Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung. - Jan Moewes - E-Book

Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung. E-Book

Jan Moewes

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Beschreibung

Durch seine Sprache, die Verwendung diverser Dialekte und die intensive Schilderung der dramatischen Stimmungswechsel des Helden sehr lebendig geschriebenes Werk, das mehrfach als Filmvorlage diente, u.a. für John Houston.

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Jan Moewes

Stephen Crane, Die rote Tapferkeitsauszeichnung.

Deutsch von Jan Moewes

 

 

 

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort des Übersetzers

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

XVII

XVIII

IXX

XX

XXI

XXII

XXIII

XXIV

Impressum neobooks

Vorwort des Übersetzers

Immer wenn ich ein Buch ins Deutsche übersetzt habe, mussten zwei Grundvoraussetzungen erfüllt sein: das Buch musste mich fasziniert haben und es durfte im Deutschen nicht erschienen sein. Dieses Buch ist eineAusnahme – es gibt schon drei Übersetzungen. Doch die zwei die ich kennenlernen durfte – die dritte war nicht aufzutreiben – haben den Namen Übersetzung nicht verdient. Es sind oberlehrerhafte Nacherzählungen, die nichts, wirklich gar nichts vom Charme und der Spannung des Originals herüberbringen.

Alle drei waren ohnehin nur in der DDR erschienen, eine hat durch den Diogenes-Verlag Zürich nach der Wiedervereinigung wenigstens den Weg auch in denwestdeutschen Buchhandel gefunden, allerdings so erfolglos, dass Diogenes den Vertrieb bald eingestellt hat. Daher ist keine der einmal erschienenen Ausgaben heute noch lieferbar – das kommt dem nicht erschienen irgendwie gleich.

Dabei ist Stephen Crane durchaus kein Unbekannter, fast alle seiner kürzeren Erzählungen sind zu haben, nur sein eigentliches Meisterwerk, das als erster moderner Roman der Literaturgeschichte gezählt wird, hat den Sprung nicht geschafft. Das liegt sicher auch daran, dass in der sich gerade wieder bewaffnenden BRD niemand Interesse an einem Antikriegsroman hatte. Als ich dann Jahrzehnte später meine Übersetzung fertig hatte, die sich an Rhythmus, Melodie und Ausdrucksweise des Autors orientiert, hatte der Buchhandel sowohl mit den neuen Medien als auch mit der großen Krise zu kämpfen, und zeigte keinerlei Interesse an einem Buch, das sicher kein Bestseller werden wird, sondern vor allem literarisch Interessierte ansprechen kann. Dabei ist es ein Klassiker der Weltliteratur und vor allem, damit sind wir wieder am Anfang, es hat mich von der ersten bis zur letzten Zeile gefesselt und begeistert.

Besonders erstaunlich ist dabei, und nicht nur für mich sondern für alle, die sich mit dem Roman beschäftigt haben, dass Crane, der den Wahnsinn des Krieges so krass und klar zu schildern weiß, nie gedient hat, nie gekämpft hat, allerdings einen Teil seiner Schulzeit in einer Art Kadettenschule war, wo er gewiss den einen oder anderen Soldaten und seine Geschichten kennen gelernt hat, und später war er als Kriegsberichterstatter unterwegs, zuerst wohl im Spanisch-Amerikanischen Krieg.

Tod, Schmerz, Angst und Zweifel beschäftigten ihn mehr als stilles Glück und Selbstvertrauen. Besonders einfach hat er es nie gehabt. Wer möchte schon das achte überlebende Kind einer Methodistenfamilie sein. „Mami, warum haben wir so viele Kreuze im Garten?“ So jemand kann unmöglich alt werden. Und vor 130 Jahren schon gar nicht. Als er zwei war, haben sich die Eltern erstmals sehr um ihn gesorgt, und die sorgten sich nicht wegen ein bisschen Schnupfen, die kannten sich ja aus. Er war wohl eher klein und zerbrechlich, aber zäh muss er gewesen sein, ehrgeizig und willensstark. Mit vier hatte er sich das Lesen beigebracht, und mit 16 diverse Artikel veröffentlicht. „The red badge of courage“ war 1895, da war er 23, sein zweiter Roman und hat ihm Weltruhm eingebracht. Er zählt auch heute noch zu den großen amerikanischen Büchern und wurde mehrfach verfilmt, u.a. von John Houston. Das ist es wohl, was man den modernen Roman nennt, dass beim Lesen ein Film abläuft. Seine drastischen Dialoge in Dialekt und Slang tragen das ihre dazu bei. Und dann ist der „Film“ auch noch gut geschnitten. Deswegen hat mir das Buch ja so sehr gefallen. Und weil es ein Poet geschrieben hat, dessen Bilder des Schreckens voller Schönheit sind. „Die Granaten sahen aus wie seltsame Blumen des Krieges, die gewaltsam aufblühten.“

Von Crane haben fast alle Schreiber des 20. Jahrhunderts gelernt. Aber allzuviel Großartiges hat er danach nicht mehr zustande bekommen, „The open boat“ ist sicher noch erwähnenswert, das auf einer selbst erlebten Geschichte basiert. Und dann ist er mit 28 in Badenweiler an Turbekulose gestorben. Doch ein oder zwei Romane und etliche kürzere Geschichten machen ihn zu recht unsterblich. Er hat wohl auch alles andere als ein langweiliges Leben gehabt, seine Biographie klingt manchmal so wie Bukowski sie sich gewünscht hätte. Es ist erstaunlich, was man in 28 Jahren alles machen kann. Vor allem, wenn man schon mit Vier anfängt. Andere fangen erst mit 30 an. Die haben dann mit 60 nicht mal die Hälfte erlebt. Crane´s Biographie ist spannend und kurios, kann man bei wiki.com sehr ausführlich nachlesen (wenn man Englisch oder google-Deutsch versteht).

Hier dagegen kommen wir nun zum Thema, und Cranes großer Roman beginnt.

I

Widerwillig erhob sich die Kälte von der Erde, und die aufsteigenden Nebel ließen eine über die Hügel verstreute Armee erscheinen, noch im Schlaf. Während sich die Landschaft von Graubraun in Grün veränderte, erwachte das Heer, ungeduldig den neuen Gerüchten entgegenbangend. Die Augen spähten zu den Wegen, die allmählich von wassergefüllten Trögen zu wahrhaftigen Kanälen anwuchsen. Zu Füßen der Armee strudelte ein Fluss, bernsteingelb im Schatten seiner Ufer; doch nachts, wenn der Strom trauerndes Schwarz trug, sah man seinen Lauf entlang die roten, leuchtenden Augen der feindlichen Lagerfeuer im Unterholz der fernen Hügel glühen.

Ein hochgewachsener Soldat entdeckte plötzlich seine guten Seiten und ging entschlossen los, um sein Hemd zu waschen. Bald schon kam er vom Bächlein zurückgelaufen und schwenkte den Fetzen Stoff wie ein Banner. Aufgebläht platzte er mit den Neuigkeiten heraus, die er von einem zuverlässigen Freund gehört hatte, der sie von einem aufrichtigen Kavalleristen gehört hatte, der sie von seinem glaubwürdigen Bruder gehört hatte, einem der diensthabenden Offiziere im Divisionsstab. Er tat so wichtig wie ein rot-gold betresster Herold.

„Mohgen werma losmachen, ganz sicha!“ verkündete er einer Gruppe auf dem Wege, „ wir gehn den Fluss lang, gehn rüba und fall´nse inn Rücken!“

Laut erläuterte er seinen aufmerksamen Zuhörern in allen Einzelheiten einen brillanten Angriffsplan. Als er geendet hatte, zerstreuten sich die blau gekleideten Männer in kleine diskutierende Grüppchen zwischen den Reihen geduckter brauner Hütten. Ein schwarzer Gespannführer, der gerade noch, angefeuert von bald vierzig jubelnden Kameraden, auf den Brotkisten getanzt hatte, war plötzlich wieder allein. Missmutig hockte er sich hin. Rauch kringelte sich langsam aus zahllosen abenteuerlichen Kaminen empor.

„Dat issne Lühje, jenau dat isses – ne verdampte Lühje!“ schrie ein anderer Soldat. Sein weiches Gesicht war rot angelaufen und seine Fäuste hatte er wütend in den Hosentaschen geballt. Er fühlte sich persönlich angegriffen. „Ich jlaube nich, dat die verdampte olle Truppe sich überhaupma wieda bewehcht. Wir sin hängen jebliem! Ich hatt schon achtmah fettich jepackt inne letzten zwei Wochen und nix iss passiert.“

Der lange Soldat fühlte sich aufgerufen, die Wahrhaftigkeit eines Gerüchts zu verteidigen, das er selbst aufgebracht hatte. Fast hätte er sich deswegen mit dem Schreihals geprügelt.

Ein Obergefreiter begann vor der ganzen Mannschaft zu fluchen. Er hatte sich gerade einen teuren Holzfußboden in seine Hütte gelegt. Das ganze Frühjahr hatte er sich geweigert, viel für die Bequemlichkeit seiner Behausung zu tun, weil er das Gefühl hatte, dass die Armee jeden Moment aufbrechen könnte. Zuletzt dagegen hatte er den Eindruck, dass dies Lager für alle Ewigkeit sei.

Die meisten Männer debattierten erregt. Einer legte auf sehr einleuchtende Art den Plan des kommandierenden Generals dar. Andere Männer widersprachen ihm und beschrieben andere Schlachtpläne. Jeder schrie lauter als der andere, obwohl die meisten vergeblich versuchten, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Der Soldat, der das Gerücht aufgebracht hatte, stolzierte die ganze Zeit wichtig herum. Pausenlos wurde er mit Fragen bedrängt.

„Was iss nu, Jim?“

„Nu zieht die Truppe los.“

„Was erzählzen da? Woher weissen das?“

„Könnz ja glaum or nich, wia wollt. Iss mir doch egal.“

Seine Art zu antworten gab ihnen schon reichlich zu denken. Er war kurz davor, sie zu überzeugen, gerade weil er sich weigerte, Begründungen zu geben. Die allgemeine Aufregung wurde immer größer.

Ein junger Rekrut lauschte den Worten des langen Soldaten und den zahllosen Kommentaren seiner Kameraden mit gespitzten Ohren. Nachdem er ein paar Debatten über Angriffe und Positionswechsel verfolgt hatte, schlenderte er zu seiner Hütte und kroch durch ein enges Loch, das als Tür diente. Er wollte allein sein mit all den neuen Ideen, die auf ihn einstürmten.

Er legte sich auf die breite Pritsche, die die Rückwand des Raums ausfüllte. Ansonsten gab es noch ein paar Proviantkisten, die als Sitzmöbel dienten. Sie waren um die Feuerstelle gruppiert. An einer aus Balken errichteten Wand hing ein Bild aus einer Wochenzeitschrift und in einem Holzgestell standen drei sorgfältig ausgerichtete Gewehre. Griffbereit hingen Teile der Ausrüstung an und über allem möglichen, und auf dem Brennholzstapel stand ein wenig Blechgeschirr. Als Dach musste eine zusammengelegte Zeltbahn herhalten. Im Sonnenlicht allerdings gab die nur einen leichten gelben Schatten. Durch ein schmales Fenster fiel ein langestrecktes Rechteck aus weißem Licht auf den gestampften Boden. Manchmal wich der Rauch des Feuers dem aus Lehm geformten Abzug aus und waberte in Schwaden durch den Raum, während der mickerige Kamin aus Lehm und Ästchen immer wieder drohte, das ganze Bauwerk in Brand zu setzen.

Der Junge war ein bisschen durcheinander und fühlte sich überrumpelt. Nun ging es also wirklich auf in den Kampf. Schon morgen könnte es zur Schlacht kommen, und er mittendrin. Trotz aller Mühe konnte er sich das kaum vorstellen. Wirklich glauben konnte er die Verheißung nicht, dass er dabei war, sich in ein großes weltgeschichtliches Ereignis einzumischen.

Natürlich hatte er sein Leben lang von irgendwelchen Schlachten geträumt – von verschwommenen, blutigen Auseinandersetzungen, deren Feuersturm ihn erregt hatte. Im Traum hatte er sich selbst in zahllosen Kämpfen gesehen. Er hatte sich Menschen vorgestellt, die Schutz im Schatten seiner Umsicht und seines Mutes suchten. Doch wenn er wach war, waren ihm die Schlachten immer wie blutrote Flecken auf den Seiten der Geschichte vorgekommen. Er hatte sie als Ereignisse der Vergangenheit angesehen, geschmückt mit den typischen Bildern gewichtiger Kronen und hoch aufragender Burgen. Eine Epoche der Weltgeschichte hatte er als die Zeit der Kriege betrachtet, aber die, dachte er, sei schon lange und für immer hinter dem Horizont verschwunden.

Zu Hause schon hatten seine jungen Augen den Krieg ihm eigenen Lande voller Misstrauen beobachtet. Was für ein albernes Spiel! Lange hatte er die Hoffnung aufgegeben, Zeuge einer heroischen Schlacht wie bei den Griechen sein zu dürfen. Solche würde es nie wieder geben, hatte er behauptet. Die Menschen waren entweder besser geworden oder ängstlicher. Weltliche und geistliche Erziehung hatten den Raubtierinstikt ausgelöscht, vielleicht hielten sogar finanzielle Interessen die Leidenschaft im Zaum.

Ein paarmal hatte er den brennenden Wunsch verspürt, sich freiwillig zu melden. Berichte über große Auseinandersetzungen erschütterten das Land. Sie waren vielleicht nicht alle homerisch, aber einigen Ruhm konnte man wohl doch erringen. Von Märschen hatte er gelesen, von Belagerungen und von Kämpfen, und am liebsten hätte er das alles kennengelernt. Seine springlebendigen Phantasien hatten ihm riesige Schlachtenbilder in drastischer Farbigkeit ausgemalt, inspiriert von grandiosen Heldentaten.

Doch seine Mutter hatte ihn entmutigt. Sie schien für seine Art von Kampfeslust und Patriotismus nur Verachtung übrig zu haben. Sie konnte sich ruhig hinsetzen und ohne ersichtliche Mühe Hunderte von Gründen aufzählen, warum er auf dem Hof unendlich viel mehr wert war als auf dem Schlachtfeld. An ihrer Art, sich auszudrücken, sah er, dass sie über diese Angelegenheit aus tiefster Überzeugung sprach. Zu ihren Gunsten sprachen seiner Meinung nach vor allem ihre Wertvorstellungen, die über jeden Zweifel erhaben waren.

Zuletzt jedoch widersetzte er sich entschlossen diesem eifersüchtigen Blick auf die schimmernden Strahlen seines Ehrgeizes. Die Tageblätter, das Gerede im Dorf und seine eigenen Wunschvorstellungen hatten ihn in einen Zustand unstillbarer Erregung versetzt. Sie kämpften wirklich großartig da unten. Fast täglich druckten die Zeitungen Berichte von neuen, entscheidenden Siegen.

Eines nachts, als er im Bett lag, trug ihm der Wind das Läuten der Kirchenglocke zu, deren Strang irgendein Begeisterter wie besessen zog, um so die nicht sehr klare Nachricht von einer großen Schlacht zu verbreiten. Er hatte vor Aufregung gezittert, während er dieser patriotischen Botschaft lauschte, die froh durch die Nacht schallte. Danach war er ins Zimmer seiner Mutter runtergegangen und hatte nur gesagt: „Ma´, ich werd´mich melden.“

„Sei kein Narr, Henry!“, hatte sie erwidert. Dann hatte sie sich die Bettdecke über den Kopf gezogen. Für diese Nacht war das Thema beendet.

Trotzdem war er am nächsten Morgen in das nahe Städtchen gewandert und hatte sich bei einer Kompanie eingeschrieben, die dort zusammengestellt wurde. Als er heimkam, hatte er die Mutter beim Melken der schwarzbunten Kuh angetroffen. Vier andere warteten noch. „Ich hab mich freiwillig gemeldet, Ma“, hatte er leise gesagt. Einen Moment lang war alles still. „Sein Wille geschehe, Henry“, hatte sie schließlich geantwortet und sich dann wieder der Gescheckten zugewandt.

Doch als er dann mit seinem Soldatengepäck auf der Schulter im Eingang zurück geschaut hatte, mit vor Erwartung und Aufregung leuchtenden Augen, die den Schatten von Trauer über den baldigen Abschied vom heimatlichen Hof nicht sehen wollten, da hatte er zwei Tränen über der Mutter blass gewordene Wangen laufen sehen.

Trotz allem hatte sie ihn dadurch enttäuscht, dass sie nie die klassischen Worte aussprach von der „Heimkehr mit dem stolz erhobenen Schild oder aufgebahrt auf ihm“. Er hatte sich innerlich auf eine ergreifende Abschiedsszene vorbereitet und sich einige Sätze zurechtgelegt, die seiner Meinung nach einen tiefen Eindruck hinterlassen mussten. Doch ihre Worte machten seinen Plan zunichte. Unbeeindruckt hatte sie ihn beim Kartoffelschälen angesprochen: „Sei vo´sichtich, Henry, un pass gut auf dich auf bei de Kämpferei da unten, vo´sichtich un pass auf dich auf. Lauf da nich rum un denk, dasse die ganze Bande in ein Tach fettich machen kannz, kannze nehmlich nich. Du biss ein klein Keerl inne Riesenmeute annerer Keerls un muss ersma still kucken, wasse alle machen. Ich kenn dich, Henry!“

„Ich hab dir acht paa Sockn gestrickt, Henry, un ich hab dir die ganz´n gut´n Hemd´n eingepackt, weil ich will, dass mein Jung sich genau so wohl un wahm fühlt wie alle annern inne A´mee. Wenn da´n Loch drinn iss, musse se sofo´t schickn, dass ich se stopf´n kann.“

„Vo´alln sei vo´sichtich un such dir deine Freunde gut aus. Da gips ne Menge üble Keerls inne A´mee, Henry. Die A´mee machze wild, un nix tun se lieber als´n jung´n Keerl wie dich aufe schiefe Bahn bring´n, der no´nie von zu Hause wech wa un die Mutta wa imma dabei, un den lernse denn saufn un fluchn. Bleib wech von diese Leute, Henry. Ich will nich, dasse je was tuhs, Henry, wo de weiss, dasse dich schäm´müsstes, wenn ich et wüsste.“

„Stell dir einfach vor, dass ich dich seh, ne. Wenne das nich vergiss, wirsse wohl ganz gut durchkomm´, denk ich.“

„Un denk imma auch an dein Faata, Kind, un dasser in sein Leem kein Tropfen Schnaps getrunk´n hat, un fast nie mit gekreuzte Finga geschwoan.“

„Ich weiss nich, was ich sonz noch sag´n soll, Henry, bloss, dasse dich nie drück´n sollz, Kind, bei meine Seele. Un wenns ans Stehrm geht oder du muss was Schlimmes mach´n, also dann, Henry, dann denk an nichz anneres als wasse tun muss, weil - es gib ne Menge Fraun in diese Zeit´n, die mit sowas fettich wern müss´n, un der Herr erbahmt sich unsa aller.“

„Vergiss das mitte Sock´n unne Hemd´n nich, Kind; un ich hab dirn Glas Schwa´zbeerma´melade innet Bündel getan, weil ich weiss, dasse nichz lieba machz. Machs gut, Henry. Pass auf un sei´n guta Junge!“

Natürlich hatte er sich nicht besonders wohl gefühlt bei dieser Moralpredigt, die ganz und gar nicht das gewesen war, was er hören wollte. Beinahe erleichtert brach er auf. Als er jedoch vom Tor aus zurück geschaut hatte, hatte er die Mutter in den Kartoffelschalen knien sehn. Ihr zum Himmel gerichtetes Gesicht war tränenüberströmt und ihr dürrer Schattenriss zitterte. Gesenkten Kopfes ging er weiter, plötzlich mit so etwas wie einem schlechten Gewissen.

Zuerst war er zur Schule gegangen, um sich von seinen Mitschülern zu verabschieden. Staunend und bewundernd hatten sie sich um ihn geschart. Er hatte die Kluft zwischen ihnen gefühlt und war von Stolz und Ruhe erfüllt. Mit ein paar Kameraden, die auch Blau trugen, war er den ganzen Nachmittag der Mittelpunkt allgemeiner Bewunderung gewesen, und das hatte er sehr genossen. Sie hatten gezeigt, wer sie waren.

Zwar hatte sich ein blondes Mädchen über seine kriegerisches Auftreten lustig gemacht, aber da war eine Andere, die seinen Blick immer wieder auf sich zog, und es kam ihm vor, als hätte sein Anblick in Blau-Gold sie traurig und bedrückt gemacht. Als er den von Eichen gesäumten Pfad hinuntergegangen war, hatte er zurück geschaut und sie in einem Fenster entdeckt, wie sie seinen Aufbruch verfolgte. Schnell hatte sie sich abgewandt, als sie seinen Blick bemerkte, und nach oben in die Baumkronen geschaut. Diese plötzliche Änderung der Haltung schien ihm ein Zeichen von Verwirrung. Lange dachte er darüber nach.

Auf der Fahrt ins Ausbildungslager stieg seine Stimmung unentwegt. Bei jedem Halt wurde das Regiment bewirtet und verwöhnt, so dass der Junge am Ende selbst glaubte, er müsse wohl ein Held sein. Es gab eine üppige Auswahl an Brot, kaltem Fleisch, Kaffee, Eingelegtem und Käse. Als er sich in den Blicken der Mädchen gesonnt hatte, während die Alten ihn liebkosten und beglückwünschten, fühlte er den Wunsch in sich wachsen, unvergessliche Taten mit der Waffe in der Hand zu vollbringen.

Nach mühsamen Tagen einer Reise voller Unterbrechungen hatten dann die Monate eintönigen Lagerlebens begonnen. Er hatte geglaubt, dass der Krieg eine Abfolge tödlicher Kämpfe mit kurzen Unterbrechungen zum Essen und Schlafen sei; aber seit sein Regiment das umkämpfte Gebiet erreicht hatte, hatte die Mannschaft kaum etwas anderes gemacht als Rumsitzen und Versuchen, sich warm zu halten.

So landete er wieder bei seinen alten Gedanken. Schlachten wie bei den Griechen würde es nicht mehr geben. Die Menschen waren besser oder ängstlicher. Weltliche und religiöse Erziehung hatten den Raubtierinstinkt vernichtet, oder finanzielle Interessen hielten die Leidenschaft im Zaum.

Er hatte begreifen müssen, dass er nicht mehr war als ein Teilchen einer unbeschreiblichen blauen Demonstration. Seine Aufgabe war es, sich in Form zu halten, so gut er konnte. Zur Unterhaltung konnte er Däumchen drehen oder sich die Gedanken ausmalen, die in den Köpfen der Generäle herumschwirrten. Und sonst wurde er gedrillt und gedrillt und besichtigt, und gedrillt und gedrillt und besichtigt.

Die einzigen Feinde, die er zu Gesicht bekommen hatte, waren ein paar Posten am anderen Flussufer. Es waren braungebrannte, ruhige Leute, die dann und wann nachdenklich auf die blauen Posten schossen. Wurden sie dafür beschimpft, drückten sie meist ihr Bedauern aus und schworen bei ihren Göttern, dass sich der Schuss ohne ihr Zutun gelöst hatte. Eines nachts, auf Wache, unterhielt sich der Junge mit einem von ihnen über den Fluss hinweg. Es war ein etwas abgerissener Typ, der sehr geschickt zwischen seine Füße spuckte und ein sanftes, kindliches Selbstbewusstsein ausstrahlte. Dem Jungen gefiel seine Art.

„Yank,“ hatte der Andere zu ihm gesagt, „du bisch ä verdamb gude Bub.“ Diese Zuneigung, die über den Fluß herüberwehte, hatte ihn vorübergehend den Krieg bereuen lassen.

Ein paar Veteranen hatten ihm Geschichten erzählt. Einige erzählten von grauen, mit Whiskey abgefüllten Horden, die, gnadenlos fluchend und Tabak spuckend, mit unbegreiflichem Mut vorrückten; gewaltige Körper voller Kampfgeist, die wie Hunnen über das Land fegten. Andere sprachen von zerlumpten und ewig hungrigen Kerlen, die verzweifelt herumballerten. „Die schlepp´n dir die Glut innet Höllenfeuer, wenndese dafür´n Sack Futter gips, un sonne Mägen mach´n das nich lange“, wurde er belehrt. Bei diesen Geschichten sah der Junge nackte, rote Rippen zwischen den Rissen der verschlissenen Uniformen herausragen.

Doch so richtig konnte er diesen Veteranengeschichten nicht glauben, denn den Rekruten konnten sie ja alles erzählen. Sie sprachen meist von Blut, Feuer und Qualm, aber er konnte nie sagen, wieviel davon erfunden war. Ständig riefen sie ihm „Frischfleisch“ hinterher, also gab es keinen Grund, Ihnen zu vertrauen.

Dennoch wurde ihm nun langsam klar, dass es nicht so entscheidend war, gegen welche Art von Soldaten er kämpfen musste, sofern sie kämpften, und diese Tatsache bestritt niemand. Es gab ein viel ernsteres Problem. Darüber dachte er nach, während er auf seiner Pritsche ruhte. Er versuchte, sich davon zu überzeugen, dass er im Kampf auf keinen Fall die Flucht ergreifen würde.

Bis dahin hatte er sich mit dieser Frage nie ernsthaft auseinandersetzen müssen. Sein Leben lang hatte er einige Dinge für selbstverständlich gehalten, noch nie hatte er seine Fähigkeiten in Frage gestellt und selten über Mittel und Wege nachdenken müssen. Aber nun stand er vor einer entscheidenden Frage. Unerwartet war ihm der Gedanke durch den Kopf geschossen, dass er vielleicht vor der Schlacht abhauen würde. Er musste sich eingestehen, dass er, was den Krieg betraf, gar nichts über sich wusste.

Noch vor kurzem hätte er dem Problem erlaubt, draußen vor der Pforte seines Gewissens Luft zu schnappen, aber diesmal hatte er das Gefühl, dass er ihm seine ganze Aufmerksamkeit schenken sollte.

Fast panische Furcht beschlich ihn. Wenn er sich einen Kampf vorzustellen versuchte, tauchten viele bedrohliche Möglichkeiten auf. Überall lauerten zukünftige Schrecken, und trotz aller Mühe gelang es ihm nicht, sich mitten darin unbeeindruckt zu sehen. Er rief sich seine alten Visionen von schwerterklirrenden Heldentaten ins Gedächtnis zurück, aber die dunkle Ahnung des bevorstehenden Tumults ließen ihn diese als Traumvorstellungen erkennen.

Er sprang von der Liege auf und schritt unruhig auf und ab. „Mein Gott“, sagte er laut, „was´n los mit mir?“

Er sah ein, dass all seine alten Grundsätze in dieser Auseinandersetzung nutzlos waren. Alles, was er gelernt hatte, war hier nichts mehr wert. Er war eine unbekannte Größe. Also würde er wieder zusehen müssen, wo er blieb, wie in seinen Kindertagen. Er musste sich selbst erst noch besser kennenlernen, und solange er es schaffte, sich selbst treu zu bleiben, konnten ihn diese neuen Gedanken, die er so gar nicht kannte, wohl auch nicht für immer und ewig unglücklich machen. „Mein Gott!“ wiederholte er bedrückt.

Kurz darauf schlüpfte der lange Soldat geschickt durch das Loch herein.

Der laute Gefreite folgte ihm. Sie stritten sich heftig.

„Schon gut“, sagte der lange Soldat beim Eintritt und schüttelte vielsagend den Kopf, „kannz mir glaum oder nich, wie de willz. Muss dich nur hinsetzen und so ruhich abwahten wie de kannz. Dann wirsse schon schnell rausfinden, oppich recht gehabt hab.“

Sein Kamerad grunzte unwillig. Einen Moment lang schien er nach der richtigen Antwort zu suchen, dann sagte er:“Naja, wirs au nich alles wissen vonne Welt, oder?“

„Hab nich gesagt, dass ich alles aufe Welt weiß“ erwiderte der Andere spitz. Sorgfältig verstaute er ein paar Sachen in seinem Tornister.

Der Junge unterbrach sein unruhiges Herumlaufen und blickte auf den eifrig Packenden. „Die Schlacht kommt auf jeden Fall, stimmts, Jim?“ fragte er.

„Natürlich kommt se“, antwortete der lange Soldat, „natürlich kommt se. Brauchs nur bis mohgen waaten, und dann wirsse eine der grössten Schlachten sehn, dies je gab. Brauchs nur zu waaten.“

„Donnerwetter!“ sagte der Junge nur.

„Oh, du wirss Kämpfe sehn, mein Jung, richtig gewaltige Kämpfe wirsse sehen“, fuhr der lange Soldat fort, wobei er tat, als veranstalte er diese Schlacht zur Erbauung seiner Kameraden.

„Oho!“ kam von dem Lauten aus seiner Ecke.

„Naja,“ warf der Junge ein, „wenn das ma nich genau sone Geschichte wird wie die andern warn.“

„Wirze nich sein,“ beharrte der lange Soldat verärgert, „wirze nich sein. Is nich heute morgen die ganze Kavallerie losgezog´n?“ Durchdringend starrte er sie an. Niemand widersprach ihm. „Et heißt, dass kaum nochen Kavallerist im Lager iss. Die gehn nach Richmond oder sonstwo hin, während wir gegen die Heinis kämpfen. Dat iss der ganze Trick. Dat Regiment hat auch schon seine Befehle. Ein Kumpel hat sie zum Hauptquartier gehn sehn unz mir gerade erzählt. Unz wird im ganzen Lager rumposaunt – kann doch jeder sehn.“

„Blödsinn!“ meinte das Großmaul.

Der Junge sagte eine ganze Weile gar nichts. Dann sprach er den langen Soldaten an: „Jim!“

„Was?“

„Was glaubst du, wies Regiment sich schlagen wird?“

„Oh, sie wern tapfer kämpfen, denk ich, wennse einma dabei sind.“ urteilte der Andere nachdenklich. Er benutzte die dritte Person sehr geschickt. „Als Neulinge ham sie natürlich jede Menge Scherze und so aushalten müssen, aber se wern sich schon gut schlag´n, denk ich.“

„Glaubsu, einer von den Jungs wird stiften gehn?“

„Nu, vielleicht en paar von ihn´, aber von der Sorte gibs welche in jehm Regiment, vorallm wennset erste ma Feuer kriegen“, befand der Andere auf seine ruhige Art. „Et is sogar gut möglich, dass der ganze verlotterte Haufen zu rennen anfängt, wenns ma richtig losgeht, aber genausogut könnse auch standhalten und begeistert draufhaun. Da kannze auf nix wetten. Sicher waanse bis jetz noch nie unter Feuer, und sie wern auch nich gleich die ganze Rebellen-A´mee aufn ersten Schlach niedermachen. Ich denk, sie wern et besser machen wie viele andere, aber nich so gut wie manche. So stell ichs mir vor. Dat Regiment nenntse Frischfleisch, aber die Jungs sind aus gutem Holz, und die meisten wern wie die Teufel kämpfen, wenn die Ballerei ersma losgeht.“ Die letzten Worte klangen fast beschwörend.

„Nee, wat hälz du dich für schlau,“ warf der laute Soldat verächtlich ein.

Der Andere fuhr wütend herum. Ein kurzer Streit entbrannte, bei dem beide sich mit den wüstesten Schimpfwörtern überschütteten.

Schließlich unterbrach sie der Junge. „Hast du jemals ans Abhauen gedacht, Jim?“ fragte er. Er lachte, als er den Satz beendet hatte, als habe er einen Scherz machen wollen. Der Streithammel kicherte auch.

Der lange Gefreite winkte ab. „Also“, sagte er ernst,“ich hab bei der einen oder anderen Keilerei schon ma gedacht, dattat zu heiß wern könnte für Jim Conklin, und wenn ne ganze Menge von den Jungs zu rennen anfangen würde, also dann, denk ich, dann würd ich wohl auch rennen. Und wenn ich einma losgerannt wär, würd ich wie der Teufel rennen und nicht aufhörn. Aber wennse alle stehn bleim würn und kämpfen, ja dann würd ich auch bleim un kämpfen. Bei meiner Seele, das würd ich. Da wett´ich drauf.“

„Juhuu!“ sagte der Stänkerer.

Der junge Held dieser Geschichte war dem Kameraden dankbar für seine Worte. Er hatte gefürchtet, dass all die anderen unerfahrenen Männer voller festem und unerschütterlichem Selbstvertrauen wären. Jetzt fühlte er sich wieder viel sicherer.

II

Am nächsten Morgen erkannte der Junge, dass sein hochgewachsener Kamerad der reitende Kurier einer Falschmeldung gewesen war. Viele von denen, die gestern seine Ansicht entschieden verteidigt hatten, machten sich nun über ihn lustig, während jene, die dem Gerücht nie Glauben geschenkt hatte, ihn jetzt offen verspotteten. Einen Mann aus Chatfield Corners verprügelte der Lange nach Strich und Faden.

Der Junge hingegen fühlte, dass seine Zweifel keineswegs geringer geworden waren. Ganz im Gegenteil schob er sie nur vor sich her. Die Ansprache hatte ihn dazu gebracht, sehr gründlich über sich nachzudenken. Nun, da dieser neue Zweifel an ihm nagte, fühlte er sich verdammt, wieder seinen alten Platz als Rädchen in der blauen Maschinerie einzunehmen.

Tagelang verlor er sich in endlosen Betrachtungen, aber seltsamerweise kam er zu keinem befriedigenden Ergebnis. Er begriff, dass er zu keiner endgültigen Aussage imstande war. Letztlich kam er zu dem Schluss, dass er nur einen Weg gab, sich zu beweisen. Er musste in die Feuertaufe gehen und dann, im wahrsten Sinne des Wortes, seine Beine im Auge behalten, um ihre Stärken und Schwächen zu entdecken. Ihm wurde klar, dass er nicht dasitzen und die Antwort durch Abhaken einer Liste im Kopf finden konnte. Um die zu bekommen, benötigte er Feuer, Blut und Gefahr, genau wie ein Chemiker dies, das und jenes braucht. So bangte er nun seiner Gelegenheit entgegen.