Traumdealer am Abstellgleis - Selina Haritz - E-Book

Traumdealer am Abstellgleis E-Book

Selina Haritz

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Beschreibung

Was tut man, als Regenbogen-Teddybär, wenn man aufgrund seiner eigenen Feigheit die Liebe seines Lebens verloren hat? Wenn sich die Plüschgesellschaft ungeachtet des eigenen Elends im Scheinwerferlicht von Varietés und Brausebonbonparties vergnügt? Richtig: Sich abwenden und ein Leben am Abstellgleis wählen! Statt den profanen Freuden des Alltags zu folgen, gilt es mit seinen zwei Freunden zu philosophieren und sich auch schon mal dem Drogenrausch hinzugeben. Wäre da nicht diese unglaublich süße Hasendame … Regen ist wieder verliebt, mit Fell und Watte. Aber kaum hatte sie sein Leben betreten, wurde sie auch schon von Ratten entführt und alles, was die drei Freunde beitrugen, war feige zuzusehen. Nach langem Zögern und einem ordentlichen Schubs ihrer Dealerin Candy machen sich die drei Eremiten auf den Weg, sie zu retten. Immerhin lockt als Belohnung, neben der Herzensdame, auch eine ganze Stange Schokoladenzigaretten, mit dem Regen im Traumland das Abo seines eigenen Wunschtraums unbegrenzt verlängern könnte. Ein mehr als nur willkommenes Angebot, denn Regens Traum mit dem Haus am Honigsee fängt bereits an, zu bröckeln. Wird es Regen und seinen Freunden gelingen, Hase aus den Fängen der Ratten zu befreien, ehe sie als Nistmaterial endet? Tauchen Sie mit Selina Haritz ein in die Welt der Drogen, Plüschtiere und unerfüllten Träume. Genießen Sie ein Abenteuer mit Zuckerwattestand und Schokoladenzigaretten. Mit einem Vorwort von Christian von Aster!

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Für alle verlorenen Träume: Es besteht Hoffnung!

Für meine geflohene Stofftierrobbe:

Du warst niemals nur Zeug’ für mich.

Für Hendrik

Selina Haritz

Traumdealer am Abstellgleis

Edition Roter Drache

1. Auflage Oktober 2016

Copyright © 2016 by Edition Roter Drache

Edition Roter Drache, Holger Kliemannel, Haufeld 1, 07407

Remda-Teichel

[email protected]; www.roterdrache.org

Buch- und Umschlaggestaltung: Edition Roter Drache

Titelbild: Erneste Spoerr

Alle Bilder stammen von Johanna Tsukalidis-Naujoks

Lektorart: Anne-Cathrin Rost

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH 2018

Alle Rechte vorbehalten.

Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form (auch auszugsweise) ohne die schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert, vervielfältigt oder verbreitet werden.

ISBN 978-3-944180-90-8

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Kapitel Achtundzwanzig

Kapitel Neunundzwanzig

Kapitel Dreissig

Kapitel Einunddreissig

Danksagung

Die Autorin

VORWORT

Ich habe dem Plüsch ins Auge geblickt.

Bin mehr knietief zwischen Polyester und Holzwolle durch die Hölle des Füllmaterials gewatet, um zu verstehen, was die unverstandenen Plüschtiere dieser Welt bewegt. Jene tragischen, quengelnden Kindern gekauften, auf dem Rummel gewonnenen und ihr Dasein zwischen Regal und Vergessen fristenden Kreaturen, denen unsereins anmaßenderweise nur selten ein eigenes Leben, geschweige denn Denken, zubilligt.

Wobei es durchaus Versuche gab, den Menschen die Wahrheit zu bringen. Propheten des Plüschs, deren Worte ungehört verklangen. Ich erinnere mich an Clifford Chases Winkie, einen Teddybär, vom FBI angeschossen und von der Öffentlichkeit als Terrorist verurteilt, der sein Leben in die eigene Hand nehmen wollte. An Ted, jenen renitent vulgären Bär, der sich mit Hilfe von Mark Wahlberg und zweierlei Filmen in die Herzen der Menschen grantelte. Und natürlich an Plüsch, Power und Plunder, ein bizarres Rollenspiel, in dessen Rahmen der Spieler die Rolle belebter Kuscheltiere übernehmen und die Wirren des Spielzeuglebens am eigenen Leib erfahren konnte. Ganz zu schweigen von Die dunkle Seite des Plüsch, einer Kurzgeschichte, mit der ich selbst mich bemühte die Untiefen der Kuscheltieristik auszuloten. Im Lauf der Zeit hat es also einige Versuche gegeben, den Menschen die Augen zu öffnen. Wann immer mir aber danach zumute war, von den Weisheiten Nietzsches und Schopenhauers begleitet und um der Liebe Willen mit ein paar drogenabhängigen Plüschtieren in ein Abenteuer zu ziehen, gab es nichts. Rein gar nichts. Ich bin Selina Haritz dankbar. Dafür, dass ich all das nun mit Regen, Panther und dem Braunen endlich nachholen darf. Dafür, dass ich es in einer Welt tun darf, die neben der obskuren Poesie des Plüsch ein paar Wahrheiten und Sichtweisen über unsere eigene Welt bereit hält. Dankbar für ebenso skurrile wie glaubhafte Charaktere, die Erinnerung daran, dass man für seine Träume manchmal etwas tun muss und natürlich für den ersten drogendealenden Dalmatiner meines Lebens. Oh ja, ich bin dankbar.

Und ihr solltet es auch sein.

Christian von Aster, 18.09.2016

KAPITEL EINS

»Die Hoffnung ist der Regenbogen über den herabstürzenden jähen Bach des Lebens.« (Nietzsche)

Ich war auf meinen Fellzustand nicht stolz. Alleine der Anblick deprimierte mich. Mein innerer Regenbogen bestand neben deprimierendem und tristem Grau, dem Grau toter Tauben, auch aus dem Schwarz verlorener Stunden und zerplatzter Träume. Mein äußeres Regenbogenfell bestand aus matschigem Rot, verrußtem Gelb, wurmstichigem Grün, teerverklebtem Blau und seltsam psychedelischem Violett.

Und zu allem Überfluss klebte es jetzt. Halbgeschmolzene Schokolade, die ich, bei jedem Versuch sie wegzubekommen, noch tiefer in mein Fell rieb. Schokolade gehörte in den Magen und nirgendwo sonst hin. Sie sorgte dafür, dass aus nichtssagenden nebligen Träumen Träume erster Güte wurden. Solche, zu denen sich eine Realitätsflucht noch lohnte. Und jetzt klebte sie in meinem Fell und ließ sich nicht einmal vernünftig abschlecken. Doch was war verblasste Eitelkeit gegen den Lohn der Anerkennung? Ich würde mit reicher Beute heimkehren, wenn ich diese verdammte Tüte endlich aus ihrer misslichen Lage befreien konnte.

Also zerrte ich mit einer verklebten Pfote weiter an dem Zellophan. Der Schatz hatte sich zwischen einer angerosteten Schraube und den Schienen verklemmt. Ich nahm meine zweite Pfote zur Hilfe, stemmte die Hinterpfoten in das Gleisbett und zog. Die spitzen Steine bohrten sich schmerzhaft in meine Sohlen. Es hatte keinen Zweck. Ich ließ los, als mich der Duft von Schokolade wieder umfing. Es war so verlockend.

Ein letztes Mal versuchte ich es. Presste meine ganze verbliebene Bärenstärke gegen das unvermeidliche Schicksal. Der elende Beutel riss. Schokoladeneier flogen mir um die Ohren, glitzerndes Papier verteilte sich zwischen den Steinen. Jetzt hatte ich erst recht keine Zeit mehr, alles in Sicherheit zu bringen. Bald würde die nächste U-Bahn darüber hinweg rasen und die Tüte mitsamt Inhalt in die dunklen Tunnel schleifen. Ich griff nach ein paar größeren Stücken. Doch etwas bewegte sich plötzlich in den Resten der Tüte und ich stolperte zurück; hielt meine Arme schützend vor mich. Mein erster Gedanke war: Ratten! Wie waren sie so schnell hergekommen? Ich brauchte zwei, drei panische Atemzüge, um zu registrieren, dass es wohl doch keine Ratte war. Ich wäre sonst längst Opfer der scharfen Krallen geworden und hätte ihre Zähne in meinen Hauptfäden wiedergefunden. Sie hätten meine Füllung über die Gleise verstreut, mich mit Spott überzogen und anschließend meine traurigen Fellreste in ihr Nest gezerrt.

Ein Stück braunes Fell grub sich nun aus dem Ostergras heraus. Kleine hellbraune Pfoten, wie Cappuccinoschaum mit einem Schuss Karamell. Die Gleise vibrierten. Ehe ich mich versah, fassten meine Pfoten nach dem weichen Fell. Ich zog, während sich die U-Bahn durch lauter werdendes Surren ankündigte. Wenn ich mich jetzt beeilte, würde ich eine Wochenration Schokolade zusammenraffen können. Ich ließ nicht los, denn ich sah bereits das Licht im Tunnel. Eine ganze Wochenration! Wenn nicht sogar mehr. Der Griff um meine Pfote verfestigte sich. Samtweich. Sieben Tage ohne Sorgen. Anerkennung von meinen Kollegen.

Der Wind, als Vorbote der Ereignisse, brauste auf. Ein Knäuel aus Fell und Verpackungsgrün stolperte aus der Tüte und wir rollten den kleinen Steinhang hinab. Die U-Bahn raste vorüber. Majestätisch blau, Lichter schimmerten zu uns herunter. Ostereier flogen zur Seite, nach oben, wurden von den Waggons in alle vier Himmelsrichtungen geschleudert. Es tat mir im Herzen weh. Nun würden sie als Rattenfutter enden.

Ich drückte mich an die Wand des U-Bahnschachtes. Der durch den Zug verursachte scharfe Wind fuhr mir durch die kurzen Haare. Meine Augen tränten, als die U-Bahn endlich vorüber war. Jetzt wurde mir bewusst, dass meine Pfoten noch immer krampfhaft jemanden festhielten. Weicher Flaum. Ein wenig fürchtete ich mich davor, hinzusehen und ein Teil meines Geistes wollte einfach, dass ich losließ und ging. Doch ein anderer Teil von mir wollte wissen, wer oder was dafür verantwortlich war, dass ich mit leeren Taschen zu meinen Genossen zurückkehren musste. Im Kopf legte ich mir bereits verschiedene Erklärungen zurecht, doch verdrängte sie dann alle. Sie wussten gar nichts von dem möglichen Schatz, den ich hätte bergen können – folglich war es müßig. Als ich es endlich wagte, waren sicherlich drei Atemzüge vergangen. Eine Häsin mit nichts weiter als einer roten Schleife um den Hals, an der eine goldene Glocke hing. Ihr Atem ging so flach, dass ich erst dachte, sie sei durch den Sturz bereits die Gleise Richtung Endhaltestelle entlanggelaufen. Ihre Augen waren wie … Als küssten schneeweiße Wolken die Sonne. Die Erinnerung holte aus und schlug mir mit der Faust ins Gesicht. Ihre Augen hatten das gleiche Strahlen wie die meiner Lady! Ich ließ los, um mich an der Wand festzuhalten. Die Hasendame fiel auf den Boden und stöhnte. Leises Vibrieren kündigte bereits den nächsten Zug an. Einen, der es eilig hatte. Wir mussten hier fort. Die Ratten würden nicht mehr lange auf sich warten lassen. Ich verstand die Warnung der U-Bahn. Auch wäre ich ein Narr, sie zu ignorieren.

Ich hob sie hoch über die Schulter. Ihr Duft umschwirrte mich wie der frühe Duft der Maiglöckchen. Dieses Mal trat mir die Erinnerung in den Bauch. Meine Lady war stets von violettem Fliederduft umgeben gewesen. Ich strauchelte und spürte, wie ich immer mehr das Gleichgewicht verlor. Kurz bevor ich auf den Steinen aufschlug, gelang es mir, mich wieder an der Wand abzustützen. Ich weiß nicht, ob sie einen weiteren Sturz gut überstanden hätte. Sie atmete kaum noch. Ich riss mich zusammen und stolperte in Richtung der Abstellgleise.

Der Weg war auch ohne einen Hasen über der Schulter schon beschwerlich. Durch die Absperrung, unter den Reservegleisbänken hindurch, an der Rolle Zaun vorbei und in die Dunkelheit hinein. Normalerweise nutzte ich hier eine der kleinen, schwach leuchtenden Grubenlampen, doch weder traute ich mich anzuhalten, noch wollte ich die Häsin ablegen. Ich fürchtete, dass ich nicht noch einmal den Mut aufbringen könnte, sie hochzuheben. Zu viel Angst hatte ich, dass dann die Gedanken wiederkamen. Oh, was hätte ich in diesem Moment für eine Schokoladenzigarette oder einen kräftigen Schluck Gin gegeben? Etwas, das meinen Magen und meine Träume beruhigte.

Ich hörte das trockene Husten von Panther, noch bevor ich das kleine Feuer riechen konnte. Es glomm in einer Dose, die einst Sauerkraut beherbergt hatte. Mittlerweile besaß sie keine Aufschrift mehr. Sie hatte Löcher für den besseren Durchzug und qualmte wie ein Räuchermännchen. Sie spendete leidlich Wärme, sodass wir in kalten Nächten nicht mit abgefrorenen Ohren erwachten. Als Lampe eignete sie sich nicht.

Der alte Plüsch hustete, als wollte er aus einer Geröllwüste Wasser pressen. Im kurzen Stakkato des Hustenanfalls kam ich schließlich an. Es wirkte wie ein Applaus im Scheinwerferlicht der Bühne. Ehe die Erinnerung mich dieses Mal schlagen konnte, ging ich in Deckung, indem ich laut fluchte: »Ihr seid so unaufmerksam, dass die Ratten Euch am helllichten Tag überfallen könnten.« Ich genoss den Moment, als der Braune zusammenzuckte und Panther kurzzeitig das Husten vergaß. Langsam kniete ich mich hinab und legte den kleinen weichen Körper auf eine der Decken. Die Stofffetzen waren seit Ewigkeiten nicht gewaschen worden und die Motten hatten große Löcher hinein gefräst. Sicher stanken sie außerdem nach Rauch, wie alles hier. Ein seltenes Gefühl von Scham überkam mich.

»Wo bin ich?« ihre Stimme klang wie die eines Engels. Dieses Mal holte die Erinnerung mit einer solchen Wucht aus, dass ich rücklings zu Boden fiel.

KAPITEL ZWEI

»Im Reich der Wirklichkeit ist man nie so glücklich wie im Reich der Gedanken.« (Schopenhauer)

Honig! Liebster Zaubertrank! Mit einer feinen Teetasse aus dünnwandigem Porzellan schöpfte ich mir eine Portion aus dem Springbrunnen heraus. Ich hielt die Tasse an mein Gesicht. Die Sonne spiegelte sich in der Oberfläche wieder und färbte alles in Bernstein. Ich setze das Porzellan an meine Lippen und trank bedächtig einen Schluck. Der Trunk umgarnte meine Zunge. Ich konnte den Geschmack der wilden Blumen schmecken, als naschte ich selbst daran. Langsam glitt mir der Honig den Gaumen hinab. Erst jetzt entfaltete er sein volles Aroma. Was für ein Abgang! Und zum krönenden Schluss breitete sich wohlige Wärme in meinen Bauch aus. Glückseligkeit.

Ich lehnte mich in den Sessel zurück, die Beine ruhten auf einem gepolsterten Hocker. Die Blumenwiese zu meiner Rechten erstreckte sich über die sanften Hügel bis zum wolkenlosen blauen Horizont. Ein kleines Wäldchen umrahmte sie im Norden, einige Rehe grasten darauf. Zu meiner Linken wuchs eine Gruppe violetter Ahornbäume und hielten Hängematten zwischen ihren Stämmen. Sie schaukelten im Wind hin und her wie Federn. Etwas weiter hinten floss der Honig träge in Richtung des Milchsees.

Ein breites Grinsen schob sich auf mein Gesicht. Die Welt war schön und jedes bittere Ende meilenweit entfernt. Ich steckte die Pfote in die Tasse, um auch die letzten Tropfen herauszubekommen. Während ich sie gedankenverloren abschleckte, beobachtete ich den Rehbock, der sich langsam seinem Rudel näherte – mit dem Stolz und der Anmut eines Königs. Die Rehe blickten zu ihm auf, trabten eines nach dem anderen zu ihm hin, um ihn zu begrüßen. Er senkte huldvoll den prächtigen Kopf. Meine Aufmerksamkeit wurde von zwei Meisen eingefordert, die sich zu mir auf den Tisch setzten und begannen ein kleines Stück von Mozart zu trällern. Ich wippte dazu im Takt mit der Pfote und brummte die Melodie mit. Es war ein wohliges Brummen, das zwar nicht immer den Ton traf, doch von Herzen kam. Die Vögel dankten es mir, indem sie einfach fortfuhren.

Unbewusst sang ich lauter mit, während ich hinab zum Flussufer ging. Das Zuckerwatteschilf leuchtete in allen Regenbogenfarben. Ich hockte mich ans Ufer, an eine von der Sonne besonders kraftvoll beschienene Stelle und wartete. Kleine Blasen deuteten an, dass hier der Honig heiß genug war. Flussaufwärts trieb gerade eine Languste direkt in die brodelnde Masse. Kurz darauf fischte ich sie mit einem Stöckchen heraus. Frittiertes Krustentier in Honig. Hmmmmm. Mit beiden Pfoten brach ich sie in der Mitte durch. Das Wasser lief mir in der Schnauze zusammen. Das Fleisch war weiß und duftete nach Meer und Abenteuer. Ich schälte sie aus der Hülle und wollte hineinbeißen, als mich eine Ladung Flüssigkeit im Gesicht traf. Ich versuchte es zu ignorieren, doch das Zeug floss bereits in Richtung meines Auges. Seufzend senkte ich die Languste wieder und griff mit der anderen Pfote hinauf.

Besser, ich hätte es gelassen. Die Sonne verdunkelte sich zum dumpfen Flackern einer Feuersauerkrautdose. Der Duft frisch gerösteter Schalentiere versank in dem verschmorten Plastiks. Panther hatte wieder vergessen, die Hülle von seiner Zigschachtel zu entfernen, ehe er sie ins Feuer geworfen hatte.

KAPITEL DREI

»Durch Frauen werden die Höhepunkte des Lebens bereichert und die Tiefpunkte vermehrt.« (Nietzsche)

Ich hing zwischen der tristen Realität und dem langsam welkenden Grün meines wunderschönen Traums. Weder gelang es mir einen klaren Gedanken zu fassen, noch die Bilder meines kleinen Hauses am Honigsee festzuhalten. Ich hasste diesen Zwischenzustand. Ganz oder gar nicht war meine Devise. Also begann ich eine schmerzhafte Realitätsanalyse. Zunächst einmal hatte ich da diese nasse Pfote des Braunen im Gesicht. Ich drückte sie weg. Ich betrachtete den fragenden Ausdruck meines Leidensgenossen für einige rauchige Atemzüge. Wie immer war sein Bärengesicht von bitterer Ironie verzogen. Diese Mimik hatte er einfach drauf.

»Geht‘s?«, knurrte er. So viel Hilfsbereitschaft rührte mich.

»Muss.« Ich nickte und versuchte, mich weiter zu orientieren, denn ehrlich gesagt wusste ich noch immer nicht, was denn genau ‚gehen‘ sollte. Körperlich schien ich so weit vollfellig zu sein. Ich spürte meine beiden Ohren an den richtigen Stellen, konnte alle vier Pfoten bewegen und mein lachhaftes Stummelschwänzchen war auch noch da, wo es der Schöpfer vergessen hatte.

Vorsichtig wischte ich mir über die Nase; sie war nass. Als hätte jemand Wasser …

»Du … Du hast mich mit Zitronenlimonade übergossen«, schlussfolgerte ich aus Geschmack und Geruch. Ich wusste nicht, was mich mehr empörte. Die Tatsache, dass ich die Limonade jetzt nicht mehr trinken konnte, oder dass mein Fell klebte – noch mehr als vorher.

»Im Krieg gibt es Verletzte«, knurrte der Braune und wischte seine Pfote an meinem Fell trocken. Ich lachte innerlich, als ich entdeckte, dass er sich damit ebenfalls Ostereierschokolade ins Fell gerieben hatte. Gerechtigkeit war ein Fuchs.

Als er ein wenig zurücktrat, erweiterte sich mein Gesichtsfeld zusehends. Eine kleine Grubenlampe verteilte ihr schummriges Licht mit äußerster Präzision in jene Ecken, in denen sich die Konservendosen stapelten und sich der Dreck zu einem Haufen aufgetürmt hatte.

Panthers Husten ließ mich auch in seine Richtung sehen. Sein ausgemergelter Körper war mit grün-schwarzem Moos überwuchert. Wie ein Parasit hatte es sich von seinen Pfoten hinauf fast über sein ganzes Rückenfell gezogen. Es war feucht und, wie es bei Moos üblich war: modrig. Lange würde er nicht mehr an diesem tristen Fleck Welt hausen müssen. Ich war mir jeden Tag sicherer, dass er bald eine einfache, letzte Fahrkarte kaufen würde.

»Wo hast du dieses Mädchen her?«, knurrte der Braune und fuchtelte mit seinem verbliebenen Arm vor meiner Nase herum. Ich stemmte mich hoch, damit er nicht mehr so auf mich herabsehen konnte. Das ‚Mädchen‘ saß in eine Decke gehüllt bei Panther und schien auf das Ende des Hustenkrampfes zu warten. Neben ihr auf dem Boden lag die alberne Glocke, die ihr der Braune sicherlich gleich als Erstes abgenommen hatte. Wer bitte trug eine Glocke um den Hals ohne dabei aus Schokolade zu sein? Wir waren hier ja nicht beim Almabtrieb.

»Also?« der Braune boxte mich in die Seite.

»Die Frau«, betonte ich, »lag zwischen den Gleisen.«

»Eine Aussteigerin?« So nannten wir die, die es hier herunter in die Schächte verschlug. Vornehmlich Freidenker und Künstler, die hier im Schutz menschenleerer U-Bahn-Stationen ein neues, vermeintlich besseres Leben anzufangen versuchten. Der Braune, Panther und ich gehörten zu den Aussteigern. Wie waren schon in jungen Jahren aus den Zwängen der Konsumgesellschaft geflohen.

»Weiß nicht, sah eher nach einem Unfall aus.«

»Schwarzgefahren …«, brummte der Braune und schüttelte seinen Kopf. Schwarzfahrer hatten es hier unten noch schwerer. Sie sehnten sich nach der Welt dort oben, zwischen Spielzeugregal und Kinderbetten. Doch es gab kein zurück. Wer zu sehr von Heimweh zerfressen wurde, löste sich irgendwann ein einfaches Ticket.

»Also, und nur ihr drei lebt hier unten?« Ihre Frage bohrte sich unangenehm in meine Lethargie. Als rührte jemand mit einem Schneebesen durch einen Pudding, der sich gerade mit einer schönen glatten Haut zur Ruhe gesetzte hatte. Ich flüsterte dem Braunen zu: »Man hat dann bei jedem Bissen Haut auf dem Löffel, schrecklich.« Erst einen Moment später wurde mir klar, wie unsinnig sich das angehört haben musste und ich fügte schnell hinzu: »Wenn man vorher drin rumrührt, meine ich. Schrecklich« Der Braune nickte.

»Nein, …« Panther übernahm die Rolle des Erklärbären. »Es gibt noch eine kleine Stadtkolonie in einer unbenutzten Station der Felllosen, da leben auch ein paar.«

»Wie, unbenutzt?«

»Keine Ahnung, scheint nicht mehr gebraucht zu werden.«

»Was für eine Verschwendung.« Sie schüttelte ihren Kopf und ihre kleinen Ohren sausten dabei um sie wie die Rotorblätter eines Hubschraubers. »Und ihr macht hier so ‘ne Art Campingurlaub?«

Panther schaute kurz zu uns hinüber, damit wir ihm aus dieser Misere heraushelfen konnten und ich überlegte schnell, ob mir irgendetwas von den großen Alten dazu einfiel.

»Wer von seinem Tag nicht zwei Drittel für sich selbst hat, ist ein Sklave. Klammer auf Nietzsche, Klammer zu«, übernahm der Braune das dringend notwendige Zitat und ich ergänzte: »Das andere Drittel wird geschlafen.« Der große Alte, er hatte immer etwas Wertvolles in seinem Repertoire. Das müsste sie daran hindern, weitere Fragen zu stellen.

»Ach, die anderen sind Sklaven? Ihr meint ‚Kolonie‘ im Sinne von Sklavenkolonie?«

Der Braune verdrehte die Augen. Er steckte sich umständlich eine Schokoladenzigarette in den Mund – ich folgte seinem Beispiel – und mischte sich kauend in das Gespräch ein:

»Wir sind alle Sklaven unserer Begrenzungen.« Er stand auf und stellte sich in den Schein des Feuers. Seine Hand hielt er wie die Freiheitsstatue nach oben, die Zig war seine Fackel. »Indem wir uns von unseren gesellschaftlichen Fesseln lösen, indem wir uns einen Schritt rückbesinnen auf das, was vorher war …« Gleich würde er den dritten großen Alten zitieren. Ich merkte, wie meine Augen feucht wurden, und wechselte schnell meine Position, um nicht länger im Rauch zu stehen.

»Ach, ihr seid sowas wie Eremiten?«

Panther nutzte die Gelegenheit des zerstörten Moments und hustete wieder Blechdosen, die an einer Bahn entlang über die Schottersteine gezogen wurden.

»Wir sind Misanthropen«, erklärte ich und fand, dass es sich, jetzt wo ich es einem fremden Plüsch erzählte, gar nicht mehr so heroisch anhörte. Unter uns Dreien hatte es immer irgendwie cooler und verwegener geklungen.

»Ihr habt Angst vor anderen Plüschs und versteckt euch deswegen hier?«

Jetzt war es am Braunen, einen Hustenanfall zu bekommen. Ich folge Hases Blick über unsere Absteige und schämte mich dafür. Während der Braune das Wort an sich riss, begann ich, ein paar leere Süßkramtüten wegzuräumen. Ich war mir nicht sicher, ob Panther darüber grinste, oder einfach etwas zwischen den Zähnen klemmen hatte.

»Wir haben die Einsamkeit gewählt«, trug der Braune vor, »um uns unseren Studien über die Plüschheit hingeben zu können. Von hier können wir die Welt und ihre ewig dunkle Seite erforschen.«

»So ein Quatsch, meine Liebe.« Panther fiel uns und insbesondere dem Braunen ins Wort und in den Rücken, während ich versuchte, meine Sammlung schwarzer Schnürsenkel aus linken Schuhen zu sortieren. Wie immer hatten sie sich heillos verknotet.

»Ich bin hier, …« Panthers Stimme wurde leiser, und auch ich lauschte angestrengt. »… weil ich zu alt bin. Alle