Sherry - Adam Kuckhoff - E-Book

Sherry E-Book

Adam Kuckhoff

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Beschreibung

Ein Künstlerroman, der vom Widerspruch zwischen Kunst und Wirklichkeit, einer produktiven Partnerbeziehung, den gesellschaftlichen Spannungen und der Stellung des Künstlers in der bürgerlichen Gesellschaft erzählt. Beschrieben wird die Beziehung des Clowns Sherry (Vorbild ist der berühmte Musikclown Grock) zu seinen Geige spielenden Partner Doré. In Sherrys Lebensbeichte, die dieser dem Ich-Erzähler des Romans erzählt, wird deutlich, wie Doré "zum bloßen Objekt und Requisit eines fremden künstlerischen Willens wird, ohne die Aussicht, seine eigenen Talente selbständig entfalten zu können." (Hans J. Schütz) Nach dieser Erkenntnis und einer Lebenslüge bleibt für Sherry nur der Abgang von der Bühne. Im Roman heißt es: "Es gibt für jeden von uns eine besondere Zeit der Entscheidung, wo wir entweder gerechtfertigt oder verworfen werden, und für jeden liegt sie an einem anderen Punkte des Lebens." Adam Kuckhoff war ein erfolgreicher Dramaturg und Schriftsteller. Als wichtiges Mitglied der Widerstandsgruppe "Rote Kapelle" gegen das nationalsozialistische Regime wurde er 1943 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

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Inhaltsverzeichnis

Titelseite

Sherry

An das Urbild des Scherry

Über den Autor

Impressum

Hinweise und Rechtliches

E-Books im Reese Verlag:

E-Books Edition Loreart:

Adam Kuckhoff

Scherry

Roman

Sherry

WIR fuhren durch ein abgelegenes Alpental, um die Zeit, wo die Natur für eine kurze Spanne wieder ein wenig sich selbst gehört. Wir fuhren unseren 4 PS, wie schon die ganze Fahrt über, in angemessener Geschwindigkeit, fern jenem Rasewahn, der allen Weg im Scheinziele vernichtet.

Und das nicht nur um unserer selbst willen. Der Führer und Besitzer des Wagens gehörte zu jenen selteneren Menschen, die als Besitzer eines Wagens noch nicht Besitzer der Landstraße zu sein glauben. Es sind das die Leute, die auch in Gemäldegalerien nicht laut reden, wennschon es bei einem Bild nichts zu hören gibt, also niemand durch Entzückungsausrufe oder fachliche Erläuterungen gestört werden kann; die in der Straßenbahn vor alten Männern und müden Arbeiterfrauen aufstehen und die nun auch, weil es mit Recht für unanständig gelten würde, in Gesellschaft jemanden plötzlich mit einer Hand voll Staub zu beschmeißen, sich nicht für berechtigt halten, den Fußgänger und Radfahrer auf der Landstraße gleich mit einer ganzen Wolke zu überschütten.

Wir hatten am Abend vorher über dieses Thema eine lebhafte Auseinandersetzung gehabt: mit einem Autofahrer, der uns unterwegs im 80-Kilometertempo überholte und den wir später in unserem Nachtquartier wieder antrafen. Ein erzogener und offenbar herzensguter Mann, von auffallend warmer Rücksicht gegen die Seinen, Frau und zwei erwachsene Töchter. Mein Freund hatte, als wir behaglicher ins Gespräch gekommen waren, plötzlich mit der ihm eigenen, vielleicht ein wenig zu geraden Geradheit die Frage gestellt, wie ein Mann von so ausgesprochener und nicht nur äußerlicher Bildung es mit dieser Bildung vereinbaren könne, auf der Landstraße Menschen wie du und ich plötzlich als leblose Klötze oder Bäume zu behandeln; wo schon die Bäume unter ihrer gottsjämmerlichen Staubschicht jedem wirklichen Naturfreund das Gewissen schlagen ließen.

Der Mann war auf das peinlichste überrascht gewesen, und ob er sich nun unter der Jähheit des Angriffs besonders versteifte - bis zum Schluß des in die Nacht hinein dauernden Gesprächs blieb er dabei, den Standpunkt meines Freundes für «ganz unmöglich» zu erklären. Die Rücksicht auf den Nächsten habe ihre Grenze in den allgemeinen Bedingungen, unter denen wir lebten und über die wir nicht Herr seien. Jeder Fortschritt bringe natürlicherweise seine Nachteile mit sich, und vielleicht seien die sogenannten Schattenseiten gerade das, was den Fortschritt bewirke. Beispielsweise in unserem Falle könne nicht geleugnet werden, daß die Beanspruchung der Landstraße durch das Auto Anlaß geworden sei, die Straßen allmählich in besseren Stand zu bringen. Hätte wohl irgendeine dörfliche Gemeinde sich bewogen gesehen, für staubfreie Anlagen, wenigstens im Dorfbezirk, zu sorgen, wenn die kaum mehr aussetzenden Staubwolken nicht ganz unerträglich geworden seien? Diese Begründung befeuerte ihn so, daß er am Ende nicht weit davon entfernt war, den Autostraßenstaub als einen der größten Beförderer menschlichen Fortschritts zu feiern.

Mein Freund hatte - nicht ganz gerne - diese Ansicht der Dinge gelten lassen müssen. Es sei in der Tat so, daß die natürliche Trägheit des Menschen gemeinhin den schärfsten Stachel brauche, um einem Übel abzuhelfen. Aber berechtige das den, der dieses Übel zufüge, seine wohltätige Wirkung auf den anderen lobzupreisen? Fortschrittsbegeisterung sei hier nicht am Platze, eher ein bitteres Mitleid mit der menschlichen Natur, die überall jenen schärfsten Stachel brauche, um nur einen kleinen Schritt vorwärtszukommen.

Ob das nicht allzu weichlich empfunden sei? meinte der andere.

Vielleicht! Und er, mein Freund, sei weit davon entfernt, auf dem Autostraßenstaub ein System des kosmischen Pessimismus zu errichten. Aber bestehen bleibe, daß den ethischen, das heißt gemeinschaftsfühlsamen Menschen in seinem Handeln nur die natürliche Rücksicht auf den Nebenmenschen bestimmen dürfe. Auch glaube er nicht, daß dadurch der sogenannte Fortschritt gehemmt zu werden brauche. Ein vernünftig fahrender Wagen wirbele auf staubigem Wege noch Staub genug auf, um die Anwohner und, in den Benutzern der Straße, die breitere Öffentlichkeit zu Verbesserungen zu bewegen. Übrigens komme es hier wie überall nicht so sehr auf das an, was dem andern an greifbar Unangenehmem zugefügt werde, als auf das Gefühl verletzter menschlicher Würde. Die namenlose Wut der Fußgänger gegen das Auto habe schon einen tieferen Sinn: Alle Demütigung, alle Mißachtung der Kreatur durch den Begünstigteren sei wie Sinnbildlich zusammengefaßt in jenem Augenblick, wo der rücksichtslose Fahrer, selbst schon in weiter Ferne, minutenlang ein in Staub gehülltes oder mit Straßendreck bespritztes Wesen seinesgleichen hinter sich zurücklasse. Das schien unserem Gegenpart nun doch so übertrieben, daß er nicht darauf antwortete. Er holte noch die Entwicklung der Automobilindustrie hervor, die ohne gehörige Beanspruchung der Wagen nicht möglich gewesen wäre, worauf wiederum mein Freund nichts erwiderte. Der übliche stumpfe Gesprächsabschluß, man trennte sich höflich und ging zu Bett.

Ich hatte der Frage den Tag über unwillkürlich weiter nachgehangen. Selbstverständlich stand ich auf seiten meines Freundes. Aber wenn mich das Gespräch über seine eigentliche Bedeutung hinaus beschäftigte, so lag das an einem einzelnen Wort, das gefallen war: «Weichlich», ob das nicht vielleicht zu weichlich sei, hatte der Fortschrittsfreund gesagt, ohne daß es mich im Augenblick besonders berührt hätte. Aber nun stellte ich mir seine straffe, gesunde Gestalt vor, seine ritterliche Art gegen Frau und Töchter, und unwillkürlich sah ich zu meinem Freund am Steuer hinüber, wie er behaglich, aber, doch ja - ein wenig weich, den Wagen lenkte, immer im gleichen gemessenen Tempo, obwohl die Straße, herrliche Straße, menschenleer im Morgenglanze vor uns lag. Gewiß hatte er recht, aber hier war doch niemand, auf den Rücksicht zu nehmen gewesen wäre, und wenn wir auch die Landschaft so auf das vortrefflichste genossen - mein Gott, wir fuhren schon mehrere Tage, Berge sind am Ende Berge, und es hätte mich nicht eben gestört, diese einmal in schneller Verschiebung an mir vorbeigleiten zu sehen. Auch das hat seinen Reiz, auch das Gefühl der sausenden Fahrt hat seinen Reiz!

Ich fühlte mich schon ein wenig ungeduldig und ungerecht werden. Mir schien, daß die Kraft jener Überzeugungen durch die gerade, gemächlich durchfahrene Strecke leide. Einmal mußten wir jetzt ausholen, ein einziges Mal - aber nichts dergleichen geschah, wie ich wohl wußte, daß nichts dergleichen geschehen würde.

Denn mit einer gewissen Bosheit, deren ich mich vergebens zu erwehren suchte, klaubte ich jetzt andere Züge aus dem Wesen des Mannes da vor mir heraus, oder vielmehr, sie klaubten sich selbst heraus mittels jenes perfiden Magneten, der «Weichlichkeit» hieß. Wenn er recht hatte, aber nicht er recht hatte: weil er diese Straße nicht im 80-Kilometertempo fuhr, weil er überhaupt nie in das 80-Kilometertempo geraten konnte! Kommt es denn darauf an? Kommt es nicht nur darauf an, daß das Rechte geschieht, gleichviel wieso und von wem?

Übrigens, was doch aus seiner Frau, diesem prachtvollen unbedingten Menschen, geworden war. Fast so gerecht, so überall Rücksicht nehmend wie er ist sie jetzt. Weichlich - ja, er war weichlich.

In diesem Augenblick näherten wir uns einem der weit im Tal auseinandergezogenen Dörfer. Die Straße stieg ein wenig an ein paar Häusern vorbei zu einem Gehöft, das auf einem Wiesenhügel mitten im Tale lag. Ein bäuerliches Großanwesen, wie sie hier üblich sind, Wohnung, Scheune und Stall unter demselben Dach, das eigentliche Wohnhaus kenntlich an seinem blendend weißen Anstrich, den oft hübsche Bilder und Sprüche zieren. Ich las gerade an diesem in noch behaglicher gewordener Fahrt mit Vergnügen den echten Bauernspruch: «Es wünsch’ uns jeder, was er will, wir wünschen ihm nochmal so viel» - als plötzlich Musik um die Hausecke zu mir herumfuhr. Eine Sekunde nur, kaum Zeit, des sonderbaren Charakters dieser Musik innezuwerden, und schon gab die Fahrt den Blick auf die Seite des Hauses frei: Ein Baumgarten jenseits des Holzzaunes, darin im Kreis eine Anzahl von Bauernjungens und -mädels, deren Gelächter man halb bewußt eben noch zwischen den Tönen vernommen hatte, die nun aber schweigend zu einer seltsamen Gestalt emporstarrten. Vor ihnen erhob sich nämlich in das grüne Gewölbe der Zweige hinauf ein Mann, in einen verschossenen, grünschwarzen, überall zu kurzen und zu engen Frack gekleidet, ebenso reichten die wie zusammengeschrumpften Hosen kaum bis zu den Knöcheln, während die Füße in zwei viel zu großen Stoffbabuschen steckten. Das Gesicht war clownartig geschminkt, eine Clownperücke auf dem Kopfe, in den Händen aber, hoch über den Kopf, schwang die Gestalt das Instrument, dessen Töne zu uns gedrungen waren: Harmonika beinahe, ein Bandonion, schwarz wie alles übrige und von sechs- oder achteckiger Form.

Ich war mir bewußt, daß ich diese Wahrnehmungen nicht in dem kurzen Augenblick der Vorüberfahrt gemacht haben konnte, das war kein Sehen, sondern ein Wiedersehen, Wiedererkennen eines unverlierbar Festgeprägten. Ich griff «halt, halt!» nach vorn zu dem Freunde, der eine neue Krümmung der Straße wie immer mit verdoppelter Vorsicht nahm und so von dem Vorgang nichts bemerkt hatte.

Augenblicks brachte er den Wagen zum Stehen.

Wer? Was? Nicht möglich! Im nächsten Augenblick standen wir auf der Straße und gingen den kurzen Weg zurück, ohne zu bedenken, wie unsere unvermutete und neugierige Ankunft vielleicht wirken würde. Und in der Tat: Als wir an den Zaun herantraten, mit einer Zudringlichkeit, die nur durch unsere fassungslose Überraschung zu erklären war, dergleichen hier zu begegnen, verstummte das Spiel, einen Augenblick stand der Mann noch aufrecht, zu uns herübersehend, das Instrument niederhängend in der rechten Hand - um dann ruhig von seinem Stuhl herabzusteigen und, die wenigen Schritte hinübertuend, im Hause zu verschwinden.

Seine junge Zuhörerschaft blieb verlegen und nicht eben freundlich zurück, ohne daß wir, unserer Plumpheit zu spät innewerdend, eine Frage an sie zu richten wagten. Erst als wir wieder bei unserem Wagen standen und die Neugier den einen oder anderen Buben uns nachlockte - sie schienen zu wissen, daß es, für heute wenigstens, mit dem wohlfeilen Schauspiel zu Ende sei -, erkundigten wir uns vorsichtig nach den Bewohnern des Hofes, spürten jedoch sogleich in den Antworten noch etwas anderes als jene Zurückhaltung richtiger Bauernjungen, Gemisch aus Scheu und Stolz; und auch ein paar Erwachsene, ein alter Bauer, eine Bäuerin, hielten mit eingehenden Auskünften hinterm Berge. Der Brandelschmied sei das eben, der Hof, und, dem er jetzt gehöre, ein Herr aus der Stadt. - Ja, er wohne immer hier heraus - bis man beide Male mit einem «I komm scho» einem ungehörten, wenigstens von uns ungehörten Ruf aus dem Hause zu folgen vorgab.

Was blieb uns übrig, als unseren Wagen wieder in Gang zu setzen und weiterzufahren, einige vierzig Kilometer, zum heutigen Ziel unserer Fahrt, dem Hauptmarktflecken der Gegend.

Wieder kam mir der Gedanke an das gestrige Gespräch, als wir am Nachmittag in dem Landhaus unseres gemeinsamen Freundes, des Doktors, auf der Terrasse saßen, vor uns Berge und See, um uns jene ruhende Atmosphäre eines Kreises von Menschen, die in der Stimmlage zueinander passen.

Der Doktor war ein Studiengenosse meines Freundes, ich hatte ihn bei einem seiner gelegentlichen Besuche in der Stadt kennengelernt, gleich in herzlichem Einvernehmen mit ihm, so daß man schon, ohne das Wort zu sehr zu bemühen, von Freundschaft reden durfte. Was mich betraf, so war ich mir des Grundes dieser Freundschaft wohl bewußt: Ganz im Gegensatz zu mir, ein Wunschbild, das ich gleichwohl nie zu erreichen sicher war, gehörte er zu den glücklichen Naturen, die immer im Richtigen sind, begrenzt in Wirksamkeit und Gefühl, nicht aber aus Enge, sondern aus natürlicher Griffsicherheit für das ihnen am meisten Gemäße. Als junger Arzt, dem man eine bedeutende Zukunft voraussagte, dabei von ausgesprochener schriftstellerischer Begabung, hatte er sich zu allgemeinem Erstaunen hier draußen niedergelassen jung verheiratet mit einer jungen Frau, und sich seitdem nicht mehr vom Flecke gerührt.

Unbegreiflich! Aber ich begriff es wieder in demselben Augenblick, wo er uns aus fröhlichem Kindergejuchze den Weg vom Haus hinunter entgegenkam und seine Frau oben still freundlich in die Türe trat, ich begriff es noch deutlicher, als wir dann zusammensaßen und er humorvoll und doch mit wärmstem Anteil von seiner Tätigkeit hier in der Gegend berichtete. Hier hatte ein Mensch eine Nebenbegabung mit sicherem lnstinkt seiner eigentlichen Berufung dienstbar gemacht. Wie er die Menschen des Landes, seine Patienten, vor uns hinstellte, wie er mit Achtung von ihren alt überlieferten Hausmitteln sprach, denen er im gegebenen Falle oft den Vorzug vor seinen eigenen Quacksalbereien gäbe, wie er andererseits das Eindringen der modernen Zivilisation in die überkommene Volksmedizin bewertete, das dadurch bedingte Nachlassen ihrer «magischen» Kraft, die Gefährdung des primitiven Instinkts - alles das zeugte von einer ursprünglich künstlerischen Intuition. So daß die hartnäckigen Klagen meines Freundes um jene ohne Folge gebliebenen dichterischen Versuche - alberne Schnakereien nannte sie der Doktor mich kaum weniger ungeduldig machten als ihren längst darüber hinausgewachsenen Urheber.

Und merkwürdig: Wie ich unwillkürlich die beiden Männer vor mir miteinander verglich, wandte sich das Gespräch in einem Bogen zum Gegenstand des gestrigen zurück, nur antickend und gleichsam nur für mich.

Unser warmherziger Doktorfreund, der mit solch aufblühender Liebe von seinen Bauernpatienten sprach, hatte es nämlich mit den Sommerfrischlern, nicht aus einer romantischen Ablehnung moderner Entwicklung, sondern aus natürlichem Haß gegen alles Verschrobene und Ungemäße. Der Sommerfrischler, das war nicht der einzelne, im grauen Takt der Städte erschöpfte Mensch, es waren die Herren und Damen, die in Lederhosen und Dirndlkostümen beim Kramerwirt zum Radio Foxtrott tanzten und sich zwischendurch echte Plattltänze vorführen ließen, der Sommerfrischler, das war das arrogante hochnäsige Pack, das hier an den vergehenden Formen eines alten Volkstums seine sentimentale Befriedigung suchte. Das Wort «Klasse» fiel nicht, auch lagen unserem Doktor aus Wahl seiner Natur die städtischen Entwicklungen zu fern, aber kein«Roter» hätte mit ingrimmigerer Freude erzählen können, wie er eine solche Gesellschaft recht absichtlich mit seinem Wagen in eine Schütterwolke von Staub gehüllt habe, als er ihr auf der Fahrt zu einem der Nachbardörfer unversehens begegnete.

Da war es also wieder, unser Gespräch von gestern, und wie mir schien, in einer neuen und bezeichnenden Wendung. Aber im gleichen Augenblick verknüpfte sich mir damit die Erinnerung an jenen Augenblick auf der Landstraße, ich sah wieder das Dorf, die schwarze Gestalt unter den Bäumen. Wo war bessere Gelegenheit, über die merkwürdige Begegnung Näheres zu erfahren?

Überrascht, aus ingrimmig herzlichem Gelächter, sah der Doktor auf, als ich meine Frage an ihn richtete.

«Was? Sie haben Scherry gesehen? Ja, natürlich ist er es, wie könnte man ihn verkennen? Ich hätte Ihnen längst erzählen können, daß er dadrinnen haust, wenn ich nicht vielleicht schon stillschweigend mit in dem Bunde wäre, den er da oben um sich geschaffen hat. Was hat der Mann im Anfang für Mühe und Kraft aufwenden müssen, ehe es ihm gelungen ist, die öffentlichen und privaten Störenfriede, die naiv und bewußt Unverschämten von sich abzuhalten, bis die Aussichtslosigkeit des Unterfangens allmählich auch die Abgebrühtesten mürbe machte. Und wer weiß, ob es ihm bis heute gelungen wäre, wenn da nicht unvermerkt jene freiwillige Leibgarde einen regelrechten Wall des Schweigens um das Haus auf der Höhe errichtet hätte, den nur hin und wieder sprechende Blicke oder ein paar niedersausende Bauernfäuste zu verstärken brauchten. Ja, denken Sie sich das einmal recht: Ein Clown, ein Faxenmacher, wenn auch ein Faxenmacher von Weltruf, tritt da unter unsere Bauern, und in Halbjahresfrist haben sie begriffen, daß diesem Mann gegenüber anderes geboten ist, als ihn, beim Fehlen eines namhaften Touristenberges, zum Hauptanziehungspunkt des Ortes zu machen - oh, sie bringen das in anderen Fällen ganz schön fertig, unsere Bauern! -, haben sie besser als alle Reporter, Kritiker und sonstige Verehrer ihm die rechte Ehre zu erweisen gewußt: seine gewollte Abgeschlossenheit vor der Welt zu achten und notfalls zu verteidigen. Vielleicht hat Scherry in seiner ganzen umjubelten Laufbahn keinen solchen Erfolg davongetragen, und ich glaube, daß er sich dessen bewußt ist und daß ihn keiner mehr freut.»

Wir erfuhren weitere Einzelheiten. Scherry hauste dort oben mit seiner Frau - Kinder hatte er nicht - und dem unzertrennlichen Partner seiner «Nummer», dem Geigenvirtuosen, der, an sich nicht sonderlich sympathisch, mir bei wiederholtem Sehen einen gewissen verstehenden Anteil abgewonnen hatte. Sie lebten ein höchst beschauliches Dasein, das sich nach Maßgabe des Fremdenverkehrs ausdehnte und zusammenzog, in der Hauptfremdenzeit sich fast ausschließlich auf das Haus und den rückwärtigen Teil des breit von der Seite herumgreifenden Gartens beschränkte; vorher und nachher, wie eben jetzt, sich in freierer Bewegung auf Wanderungen, Bergtouren und so weiter entfaltete. Selbst zum Ort hier mochten die drei dann einmal herüberkommen und ganz menschlich im Café am See ihren Nachmittagskaffee einnehmen. Das war denn auch die hohe Zeit für das Dorf und die Dorfjugend insbesondere - wir hatten es ja erlebt-Teile der täglichen Nummer wurden dann gelegentlich ins Freie verlegt, alt und jung durfte sich dazu einfinden und fand sich ein, die Erwachsenen nicht minder gern als die Kinder, wenn Scherry es nicht manchmal so einrichtete, daß es nur die Kinder sein sollten.

«Die tägliche Nummer?» fuhr ich im ersten Augenblick, wo es ziemlicherweise anging, dazwischen. Ich saß offenbar mit so verdutztem Gesicht da, daß die drei in ein herzliches Gelächter ausbrachen.

«Es ist schon so, Scherry bleibt auch nach dem Rücktritt von der öffentlichen Bühne Scherry, und der ganze Unterschied gegen vormals scheint darin zu bestehen, daß er sich zu der immer gleichen Nummer nun auch das immer gleiche Publikum oder gar keins gewählt hat. Man kann dergleichen wohl ebensowenig lassen wie das Tabakrauchen, wenn man sich einmal daran gewöhnt hat.»

Ich konnte nicht umhin, den Doktor in diesem Augenblick ärgerlich banal zu finden. Freilich, wie sollte er eine andere Erklärung suchen, wenn ihn die Frage selbst nie tiefer beschäftigt hatte! Mich aber hatte sie tiefer beschäftigt, und zwar aus einem besonderen Grunde.

Als seinerzeit die Nachricht von Scherrys Abschied in den Zeitungen erschien, durchzuckte es mich beim Lesen, daß damit ein eigentümliches Vorgefühl überraschend bestätigt wurde. Ich hatte ihn kurz vorher nach langer Pause wieder einmal gesehen, und sonderbar: Während des ganzen Abends ließ mich der Gedanke nicht los, es sei das letztemal; obwohl in jenem Zeitpunkt noch nichts auf den demnächstigen Entschluß hindeutete. Freunde, denen ich später von diesem Vorgefühl erzählte, wußten eine einleuchtende Erklärung. Es sei ihnen ähnlich gegangen. Scherry habe doch deutlich nachzulassen begonnen, es sei nicht möglich, dieselbe Nummer Jahr für Jahr zu bringen, ohne allmähliches Absinken in eine spannungslose Handwerklichkeit, und, feinfühlig wie er sei, entschließe er sich zu dem einzig Richtigen: noch auf höchster Höhe, so, daß nur die Hellsichtigsten die kommende Neigung spürten, im Gedächtnis der Mitwelt, in der Überlieferung an die Nachwelt zu verbleiben.

Ich hatte darauf geschwiegen, weil ich mit vollkommener Sicherheit fühlte, daß dem nicht so war. Nicht nur war mir im Vergleich mit früheren Malen kein Niedergang bewußt geworden, vielmehr erschien mir sein Spiel erst jetzt zur letzten künstlerischen Reife gelangt. In der Tat, er gab scheinbar immer noch dasselbe, festgelegt bis in die kleinsten Nuancen, ja, er gab weniger. Aber gerade in diesem Weniger steckte es. Steigerte er früher einen künstlerischen Effekt durch Wiederholung, so daß das Publikum in gekitzelter Erwartung kaum noch ein und aus wußte, so brachte er ihn jetzt nur einmal, wodurch zwar der Effekt selbst einbüßte. Aber diese Einbuße war offensichtlich, für mich wenigstens offensichtlich, gewollt. Statt einer gehäuften, knatternden Folge von Teilwirkungen schwang sich jetzt eine große Linie durch das ganze Spiel, der alles Einzelne untergeordnet war, wurde der tiefer zugrunde liegende Sinn zur Dominante, jenes unfaßbare Etwas, immer schon vorhanden und gefühlt und um dessen Deutung ein Heer von Schreibenden sich gemüht hatte. Nein, wenn das Niedergang war, so lebe der Niedergang! Eher gab es von hier aus kein Weiter, und mit der Erklärung hatte ich mich auch nach einigem zufriedengegeben.

Und nun hörte ich, daß die Nummer weiterbestand; Tag für Tag, wenn das Gerücht zutraf, weiterbestand. Denn was verschlug es, ob sie vor einer Schar von Bauernjungen und -mädels, ob sie vor schweigenden Wänden geschah?

Könnte man nicht doch einmal auf irgendeine Weise Zeuge des Schauspiels werden?

Nein, das sei ganz unmöglich. Er selbst als Bekannter des Hauses würde nicht wagen, die Bitte zu stellen, und heimliche Versuche würden bei der Wachsamkeit des Walles dem Betreffenden schlecht bekommen.

Wie, er kannte das Haus, er kannte Scherry persönlich?

Nun, als Arzt: Von drei Menschen nebst Bedienung kann der eine oder andere nicht umhin, im Laufe mehrerer Jahre einmal krank zu werden. Übrigens war es niemals Scherry selbst, meist der Hausgenosse, seltener einmal die Frau, deren beider Wohlsein ihm offenbar mehr als das eigene am Herzen lag, wie er überhaupt im Verkehr von großer menschlicher Liebenswürdigkeit und Wärme war.

Ich besann mich einen Augenblick. Ich war mir bewußt, daß die Bitte, die ich zu tun im Begriffe stand, höchstwahrscheinlich eine entschiedene Ablehnung erfahren würde. Auch wußte ich mir keine Rechenschaft darüber zu geben, was mich zu dieser Bitte berechtigte. Ich hatte zu Scherry kein anderes Verhältnis als die Tausende, die er Abend für Abend mit seiner Kunst beschenkte, ich hatte auch nicht den mindesten Anlaß, auf Grund meiner Freundnachbarlichkeit zu einem Dritten die Stille, die er mit betontem Willen um sich zog, zu verletzen. Was wollte ich ihm denn sagen? «Ich möchte Sie gern kennenlernen», oder «Sagen Sie mir bitte, was Sie damals eigentlich zur Abkehr von der Bühne bewogen hat», Worte, wie sie wohl allen auf den Lippen gelegen hatten, die sich mit tausend Mitteln und Mittelchen bemühten, zu ihm zu dringen.

Dennoch, da saß das in mir als eine fixe Idee, mit der ganzen Verbohrtheit, Unwidersprechlichkeit, Entschlossenheit einer fixen Idee: daß ich den Mann kennenlernen, daß ich mit diesen oder anderen Worten genau die Frage an ihn richten wollte. Und so sprach ich die Bitte aus, von der ich wußte, daß sie abgeschlagen werden würde.

Sie wurde abgeschlagen. Der Doktor, wie aus sorgloser Heiterkeit kühl zurückgescheucht, erklärte kurz und trocken, es könne selbstverständlich nicht davon die Rede sein, daß er, und erst recht in seiner Eigenschaft als Arzt des Hauses, jemandem jemanden zuführe, von dem er im voraus wisse, daß er unwillkommen sei. Mein Freund sah zu mir herüber, als ob er fassungslos an mir irre werde. Man schwieg - sehr peinlich für mich -, der Doktor mochte bereuen, sich so eingehend über Scherry ausgelassen zu haben. Zum Glück blieb die Kraft meiner fixen Idee über mir. Ich erklärte, daß ich den Standpunkt des Doktors sehr wohl verstehe und keinen Augenblick verüble, wie ich ihn eigentlich erwartet habe, daß mich nicht eitle Neugier treibe - obwohl ich Mühe gehabt hätte zu sagen, was denn sonst - und daß ich im übrigen versuchen werde, meine Absicht ohne fremde Hilfe zu erreichen.

Der Abend verlief dann nach diesem Zwischenfall noch unerwartet angenehm. Man wandte die Dinge ins Komische, wie denn auch ein fix Besessener immer ein komischer Gegenstand ist, man neckte mich ob meiner Hartnäckigkeit und der mir zuversichtlich bevorstehenden Abenteuer, immer vielleicht doch in dem Gedanken, daß ich spätestens zum Abend von meiner Laune zurückkommen werde. Bis der Doktor auf ein Wort von mir - oder war es nur der Tonfall? - einen schrägen Blick zu mir herüberschoß. Es sei denn das beste, wenn ich schon die Nacht drüben im Gasthof verbringe, man könne mich gerade noch bis zur Wegkreuzung hinauffahren, von wo ich dann als unauffälliger Tourist meines Weges zum Dorfe weiter wandern sollte.

Mir war, als mich die beiden eine Stunde später unter Scherzworten an der bezeichneten Stelle abgesetzt hatten und der Wagen mit den Zurückwinkenden hinter der nächsten Talkrümmung verschwand, mit einemmal recht katzenjämmerlich zumut. Wozu dieses aussichtslose Abenteuer, bei dem ich mich nur lächerlich machen würde? Hatte es mich noch gestern im geringsten beschäftigt, warum Scherry damals von der Szene abgetreten war? Man läßt sich unversehens durch eine Stimmung, durch einen vorübergehenden Anteil ergreifen, der nur durch die Nähe des Gegenstandes plötzlich so hoch wächst, man erhält den letzten kleinen Anstoß durch etwas ganz und gar Nebensächliches, eine unbeherrschte Voreiligkeit, von der man dann nicht mehr zurück kann. Die Antwort des Doktors ein klein wenig weniger schroff, ob ich dann auch hier im Straßenstaub stünde, widerwillig, ja: widerwillig, verpflichtet, eine Reihe klug gefügter Handlungen zu begehen, zu einem Zweck, in dem ich mit bestem Willen keinen Zweck mehr entdecken konnte?

Ja, erhebe du dich nur verächtlich über den Reporter, den Sensationsmenschen! Der weiß am Ende, was er will, er hat, wenn es gelingt, seinen Lohn dahin: in einem fetten Zeilenhonorar oder auch nur im unangekränkelten Gefühl des Jägers, der sein Wild erlegte. Gestehe nur, daß deine größte Sorge ist, es könne dir unversehens glücken, du säßest vor dem Mann in einer glatten Allerweltsunterhaltung bis zum freundlich leeren Abschied. Und? Und?

Die Dämmerung brach ein. Das Tal versank in jene Tiefe, aus der mit einemmal die immer doch brausenden Bäche erst aufzulauten scheinen, aus der die Berge sich wie mit klar gebreiteten Armen höher heben. Stunde des ruhigen Atmens, Stunde der Brust, die sich entgegendehnt, des Wissens um Frieden, Schlaf und Tod als unsere Brüder am Ende des Wegs. Ich wanderte auf das Dorf zu, ich saß unter den Bäumen vor dem einfachen Gasthof, von einem Glase Wein über die letzte Schwelle gehoben - wie fern, aufgeregt lag jetzt die doch so behagliche Stunde des Gesprächs in dem Landhaus drunten am See! Indes die guten Alltagslaute des Abends, Ge- knarr eines heimkehrenden Wagens, Tellergeklapper im Haus, Gejaul eines werbenden Hundes, vermischt mit Stimmen der Vorübergehenden von der Landstraße her, mich wie mit Ruderschlägen weitertrieben in die Stille der kühl hereinbrechenden Nacht. Ich ging in das Zimmer hinauf, ich zog meinen Mantel über und schlenderte die Dorfstraße hinan, unabsichtlich und in ruhiger innerer Zuversicht. Am Hause oben standen die Fenster offen, Musik drang heraus, ich trat an den Zaun und lauschte hinüber.

Ja, da war es also wieder, da klang es auf in der Dunkelheit dieses stillen Bergtals, was einmal in allen Großstädten der Welt die Tausende, die Weggefremdeten von ihren Ursprüngen, mit der unwiderstehlichen, unbegriffenen und unbegreiflichen Gewalt des Einfachen ergriffen hatte.

Wie ich die Stelle kannte, wie ich wußte, was jetzt da drinnen vor sich ging!

Scherry hatte seinen geduldigen Partner nun doch auf das entschiedenste gekränkt. Er fordert ihn zum Spielen auf. Die Geige erhebt sich in ihren süßesten Tönen, hoch auf der E-Saite, dort, wo sie Alleinherrscherin ist. Scherry begleitet verzückt die Bewegungen des gleitenden Bogens, aber wie der nun in einem letzten unendlichen und unendlich feinen Ton über die Saite hinauf kommt, zieht das Fangelicht der langsam steigenden Spitze mit einem Male wieder alle Kobolde der Unterwelt mit sich empor. Noch widersteht er, indes er zugleich den letzten möglichen Zeitpunkt bemißt. Tsst - ein kleiner Fingerhieb obenhin: Der Bogen fällt zu Boden, die mündende Harmonie ist zerstört, ein ätherisch ausschwingendes Gefühl in seiner letzten Hingabe lächerlich gemacht.

Das also war vorausgegangen. Denn die Töne, die jetzt zu mir drangen, gehörten schon zu der vielleicht liebenswürdigsten Erfindung des ganzen Werkes. Scherry will seinen mit Recht zornigen Partner versöhnen. Grotesk Vergebung heischende Blicke fruchten nichts, da greift er zu seinem Bandonion und beginnt auf ihm ein regelrechtes Zureden in Tönen, jede Wendung in sich verständlich wie Laute einer allgemeinen Weltsprache, eines musikalischen Esperanto: von einem einzelnen aufmunternden «Nun?» zu ganzen Sätzen - «Willst du nicht?» «Aber so komm doch!» «Du!» - Bis unversehens das scherzhaft gutmütige Geplänkel übergeht in eine große strömende Melodie, über der das schalkhaft lächelnde Auge des Wissenden steht: um die unwiderstehliche Macht der Musik, um den hohen Gemeinschaftsrausch, in dem Instrument und Instrument, Ich und Du, sich miteinander verbinden. Und in der Tat, der andere kann nicht widerstehen, und nun geht es an ein Musizieren der Leiber und der Seelen, daß alle Himmel zu Häupten sich zu öffnen scheinen.

Gerade diese Szene war es gewesen, die mich damals in dem Glauben an Scherrys unablässig wachsende Meisterschaft versicherte. Wie manchen anderen Effekt, hatte er einige Jahre vorher auch jenen Tick auf die Bogenspitze mehrmals wiederholt, zum ungeheuren Vergnügen der Zuschauer, denen ein dutzendmal und mehr gerade recht gewesen wäre. Nun aber erschien das Motiv in einer bedeutsamen Weise gewandelt. Wohl folgte noch das Auge dem Bogen, wenn er sich in einem langen Striche erhob, mit deutlicher Versuchung; aber ein kleiner Schein darin, das Leuchten des ganzen Antlitzes verriet, daß die Unterwelt endgültig verspielt hatte, daß sie wohl noch gegen die verriegelten Falltüren drängte, ohne Hoffnung jedoch, den endgültigen Triumph der lichten Gewalten ernstlich zu gefährden. In einem letzten überirdischen Ton ging das Spiel der beiden erlöst und erlösend zu Ende.

Ich stand in der Nacht und lauschte. Jeder Ton war mir vertraut, und doch war mir, als hörte ich ihn zum erstenmal. War nicht die Hälfte dieser Szene Sehen gewesen? Des Kampfs, des schon gewonnenen Kampfs in Scherrys Zügen, der nachfolgenden Verklärung? Und nun steigerte das Ohr allein den Eindruck über alles Einst und Jemals hinaus! Ich gab mir darüber keine Rechenschaft, ich suchte nach keiner Erklärung, ich stand nur, in das Innerste ergriffen, vor dem Ineinander dieser beiden Instrumente, deren Stimmen in einem frommen Jubel zu dem mit eins mächtig bestirnten Himmel aufzusteigen schienen.

Ich hörte das Schurren eines Fußes. Als ich mich umwandte, sah ich hinter mir im Dunkel eine Anzahl schweigender Gestalten. Im Gasthof fragte mich die Wirtin, ob ich nicht gestern schon einmal im Auto durchgekommen sei. Die Leibwache war zur Stelle.

Ich hatte eine schlechte Nacht. Ein hart im Frühwind schlagendes Fenster weckte mich auf, dann war da der Bach, der wie eine dampfablassende Lokomotive durch die Stille rauschte, und der auf- schlagende Wasserstrahl des Brunnens vor dem Hause.

Man weiß, wie in solchem Halbschlaf die Dinge sich verzerren. Nicht mehr nur erschien mir das Abenteuer, in das ich mich eingelassen hatte, eine richtiggehende Dummheit, sondern Schlimmeres: ein erneuter Beweis für die ganze Halt- und Ziellosigkeit meines Wesens. Würde mein Freund oder würde gar der Doktor sich durch ein zufällig auftauchendes Wunschbild in ein Unternehmen haben hineinsteigern lassen, das schon beim ersten wirklichen Schritt die Substanzlosigkeit seiner Antriebe verriet?

Aber der gestrige Abend, die kurzen und doch so gefüllten Minuten dort oben vor dem geöffneten Fenster?