Lizenz zum Händchenhalten - Petra Frey - E-Book

Lizenz zum Händchenhalten E-Book

Petra Frey

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Beschreibung

Das Letzte kommt zum Schluss Der etwas andere Ratgeber für Alle, die mal sterben müssen. Hospizhelferin Petra Frey gibt neue ungewöhnliche und humorvolle Einblicke in die Sterbebegleitung. Einzigartige Geschichten und wertvolle Informationen mit einem verschmitzten Blick auf den Tod. Gibt es wirklich eine Telefonzelle, um Verstorbene anzurufen? Warum sollte das Handy am Friedhof immer dabei sein? Kann tiefgefrorener Rotwein in der Sterbebegleitung hilfreich sein? Und wieso möchte Oma Brenz ihre Asche ans Finanzamt schicken? Nach dem großem Erfolg des ersten Buches STERBEMUND tut Wahrheit kund, geht es jetzt weiter mit Lizenz zum Händchenhalten. Herzlich, besonders und ein wenig schräg.

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PETRA FREY ist als jüngstes von vier Kindern im Herzen Bayerns aufgewachsen. Unter dem Künstlernamen „Petra Auer“ ist sie als Schauspielerin überregional bekannt.

Anfang 2010 machte sie eine Ausbildung zur Hospizbegleiterin. Weitere Fortbildungen, wie „gewaltfreie Kommunikation“ bis hin zum Zertifikat für „Krisenbegleitung“, helfen ihr bei der Aufgabe, Menschen in schwierigen Lebensmomenten beizustehen. Dabei begegnen ihr immer wieder außergewöhnliche Geschichten, die ans Herz gehen.

Der mitunter humorvolle Umgang vieler Sterbender mit dem Thema Tod motivierten sie, diese besonderen Erlebnisse aufzuschreiben. Es entstand ihr erstes Buch „SterbeMund – tut Wahrheit kund“. Berührend und zugleich humorvoll erzählt sie von ihren Erfahrungen. Es gelingt ihr eine leichte, lebensfrohe Sicht auf ein schwieriges Thema.

Nach ihrem erfolgreichen Erstlingswerk, zeigt nun auch „Lizenz zum Händchenhalten“ mit einem kräftigem Augenzwinkern, aber dennoch authentisch, die besondere Seite der Hospizarbeit.

INHALTSVERZEICHNIS

Mein Name ist Frey. Petra Frey. Ich bin Hospizhelferin

Mein erstes Mal

Weck mal die Oma auf, die Frau von der Sterbehilfe ist da!

Fast wie im Krimi

Tanzen ist träumen für die Füße

Ein Hör im Gerät

Nichts ist so beständig wie die Veränderung

Twinky, die kleine Schildkröte

Was passiert, wenn wir wissen, dass es jetzt bald passieren wird?

Schon morgen kann heute ganz anders sein

Stell dir vor, es ist Alltag und keiner geht hin

Zeitlupenzeit

Warum machst du das? Sterbebegleitungen?

Sommer im Glas

Ist das ein Gespräch oder kann das weg?

Sprachlose Wörter

Diese verdammte Scheiße mit dem Tod!

Das geht auch ohne Lizenz

Tausendmal berührt, tausendmal ist nix passiert

Der Krankenhausknigge

Die nonverbale Kommunikation

Hier wird nicht richtig geputzt

Mein Einsatz auf der Palliativstation

Ein ganzer halber Monat

Ein echtes Kölsch

Es ist, wie es ist

Der Tod ist scheiß uncool

Gestern war morgen noch ganz anders

Wie kann man Trauernden helfen?

Keep cool, Baby

Telefon des Windes

Der Tod ist kein Unglück für den der stirbt, sondern für den der überlebt

„Plötzlicher“ Tod mit 89

Sein oder nicht sein, das ist hier nicht die Frage

Für immer jung?

Kein guter Plan ist die halbe Vorsorge

Warme Füße, kaltes Grab

Fluch und Segen, Tipps und Tricks

Flieg Schmetterling, flieg

Wir lassen nur die Hand los, nicht den Menschen

Freiheit für die Asche

Ich lese, bis ich verwese.

Lerne loszulassen, das ist der Weg zum Glück

Was passiert eigentlich beim Sterben?

Was tun?

Zu guter Letzt, bitte nicht

Der Tod als Lehrmeister

Happy End im Himmel

Danke

Mein Name ist Frey. Petra Frey. Ich bin Hospizhelferin

Ganz ehrlich, es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass es mich irgendwann nicht mehr gibt. Meine Fantasie reicht dafür nicht aus. Jammerschade, doch ich werde meinen Tod nicht vermeiden können. Und das Ganze ohne brauchbare Informationen in der Tasche zu haben, was da auf mich zukommt. Das passt mir überhaupt nicht! Dummerweise interessiert das den Kapuzenmann nicht die Bohne. Ihn deswegen beleidigt zu ignorieren, macht allerdings auch keinen Sinn. Wie heißt es so doch schön? „Wer den Kopf in den Sand steckt, bringt seinen Hintern in eine gefährliche Situation.“

Seit ich Sterbende auf ihrer letzten Reise begleite, ist der Tod so etwas wie ein Kumpel von mir geworden. Er demonstriert mir, wie es am Ende aussehen könnte, und zeigt sich mir von seinen vielfältigsten Seiten. Wenn ich genau hinsehe, dann lüftet er so manches Mal ein kleines Geheimnis und offenbart mir, wie wertvoll und einzigartig das Leben sein kann.

Gerne hätte ich einen praktischen Ratgeber geschrieben. Darüber, wie Ihnen das Sterben gut gelingen möge oder was nach Ihrem Tod auf Sie wartet. Mit Vergnügen würde ich Ihnen verraten, wie Sie fröhlich pfeifend dem Sensenmann ins gelobte Land folgen. Doch da muss ich Sie enttäuschen. Ich weiß auch nicht, wie sterben geht oder was danach kommt. Ich lebe ja noch. Niemand weiß es. Es gibt da einige Spekulationen und etliche Religionslehren, die vorgeben, Bescheid zu wissen. Beweise gibt es freilich nicht. Bisher ist noch niemand aus dem Jenseits zurückgekommen, um uns zu berichten, was für ein Programm läuft. Wer gestorben ist, bleibt tot für immer. Auch wann und wie uns der Sensenmann holt, weiß keiner von uns.

Allerdings werden wir es sicher irgendwann erfahren. Schon Benjamin Franklin hat gesagt: „Nichts ist so sicher wie der Tod und die Steuern.“

Doch es gibt Vorbereitungen, planbare Eventualitäten und direkte Wege, sich dabei Unterstützung zu holen. Vieles können Sie vorher noch in Ordnung bringen. Vielleicht wird damit der Abschied nicht so heftig. Ich meine, es liegt ein beträchtlicher Unterschied darin, wie wir unsere Koffer für die unbekannte Reise packen. Gerne zeige ich Ihnen, wie Sie Ihr Rüstzeug zusammenstellen und welchen Ballast Sie getrost abwerfen können. Mit meinen Erfahrungen in der Sterbebegleitung möchte ich Ihnen Mut machen, Sterbende zu begleiten, für sich selbst zu sorgen und den Tod als Ihren Freund Harvey zu betrachten. Mehr noch, ich möchte Sie auf eine wundersame Reise schicken. Es ist Ihre Reise, es ist Ihr Leben.

„„Und, wie geht denn das Sterben?“ „Keine Ahnung, ich lebe ja noch.“

Petra Frey, Hospizhelferin“

Mein erstes Mal

Einen kleinen Eindruck davon, wie es sein könnte, wenn meine Tage gezählt sind, habe ich vor vielen Jahren bekommen. Gevatter Tod hat mich persönlich unter seine Fittiche genommen und mir unmissverständlich gezeigt, dass ich nicht unsterblich bin. Dabei hatte ich als junge Frau den Burschen ganz und gar nicht auf meiner Agenda.

Krebs mit 23 Jahren? Den bekommen doch nur die anderen. Die Alten, die Omas oder vielleicht noch diejenigen, die Schindluder mit ihrer Gesundheit treiben. Ich war vollkommen fassungslos, empört und ich fühlte mich ungerecht behandelt. So viel sei verraten, ich hab’s gut überstanden. Das war das erste Mal, dass ich meinen Weggefährten bewusst wahrgenommen habe, es sollte nicht das letzte Mal gewesen sein.

Selbst wenn wir den Tod im Alltag nicht bemerken, ist er doch ständig präsent. Erst wenn wir unmittelbar mit ihm zu tun haben, spüren wir seinen eisigen Atem im Nacken. Und wenn es jemanden gibt, der überhaupt keinen Respekt vor Zeit und Gerechtigkeit hat, dann ist es der Tod. Er ist größtenteils unerwünscht, manchmal erlösend, ausnehmend alterslos, gänzlich unparteiisch, kommt fast immer zu früh und selten zu spät. Und er holt sich letztendlich jeden einzelnen von uns. Ohne Ausnahme. Das ist seine Gerechtigkeit.

Diese Tatsache zu akzeptieren, verweigern wir mittlerweile gänzlich und schlittern durch den Alltag, als gäbe es kein Morgen. Das ist nicht nur meine persönliche Wahrnehmung. Neurologen haben herausgefunden, dass 80 Prozent der Menschen von einem optimistischen Irrglauben an die eigene Unverwundbarkeit betroffen sind. Andererseits hoffen beim Lottospiel 7,3 Millionen Bundesbürger mit der Wahrscheinlichkeit von eins zu 259 Millionen darauf, den Jackpot zu knacken.

Raucher kennen die tödlichen Gefahren des Nikotins, sind aber trotzdem davon überzeugt, dass sie vom Krebs verschont bleiben. Natürlich wissen wir, dass eine ungesunde Ernährung unser Leben verkürzen kann. Trotzdem sind in Deutschland 75 Prozent der Männer und 59 Prozent der Frauen zu dick.

Durchschnittlich werden pro Kopf von der Bevölkerung jährlich rund zehn Liter reinen Alkohols konsumiert. Selbstverständlich wissen wir, dass der gute Tropfen unserem Körper im Übermaß schadet. Vier Fünftel der Bevölkerung denken aber hartnäckig, dass sie diese Fakten nicht betreffen. Die hundertprozentige Wahrscheinlichkeit des Sterbens wird schlicht ignoriert.1

Wir sind Experten darin, Gefahren und Warnzeichen zu ignorieren. Oft gilt das Motto: schneller, höher, weiter. Raser auf der Autobahn sind überzeugt, dass die anderen Verkehrsteilnehmer langweilige Schnarcher sind. Was soll denn schon passieren beim Tippen der SMS? Auf der Autobahn? Bei 200 Kilometer pro Stunde?

Wir wissen alle um die Gefahren eines ungesunden stressigen Lebensstils, aber dennoch sind wir Meister darin, diese Erkenntnisse auszublenden. In unserer Gesellschaft will ihn keiner haben, den Exitus. Ein ungebetener Gast, der sich durch unser Leben schnorrt und vom Überraschungseffekt profitiert. Aber irgendwann werden wir ihm begegnen, und was dann?

Weck mal die Oma auf, die Frau von der Sterbehilfe ist da!

Oma Brenz. Eine sehr eigenwillige Seniorin, die bis zuletzt ganz genau wusste, was sie wollte. Aber auch exakt, was sie nicht wollte. Ihre herbe Art passte nicht zu ihrem Erscheinungsbild. Mit ihrem grauen Dutt und liebevollem, herzlichen Blick wirkte sie auf mich, als wäre sie einem Kinderbuch entschlüpft. Scheinbar war sie wild entschlossen, ihre Umwelt ordentlich auf Trab zu halten. Und das ließ sie uns spüren. Zunächst dauerte es eine Weile, bis ich den Weg zu ihr fand, und es galt, einige Hürden bei ihr und ihrer ungewöhnlichen Familie zu überwinden. Schon bei meiner ersten Ankunft ging es höchst skurril los.

Bisher hatte ich gedacht, dass meine Aufgaben recht klar sind und der Begriff „Sterbebegleitung“ Einiges über mein Tätigkeitsfeld erzählt. Wohlgemerkt, ich bin ausgebildete Sterbebegleiterin und keine Sterbehelferin. Es gibt einen deutlichen Unterschied zwischen Sterbehelfer und Sterbebegleiter. Gut zu erkennen, allein an den Worten Helfer und Begleiter. Und doch gibt es immer wieder kleine feineVerwechslungen.

Ich darf einem Schwerstkranken weder Tabletten geben noch andere Dinge tun, um sein Leiden zu beenden. Auch nicht, wenn ich explizit darum gebeten werde. Dafür käme ich in den Knast. Ich würde es auch ohne die drohende Aussicht auf gesiebte Luft nicht machen. Begleitung, Zuspruch, Unterstützung, das sind Aufgaben, die ich gerne übernehme. Auf die Gefahr hin, dass ich zur Spezies der Erbsenzähler gehöre, mir ist es dennoch wichtig, die Bezeichnung meines Ehrenamts in korrekter Wortkategorie zu finden. Zwischen Sterbehilfe und Sterbebegleitung besteht definitiv ein großer Unterschied. Punktum.

Mein erster Besuch bei Oma Brenz startete wie gesagt etwas holprig. Die Schwiegertochter und deren Mann benötigten Hilfe bei der Betreuung der störrischen Seniorin und hatten sich bei meinem Hospizverein gemeldet. Bereits bettlägerig musste die Oma rund um die Uhr versorgt werden. Die Koordinatorin meines Hospizvereins, Sabine, übergab mir den „Fall Brenz“ mit folgenden Worten: „Frau Brenz, ehemals Buchhalterin, 90 Jahre, lehnt alle medizinischen Maßnahmen ab, ist etwas schwierig und lebt bei ihrem Sohn und der Schwiegertochter. Bisher beauftragte Hospizhelfer wollte sie nicht zu sich lassen. Die Angehörigen kommen mit ihr nur schwer zurecht und haben nun wiederholt um Unterstützung gebeten.“ So lautete zunächst der Bericht. „Kannst du das übernehmen?“

„Was hat sie denn für eine Krankheit?“, fragte ich nach.

„Lungenkarzinom im Endstadium“, antwortete mir Sabine und zündete sich genüsslich eine Zigarette an. Tja, auch wir HospizhelferInnen haben unsere kleinen Schwächen.

Ich nahm die Herausforderung an.

Viel wusste ich über die Patientin nicht, machte mich aber trotzdem auf den Weg in die Schneiderstraße 33 in den 7. Stock, ohne Aufzug. Der Aufzug war leider außer Betrieb.

Etwas atemlos klingelte ich an der Tür. Noch während ich mir den Schweiß von der Stirn wischte, schwor ich mir, endlich mehr Sport zu machen. Es öffnete eine kleine korpulente Frau mittleren Alters. Rosa gefärbtes kurzes Haar, wässrige Augen mit dunklen Rändern und tiefschwarz angemalten Augenbrauen. In der einen Hand hielt sie ihr Mobiltelefon, in der anderen eine qualmende Zigarette.

„Guten Tag, mein Name ist Frey, Petra Frey und ich komme vom Hospizverein. Sie hatten angerufen?“

„Ja genau, Frau Mey. Ihr Club hat gesagt, dass Sie heute kommen. Das ist aber schön, dass Sie da sind, Frau Mey.“

„Frey“

„Wie bitte?“

„Mein Name ist Frey.“

„Ach so, ja.Wir sind sehr froh, dass Sie mal nach der Oma schauen, Frau Mey.“

Okay, die Vorstellungsrunde hatte ich verloren. Aber um meinen Nachnamen ging es sowieso nicht. Sicher war sie nur zu erschöpft, um mir zuzuhören. Und ich immer noch zu kurzatmig, um zu widersprechen. Daraufhin führte sie mich in das Wohnzimmer und räumte einen mit Illustrierten beladenen Stuhl frei. Der Stapel mit dem Goldenen Blatt und der Neuen Post landete unter dem Wohnzimmertisch und dann durfte ich anstelle der neuen Revue den Plüschsessel belegen. Schnell wischte sie mit einem Taschentuch, das sie aus ihrer lila Kittelschürze zog, über den Tisch. Ich fürchtete, es war schon einmal benützt.

Blitzschnell verdrängte ich den Gedanken. Dann schrie sie laut in den hinteren, mir nicht sichtbaren Teil der Wohnung: „Karl Heinz, tu mal die Oma aufwecken, die Frau von der Sterbehilfe ist da und will mit ihr reden!“

„Bitte lassen Sie Ihre Mutter ruhig schlafen, Sie müssen sie nicht extra aufwecken. Ich kann gerne noch etwas warten oder ich komme zu einem anderen Zeitpunkt. Und übrigens ich bin nicht von der Sterbehilfe, sondern…“

„Karl Heinz, du kannst die Oma schlafen lassen, die Frau Mey kann auch ohne die Oma.“

Keine Ahnung, was Karl Heinz jetzt mit der Oma anstellte, aber noch bevor ich mich etwas mehr mitteilen konnte, kam die nächste Frage:

„Möchten Sie einen Kaffee? Oder dürfen Sie im Dienst nichts trinken?“ Offensichtlich hatte die Dame zu viele der Sorte Krimis konsumiert, bei denen die Kommissarin alkoholische Getränke mit dem Spruch – Nein Danke, im Dienst trinke ich nichts – ablehnt. Um nicht unhöflich zu wirken, hörte ich mich sagen: „Ja, sehr gerne, danke.“ Sekunden später bereute ich meine Entscheidung.

Sie griff zur milchig gläsernen Kaffeekanne, die auf einem Stövchen vor sich hin kokelte. Daraufhin reichte sie mir eine Tasse, die neben dem überquellenden Aschenbecher gestanden hatte. Ich rätselte, wann mein Trinkgefäß das letzte Mal Kontakt mit dem Geschirrspüler gehabt hatte.

„Entschuldigen Sie, wie es hier aussieht, aber ich komm zu nix wegen Oma.“ Sie deutet auf die gardinenverhangenen Fenster. „Kaum scheint die Sonne, sind die Fenster dreckig. Ach, die Oma macht so viel Arbeit. Und dann kann ich so schwer mit ihr sprechen. Sie versteht mich nicht. Weil niemand zu ihr ins Zimmer darf, kann ich ihr kein Hörgerät besorgen. Da muss so ein Fachmann zum Vermessen der Ohren kommen, wegen der Lautstärke und so. Das will sie nicht. Ach, die Oma…“

Schon rief sie wieder nach Karl Heinz: „Wo bleibst du denn?“

Flüsternd beugte sie sich zu mir: „Es ist seine Mutti, wissen Sie. Aber an mir bleibt alles hängen. Gut, dass Sie jetzt das sind. Nehmen Sie Milch, Frau Mey?“

Der Kaffee war kalt. Die H-Milch hatte ihre besten Tage hinter sich. Die Entscheidung für schwarzen Kaffee war schnell getroffen.

„Frey.“

„Wie?“

„Ich heiße Frey.“

„Sag ich doch. Wie der Sänger mit dem schönen Lied von den Wolken.

Apropos Wolken, Himmel und so. Wissen Sie, die Oma will keinen Pfarrer. Sie hat gesagt, dass ihr so ein Pfaffenkopf nicht ans Bett kommt. Sind Sie in der Kirche? Na, die Oma konnte nicht so gut mit der Kirche. Und da hat mir die Trudi, unsere Nachbarin, erzählt, dass bei ihrem Karli auch immer jemand von Ihrem Sterbehelferverein gekommen ist. Und dass das nix gekostet hat. Find ich schon toll, wenn Sie nix kosten.

Was machen Sie denn so in der Sterbehilfe?“

„Ja, was die Kosten betrifft, da haben Sie schon recht, aber ich würde gerne noch die Sache mit der Sterbehilfe klären …“

Schon schrie sie wieder laut in Richtung hinteres Zimmer: „Karl Heinz, das stimmt, was die Trudi sagt. Frau Mey ist kostenlos! Jetzt komm doch mal und schalt den Fernseher aus. Geht doch um Oma!“

Zuerst hörte ich mürrisches Gemurmel. Etwas, ein Stuhl vermutlich, wurde wohl grob zur Seite gestellt und dann war er da. Karl Heinz.

Missgelaunt schlurfend kam er ins Zimmer, verjagte fuchtelnd die Staubflusen in der Luft und setzte sich mit einem schweren Stöhnen neben mich auf die Couch.

Ganz ehrlich, bei manchen Menschen stelle ich mir die Frage: Was will mir die Natur damit sagen? Karl Heinz war so einer. Er war etwas untersetzt, unrasiert und hatte die grauen, fettigen Haare zu einem strengen Pferdeschwanz gebunden. Seine Jogginghose hatte vermutlich noch nie einen Sportplatz, geschweige denn eine Waschmaschine gesehen. Karl Lagerfeld hätte sich samt Haarzopf im Grabe umgedreht.

Noch bevor ich das Gespräch mit Karl Heinz beginnen konnte, ertönte die verschlafene Stimme von Oma Brenz. Die arme Frau war sicher durch das Geplärre nach ihrem Sohn aufgeweckt worden.

„Ilse, wer ist denn da? Der Pfarrer? Der kommt mir hier nicht rein, der will nur, dass ich was spende. Und dann kommt der am Ende auch noch zum Leichenschmaus.“

„Ne, nicht der Pfarrer.“ Mit einem kurzen Blick zu mir bestätigte jetzt Karl Heinz: „Kirche ist nicht ihr Ding. Deswegen wollen wir ja, dass Sie kommen.“

Scheinbar dachte die Familie Brenz, wir vom Hospizverein sind das Gegenteil von Kirche. Woher diese Meinung kam, war mir schleierhaft. Kurz darauf, jetzt etwas wacher, schimpfte Oma Brenz aus dem hinteren Zimmer: „Und den Onkel Franz will ich auch nicht sehen. Der wartet nur auf sein Erbe. Aber der kriegt nix. Keinen Pfennig kriegt der!“

Jetzt klärte Karl Heinz auf:“ Ne, Mutti, das ist die Frau Mey vom Hospiz.“ Ich staunte. Das Wort Hospiz hatte ich nicht von Karl Heinz erwartet. Eher Sterbeclub, Totenverein, Antichrist oder irgend so etwas in der Art. Jetzt hoffte ich doch noch auf eine korrekte Bezeichnung meines Ehrenamts.

„Vom Hospiz? Was denn für ein Hospiz?“, kreischte Oma Brenz atemlos zurück.

Augenblicklich lief Karl Heinz zur Hochform auf, er wollte unbedingt noch eins draufsetzen und zeigen, wie gut er aufgepasst hatte: „Ach Mutti, habe ich dir doch erzählt. Der Sterbehelferverein. Der von der Trudi und dem Karli. Die Frau von der Sterbehilfe ist da.“

Mir schoss die Schamesröte ins Gesicht, der Schweiß stand mir auf der Stirn und meine Hände fingen an zu schwitzen. Nachdenkliche Pause im hinteren Zimmer. Dann, forsch und kurz entschlossen, entschied Oma Brenz: „Was? Die von der Sterbehilfe? Na endlich. Die darf reinkommen.“

„Immer wenn wir lachen, stirbt irgendwo ein Problem!“

Fast wie im Krimi

Als Hospizhelferin im ambulanten Bereich komme ich an die unterschiedlichsten Einsatzorte. Anders als meine Kollegen, die ausschließlich im Hospiz oder in der Palliativstation tätig sind, begegne ich den zu begleitenden Personen in ihrer vertrauten Umgebung.

Einige sind etwas nervös und aufgeregt, wenn ich vor der Türe stehe. Verständlich, denn die private Wohnung ist ein ganz besonderer Bereich. Zudem gibt das eigene Zuhause Einiges preis, das nicht für fremde Augen bestimmt ist. Manchmal bekomme ich schon in wenigen Minuten einen Eindruck, wie mein Gegenüber tickt. Ähnlich einer „Tatortbesichtigung“ schaue ich mich in einem Krankenzimmer gern ein wenig um. Es ist für mich hilfreich, Dinge zu finden, die mir den Einstieg in die Kommunikation erleichtern. Wie zum Beispiel Familienbilder, Urkunden, Pokale oder auch technische Details. Wenn beispielsweise eine Meisterurkunde der Fleischerinnung für hervorragenden Dienste an der Wand hängt, macht es wenig Sinn, eine Debatte über Vegetarier anzuregen.

Bei meiner letzten Begleitung empfing mich das Hinweisschild „Ich vertraue auf die heilsame Kraft von Scheiß drauf“. Das war ein klares Statement und entsprechend war auch die Begleitung. Aber davon später.

Oder wenn da ein Teamfoto vom 1. FC Bayern hängt und alles in deren rotweißen Vereinsfarben brilliert: Das gibt mir den unbestrittenen Hinweis darauf, dass die Erwähnung der weißblauen Konkurrenz nicht der klügste Einstieg in ein Gespräch ist. Außer ich hätte Lust auf eine kontroverse Unterhaltung. Ist aber nicht mein Ding. Zudem verstehe ich vom Fußball so viel wie Kartoffelbrei vom Autofahren …

Tanzen ist träumen für die Füße

B