SterbeMund - Petra Frey - E-Book

SterbeMund E-Book

Petra Frey

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Beschreibung

Petra Frey, Schauspielerin und Hospizbegleiterin erzählt von den anderen Momenten in der Sterbebegleitung. Humorvoll, herzlich und ein bisschen verrückt. Geschichten vom Tod, wie sie nur das Leben schreiben kann. Erleben Sie den filmreifen Abgang einer Bühnendiva, die berührende Erzählung einer verbotenen Liebe oder begleiten Sie den Metzgermeister Sigismund, der im Hospiz auf die Zahnfee hofft. Und wer ist dieser ominöse Herr Purzel? Kann man sich an einem Toten anstecken? Müssen Leichen leicht brennbar sein? Beißen nur Vegetarier ins Gras? Wie sieht das Weiterleben 2.0 aus? Sie erfahren außerdem viel über den Sinn und Unsinn einer Patientenverfügung, bekommen hilfreiche Tipps und neue Einblicke in das Hospizleben. Eine Reise in eine besondere Zeit in der auch Sie einmal die Reiseleitung sein werden. Denn Hand aufs Herz: Wir wissen doch alle, dass wir sterben, aber die wenigsten glauben, dass es tatsächlich passiert. Doch wenn wir schon sterben müssen, dann bitte mit warmen Füßen. Warum das wichtig ist? Lesen Sie einfach selbst…

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Petra Frey ist als Jüngste von vier Kindern im Herzen Bayerns aufgewachsen. Nach der Schule beginnt sie zunächst eine Lehre zur Zahnarzthelferin und nach einigen anderen kurzen beruflichen Stationen entscheidet sie sich für eine weitere Ausbildung als Schauspielerin. Fernsehengagements folgen und sie wird unter ihrem Künstlernamen Petra Auer bekannt. Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, lernt sie ihren späteren Ehemann kennen und findet privat ihr Glück.

Anfang 2010 macht sie eine Ausbildung zur Hospizbegleiterin. Weitere Fortbildungen, wie „gewaltfreie Kommunikation“ bis hin zum Zertifikat für „Krisenbegleitung“, helfen ihr bei der Aufgabe Menschen in schwierigen Lebensmomenten beizustehen. Dort begegnen ihr immer wieder außergewöhnliche Menschen, deren Geschichten ans Herz gehen.

Der mitunter humorvolle Umgang vieler Sterbender mit dem Thema Tod motiviert sie diese besonderen Erlebnisse aufzuschreiben. Nicht nur Kindermund tut Wahrheit kund, auch Sterbende sagen meist geradeheraus, was ihnen auf der Zunge liegt. Denn viel Zeit bleibt nicht mehr. Die Denkweise, der am Lebensende stehenden Menschen, inspirieren Petra Frey zu ihrem Erstlingswerk SterbeMund.

Berührend und zugleich humorvoll erzählt sie von ihren Erfahrungen. Es gelingt ihr eine leichte, lebensfrohe Sicht auf ein schwieriges Thema. Mit einem Augenzwinkern aber trotzdem authentisch, zeigt SterbeMund eine andere Seite der Hospizarbeit.

Petra Frey

SterbeMund

tut Wahrheit kund

Autobiografische Erzählungen

© 2019 Petra Frey

Illustratorin: Lilli Frey

Umschlag: Katharina Pohl

Lektorat: Eva-Deborah Keller-Schweers, Ludwig Schweers

Foto: Sabine Gassner

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg

ISBN

Paperback

978-3-7482-8598-4

Hardcover

978-3-7482-8599-1

e-Book

978-3-7482-8600-4

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Aus Respekt gegenüber meiner Begegnungen wurden die Namen in den Geschichten verändert.

Für Publikationen, Links auf Webseiten Dritter, übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Inhalt

Vorwort

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt

Aus die Maus!

Ich bin dann mal weg

Wer länger lebt, ist später tot

Der Tod steht ihr gut

Der Reiseplan

Diese Suppe ess‘ ich nicht

Nicht ohne meine Socken

Der letzte Wagen ist immer ein Kombi

Nicht nur Veganer beißen ins Gras

Noch ein letztes Mal zu Wort kommen

Weiterleben 2.0

Schein oder nicht Schein, das ist hier die Frage

Bestattungshits

Der Medizinmann

Eine klare Ansage

Wer kocht den Brei?

Mit warmen Händen geben

Der Brandner Kaspar und das ewige Leben

Keine Daueraufträge

Du bist Sterbehelfer?

Hospiz oder Krankenhaus

Was machen Hospizhelfer eigentlich?

Schluss mit lustig?

Auch wer gesund stirbt, ist trotzdem tot

Keiner kommt hier lebend raus

Kann man sich da was holen?

Mitten im Leben. Die Hospizstation

Nix anbrennen lassen

Heißer Draht zum Himmel

Nicht sehen, nicht hören, nicht sterben?

Turnen an den Urnen

Der Tanz des Lebens

Zu guter letzt:

Am Ende ist noch lange nicht Schluss Endgültig abgemeldet

Kunst und Krematorium

Gewusst wie

Wenn die Toten zweimal klingeln

Grabbeigaben

Die 10 lustigsten Trauersprüche

Das letzte Wort

Vorwort

Niemand stirbt auf dieselbe Weise, jeder stirbt seinen eigenen Tod. Einigen gelingt es, sich vorzubereiten, andere wiederum trifft das Ende plötzlich und ohne Vorwarnung.

Als Hospizbegleiterin begegne ich den verschiedenen Seiten des Sterbens, erlebe Vorbereitungen für die unbekannte Reise und manchmal werden mir auch die letzten Worte anvertraut. Es sind kostbare, oft schlichte Worte, denn viel Zeit bleibt am Ende nicht mehr und Dinge werden direkt, unverblümt angesprochen. Menschen, die auf ihr Leben zurückblicken erzählen offen, klar und ohne Umschweife.

In diesem Buch habe ich die wertvollen Momente in meiner Sterbebegleitung zusammengetragen, damit diese berührenden Biografien und humorvollen Anekdoten nicht verloren gehen. Wir haben zusammen gelacht und geweint, gelernt den Tod anzunehmen und dadurch eine neue Lebensqualität entdeckt. Einige nur für ein kurzes Zeitfenster.

Wie geht das Sterben? Kann man es lernen? Ich weiß es nicht. Aber wir können uns vorbereiten, den Tod zu akzeptieren als das, was er ist. Ein Teil des Lebens. Denn ohne den Tod wäre das Leben nichts wert.

Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt…

Waren Sie schon einmal tot? Vermutlich nicht. Ich schon. Mehrmals sogar. Damals, Anfang der Achtziger. Zu Beginn meiner Ausbildung zur Schauspielerin kam das Angebot auf ein paar verlockende Silberlinge. Ein Drehtag für den „Tatort“ als Leiche. Ich nahm den Auftrag an und eh ich mich versah, lag ich tot aufdem Boden.Erstochen voneinemPsychopathen, derkeine Frauenmochte oder so ähnlich. Genau kann ich mich an die Story nicht mehrerinnern, aber daran, dassmeine Hände durch die unbequeme Haltung eingeschlafen waren und schmerzten.

Ein mieser Job. Leiche – definitiv kein Beruf mit Zukunft. Nicht für mich. Na ja, was soll‘s, ich musste keinen Text lernen. Im Gedächtnis blieb mir ein Kollege, der den Gerichtsmediziner zum Besten gab. Er sollte bei mir, der „Regungslosen“, laut Drehbuch, vor Ort den Tod feststellen. Vor mir kniend und unbeholfen tapste er an mir herum. Offensichtlich hatte er tags zuvor einen gemütlichen Abend bei leckerem Knoblauch und Wein gehabt. Ein kleiner Rülpser seinerseits ließ mich daran teilhaben.

Nicht schön. Mein Rendezvous mit Joe Black hatte ich mir anders vorgestellt.*

Persönlich war ich dem Tod bis dahin nie begegnet. Einmal davon abgesehen, dass ich in meiner frühesten Kindheit mein kleines, schwarzbraunes Meerschweinchen beerdigen musste.

„Herr Purzel“ war in die Jahre gekommen und hatte seine besten Zeiten hinter sich. Wie bei alten Opas fielen Herrn Purzel die Haare, bzw. das Fell, aus. Frieren musste er trotzdem nicht, denn ich strickte ihm einen weiß-blau karierten MeerschweinchenSpezialpullover. Wir hatten, ungeachtet seiner Ganzkörperglatze, eine recht gute Zeit miteinander. Er war mein Freund, mein Verbündeter in der Welt der Erwachsenen. Gemeinsam hörten wir gerne revolutionäre, laute Hardrockmusik. Auch schon wegen des kräftigen, brummenden Basses, der den Meerschweinchenkäfig ordentlich zum Vibrieren brachte. Herrn Purzel gefiel‘s. Wir versprachen uns ewige Treue. Doch kam es erstens wie es kommen musste, und zweitens anders als ich dachte. Mein Kumpel hielt sich nicht an unsere Abmachung, denn eines Morgens, als ich in den Käfig fasste, hielt ich einen kalten, harten Klumpen in der Hand. Völlig starr und regungslos glubschten mich seine riesigen, unbeweglichen Augen an. Herr Purzel hatte sein Wort gebrochen und sich vom den Acker gemacht. Die arme, kleine Meersau. Tot. Und ich? Verlassen, von meinem besten Freund.

Jahre später als junge Frau hatte ich durchaus Visionen, wie ich von dieser Erde abtreten wollte. Nach einem erfüllten Leben im Alter von vielleicht so 90 geschmeidigen Lenzen, einer glücklichen Ehe, mit Kindern und Enkelkindern.

In meiner Phantasie erlaubte ich mir ein paar kleine, altersbedingte Zipperlein, aber die große, leidende Krankheit wünschte ich mir nicht. Wenn schon sterben, dann kurz und knackig. Vielleicht ein Sekundentod: Umfallen und nichts mehr damit zu tun haben. Ja, so würde es mir passen, wenn es denn schon sein muss. Wenn ich ehrlich bin, habe ich mich nicht ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt. Es war mir auch egal. Ich war jung, da ist die Vorstellung, dass man selbst einmal alt und gebrechlich werden könnte, ganz weit weg. Der Tod als solches fand bis dahin keinen Platz in meinem Leben. Doch es sollte anders kommen…

Jetzt, 35 Jahre später, ist meine Idee, wie mein Leben auszusehen hat, glücklicherweise in Erfüllung gegangen. Ich habe einen wunderbaren Mann, zwei fabelhafte Kinder und eine reizende Stieftochter mit zwei süßen Enkeln. Die angedachten 90 Jahre Lebenszeit sind nicht mehr arg weit weg, wenn ich bedenke, wie schnell die letzten Jahre vergangen sind. Mit zunehmendem Alter bekommt man nicht nur Falten, sondern auch eine andere Wahrnehmung. Es hat sich einiges in meiner persönlichen Einstellung geändert. Ich merke, die Zeit geht auch an mir nicht spurlos vorüber. Beim Ausfüllen der Online Formulare muss ich im Feld für das Geburtsjahr inzwischen soweit nach unten scrollen, dass ich bis dahin vergessen habe, was ich eigentlich wollte. Als meine sechsjährige Enkeltochter die Schallplattensammlung meines Mannes entdeckte, rief sie bewundernd: „Oma, ihr habt aber große CDs!“ Mal sehen was sie sagt, wenn ich ihr den alten Kassettenrekorder zeige…

Grundsätzlich war mein damaliger junger Gedanke vom Tod und Sterben ja nicht verwerflich. Einfach umfallen, keine Schmerzen haben und sich um nichts und niemanden mehr kümmern müssen. Ja, und schnell sollte es gehen, wenn es denn schon sein muss.

Mit dieser Illusion bin ich nicht allein. Viele Menschen denken so. Die Idee vom schnellen Abschied kommt wahrscheinlich daher, dass sich die meisten Menschen heutzutage nicht mehr mit dem Tod auseinandersetzen. In der modernen, hektischen Zeit hat der Tod keinen Platz. Vieles muss dynamisch, erfolgreich und vor allem schnell sein. Alles Attribute, die in den meisten Fällen dem Tod und dem Sterben nicht zugeordnet werden können. Er passt einfach nicht in unseren Zeitgeist, der langsame Tod.

Nichts in dieser Welt ist sicher, außer dem Tod und den Steuern

- Benjamin Franklin -

* “Rendezvous m it Joe Bl a ck“ ist ein US-ame rikanisc her S pielfilm des Regisseurs Martin Brest aus dem Jahr 1998, in demder Tod in menschlicher Gestalt ein en sterbenden Milliardär bittet, ihm zu helfen, das Leben kennenzulernen. Der Film startete am 14. Januar 1999 in den deutschen Kinos.

Aus die Maus!

Fakt ist, 95% der Menschen in Deutschland erleben den Tod bewusst.1) Wer bei den restlichen 5% nicht dabei ist, wird voraussichtlich die andere Seite d es Sterbens kennenlernen. Aus die Maus und einfach tot umfallen passiert dagegen recht selten. Tatsächlich ist es nur ein kleiner Teil der Menschheit, die den plötzlichen Tod sterben. Di e Wahrscheinlichkeit, da ss Sie und ich zu denjenigen gehören, die eher langsam den Löffel aus der Hand geben, ist rein statistisch gesehen ziemlich groß.

Welches Schicksal uns ereilt, ob wir schnell oder langsam sterben – wir wissen es nicht. Eines ist aber todsich er. Wir werden es früh er oder später erfahren. Mal Hand aufs Herz, wir wisse n doch alle, dass wir ster ben. Aber wirklich glauben möchte es keiner.

Schon verrückt: Wenn es um das Sterben und um den Tod geht, bene hmen sich manche Erwachsene wie kleine Kinder beim Verstecken spielen. Einfach die Augen zu halten und schon sieht mich der Tod nicht mehr. Tja, da muss ich Sie enttäuschen, das klappt wirklich nur im Kindergarten.

Wenn Sie Ihre Umwelt nur noch in der horizontalen Lage wahrnehmen können, wird es vermutlich recht knapp, um die anstehenden Dinge zu regeln. Die Karten werden neu gemischt, auch wenn es uns nicht passt. Das Schicksal hat seinen eigenen Plan. Da können wir dagegen steuern so viel wir wollen. Ehrlich gesagt, mir passt das auch nicht, aber die Statistik belegt es.

Ich bin dann mal weg.

Nehmen wir einmal an, Sie sind bei den wenigen die einen überraschenden Tod sterben. Das würde bedeuten, dass Sie Ihre Familie, Ihre Freunde, Ihre Lieblingsmenschen von einer Sekunde zur nächsten zurücklassen.

Ohne ein Wort des Abschieds, ohne Vergangenes zu klären. Vielleicht sind da persönliche Dinge, Angelegenheiten zu regeln oder der Wunsch nach Versöhnung, einer liebevollen Umarmung. Es gibt eventuell ein letztes Geheimnis, das Sie mit jemandem teilen möchten, um Ihr Herz zu entlasten. Denn wer möchte sich schon mit einem schweren Herzen auf den Weg in das unbekannte Nirwana machen? Mit einem Rucksack voll schlechtem Gewissen am Buckel läuft es sich nun mal recht unbequem, und diese Last am Ende loszuwerden, ist für viele enorm wichtig. Vermutlich wird mir deshalb so manche unausgesprochene Wahrheit oder Lüge am Krankenbett anvertraut.

Immer wieder stelle ich fest, dass sich Menschen nicht selbst verzeihen können. Verpasste Chancen, zu viel Egoismus, unausgesprochene Worte, Selbsthass und die bittere Erkenntnis, das falsche Leben gelebt zu haben. All das sind die Dinge, die bereut werden und bis zur letzten Minute belasten. Manchmal hilft es, sich noch einmal auszusprechen. Ob beim Partner, Freund, Seelsorger oder Hospizhelfer. Egal, hauptsache Altlasten loswerden.

Niemand kennt den Tod, es weiß auch keiner, ob er nicht das größte Geschenk für den Menschen ist. Dennoch wird er gefürchtet, als wäre es gewiss, dass er das schlimmste aller Übel sei.

- Sokrates -

Wer länger lebt, ist später tot

So auch Frau Reim, selbst ernannte Feng Shui Expertin, mit einer beginnenden Demenz. Die starke Diabetes machte ihr zu schaffen und seit Jahren kämpfte sie mit heftigen Herzproblemen. Ich besuchte sie im Seniorenheim während meiner Ausbildung zur Hospizhelferin.

Ein schrulliges kugelrundes Menschlein mit struppigen roten Haaren, langen schwarzen Wimpern und blitz-blanken Zähnen. Ein süßes unbeholfenes Lächeln empfing mich, wenn ich in ihr Zimmer kam. Schon an der Kleidung konnte man ihre esoterische Art erkennen und jeder Besuch bekam lieb gemeinte Feng Shui Tipps. „Heute sagt mein Mondkalender, dass ich nach Süden schauen soll. Da bekommt man schöne Haut und das tut den Füßen gut. Der Süden. Den Füßen.“

Das Zimmer gemäß dem Mondkalender regelmäßig umzubauen, war ihre große Passion. Und so, wie der Mond wanderte, schob sie ihre Möbel passend durch den Raum. Mal stand der kleine Tisch in der einen Ecke, mal das Bett auf der anderen Seite. „Der Chi-Fluss ist wichtig. Ganz wichtig. Da muss man flexibel sein. Immer in Bewegung“, so ihre fachkundige Begründung. Eine weitere Leidenschaft waren aufdringlich duftende Räucherstäbchen. Unablässig qualmend hüllten sie das Zimmer in einen grauen Schleier und ließen sich nur schwer mit dem sterilen Geruch des Seniorenheims in Harmonie bringen.

„Vorsicht! Nicht in den Bereich vom Drachen setzen, bringt Unglück, wissen Sie. Nicht zum Drachen. Steht hier im Buch, da drinnen.“ Stolz hielt sie mir ihr Feng Shui Buch unter die Nase. Ich respektierte ihren Wunsch, die daoistische Harmonielehre aus China zu beachten und setzte mich auf den Hocker, der in der Nähe des Bettes stand. Windspiele bimmelten aufdringlich am Fenster und unaufhaltsam plätscherte ein Zimmerbrunnen, was zur Folge hatte, dass ich ständig aufs Klo musste. „Wissen Sie, Frau Frey, ich bin schon so lange auf der Welt. So lange. Ich habe den ganzen bösen Krieg noch gesehen. Hab ich gesehen. Aber es ist gut, wenn man so alt wird wie ich. Dann bin ich ja auch später tot“, erklärte Sie mir mit ihrer logischen Selbstverständlichkeit, während sie an den Haaren zupfte und herzhaft, ohne eine Miene zu verziehen, in eine ganze Zitrone biss. Dabei beschwor sie mich: „Sie dürfen nicht alles glauben, was sie denken!“

Sie war eine liebenswerte Person und ab und zu schaute ich auf einen kurzen Plausch bei ihr vorbei. Einmal rief sie mir schon von Weitem entgegen: „Oh, Sie müssen mir helfen! Ich habe sie verloren! Hab sie verloren. Sie sind tatsächlich weg. So ein Ungeschick aber auch.“ „Frau Reim, was haben Sie denn verloren?“ Sie sah mich mit einem Blick an, der eindeutig vermittelte, dass sie meine einfache Frage ganz und gar nicht verstand. „Meine Gedanken. Ich habe meine Gedanken verloren.“ Sie nahm ihre Umgebung in Augenschein und fixierte einen Stuhl in der Ecke des Zimmers. „Aber halt, nein da sind sie ja! Oh, wie schön. Da sind sie ja.“ Trotz ihres hohen Alters tänzelte sie leichtfüßig durch das Zimmer und deutete auf einen Stapel Wäsche. „Hier sind sie ja schon“, kicherte sie, „da lag nur das Handtuch drauf.“

Obwohl die Demenz schon sehr weit fortgeschritten war, hatte sie durchaus klare Momente und wir konnten uns stellenweise gut unterhalten. Bei einem meiner Besuche war sie geistig sehr wach, plauderte aus ihrem früheren Leben und erzählte mir von ihrer großen Liebe. „Wissen Sie, damals im Krieg, ich war noch sehr jung. Da hab ich meinen Heinz kennengelernt. Ein guter Mann und er war immer anständig zu mir. Ein guter Mann. Immer anständig.