter weiter blieb er neben einem Steinhaufen stehen. Hörte etwas zwischen den Bäumen. Leichte Schritte. Ein Reh?, dachte er. Die waren außerhalb der Stadt nicht selten.

Er lief zurück zur Lichtung. Zu Beginn eines Auftrags war es immer so. Man sah Bullen und Probleme, wo es keine gab, bildete sich Sachen ein, weil das Unterbewusstsein es so wollte. Misstrauen hatte mit Risikominimierung zu tun. Darin waren sie beide gut, Zoran und er.

FRÜHER MORGEN, UND SIE SASSEN IN EINEM AUTO im Parkhaus des Einkaufszentrums Skärholmen. Endlich hatte die Nervosität nachgelassen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass der Auftrag gut gehen würde.

»Sieht unproblematisch aus«, murmelte Zoran und hielt ihm das Fernglas hin. »Wir halten den Transport an, wenn er dort rausfährt, sperren den Weg zwischen den Pfeilern ab. Einer blockiert ihn von hinten, sodass er nicht zurückkann.«

Die Lieferrampe lag etwa hundert Meter vor ihnen. Im Normalfall hätten sie dies alles hier mindestens einen Monat vor dem Überfall gecheckt, weil die Security die Filme von den Überwachungskameras nur alle vier Wochen löschte. Diesmal hatten sie improvisieren müssen. Der Toyota, in dem sie saßen, hatte falsche Nummernschilder. Jorma hatte, seit sie die Stadt verlassen hatten, vor dem Rücksitz im Fußraum gelegen, damit die Kameras der Verkehrsüberwachung ihn nicht aufzeichneten.

»Wir brauchen noch einen Fahrer – und einen Mann, der die Wachleute in Schach hält, während wir den Transporter aufmachen. Und noch eine Person, die sich um die Eskorte kümmert, wenn unser Insider es nicht schafft, die Sache abzubiegen. Für die Türen nehmen wir Plastiksprengstoff. Brechen die Sicherheitskoffer auf und packen die Scheine in Taschen. Der Job muss in maximal fünf Minuten vorbei sein. Wir konzentrieren uns auf die Koffer mit den Tausendern und den Fünfhundertern, packen um und verlassen den Ort auf mein Signal, auch wenn noch Geld übrig sein sollte.«

»Und der Fluchtweg?«, fragte Jorma.

»Den gucken wir uns gleich an.«

Das Polizeirevier war tatsächlich geschlossen, genau wie der Insider es ihnen versichert hatte. Sie waren vorbeigefahren und hatten es kontrolliert. Wenn die Bullen aus der Stadt kämen, würden sie die Abfahrt Kungens kurva nehmen. Also war es am besten, die Hindernisse dort auszulegen und hinterher nach Südwesten weiterzufahren, weg von der Autobahn.

»Wie sieht es an der Familienfront aus?«, fragte er. »Die Kleinen … geht es ihnen gut?«

»Glaube schon. Weiß nicht richtig. Hab eine Weile bei verschiedenen Kumpels gewohnt.«

»Stress mit Leyla?«

»Nicht wirklich. Lange Geschichte.«

Zoran wich seinem Blick aus.

»Wir wollen vielleicht wegziehen. Die Hütte wechseln. Mit Tensta geht’s bergab. Ich liebe diesen Vorort, bin da geboren und aufgewachsen und so, aber man kann dort niemandem mehr über den Weg trauen.«

Irgendwas war mit seiner Stimme … doch Jorma hätte nicht recht sagen können, was es war.

»Du hast immer noch nicht erzählt, warum du das hier machen willst.«

»Du auch nicht.«

Ein Wagen mit Securitas-Logo kam die Rampe zur Parkebene herunter. Wie auf Kommando rutschten sie in ihren Sitzen nach unten, als das Fahrzeug in zehn Metern Entfernung an ihnen vorbeifuhr. Die Scheiben auf der Beifahrerseite waren getönt, sodass man nicht hineinsehen konnte. Dann bog der Wagen zum Stahltor ab, hinter dem die Laderampe lag.

»Was haben wir doch für ein verdammtes Glück! Stopp die Zeit, Jorma. Ich will wissen, wie viele Sekunden das Tor braucht, um auf- und wieder zuzugehen.«

Das elektrisch gesteuerte Tor glitt zur Seite. Dahinter lag der Sicherheitsbereich. An der Decke hing eine nach unten gerichtete Überwachungskamera – Reichweite sicher nicht mehr als zwanzig Meter. Zu beiden Seiten der Rampe standen zwei Wachleute. Mit einem metallischen Quietschen ging das Tor wieder zu.

»Dreißig Sekunden.«

»Jetzt wissen wir, mit wie viel Zeit wir rechnen können. Tauch wieder ab. Wir waren lange genug hier.«

Sie nahmen die rückwärtige Ausfahrt, bogen auf den Ekholmsvägen ab und fuhren dann weiter bis zur nächsten Kreuzung. Aino hatte Ende der Siebzigerjahre für ein paar Jahre hier in diesem Viertel gewohnt. Trostlose Wohnblocks. Beschmierte Fassaden.

Vor dem Vårbergs-Kiosk stand eine betrunkene Frau mit einem Pitbull und brabbelte vor sich hin. Irgendwie kam sie ihm bekannt vor.

Sie bogen nach Süden auf den Svanholmsvägen ab und fuhren dann weiter Richtung U-Bahnhof Vårby gård. Kurz dahinter hielten sie auf einem Parkplatz.

Jorma sah sich um. Kaum irgendwelche Fahrzeuge, Parken gratis. Die in ihre Richtung weisenden Giebel der nächstliegenden Häuser waren fensterlos. In der Nacht vor dem Überfall würden sie hier ihren Fluchtwagen abstellen. Das würde am Morgen niemand bemerken.

»Was meinst du?«

»Sollte funktionieren. Wir wechseln hier das Auto und fahren dann weiter nach Süden.«

Der Parkplatz war von den größeren Straßen aus nicht einsehbar. Fünfhundert Meter dahinter lag ein Wäldchen.

Zoran fuhr weiter. Bäckgårdsvägen. Fußgängerüberwege verbanden die roten Backsteingebäude, die die Straße flankierten. Bremsschwellen machten die Straße eng. Dort sollten sie als Sicherheitsmaßnahme ebenfalls Hindernisse platzieren. Ein Auto mit einem Platten würde die ganze Durchfahrt verstopfen.

Vårby allé. Das Viertel, in dem er einst seine Verbrecherlaufbahn begonnen hatte. Ein Jahr lang, als er in die siebte Klasse ging, hatte er hier gewohnt. Bei einer Pflegefamilie, weil Aino nicht mehr mit ihm klargekommen war. Harri hatte sich zu der Zeit bereits aus dem Staub gemacht, hatte seine Habseligkeiten gepackt und war nach Vällingby gezogen, wo er seinen Alkoholkonsum mit einem Job als Klavierlehrer an der kommunalen Musikschule finanziert hatte.

Aino hatte ihn jeden Sonntag bei der Pflegefamilie besucht und ihn, wenn sie wieder gehen musste, nicht mehr loslassen wollen. Höchstens ein Jahr, hatte das Jugendamt verfügt, sie brauche Entlastung, und sowie die Lage wieder besser aussehe, dürfe Jorma zu ihr zurückkehren. Doch stattdessen war er weiter abgerutscht, und irgendwann hatten die Behörden jede Hoffnung aufgegeben und ihn in die Erziehungsanstalt nach Hässelby geschickt. Dort hatte er Katz kennengelernt – ein ebenso hoffnungsloser Fall wie er selbst. Er sah ihn immer noch vor sich, wie sie sich das erste Mal begegnet waren. Das leicht orientalische Aussehen, die dunklen Augen, den traurigen, frustrierten Blick hatte er von seinem Vater geerbt, der Jude gewesen war. Die Familie war noch vor dem Krieg nach Schweden eingewandert. Der Junge hatte beide Eltern kurz nacheinander verloren und sich an der Welt gerächt, indem er sich in Schlägereien hatte verwickeln lassen und Drogen genommen hatte. Die beiden hatten sich gesucht und gefunden.

»Wir fahren weiter nach Botkyrka«, entschied Zoran. »Bis hierhin werden die Bullen unsere Spur verloren haben. Danach können wir jeden Weg nehmen – durch Huddinge in die Stadt zurück oder wieder auf die E4 in die entgegengesetzte Richtung. Wir müssen nur noch ein gutes Versteck finden und dann für ein paar Wochen abtauchen.«

Sie kamen an der Schule von Vårby vorbei, die er zumindest auf dem Papier im zweiten Halbjahr der siebten Klasse besucht hatte. In Wirklichkeit hatte er nicht ein Mal seinen Fuß hineingesetzt, sondern stattdessen mit seiner Gang in Fittja abgehangen oder in der Stadt, wo er Gleichaltrigen das Taschengeld abgeknöpft hatte. Im Gegensatz zu Katz war er selbst den Drogen aus dem Weg gegangen, hatte aber stattdessen andere Sachen gedreht: Diebstahl, Einbrüche, Raubüberfälle, allen möglichen Mist, der wahrscheinlich das Leben anderer Menschen zerstört hatte.

Reue? Vielleicht …

Vor ihnen breitete sich der Mälaren aus. Noch mehr Erinnerungen tauchten auf. Die Pflegefamilie. Die hatten ihn wegen des Geldes aufgenommen. Die Mutter der Familie hatte ihn nie gemocht, der Vater hatte so getan, als gäbe es ihn nicht. Er hatte dort zwei Pflegeschwestern gehabt, zwei jüngere Mädchen, Maria und Lotta, vielleicht acht und fünf, und manchmal hatte er mit ihnen gespielt. Doch er erinnerte sich kaum mehr an die beiden. Die Angst, die ihn damals beherrscht hatte, musste die Mädchen aus seinem Gedächtnis gelöscht haben.

Jetzt fuhren sie am Wasser entlang. Schrebergärten und der Dampfschiffanleger. Auf der anderen Straßenseite die Luxusvillen mit Blick auf den Mälaren. Sie kamen am Spendrups-Werk vorbei. Die alte Vårby-Brauerei, dachte er und musste unwillkürlich daran denken, wie sie in einem Sommer auf dem Steg saßen und sich diverse Bierchen genehmigten, die irgendjemand aus den Lastern geklaut hatte, die immer davorgestanden hatten. Kleine Jungs waren sie, allesamt, aber die Zukunft war für sie bereits festgelegt gewesen. Inzwischen war die Hälfte von ihnen tot.

Jenseits der Autobahn erreichten sie die Hochhaussiedlung. Fittja erinnerte ihn immer an ein armseliges fremdes Land, an den Vorort irgendeiner afrikanischen Stadt, das Einzige, was fehlte, waren die Hitze und bettelnde, ausgemergelte Menschen.

»Wenn wir es bis hierher schaffen, sind wir safe«, stellte Zoran fest. »Wir haben noch vier Tage, um alles zu regeln.«

Er sah zu den lebensfeindlichen Gebäuden hinüber, die in endlosen Reihen vor ihnen aufragten. Zum Mälaren, der im Sonnenlicht glitzerte. Es sollte gut gehen, dachte er. Nur noch ein allerletzter Job. Dann würde er mit diesem Leben aufhören.

ALS ER NACH HAUSE KAM, SAH ER, dass Katz schon wieder angerufen hatte. Das Handy lag auf dem Küchentisch. Zwei Anrufe in Abwesenheit, die er nicht zu beantworten gedachte.

Er machte sich einen Espresso und nahm ihn mit auf den Balkon. Wollte die wichtigsten Eckdaten des Jobs noch einmal überdenken.

Sie brauchten eine sichere Wohnung oder am besten ein Haus mit Garage, wo sie nach dem Überfall abtauchen konnten. Die ersten Tage waren am gefährlichsten, das wusste er aus Erfahrung, doch nach ein paar Tagen ließ der Druck allmählich nach. Es kam bloß auf die nötige Gelassenheit an.

Sie brauchten mindestens drei Autos mit falschen Nummernschildern, von denen eines als Kommandozentrale fungieren sollte. Dann noch den Fluchtwagen, der in Vårby gård bereitstand. Er kannte ein paar verlässliche Autoschrauber, hier sah er keine Probleme.

Des Weiteren brauchten sie Schutzwesten und Waffen. Mindestens ein paar Automatikgewehre und kleinere Handfeuerwaffen. Wenn die Bullen ihnen hart auf hart kämen, würden sie sich verteidigen müssen.

Er blätterte in seinem mentalen Notizbuch eine Seite weiter und schrieb das Wort Bombe hinein. Eine Attrappe sollte reichen, eine richtige würde er nicht rechtzeitig fertigkriegen. Die würden sie gut sichtbar am Tatort platzieren, um die erste Streife abzulenken. So würden die Bullen gezwungen sein zu warten und die Situation erst mal wieder unter Kontrolle zu bekommen. Allerdings setzte das voraus, dass die Sprengladung echt aussah.

Er nahm einen Schluck von seinem Espresso. Prepaidhandys. Die durften nur am Tag selbst benutzt und mussten hinterher weggeworfen werden. Außerdem Kabelbinder, um die Wachleute zu fesseln, falls sie Ärger machten, und Taschen, um das Geld hineinzupacken. Sporttaschen, dachte er, sieben oder acht Stück. Sollten in unterschiedlichen Sportläden gekauft werden, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Die ganze Innenstadt war voller Überwachungskameras, keinen Meter konnte man mehr gehen, ohne auf irgendeinem Band festgehalten zu werden.

Am schwierigsten würde es sein, binnen so kurzer Zeit ein Versteck zu organisieren. Das erledigte am besten ein Strohmann. Vielleicht ein Sommerhaus in Stadtnähe. Das sollte Zoran übernehmen.

Der Kaffee war in der Tasse kalt geworden. Er sah auf die Straße hinab. Der Nachmittagsverkehr nahm allmählich zu. Normale Menschen, die von normalen Jobs nach Hause kamen. Der Frauenschläger über ihm hatte Bob Marley aufgelegt.

Er ging in die Wohnung zurück, setzte sich im Wohnzimmer ans Klavier und betrachtete die Noten, die auflagen. Ein Stück von Kurt Weill. Intellektuelle Musik, mit dem gleichen Schwierigkeitsgrad wie bei einer Mahler-Komposition. Abrupte Taktwechsel, schwierige Griffe mit der Linken, komplizierte Disharmonien. Er schlug den ersten Akkord an und hörte auf der Stelle wieder auf, als in der Wohnung über ihm »Buffalo Soldier« losging. Dann brach von Neuem Streit aus. Die Frau brüllte in gebrochenem Englisch, und dann die Stimme des Mannes: Halt die Fresse, du verdammte Thaihure, zum Teufel, ich näh dir die Fotze zu … wagst es rumzumotzen …

Er versuchte, den Lärm auszublenden, ging in die Küche und machte mit seiner Checkliste weiter.

Handschuhe, um keine Fingerabdrücke zu hinterlassen. Noch ein Fahrer und eine weitere Person, um die Hindernisse auf der Abfahrt von der E4 auszulegen.

Sie brauchten einen Schmieresteher, der an der Statoil-Tanke Ausschau hielt, den Polizeifunk abhörte und dafür sorgte, dass sie über sämtliche Bewegungen der Bullen in der näheren Umgebung informiert wurden.

Er nahm das Kuvert mit den Fotos aus der Jackentasche. Die Bilder des Insiders von der Ausstattung des Geldtransporters.

Keine Besonderheiten. Altes Modell, dessen sich Loomis und Falck rund um die Jahrtausendwende entledigt hatten, weil es viel zu leicht zu knacken gewesen war. Bei manchen davon hatte ein anständiger Winkelschleifer ausgereicht, um die Türen aufzuschneiden.

Die Fotos waren mit Blitz gemacht worden, wahrscheinlich spät am Abend, als der Typ Überstunden vorgetäuscht hatte. Rechts zwei offene Schränke mit grauen Koffern, die die größeren Scheine enthielten. Links Raum für die Koffer mit den kleineren Scheinen. Ganz hinten eine Instrumentenkonsole für Zeitschloss und Alarm. In der Mitte des Wagendachs saß eine Kamera.

Machte er einen Denkfehler? Noch hatte er Zeit, sich umzuentscheiden.

Er hatte noch Geld von seinem letzten Job. Das würde er Zoran leihen können, wofür immer er es brauchte.

Der Streit oben war nähergerückt. Er hörte die Frau in der Küche weinen, ein Krachen, das klang wie ein Stuhl, der auf dem Boden zertrümmert wurde … dann wieder die erregte Stimme des Mannes, der sie Fotze, Luder, Thaihure nannte.

Muss langsam mal anfangen rumzutelefonieren, dachte er, ging in den Flur und zog sich Schuhe an. Von einem sicheren Telefon aus. Treffen mit Leuten vereinbaren, die man für so einen Job anheuern konnte.

ER TRAF SICH MIT MICKE FREDÉN UND STEFAN LINDROS im Einkaufszentrum Ringen beim Skanstull. Die beiden hockten jeder mit einem Kombiteller Yakiniku und Sushi vor sich im Außenbereich des Imbisses und warteten auf ihn. Schienen sich zu freuen, ihn zu sehen, war ja auch schon eine Weile her.

Er hatte die beiden Ende der Neunziger kennengelernt. Eins der wenigen Male, als er eingefahren war. Sie hatten gemeinsam ihren Ausbruch geplant, und Jorma hatte sie mit ein paar Gefälligkeiten unterstützt. Doch ehe es so weit gekommen war, waren beide in andere Einrichtungen verlegt worden. Jeder per Überraschungstransport, mitten in der Nacht, als hätten die Wachleute geahnt, was Sache war. Sie hatten ihre Strafen in unterschiedlichen Ecken des Landes abgesessen, hatten aber wieder Kontakt aufgenommen, sowie sie rausgekommen waren. Dann hatten sie um die Jahrtausendwende ein paar Dinger zusammen gedreht, unter anderem Bankautomaten gesprengt. Mit rotem Plastiksprengstoff, dachte er beinahe wehmütig. Die feuchte, kalte Oberfläche, der Geruch, fast wie Vanille …

Soweit er wusste, hatten die beiden lange nichts mehr gemacht. Er wollte kein Risiko eingehen und mit Leuten arbeiten, nach denen aktuell gefahndet wurde. Und keine Vorstadtkids oder Gang-Mitglieder. Aus dem Alter war er raus.

Sie plauderten ein Weilchen, erzählten einander, was in der letzten Zeit so los gewesen war. Lindros hatte ein paar Deals in Spanien gemacht, hatte halb fertige Wohnhäuser aus Konkursbeständen gekauft und an Leute aus der Baubranche weiterverdealt, die Geld waschen mussten. Fredén hatte als Türsteher in diversen Clubs gearbeitet und nebenbei ein paar Karussellgeschäfte betrieben: hatte Alkohol und Zigaretten aus Deutschland geholt und steuerfrei in Skåne weiterverkauft.

»Aber deshalb sind wir nicht hier«, sagte er. »Du hast einen Job. Vielleicht sollten wir irgendwo hingehen, wo wir reden können.«

Sie verließen das Einkaufszentrum und schlenderten zum Hammarbykanal hinunter. Junge Paare mit Kinderwagen spazierten in der Sonne. Teenager fuhren mit ihren Skateboards am Kai entlang.

»Um was für einen Job handelt es sich?«, erkundigte sich Lindros.

»Ein Geldtransport …«

Er erzählte ihnen von dem Vermittlerkontakt und dem Insider, schilderte ihnen den Auftrag.

»Alte Transporter? Klingt wie ein Kinderspiel.«

»Abgesehen vom Zeitaspekt. Der Job muss in drei Tagen über die Bühne gehen.«

»Wie viele Leute brauchst du?«

»Vier oder fünf, inklusive Zoran und mir.«

Sie hatten sich auf eine der Bänke ans Wasser gesetzt. Eine Fähre glitt vom Kai weg und nahm Kurs auf Hammarby Sjöstad. Unwillkürlich sah er wieder Bilder aus dem Gefängnis vor sich. Die Klaustrophobie, die mit den Jahren schlimmer geworden war. Das Leben in einer gefühlt immer kleiner werdenden Zelle. Dass man Augen im Hinterkopf gebraucht hatte, wenn man dort herumgelaufen war, um sich vor Leuten zu schützen, die in Wahrheit in die Klapse gehörten, aber im Gefängnis gelandet waren, weil die Behörden glaubten, so wäre es billiger. Seine letzte Station war Österåker gewesen. Planung eines schweren Raubüberfalls. Er hatte während des Verfahrens keinen Mucks gesagt, wie ein Grab geschwiegen, um niemanden anzuschwärzen. Er selbst hatte nur einen Teil des Jobs geplant gehabt, Waffen besorgt und ein paar Nachforschungen angestellt, aber für die komplette Vorbereitung daran glauben müssen. Er hatte nicht geklagt, hatte nicht einmal versucht, auf Strafminderung zu plädieren. Am Ende hatte er für andere Leute eingesessen. Als er rausgekommen war, hatte er seinen Anteil plus Zinsen abkassiert. Aber war es das wirklich wert gewesen?

»Skärholmen, sagst du … Bist du schon draußen gewesen und hast gecheckt?«

»Zweimal. Einmal mit Zoran und einmal allein.«

»Und wie sieht es aus?«

Er zog eine Zeichnung aus der Jackentasche, zeigte ihnen, wo sich die Laderampe befand, wo das Auto mit den Wachleuten aufgehalten werden musste, Fluchtweg, Position desjenigen, der an der E4 Schmiere stand.

»Von welcher Größenordnung reden wir?«

»Zwischen fünf und acht Millionen. Wir teilen nach Risiko.«

Das Gespräch plätscherte weiter. Sie redeten über Leute, die interessiert sein könnten. Fredén hatte einen Türsteherkollegen, der Geld brauchte. Jimmie Gårdnäs. Lindros hatte einen Bekannten aus Uppsala, der angeblich passen könnte.

Stillschweigend waren sie zu einer Übereinkunft gekommen. Jorma ging noch mal die Zeiten und die Positionen der Autos durch. Die Kommandozentrale. Das Fahrzeug, das an der Statoil-Tanke stehen würde. Erklärte, wie sie nach Skärholmen und wieder zurück kommen und wie sie den Kontakt wieder aufnehmen würden, sobald der Job erledigt wäre.

»Wir treffen uns morgen wieder«, sagte er, »und gehen die Details noch einmal durch.«

»Und dieser Insidertyp … Bist du dir sicher, dass man ihm trauen kann?«

»Der steckt inzwischen so tief drin, dass er nicht mehr zurückkann.«

Eine Frau schlenderte am Kai an ihnen vorbei. Wie eine Zivilbullenbraut gekleidet. Baseballkappe. Motorradstiefel. Sonnenbrille. Ließ sich auf der Nachbarbank fünfundzwanzig Meter entfernt nieder.

»Kommt«, sagte er, »wir gehen.«

An einer Hausfassade waren ein paar Handwerker dabei, ein Gerüst zu montieren. Lachten über irgendetwas, reichten einander Werkzeug. Ich könnte einer von denen sein, dachte er. Irgendwas Konstruktives tun statt das hier.

Er warf einen Blick zurück über die Schulter, während sie weiter Richtung Barnängen gingen. Die Frau mit der Sonnenbrille saß immer noch auf der Bank. Und prompt waren die Erinnerungen an die Einrichtung wieder da. Die Untersuchungen hinsichtlich seines Geisteszustands, die er bei seiner letzten Station über sich hatte ergehen lassen müssen. Antisoziale Persönlichkeit mit paranoiden Zügen.

Damals hatte er laut darüber gelacht, aber vielleicht war ja doch irgendwas dran.

DER WALD, IN DEM SIE SICH BEFANDEN, lag gleich westlich von Rönninge. Häuser gab es in der unmittelbaren Umgebung keine, nur einen verwaisten Kiesplatz.

Sie waren im Abstand von zehn Minuten in unterschiedlichen Autos angekommen und hatten sich am Ende des Waldwegs auf einem Wendehammer versammelt. Um sie herum wuchsen Disteln und niedriges Buschwerk. Der Himmel war leichengrau.

Jorma packte die Handys aus und setzte die SIM-Karten ein. Seine Hand zitterte; das war ungewöhnlich. Dieses mulmige Gefühl, dachte er, schon seit er am Morgen aufgewacht war … schon seit sie angefangen hatten, diesen Job zu planen. Er konnte es sich nicht erklären.

Er testete die Apparate, indem er sie reihum anrief. Kein Problem. Schaltete sie wieder aus.

Zorans verkniffenes Gesicht draußen auf dem Wendehammer.

»Das wird schon«, sagte er. »Wir haben so was doch schon öfter gemacht, was, Zoran?«

Er marschierte auf Lindros und Fredén und dem Kumpel zu, den die beiden mitgebracht hatten. Gårdnäs. Typ Psychopath. Das hatte er sofort an seinem Blick erkannt. Noch ein Grund, nervös zu sein. Der Kerl konnte zu einem Risikofaktor werden, wenn die Bullen auftauchten. Eigenen Angaben zufolge hatte er das letzte Jahr darauf verwandt, Kabel auf Baustellen zu klauen. War nachts mit Schälmesser, Auto inklusive Anhänger und ein paar Gramm Speed unterwegs gewesen. Wenn er Glück gehabt hatte, hatte er pro Nacht mit zerschnittenen, kabelgeschwärzten Händen ein paar Hundert Kilo zusammenbekommen. Bei einem Raubüberfall dabei sein zu können sei eine Art Beförderung, hatte er erklärt.

»Hört mal her. Jeder nimmt sein Handy. Die Nummer der Kommandozentrale, sprich Zoran, findet ihr im Anrufprotokoll. Ihr benutzt das Telefon nur mit Handschuhen und werft es nach dem Job auf der Stelle weg. Zoran und ich nehmen die Beute mit in die sichere Wohnung. Wir nehmen Kontakt mit euch auf, nicht umgekehrt, aber seid darauf gefasst, dass es ein paar Wochen dauern kann, bis sich alles beruhigt hat.«

Ein graudiesiger Morgen. Weit entfernt Vogelzwitschern. Menschliche Geräusche oder Verkehrslärm – Fehlanzeige. Sie befanden sich einen Kilometer von der nächsten größeren Straße entfernt.

»Ich bin so krass aufgeladen wegen der Sache!«, seierte Gårdnäs. »Das macht mich voll scharf, verdammt. Ich könnt jetzt ficken, verstehst du … ficken!«

Jorma marschierte tiefer in den Wald hinein, um zu pinkeln, nahm den Schwefelgeruch seines eigenen Urins wahr. Als er zum Kiesplatz zurückkam, stand Zoran am Kofferraum des Audi und lud die Waffen aus: ein paar Handgranaten, zwei Uzis, ein AK 5, eine tschechische MP.

Er wischte das miese Gefühl, das die Granaten in ihm auslösten, beiseite.

»Was ist mit dir, Jorma? Bist du nervös?«

Sah man ihm die Unruhe an?

»Kein Problem. Ich bin nur konzentriert.«

Zoran zog die Beifahrertür auf und holte eine Pistole aus dem Handschuhfach: eine 7,62 Tokarew.

Sein Puls beschleunigte sich, als er sie entgegennahm. Der Kolben an der Handfläche. Die Kälte des Laufs. Unglaublich leicht. Bei einem früheren Job hatte er schon mal so eine dabeigehabt. Womöglich war es sogar dieselbe Waffe. Einige davon drehten so ihre Runden.

»Nimm die hier auch, falls wir getrennt werden.«

Die Schlüssel zur Wohnung. Aus Sicherheitsgründen wussten nur er und Zoran, wo sich das Versteck befand.

»Okay, Jungs … Alle nehmen sich die Waffen, die sie brauchen. Noch fünfundvierzig Minuten. Wir packen um und gehen dann alles noch ein letztes Mal durch, sobald alle ihre Ausrüstung parat haben.«

Sie glichen einer geheimen Einsatztruppe, dachte er kurz darauf, als sie im Kreis in der Hocke um Zoran herumsaßen und die Karte studierten, die er mit dem Zeigefinger in den Sand gemalt hatte. Alle schwarz gekleidet, maskiert, schwer bewaffnet.

»Der Transport kommt um kurz nach zehn. Wir sind frühestens eine Viertelstunde vorher da, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Er kommt aus Södertälje, also aus Süden, und fährt auf dieser Straße hier rein …« Der Finger markierte ein Kreuz in den Sand. »Die Laderampe liegt hier. Der Transport fährt hier auf das Gelände, hinter das kameraüberwachte Sicherheitstor, in diesem Moment gilt es also abzutauchen. Jorma und ich befinden uns hier, dreißig Meter vom Tor entfernt, im Audi. Lindros, du parkst gegenüber und kommst auf mein Signal aus deiner Richtung. Wenn das Tor aufgeht, was nach höchstens fünf Minuten der Fall sein dürfte, fährst du hier raus, blockierst die Ausfahrt. Jorma und ich stellen uns hinter den Transporter, sodass sie nirgends hinkommen.«

Der Geruch von Harz und feuchtem Sand. So wie in Finnland, als er klein gewesen war, in den Urlauben, die Harri Mal ums Mal ruiniert hatte.

Der Regen hatte zugenommen. Zorans Stimme verwandelte sich in eine Art Hintergrundrauschen. Er gab die letzten Instruktionen, wer wen anrufen sollte, wann genau sie zuschlagen würden … den Wachmann und den Fahrer vom Sitz holen … wer sie in Schach halten sollte, wann der Plastiksprengstoff angebracht würde.

»Noch Fragen?«

»Nein, verdammt, los jetzt … Jetzt kommt schon, zum Teufel mit euch allen!«

»Gut. In zehn Minuten fahren wir los.«

Der Berufsverkehr hatte nachgelassen. Sie fuhren mit jeweils fünfzig Metern Abstand im Konvoi.

Gårdnäs bog an der Statoil-Tanke ab. Jorma konnte sehen, wie er vom Gas ging und sich dann auf einen Hügel mit Blick über den Verkehr hinstellte. Er spürte, wie seine Arme taub wurden, wenn er sich zurücklehnte, klopfte leicht darauf, merkte, dass er fror.

Die Rücklichter von Fredéns Saab verschwanden an der Abfahrt in Richtung Norden. An der Kreuzung am Einkaufszentrum Skärholmen wendete er und hielt direkt vor einer Busspur an. Dort herrschte Halteverbot, aber es war der beste Platz, um die Hindernisse auszulegen.

Noch zwei Autos im Konvoi. Lindros’ Volvo und ihr Audi. Sie näherten sich dem Parkhaus und fuhren an der ersten Einfahrt vorüber. In drei Metern Höhe an einem Pfahl hing eine Kamera. Aber das Auto war sicher, die Nummernschilder ausgetauscht.

Dann waren sie im Parkhaus. Der Motor gab merkwürdige Geräusche von sich, die da nicht hingehörten … Ach was, redete er sich ein, während er über die Pistole in der Tasche strich.

Lindros bog Richtung Laderampe ab. Zoran stellte sich gegenüber. Drehte den Zündschlüssel herum. Der Motor verstummte mit einem Seufzen.

»Zehn Minuten, bis der Transporter hier ist. Wir warten noch mit den Masken, damit sich niemand wundert, der vorbeigeht.«

Es war zu schnell gegangen, dachte er. Sie hätten diverse Ablenkungsmanöver fahren müssen, ein paar Kilometer entfernt eine Sprengladung abbrennen, um Streifenwagen dorthinzulocken. Doch dafür war keine Zeit gewesen.

»Alles okay, Jorma?«

Das mulmige Gefühl lauerte immer noch im Hintergrund, wie ein leiser Tinnitus.

»Ich weiß nicht …«

»Verdammt, du kannst dich jetzt nicht rausziehen.«

»Ich hab einfach ein echt mieses Gefühl …«

»Junge, so kenn ich dich ja gar nicht … Hier, trink was!«

Er nahm das Mineralwasser entgegen, das Zoran ihm hinhielt, trank die halbe Flasche leer und rülpste. Zorans Telefon brummte leise. Gårdnäs, der ihnen mitteilte, dass im Polizeifunk alles ruhig war.

Um Viertel nach zehn meldete Fredén, dass der Geldtransporter jetzt zum Einkaufszentrum abbog. Mittlerweile waren mehr Leute unterwegs, Familien auf dem Weg zum Einkaufen, stinknormale Leute. Ein Vater in Elternzeit mit einem Baby im Tragetuch ging langsam Richtung Treppenhaus an ihrem Auto vorbei.

Die Umgebung drängte sich ihm regelrecht auf. Der Geruch von Abgasen und warmen Automotoren. Die Schritte einer Frau, die mit hohen Absätzen über den Betonfußboden stöckelte. Signale elektronischer Autoschlösser. Klappernde Einkaufswagen.

Sein Blick tanzte über die Parkebene vor und zurück. Die beiden Autos, die ganz hinten an der kurzen Wand standen, und der Kastenwagen schräg gegenüber in der hinteren Ecke … Waren die schon die ganze Zeit da gewesen?

Er tastete nach der Pistole in der Tasche und berührte die Uzi, die zu seinen Füßen auf dem Wagenboden lag. Der Lauf war auf seinen Bauch gerichtet.

Ein grauer Pkw kam durch die Einfahrt und bog nach rechts ab auf die Rampe. Davor pickten ein paar Tauben im Dreck. Aus irgendeinem Auto war Musik zu hören.

Dann entdeckte er den Geldtransporter. Er bog vor ihnen ein, fuhr in zwanzig Metern Entfernung an ihnen vorbei und blieb dann vor dem Stahltor stehen. Keine Eskorte, das beruhigte ihn. Die abzubiegen war dem Insider also geglückt.

Das Tor ging langsam auf. Die Bremslichter blinkten geradezu epileptisch auf, als der Transporter vor der Schwelle langsamer wurde. Dann schloss sich das Tor mit einem scharfen Knirschen.

Ein paar Minuten verstrichen. Verkehrsrauschen von der E4. Eine seltsame Stille, als das Tor erneut aufging.

»Setz die Maske auf. Es ist so weit.«