Thibaut und Savigny Zum 100jährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland - Stern, Jacques - kostenlos E-Book

Thibaut und Savigny Zum 100jährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland E-Book

Jacques, Stern

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The Project Gutenberg eBook, Thibaut und Savigny, Edited by Jacques Stern

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Title: Thibaut und Savigny

Zum 100jährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland

Editor: Jacques Stern

Release Date: January 1, 2016 [eBook #50813]

Language: German

Character set encoding: ISO-8859-1

***START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK THIBAUT UND SAVIGNY***

E-text prepared by Norbert H. Langkau, Heike Leichsenring, and the Online Distributed Proofreading Team (http://www.pgdp.net)

Anmerkungen zur Transkription:

In Sans-Serif dargestellte Texte sind auch im Original in einer anderen Schriftart (Antiqua) als der Haupttext (Fraktur) gedruckt.

Eine Liste mit Korrekturen finden Sie am Ende des Buchs).

Thibaut und Savigny.Zum 100jährigen Gedächtnis des Kampfes um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland.1814. * 1914.Die Originalschriftenin ursprünglicher Fassung mit Nachträgen, Urteilen der Zeitgenossen und einer Einleitung

herausgegeben vonDr. Jacques Stern, Amtsrichter in Berlin.

Berlin, 1914.

Verlag von Franz VahlenW 9, Linkstr. 16.

Jedes Volk hat seinen Tag in der Geschichte,

doch der Tag des Deutschen ist die Ernte der ganzen Zeit.

Schiller

(aus einem unvollendeten Gedicht von Deutscher Größe, 1801).

Vorrede.

Klassische Schriften der Wissenschaft haben zunächst geschichtliche Bedeutung, indem sie uns die Auffassungen der Vergangenheit kennen lehren und damit die Keime der Gegenwart aufdecken. Darüber hinaus aber haben sie bleibenden Wert, soweit sie allgemeine, von Zeit und Ort unabhängige Gedanken enthalten.

Die Streitschrift Savignys, des größten deutschen Juristen im 19. Jahrhundert, »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft«, veranlaßt durch Thibauts Schrift »Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland«, gehört schon wegen ihrer programmatischen Bedeutung für die »historische Schule« zu den klassischen Schriften der Rechtswissenschaft. Die Kodifikation, die vor 100 Jahren Thibaut erstrebt und Savigny bekämpft hat, und zwar nicht bloß für seine Zeit, was im Gegensatze zur herrschenden Meinung über die alte und bedeutsame Streitfrage in diesem Buche bewiesen werden soll, ist um die Wende des 19. Jahrhunderts durch die Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich zur Wirklichkeit geworden. Trotzdem bleibt Savignys Gelegenheitsschrift mit ihrer »in der Geschichte vielleicht einzig dastehenden Wirkung« (Jhering zum Gedächtnis Savignys in den Jahrbüchern für Dogmatik V, 362) eben wegen der in ihr enthaltenen allgemeinen Gedanken von dauerndem Werte. Aber auch Thibauts Schrift ist mehr als ein interessantes Dokument der Zeitgeschichte. Nicht bloß als unmittelbare Veranlassung der Arbeit Savignys wird sie, untrennbar von dieser, fortleben, sondern als das Beste und Nachhaltigste, was über den Nutzen einer Kodifikation geschrieben worden ist.

In den Kämpfen der Gegenwart um die Grundfragen der Rechtswissenschaft greift man mit Recht immer wieder auf Savignys Programmschrift zurück; auch an Rückblicken auf Thibauts Abhandlung fehlt es hierbei nicht. Es ist daher nicht bloß ein Akt der Pietät, durch den der Juristenstand sich selber ehrt, wenn er die Erinnerung an seine Führer, insbesondere an den denkwürdigen Streit zwischen Thibaut und Savigny durch die Verbreitung ihrer eigenen Worte wach erhält, sondern von unmittelbarem praktischen Werte, beide Schriften vollständig im Original zur Hand zu haben.

Die Jünger der Rechtswissenschaft hören zwar auch heute schon in den ersten Anfängen ihres Studiums die Namen Savigny und Thibaut und die Titel ihrer beiden Schriften, zu Gesicht bekommen oder gar gelesen haben sie aber nur verschwindend wenige unter unseren heutigen deutschen Juristen. Es ist ein schlechter Trost, daß von dem gleichen Schicksal die übrigen klassischen Werke der deutschen Rechtswissenschaft nicht minder als die des Auslands betroffen werden. Und doch liegt in ihnen ein Bildungsmittel ersten Ranges für die juristische Jugend, dessen Wertschätzung unsere Zeit beinahe verlernt hat. Der einstige Leiter des Reichsjustizamts und nachmalige preußische Kultusminister Bosse schildert mit dem Gefühl der Dankbarkeit, wie ihn im Jahre 1854 kurz nach seinem Eintritt in den praktischen Justizdienst ein älterer Richter auf Savignys Schrift aufmerksam gemacht und welch tiefen Eindruck nach Form und Inhalt er von ihr empfangen habe. (Vgl. Bosse, Über Savignys Schrift »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.« Im Hinblick auf die Herstellung eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuches. Deutsche Revue, 25. Jahrgang [1900] S. 7 ff.)

Wer dafür eintritt, daß der Sinn für das Große und Allgemeine nicht im täglichen Getriebe juristischer Spezialarbeit untergehe, der wird das beste Mittel zu diesem Ziele in den Schriften der Klassiker der Rechtswissenschaft finden und schon die juristische Jugend auf sie hinweisen. Aus dem Kreise dieser Werke eignen sich die beiden im engsten Zusammenhange stehenden und darum hier vereinigten Schriften Thibauts und Savignys im Kampfe um ein einheitliches bürgerliches Recht für Deutschland wegen ihres Gegenstandes ganz besonders für den Anfänger. Dieser durch die Klarheit der Darstellung und die Schönheit der Sprache in einen ästhetisch würdigen Rahmen gestellte Gegenstand gibt ihnen aber auch, was schon einige der ersten Kritiker Thibauts hervorgehoben haben (Jenaische Allgem. Literatur-Zeitung 1814 Nr. 185; Wiener Allgem. Literatur-Zeitung 1814 Nr. 98), ein Anrecht auf das Interesse jedes gebildeten Deutschen. Klingt doch zudem durch diese Schriften der Ton der echten Vaterlandsliebe, wie sie mit fortreißender Gewalt in jener großen Zeit zum Durchbruch kam, da Deutschland sich aus seiner tiefen Erniedrigung erhob.

Besonderer Beachtung wert sind auch die schönen Worte, die Thibaut dem Verhältnis zwischen Fürst und Volk in Deutschland widmet – noch unter dem frischen Eindruck des Heimgangs Carl Friedrichs, des um die Entwicklung seines Landes hochverdienten Herrschers, der »Zierde Badens«. Vornehmlich seiner Fürsorge verdankte die alte Universität am Neckar nach ihrem Verfalle während der letzten Pfälzer-Zeit die Epoche neuen Glanzes trotz einer Zeit des Krieges und der Unruhe. Von Heidelberg ging Thibauts patriotischer Ruf durch das befreite Deutschland und Heidelberg wurde der Mittelpunkt dieses wissenschaftlich und kulturgeschichtlich bedeutungsvollen Streites; hier ließ Savigny seine Gegenschrift erscheinen und hier legte Thibaut in den Heidelbergischen Jahrbüchern seine weiteren Äußerungen in dieser Frage nieder.

Um die Wirkung auf die Zeitgenossen möglichst rein zu vergegenwärtigen, sind beide Schriften in erster Ausgabe wortgetreu zum Abdruck gebracht. Dem gleichen Zwecke, dem besseren Verständnisse, aber auch zunutze der juristischen Literaturgeschichte dient die Wiedergabe wichtiger Stimmen der Zeit, und zwar in einer bisher noch nicht erreichten Vollständigkeit. Die Zusätze der Streitschriften in späteren Ausgaben sind besonders zusammengestellt.

Noch einem anderen, gerade von Savigny wiederholt und mit Nachdruck als erstrebenswert bezeichneten Ziele (vgl. System des heutigen Römischen Rechts, Vorrede S. XX ff.) bringt uns die Beschäftigung mit den grundlegenden Werken der Rechtswissenschaft näher: der Herstellung der ursprünglichen und natürlichen Einheit von Theorie und Praxis. (Vgl. hierzu die Vorrede meiner »Einführung in die gerichtliche Praxis«, Berlin 1914.) Auch heute noch, wie zu Savignys Zeiten, ja sogar mehr noch als damals, krankt unser durch die Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, die Fortschritte der Technik und des Verkehrs, sowie mancherlei sonstige Einflüsse in neue Bahnen gelenktes Rechtsleben an der unnatürlichen Kluft zwischen beiden Richtungen, die nach seinen Worten die Gefahr in sich birgt, daß die Theorie zu einem leeren Spiel, die Praxis zu einem bloßen Handwerk herabsinke. Jetzt, wo wir im Bürgerlichen Gesetzbuch eine feste Grundlage unseres Privatrechts haben, ist es an der Zeit, der Arbeit am Speziellen zugunsten der Beschäftigung mit dem Grundlegenden, Allgemeinen eine Schranke zu setzen. Die Zukunft der Rechtsentwicklung und des Rechtsunterrichts in Deutschland liegt in einer die rechtsschöpferische Kraft von Theorie und Praxis fördernden Verbindung dieser beiden Teile eines Ganzen.

Berlin, im Juni 1914.

Dr.Jacques Stern.

Bemerkung: Die in Klammern gesetzten Zahlen bei den Schriften Thibauts und Savignys bedeuten die Seiten der ersten Ausgaben. Die kleinen Zahlen im Text der Thibautschen Schrift verweisen auf die Nachträge (Abt. II Nr. 1). Die Noten unter dem Text sind nach den Seiten des vorliegenden Abdrucks nummeriert.

Inhaltsverzeichnis.

Einleitung.

1.

Der wissenschaftliche Streit zwischen Thibaut und Savigny und seine weitere Entwicklung

8

2.

Biographisches

26

3.

Bibliographisches

32

I. Abteilung.

1.

Thibaut

, Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland. 1814

35

2.

Savigny

, Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft. 1814

69

II. Abteilung.

1.

Thibauts Nachträge zu seiner Schrift. 2. Ausgabe. 1814

167

2.

Thibauts Besprechung (Antikritik) der Schrift Savignys. 1814

174

3.

Urteile der Zeitgenossen zu den Streitschriften Thibauts und Savignys. 1814-1818

185

4.

Anselm von Feuerbachs Urteil. 1816

195

5.

Savignys Nachträge zu seiner Schrift. 2. Auflage. 1828

202

6.

Bemerkungen

235

Einleitung.

1. Der wissenschaftliche Streit zwischen Thibaut und Savigny und seine weitere Entwicklung.

Vor hundert Jahren, am 19. Juni 1814, acht Monate nach der Leipziger Völkerschlacht, noch nicht drei Monate nach dem Einzuge der Verbündeten in Paris, schrieb Anton Friedrich Justus Thibaut, Professor des Rechts in Heidelberg, die Vorrede zu seiner Flugschrift »Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland«. Diesen geschichtlichen Hintergrund und seinen inneren Zusammenhang mit den Äußerungen deutschen Geisteslebens muß man von vornherein im Auge behalten, will man Erfolg und Wirkung der Arbeit Thibauts recht verstehen.

Der Gedanke eines gemeinsamen deutschen bürgerlichen Rechts war nicht neu. Aus der großen Zahl seiner Vertreter seit der Mitte des 17. Jahrhunderts ragen die Namen Conrings, des Begründers der deutschen Rechtsgeschichte, Leibniz', des großen Polyhistors, Thomasius', des Naturrechtslehrers, hervor. (Das Naturrecht strebte aber nach einzelstaatlicher Kodifikation.) Das 18. Jahrhundert zeigt das gleiche Bild. So handelt z. B. im Jahre 1781 der Leipziger Christian Gottlob Biener in seinen »Bedenklichkeiten bei Verbannung der ursprünglich fremden Rechte aus Deutschland und Einführung eines allgemeinen deutschen National-Gesetzbuches« im § 6 »Von der Notwendigkeit eines allgemeinen Gesetzbuches im heiligen römischen Reiche«. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatte die Kodifikationsidee ihre Freunde unter den verschiedenen Geistesrichtungen: Staatsmänner, Dichter, Gelehrte, zumal Juristen der Theorie und Praxis traten für sie ein.A Aber den rechten Wiederhall, das allgemeine Interesse erweckte erst Thibaut mit seiner Schrift; er hatte den geeigneten Zeitpunkt erfaßt und die richtige Form gefunden. Die Idee selber lag wieder einmal im Zuge der Zeit, gewissermaßen in der Luft. Leicht faßlich, das Fachmäßige möglichst meidend, getragen vom Schwunge nationaler Begeisterung, der den Verfasser beim Schreiben, die Zeitgenossen beim Lesen mit sich riß, hat Thibauts Schrift das Verdienst, die Gründe für die Einheit der Gesetzgebung (»über ihre Notwendigkeit ist nach Thibauts Schrift fast nichts mehr zu sagen« – äußerte ein Kritiker in der Jenaischen Allg. Lit. Ztg. 1814 Nr. 217) vollständig und fortwirkend bis auf das Bürgerliche Gesetzbuch unserer Zeit zusammengefaßt zu haben. Ihr weiteres Verdienst liegt in der – wenn auch nur äußeren – Anregung zu Savignys Gegenschrift »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft.« Im schweren Rüstzeug der Wissenschaft, mit objektiver Ruhe und souveräner Beherrschung des Stoffes einem Wunsche der Zeit mit schroffer Verneinung entgegentretend ist diese Arbeit die erste programmatische Äußerung einer Richtung, die, unter Verdrängung der bis dahin herrschenden nicht bloß der Wissenschaft, sondern auch der Praxis verderblichen naturrechtlichen Anschauungen, der Rechtswissenschaft neue zu glänzender Entwicklung führende Wege gewiesen hat.

Veranlaßt zur Abfassung seiner Schrift »Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland« wurde Thibaut, der bereits früher gelegentlich in seinen Schriften (so in der »Juristischen Enzyklopädie und Methodologie«, Altona 1797, § 102) für den gleichen Gedanken eingetreten war, durch das Erscheinen des Buches »Über den Code Napoleon und dessen Einführung in Deutschland« (Hannover, bei den Gebr. Hahn, 1814, XVI u. 319 S. 8o) von dem hannoverschen Staatsmann August Wilhelm Rehberg (Besprechungen in der Allg. Lit. Ztg., Halle und Leipzig, 1814 Nr. 1; Jenaische Allg. Lit. Ztg. 1814 Nr. 79 bis 81). Thibaut schrieb in den Heidelbergischen Jahrbüchern der Litteratur (1814 Nr. 1 und 2) eine ausführliche RezensionB dieses gegen das französische Gesetzbuch weniger mit juristischen, als mit politischen Waffen (den »sehr finstren Ideen« Rehbergs) vorgehenden, die Rückkehr zu den alten Verhältnissen predigenden und jede Kodifikation verwerfenden Buches. Im letzten Punkte, wie auch z. B. Johann Georg Schlossers Vorschlag und Versuch einer Verbesserung des deutschen bürgerlichen Rechts ohne Abschaffung des römischen Gesetzbuchs, Leipzig 1777, und seine Briefe über die Gesetzgebung, Frankfurt 1789, ein Vorläufer von Savignys Schrift! Thibauts Rezension, die zunächst ohne Nennung seines Namens erschien, von ihm aber bald als seine Arbeit anerkannt wurde, verteidigt gegen Rehberg das französische Gesetzbuch an zahlreichen Beispielen, um an anderen dessen große Schwächen nachzuweisen, und gelangt schließlich in beredten Worten zur Forderung eines deutschen Nationalgesetzbuchs. Diesen wichtigen Gegenstand entwickelte Thibaut dann in seiner Schrift »Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland« und zwar, wie er in der Vorrede sagt, der Aufforderung achtungswerter Männer folgend. Über die Entstehung der Schrift, von der sich eine Selbstanzeige in Nr. 33 der Heidelbergischen Jahrbücher der Litteratur 1814 befindet, berichtet Thibaut selbst (Über die sogenannte historische und nicht-historische Rechtsschule, Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 21 [1838] S. 393 f.): »Im Jahre 1814, als ich viele deutsche Soldaten, welche auf Paris marschiren wollten, mit frohen Hoffnungen im Quartier hatte, war mein Geist sehr bewegt. Viele Freunde meines Vaterlandes lebten und webten damals mit mir in dem Gedanken an die Möglichkeit einer gründlichen Verbesserung unsres rechtlichen Zustandes, und so schrieb ich, – höchstens nur in vierzehn Tagen, – recht aus der vollen Wärme meines Herzens eine kleine Schrift über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland, worin ich zu zeigen suchte: unser positives Recht, namentlich das Justinianeische, sey weder materiell noch formell unsern jetzigen Völkern anpassend, und den Deutschen könne nichts heilsamer seyn, als ein, durch Benutzung der Kräfte der gebildetsten Rechtsgelehrten verfaßtes bürgerliches Recht für ganz Deutschland, wobei aber doch jedes Land für das Wenige, was seine Localität erfordre, seine Eigenheiten behalten möge.«

Der Gedankengang der Thibautschen Schrift ist folgender:

Ausgehend davon, daß Deutschland auch nach seiner jetzt errungenen Befreiung die volle politische Einheit nicht finden werde, sieht Thibaut in dieser dem Nationalcharakter angepaßten Zersplitterung eine Quelle für den Reichtum des Mannigfaltigen und Eigentümlichen, vorausgesetzt, daß sich die Landesfürsten in die kleineren Verhältnisse ihrer Staaten zu schicken wissen. Alsbald wendet er sich von diesen politischen Betrachtungen, die zum Teil auf berechtigten Widerstand stießen (»Gott verhüte eine so wenig enge Verbindung der einzelnen Staaten, als wir in den letzten Jahrhunderten hatten«, sagte ein Kritiker in der Allg. Lit. Ztg., Halle und Leipzig, 1814 Nr. 152), unter Berufung auf seine langjährige Tätigkeit als Zivilist dem Wunsche nach einer Neugestaltung des bürgerlichen Rechtes zu, worunter er das Privat- und Kriminalrecht, sowie den Prozeß versteht. Nirgends in Deutschland sei den an jede Gesetzgebung zu stellenden zwei Anforderungen formeller und materieller Vollkommenheit (gemeint sind klare und erschöpfende Bestimmungen, sowie eine zweckmäßige Anordnung der Rechtsverhältnisse) genügt: unser ganzes einheimisches Recht sei ein endloser Wust einander widerstreitender, vernichtender, buntscheckiger Bestimmungen, ganz dazu geartet, die Deutschen von einander zu trennen und den Richtern und Anwälten die gründliche Kenntnis des Rechts unmöglich zu machen. Dazu komme seine Unvollständigkeit, so daß meist auf das rezipierte römische und kanonische Recht zurückgegriffen werden müsse. Im römischen Recht, dessen Größe und Bedeutung für die juristische Schulung anzuerkennen sei, hätten wir ein Gesetzbuch, dessen (authentischen) Text wir nicht besäßen und dessen zahlreiche Lesarten zu einer Unsicherheit des Rechtszustandes führten. Vor allem aber fehle uns wegen der Verschiedenheit der römischen und deutschen Rechtsanschauungen der Schlüssel zu der ganzen Kompilation. Ein deutsches Nationalgesetzbuch werde in wissenschaftlicher Beziehung (damit beginnt Thibaut »den Gelehrten zu gefallen«!) die Übersicht über das ganze Recht gewähren und im akademischen Unterricht die Darstellung des praktischen Rechts ermöglichen. Es werde aber auch das »Glück der Bürger« begründen, für deren Verkehr die örtliche Kollision der Gesetze eine Plage sei und die Einheit der Zivilgesetze eine Notwendigkeit bilde. Eine gute Gesetzgebung sei freilich das schwerste unter allen Geschäften und nicht von Einzelstaaten oder Einzelnen, vielmehr nur durch das Zusammenwirken der namhaftesten Kräfte zu erreichen – unter feierlicher Garantie der auswärtigen großen alliierten Mächte. Diese letzte Forderung ist Thibaut bereits von manchen Zeitgenossen mit Recht verdacht worden. (Vgl. die Besprechungen in der Jenaischen Allg. Lit. Ztg. 1814 Nr. 185, in der Allg. Lit. Ztg., Halle und Leipzig, 1814 Stück 267 und in der Wiener Allg. Lit. Ztg. 1814 Nr. 98.) Den möglichen Einwendungen gegen die Forderung eines Nationalgesetzbuches – heimlichen (Beschränkung der Landesfürsten, Furcht vor Neuerungen und Umwälzungen) und öffentlichen (Berücksichtigung der örtlich verschiedenen Verhältnisse, Heiligkeit des Herkömmlichen), schließlich solchen wegen der Kosten und der langen Dauer eines derartigen Gesetzgebungsunternehmens (die er auf zwei bis vier Jahre veranschlagt!) – sucht Thibaut im Schlußteile der Schrift von vornherein zu begegnen.

Thibauts Schrift hat ihren Zweck nicht erreicht; sie konnte es wohl auch nicht, wie die rechtlichen (wissenschaftlichen und praktischen) Verhältnisse und die politischen Dinge in dem durch Kriege geschwächten und innere Gegensätze zerrissenen Deutschland damals lagen, und Savignys literarisch weit höher stehende, ihrem Verfasser in diesem Betracht den Sieg sichernde Gegenschrift ist, darüber kann kein Zweifel sein, ohne Einfluß auf Thibauts Mißerfolg gewesen. Bereits im Jahre 1816 schrieb Savigny (Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft Bd. 3 S. 11): »Im Ernst wird Niemand behaupten, daß ohne jene Stimmen ein allgemeines Gesetzbuch wahrscheinlich zu Stande gekommen wäre.« Aber was Thibaut, wie vor ihm kein anderer erreicht hat, war, wie gesagt, die Erweckung des allgemeinen Interesses für die Frage eines einheitlichen deutschen Gesetzbuchs, dessen nationale und praktische Bedeutung er richtig erkannt und hervorgehoben hat, und die bis dahin nirgends so vollständig gegebene, auch in der Entstehungsgeschichte unseres Bürgerlichen Gesetzbuchs durchweg und im wesentlichen unverändert verwertete Zusammenstellung aller für die zivilistische Rechtseinheit anzuführenden Gründe. (Vgl. hierzu Brunner, Die Rechtseinheit, Akademische Festrede, Berlin 1877, und Vierhaus, Die Entstehungsgeschichte des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuchs für das Deutsche Reich, Berlin 1888.) Seine Irrtümer liegen hauptsächlich in der Verkennung der damaligen Zeitverhältnisse, in der Überschätzung der Bedeutung einer Kodifikation für Rechtswissenschaft und Rechtsstudium und in der Unterschätzung der Schwierigkeiten bei Ausarbeitung eines Gesetzbuchs, insbesondere hinsichtlich der Zeitdauer, des Arbeitsplans und der Zusammensetzung der Kommission.

Angeregt durch Thibauts Schrift trat Savigny mit seinen längst gefaßten und ausgereiften, die Lehre der historischen Schule bildenden Gedanken anstatt in der üblichen wissenschaftlichen Form zuerst in der einer Gelegenheitsschrift hervor, die aber eben wegen dieser gekennzeichneten Eigenschaft der Gedanken keinen der sonst den Schriften dieser Art zumeist anhaftenden Mängel aufweist. (Vgl. auch Savignys Vorrede zur 2. Ausgabe der Schrift vom »Beruf«.)

Über die Entstehung der Savignyschen Arbeit schrieb Niebuhr, der ausgezeichnete Staatsmann und Altertumsforscher, am 1. November 1814 an seine Seelenfreundin Dora Hensler: »Savigny hat eine der Thibautschen Schrift ganz entgegengesetzte geschrieben: er hat, nach meiner Meinung, sehr zart und milde gegen Thibaut geschrieben und mit Wärme das Verdienst seiner Opposition gegen die Einführung des Code Napoléon anerkannt. Ich wollte, daß Jemand Thibaut zur Ruhe reden könnte. Mir ist dieser Streit schmerzlich. Savigny ist äußerst tätig und in einer Regsamkeit wie fast nie.« (Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr, Hamburg 1838, 2. Bd. S. 125.)

Am gleichen Tage schrieb Jacob an Wilhelm Grimm: »Du wirst von Savigny seine Schrift über Gesetzgebung erhalten haben, die mir gar wohl gefallen hat, in unsere Meinungen stimmt und sie bestätigt.... Es ist mir gar lieb, daß Savigny diese Abhandlung geschrieben hat, sie ist auch ganz wie er.« (Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Weimar 1881, S. 371, 372, 398, 470.)

Bevor wir auf den Inhalt der Schrift Savignys näher eingehen, sei gleichsam als erster Wegweiser durch ihre vielfach verschlungenen Gedankengänge der Worte Rudolf v. Jherings, seines größten Schülers und späteren machtvollen Bekämpfers, gedacht: »Die dauernde Bedeutung jener Schrift liegt in dem Apparat allgemeiner Ideen, den Savigny gegen seine Gegner in Bewegung zu setzen für nötig hält: eine Theorie über die geschichtliche Natur des Rechts, verbunden mit einer Skizze der Hauptmomente in der Entwickelungsgeschichte des Rechts, und als »geschichtliche« Auffassung gegenübergestellt der bisher herrschenden rationalistischen Auffassung.« (Jahrbücher für Dogmatik V, 364.)

Der Gedankengang der Savignyschen in zwölf Kapitel gegliederten Schrift läßt sich dahin zusammenfassen:

In der Einleitung sagt Savigny, daß er den Streit um ein gemeinschaftliches Gesetzbuch für Deutschland als einen friedlichen und nicht als feindlichen führen wolle. Die Bestrebungen auf Vereinheitlichung des bürgerlichen Rechts seien auf zwei durch das Natur- oder Vernunftrecht vermittelte irrige Auffassungen zurückzuführen: einmal auf die ungeschichtliche Richtung der Aufklärungsperiode, sodann auf jene Ansicht von der Entstehung alles positiven Rechts, nach welcher im normalen Zustande alles Recht aus Gesetzen, d. h. ausdrücklichen Vorschriften der höchsten Staatsgewalt entsteht und die Rechtswissenschaft lediglich den Inhalt der Gesetze zum Gegenstande hat.

So kommt er auf die Frage nach der Entstehung des positiven Rechts (Kap. 2). Bereits zu Beginn urkundlicher Geschichte hat nach ihm das Recht kein selbständiges Dasein für sich; es ist dem Volke eigentümlich, so wie seine Sprache, Sitte, Verfassung. Zu einem Ganzen verknüpft werden sie durch die gemeinsame Überzeugung des Volkes (gleichbedeutend mit dem, von Savigny in seiner Schrift jedoch noch nicht gebrauchten, Ausdruck »Volksgeist«), das gleiche Gefühl innerer Notwendigkeit, welches den Gedanken einer zufälligen und willkürlichen Entstehung des Rechts ausschließt. Ursprünglich verkörpern sich die Regeln des Rechts in symbolischen Handlungen der Völker. Aber auch für das Recht gibt es, hierin ebenfalls der Sprache vergleichbar, keinen Augenblick absoluten Stillstandes. Es ist mit Notwendigkeit derselben Bewegung und Entwickelung unterworfen, wie jede andere Richtung des Volkes. Diese Sätze, in denen der Grundgedanken Savignys und damit auch das Glaubensbekenntnis der historischen Schule liegt, waren, wie Windscheid sagt, eine Offenbarung für ihre Zeit, sie sind auch heute trotz mannigfacher Angriffe gegen die historische Schule unerschüttert. Bei steigender Kultur, mit der Ausgestaltung rechtlicher Einzelheiten und der Bildung eines besonderen Juristenstandes, fällt, wie Savigny weiter lehrt, dies gemeinsame Bewußtsein, diese gemeinsame Überzeugung des Volkes als Ganzen dem Bewußtsein der Juristen anheim, von welchen das Volk nunmehr in dieser Funktion repräsentiert wird. Auch jetzt bleibt aber das Recht noch ein Teil des gesamten Volkslebens (»politisches Element des Rechts«) im Gegensatze zum abgesonderten wissenschaftlichen Leben des Rechts (»technisches Element des Rechts«). Nach Savigny, der als seine Vorläufer Gustav Hugo († 1844) und Justus Möser († 1794) bezeichnet, entsteht das Recht also erst durch Sitte und Volksglaube (»als Gewohnheitsrecht«), dann durch Jurisprudenz, überall also durch innere, stillwirkende Kräfte, nicht durch die Willkür eines Gesetzgebers. Freilich ist der Einfluß der Gesetzgebung, fremden Rechts, örtlicher oder anderer Verhältnisse nicht ausgeschlossen. Dieser Einfluß der Gesetzgebung auf das bürgerliche Recht (Kap. 3) kann nach Savigny auf dreierlei Gründen beruhen: erstens dem Willen des Gesetzgebers zur Erreichung höherer politischer Zwecke; zweitens der Beseitigung vorhandener rechtlicher Zweifel und Unklarheiten; drittens (von den beiden ersten Gründen ganz verschieden) der Kodifikation des gesamten, auf seine Brauchbarkeit zu untersuchenden Rechtsvorrats. Die Kodifikation kann von Staats wegen oder von einzelnen Rechtsgelehrten vorgenommen werden; sie bezweckt einmal höchste Rechtsgewißheit, sodann Besserung und Berichtigung der äußeren Grenzen der Gültigkeit infolge der Ersetzung der verschiedenen Lokalrechte durch ein allgemeines Nationalrecht. Dieser zweite (äußere) Vorteil wird später in besonderer Anwendung auf Deutschland näher betrachtet (Kap. 5). Der erste (innere) Vorteil der größeren Rechtsgewißheit, den Savigny im Anschluß an die Meinung des englischen Philosophen und Lordkanzlers Francis Bacon (von Verulam † 1626) näher betrachtet, hängt von der Vortrefflichkeit der Ausführung ab. Was beibehalten werden soll, muß gründlich erkannt und richtig ausgesprochen werden. Nach seiten des Stoffs sei Vollständigkeit des Gesetzbuchs, aber nicht durch Kasuistik, sondern durch Erkenntnis der leitenden Grundsätze (sie gebe der juristischen Arbeit den wissenschaftlichen Charakter) zu erstreben; nach seiten der Form (Darstellung, Sprache des Gesetzes) sei die Schwierigkeit nicht minder groß. Hiernach werde nur in sehr wenigen Zeiten, die er in solche jugendlicher Völker, mittlere und sinkende scheidet, die Fähigkeit zur Schaffung eines vortrefflichen Gesetzbuchs vorhanden sein. »Also bleibt nur eine mittlere Zeit übrig, diejenige, welche gerade für das Recht, obgleich nicht notwendig auch in anderer Rücksicht, als Gipfel der Bildung gelten kann. Allein eine solche Zeit hat für sich selbst nicht das Bedürfnis eines Gesetzbuchs; sie würde es nur veranstalten können für eine folgende schlechtere Zeit, gleichsam Wintervorräte sammlend. Zu einer solchen Vorsorge aber für Kinder und Enkel ist selten ein Zeitalter aufgelegt.«

Seine bisher entwickelten Theorien sucht Savigny nun durch Anwendung auf das römische Recht (Kap. 4) und das »Bürgerliche Recht in Deutschland« (Kap. 5) klarer und überzeugender zu machen. Der große Kenner des römischen Rechts und seiner Geschichte hat in dem 4. Kapitel einen Glanzpunkt seiner Schrift geschaffen. Im 5. Kapitel werden zunächst die Klagen über den Rechtszustand in Deutschland als unbegründet bezeichnet: An der übermäßig langen Dauer der Prozesse sei nicht das bürgerliche Recht, sondern das schlechte Prozeßverfahren schuld; die große Verschiedenheit der Landesrechte sei kein Mangel, sondern ein die Individualisierung der Rechtsbildung fördernder Vorzug. Den Mittelpunkt der Schrift bildet das 6. Kapitel »Unser Beruf zur Gesetzgebung«. An der Ehe und dem Eigentum als Repräsentanten des auch den Nichtjuristen interessierenden Familienrechts und des der juristischen Technik allein überlassenen Vermögensrechts zeigt Savigny, daß die Fähigkeit zu gesetzgeberischen Reformen von der Ausbildung unserer juristischen Technik abhänge. Der für den Juristen unentbehrliche zweifache, historische und systematische, Sinn sei im 18. Jahrhundert selten; eine gute Darstellung des »Systems des Römisch-Deutschen Rechts« in Buchform gebe es nicht; die deutsche juristische Literatur habe mit der allgemeinen literarischen Bildung nicht Schritt gehalten. Der Zeit, die zwar Spuren eines lebendigeren Geistes in der Rechtswissenschaft erkennen lasse, sei hiernach die Fähigkeit zur Schaffung eines guten Gesetzbuchs abzusprechen. Um so mehr, als es wie an der Beherrschung des Stoffs, so auch an der der Sprache des Gesetzes mangele. Die drei neuen Gesetzbücher, der Code civil, das Allgemeine Preußische Landrecht und das Österreichische Gesetzbuch, werden zum Beweise seiner Theorie im 7. Kapitel (der schwächsten Partie der Schrift) einer Kritik unterzogen, die ungünstig ausfällt: noch am besten kommt das preußische Gesetzbuch davon, am schlechtesten das französische. (Das Tribunal von Montpellier wird wegen seines Ausspruchs über die Rechtsunsicherheit als Folge der zweifelhaften Natur des subsidiären Rechts und seines Vorschlags zur Abhilfe ohne ein Gesetzbuch gelobt.) So gelangt Savigny zu nachstehenden Schlußfolgerungen, je nachdem in einem Lande keine Gesetzbücher – wie im Gebiet des gemeinen Rechts – (Kap. 8) oder bereits solche vorhanden sind (Kap. 9). Dort habe sich die Gesetzgebung für das bürgerliche Recht auf die Entscheidung von Kontroversen und die Verzeichnung alter Gewohnheiten zu beschränken, hier seien die bestehenden Gesetzbücher (abgesehen vom Code civil, einer überstandenen politischen Krankheit) nicht abzuschaffen. Das Rechtsstudium sei in beiden Fällen das gleiche. Dort werde der Juristenstand, geschult an einer nach historischer Methode entwickelten Rechtswissenschaft wieder »ein Subjekt für lebendiges Gewohnheitsrecht« werden. »Der Zustand klarer, anschaulicher Besonnenheit, welcher dem Recht jugendlicher Völker eigen zu sein pflegt, wird sich mit der Höhe wissenschaftlicher Ausbildung vereinigen. Dann kann auch für zukünftige schwächere Zeiten gesorgt werden, und ob dieses durch Gesetzbücher oder in anderer Form besser geschehe, wird dann Zeit sein zu beraten. Daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht: dieses hangt von der Vereinigung der seltensten und glücklichsten Umstände ab.« Hier seien nach wie vor das alte Recht und seine Quellen geschichtlich zu erforschen und zu lehren. Das einigende Band des deutschen Rechts erblickt Savigny in den Universitäten (Kap. 10). »Thibauts Vorschlag« ist das 11. Kapitel gewidmet. Mit Thibaut, der sich zu Recht als Vaterlandsfreund bezeichne, erstrebe er als gleiches Ziel die Grundlage eines sicheren Rechts, die Gemeinschaft der Nation und Konzentration ihrer wissenschaftlichen Bestrebungen auf dasselbe Objekt – aber mit verschiedenen Mitteln: Nicht durch Schaffung eines Gesetzbuchs, wie Thibaut wolle, sondern durch eine organisch fortschreitende Rechtswissenschaft sei dem Übel, das nicht in den Rechtsquellen, sondern in uns liege, zu steuern. Auch in der praktischen Ausführung seines Gedankens seien Irrtümer Thibauts nachzuweisen: die von ihm angenommene kurze Dauer der Abfassung, die Herstellung durch ein Kollegium statt durch einen Mann, die zwar notwendige, aber mangels einer geeigneten Gesetzessprache nicht zu erreichende Popularität des Werkes. Der Schluß (Kap. 12) gibt eine kurze Zusammenfassung, die in eine Lobpreisung der deutschen Rechtswissenschaft aus Melanchthons Munde ausläuft.

Der ewige Wert der Schrift Savignys als programmatischer Äußerung der historischen Rechtsschule und damit zugleich als Ausgangspunkt für eine neue Grundlegung der Rechtswissenschaft mit Wirkung über diese hinaus auf die Gesamtheit der Geisteswissenschaften ist bereits hervorgehoben. Die wesentlichsten Irrtümer der Savignyschen Schrift liegen gerade in der Behandlung der Gesetzgebungsfrage. Sie stehen mit den eigentlichen Lehren der historischen Rechtsschule nur in loser Verbindung (vom »Einfluß der Gesetzgebung auf das Fortschreiten des Rechts« handelt Savigny selbst im System des heutigen Römischen Rechts I § 13) und lassen sich zum Teil aus den Zeitverhältnissen erklären. Daher sollen sie gleich jetzt betrachtet werden, ehe ein Blick auf Ursprung und weitere Entwickelung der historischen Schule geworfen wird.

Der Zusammenhang der Ausführungen, in denen Savigny seiner Zeit – wohl mit Recht – den Beruf zur Gesetzgebung (womit die für unsere Betrachtung allein wesentliche Kodifikation des bürgerlichen Rechts im Gegensatze zur EinzelgesetzgebungC gemeint ist) abspricht (Kap. 3 und 6), zwingt zu dem Schlusse, daß er diese Fähigkeit – sicherlich zu Unrecht – allgemein für jedes Volk und jede Zeit verneint: ihm ist die Kodifikation ein Hemmnis organischer Rechtsentwickelung.

Wir stehen hier vor einer alten und bedeutsamen Streitfrage. Sie ist nur in letzterem Sinne zu beantworten. Sie konnte nur entstehen, weil Savigny mehrere zur Gesetzgebungsfrage gehörende und deshalb zwar zusammenhängende, aber doch verschiedene Gegenstände in engem Rahmen gemeinsam behandelt hat. (Vgl. hierzu L. Spiegel, Gesetz und Recht, München u. Leipzig 1913, S. 77 ff.)

Die herrschende Meinung, wonach Savigny in der Streitschrift lediglich seiner Zeit die Fähigkeit zur Gesetzgebung im Sinne einer Kodifikation des gesamten Vorrats an bürgerlichem Recht abspreche, stützt sich insbesondere auf den Titel seiner Schrift und auf Wendungen, wie »unsre Zeit«, »unser Beruf« »wir« ... Damit ist aber von Savigny nur gemeint, daß seiner Zeit ganz besonders diese Fähigkeit mangele. Anders ist namentlich die oben wiedergegebene Stelle, die von der Eignung einer Zeit zur Gesetzgebung handelt, nicht zu verstehen, die einzige, die Wilhelm Grimm tadelnswert findet, weil sie die Hoffnung hinter sich läßt (s. u. Abt. II, 3): »daß dieser Zustand jemals eintreten werde, sage ich nicht« (S. 134, 25, 160 der ersten Ausgabe). Die hier gegebene Auslegung, wonach Savigny ein Gegner jeder Kodifikation ist und sie nur unter ganz ausnahmsweisen Bedingungen für ausführbar erklärt, ist bereits von Gierke, Landsberg (bezüglich der Einzelgesetzgebung abweichend) u. a. vertreten worden. (Vgl. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft III, 2 S. 202.) Im folgenden soll ein Beweis für ihre Richtigkeit geführt werden:

Unter allen seinen Kritikern, mit denen sich Savigny in den »Stimmen für und wider neue Gesetzbücher« (s. u. Abt. II, 5) auseinandersetzt, spendet er Schrader, dem durch die Ausführungen Savignys über die Trefflichkeit des Prätorischen Edikts angeregten Verfasser der Schrift »Die Prätorischen Edikte der Römer auf unsere Verhältnisse übertragen, ein Hauptmittel unser Recht allmählich gut und volksmäßig zu bilden«, Weimar 1815, die höchste Anerkennung. Bei Schrader findet sich nun nachstehende kurze Inhaltsangabe der Savignyschen Schrift: »Sie zeigt hauptsächlich, wie der Rechtszustand bei den Völkern sich zu entwickeln pflege; wie schwer es überall sei, ihn durch Gesetzgebung löblichen Absichten gemäß zu ordnen; wie wenig dieses besonders bei uns möchte erreicht werden können. Das Resultat geht dahin, daß den dringenden Bedürfnissen in Beziehung auf den Prozeß durch Gesetze abgeholfen; im Übrigen aber, da vom Mangel an genauer Rechtskenntnis, an wahrer Beherrschung unseres mannigfachen rechtlichen Stoffes, die meisten Fehler herrühren, das Rechtsstudium recht tüchtig getrieben werde; und die gesetzgebende Behörde nur durch einzelne Entscheidungen eingreife.« Schrader, der, wie er von sich sagt, in den allgemeinen Grundlagen »am Meisten mit Savigny übereinstimmt«, faßt seine eigenen Ausführungen dahin zusammen, »daß Gesetzbücher zu erlassen, eine sehr bedenkliche, kaum je zu empfehlende Unternehmung ist; daß dieselbe außerdem auf keinen Fall die fortlaufende Leitung der Selbstbildung des Rechts überflüssig macht. Diese kann durch stete Tätigkeit der Gesetzgebung mittelst einzelner Verordnungen erfolgen; aber zweckmäßiger möchte dazu eine besondere Einrichtung sein« (womit er – übrigens eine von Savigny zu Unrecht als praktisch bezeichnete Idee – die Einrichtung rechtsbildender Behörden nach Art des römischen Prätors meint). Es ist ausgeschlossen, daß Schrader in der obigen, jeden Zweifel ausschließenden Inhaltsangabe bei dieser grundlegenden Frage Savigny falsch verstanden hat, ohne daß dieser es gerügt hätte. Hinzu kommt jene Äußerung Wilhelm Grimms in seiner durch Savigny, seinen Freund, selbst angeregten Rezension der Schrift im Rheinischen Merkur. Weiter Gönners Worte in seiner Gegenschrift »Über Gesetzgebung und Rechtswissenschaft in unsrer Zeit«, Erlangen 1815 S. 4: »Doch muß ich aufrichtig bekennen, daß die ganze Tendenz seiner Schrift jenes harte Urteil über unsre Zeiten sehr mildert, denn in seiner ganz eigentümlichen Ansicht von Gesetzgebung spricht er allen Zeiten den Beruf dazu ab.« So also haben drei besonders beachtliche Zeitgenossen Savigny verstanden. Und nun Savignys eigene Worte zu dem Schraderschen Buche: »Der Verfasser geht von der richtigen Bemerkung aus, daß die geschichtliche Bildung des Rechts, die auch von ihm angenommen wird, keineswegs so mißverstanden werden dürfe, als solle der Staat sich gar nicht um das Recht im allgemeinen bekümmern. Nur die gewöhnliche Art, wie der Staat darauf einzuwirken pflege, durch eigentliche Gesetzgebung nämlich, sei in den meisten Fällen unzweckmäßig, selbst da, wo sich stehende Gesetzkommissionen finden.« (S. u. Abt. II, 5. Vgl. auch die Kritik der Schraderschen Schrift in den Heidelb. Jahrbüchern 1816 S. 1049.) Weiter sagt Savigny gegen Gönner (Zeitschrift für geschichtl. Rechtswissenschaft Bd. 1 S. 373 ff.): »Ich habe vielmehr schon in meiner früheren Schrift anerkannt, daß unter gewissen Bedingungen die Abfassung eines Gesetzbuchs sehr wohltätig sei und alle Billigung verdiene.... Ich glaube, daß die unzeitige Abfassung eines Gesetzbuchs durch die Willkürlichkeit der Entstehung und durch das Zerreißen der geschichtlichen Fäden dem Despotismus in hohem Grade förderlich sein kann.« Hält man alle diese Momente zusammen, so hat man geradezu eine authentische Interpretation Savignys in dem von uns behaupteten Sinne zu seinen Ausführungen in der Kampfschrift vor sich, die Veranlassung zu dieser bedeutsamen Streitfrage gegeben haben. Noch deutlicher spricht sich Savigny in der Zusammenfassung am Schlusse der »Stimmen« aus, doch soll darauf nicht eingegangen werden, weil man in diesen Ausführungen auch nur eine Modifikation oder Weiterbildung seiner Ansicht aus der Schrift vom »Beruf« finden könnte.

Wir kommen nunmehr zu der Erörterung der einzelnen Irrtümer Savignys in der Kodifikationsfrage. Savigny denkt offenbar an ein vollkommenes, ideales Gesetzbuch, das es, von Menschen und für Menschen verfaßt, nie und nirgends geben kann. Er verkennt die national-politische Bedeutung der Rechtseinheit unter dem Gesichtspunkt der Rechtspflege als einer der wesentlichsten Staatsaufgaben; er verkennt ferner die (von Thibaut mit Recht betonte) praktische Seite der Rechtseinheit für Rechtsleben und Verkehr; er verkennt endlich die Kraft der durch die historische Richtung auf eine neue Grundlage gestellten Rechtswissenschaft, wenn er von ihr die Herbeiführung eines einheitlichen Rechts erwartet, von einer Kodifikation aber ihren Verfall befürchtet. Die geschichtliche Entwickelung Deutschlands seit jenen Tagen, die uns den Norddeutschen Bund, dann das neue Deutsche Reich gebracht hat, zeigt als Folge das Bild einer fortschreitenden Rechtseinheit. Und schließlich erstand als Erfüllung des seit Thibaut nicht mehr zur Ruhe gekommenen, auch vom Deutschen Juristentage mit Eifer ausgesprochenen Wunsches – auf der Grundlage des Gesetzes vom 20. Dezember 1873 (Änderung des Art. 4 der Reichsverfassung, wodurch die Zuständigkeit des Reichs auf das gesamte bürgerliche Recht ausgedehnt wurde,) – das Bürgerliche Gesetzbuch vom 18. August 1896. Sein erfolgreiches Dasein, nicht minder wie die gesetzgeberische Tätigkeit der anderen großen Kulturstaaten im 19. Jahrhundert ist eine Widerlegung der Savignyschen Lehren, soweit sie sich gegen eine Kodifikation überhaupt richten. –

Das Bild, das wir aus Savignys Schrift vom Wesen der historischen Rechtsschule erhalten, bedarf noch der Ergänzung sowohl hinsichtlich des Ursprungs, als auch der Fortentwickelung ihrer Lehre. Entsprechend dem Zwecke dieser Einleitung kann jedoch hier nur eine kurze Skizze gegeben werden.

Als die eigentlichen Gründungsschriften der historischen Rechtsschule sind die durch Thibaut veranlaßte Streitschrift und der Einführungsartikel der »Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft« (1815) anzusehen, die ergänzt werden durch die erwähnte Erwiderung Savignys auf Gönners Streitschrift – s. u. Abt. II, 3 – und den Aufsatz Savignys »Stimmen für und wider neue Gesetzbücher« (Bd. 3 ebenda) – s. u. Abt. II, 5.

Auch Savigny hatte, wie wohl jeder Schöpfer auf dem Gebiete der Wissenschaft, Vorläufer und Anreger. Sein unmittelbarer Vorläufer in der historisch-empirischen, das Naturrecht verwerfenden Methode war der Göttinger Professor Gustav Hugo (1764-1844). Der Gedanke der Entstehung des Rechts aus dem »Volksgeist« hat Anklänge besonders bei Montesquieu (Esprit des lois XIX, 5, wo vom esprit de la nation die Rede ist) und dem englischen Philosophen Edmund Burke († 1797), sowie bei den deutschen Romantikern, die auf Herder fußend Sprache und Recht in ihrer Entwickelung einander gleich setzten und das Volkstümliche zu begreifen und zu erforschen suchten. Herder, dieser großer Anreger und Bahnbrecher moderner Geisteskultur, ist, das verdient besonders betont zu werden, auf die beiden Gegner in der Kodifikationsfrage, Thibaut und Savigny, von Einfluß gewesen: in den Schriften der Zeit (bei Karl Ernst Schmid und B. W. Pfeiffer) wird er auch als Förderer des Gedankens eines Nationalgesetzbuchs in Anspruch genommen. Der Streit, ob der für die historische Schule charakteristische Ausdruck »Volksgeist« über Hegel (vgl. namentlich dessen »Grundlinien der Philosophie des Rechts«) und Puchta (Das Gewohnheitsrecht Bd. I) in die späteren Schriften Savignys (System des heutigen römischen Rechts I, § 7) gekommen ist, oder ob ihn Savigny einem anderen entnommen hat, ist müßig. (Thibaut gebraucht ihn vor Savigny und zwar in der 1. Ausgabe »Geist des Volkes«, in der 2. Ausgabe an einer anderen Stelle »Volksgeist«, ebenso in den Heidelbergischen Jahrbüchern 1815 Nr. 42 – vgl. hierzu, sowie über die Geschichte des Begriffes »Volksgeist« v. Möller, Die Entstehung des Dogmas von dem Ursprung des Rechts aus dem Volksgeist, Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung, 1909, S. 1 ff. und Kantorowicz, Volksgeist und historische Rechtsschule, Historische Zeitschrift, München und Berlin, Bd. 108 S. 295 ff.). Denn der Ausdruck »Volksgeist« lief damals allgemein um und findet sich vielfach in der Bedeutung von Volksbewußtsein, Volksstimmung gerade in Schriften der Zeit, sogar in Zeitungen und Flugschriften (vgl. z. B. Rheinischen Merkur von 1815 Nr. 225, 226, 245 und die Schrift von F. W. Grävell, Drei Briefe über Preßfreiheit und Volksgeist, Berlin 1815, besprochen in der Jenaischen Allg. Lit. Ztg. 1815 Nr. 29); sachlich ist er jedenfalls identisch mit der Savignyschen Wendung vom »gemeinsamen Bewußtsein des Volkes«. Es zeigt sich auch hier wieder, wie wichtig die Heranziehung der Zeitverhältnisse für die Aufhellung wissenschaftlicher Zusammenhänge ist. Unter dem Einfluß der Romantik bekamen alle Wissenschaften einen historischen Zug. Antiphilosophisch war die historische Schule aber nicht. (Vgl. auch die Vorrede zur 2. Ausgabe der Schrift vom »Beruf«.) Ihre Bekämpfung des Naturrechts rechtfertigt diese Bezeichnung keineswegs. Sie steht vielmehr unter dem direkten Einfluß Schellings, der nachhaltig auf Savigny gewirkt hat. Ganz frei von naturrechtlichen Elementen ist übrigens Savignys Lehre auch nicht: beginnend mit dem Volksgeist als Quelle des Rechts und der hiermit sehr wohl zu vereinbarenden Annahme einer gemeinmenschlichen Rechtsidee (Rechtsgedanke) und der Möglichkeit eines Widerspruchs des geltenden Rechts mit ihren Postulaten bis zur Stabilisierung der Wissenschaft und der Praxis als rechtserzeugender Potenzen. (Vgl. meine Schrift »Rechtsphilosophie und Rechtswissenschaft«, Berlin 1904, S. 36 ff.) Den wissenschaftlichen Gegensatz zwischen der historischen Rechtsschule und der naturrechtlichen, der Kodifikation günstigen Richtung auf den politischen Gegensatz zwischen Konservatismus und Liberalismus zurückzuführen, wie es zuweilen im Hinblick auf Savignys streng konservative Gesinnung geschieht, ist innerlich unbegründet. Außer auf der historisch-empirischen und der romantischen Auffassung beruht die historische Schule weiter auf der evolutionistischen, d. h. der Betrachtung der Dinge unter dem Gesichtspunkt der Entwickelung. Gerade damals trat der französische Naturforscher Lamarck († 1829), der größte Vorläufer Darwins, mit seinen evolutionistischen Lehren auf dem Gebiete der Naturwissenschaft hervor. Diese verschiedenen Quellen, aus denen Savigny, wie es Landsberg a. a. O. S. 207 ff. in verdienstvoller Weise darstellt, für die Bildung seiner Idee wohl teils bewußt, teils unbewußt geschöpft hat, zeigen, daß seine, gleich vielen anderen für die Wissenschaft bahnbrechenden Gedanken, wie wir es oben auch bei Thibauts Idee gesehen haben, damals sozusagen in der Luft lagen und nur des Mannes harrten, der die Fähigkeit hatte, sie in feste Form zu bringen. In ihrem Kern haben sie sich, allen Angriffen zum Trotz, von den wohl jeder Lehre auf geisteswissenschaftlichem Gebiet in ihren Anfängen anhaftenden Unklarheiten und Einseitigkeiten befreit, siegreich behauptet. Es waren vor allem – von ganz verschiedenen Standpunkten aus – Hegel (Grundlinien der Philosophie des Rechts; zur Gesetzgebungsfrage wichtig § 211 a. E.), Kirchmann (Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft), Jhering (Der Zweck im Recht), Stammler (Wirtschaft und Recht nach der materialistischen Geschichtsauffassung), die als bedeutendste Bekämpfer der historischen Rechtsschule auftraten.

Das praktische Moment, das Recht der Gegenwart, das lebende Recht, der Einfluß von Wirtschaft und Kultur überhaupt haben in der neueren historischen Richtung, deren Begründer Jhering wurde, ihre verdiente Berücksichtigung gefunden. In jüngster Zeit sind dann von einem Anhänger der an das Naturrecht anknüpfenden Freirechtsschule, die für eine freiere Stellung des Richters gegenüber dem Gesetze eintritt, maßlos-heftige Angriffe gegen Savigny, »den Vater des juristischen Historismus und der Begriffsjurisprudenz, den Gegner der gegenwärtigen deutschen Rechtswissenschaft und der Kultur überhaupt« und zwar unter Verneinung des Wertes der Geschichte für die wissenschaftliche Erkenntnis des Rechts erhoben worden. (Kantorowicz, Was ist uns Savigny? in Recht und Wirtschaft, 1. Jahrgang S. 47 ff. und 76 ff.; auch gesondert erschienen). Diese durch eine glänzende Sprache bestechende Abhandlung wird aber den festgefügten, in hundertjährigem Bestand erprobten Gedankenbau der historischen Schule um so weniger erschüttern können, als sie allzu deutlich das Kennzeichen der Einseitigkeit ihrer rationalistisch-teleologischen Rechtsbetrachtung an sich trägt. (Entgegnungen insbesondere von Landsberg im Jurist. Lit. Blatt 1912 S. 54 f. und von Manigk, Was ist uns Savigny? Recht und Wirtschaft, 1. Jahrgang, S. 174 ff. und 199 ff., weiter ausgeführt in seinem Buche Savigny und der Modernismus im Recht, Berlin 1914.)

2. Biographisches.

I. Anton Friedrich Justus Thibaut wurde am 4. Januar 1772 zu Hameln als Sohn eines aus reformierter Réfugiéfamilie stammenden hannoverschen Majors geboren. Seine Mutter Ulrike Antoinette Grupen war die Tochter des Germanisten und Publizisten Christian Ulrich Grupen. Ursprünglich galt Thibauts Neigung dem Forstfache; dann studierte er die Rechte in Göttingen (1792), Königsberg (1793), wo er Kant hörte, und Kiel (1794). An dieser Universität promovierte er im November 1795 (im Jahre 1796?) mit der Schrift De genuina iuris personarum et rerum indole veroque huius divisionis pretio zum Doktor, habilitierte sich 1796, wurde 1798 außerordentlicher, 1801 ordentlicher Professor und ging 1802 nach Jena. Hier trat er in Beziehungen zu Goethe und Schiller, in dessen Gartenhaus Thibauts Hauptwerk »System des Pandektenrechts« entstand. Verheiratet war Thibaut mit einer Tochter des Kieler Philosophieprofessors Ehlers. Seit 1806 lehrte er in Heidelberg. Zur neuen Blüte dieser Universität hat Thibaut wesentlich beigetragen; er hat sie auch eine Zeitlang in der Badischen Kammer vertreten; 1834 wurde er Mitglied des Bundesschiedsgerichts. Er starb am 28. März 1840 in Heidelberg.

Thibaut, der zu den Begründern der neueren deutschen Rechtswissenschaft zu rechnen ist, war ein geborener Zivilist mit praktischem Blick, der die philosophischen Grundlagen des Rechts nicht preisgeben wollte, und doch, wie er selbst betont, keineswegs ein Verächter der Rechtsgeschichte. Als Universitätslehrer war er von bedeutender Wirkung, wobei ihm sein vorzüglicher Vortrag und seine eindrucksvolle Erscheinung zustatten kam. (Er soll entfernte Ähnlichkeit mit Savigny gehabt haben – Briefwechsel zwischen Jacob und Wilhelm Grimm, Weimar 1881, S. 56). Er war ein vielseitig gebildeter Mann. Die schöne Literatur kannte er nach allen Richtungen. Die Musik hat er, auch wissenschaftlich, in beachtenswerter Weise, namentlich durch das Buch »Über Reinheit der Tonkunst« gefördert. Seine musikgeschichtlich höchst wertvolle Sammlung ist von der Königlich Bayrischen Staatsbibliothek erworben worden. (Den »Katalog der Bibliothek von Anton Friedrich Justus Thibaut, welche vom 16. November 1840 an in Heidelberg öffentlich versteigert werden soll«, Heidelberg 1840, besitzt die Berliner Königliche Bibliothek.)

Thibauts wichtigste juristische Schriften sind: Enzyklopädie und Methodologie, Altona 1797; Versuche über einzelne Teile der Theorie des Rechts, Jena 1798 u. 1801; Theorie der logischen Auslegung des Römischen Rechts, Altona 1799; Beiträge zur Kritik der Feuerbachschen Theorie über die Grundbegriffe des peinlichen Rechts, Hamburg 1802; Über Besitz und Verjährung, Jena 1802; System des Pandektenrechts, Jena 1803 (9 Auflagen), das erste von der Legalordnung absehende, praktisch brauchbare Pandektensystem, welches die geltend gewordene Systematik Heises (eines Kollegen Thibauts) unmittelbar vorbereitete; Civilistische Abhandlungen, Heidelberg 1814, worin die Streitschrift als 19. Abhdlg. enthalten ist; ferner zahlreiche Aufsätze in den Heidelbergischen Jahrbüchern und im Archiv für die zivilistische Praxis, in dessen Redaktion Thibaut mit dem 5. Bande eintrat. In diesem Archiv ist seine für die Geschichte des Schulenstreits wichtige Abhandlung »Über die sogenannte historische und nicht-historische Rechtsschule« Bd. 21 (1838), S. 391 ff. und seine letzte Arbeit (aus der Besitzlehre) Bd. 23 (1840), S. 167 ff. mit Nachruf von Mittermaier enthalten.

Literatur: Allgemeine Deutsche Biographie, Leipzig, Bd. 37, 737 ff.; Weechs Badische Biographieen, 2. Teil, Heidelberg 1875, S. 345 ff.; Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, München und Berlin 1910, Bd. III, 2 S. 69 ff.; an allen drei Stellen finden sich weitere Literaturangaben.

II. Friedrich Karl von Savigny wurde am 21. Februar 1779 in Frankfurt a. M. geboren. Er entstammte einer alt-adligen lothringischen Réfugié-Familie. (Der Name Savigny ist auf der ersten Silbe zu betonen, also Sávigny, nicht Savígny – vgl. Brandenburgia, 19. Jahrgang S. 384.) Ein kurz gefaßtes, lateinisch geschriebenes von Savigny der Marburger Juristen-Fakultät eingereichtes curriculum vitae ist abgedruckt in v. Stintzing, Friedrich Karl von Savigny (Preußische Jahrbücher Bd. 9 S. 121 ff., vgl. S. 134, auch gesondert erschienen). Der Großvater Savignys war Pfalz-Zweibrückischer Kabinetsminister; von der Großmutter stammte außer anderem Grundbesitz das Gut Trages (Drachenhaus) bei Gelnhausen, wo Savigny sich vielfach aufhielt. Savignys Vater Christian Karl Ludwig v. Savigny war Regierungsrat in gleichen Diensten, später vertrat er mehrere oberrheinische Fürsten in Frankfurt a. M. Savignys Mutter war die geistig hochstehende Henriette Philippine Groos, Tochter des Pfalz-Zweibrückischen Geheimen Rats Groos. Mit dreizehn Jahren verwaist, wurde Savigny im Hause seines Vormundes, gleichzeitig eines Freundes und entfernten Verwandten seines Vaters, von Neurath, der Rat am Reichskammergericht in Wetzlar war, erzogen. Sechzehn Jahre alt, begann er (1795) die juristischen Studien in Marburg. Dort war es der philologisch gebildete Professor Ph. Friedrich Weis, ein Anhänger der eleganten (positiven) Rechtsschule, der Savigny auf das römische Recht hinlenkte und die Anregung zu Savignys späterem Meisterwerke »Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter« gab, in dessen Vorrede der Verfasser dankbar auf seinen früheren Lehrer hinweist. Im Winter 1796 studierte Savigny in Göttingen; im Winter 1797 ging er wieder nach Marburg, wo er bis zum Juli 1799 blieb. Es folgte dann eine einjährige Reise durch verschiedene deutsche Staaten, von der die Reisebriefe erhalten sind (Vgl. Stoll, Friedrich Karl von Savignys sächsische Studienreise 1799 bis 1800, Leipzig 1891). In Marburg vollendete Savigny seine Studien und erhielt am 31. Oktober 1800 die juristische Doktorwürde. Seine Dissertation und erste Schrift handelt de concursu delictorum formali (Vermischte Schriften Bd. 4, S. 74 ff.). Kurz darauf begann er mit einer Vorlesung über Strafrecht seine Lehrtätigkeit als Marburger Privatdozent, schon im Anfang von Erfolg begleitet. Bald wandte er sich dem Zivilrecht zu. Durch seine Vorlesung über die letzten zehn Bücher der Pandekten kam er zu eingehender Beschäftigung mit der Besitzlehre: Zu Beginn des Jahres 1803 erschien »Das Recht des Besitzes, eine zivilistische Abhandlung.« Diese (32) + 495 Seiten umfassende Schrift, die erste, die nach historisch-systematischer Methode die römisch-rechtlichen Quellen von ihren Modifikationen durch Gesetzgebung und Praxis schied, gleichzeitig auch das Gelehrte mit dem Praktischen verband, dazu in klarer Darstellung und schöner Sprache abgefaßt war, eröffnete eine neue Epoche der Rechtswissenschaft. Savigny trat damit in die Reihe der ersten Zivilisten. So äußerte sich Thibaut in einer begeisterten Besprechung des Savignyschen Buches (Allg. Lit. Ztg., Halle und Leipzig, 1804 Nr. 41 bis 43). Im Jahre 1803 wurde Savigny außerordentlicher Professor in Marburg.

Durch seine Vermählung mit Kunigunde Brentano (17. April 1804; vgl. das Zitat am Schlusse der Literaturangabe) trat Savigny in noch engere Beziehungen zum Romantikerkreise, namentlich zum Geschwisterpaar Clemens und Bettina Brentano, deren Schwager er jetzt wurde, und zu der Dichterin Karoline von Günderode. Es fehlte nicht an Gegensätzen in der Charakteranlage zwischen Savigny und den Brentanos. Dazu kam, daß er Protestant, die Familie Brentano katholisch war; seine Kinder ließ Savigny, der religiös positiv war, katholisch erziehen.

Wegen einer mehrjährigen Studienreise zur Beschaffung rechtsgeschichtlichen Materials, die ihn Ende 1804 auch nach Paris führte, wohin ihm Jacob Grimm folgte, lehnte er eine Berufung als Ordinarius nach Heidelberg ab; doch hat er sich wohl darum bemüht, daß Heise, der nachmalige Schöpfer der modernen Pandektensystematik, und Thibaut dorthin kamen. Nach Beendigung seiner Reise wurde Savigny (1808) von der bayrischen Regierung als Ordinarius an die Universität Landshut berufen, wo auch der Kriminalist Feuerbach und Gönner, Savignys späterer Gegner in der Gesetzgebungsfrage, wirkten. Über seine anregende akademische Wirksamkeit aus der Zeit seines zweijährigen Landshuter Aufenthalts finden sich interessante Zeugnisse in Bettinas Briefen (Goethes Briefwechsel mit einem Kinde, Bd. 2).

Die Gründung der Universität Berlin führte Savigny im Frühling 1810 auf den dortigen Lehrstuhl des römischen Rechts. Der Erfolg blieb ihm, der schon, rein äußerlich betrachtet, eine bedeutende Erscheinung war, auch in Berlin in einem Kreise auserlesener Männer treu. Bei der ersten Rektorwahl standen sich der Philosoph Fichte, dessen »Reden an die Deutsche Nation« (1808/09) den Befreiungskampf vorbereitet hatten, und Savigny gegenüber: Fichte wurde mit einer geringen Mehrheit der erste Rektor der Berliner Universität. Als ihn Meinungsverschiedenheiten über die akademische Disziplin zum Rücktritt veranlaßten, berief der König am 16. April 1812 aus besonderem Vertrauen Savigny zum Rektor. Das Jahr 1814 brachte dann die Streitschrift und gleichzeitige Programmschrift der historischen Schule »Vom Beruf unsrer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft«. 1815 folgte die Gründung der »Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft«, deren erste Herausgeber Savigny, Eichhorn und Göschen waren. Im gleichen Jahre erschien der 1. Band der »Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter«, dem bis 1831 noch weitere 5 Bände folgten (die 2. Auflage umfaßt 7 Bände). Dies Hauptwerk Savignys behandelt in seinem ersten Teile das römische Recht als Ergebnis geschichtlicher Entwicklung in den sechs Jahrhunderten vor dem Glossator Irnerius († 1140), während der zweite Teil mehr eine Geschichte der Literatur des römischen Rechts in den vier Jahrhunderten nach Irnerius gibt. Als Niebuhr im Jahre 1816 in Verona die Handschrift der Institutionen des Gajus fand, erkannte man den Zusammenhang dieses namentlich durch die Aufhellung der römischen Rechtspflege wissenschaftlich hochbedeutenden Fundes mit dem durch das Aufblühen der historischen Schule geweckten Sinn für die Erforschung der Rechtsquellen. Ohne Savigny hätten wir den Gajus nicht, schrieb Hugo im Jahre 1818. Erwähnt seien hier auch Savignys Abhandlung »Der zehente Mai 1788«, durch die er seiner Verehrung zu Hugos fünfzigjährigem Doktor-Jubiläum Ausdruck gab, sowie die Aufsätze über »Niebuhr« und die »Rechtsgeschichte des Adels.« Zur Überraschung und Freude der Juristenwelt erschienen dann im Jahre 1840 die ersten drei Bände des »Systems des heutigen Römischen Rechts«, in dessen Vorrede Savigny zu den Angriffen auf die historische Schule Stellung nahm und für die Herstellung der Einheit zwischen Theorie und Praxis erneut mit Wärme eintrat. 1841 folgten zwei weitere Bände dieses Werkes. Ein entscheidendes, für die weitere wissenschaftliche Tätigkeit Savignys aber verhängnisvolles Ereignis trat im Jahre 1842 ein: Savigny übernahm das von König Friedrich Wilhelm IV., seinem Gönner und einstigen Schüler, eigens für ihn gegründete Ministerium für die Revision der Gesetzgebung. Daraus ergab sich die Niederlegung der Professur. Seine sechsjährige Ministerzeit, die mit den Märzereignissen des Jahres 1848 ihr Ende erreichte, war eine Enttäuschung. In den Jahren 1847 bis 1853 erschienen der 6. bis 10. Band des Systems, das (auf die Allgemeinen Lehren und Teile des Obligationenrechts beschränkt) ebenso wie die Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter ein Bruchstück geblieben ist.

Am 25. Oktober 1861 beendete Savigny sein von Anbeginn an im Zeichen des Glücks stehendes, an Erfolgen ungewöhnlich reiches Leben, das in mancherlei Hinsicht den von Jhering (a. a. O., S. 354 ff.) gezogenen und durchgeführten Vergleich mit dem Leben Goethes, eines Sohnes der gleichen Vaterstadt, gerechtfertigt erscheinen läßt. Wenige Wochen nach Savignys Tode wurde bei der Gedächtnisfeier der Berliner Juristischen Gesellschaft der Beschluß verkündet, das Andenken des großen Rechtslehrers durch eine Stiftung zu ehren. Diese trat unter dem Namen »Savigny-Stiftung« im Jahre 1863 ins Leben und verfolgt insbesondere den Zweck, wissenschaftliche Arbeiten auf dem Gebiete des Rechts der verschiedenen Nationen zu fördern. Die hundertjährige Wiederkehr seines Geburtstages am 21. Februar 1879 gab Gelegenheit, das Andenken Savignys in großartiger Weise zu feiern.

Literatur: v. Stintzing, Friedrich Karl von Savigny (Preußische Jahrbücher Bd. 9 (1862), S. 121 bis 168, auch gesondert erschienen); Allgemeine Deutsche Biographie Bd. 30, S. 425 ff. mit Literaturangaben; Landsberg, Geschichte der Deutschen Rechtswissenschaft, München und Berlin 1910, Bd. III, 2 S. 186 ff.; Eduard Müller, Friedrich Karl von Savigny, Leipzig 1906 (Heft 9 der Sammlung »Männer der Wissenschaft«), beide gleichfalls mit Literaturangaben; O. Liebmann, Die juristische Fakultät der Universität Berlin, Berlin 1910. Über die Nachkommen Savignys vgl. Familiengeschichtliche Blätter, Leipzig, 9. Jahrgang (1911), S. 145.