Trau dich endlich! - Carly Phillips - E-Book

Trau dich endlich! E-Book

Carly Phillips

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Beschreibung

Der große Auftakt zur neuen Serie der Bestsellerautorin

Kein Mensch glaubt heutzutage noch an Flüche! Das dachte Gabrielle zumindest, bis sie von ihrer großen Liebe Derek sitzen gelassen wurde. Und das aus Angst vor einem alten Familienzauber. Was für ein Unsinn! Als Gabrielle ihren Ex-Lover nach einigen Jahren wieder trifft, lässt sie sich erneut auf eine heiße Affäre mit ihm ein. Aber ist Derek diesmal bereit, zu seiner Liebe zu stehen?

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Seitenzahl: 422

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Das Buch

Schon als junges Mädchen weiß die intelligente und sexy Gabrielle, dass sie ihren Mr. Right, den attraktiven Derek, bereits gefunden hat. Doch dann lässt der sie plötzlich sitzen und heiratet eine andere. Die Begründung: Ein Fluch laste auf seiner Familie, der es ihm unmöglich mache, mit seiner wahren Liebe glücklich zu werden.

Gabrielle bleibt nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden. Doch sie kann zumindest etwas aus dieser Erfahrung machen: Sie wird Schriftstellerin und landet einen Bestseller – über Okkultismus. Derek hingegen scheint das Glück verlassen zu haben: Seine leidenschaftslose Vernunftehe geht schon bald in die Brüche.

Als Gabrielle ihren Ex – inzwischen geschieden und sexy wie nie – nach Jahren wieder trifft, lässt sie sich erneut auf eine Affäre mit ihm ein. Doch auch diesmal kommt der Fluch ihrer Liebe in die Quere: Gabrielle muss feststellen, dass sich hinter dem vermeintlichen Aberglauben eine gefährliche Intrige verbirgt, und gerät bald selbst ins Visier der skrupellosen Gegenspieler. Wird Derek diesmal zu seinen Gefühlen stehen?

Die Autorin

Carly Phillips hat sich mit ihren romantischen und leidenschaftlichen Geschichten in die Herzen ihrer Leserinnen geschrieben. Sie veröffentlichte bereits über zwanzig Romane und ist inzwischen eine der bekanntesten amerikanischen Schriftstellerinnen. Mit zahlreichen Preisnominierungen ist sie nicht mehr wegzudenken aus den Bestsellerlisten. Ihre Karriere als Anwältin gab sie auf, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Sie lebt mit ihrem Mann und den zwei Töchtern im Staat New York.

Weitere Informationen auf ihrer Homepage: www.carlyphillips.com

Im Heyne Verlag liegen vor: Küss mich, Kleiner!

Die Chandler-Trilogie: Der letzte Kuss – Der Tag der Träume – Für eine Nacht

Die Hot-Zone-Serie: Mach mich nicht an! – Her mit den Jungs! – Komm schon! – Geht’s noch?

Inhaltsverzeichnis

Das BuchDie AutorinDanksagungEinleitungKapitel 1Kapitel 2Copyright

An sämtliche »Verlagsleute« in meinem Leben, die alles möglich machen:

An Dianne Moggy, Tracy Farrell, Brenda Chin und alle bei HQN Books – danke, dass ihr an mich glaubt und mir die Gelegenheit gebt, meine Charaktere zum Leben zu erwecken.

Ich danke Robert Gottlieb, Kim Whalen und Jenny Bent für ihre Beratung und Unterstützung – ihr seid die Besten!

Mein Dank geht auch an die Menschen, die mein tägliches Leben zu etwas Besonderem machen:

An Phil, Jackie und Jen – ich werde euch immer lieben!

An Mom und Dad – danke, dass ihr mir so gute Vorbilder wart, im Leben wie in der Liebe. Ich liebe euch auch!

Und – last, but not least – an die Plotmonkeys Janelle Denison, Julie Leto und Leslie Kelly. Wie immer hätte ich es ohne euch nicht geschafft – und ich hätte es auch gar nicht erst versuchen wollen.

Einleitung

Stewart, Massachusetts, ein kleines Dorf etwa zwei Kilometer westlich von Salem, dem Schauplatz der berüchtigten Hexenprozesse. Ende des neunzehnten Jahrhunderts herrschte unter den Bewohnern von Stewart schreckliche Furcht vor Verwünschungen und Hexenzauber. Just in jener Zeit geschah es, dass ein gewisser William Corwin sein Herz an eine Frau verlor und mit ihr durchbrannte, obwohl sie bereits einem anderen versprochen war. Martin Perkins, der sitzengelassene Mann, war der älteste Sohn einer wohlhabenden Familie aus dem Nachbardorf, das eben dieser Familie auch seinen Namen verdankte.

Seine Mutter, Mary Perkins, war eine Hexe, und sie rächte sich umgehend für das Unrecht, das ihrem Sohn widerfahren war, indem sie die Corwins mit einem Fluch belegte. Seither ist jeder männliche Spross der Familie dazu verdammt, die Frau seines Herzens und sein Hab und Gut zu verlieren, sobald er sich verliebt.

Fortan gab es keinen männlichen Nachfahren von William Corwin, dem dieses Schicksal erspart geblieben wäre …

Kapitel 1

Das Städtchen Stewart in Massachusetts erlangte aus zweierlei Gründen eine eher traurige Berühmtheit: einerseits aufgrund seiner Nähe zu Salem, und andererseits wegen des Corwin-Fluches.

Letzterer war auch Derek Corwin wohlbekannt. Dieser verdammte Fluch, hieß es in seiner Familie, wenn es um die Bürde ging, die William Corwin seinen männlichen Nachfahren auferlegt hatte. Und alles nur, weil er seinen Piephahn nicht in der Hose hatte halten können. Was normalerweise höchstens für einen Skandal sorgte, hatte in diesem Fall eine Familie über Jahrhunderte hinweg ins Unglück gestürzt.

So stand es in der Stadtchronik. So war es überliefert.

Seither war noch jeder männliche Corwin ins Verderben gerannt, und Derek bildete da keine Ausnahme.

Nun möchte man meinen, jeder halbwegs vernünftige Mann würde einen großen Bogen um die Stadt machen, in der für ihn die Wurzel allen Übels begraben liegt. Doch nachdem ihm das Glück, genauer gesagt, der Dow Jones, vor sechs Monaten wieder einmal die kalte Schulter gezeigt hatte, war Derek zu dem Schluss gekommen, dass nun ohnehin schon alles einerlei war.

»Dad!« Der Aufschrei seiner elfjährigen Tochter erinnerte ihn daran, dass die Rückkehr in seine Heimatstadt auch positive Seiten hatte.

Nachdem er Holly zwei lange Jahre nicht hatte sehen dürfen, hatte seine Ex-Frau wieder geheiratet und beschlossen, den Sommer mit ihrem neuen Mann in Paris zu verbringen. In trauter Zweisamkeit. Und so kam es, dass Holly die Ferien bei Derek in Stewart verbrachte, in einem zum Gästehaus umfunktionierten ehemaligen Wirtschaftsgebäude direkt hinter dem Haus, das die Corwins seit Generationen bewohnten.

Arme Holly. Ihr stand ein langer, heißer Sommer in ausschließlich männlicher Gesellschaft bevor.

Derek dagegen war heilfroh, sie bei sich zu haben. Bis vor kurzem war er ganz auf seine Karriere fixiert gewesen und als Vater kaum in Erscheinung getreten. Er freute sich über diese zweite Chance, seine Tochter kennenzulernen. Wenn er auch mit ihren Gefühlsausbrüchen und ihrer Vorliebe für rosa Rüschen und dergleichen noch nicht viel anzufangen wusste.

»Was ist los?«, rief er vom Fuße der Treppe aus, die zu den beiden kleinen Schlafzimmern unterm Dach führte. Eines für ihn, eines für sie.

Bis vor kurzem hatte er alleine in einer Wohnung gelebt, die für New Yorker Verhältnisse riesengroß gewesen war. Nun aber fand er es schön, sich sein neues Heim, das allmählich richtig behaglich wirkte, mit einem Familienmitglied zu teilen.

»Der Hund hat meine Abercrombie-Flipflops ruiniert!«, ließ Holly von oben verlauten.

Derek schloss die Augen und stöhnte. Verdammtes Mistvieh. »Deine was?«

Seine Tochter erschien am oberen Treppenabsatz und stützte die Ellbogen auf dem Geländer auf. »Meine Flipflops . Du weißt schon, Zehensandalen. Schläppchen«, erklärte sie genervt.

Aha. Es ging also um Schuhe. »Das tut mir leid. Wir besorgen dir im Supermarkt neue.«

»Im Supermarkt? Da gibt es aber nicht die von Abercrombie mit dem Elch«, jammerte sie und klimperte mit den Wimpern.

»Mit anderen Worten, du möchtest nach Salem ins Einkaufszentrum? «

»Ja!« Sie streckte triumphierend die Faust in die Höhe, dann wirbelte sie herum und verschwand.

Er lachte, erleichtert darüber, dass er noch einmal die Kurve gekriegt hatte, wenngleich es für ihn mit Ausgaben verbunden war. Dabei sollte er derlei längst gewöhnt sein.

Seine Ex hatte ihn mit schöner Regelmäßigkeit daran erinnert, was sie davon hielt, sich beim Shoppen einzuschränken. Je härter er gearbeitet hatte, desto mehr Geld hatte sie ausgegeben, um seine Abwesenheit zu kompensieren.

Sie waren zwar schon über zwei Jahre geschieden, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass sie ihre diesbezüglichen Gewohnheiten geändert hatte. Zumal seine monatlichen Überweisungen für Unterhalt und Alimente ihr weiterhin den gewohnt luxuriösen Lebensstandard ermöglicht hatten – zumindest bis er bei einer umfangreichen Investition auf das falsche Pferd gesetzt und einen Großteil seines Vermögens verloren hatte. Danach war er wieder nach Stewart gezogen. Noch ehe er vor Gericht eine Herabsetzung der Zahlungen hatte beantragen können, weil sich sein Einkommen beträchtlich verringert hatte, wurde er von seiner Ex darüber informiert, dass sie wieder zu heiraten gedachte. Somit musste Derek nur noch die Alimente zahlen, und die konnte er sich zum Glück problemlos leisten.

Er spähte nach oben. »Was hältst du davon, wenn wir dort Eis essen gehen?«

»Geht nicht! Ich vertrage doch keinen Milchzucker.«

Ach, richtig. Dass er das immer wieder vergaß. Er tröstete sich mit dem Gedanken, dass er solche Details bis zum Ende des Sommers verinnerlicht haben würde.

»Dann essen wir eben dort zu Mittag«, schlug er vor.

»Okay. Ich ziehe mich um. Dauert nur eine Minute.«

Das hieß, die nächste Viertelstunde brauchte er wohl nicht mit ihr rechnen. Holly hatte nämlich auch den Modefimmel ihrer Mutter geerbt.

»Gut. Ich bringe inzwischen Fred zu deinem Großvater rüber.« Derek klopfte sich auf den Oberschenkel und stieß einen Pfiff aus, woraufhin ein Basset schwerfällig die Treppe heruntergewatschelt kam und auf ihn zuschlenderte. Fred wirkte in keiner Weise zerknirscht darüber, dass er Hollys Sandalen angeknabbert hatte, und dass er heute früh in Dereks Schuhe gepinkelt hatte, bedauerte er sichtlich ebenso wenig. Warum auch? Fred trieb, was er wollte, und in den vergangenen zehn Jahren hatte sich niemand daran gestoßen. Wäre Holly nicht so verrückt nach diesem Tunichtgut gewesen, Derek hätte ihn längst endgültig ins Haus seines Vaters verbannt.

Derek befestigte die Leine am Hundehalsband (zwei Anschaffungen, die er gleich nach seiner Rückkehr getätigt hatte) und wollte eben das Haus verlassen, als Holly die Treppe herunterhopste.

»Warte! Ich hab doch gesagt, es dauert nur eine Minute.«

»Schon, aber ich hab nicht erwartet, dass du das ernst meinst. Entschuldige.«

»Kein Problem.« Sie traten nach draußen. Das Gästehaus stand auf dem hinteren Teil des Anwesens, das »Haupthaus« vorne an der Straße, dazwischen erstreckte sich eine große grüne Wiese. »Wir sehen uns bei Grandpa!«, rief Holly plötzlich und sprintete los.

Derek zog in Erwägung, es ihr nachzutun, doch nach einem Blick auf Freds trauriges Gesicht überlegte er es sich anders. »Deinetwegen setze ich noch Speck an, Alter«, schalt er den Hund und drosselte sein Tempo sogar ein wenig.

»Dad!«, gellte gleich darauf Hollys Stimme durch die vormittägliche Stille. »Grandpa hat ein Gewehr!«

»Ach du grüne Neune«, brummte Derek und joggte los, wobei er Fred hinter sich herzerrte, ob es dem Hund passte oder nicht. Was mochte sein streitsüchtiger alter Herr wohl wieder im Schilde führen?

Holly kam angerannt, und Derek drückte ihr die Leine in die Hand. »Bleib hier«, befahl er. Als er um die Ecke bog, hantierte sein Vater in der Tat gerade mit der alten Repetierflinte, die seit Generationen im Besitz der Familie war.

»Nimm das Ding runter, Dad, ehe du dir damit die Rübe wegschießt!«

Hank Corwin stellte die Waffe ab. »Sie ist nicht geladen.«

Derek atmete erleichtert auf. Das verringerte die Verletzungsgefahr schon mal ganz beträchtlich.

»Noch nicht jedenfalls.« Hank gluckste.

Derek runzelte die Stirn. »Was hast du denn damit vor?« Er konnte sich nicht entsinnen, dass sie das Gewehr je aus der Glasvitrine genommen hatten, in dem es ausgestellt war.

»Ich poliere sie, weil ich mir damit heute Abend in der Bücherei Gehör verschaffen will.« Mit unverkennbarem Stolz ließ Hank seine Hand über die glänzende Waffe gleiten.

Er war gelernter Elektriker und sah für seine siebenundfünfzig Jahre ausnehmend gut aus, wie Derek fand – und das, obwohl sich Hank keinen Deut um sein Aussehen scherte. Wozu auch? Sämtliche Frauen in der Stadt wussten von dem Fluch und hielten sich wohlweislich von den Corwin-Männern fern. Seine einzige Gesellschaft waren sein Bruder Thomas und Fred, der Basset. Deshalb war Hanks dunkles Haar meist ungeschnitten und unfrisiert, und auch um seine Kleidung machte er keinerlei Aufhebens. Er lief den ganzen Sommer in beigefarbenen Hosen und weißen T-Shirts herum, sowohl bei der Arbeit als auch in seiner Freizeit.

Die Corwin-Männer aus Hanks Generation hatten den Fluch allesamt zu ignorieren versucht – und es bitter bereut. Inzwischen teilte sich Hank sein Elternhaus mit seinem Bruder Thomas. Edward, der Dritte im Bunde, war ein Einzelgänger, ja, ein Sonderling. Er wollte nichts mit Thomas zu tun haben, weil dieser ihm die große Liebe vor der Nase weggeschnappt hatte. Zu Mike und Jason, seinen beiden Cousins – einer pro Onkel – hatte Derek ein gutes Verhältnis. Thomas hatte zudem zwei Töchter, die beide glücklich verheiratet waren. Im Gegensatz zu den männlichen Familienmitgliedern waren die Corwin-Frauen nämlich nicht vom Pech verfolgt.

Früher hatte Derek nicht so recht an die Macht des Fluches glauben wollen, doch nachdem er hatte mit ansehen müssen, wie übel das Schicksal seinem Vater und dessen Brüdern mitgespielt hatte, war er entschlossen gewesen, Vorsicht walten zu lassen. Genützt hatte es allerdings herzlich wenig. Derek hatte sogar die Frau, die er liebte, verlassen, um sie – und sich selbst – vor dem Fluch zu bewahren. Trotzdem war sein Leben ein Chaos, und sein Vermögen war den Bach runtergegangen. Der Fluch hatte auch ihn nicht verschont.

»Was ist denn heute Abend in der Bücherei los, dass du dich mit einer Knarre auf den Weg machen willst?« Derek beäugte die Waffe und machte sich auf das Schlimmste gefasst.

»Das hier.« Hank griff nach einem Flugblatt, das auf dem alten hölzernen Picknicktisch lag, und reichte es seinem Sohn. »Hier, lies das. Deine Freundin aus der Highschool ist wieder da, und sie hat es offenbar auf uns abgesehen.«

»Gabrielle ist in der Stadt?« Derek war sicher, dass er sich verhört hatte.

Doch sein Vater nickte. »Ganz recht, und wenn die Kleine meint, dass sie einfach hier aufkreuzen und für Aufruhr sorgen kann, indem sie neue Gerüchte verbreitet, dann hat sie sich getäuscht.«

Die Kleine war einmal Dereks große Liebe gewesen. Und er hatte ihr den Laufpass gegeben, damit sie nicht wie alle Frauen endete, die einem Corwin ihr Herz schenkten.

Seinem Vater war Gabrielle damals durchaus sympathisch gewesen. Sie war häufig zum Dinner gekommen, und Derek hatte seinerseits oft bei ihr zu Hause gegessen. Ihre Eltern hatten ihn wie ein Familienmitglied behandelt, und auch Hank hatte Gabrielle mit offenen Armen willkommen geheißen – ein kleines Wunder in Anbetracht der Tatsache, dass er schon damals ein reichlich bärbeißiger Bursche gewesen war.

Derek seufzte. »Du wirst Gabrielle doch wohl nicht erschießen, nur weil dir das Thema ihres Buches nicht passt.«

Hank starrte ihn rebellisch an. »Ich kann es nun mal nicht leiden, wenn über mich getratscht wird. Wir hatten jetzt einige Jahre Ruhe, und ich möchte, dass das so bleibt.«

»Nur weil dir in letzter Zeit kein Gerede über den Fluch zu Ohren gekommen ist, heißt das noch lange nicht, dass die Leute nicht trotzdem hinter unserem Rücken tuscheln. Und das werden sie auch weiterhin tun.« Derek schnappte sich den Flyer und überflog ihn.

Die öffentliche Bücherei von Perkins und Stewart lud zu einem Vortrag ein mit dem Titel: Fluch oder sich selbst erfüllende Prophezeiung? Referentin: Gabrielle Donovan, Bestsellerautorin aus Stewart.

Derek wusste, dass Gabrielle bereits mehrere Bücher geschrieben hatte, in denen sie weit verbreitete Mythen als Schwindel entlarvt hatte. Sie wurde auch immer wieder in große Talk-Shows eingeladen, um über ihre Werke zu sprechen. Für Derek war es kein Zufall, dass sie sich von Berufs wegen mit Okkultismus und Esoterik auseinandersetzte; schließlich hatte seine Familiengeschichte ihrer beider Leben bestimmt.

Obwohl Gabrielle nie nach Stewart zurückgekehrt war, wurde sie hier als berühmte Tochter der Stadt verehrt. Im Diner in der Hauptstraße hing sogar ein signiertes Foto von ihr. Derek wagte allerdings zu bezweifeln, dass die Unterschrift echt war. Er hatte das Autogramm selbst gesehen, und es war Henry, dem Besitzer, durchaus zuzutrauen, dass er die Unterschrift gefälscht hatte.

Hank gehörte ebenfalls zu ihren Fans – Derek hatte ihre Bücher in den Regalen seines Vaters gesichtet. Natürlich nahm er nicht an, dass Hank eine ernsthafte Bedrohung für Gabrielle darstellte, aber man musste damit rechnen, dass er für Aufruhr sorgen würde.

Derek legte das Flugblatt auf den Picknicktisch und bedachte Hank mit einem strengen Blick. »Du wirst dich nicht einmal in die Nähe der Bücherei wagen, Dad.«

»Wollen wir wetten?«

»Meinetwegen, aber das Gewehr bleibt hier«, versetzte Derek. In Gedanken war er bereits weit, weit weg. Die Vorstellung, Gabrielle wiederzusehen, löste ein regelrechtes Gefühlschaos bei ihm aus. Er hatte schon genug Zeit darauf verwendet, die Fernsehprogramme umzuschalten, weil sie ständig in irgendeiner Sendung zu sehen war. Wenn er ihr nun schon persönlich begegnen musste, dann wollte er sich nicht darüber den Kopf zerbrechen müssen, dass sein Vater womöglich mit einem Gewehr aufkreuzte.

Derek griff nach der Waffe, um sie sicher im Gästehaus oder im Kofferraum seines Geländewagens zu verwahren. Man konnte nie wissen – womöglich löste sich plötzlich ein Schuss aus der alten Büchse, wenn Hank damit in der Luft herumwedelte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

Hank stampfte mit dem Fuß auf und schüttelte drohend den Zeigefinger. »Na, warte … Du bist unfair.«

»Und du bist unvernünftig. Ich fahre jetzt mit Holly ins Einkaufszentrum; willst du mitkommen?« Derek winkte seine Tochter zu sich.

»Nein, ich brauche noch einiges aus der Stadt, und dann bereite ich eine kleine Ansprache vor. Dieses Mädel hat vielleicht Nerven, zu behaupten, der Fluch wäre bloß reine Einbildung!«, brummte Hank und stapfte ins Haus.

Derek sah ihm lachend nach. Große Klappe, nichts dahinter. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass sich sein Vater freiwillig an einer öffentlichen Diskussion über den Corwin-Fluch beteiligen würde.

Eine Diskussion, die ausgerechnet Gabrielle Donovan angeleiert hatte.

Verdammt. Er konnte nicht fassen, dass sie nach all den Jahren zurückgekommen war.

Am Tag nach dem Abschlussball hatte er mit ihr Schluss gemacht, und kurz darauf waren ihre Eltern, beides Universitätsdozenten, mit ihr weggezogen – zum Glück, denn sonst hätte er sich den ganzen Sommer lang nach etwas verzehrt, das für ihn tabu war. Das Zusammensein mit ihr war schlichtweg spektakulär gewesen. Gabrielle war für ihn schon mit achtzehn das schönste, sinnlichste Wesen auf der ganzen Welt gewesen. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich ihr wohlproportionierter Körper und ihr Porzellanpuppengesicht über die Jahre zu voller Blüte entfaltet hatten. Dank der französischen Gene ihrer Mutter kannte Gabrielle in Bezug auf Sex und Leidenschaft keine Hemmungen, und sie hatten häufig miteinander geschlafen – bis Derek bewusst geworden war, dass es nicht nur ein rein körperliches Bedürfnis war, das ihn immer wieder in ihre Arme trieb.

Doch Gabrielle war nicht nur bildhübsch, sondern auch clever. Lange bevor er es sich leisten konnte, mit Millionen zu jonglieren, hatte sie Dereks Interesse am Finanzsektor erkannt. Es würde sie bestimmt nicht überraschen, dass er nach seinem Studium an der Columbia University sofort als Trader an die Wall Street gegangen war. Bald darauf hatte ihn eine Investment-Banking-Firma eingestellt. Er hatte Glück gehabt und mit einigen großen Deals ein Vermögen verdient.

Und dann war ihm ebendieses Vermögen auf dieselbe Art und Weise wieder abhandengekommen – er hatte zu viel in ein Unternehmen investiert, das sich in die falsche Richtung entwickelt hatte. Heute war er Finanzberater und zog es vor, das Einkommen anderer Leute sicher und sinnvoll anzulegen, statt sein eigenes aufs Spiel zu setzen.

Er schüttelte die Erinnerungen ab und ging zu seiner Tochter, die gerade versuchte, Fred zum Apportieren zu bewegen. Mit wenig Erfolg – der Hund lag faul auf seinem Hängebauch und stierte den Stock an, der in einiger Entfernung von ihm im Gras lag, dachte aber nicht im Traum daran, ihn zu holen.

»Können wir?«, fragte Derek.

»Klar!« Holly wischte sich die staubigen Hände an ihrer Jeans ab.

»Gut.« Er zerzauste ihr das lange Haar. »Komm, wir bringen Fred ins Haus, dann brechen wir auf.«

Holly nickte und zog an der Hundeleine, worauf sich Fred widerstrebend erhob und lostrottete.

»Was hast du denn, Daddy?«

»Wie kommst du darauf, dass ich irgendetwas habe?«, fragte Derek.

Seine Tochter sah zu ihm hoch. Wegen der Sonne musste sie die Augen zusammenkneifen. »Du siehst deprimiert aus.«

»Wie könnte ich deprimiert sein, wenn ich mit meiner Lieblingstochter einkaufen gehe?« Derek war entschlossen, sich die Zeit, die er mit seiner Tochter verbringen durfte, von nichts vermiesen zu lassen.

Sie grinste. »Ich bringe Fred zu Grandpa rüber.« Und schon war sie weg und überließ ihn seinen Gedanken. Die verführerischste Frau aus seiner Vergangenheit war wieder aufgetaucht, um seine Zukunft durcheinanderzubringen. Nun, vielleicht würde sie ja gleich wieder abreisen.

Das war jedoch genauso unrealistisch wie die Behauptung, der Corwin-Fluch hätte nichts mit der Tatsache zu tun, dass seit William Corwin jeder Mann in seiner Familie auf eine gescheiterte Ehe zurückblicken konnte.

Gabrielle Donovan ließ den Blick über die Läden und ihre bunten Markisen rechts und links gleiten, während sie in ihrem schwarzen Lexus-Cabrio die Hauptstraße entlangfuhr. Es hatte sich nicht viel verändert. Ein paar Geschäfte waren neu, moderner, aber im Großen und Ganzen war alles beim Alten geblieben. Ob das wohl auch auf Derek Corwin zutreffen mochte?

Von ihrer langjährigen Freundin Sharon Merchant wusste Gabrielle, dass Derek vor einem halben Jahr in seine Heimatstadt zurückgekehrt war. Gabrielles Eltern waren in etwa zur gleichen Zeit von Florida nach Boston gezogen, und sie war ihrem Beispiel vor einem Monat gefolgt. Sie hatte immer in der Nähe ihrer Eltern gewohnt, zumal sie sich recht nahestanden und sie als Schriftstellerin so gut wie überall leben konnte.

War es Zufall, dass auch Derek ausgerechnet jetzt wieder nach Stewart gezogen war?

Gabrielle schüttelte den Kopf. Es gab keine Zufälle. Sie glaubte zwar nicht an Flüche, aber sehr wohl an Schicksal und wahre Liebe. Und Derek Corwin war ihre große Liebe gewesen.

Von dem Augenblick an, als sie einander in der sechsten Klasse zum ersten Mal in der Cafeteria begegnet waren, hatte immer eine besondere Verbindung zwischen ihnen bestanden. Aus einer guten Freundschaft war mit der Zeit Verliebtheit geworden. Ein Tanz auf einer Schulfete hatte zu einem Kuss geführt, und von da an waren sie unzertrennlich gewesen, hatten nach der Schule jede freie Minute miteinander verbracht, ihre Hausaufgaben gemeinsam erledigt und alle Geheimnisse geteilt.

Derek und Gabby, Gabby und Derek. Er war ihr zweites Ich gewesen, von der achten Klasse bis zum Schulabschluss. Natürlich hatte sie von dem Fluch gewusst – jeder in der Stadt wusste davon –, und obwohl sie selbst nicht an derlei Dinge glaubte, akzeptierte sie in Anbetracht seiner Familiengeschichte, dass Derek wie alle Corwin-Männer die Macht des Fluches fürchtete. Von Liebe hatte er nie gesprochen, selbst dann nicht, als er die Beziehung nach dem Abschlussball beendet und ihr damit das Herz gebrochen hatte. Ihr war klar gewesen, dass er es nur deshalb getan hatte, weil er sie zu sehr liebte und fürchtete, mit seinen Gefühlen den Fluch zu aktivieren, wenn sie weiter zusammenblieben. Er hatte sie nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt, ihr gar keine Wahl gelassen.

Doch jetzt hatte sie eine Wahl, und sie war zu dem Schluss gekommen, dass das Schicksal sie nach all der Zeit nicht ohne Grund noch einmal in seine Nähe führte. Für Gabrielle bestand kein Zweifel: Sie bekamen eine zweite Chance. Jetzt musste sie nur noch herausfinden, ob es zwischen ihnen noch genauso heftig funkte wie früher.

Ihre Erinnerungen an Derek waren so präsent wie eh und je. Sie hatte ihn und die Beziehung zu ihm derart idealisiert, dass ihm kein anderer Mann auch nur annähernd das Wasser hatte reichen können. Keiner hatte sie je so gut verstanden wie Derek, keiner ihr so viel gegeben wie er. Keiner war Derek gewesen.

So hatte sie sich von einer Beziehung zur nächsten gehangelt, weil kein Mann ihre Erwartungen zu erfüllen vermochte. Und jetzt, nach Jahren der erfolglosen Suche, bot sich ihr die Gelegenheit, einen Abstecher in die Vergangenheit zu machen und zugleich herauszufinden, ob eine Zukunft mit Derek im Bereich des Möglichen lag. Wenn nicht, wusste sie zumindest Bescheid und konnte die Angelegenheit endgültig ad acta legen.

Da kam es ihr wie gerufen, dass ihre beste Freundin als Bibliothekarin in der öffentlichen Bücherei der benachbarten Gemeinden Perkins und Stewart arbeitete. Mit der Einladung, dort einen Vortrag zu halten, lieferte ihr Sharon den perfekten Grund, ihrer Heimatstadt einen Besuch abzustatten. Gabrielle freute sich auf den Abend, rechnete jedoch nicht damit, dass Derek aufkreuzen würde. Wie sie ihn kannte, würde er einen großen Bogen um ein Ereignis machen, bei dem öffentlich über den Corwin-Fluch geredet wurde, und auf ihre Menschenkenntnis war normalerweise Verlass.

Aber das machte nichts – Gabrielle hatte in Bezug auf Derek ohnehin andere Pläne.

Ihr erstes Reiseziel an diesem Vormittag war das Rhodes Inn gewesen, eine alte Frühstückspension mit gerade mal drei Zimmern. Obwohl Boston nur eine Autostunde entfernt war, hatte Gabrielle vor, ein paar Tage zu bleiben. Deshalb hatte sie sich bei der liebenswürdigen Adele Rhodes eingemietet, die Gabrielle in der fünften Klasse unterrichtet und damals ihre Liebe zur Schule und zum Schreiben nach Kräften gefördert hatte. Mrs. Rhodes hatte sich riesig gefreut, als ihre mittlerweile so berühmte ehemalige Schülerin angerufen hatte, um ein Zimmer zu reservieren.

So wurde Gabrielle von ihrer Lehrerin denn auch sehr herzlich im Rhodes Inn empfangen. Nachdem sie ihren Koffer ins Zimmer gebracht und das Nötigste ausgepackt hatte, war sie wieder in ihren Wagen gestiegen und hatte sich auf den Weg zu Sharon gemacht, die bei ihren Eltern am Stadtrand von Stewart lebte.

Sharon hatte zwar kürzlich gemeinsam mit ihrem Verlobten Richard Stern ein Haus in Perkins gekauft, doch die beiden wollten erst nach den Wahlen im Herbst heiraten, und so lange mussten sie getrennt wohnen. Eine wilde Ehe kam nicht in Frage, denn Richard hatte vor, als Bürgermeister von Perkins zu kandidieren und konnte sich keinen Skandal leisten. Zumal er gegen Mary Perkins antrat, die vor ihm keinen Gegenkandidaten gehabt hatte. Früher hatte sich Sharon nicht sonderlich um gesellschaftliche Konventionen gekümmert, doch seit einer äußerst unerfreulichen Erfahrung im College hatte sie ihre diesbezügliche Sorglosigkeit eingebüßt. Heute war Sharon glücklich, aber merklich ruhiger.

Gabrielle parkte in der ruhigen Straße vor dem niedrigen alten Haus im Cape-Cod-Stil und klingelte an der Tür. Sharon machte ihr auf und schloss ihre Freundin zur Begrüßung fest in die Arme.

»Ich freue mich riesig, dass du wieder da bist«, strahlte sie und ließ Gabrielle los.

Sie waren zwar telefonisch und per E-Mail in Verbindung geblieben, und Sharon hatte Gabrielle sogar in Florida besucht, doch dieses Wiedersehen war anders. Gabrielle war seit fast vierzehn Jahren nicht mehr in der Stadt gewesen. Sie hatte Stewart – und ihre Erinnerungen an Derek – viel zu lange gemieden. Doch das würde sich nun, da sie in der Nähe wohnte, hoffentlich ändern.

Gabrielle lächelte. »Ich freu mich auch. Du siehst toll aus«, stellte sie mit einem Blick auf die lange dunkelblonde Mähne und das geblümte Sommerkleid ihrer Freundin fest.

»Du aber auch!« Sharon deutete auf Gabrielles schulterlanges Haar, das topmodisch gestylt war. »Ich brauche dringend einen ordentlichen Haarschnitt, aber zu den hiesigen Friseuren habe ich einfach kein Vertrauen.«

»Ich habe in Boston einen hervorragenden Stylisten aufgetrieben. Wenn du willst, können wir nächste Woche mal hinfahren.«

Sharon nickte aufgeregt. »Gern. Vielleicht lasse ich sie mir sogar auf deine Länge trimmen.«

»Du würdest bestimmt umwerfend aussehen mit kürzeren Haaren.« Bei dieser Gelegenheit fiel Gabrielle wieder ein, wie sie in der Highschool versucht hatten, sich mit Wasserstoffperoxyd die Haare zu bleichen. Leider waren sie danach nicht wie erhofft goldblond, sondern grün gewesen – und auch so geblieben, bis ihre Mütter eingewilligt hatten, die Sache für teures Geld von einem Profi wieder ins Lot bringen zu lassen.

»Und wenn wir schon mal dort sind, könnten wir auch gleich einen Abstecher in die Boylston Street und ins Copley-Place-Einkaufszentrum machen.« Sharon verzog das Gesicht und zupfte an ihrem geblümten Kleid. »Ich brauche neue Klamotten.«

Gabrielle lachte. Manches änderte sich eben nie. Shopping war und blieb eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Im Grunde waren sie wie Schwestern. Schwestern, die sich niemals zankten, sondern einfach gern Zeit miteinander verbrachten.

Sharon bat ihre Freundin herein und führte sie ins Wohnzimmer, das Mrs. Merchant mit Fotos von ihren Kindern und eleganten Accessoires geschmackvoll eingerichtet hatte.

»Ich bin dir so dankbar, dass du dich bereit erklärt hast, diesen Vortrag zu halten. Richard ist überzeugt, dass er die Wahl nur gewinnen kann, wenn er den Bewohnern ihre Angst vor Mary Perkins nimmt.« Sharon war ein großer Fan von Gabrielle und sah zu, dass jedes ihrer Werke den Weg in die hiesige Stadtbücherei fand.

»Gern geschehen.« Gabrielle ergriff die Hand ihrer Freundin und drückte sie. »Ich finde es großartig, dass ich wieder in deiner Nähe wohne.«

Sharon beugte sich nach vorn. »Ich auch. Aber jetzt erzähl von deinem neuen Projekt. Worum geht es in deinem nächsten Buch?«

Gabrielle holte tief Luft. »Ich werde über den Corwin-Fluch schreiben.« Und hoffentlich mit diesem Aberglauben gründlich aufräumen.

»Wow.«

»Du sagst es. Ich werde Recherchen anstellen und mit den betroffenen Familien sprechen. Ich will diesem Unsinn endlich ein Ende bereiten«, verkündete Gabrielle entschlossen.

Jahrelang hatte sie zahlreiche übersinnliche Erscheinungen von Geistern bis hin zu UFO-Landungen erklärt, nur vor dem Thema Verwünschung war sie bislang stets zurückgeschreckt. Doch es hatte nichts genützt; sie war nie über den Verlust ihrer großen Liebe hinweggekommen. Der Corwin-Fluch hatte ihr den Mann genommen, den sie liebte, weil Derek daran glaubte. Wenn es den Fluch nicht gegeben hätte, dann wäre sie wohl längst mit Derek verheiratet, hätte vielleicht sogar Kinder mit ihm. Sie wäre trotzdem Schriftstellerin geworden, weil ihr das Schreiben im Blut lag, doch wie anders hätte ihr Privatleben ausgesehen! Nun wollte sie dem Thema nicht länger aus dem Weg gehen. Es war an der Zeit, ihre Geschichte aufzuarbeiten, den Geistern der Vergangenheit ins Auge zu blicken und die Weichen für die Zukunft zu stellen.

»Was meinst du, wie werden sie reagieren?«, fragte Sharon.

Gabrielle zuckte die Achseln. »Darüber darf ich mir gar nicht erst Gedanken machen. Ich muss es tun – für mich.«

Nach dem Schulabschluss hatte sie in Florida unter anderem Verhaltenspsychologie studiert und mit der Zeit gelernt, beim Schreiben ihren Gefühlen auf den Grund zu gehen. Sie hatte Dereks Überzeugungen nichts entgegensetzen können, und es war ihr völlig unbegreiflich gewesen, wie er hatte zulassen können, dass ein vor Jahrhunderten ausgesprochener Fluch ihre gemeinsame Zukunft zunichtemachte.

Gabrielle wollte verstehen, wie es kam, dass sich ein Mensch mit einem freien Willen in seinem Verhalten von Dingen beeinflussen ließ, die gar nicht existierten. Sie wollte begreifen, warum der Mann, den sie liebte, und von dem sie annahm, dass er sie ebenfalls liebte, mit ihr Schluss gemacht hatte, nur weil er glaubte, er wäre verflucht.

»Ich kann einfach nicht fassen, dass Richards Zukunft von einem lächerlichen alten Mythos abhängen soll«, bemerkte Sharon.

Gabrielle schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Warum nicht? Bei mir war es doch auch so.«

Sharon schlug sich die Hand vor den Mund. »Entschuldige! «, rief sie. »Wie dumm von mir. Ich hab nicht nachgedacht. «

»Keine Sorge; ich ziehe dich bloß auf. Das Dumme ist nur: Wenn Menschen an solche Phänomene glauben, dann stützen sie sich dabei meist auf ›Beweise‹, die nur schwer zu widerlegen sind. In diesem Fall hat sich die Geschichte so oft wiederholt, dass es tatsächlich so aussieht, als würde ein Fluch auf der Familie lasten.« Genau deshalb hatte Gabrielle auch vor, Nachforschungen anzustellen.

Sharon zog die Nase kraus. Das Thema war ihr sichtlich zuwider. »Du meinst, weil bislang alle Corwin-Männer Pech in der Liebe hatten, glauben die Leute, dass eine Hexe dahintersteckt?«

»Nicht nur. Es hat auch damit zu tun, dass sich die Nachfahren dieser Mary Perkins, die seit Generationen das Regiment in der Stadt führen, das Pech der Corwins bewusst zunutze machen, um ihre Machtposition zu stärken. Sie manipulieren die Bürger, indem sie ständig an den Fluch erinnern und damit deren Furcht schüren.«

Sharon nickte. »Stimmt. Die derzeitige Bürgermeisterin hat durchblicken lassen, dass sie genau wie ihre Namensvetterin vor hundertdreißig Jahren in der Lage ist, ihre Widersacher zu verwünschen. Je mehr Richard versucht, Wählerstimmen für sich zu gewinnen, desto hartnäckiger erinnert sie an die Vergangenheit und an ihre Macht.«

»Wie das?«, wollte Gabrielle wissen. Es war ihr schleierhaft, wie eine ganz normale Frau so viel Einfluss auf die Stadtbewohner ausüben konnte.

»Nun, vor kurzem kam zum Beispiel ein großer Bauunternehmer in die Stadt, um mehrere Grundstücke zu erwerben, auf denen er ein Seebad errichten wollte. Doch Mary ist sehr darauf bedacht, niemanden in ihre Nähe kommen zu lassen, der ihre Macht ins Wanken bringen könnte. Also hat sie die Grundbesitzer gezwungen, das Land stattdessen ihr zu verkaufen, zu einem weitaus niedrigeren Preis.«

Gabrielle erhob sich und strich die Falten in ihrem Leinenrock glatt. »Wie denn das? Warum sollte sich jemand auf einen solchen Handel einlassen?«

Sharon erhob sich ebenfalls. »Tja, Mary hat sie quasi enteignet, mit dem Argument, die Stadt hätte Anspruch auf das betreffende Land, weil es dem Allgemeinwohl diene. Sie hat den einzelnen Besitzern gedroht, sie anderenfalls vor Gericht zu bringen. Sie würde den Prozess ohnehin gewinnen, und dann würden sie noch weniger Geld für ihre Grundstücke bekommen, als sie gnädigerweise zu bezahlen gewillt sei. Außerdem hat sie erwähnt, dass sie in direkter Linie von der Mary Perkins abstammt, und dabei angedeutet, dass es bloß eines Zauberspruches ihrerseits bedarf, um dafür zu sorgen, dass sie alle pleitegehen. Du kannst dir vorstellen, dass niemand gewagt hat, ihr Angebot abzulehnen – und natürlich wollte hinterher keiner der Betroffenen zugeben, dass man ihnen gedroht hatte.« Sharon schnaubte.

Gabrielle blieb vor dem Fenster stehen und sah zu ihrem Cabrio hinaus. »Ich sehe schon, das wird noch ein hartes Stück Arbeit für Richard.« Vorträge waren da wohl nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber das behielt sie wohlweislich für sich. Alter Aberglaube hielt sich oft hartnäckig. Nicht selten kam man dagegen weder mit gesundem Menschenverstand noch mit schlagkräftigen Argumenten an.

»Okay, genug von diesem Fluch. Kommen wir zum Achthundert-Pfund-Gorilla, wie es im amerikanischen Politslang so schön heißt«, sagte Sharon.

Gabrielle hob fragend eine Augenbraue, obwohl sie bereits ahnte, worauf ihre Freundin anspielte, doch sie wollte erst ganz sichergehen, ehe sie womöglich voreilige Schlüsse zog. »Und der wäre?«

»Na, Derek Corwin natürlich. Ich weiß, dass das Wiedersehen mit ihm nicht einfach für dich werden wird.«

Gabrielle grinste. »Tja, wenn er inzwischen achthundert Pfund wiegt, besteht wohl keine Gefahr, dass ich ihn noch so attraktiv wie früher finde.«

»Sehr witzig.«

»Ja, nicht?« Gabrielle zuckte die Achseln und schwieg.

Sharon verzog das Gesicht. »Okay, ich verstehe schon, du willst heute nicht über Derek reden. Dann fahren wir jetzt eben zur Bücherei; ich habe gestern nämlich mein Handy dort vergessen. Und danach gehen wir shoppen. Es gibt hier in der Nähe ein Einkaufszentrum, das dir gefallen wird. Bist du dabei?«

Gabrielle nickte. »Klingt gut.«

Im Augenblick war ihr alles recht, solange es nichts mit Derek zu tun hatte.

Sie war inzwischen eine wahre Meisterin des Themenwechsels. Wann immer ihr Sharon mit Tratsch und Klatsch über Derek kam, schnitt Gabrielle einfach ein neues Thema an. Sharon hatte es trotzdem immer wieder geschafft, ihr von sämtlichen einschneidenden Veränderungen in Dereks Leben zu berichten – von der baldigen Heirat bis hin zu seiner Scheidung vor zwei Jahren. Damit hatte sie jedes Mal wieder Salz in alte Wunden gestreut, und irgendwann hatte sich Gabrielle eingestehen müssen, dass diese Wunden nie richtig verheilt waren.

Dabei hatte sie alles darangesetzt, Derek zu vergessen. Mit wenig Erfolg. Deshalb war es an der Zeit, sich der Vergangenheit zu stellen, damit sie endlich ein neues Kapitel in ihrem Leben aufschlagen konnte.

Kapitel 2

Auf dem Weg zum Einkaufszentrum machte Derek an der Bücherei halt, damit Holly ein paar Bücher zurückgeben und neue ausleihen konnte, während er zur Tankstelle fuhr. Als sie eine halbe Stunde später weiterfuhren, erhielt Holly einen Anruf von ihrer Mutter. Marlene amüsierte sich offenbar blendend auf ihrer Reise und musste sich einen zusätzlichen Koffer zulegen, weil sie so viele tolle Andenken für Holly gekauft hatte. Die beiden unterhielten sich fast die ganze Fahrt lang, und anschließend fühlte sich Holly bemüßigt, sämtliche Anekdoten zu wiederholen, von denen ihr ihre Mom am Telefon berichtet hatte, so dass Derek geradezu erleichtert war, als sie endlich beim Einkaufszentrum ankamen.

Dabei gehörte Shoppen nun wirklich nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Im Gegenteil. Normalerweise sah er zu, dass er seine Einkäufe so schnell wie möglich erledigte. Diesmal jedoch machte es ihm richtig Spaß, mit seiner Tochter all die Läden abzuklappern, in die er sonst nie auch nur einen Fuß setzte. Holly legte beim Shoppen dieselbe Ausdauer wie ihre Mutter an den Tag, so viel stand bald fest. Unermüdlich wanderte sie von Geschäft zu Geschäft, machte ein ums andere Mal entzückt »oooh« und »aaah«. Im Gegensatz zu Marlene allerdings verlangte sie nicht, dass er ihr jeden einzelnen bewunderten Gegenstand kaufte. Sie ließ sich zwar die Flipflops ersetzen, die Fred zum Opfer gefallen waren, doch ansonsten war sie zu Dereks Verwunderung äußerst genügsam.

Schließlich landeten sie bei Bloomingdale’s, und als sie mit der Rolltreppe in die Abteilung für Mädchenmode fuhren und bei einem Schild mit der Aufschrift Bettwäsche und Frotteewaren – Sommerschlussverkauf vorbeikamen, fiel Derek ein, dass er schon lange neue Handtücher kaufen wollte. »Hast du was dagegen, wenn wir einen kleinen Umweg machen? Ich brauche Handtücher.«

Holly schüttelte den Kopf. »Nö.«

Also begaben sie sich auf die Suche nach den Frotteewaren. Unterwegs blieb Holly vor einem Bett stehen, um ein auffällig gemustertes Bettwäscheset – Pink und Lila auf weißem Grund – zu bewundern.

Derek ging zu ihr zurück. »Na, was hast du entdeckt?«

»Sieh mal!« Ihre blauen Augen leuchteten auf, als sie auf die ausgestellte Bettwäsche und die dazu passenden Zierkissen deutete. »Meine beste Freundin Robin hat so etwas Ähnliches. Toll, nicht?«

»Äh, ja … für ein Mädchen …« Er fuhr ihr liebevoll durch die Haare.

Dann wurde ihm klar, dass Holly ohne ein Wort der Klage in Hanks alter Bettwäsche geschlafen hatte, seit sie bei ihm wohnte. Es war Derek gar nicht in den Sinn gekommen, dass sie womöglich lieber eigene Bettwäsche haben wollte, um ihrem Zimmer eine persönliche Note zu verleihen.

»Sollen wir die kaufen? Für dein Zimmer hier?«, fragte er sie.

Holly sah ihn mit großen Augen an. »Meinst du das wirklich ernst?«

Er nickte. Wenn das schon alles war, was er tun musste, um sie glücklich zu machen, sollte sie diese Bettwäsche haben.

»Ehrlich? Ich meine, ich weiß nicht einmal, wie lange ich hier sein werde. Und daheim lässt mich Mom diese Bettwäsche sicher nicht verwenden, weil sie farblich nicht in mein Zimmer passt.« Sie zog die Nase kraus. »Außerdem ist sie bestimmt ganz schön teuer …« Sie machte sich sichtlich wenig Hoffnungen.

Derek hatte noch nicht auf das Preisschild geguckt, aber egal, was ihn dieser Spaß auch kosten mochte, er wollte ihr eine Freude machen. »Was steht auf dem Schild dort?« Er zeigte auf eine Reklametafel, die mitten in der Abteilung stand.

Holly schob sich eine Haarsträhne hinters Ohr und kniff die Augen zusammen. »Sommerschlussverkauf«, las sie vor. »Aber …«

»Nichts aber. Glaub mir, eine Garnitur Bettwäsche kann ich mir schon noch leisten. Ehrenwort.« So schlecht ging es ihm nun auch wieder nicht.

Zugegeben, die Scheidung hatte einen Großteil seines Vermögens geschluckt, weil er seiner Tochter nach Möglichkeit alle weiteren Streitigkeiten ersparen wollte. Und das übrige Geld hatte er dann fast zur Gänze auf dem Aktienmarkt verloren …

Er hatte seiner Ex bewusst mehr zukommen lassen, als ihr zustand, weil er sich selbst und dem Fluch die Schuld dafür zuschrieb, dass ihre Ehe gescheitert war. Und nicht genug damit. Nachdem er das meiste des verbliebenen Kapitals in eine Firma investiert – eine »todsichere Sache« – und beinahe alles verloren hatte, war sein Vermögen endgültig dahin gewesen. Der Fluch hatte also voll zugeschlagen. Und das, obwohl er Hollys Mutter nicht aus Liebe geheiratet hatte.

Der Grund für die Eheschließung war allein das kleine blonde Mädchen gewesen, das nun vor ihm stand. Er hatte Marlene im zweiten Collegejahr geschwängert. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, hatte sein Vater damals gesagt und ihn dafür gerügt, dass er nicht aus seiner Geschichte gelernt hatte. Damit hatte Hank nicht ganz Unrecht – Derek war unvorsichtig gewesen. Aber er hatte angenommen, er könnte dem Fluch entkommen, weil er nie in Marlene verliebt gewesen war.

Falsch gedacht. Marlene hielt nichts von Abtreibung – nicht, dass er derlei von ihr verlangt hätte –, also stellte sich Derek seiner Verantwortung und heiratete sie. Sein Vater hatte versucht, dasselbe zu tun, als Vivian, seine große Liebe, schwanger geworden war, doch ihre Eltern hatten dazwischengefunkt. Sie hatten Vivian in eine Anstalt für ledige Mütter gesteckt und von ihr verlangt, das Kind zur Adoption freizugeben. Doch das hatten Hank und seine Brüder zu verhindern gewusst. Sie waren mit einer beträchtlichen Summe Geld angerückt und hatten Derek mit nach Hause genommen. Danach war Vivians Familie weggezogen, und Vivian weigerte sich bis zum heutigen Tage, Derek als ihren Sohn anzuerkennen.

So etwas hätte er seinem Kind nie und nimmer antun können. Er hatte Marlene geheiratet, weil es ihm damals vernünftig erschienen war. Sie waren gut miteinander ausgekommen, und als dann auch noch das Kind ins Spiel gekommen war, hatte er plötzlich einen tieferen Sinn in der Verbindung gesehen: Mit Marlenes Hilfe würde er den Fluch umgehen können. Er war zu der Überzeugung gekommen, dass er gefahrlos sein Leben mit ihr teilen, eine Familie gründen, sich eine Zukunft mit ihr aufbauen konnte, weil er sie ja nicht liebte.

Dass die Ehe schon bald ein Desaster war und geschieden werden musste, führte ihm vor Augen, dass er einem Irrtum aufgesessen war. Wie es aussah, reichte es bereits, ein männlicher Corwin zu sein, um den Fluch zu aktivieren.

»Dad?« Holly zupfte an seinem Ärmel.

»Entschuldige, ich war kurz in Gedanken woanders.« Derek räusperte sich. »Mach dich doch schon mal auf die Suche nach der Bettwäsche.«

Sie nickte und begann zwischen den Regalreihen auf und ab zu flitzen. Schließlich winkte sie ihn zu sich. »Ich hab sie!«, rief sie und hopste vor Aufregung auf und ab.

»Ich komme!« Wie anders sein Leben jetzt verlief! Er hatte zwar weniger Geld, aber dafür mehr Freizeit zur Verfügung, und das war ihm ganz recht so, da Holly den Sommer bei ihm verbringen würde.

Er hatte gerade genug auf der hohen Kante, damit er sich keine Sorgen um die Zukunft machen musste, aber ansonsten hielt er es inzwischen wie die anderen Männer in seiner Familie und bemühte sich gar nicht erst, Reichtümer anzuhäufen, die er womöglich sehr schnell wieder verlieren würde.

Das Leben war bedeutend einfacher so, obwohl ihm gelegentlich der Adrenalinkick fehlte, den es ihm verpasst hatte, wenn er hoch gepokert und danach die Belohnung dafür eingestrichen hatte.

»Du brauchst Laken und Bettbezug für ein Queen-Size-Bett, also hundertvierzig mal hundertneunzig Zentimeter«, erklärte er Holly. »Und auf dem Kissenbezug muss Normalgröße stehen, nicht Übergröße.«

»Oh, Mann, ich kann noch gar nicht fassen, dass ich die Sachen wirklich kriege«, murmelte sie und ging in die Hocke, um die versiegelten Verpackungen im Regal durchzusehen.

Ihre Worte versetzten Derek einen Stich. »Warum denn nicht, Kleines?«

Sie sah zu ihm hoch. »Versprichst du mir, dass du nicht sauer sein wirst?«

Er nickte. Er konnte sich nicht entsinnen, je ernsthaft böse auf sie gewesen zu sein. Andererseits hatte er so viele Überstunden gemacht, dass er kaum je genügend Zeit zu Hause verbracht hatte, um sich über irgendetwas zu ärgern. Und in den vergangenen zwei Jahren war Holly, wenn es hochkam, an ein, zwei Wochenenden bei ihm gewesen. Er hatte seiner Ex gedroht, wegen Beschneidung des Besuchsrechts vor Gericht zu gehen, doch sie hatte immer einen vernünftigen Grund vorgebracht, weshalb er seine Tochter nicht sehen konnte. Ständig war Holly bei irgendwelchen Freundinnen eingeladen gewesen, mal zu einer Pyjamaparty, dann zu einem Geburtstagsfest. Es war ihm so vorgekommen, als wollte Marlene ihn dafür bestrafen, dass er seiner Familie nicht genügend Zeit gewidmet hatte.

Erst seit ihrer Verlobung mit John Bartman verhielt sie sich Derek gegenüber nicht mehr ganz so verbittert. Sie liebte John, und er behandelte sie so, wie sie es sich von Derek erhofft hatte. Seither herrschte zwischen ihnen ein Waffenstillstand, und Derek war froh, dass er Holly endlich häufiger zu Gesicht bekam.

Er lächelte auf seine Kleine hinunter, die sich jetzt aufrappelte.

»Ich verspreche dir, ich werde nicht sauer sein.«

Holly holte tief Luft. »Mom hat früher manchmal behauptet, dass du ihr die Alimente nicht gönnst. Dass du dein hart verdientes Geld nicht an mich verschwenden willst.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie biss sich auf die Unterlippe.

Wieder spürte er einen Stich in der Brust. Es überraschte Derek zwar nicht, dass Marlene seinetwegen derart verbittert war, aber es brachte ihn auf die Palme, dass sie seine Tochter so schamlos belogen hatte.

»Hat sich Mom je geweigert, dir etwas zu kaufen, das du gerne haben wolltest?«, fragte er.

»Nein. Und es ist auch schon sehr lange her, dass sie so etwas gesagt hat, aber ich konnte es trotzdem nicht vergessen«, schniefte Holly.

»Ich habe keine Taschentücher dabei. Willst du dir stattdessen damit die Nase putzen?« Derek hielt ihr grinsend den Ärmel hin.

Sie kicherte. »Dad!«

Er lachte. »Hör mal, Holly.« Er nahm ihre kleine Hand in die seine. Die Berührung brachte ihn ganz aus der Fassung. »Ich bin nicht sauer, ehrlich«, versicherte er ihr und drückte ihre Hand. »Ich habe eine Menge Fehler gemacht, was deine Mom angeht. Sauer bin ich höchstens auf mich selbst, weil ich sie so unglücklich gemacht habe.« Er wählte seine Worte mit größter Sorgfalt. Es sollte auf keinen Fall so aussehen, als wollte er über Marlene herziehen.

Sie hatten in der Zwischenzeit beide einiges dazugelernt.

»Ich muss allerdings ein paar Dinge klarstellen. Erstens: Ich liebe dich, und ich habe dich nicht einfach verlassen; sondern deine Mutter und ich haben uns darauf geeinigt, dass es das Beste ist, wenn ich gehe. Deine Mom war eine Zeit lang auf mich böse, aus Gründen, die du noch nicht verstehst, aber das ist vorbei. Ich freue mich, dass sie und John miteinander glücklich sind. Du auch?«

Holly nickte. »Ja. John ist echt in Ordnung, und außerdem ist Mom jetzt immer viel fröhlicher als früher.«

Derek atmete erleichtert auf. Es war nicht einfach für ein Kind, mit einer Scheidung klarzukommen. »Was hältst du dann davon, wenn wir zwei noch einmal ganz von vorn anfangen? Keine Mutmaßungen, keine Missverständnisse. Wenn du etwas möchtest, dann frag mich einfach, ob du es haben darfst. Ich behalte mir vor, nein zu sagen, wenn ich der Ansicht bin, dass es nicht gut für dich ist. Aber selbst das wird immer aus Liebe geschehen. Okay?«

Holly, die überraschend reif wirkte für eine Elfjährige, starrte nur wortlos zu ihm hoch.

»Hast du verstanden, was ich damit sagen will?«, fragte er sicherheitshalber.

Sie zog die Nase hoch und nickte. »Ich glaube, du willst sagen, dass du mir diese Bettwäsche kaufen wirst, aber die Erklärung war ziemlich lang und kompliziert.« Sie trat von einem Fuß auf den anderen. »Kann ich jetzt weitermachen? «

Er lachte und schloss sie ganz automatisch in die Arme.

Als sie erstarrte, setzte sein Herz einen Takt aus. Es war lange her, seit sie einander körperlich so nahe gewesen waren. Er hielt die Luft an und wartete gespannt auf ihre Reaktion. Sein Herz begann erst wieder zu schlagen, als sie ihm zögernd die Arme um die Taille legte und ihn vorsichtig an sich drückte.

Dann machte sie sich von ihm los und reichte ihm Laken und Bezüge. Bei der Tagesdecke und den Zierkissenhüllen sah sie erst noch einmal unsicher zu ihm hoch, und als er nickte, wurde ihr Lächeln gleich noch einmal so breit.

Derek ließ sich alles auf die Arme häufen und wedelte dann mit den Zierkissenbezügen. »Für die Dinger hier brauchst du noch kleine Kissen«, sagte er. »Ich habe welche drüben beim Musterbett gesehen.«

»Okay.« Sie lief davon. Als sie gleich darauf mit drei kleinen Kissen wieder angehopst kam, schien sie erneut etwas auf dem Herzen zu haben.

»Was ist?«, erkundigte er sich.

»Während ich die Kissen gesucht habe, sind mir diese zwei Frauen begegnet«, flüsterte sie. »Die eine war Miss Merchant, die Bibliothekarin, und die andere habe ich vorhin in der Bücherei schon gesehen, als ich mir neuen Lesestoff ausgeliehen habe.«

Derek hatte keine Ahnung, worauf sie hinauswollte. »Nun, das hier ist das einzige größere Einkaufszentrum weit und

Die Originalausgabe Lucky Charm erschien bei Harlequin Books, Ontario

Vollständige deutsche Erstausgabe 05/2009

Copyright © 2008 by Karen Drogin

Copyright © 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

eISBN 978-3-641-06265-1

www.heyne.de

www.randomhouse.de

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