STUDIO-WORKSHOP: Hörspiele konzipieren und professionell produzieren - Peter Eckhart Reichel - E-Book

STUDIO-WORKSHOP: Hörspiele konzipieren und professionell produzieren E-Book

Peter Eckhart Reichel

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  • Herausgeber: BookRix
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

Ein Hörspiel vereint in sich nicht nur Sprache, Musik und die gesamte Palette der akustischen Welt, sondern auch typische mediale Arbeitsschritte wie Texterstellung oder die dialogische Umsetzung literarischer Textvorlagen, Inszenierungsstrategien, Regiekonzeptionen und eine zielorientierte Suche nach geeigneten Sprechern. Schließlich sollen spannende Geschichten mit Hilfe dieser Stimmen, mit Geräuschen und Musik so kunstvoll arrangiert werden, dass Emotionen von ganz eigener Qualität erzeugt werden und sich dabei bildhafte Szenen in unserer Phantasie entfalten können. Das Hörspiel gilt deshalb auch als die Königsdisziplin der Radiokunst. Aber wie entsteht so ein Hörspiel? Wie müssen die Geschichten aufgebaut sein? Wie wird Musik und Geräusch dramaturgisch sinnvoll eingesetzt? Nach welchen Kriterien werden Stimmen ausgewählt und in einem Studio professionell aufgenommen und wie werden Sound und die Musik produziert? Ausgehend von einem Klassiker der Literaturgeschichte - der Erzählung "Hopp-Frosch" von Edgar Allan Poe - werden in diesem E-Book alle entsprechenden Aufgaben bei der Entwicklung einer professionellen Hörspielproduktion schrittweise und chronologisch erläutert. Kurze praktische Übungen sollen für die Möglichkeiten sensibilisieren, wie prosaische Erzählsituationen akustisch umgesetzt werden können. Einen weiteren Schwerpunkt bilden darüber hinaus sehr viele Tipps aus der täglichen Studiopraxis, sowie didaktische Überlegungen und Erprobungen verschiedener Parameter im Entwicklungsprozess einer Hörspielproduktion. Der umfangreichere Teil dieses Ratgebers ist jedoch ganz und gar der kreativen Arbeit an der literarischen Vorlage gewidmet, aus der Schritt für Schritt, vom ersten Textentwurf bis hin zur Final-Fassung, ein produktionsreifes Hörspielmanuskript entsteht. Theorie und Praxis ergänzen sich daher in diesem profunden Ratgeber in allen wichtigen Arbeitsschritten.

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Peter Eckhart Reichel

STUDIO-WORKSHOP: Hörspiele konzipieren und professionell produzieren

Ein Ratgeber

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Vorwort

 

Nachdem der Rundfunk zu Beginn der 1920er Jahre mit dem literarischen Genre HÖRSPIEL eine originäre, auditive Kunstform hervorgebracht hat, gab es immer wieder neue Erklärungsversuche, dieser zunächst ephemeren, also flüchtigen Kunstgattung, eine theoretische Definition zugrunde zu legen. Am Anfang dieser Entwicklungsgeschichte wurden Begriffe wie etwa „Sendespiel“ oder „Funkdrama“ eingeführt, die dieses Genre in die Nähe zur Theaterdramatik rückten, schließlich basierte die neue auditive Kunstgattung ebenso auf Rhetorik, auf das „gesprochene Wort“ in Dialog- und Monologform, wie auch auf Geräuschen und Musik. Einzig das Bild fehlte. Mimik und Gestik der Hörspiel-Darstellung waren und sind nun mal akustisch nicht darstellbar. Schließlich erkannte 1924 der Kunstmaler und Rundfunkpionier Hans Siebert von Heister die Bedeutung dieses Alleinstellungsmerkmals und forderte eine einheitliche Gattungsbezeichnung für das „arteigene Spiel des Rundfunks“.In diesem Zusammenhang taucht der Begriff Hörspiel zum ersten Mal auf.

Eine neue Hörkultur nahm somit ihren Anfang und erfreut sich heute mehr denn je großer Beliebtheit, auch wenn der Rundfunk selbst dieses Genre nicht mehr sonderlich zu fördern scheint. Erfreulicherweise haben sich dafür in den letzten Jahren etliche Privatinitiativen gebildet, die diese einzigartige Kunstform pflegen und sogar selbst produzieren.

Das Hörspiel vereint in sich nicht nur Sprache, Musik und die gesamte Palette der akustischen Welt, sondern auch typische mediale Arbeitsschritte wie Texterstellung oder die dialogische Umsetzung literarischer Textvorlagen, Inszenierungsstrategien, Regiekonzeptionen und eine zielorientierte Suche nach geeigneten Stimmen, die eine literarische Textvorlage in ein spielerisches Hörereignis zu übertragen vermögen und dabei mit Leben erfüllen. Schließlich sollen spannende Geschichten mit Hilfe dieser Stimmen, mit Geräuschen und Musik so kunstvoll arrangiert werden, dass Emotionen von ganz eigener Qualität erzeugt werden und sich dabei bildhafte Szenen in unserer Phantasie entwickeln. Das Hörspiel gilt auch deshalb als die Königsdisziplin des Radios.

Aber wie entsteht so ein Hörspiel? Wie müssen die Geschichten aufgebaut sein? Wie wird Musik und Geräusch dramaturgisch sinnvoll eingesetzt? Nach welchen Kriterien werden Stimmen ausgewählt und im Studio aufgenommen und wie werden Sound und die Musik produziert?

Eigene Hörspiele im Home-Recording-Verfahren aufzunehmen und zu produzieren sind heute im digitalen Zeitalter keine große Herausforderung mehr. Aber viele Hobby-Produzenten stoßen hierbei schnell an die Grenzen des Machbaren. Oftmals scheitern solche Produktionen bereits an der Klangqualität der Sprachaufnahmen. Dieser Ratgeber ist deshalb als praktische Hilfe für die Vorbereitung eines professionellen Hörspielprojekts zu verstehen, das allen Beteiligten einen unmittelbaren Einstieg in die aktive Hörspielarbeit ermöglichen soll. Mit einem induktiven, sukzessive erkennenden „Herantasten“ an das Thema Hörspiel macht es dem Leser die grundlegenden Gestaltungsmittel bewusst und sensibilisiert vielleicht nachhaltig für die spätere Rezeption von Werken anderer Autoren. Alle hier unterbreiteten Beispiele und praktischen Hilfen sollen eventuelle Wissenslücke schließen und dem Leser, beispielsweise Autoren oder Sprechern, Selbst- oder Miniverlegern, aber auch Schulen, Unternehmen und allen anderen, die an die Realisation einer eigenen Hörspielproduktion denken, die Vorbereitung und Durchführung eines eigenen Hörspielprojekts erleichtern.

Die Beschäftigung mit dem Thema Hörspiel ist darüber hinaus auch ein wichtiger Bestandteil medienpädagogischer Arbeit, denn in einer Zeit wachsender Bedeutung und Wirkung der Medien wird es immer wichtiger, aktive Medienarbeit zu unterstützen und grundlegende Medienkenntnisse zu vermitteln. Der Leser erhält deshalb mit Hilfe dieses Ratgebers die Möglichkeit sich mit den eigenen Stärken und Fähigkeiten auseinanderzusetzen und somit auch neue Fertigkeiten zu erlernen. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Stimme, mit Geräuschen und Musik sensibilisiert für die Welt der Klänge und trainiert gleichzeitig auch ein aktives Zuhören, denn Medienkompetenz bedeutet schließlich auch die Fähigkeit, Medien und ihre Inhalte den eigenen Bedürfnissen entsprechend zielorientiert und sinnvoll nutzbar machen zu können. Und dies ist für viele Menschen heute eine der wichtigsten Kompetenzen überhaupt. Da wir im Alltag einer permanent ansteigenden medialen Überreizung ausgesetzt sind, müssen wir manchmal erst wieder neu erlernen in diesem „Dauerrauschen“, diejenigen Informationen herauszufiltern, die für unsere eigene Orientierung wichtig sind. Der bewusste Umgang mit visuellen Medien und die strikte Beschränkung auf wesentliche Inhalte regt vor allem unsere Phantasie an. Ein eigenes Hörspielprojekt kann uns dabei sehr hilfreich unterstützen.

Ausgehend von einem Klassiker der modernen Literaturgeschichte, der Erzählung „Hopp-Frosch“ von Edgar Allan Poe, werden in diesem Buch von Kapitel zu Kapitel, also chronologisch, alle entsprechenden Aufgaben bei der Entwicklung einer professionellen Hörspielproduktion schrittweise erläutert. Kurze praktische Übungen sollen für die Möglichkeiten sensibilisieren, wie prosaische Erzählsituationen akustisch umgesetzt werden können. Der Leser erhält so wertvolle theoretische Informationen über die verschiedenen Arten und Möglichkeiten der Texteinrichtung und Gestaltung und kann sich gleichzeitig auch die wichtigsten Grundkenntnisse über die Kunst des Dialogeschreibens aneignen.

In nachfolgenden Kapiteln werden, auf die so erlangten Grundkenntnisse aufbauend, weitere wichtige Themen wie die Sprecherauswahl, die Sprachaufnahmen, die Regieführung und Musikauswahl, Geräusch- und Tonmischung bis hin zum fertigen Hörspiel in einzelnen Arbeitsschritten produktionsbegleitend und praxisnah erklärt.

Peter Eckhart Reichel

 

Vom Hören zum Sehen

Zuhören und Kommunizieren sind einerseits wichtige Grundvoraussetzungen für das Lernen, andererseits bilden sie aber auch die Basis für die sprachliche Entwicklung eines Menschen. Das genaue Hören und Lauschen gehören nach heutigem Forschungsstand zu den wichtigsten Voraussetzungen des Schriftspracherwerbs. Diese Voraussetzungen stehen am Beginn einer langen Reihe von weiteren erlernbaren Fähigkeiten, die ich hier nachfolgend kurz erklären, bzw. dem Leser nochmals ins Gedächtnis zurückrufen möchte, da sie auch die Grundlagen für eine erfolgreiche Hörspiel-Arbeit bilden und unser Verständnis für die vielfachen Wechselbeziehungen, ausgehend vom Hören bis zum aktiven Zuhören, verdeutlichen sollen.

„Nicht sehen können heißt, die Menschen von den Dingen trennen, nicht hören können heißt, die Menschen von den Menschen trennen.“

Immanuel Kant zugeschrieben / deutscher Philosoph (1724-1804)

Hören ist der erste Sinn, der sich beim Menschen entwickelt. Lange bevor ein Kind sehen kann, kann es bereits im Mutterleib hören. Wenn ein Baby geboren wird, hat es schon mehrere Monate „Hörerfahrung“ hinter sich. Etwa 24 Wochen nach der Befruchtung ist beim menschlichen Embryo die Cochlea, die Hörschnecke, voll ausgereift. Herzschlag, Sprache und Atemgeräusche der Mutter sowie Außengeräusche (ab 90 Dezibel Lautstärke) können gehört werden. Ab dem 7. Monat erkennt der Fötus die Stimme der eigenen Mutter und speichert diese Informationen in seiner Großhirnrinde ab. Das Gehör ist deshalb unser wichtigstes Sinnesorgan. Vor allem in den ersten Lebensjahren hat die Funktionsfähigkeit des Gehörs größte Bedeutung für die kognitive, sprachliche, intellektuelle und psychosoziale Entwicklung eines Menschen. Den Großteil unserer Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen erwerben wir über die auditive Wahrnehmung der Umwelt. Hörer sind auch imstande, sich allein aufgrund der Stimme ein (imaginäres) Bild des Anderen zu verschaffen. Weil uns die Stimme am Telefon getrennt von der Person des Sprechenden erreicht, bringen wir ihr aller höchste Aufmerksamkeit entgegen. Nichts lenkt uns von der Stimme ab, kein Blickaustausch, keine Mimik oder Gestik. Allein aufgrund der Stimme bilden wir uns eine Vorstellung über die Beschaffenheit und das Aussehen unserer Gesprächspartner. Ein Phänomen, was uns beim Lesen eines Romans oder auch beim Hörspiel wiederbegegnen wird.

Hörverstehen (auch: verstehendes Hören) ist nicht gleichzusetzen mit Hören. Hörverstehen heißt, das Gehörte und Verstandene in die eigenen Erwartungen und Erfahrungen einzubeziehen und sinnvoll in Beziehung zu setzen. Beim Hörverstehen werden Äußerungen aktiv interpretiert, und enthaltende Handlungsanweisungen entweder durchgeführt bzw. bewusst abgelehnt. Die Zuhörer und Zuschauer sind am Sinn einer Information beteiligt. Diese Verarbeitungsprozesse verlaufen weitgehend wechselseitig parallel und interaktiv. So wie im Sprechdenken das Formulieren und damit die Planung beim Sprechen zeitlich begrenzt ist, verhält es sich beim Hörverstehen hinsichtlich der Aufnahme von Informationen gleichermaßen, da der Rezeptionsvorgang nicht wiederholt werden kann, der Schall des gesprochenen Wortes vergänglich und die Aufmerksamkeitsspanne begrenzt ist. Entsprechend muss das Gesprochene unmittelbar verstanden werden und kann nicht, wie im Schriftlichen, zurückblätternd, noch einmal nachgelesen werden. Das Verstehen mündlicher Sätze ist deshalb mehr als Hören und Aufnehmen. Das Hörverstehen geschieht in denselben Schritten wie das Sprechdenken. Entsprechend ist das Zuhören im Sinne des Hörverstehens ein aktiver und intentionaler (also ein in Absicht und zweckbestimmter) Vorgang. Man braucht beim Hören Pausen und Zäsuren, wie sonst soll man die vielen Informationen verarbeiten können? Und wie verhält es sich mit dem Sprechen?

„Die Sprache ist äußeres Denken, das Denken innere Sprache.“

Antoine de Rivarol / französischer Schriftsteller (1753 - 1801)

Sprechen bedeutet, mehr oder weniger logisch zusammenhängende Sinneinheiten vorausschauend zu planen und dabei eine Gliederung von Gedanken in sprecherische Einheiten zu produzieren. Der Begriff des Sprechdenkens beschreibt, was uns scheinbar selbstverständlich erscheint: Unsere Gedanken sollen im Sprechausdruck sinnübertragend übermittelt werden. Sprechdenken ist also die Übersetzung des Denkens mittels Sprache durch verbaler (aber auch nonverbaler) Informationsübermittlung. Es versteht sich, dass ein öffentliches Vorsprechen/Vorlesen (etwa vor einem Publikum) weniger authentisch wirkt als ein freies Sprechen, denn wir sprechen bereits in diesem Fall eine ausformulierte, also mehr oder weniger literarische Sprache. Lesen wir aber den gleichen Text in einem Aufnahmestudio (ohne Publikum) laut vor, verführt das vor dem Mikrofon manchmal dazu, den Wegfall von Mimik und Gestik durch allerlei Manierismen oder Stilisierungen kompensieren zu wollen. Oft werden diese sprecherischen Fähigkeiten von einem Regisseur geradezu abverlangt, d. h. der Sprecher soll genau so vorlesen, als würde er frei sprechen. Und genau darin besteht bereits ein beträchtlicher Teil der Kunst des Mikrofonsprechens. Der Grund hierfür ist ganz einfach: Der Zuhörer verlangt nach einer Authentizität, sonst wird er der gehörten Geschichte kaum oder nur wenig Glauben schenken. Manieriertheiten oder Stilisierungen beispielsweise gehören also dann zum Charakteristikum eines Textinhaltes, wenn sie damit auch einer natürlich klingenden Interpretation dienen. In jedem Fall bedeutet authentisches Sprechen in einer für die Ohren glaubhaften Diktion, also besonderen Ausdrucksweise- oder Sprechform einen Empfänger erreichen zu wollen. „Sprechen und Hören ist Befruchten und Empfangen.“ Auf diese kurze Gleichung brachte es schon der Dichter Novalis, lange Zeit bevor der Rundfunk entdeckt wurde.

Hörspiele zu sprechen ist also etwas anders als Lesen oder Vorlesen aber auch keine reine Schauspielerei. Die Hörspielsprecher oder Schauspieler müssen mit ihrem Instrument Stimme spielen statt lesen, können aber dabei nicht auf ihre Mimik oder Gestik zurückgreifen. Alle ihre verbalen Fähigkeiten liegen allein in ihrer Stimme. Wie funktioniert das?

Die Sprecher müssen ihre Stimme trainieren, sie müssen in der Lage sein mit ihrem Instrument Imaginationsräume zu erschaffen, sie müssen lernen in unterschiedliche Rollen und Charaktere zu schlüpfen und mit Emotionen zu spielen. Sprechen muss beispielsweise Autorität, Glaubwürdigkeit und Kompetenz assoziieren, muss Zuhörer begeistern und ihre Aufmerksamkeit fesseln. Vor allem aber entscheidet die Art des Sprechens darüber, ob jemand als sympathisch empfunden oder abgelehnt wird. Sprechen ist also durchaus als Kunst zu verstehen.

„Lesen heißt durch fremde Hand träumen.“

Fernando Pessoa / portugiesischer Schriftsteller (1888-1935)

Lesen bedeutet im engeren Sinn ein visuelles oder auch taktiles Umsetzen von Schriftzeichen in Lautsprache. Es umfasst alle Buchstabenlaute, Sprechsilben, Wörter, Zeichen, Sätze und ganze Textabschnitte sowie die Textinterpretation.

Wenn der Spracherwerb erfolgreich abgeschlossen ist, können wir unser Wissen durch die Lektüre geschriebener Texte erweitern. Bücher enthalten aber nichts anderes als Sprache, die in visuell verwertbaren Codes festgehalten ist. Dennoch: Der Mensch nimmt auditiv etwa drei Mal so viele Informationen auf wie per Schrift. Vielleicht ist deshalb unser Gehirn besonders trickreich, denn es ermöglicht uns die einzigartige Fähigkeit, bereits beim Lesen (beispielsweise eines Romans) der Sprache aller darin handelnden Figuren eine eigene Stimme zu verleihen. Beim Lesen entstehen so ganze Bilder und durch den Rhythmus der Sprache vermeint man sogar, Geräusche hören zu können. Bücher leben von Spannungs- und Unterhaltungseffekten, sie können Emotionen, sogar bewegte Bilder und starke Phantasien auslösen. Diese Affekte werden von vielen Menschen teilweise so geschätzt, dass sie dasselbe Buch immer wieder lesen.

„Der eine schreibt, weil er sieht, der andere, weil er hört.“

Karl Kraus / österreichischer Schriftsteller und Publizist (1874-1936)

Kreatives Schreiben ist eine Bezeichnung für Schreibansätze, die davon ausgehen, dass Schreiben ein sprachlich- künstlerischer Prozess ist, zu dem jeder Mensch methodisch angeleitet werden kann. Wird Kreatives Schreiben in einem weiteren Sinn verstanden, so fallen unter den Begriff sämtliche Schreibformen, die auf Ideenfindungen und deren schriftlichen kreativer Umsetzung zurückgreifen. In diesem weiteren Sinne reicht die Geschichte des Kreativen Schreibens weit bis in die Antike zurück. Jede Form des Kreativen Schreibens erfordert spezielle Kenntnisse und das Wissen besonderer Gesetzmäßigkeiten und deren Anwendung. Die Kunst einen spannenden Roman schreiben zu können ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Fähigkeit, auch ein spannendes Filmdrehbuch zu verfassen. Das literarische kreative Schreiben zielt zunächst auf klassische Lyrik- und Prosaformen der Literatur sowie auf szenisches Schreiben. Unter szenischem Schreiben verstehen wir das Verfassen von dramatischen Texten (Theaterstücke, Hörspiele) und Drehbüchern für Film und Fernsehen. Kreatives Schreiben besteht aus 95% Übung, 2,5% Technik und 2,5% Talent. Jede Schreibtechnik ist erlernbar.

„Wenn Sie wirklich zuhören, dann geschieht dabei ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass Sie ganz bei dem sind, was gesagt wird, und gleichzeitig Ihren eigenen Reaktionen lauschen.“

Jiddu Krishnamurti / indischer Philosoph und Autor (1895-1986)

Aktives Zuhören Bei der Sprachförderung ist zum Beispiel Zuhören eine wesentliche Voraussetzung für den Spracherwerb – die Melodie und den Rhythmus einer Sprache erlernen, das kann man nicht per Schrift vermitteln. Jede Sprache hat ihren eigenen Rhythmus, ihre besondere Sprachmelodie und ihre spezifischen Laute. Nur wer genau hinhört, kann auch sprechen. Auch um das Vokabular, den Satzbau und die grammatischen Muster einer Sprache zu erfassen, ist genaues Zuhören unverzichtbar. Zuhören beflügelt wiederum das Lesen. Unter aktivem Zuhören wird sowohl eine innerliche als auch eine äußerliche Beteiligung der Zuhörer beim Erzählen von Geschichten verstanden. Das Entstehen „innerer Bilder“ bzw. das sich „aktiv ein Bild machen“ beim Lesen und beim Hören von Geschichten kennzeichnet hierbei die innerliche Beteiligung.

Zuhören heißt, sich zu konzentrieren, sich auf ein Gegenüber einzulassen, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wer zuhört, erweitert seinen Horizont, eröffnet sich neue Welten und gewinnt Einblicke in das Denken anderer Menschen. Zuhörfähigkeit ist eine grundlegende Kulturtechnik. Sie ist erlernbar und erfordert ein regelmäßiges Training, z. B. durch anhören von Hörspielen, bearbeiten von literarischen Texten oder sogar durch das Schreiben eigener Hörspielproduktionen. Alle diese Themen sind ein wichtiger Bestandteil der Hör- und Zuhörförderung. Unser aktives Zuhören, unser Hörverstehen, das Lesen, Schreiben, Sprechen, unsere Konzentrationsfähigkeit, die Entspannung und Anregung der Phantasie und nicht zuletzt unsere Kreativität werden so gefördert. Aktives Zuhören bedeutet deshalb: Geschichten hörend „sehen“ zu können. Die Handlung eines Hörspiels soll den Vorhang der „inneren Bühne“ öffnen und die Phantasie des Zuhörers beflügeln. Es ist jene Imagination, die heute sehr oft auch als „Kino im Kopf“ bezeichnet wird.

Und somit schließt sich die lange Reihe. Dieses Buch soll Sie bei allen diesen erlernbaren Fähig- und Fertigkeiten anleiten und gleichzeitig hilfreich unterstützen.

Kurze Einführung in das Genre und in die Geschichte des Hörspiels

1938, am Abend vor Halloween, strahlte der amerikanische Radiosender CBS das Hörspiel „Krieg der Welten“ aus. Dieses Hörspiel wurde von Orson Welles nach dem Buch von H.G. Wells als fiktive Reportage konzipiert. Die Geschichte vom Überfall der Marsbewohner auf die Erde hielten viele Hörer für einen Tatsachenbericht. Obwohl damals bei der Ursendung mehrfach auf den fiktionalen Charakter des Hörspiels hingewiesen wurde, breitete sich Angst aus. Die »Invasion der Außerirdischen« als Live-Reportage inszeniert, ist heute ein klassisches Beispiel dafür, welche suggestive Macht durch die geschickte Inszenierung eines erfundenen Stoffes ausgehen kann. Ein raffinierter Regieeinfall reichte damals aus, um aus purer Fiktion (es war eigentlich ein Fake) Realitätsempfinden entstehen zu lassen. Das Hörspiel »Krieg der Welten« machte den damals 23-jährigen Orson Welles berühmt und das Genre Hörspiel überaus populär. Begonnen hat aber die Geschichte des Hörspiels schon sehr viel früher und ist eng mit der Entwicklung des Rundfunks verbunden.

1917 In Deutschland wird die erste „Sendung“ aus dem Jahr 1917 dokumentiert. Hans Bredow und Alexander Meissner übertragen mit einem Röhrensender nicht nur Musik, sondern auch Vorlesungen aus Zeitungen und Büchern.

1919 Hauptfunkstelle der Reichspost in Königswusterhausen beginnt Versuche zur Übertragung von Nachrichten und Musiksendungen aus 80 Postämtern in Deutschland, Funkberichte über Sitzungen der Nationalversammlung folgen.

1922 Am 3. August 1922 wurde das erste Hörspiel (eine Funkfassung des melodramatischen Theaterstücks „The Wolf“ von Eugene Walter vom Lokalsender WGY - Schenectady, New York ausgestrahlt.

1923 Beginn des Unterhaltungsrundfunks in Berlin (Sendestelle Berlin Voxhaus Welle 3000).

1924 Am 15. Januar 1924 wurde in London das erste Hörspiel „Danger“ von Richard Hughes durch den Äther geschickt. „Danger“ spielt bezeichnenderweise im Dunkeln eines Bergwerks, dessen Lichtversorgung unterbrochen ist. Dunkelheit als hörspieltypisches Element "Handlung ohne Bilder".

Am 24. Oktober 1924 wurde als erstes deutsches Hörspiel auf dem Frankfurter Sender Hans Fleschs Funkgroteske „Zauberei auf dem Sender“ ausgestrahlt. Bis zum August 1924 prägte man Begriffe wie Funkdrama, Sendungsspiel, Funkspiel. Erst Hans Siebert von Heister formuliert in der Zeitschrift „Der deutsche Rundfunk“ erstmals den Begriff „Hörspiel“. Inhaltlich überwiegen, neben der Adaption klassischer Dramen, die akustische Darstellung echter oder fingierter Katastrophen.

1925 Am 3. Januar 1925 wurde „Wallensteins Lager“ von Friedrich Schiller (Bearbeitung: Arnolt Bronnen) erste Aufführung eines ›literarischen Hörspiels‹ im deutschen Rundfunk. Die Schauspieler spielten in Kostüm und Maske.

1928/29 Durch die Funktionalisierung der Verstärker-Potentiometer im Studio der Schlesischen Funkstunde Breslau begann 1928/29 die Verwendung der Blende im Hörspiel - zuvor wurde durch das Abdecken des Mikrophons "manuell" abgeblendet. Die Blende sollte einen Wechsel in der Erzählstruktur verdeutlichen (Zeit-, Raum-, Bewusstseins-/Dimensions- und Ausdrucksblende).

1929 Seit Mitte 1929 sind Mitschnitte auf Wachsplatten möglich.

1930 26. März 1930, Integration von O-Tönen (von Schallplatte) in das Hörspiel: „Straßenmann“ von Hermann Kesser (Berliner Funkstunde). 13. Juni 1930, Erste vollständige Montage aus Geräuschen, Musikfetzen und Sprachpartikeln: „Weekend“ von Walter Ruttmann (Aufzeichnung auf Tonfilmstreifen).

1933-1945 wurde vor allem in Deutschland, wie alle anderen Kunstformen auch, das Hörspiel als künstlerisches Genre zu Propagandazwecken über die sogenannten „Volksempfänger“ mit einbezogen. So diente auch der inzwischen staatlich kontrollierte Hörfunk auf diese Weise nach seinen weitgehend unpolitischen Anfängen den Nationalsozialisten zur politischen Gleichschaltung der Massen. Im Jahr 1932, also kurz vor der Machtübernahme der Nationalsozialisten, waren bereits ca. 4.000.000 Rundfunkhörer registriert.

1938 Orson Welles produzierte „Krieg der Welten“. Dieses Hörspiel ist das vielleicht berühmteste, sicher wirkungsvollste Hörspiel aller Zeiten: obwohl als Hörspiel angekündigt, brach bei vielen Rundfunkhörern Panik aus, die Menschen verließen fluchtartig ihre Wohnungen, schrien, weinten, beteten und glaubten tatsächlich an das Ende der Welt.

Ab 1945 nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden neben literarischen Antikriegshörspielen auch viele Features. Die künstlerische und redaktionell-organisatorische Trennung zwischen Hörspiel und Feature wurde vollzogen. Besonders in Europa begann eine Blütezeit des Hörspiels. Wer die Hörspielkultur der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts verstehen will, kommt an den akustischen Werken namhafter Autoren und Autorinnen, wie beispielsweise Ilse Aichinger, Ingeborg Bachmann, Heinrich Böll, Günter Eich oder Max Frisch nicht vorbei.

1951 wurde erstmals der „Hörspielpreis der Kriegsblinden“ vergeben. Er entwickelte sich bis heute zu einer der bekanntesten literarischen Auszeichnungen für akustische Kunstwerke.

1963 Der WDR beginnt „stereophonische“ Testsendungen auszustrahlen.

1967 Erstmals wurden im Hörspiel die Gestaltungsmöglichkeiten der Stereophonie genutzt. Am 5. April wird „Hühner“ von Peter Leonhard Braun (Feature, SFB) ausgestrahlt.

1973 Am 3. Oktober 1973 wird das erste Hörspiel in Kunstkopf-Stereophonie: „Demolition“ von Alfred Bester (RIAS, BR, WDR) gesendet.

1992 Am 29. März 1992 wird das Hörspiel in Quadrophonie-Technik: „Billy the Kid jagt Georg Tee“ von Egon A. Prantl (ORF) ausgestrahlt.

1999 Das erste Radio-Hörspiel in Surround-Technik: „Torn-Zerrissen“ von John King (SWR) entsteht.

Diese Chronik wird an dieser Stelle beendet. Sie erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Technische, mediale, ästhetische und personelle Veränderung haben die Hörspielkunst immer wieder herausgefordert und verändert und werden sie auch in der Zukunft immer wieder verändern. Heute ist das moderne Hörspiel eine akustische Kunst zwischen Ton und Wort und beruht auf Wort, Musik und Geräusch. Das Hörspiel ist damit die einzige Kunstform, die nur gehört werden kann. Bis in unsere Gegenwart streiten sich Rundfunk-Theoretiker wie auch Hörspiel-Redakteure über die Bedeutung und genaue Definition dieses Genres „Hörspiel“ und suchen emsig nach eventuellen künstlerischen Weiterentwicklungstendenzen oder Einordnungen dieser Kunst in neue Gattungsbegriffe. Es wäre daher sehr mühsam, jede einzelne Tendenz oder Stilrichtung genauer zu untersuchen. Oftmals zeigen uns gegenwärtige Klang- oder Sprachexperimente, Re-Mixturen oder die Versuche einer Weiterentwicklung der erprobten Hörspieldramaturgie eigentlich nur, das sich hierbei nur sehr wenig, wirklich Neues etablieren lässt. Das Rad neu zu erfinden soll deshalb nicht das Ziel dieses Ratgebers sein. Werfen wir deshalb besser einen prüfenden Blick auf die Tradition der Hörspielkunst vergangener Tage und versuchen wir einiges daraus zu lernen.

Die Schriftstellerin Ingeborg Bachmann (1926-1973), die sich in der Geschichte der Hörspielkunst nach 1945 auch als Hörspielautorin einen Namen gemacht hat, beschrieb einmal in nur wenigen Sätzen, wie ein Hörspiel aus ihrer poetischen Sicht gestaltet sein sollte:

Es ist leicht gesagt, es muss zum Hören gemacht sein. Es muss Gesten, Gesichter, Kostüme, Abgänge, Auftritte und den Vorhang entbehren können. Es muss alles mit Worten sagen und mit Worten verschweigen können. Die Worte müssen erröten oder verzweifeln oder verletzen, denn ich kann dem Hörer nicht Yorks Schädel zeigen, keine Verkleidung, kein Taschentuch, das fällt und eine Verwicklung einleitet, die zum Tod führt. Das Hörspiel hat eine Innenbühne, einen Innenraum, der dem Zuhörenden offen stehen soll, damit er hinein hören kann. Er kennt diese Bühne, er kennt diesen Raum, er trägt ihn ja in sich. Vor allem gibt es Bezirke, wo das Zeigen nicht hinkommt. Darum habe ich meistens versucht, den Dialog dort anfangen zu lassen, wo er auf der Bühne anfangen muss…Ob es eine Hörspielform gibt, weiß ich nicht. Jedenfalls sicher keine, die man einem schon existierenden Spiel abschauen könnte.“

(Quelle: Hiesel, Franz: Begonnen hat alles mit der Aktivität literarischer Grenzgänger: Das österreichische Hörspiel. In: Thomsen, Christian W. und Schneider, Irmela (Hrsg.): Grundzüge der Geschichte des europäischen Hörspiels. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1985, S.149 f.)

„Wir können jedenfalls nicht definitiv feststellen, dass es das Hörspiel gibt und somit dann auch nicht die Dramaturgie des Hörspiels, denn es gibt nahezu unbegrenzt viele Möglichkeiten und ebenso viele Hörspielformen.“

(Dr. Lutz Volke, Leiter der Hörspielabteilung beim RBB)

Versuchen Sie einmal einige Ihnen bekannte Hörspiele in Schubladen einzuordnen, zum Beispiel dramatische, epische oder lyrische oder literarische und dokumentarische Hörspiele. Ferner das Originalton-Hörspiel, das sogenannte Neue Hörspiel, das experimentelle, für Schall- oder Klangspiele, für akustische Collagen, biografische als auch autobiografische Hörspiele, Hörspieladaptionen oder Pop-Hörspiele.

Alle diese Bezeichnungen hat es in der über 90-jährigen Geschichte des Hörspiels schon gegeben. Mit anderen Worten: Eine eindeutige Form des Hörspiels lässt sich nicht festmachen. Sie ist nach allen Seiten hin offen. Das akustische Medium gestattet daher unerhört viele »Spiel«- Arten und Freiheiten. Wie schon Helmut Heißenbüttel im „Horoskop des Hörspiels“ feststellte: „Alles ist möglich. Alles ist erlaubt“.

Spätestens an dieser Stelle müssen wir feststellen, dass uns alle bisherigen theoretischen Reflexionen allein nicht weiterhelfen werden. Wir benötigen deshalb einen Bezug zur Praxis, nach Möglichkeit eine literarische Vorlage, die uns den Weg zum eigenen Hörspielmanuskript verdeutlichen kann.

Ich habe mich deshalb auf die Suche nach einer dafür geeigneten literarischen Textvorlage gemacht und bin bei einem Klassiker fündig geworden.

Der britisch-amerikanische Schriftsteller Edgar A. Poe (1809-1849) gilt heute als Erfinder etlicher verschiedener literarischer Genres und Gattungen, so schrieb er als einer der ersten Autoren Detektivgeschichten, tiefgründige Gruselgeschichten oder Short Stories. Er beeinflusste nicht wenige Autoren durch seinen Stil und seine Literaturtheorien, insbesondere die französischen Symbolisten. Seine Literaturtheorie nahm den New Criticism (eine literaturkritische und –theoretische Richtung des 20. Jahrhunderts) vorweg, wobei insbesondere seine Theorie der Short Story ("unity of effect") immensen Einfluss auf nordamerikanische Autoren ausübte, sich aber auch bis nach Europa ausdehnte. Ohne Poe wären nachfolgende Autoren wie Hawthorne, Twain, H.P. Lovecraft, H.G. Wells und Jules Verne, ja sogar ein Stephen King nur schwer vorstellbar.

Seine Kurzgeschichte „Hopp-Frosch“ (die uns durch dieses Buch als Arbeitsgrundlage begleiten wird) war eine seiner letzten Erzählungen, die er vor seinem mysteriösen Tod schrieb und publizierte. In seiner im beißenden Ton geschriebenen, ja, von Verbitterung charakterisierten Darstellung, führte er dem Leser einen Hofstaat mitsamt Monarchen in ihrer banalen und deshalb auch gefährlichen Lächerlichkeit vor, in dem er zeigte, wie ein König und seine sieben Minister gemeinsam einen Hofnarren „Hopp Frosch“ aus Lust und Laune heraus demütigen und schließlich sogar seine Gefährtin „Tripetta“ gewaltsam erniedrigen. Der ganze Hofstaat agiert nur nach dem Lustprinzip und besonders die Minister reagieren auf jede Laune ihres unterhaltungssüchtigen Monarchen wie Speichellecker. Der König wiederum mag keine geistreichen Witze, sie sind ihm suspekt. Die Geschichte nimmt ihren unaufhaltsamen Lauf und gipfelt schließlich in einem Rache- und Befreiungsakt der beiden Unterdrückten.

Der emotionale Effekt, den das literarische Werk auf den Leser ausüben sollte, war für Edgar A. Poe von zentraler Bedeutung. Ein Autor sollte sich stets darüber im Klaren sein, welchen Effekt er im Leser anstrebe und er sollte dieses Ziel auf allen Ebenen des Werkes (u. a. im Plot, den Charakteren und Motiven) stets verfolgen.

Wenn Sie die „Hopp-Frosch“ - Geschichte bisher noch nie gelesen haben sollten, bzw. falls Sie sie vor längerer Zeit schon einmal gelesen haben und dennoch nicht mehr genau wissen, worum es genau in dieser Geschichte geht, empfehle ich an dieser Stelle, den nachfolgenden Text nun in aller Ruhe (nochmals) zu lesen. Achten Sie bitte schon jetzt darauf, was Poe mit den emotionalen Effekten gemeint haben könnte. Prägen Sie sich diese inneren Bilder ein, wir werden diese Eindrücke zu einem späteren Zeitpunkt dringend benötigen. Es ist auf jeden Fall sehr wichtig, diese Geschichte zunächst zu lesen. Sie sollen sich als Leser ein eigenes „Bild“ davon machen und ihre persönlichen Eindrücke sammeln.

Fertigen Sie sich bereits während der Lektüre eigene Notizen an.

Wo und wann spielt die Geschichte?

Wer sind die Hauptpersonen?

Wer „erzählt“ die Geschichte? etc.

Notieren Sie sich alles, was Ihnen auffällt oder wichtig erscheint.

Hopp-Frosch“ von Edgar Allan Poe (deutsche Übersetzung)

 

Ich habe niemals jemand gekannt, der so sehr zu Scherz und Spaß aufgelegt war wie der König; es war geradezu sein Lebenselement. Eine lustige Geschichte gut erzählen – das war der sicherste Weg, sich bei ihm in Gunst zu setzen. So kam es, daß seine sieben Minister alle dafür bekannt waren, vollendete Spaßmacher zu sein. Sie glichen auch sonst dem König: sie waren nicht nur unvergleichliche Witzbolde, sondern auch große, korpulente, fette Männer. Ob die Leute vom Scherzen fett werden oder ob die Veranlagung zu Spaß und Scherz bei fetten Leuten besonders stark entwickelt ist, habe ich nie ganz genau feststellen können; Tatsache aber ist, daß ein magerer Spaßmacher ein seltener Vogel ist. Aus den Feinheiten oder, wie er sagte, dem »Geist« des Witzes machte der König sich wenig. Er bewunderte hauptsächlich die Breite eines Scherzes, und um ihretwillen ließ er sich auch die Länge gefallen. Feinheiten langweilten ihn, und alles in allem gefiel es ihm noch besser, einen Streich auszuführen, als einen erzählt zu bekommen.

Zu der Zeit, in der meine Geschichte spielt, waren berufsmäßige Spaßmacher bei Hofe noch nicht ganz aus der Mode gekommen. Mehrere Mächte des Kontinents hatten noch ihre Narren, in Narrenkleid und Schellenkappe, die zum Dank für die Brosamen, die ihnen an des Königs Tische zufielen, stets zu Spott und Witz bereit sein mußten.

Unser König hatte selbstverständlich auch seinen Hofnarren. Tatsache ist, daß er ein wenig Narrheit um sich brauchte – sei es auch nur als Gegengewicht gegen die ungeheure Weisheit der sieben weisen Männer, seiner Minister – von ihm selbst gar nicht zu reden.

Sein Narr war jedoch nicht nur ein Narr. Sein Wert wurde in den Augen des Königs dadurch verdreifacht, daß er außerdem ein Zwerg und ein Krüppel war. In jenen alten Tagen waren Zwerge am Hof nicht seltener als Narren, und viele Herrscher hätten es schwer gefunden, die Tage hinzubringen – und bei Hofe sind die Tage länger als sonstwo – ohne einen Spaßmacher, mit dem sie lachen, und einen Zwerg, über den sie lachen konnten. Doch wie ich schon bemerkte, sind in neunundneunzig von hundert Fällen die Witzbolde fett, rund und schwerfällig, so daß unser König sich wirklich gratulieren konnte, in Hopp-Frosch, das war des Narren Name, in einer Person einen dreifachen Schatz zu besitzen.

Ich glaube nicht, daß der Zwerg schon bei der Taufe den Namen Hopp-Frosch erhielt, er verdankte ihn vielmehr dem weisen Rat der sieben Minister und seiner eigenen Unfähigkeit, wie andere Menschen aufrecht einherzugehen. Hopp-Frosch konnte sich nur mittels eines ganz absonderlichen Verfahrens vorwärts bewegen, es war halb ein Sprung, halb ein schlängelndes Vorschleudern des Körpers, eine Gangart, die allen bei Hofe unglaublichen Spaß machte und dem König ein rechter Trost war, denn im Vergleich zu seinem Narren galt er selbst trotz seines gewaltigen vorspringenden Bauches und seines mächtigen Wasserkopfes für einen schöngebauten Mann.

Obgleich Hopp-Frosch infolge seiner mißgestalteten Beine sich nur mühsam und unter Schmerzen vorwärts zu bewegen vermochte, so konnte er, wenn es sich ums Klettern handelte, ganz Außergewöhnliches leisten. Die Natur hatte ihn für die Unvollkommenheit seiner unteren Gliedmaßen mit einer unerhörten Muskelkraft der Arme ausgestattet. Wenn er so auf Bäumen und an Seilen herumkletterte, glich er eher einem Eichhörnchen oder einem kleinen Affen als einem Frosch. Ich bin nicht imstande, mit Bestimmtheit anzugeben, aus welchem Lande Hopp-Frosch stammte. Jedenfalls war es irgendeine unwirtliche Gegend, von der niemand etwas wußte und weit entfernt vom Hofe unseres Königs. Hopp-Frosch und ein junges Mädchen von fast ebenso zwerghafter Gestalt wie er selbst – nur daß sie wohlproportioniert und eine wunderbare Tänzerin war – waren aus ihrer Heimat gewaltsam in benachbarte Provinzen verschleppt worden, von wo einer seiner stets siegreichen Generale sie dem König zum Geschenk sandte.

Unter solchen Umständen ist es nicht verwunderlich, daß zwischen den beiden kleinen Gefangenen eine innige Freundschaft erwuchs. Hopp-Frosch, der trotz seiner Kurzweiligkeit keineswegs beliebt war, war nicht in der Lage, Tripetta große Dienste erweisen zu können; sie aber wurde trotz ihrer Zwergengestalt, dank einer seltenen Anmut und Lieblichkeit allgemein verehrt und verhätschelt; sie hatte also eine große Macht und versäumte nie, sich ihrer, sobald es not tat, zugunsten von Hopp-Frosch zu bedienen.

Anläßlich irgendeines großen Staatsereignisses – was es war, habe ich vergessen – hatte der König beschlossen, ein Maskenfest zu geben, und wann immer ein Maskenfest oder dergleichen an unserem Hofe stattfinden sollte, rief man die Talente Hopp-Froschs und Tripettas zu Hilfe. Denn der Zwerg war so erfinderisch in der Zusammenstellung von Festaufzügen und wußte so prächtige Masken zu ersinnen, daß es war, als sei ohne ihn nichts zu machen.

Die Festnacht war gekommen. Eine glänzende Halle war unter Tripettas Aufsicht mit allem ausgeschmückt worden, was geeignet schien, einen stimmungsvollen Hintergrund für ein Maskenfest zu schaffen. Der ganze Hof war in fieberhafter Erwartung. Was die Wahl der Masken und Kostüme anlangte, so hatten viele schon Wochen ja Monate vorher beschlossen, welche Rolle sie zu spielen gedachten, und wirklich gab es auch keine Unentschlossenheit mehr – ausgenommen beim König und seinen sieben Ministern. Warum gerade sie noch zögerten, wüßte ich nicht zu sagen, es sei denn, weil ihnen dies spaßhaft vorkam. Wahrscheinlich ist, daß es ihnen schwer fiel, für ihre fetten Gestalten eine passende Verkleidung zu finden. Kurzum, die Zeit entfloh, und als letzte Rettung ließen sie Tripetta und Hopp-Frosch rufen.

Als die beiden kleinen Freunde kamen, fanden sie den König mit den sieben Mitgliedern seines Kabinettsrates beim Weine sitzen. Aber der Herrscher schien übler Laune zu sein. Er wußte, daß Hopp-Frosch den Wein nicht liebte, da das Trinken stets den armen Krüppel bis zum Wahnsinn aufregte, und Wahnsinn ist kein angenehmer Zustand. Aber dem König, der es liebte, jemand einen Schabernack zu spielen, machte es Spaß, Hopp-Frosch zum Trinken zu zwingen und ihn – wie der König es nannte – lustig zu machen.

»Komm her, Hopp-Frosch«, sagte er, als der Spaßmacher und seine kleine Gefährtin ins Zimmer traten. »Leere diesen Becher auf die Gesundheit deiner fernen Freunde – hier seufzte Hopp-Frosch – und dann begnade uns mit deiner Erfindungsgabe. Wir brauchen Rollen, Rollen, Mann, irgendetwas Neues, noch nicht Dagewesenes! Wir haben das ewige Einerlei satt. Komm, trink! Der Wein wird dich erleuchten.« Hopp-Frosch versuchte wie immer so auch diesmal des Königs wohlwollende Ansprache mit einem Scherz zu beantworten, aber die Anstrengung war zu groß. Gerade heute nämlich war des armen Zwerges Geburtstag, und der Befehl, seinen »abwesenden Freunden« zuzutrinken, zwang ihm Tränen in die Augen. Große und bittere Tropfen fielen in den Kelch, den er demütig aus der Hand des Tyrannen entgegennahm.

»Ah! Ha! ha! ha!« grölte letzterer, als der Zwerg den Becher widerwillig leerte. »Seht, was so ein Glas guten Weins vermag! Wahrhaftig, deine Augen glänzen schon!«

Armer Kerl! Seine großen Augen glänzten nicht nur, sie glühten, denn auf sein leicht erregbares Hirn hatte der Wein nicht nur eine gewaltige, sondern auch eine augenblickliche Wirkung. Er stellte den Becher mit bebender Hand auf den Tisch und sah sich mit halb irrsinnigen Blicken in der Gesellschaft um. Alle Anwesenden hatten ihre Freude an dem sichtlichen Erfolg des königlichen »Scherzes«.

»Und jetzt an die Arbeit!« sagte der Premierminister, ein sehr fetter Mann.

»Ja«, sagte der König. »Komm, Hopp-Frosch, leihe uns deinen Beistand. Charakterrollen, mein hübscher Junge! Es mangelt uns an Charakteren, uns allen, ha! ha! ha!« Und da diese Äußerung offenbar scherzhaft gemeint war, stimmten seine sieben Minister in sein Lachen mit ein.

Hopp-Frosch lachte auch – aber nicht sehr herzhaft.

»Vorwärts, vorwärts«, sagte der König ungeduldig, »kannst du uns keinen Vorschlag machen?«

»Ich bin bemüht, etwas Neues zu ersinnen«, antwortete der Zwerg zerstreut, denn er war trunken vom Wein. »Bemüht!« schrie der Tyrann wütend. »Was meinst du damit? Ah, ich sehe, du bist mißgestimmt und brauchst noch mehr Wein. Hier trink!«

Und er goß einen zweiten Becher voll und bot ihn dem Krüppel, der nach Atem rang und sich nicht rührte.

»Trink, sage ich!« brüllte der Unhold. »Oder beim Teufel –«

Der Zwerg zögerte. Der König wurde purpurrot vor Zorn. Die Höflinge schmunzelten. Tripetta näherte sich leichenblaß dem König, warf sich vor ihm auf die Knie und beschwor ihn, ihren Freund zu schonen.

Der Tyrann war von ihrer Kühnheit verblüfft. Einen Augenblick sah er sie verwundert an. Er schien in großer Verlegenheit; – was sollte er tun, was sagen, wie seinem Zorn Luft machen? Endlich stieß er sie wortlos zurück und schüttete ihr den ganzen Inhalt seines Bechers ins Gesicht.

Das arme Mädchen erhob sich wankend und nahm, ohne auch nur einen Seufzer zu wagen, ihren Platz am Fuße des Tisches wieder ein.

Eine halbe Minute lang herrschte Totenstille, man hätte ein Blatt zu Boden fallen hören können. Da tönte in das Schweigen ein sehr leiser, doch scharfer und anhaltender knirschender Ton, der zu gleicher Zeit aus allen Ecken des Raumes hervorzuknarren schien.

»Warum – warum – warum, sage ich, machst du dieses Geräusch?« wandte sich der König an den Zwerg.

Letzterer schien sich von seiner Betrunkenheit ganz erholt zu haben; er sah dem König scharf, doch ruhig ins Gesicht und sagte nur:

»Ich – ich? Wie könnte ich das getan haben?«

»Der Laut schien von außen hereinzudringen«, bemerkte einer der Höflinge. »Vermutlich war es der Papagei dort am Fenster der seinen Schnabel an den Gitterstäben des Käfigs wetzte.«

»Möglich«, erwiderte der Herrscher und atmete befreit auf, »doch bei meinem Ritterwort, ich hätte schwören mögen, daß es das Zähneknirschen des Schurken hier war.«

Jetzt lachte der Zwerg – der König war ein zu eingefleischter Spaßmacher, als daß er irgendeinem das Lachen verübelt hätte – und enthüllte zwei Reihen großer, kräftiger, abstoßend wirkender Zähne. Überdies gab er seine völlige Bereitwilligkeit zu erkennen, so viel Wein zu schlucken, als man nur wünsche. Der König war befriedigt. Und nachdem Hopp-Frosch ohne scheinbar üble Wirkung einen weiteren Becher geleert hatte, begann er sogleich und mit Eifer sich für die geplante Maskerade zu interessieren.

»Ich kann nicht sagen, wie die Ideenverbindung mir kam«, bemerkte er so ruhig, als habe er nie in seinem Leben einen Schluck Wein über die Lippen gebracht. »Aber gerade nachdem Eure Majestät das Mädchen fortgestoßen und ihr den Wein ins Gesicht geschüttet hatten – gerade nachdem Eure Majestät das getan hatten und während der Papagei draußen am Fenster das seltsame Geräusch vollführte, kam mir ein köstlicher Spaß in den Sinn, einer der lustigen Streiche aus meiner Heimat und bei unsern Maskenfesten sehr beliebt. Hier aber wird er sicherlich ganz neu sein. Leider jedoch gehören dazu genau acht Personen, und –« »Sind wir ja!«, rief der König und lachte über seine rasche Entdeckung der Zahlenübereinstimmung. »Genau acht Mann, ich und meine sieben Minister. Vorwärts! Erzähle uns deinen Streich!«