Traumtyp to go - Jane Costello - E-Book
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Traumtyp to go E-Book

Jane Costello

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Beschreibung

Sport ist Mord, davon ist Abby Rogers fest überzeugt. Doch was tun, wenn ein Charity Run die einzige Möglichkeit ist, für eine Freundin in Not Geld aufzutreiben? Immerhin, in so einer Laufgruppe gibt's ja schon recht gut aussehende Typen – Oliver, zum Beispiel, oder auch Tom. Blöd nur, wenn man absolut keine Kondition hat und sich in seinen alten Leggings beim ersten Training gleich bis auf die Knochen blamiert … aber davon darf man sich nicht entmutigen lassen! Mr. Right zu kriegen war noch nie einfach – schon gar nicht, wenn er auch noch rennt wie der Teufel.

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Seitenzahl: 541

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Jane Costello

Traumtyp to go

Roman

Aus dem Englischen von Christiane Meyer

Knaur e-books

Über dieses Buch

Inhaltsübersicht

Widmung1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. Kapitel48. Kapitel49. Kapitel50. Kapitel51. Kapitel52. Kapitel53. Kapitel54. Kapitel55. Kapitel56. Kapitel57. Kapitel58. Kapitel59. Kapitel60. Kapitel61. Kapitel62. Kapitel63. Kapitel64. Kapitel65. Kapitel66. Kapitel67. Kapitel68. Kapitel69. Kapitel70. Kapitel71. Kapitel72. Kapitel73. Kapitel74. Kapitel75. Kapitel76. Kapitel77. Kapitel78. Kapitel79. Kapitel80. Kapitel81. Kapitel82. Kapitel83. Kapitel84. Kapitel85. Kapitel86. Kapitel87. Kapitel88. Kapitel89. Kapitel90. KapitelEpilog
[home]

Dieses Buch ist meiner Freundin Debbie Johnson gewidmet.

Danke für alles, Debbie …

Ich bin mir sicher, Du weißt, warum.

[home]

1.

Ich lebe in Angst vor einem kleinen Wort. Eines, das mir ständig im Kopf herumgeistert, sich über mich lustig macht und mich quält. Denn eines ist sicher: Früher oder später wird es mir ein Bein stellen.

Wie das Wort lautet? Spät. Wie in: Ich werde zu spät kommen. Oft katastrophal zu spät.

Gut, die Folgen davon waren bis jetzt noch nicht katastrophal, aber es ist unausweichlich, dass es so weit kommen wird, da das Zuspätkommen und ich in letzter Zeit empörend oft miteinander flirten.

Bis es so weit ist, stolpere ich in letzter Sekunde zu Präsentationen – verschwitzt, mich entschuldigend und mit einem Gesicht in der Farbe einer gut abgehangenen Salami, weil mir genau in diesem Moment einfällt, dass ich etwas Wichtiges vergessen habe. Etwas wie einen Speicherstick oder die Handouts oder … meinen Schlüpfer.

O Gott, mein Schlüpfer. Zum Glück fiel mir mein Fehler heute Morgen auf halber Strecke auf, und ich jagte nach Hause zurück, um noch einmal von vorn zu beginnen.

Doch an Tagen wie diesem, wenn unmögliche Terminplanungen es erfordern, dass ich zu meinem nächsten Meeting rase, als wäre ich auf der Flucht vor der Polizei, kann ich nicht anders, als zu verzweifeln.

Die hektische zwanzigminütige Fahrt spiegelt meinen Tag wider – eine Multitasking-Hölle, in der ich beim Fahren noch unzählige andere Dinge erledigen muss: den Akku meines Handys mit sieben Telefonaten in die Knie zwingen, mit Abdeckstift die dunklen Schatten unter meinen Augen verbergen und nebenbei zu Mittag essen. Wobei der Begriff »Mittagessen« angesichts der Tatsache, dass die Fritten ziemlich blass aussehen und der lappige Burger kaum genießbar ist, sehr großzügig gefasst ist.

Ich nehme einen letzten Bissen und werfe die Reste des Burgers auf den Beifahrersitz. Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es Viertel vor vier ist. Um mich abzulenken und mein hämmerndes Herz zu beruhigen, konzentriere ich mich auf meine Präsentation. Ich habe die ersten drei Sätze auswendig gelernt, wie man es mir in meinem Rhetorikseminar im vergangenen Jahr beigebracht hat.

»Meine Damen und HERREN.« Ich umklammere das Steuer und lächle dämonisch – der Kursleiter hat darauf beharrt, dass alles, was mit weniger Enthusiasmus vorgetragen wird, die falschen Schwingungen aussenden würde. »Einen WUNDERSCHÖNEN guten Morgen, Ihnen ALLEN.«

Es ist Nachmittag.

Brillanter Anfang, Abby. Was für eine verflucht überzeugende Unternehmerin du doch bist.

Bei diesem Wort zucke ich noch immer unwillkürlich zusammen. Als ob ich – eine 28-jährige Frau, die sich auch nach eineinhalb Jahren noch immer so durch die Geschäftswelt wurstelt – mich in einer Kategorie mit Richard Branson sehen würde.

Ich mag vielleicht meine eigene Firma haben, ich mag Visitenkarten mit dem Wort »Geschäftsführerin« besitzen, aber ich bezweifle, dass ich damit jemanden täuschen kann. Ich könnte als Managerin nicht weniger überzeugend sein, wenn mein Name Miss Piggy wäre.

»ICH bin Abigail Rogers, und HEUTE werde ich IHNEN erzählen, was River Web Design für SIE tun kann.«

Das sind bestimmt zu viele Betonungen. Der Kursleiter hat uns zwar geraten, drei Wörter pro Absatz zu betonen, aber ich klinge fast wie in »Braveheart«.

Ich frage mich oft, ob ich mich mit dem Gedanken, Chefin zu sein, jemals wohl fühlen werde. Als ich direkt nach dem College bei einem großen Unternehmen anfing, war eine eigene Firma nichts, was ich angestrebt hätte. Mein letzter Job hat mir gut gefallen, also kann ich auch nicht behaupten, dass ich durch ein Schwein von einem Geschäftsführer oder gemeine Kunden, die mich nicht zu schätzen gewusst hätten, dazu getrieben worden wäre.

Im Gegenteil – jeder hat mir gesagt, wie gut ich sei. Aber genau das hat schließlich die Idee in mir reifen lassen. Und dann habe ich einfach den Sprung gewagt. Ob es die richtige Entscheidung war, werde ich wohl erst in einem Jahr sagen können. Oder in zehn.

»River Web Design ist ein kleines, aber HOCHPROFESSIONELLES Team, bestehend aus vier Mitarbeitern. Wir sind stolz auf unsere KREATIVITÄT« (strategisch plazierte Pause), »unseren FLEISS« (dito) »und unsere Fähigkeit, zu verstehen, was unsere Kunden und die Verbraucher WIRKLICHWOLLEN.«

Stichwort für ein weiteres geisteskrankes Grinsen.

Momentan verbringe ich unglaublich viel Zeit in meinem Auto; eine Tatsache, die den horrenden Betrag, den ich gestern einer Versicherungsgesellschaft in den Rachen geworfen habe, um meinen Versicherungsschutz zu erneuern, nur wenig rechtfertigt.

Im vergangenen Jahr hatte ich fahrtechnisch ein bisschen Pech. Ein Kratzer an einem BMW auf einem Supermarktparkplatz und ein weiterer an einem Sattelschlepper in einem winzigen Kreisverkehr haben dazu geführt, dass ich mittlerweile eine Prämie bezahlen muss, mit der für gewöhnlich ein Learjet versichert wird.

Die Ampel springt auf Grün, und ich werfe einen schnellen Blick auf die Straßenkarte. Zu allem Überfluss habe ich mein Navi im Büro vergessen. Ich werde langsamer und sehe auf ein Schild zu meiner Linken. Mein Herz setzt vor Schreck einen Schlag lang aus, als hinter mir jemand hupt.

»Mist!« Ich bin falsch abgebogen.

Ich trete auf das Gaspedal und suche die Umgebung nach einer Möglichkeit zum Wenden ab. Mit einer langen Schlange von ungeduldigen Fahrern hinter mir rase ich eine schmale Straße zwischen zwei Gebäuden entlang und finde mich schließlich auf einem kleinen, vollkommen überfüllten Parkplatz wieder. Ich reiße das Steuer herum, um in drei Zügen zu wenden.

Mit einem Blick auf die Uhr halte ich kurz an, um eine Handvoll Pommes frites in meinen Mund zu stopfen und sie mit einem Schluck Cola herunterzuspülen. Ich stelle den Becher zurück in den Getränkehalter, lege den Rückwärtsgang ein und trete aufs Gaspedal. Dabei schlucke ich mein Essen herunter und beginne noch mal von vorn.

»Guten TAG, meine Damen und Herren, und WILLK…«

Der Aufprall lässt mein Auto erzittern, und es kommt abrupt zum Stehen. Ich werde mit einer Wucht nach vorn in den Gurt geworfen, bei der man Angst haben muss, ein Schleudertrauma davonzutragen. Panik schießt durch meinen Körper, ich senke den Blick und sehe, dass sich die Cola über meine Handbremse ergossen hat. Atemlos und zitternd drehe ich den Kopf, um aus der Heckscheibe zu schauen.

Doch ich kann nichts sehen außer der Betonmauer des Bürogebäudes in mindestens drei Metern Entfernung. Ich muss einen Poller getroffen haben. Oh, Gott sei Dank – ich habe nur einen Poller gerammt!

Ich zittere, als ich die Wagentür aufdrücke. Dann sehe ich es.

Es dauert einen Moment, bis ich die reglose Hand neben meinem Reifen bewusst wahrnehme. Ich keuche auf und habe plötzlich das Gefühl, nicht mehr atmen zu können.

Ich kann es nicht glauben. Habe ich jemanden umgebracht? Habe ich tatsächlich jemanden umgebracht?

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2.

Oh. Mein. Gott.

Ich springe aus dem Auto und renne nach hinten. Mein Herz, mein Magen und andere lebenswichtige Organe scheinen derweil kurz vor dem Kollaps zu stehen. Mein Opfer liegt ausgestreckt auf dem Rücken, sein Helm einige Meter entfernt. Die muskulösen Schenkel des Mannes sind unter einem Motorrad begraben, dessen dunkelblauer Lack in der Julisonne glitzert.

Ich gehe in die Hocke, um seine Hand zu berühren, und bemerke, dass sie noch immer warm ist. Es ist eine schöne Hand, groß und stark, mit sonnengebräunter Haut, die an den Knöcheln abgeschürft ist. Mir wird bewusst, dass es die Hand eines jungen Menschen ist. Und dass diese Hand durch meine Schuld niemals die Chance bekommen wird, alt und arthritisch zu werden, wie sie es sollte.

»Es tut mir leid«, wimmere ich. »So wahnsinnig leid.« Tränen schießen mir in die Augen, während ich versuche, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich richte mich auf und suche hektisch den Parkplatz ab. Aber ich kann niemanden entdecken. Ich höre nur den Verkehrslärm von der angrenzenden Straße. Hastig renne ich zur offenen Fahrertür und packe meine Handtasche, um darin fieberhaft nach meinem Handy zu kramen. Ich wähle gerade den Notruf … als der Akku den Geist aufgibt.

»Verfluchter Mist!« Ich versuche, kontrolliert zu hecheln, wie meine Freundin Jess es in ihrem Geburtsvorbereitungskurs gelernt hat. Aber das hilft mir in etwa so gut, meine Panik in den Griff zu bekommen, wie ein Starkstrom-Defibrillator.

Ich renne zurück zum Heck des Wagens und hoffe wider besseres Wissen, dass der Mann, den ich mit den Hinterreifen erwischt habe, sich mittlerweile aufgesetzt hat, lebendig ist und dass es ihm gutgeht.

Er liegt immer noch reglos auf dem Boden.

Ich ergreife sein Handgelenk und suche verzweifelt nach dem Puls, doch ich kann ihn nicht finden. Da ist nichts.

»HIIIILLLLFFEE!«, brülle ich. Meine Stimme hallt auf dem Parkplatz wider, ehe mir klarwird, dass mir niemand zu Hilfe kommen wird.

Ich raffe meinen Rock ein Stück und falle auf die Knie, um den Mann zu untersuchen: Er ist athletisch und durchtrainiert und hat den Körper eines Sportlers.

Komm schon, Abby. Es gibt nur eine Möglichkeit. Du musst eine Herz-Lungen-Wiederbelebung machen.

JA!

Leider weiß ich nicht genau, wie eine Herz-Lungen-Wiederbelebung funktioniert.

Ich beschließe, es trotzdem zu probieren, und bemühe mich, mir jedes Fitzelchen Wissen, das ich über Erste Hilfe habe, ins Gedächtnis zu rufen. Meine Kenntnisse stammen allerdings aus einem Pfadfinderinnenkurs von 1989 und der letzten Folge irgendeiner Arztserie.

Denk nach!

Mache ich zuerst die Mund-zu-Mund-Beatmung oder diese Druckmassage mit den Handballen? Ich glaube, erst kommt die Mund-zu-Mund-Beatmung. Aber ich muss ihn für die Druckmassage vorbereiten. Mit fliegenden Fingern öffne ich seine Jacke und entblöße seine breite Brust.

Dann prüfe ich, ob er Fremdkörper im Mund hat. Ich bin mir sicher, das irgendwo gelesen zu haben, auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, wonach genau ich dabei suchen soll. Nach etwas Wechselgeld vielleicht? Oder nach einer einzelnen Socke? Vielleicht auch nach einer von diesen Massenvernichtungswaffen, die man nie gefunden hat …

Warum kommen mir solche Gedanken?!

Ich lege seinen Kopf in den Nacken und atme tief durch. Okay. Jetzt geht’s los. Mein Mund nähert sich seinen Lippen, und mein Herz klopft wie verrückt. Schließlich hole ich tief Luft, schließe die Augen … und senke meine Lippen auf seine.

Genau in dem Moment, als mir bewusst wird, dass ich einen Fehler gemacht habe – ich hätte seine Nase zuhalten müssen –, wird mir noch etwas anderes bewusst. Seine Lippen fühlen sich nicht wie die von einem Menschen an, der bewusstlos ist. Und ganz sicher nicht wie die eines Toten.

Es dauert einen Augenblick, ehe ich herausfinde, warum. Als ich es dann begreife, bekomme ich den Schreck meines Lebens. Seine Lippen bewegen sich. Seine Lippen sind … oh, mein Gott, wir küssen uns!

Ich weiche zurück und starre ihn mit großen Augen an.

Er ist Anfang 30 und mit der gebräunten Haut, dem kantigen Kinn und den üppigen Lippen unglaublich gutaussehend. Sein Haar ist dunkel, ein Ton heller als Schwarz, und kurzgeschnitten, um die leichten Locken zu verbergen.

Er beißt sich leicht auf die Lippen, als wollte er mich schmecken, und seine Lider flattern. Als er die Augen aufschlägt, bemerke ich, dass sie grün sind. Oder braun. Nein, beides – wie die Farbe des Waldes. Doch, was noch wichtiger ist: Es sind die Augen eines Menschen, der sehr lebendig ist.

Erstaunt beobachte ich, wie er blinzelt und seinen Unterkiefer hin- und herbewegt, als würde er aus einem langen, tiefen Schlaf erwachen. Dann sieht er mich an. Und ich lache. Ich lache unkontrollierbar darüber, dass ich auf meine heutige Liste der erledigten Aufgaben nicht »fahrlässige Tötung« setzen muss.

»Oh, danke, lieber Gott! Danke!« Ich kann mich nicht zurückhalten. »Und nochmals: danke!«

Dann senke ich den Blick und bemerke die Miene des Fremden – und mir wird klar, dass ich etwas erklären muss.

 

»Rasen Sie immer mit sechzig Sachen rückwärts über den Parkplatz?«

Die Muskeln an seinen kräftigen Oberschenkeln treten deutlich sichtbar hervor, als er sich vor sein Motorrad hockt und es genauer betrachtet. Es gibt nur eines, das ich mit Sicherheit über Motorräder weiß: Ich kann sie nicht ausstehen. Dieses hier sieht teuer aus. Zumindest sah es sicher mal so aus. Jetzt macht es eher den Eindruck, als wäre eine Horde Nashörner darübergetrampelt.

»Hören Sie, es tut mir leid«, sage ich und versuche, die Ruhe zu bewahren. »Aber ich bin ganz sicher nicht sechzig gefahren.«

Er dreht sich um und blickt mich finster an. Er ist körperlich beeindruckend. Seine Armmuskeln spannen sich an, als er ein Teil der Karosserie abreißt.

»Es war jedenfalls schnell genug, um mich fast umzubringen«, entgegnet er.

»Ach, lassen Sie uns nicht übertreiben.« Ich lächle nervös und bemühe mich, die Stimmung ein wenig aufzulockern.

»Übertreiben?«, wiederholt er. Sein Tonfall lässt keinen Zweifel daran, dass mein Versuch fehlgeschlagen ist. »Ich muss gar nicht übertreiben. Sie haben mich so heftig getroffen, dass ich das Bewusstsein verloren habe.«

Trotz der Umstände ist die Art, wie er es sagt, faszinierend – er hat eine Stimme, die durch einen Raum weht und einen umhüllt. Aus dieser Stimme und seinem Aussehen schließe ich, dass der Typ bestimmt fürchterlich eingebildet ist.

»Die Reparatur wird nicht billig«, sagt er als Nächstes. »Ich hoffe, Sie sind versichert.«

Als er die Versicherung erwähnt, zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen, und mir fallen weitere Dinge ein wie die gewaltigen Beiträge und nicht vorhandene Schadensfreiheitsrabatte.

»Natürlich«, erwidere ich so unverbindlich wie möglich – diesen Tonfall habe ich jahrelang geübt. »Obwohl …« Ich spiele mit dem Gedanken, einfach zu bezahlen und meine Versicherung nicht damit zu belästigen. Doch dann halte ich inne und schimpfe mich selbst dafür aus, beinahe in eine so offensichtliche Falle getappt zu sein.

Erst kürzlich habe ich einen Artikel gelesen, der noch einmal bekräftigte, wie wichtig es ist, sich im Eifer des Gefechts niemals dazu hinreißen zu lassen, die eigene Schuld zuzugeben. Egal, wie versucht man ist, sich zu entschuldigen. Als ich das las, kam mir in den Sinn, dass genau das vielleicht immer mein Fehler war – gut, abgesehen davon, dass ich die Unfälle verursacht hatte, doch lassen wir das.

»Haben Sie etwas gesagt?«, fragt er und fummelt an einem anderen Teil seines Motorrades herum. Er hebt den Kopf und sieht mich nachdenklich an.

Ich lächle süß. »Nein.«

»Gut.« Er steht auf und wischt sich die staubigen Hände an seiner Hose ab. »Tja, wenn wir dann die Kontaktdaten austauschen könnten, kann ich so schnell wie möglich mit meiner Versicherung sprechen.«

»Okay«, entgegne ich verhalten. »Sie wollen damit also sagen, dass ich schuld bin?«

Seine Miene verfinstert sich wieder. »Selbstverständlich sind Sie schuld.«

»Na ja«, erwidere ich, »ich glaube, es ist Sache der Versicherungen, das zu entscheiden.«

Diese Bemerkung kommt nicht so gut an.

»Lassen Sie mich das noch einmal zusammenfassen: Ich kümmere mich um meine Angelegenheiten, schiebe mein Motorrad über einen Parkplatz, und plötzlich rast das Heck eines Citroën C4 auf mich zu …«

»Wenn ich das erklären dürfte …«

»Sie haben nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass etwas oder jemand hinter Ihnen sein könnte. Wenn ich es richtig gesehen habe, waren Sie zu sehr damit beschäftigt, Selbstgespräche zu führen, um sich Gedanken über Ihre Umwelt zu machen.«

»Ich habe keine Selbstgespräche geführt, ich habe …«

»Sie haben einfach den Rückwärtsgang eingelegt und sind losgefahren. Mit sechzig Sachen.«

Wir starren einander an.

»Ich bin nicht sechzig gefahren«, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Und was die Selbstgespräche betrifft … gut.« Ich verschränke die Arme vor der Brust. »Ich habe mit mir selbst geredet. Na und? Es war eine weitaus nettere Unterhaltung als diese hier.«

Eine Sekunde vergeht, und ich bin mir sicher, dass ein winziges Lächeln seine Lippen umspielt.

»Hören Sie«, sage ich und breche den Blickkontakt bewusst ab. »Ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut.«

»Haben Sie? Daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Wenn ich mich recht entsinne«, erkläre ich geduldig, »lauteten meine genauen Worte: ›Es tut mir leid. So wahnsinnig leid.‹« Er sieht ehrlich verblüfft aus. Und in dem Moment wird es mir klar: Er war bewusstlos, als ich das gesagt habe. »Vielleicht könnten wir uns ein bisschen beeilen?«, sage ich. »Ich muss wirklich weiter.«

»Womit beeilen?«

»Wir könnten schnell die Telefonnummern austauschen.«

»Danke für Ihr Angebot, aber an den kommenden Wochenenden bin ich schon verplant. Und außerdem habe ich eine Freundin.«

»Ich meine wegen der Versicherung! Nicht, weil …« Ich verstumme, als mir klarwird, dass er mich aufziehen will. »Haben Sie einen Stift?«

»Nicht dabei.« Er tastet seine Taschen ab. »Und Sie?«

»Warten Sie hier.« Ich gehe zum Auto und suche in meiner Handtasche nach einem Kugelschreiber. Schließlich muss mein neuer Bobbi Brown Lipliner herhalten. Als ich mich aufrichte, habe ich das Gefühl, seinen Blick auf meinen Beinen zu spüren, und drehe mich um. Doch er hat die Augen abgewandt, und ich kann nicht sagen, ob ich mir das Gefühl nur eingebildet habe. Ich setze an, um meine Kontaktdaten aufzuschreiben, halte jedoch abrupt inne.

»Was ist los?«, fragt er.

»Ich kann mich nicht an den Namen meiner Versicherungsgesellschaft erinnern«, antworte ich wahrheitsgemäß und wie vor den Kopf geschlagen. Im letzten Jahr hatte ich wegen drei Vorfällen mit ihnen zu tun; ich kenne die Namen von mindestens sechs Mitarbeitern des Callcenters – und deren Kindern. Einer hat mich sogar zu seiner Silberhochzeit eingeladen.

»Das ist nicht Ihr Ernst!«, entgegnet er.

»Hier ist meine Adresse. Und ich gebe Ihnen noch meine E-Mail-Adresse. Schreiben Sie mir, und ich schicke Ihnen die Daten zu.« Ich drücke ihm eine Visitenkarte mit meiner Privatadresse auf der Rückseite in die Hand. Als er mir die Karte abnimmt, berührt meine Haut die seine. Ich werde rot und verfluche mich innerlich schon wieder. Der Gedanke, das Ego von jemandem zu stärken, der sich (a) keine Mühe geben muss, um beim anderen Geschlecht zu punkten, und der mich (b) wie eine Weihnachtsgans ausnehmen und meine Versicherung schröpfen wird, ist fast schon schmerzhaft.

»Danke«, sagt er knapp, nimmt sich eine weitere meiner Visitenkarten und schreibt seine eigene E-Mail-Adresse auf die Rückseite. Mein Lipliner sieht inzwischen so aus, als gehörte er in den Malkasten einer Vierjährigen. »Ich werde mich melden.«

»Großartig«, murmle ich sarkastisch.

Das ist anscheinend nicht die richtige Erwiderung.

»Ich habe nicht darum gebeten, von jemandem angefahren zu werden, der mein Motorrad zerstört und mich beinahe umbringt«, informierte er mich kühl.

Wut kocht in mir hoch. »Ich habe Sie nicht beinahe umgebracht.«

»Was ist schon eine kleine Gehirnerschütterung unter Freunden?«

»Wir sind keine Freunde«, erwidere ich.

Er richtet sein Motorrad auf und betrachtet die zerknautschten Überreste. »Nein«, entgegnet er. »Das sind wir nicht.«

[home]

3.

Eineinhalb Minuten vor meinem Termin betrete ich die Büros von Max Crane Law. Das wäre in Ordnung, wenn ich halbwegs anständig aussehen würde. Aber besonders meine Haare sind in einem fürchterlichen Zustand. Sie waren schon vorher viel zu lang, hingen mir kraftlos über die Schultern und waren nicht mehr blond genug, weil ich keine Zeit hatte, zum Friseur zu gehen. Durch die Strapazen auf dem Weg hierher sieht meine Frisur nun aus, als hätte ich sie mit einem Laubsauger gestylt.

Und abgesehen von der würstchenrosa Farbe, die mein Gesicht dank der Aufregung angenommen hat, legt der Anblick meiner Knie die Vermutung nahe, dass ich versucht hätte, sie mit einem rostigen Skalpell zu rasieren.

Ich prüfe auf der Damentoilette, ob ich allein bin, hebe dann meinen Rock und schwinge ein Bein in eines der Waschbecken aus Milchglas. Fieberhaft wasche ich mit der nach Lavendel duftenden Handseife Blut und Rollsplitt von meinen Knien. Just in dem Moment geht die Tür auf. Vor mir steht Letitia Hooper, Chefin der Abteilung Entwicklung und Marketing. Auch bekannt als Ms. Big. Zumindest, was den heutigen Pitch betrifft.

Letitia, die ich einige Male auf Veranstaltungen getroffen habe, auf denen ich Kontakte knüpfen wollte, ist erst 37, doch sie kleidet sich wie die Direktorin eines Mädcheninternats. Dieser Eindruck ist so stark, dass ich bei jeder Begegnung mit ihr Angst habe, dass sie mich zum Nachsitzen verdonnert.

»Oh, Letitia!« Ich hebe mein Bein aus dem Waschbecken und drehe mich mit so viel Schwung um, dass ihr das Wasser ins Gesicht spritzt.

Sie blinzelt zweimal, wischt sich ein paar Tropfen der Handseife von den Wimpern und mustert mich dann von oben bis unten.

»Tut mir leid«, murmle ich und hüpfe barfuß zum Handtuchspender. »Wie geht es Ihnen?« Ich rupfe einige Papiertücher aus dem Spender und fange an, mir die Beine trocken zu tupfen.

»Gut, danke, Abby«, erwidert sie. »Ich habe letzte Woche bei einem Arbeitsessen eine Ihrer Mitarbeiterinnen getroffen. Heidi Hughes.«

»Oh, Heidi.« Ich lächle und freue mich über diese Wendung der Dinge – ich weiß, dass Heidi mich bestimmt nicht enttäuscht hat. »Sie ist praktisch von Anfang an in der Firma.«

»Eine beeindruckende junge Frau. Sie hat gute Arbeit geleistet und sehr überzeugend für Ihre Dienste geworben.«

Ich merke mir, dass ich mich unbedingt bei Heidi bedanken muss, wenn ich sie sehe, auch wenn es für sie ganz selbstverständlich ist, für die Firma zu werben. Das ist auch einer der Gründe, warum ich sie vor ein paar Wochen zur Chefdesignerin befördert habe.

 

Heidis erster Arbeitstag vor mehr als einem Jahr hätte wahrscheinlich keinen Personalchef der Welt überzeugt.

Aber nicht Heidi war das Problem. Heidi war nie das Problem. Es war ihre Chefin, die karrieremäßig eine Berg- und Talfahrt durchmachte, die so bald wie möglich ein Ende finden musste.

Als ich an jenem Tag die Tür zu unserem Büro im vierten Stock öffnete, fielen mir sofort Heidis erwartungsvolles Lächeln und ihr offener, freundlicher Gesichtsausdruck auf. Sie war eine hübsche 25-jährige Frau mit rotblondem Haar, einem engelhaften Mund und Sommersprossen auf der Nase.

Sie war zu früh dran. Das hastige Geplapper, mit dem sie während unseres Aufstiegs in den vierten Stock auf meinen Smalltalk reagierte, verriet ihre Nervosität. Damals dachte ich, sie hätte sich mit ihrem rauchgrauen Kostüm besonders viel Mühe gegeben, weil es ihr erster Tag war. Aber inzwischen weiß ich, dass sie sich fürs Büro immer so kleidet.

»Das ist nett«, sagte sie strahlend. Sie blickte sich im Büro um, einer günstig gelegenen Besenkammer im Geschäftsviertel von Liverpool. Ihr Vorstellungsgespräch hatte im Coffeeshop gegenüber stattgefunden, also war es das erste Mal, dass sie ihren Arbeitsplatz sah. »Wo werde ich sitzen?«

Ich hatte gehofft, dass das Thema nicht aufkommen würde.

»Irgendwann … da.«

Ich deutete auf eine leere Stelle. Heidi runzelte die Stirn.

»Das ist mir ein bisschen peinlich«, entschuldigte ich mich, »aber dein Schreibtisch und dein Computer werden erst morgen geliefert. Es ist meine Schuld – ich habe die Sachen zu spät bestellt. Ich hatte so viel zu tun, und weil ich bis jetzt ganz allein hier war … Hör zu, ich will dich nicht mit Einzelheiten langweilen. Ich muss sowieso bald los, also kannst du an meinem Schreibtisch sitzen.«

Ich schob den Haufen Papiere und Tütchen mit Schokoladenlinsen zur Seite und murmelte weitere Entschuldigungen. Sie ließ sich nicht anmerken, was sie dachte.

Heidis Lebenslauf war beeindruckend. Sie hatte einen ordentlichen Abschluss gemacht und anschließend für eine große Marketingagentur gearbeitet – genau wie ich. Doch es war nicht ihr Lebenslauf, der ihr den Job verschaffte. Sie war begeisterungsfähig, bescheiden, sympathisch und, wie ich hoffte, voller Ideen und Entschlossenheit, diese Ideen auch umzusetzen.

Als ich später ins Büro zurückkam, hatte sie sich über unsere aktuellen Kunden informiert, eine Liste mit möglichen Neukunden aufgestellt, Vorschläge für eine neue Büroausstattung aufgeschrieben und den Büroschrank aufgeräumt, der ausgesehen hatte, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Dabei war ich nur vier Stunden weg gewesen.

Ich muss zugeben, dass es mir zu dem Zeitpunkt so vorkam, als wäre Heidi zu gut, um wahr zu sein. Wir waren zu zweit im Büro, und ich wollte nicht unbedingt eine charakterlose und überperfekte Angestellte neben mir sitzen haben. Ich wünschte mir jemanden, mit dem ich auch lachen konnte.

Am Ende des Tages musste ich sie sogar daran erinnern, dass Feierabend war.

»Danke für diesen wundervollen ersten Tag«, sagte sie lächelnd und zog sich die Jacke an. »Es hat mir echt Spaß gemacht.«

»Nein, ich danke dir. Morgen, wenn wir uns nicht mehr an einen Schreibtisch quetschen müssen, wird es sicher leichter. Hey, wie wäre es mit einem kleinen Drink?«, schlug ich vor.

Ihre Miene wirkte mit einem Mal ernst. »Gibt es in der Firma keine Richtlinien, was Alkohol betrifft?«

Ich lachte, obwohl ich ein bisschen Angst hatte, dass sie es ernst meinen könnte. »Bis jetzt noch nicht. Warum? Wie sollten die Richtlinien der Firma, was Alkohol betrifft, denn deiner Meinung nach aussehen?«

»Alkohol sollte verpflichtend sein.«

Den Rest des Abends verbrachten wir damit, unglaublich viel zu lachen, uns über ehemalige Jobs zu unterhalten und unser Liebesleben zu vergleichen (mit ähnlich fürchterlichen Erfahrungen).

Und das macht Heidi aus. Sie steckte schon immer voller Überraschungen.

[home]

4.

Ich habe keine Ahnung, wie viel Heidis Vorarbeit mit dem Erfolg der Präsentation vor Letitia und zweien ihrer Firmenpartner zu tun hat. Aber es läuft traumhaft.

»Gut gemacht, Miss Rogers«, sagt der Partner, der Boris Keppelhammer heißt. Sein ausgefallener Name passt allerdings nicht zu seinem doch sehr durchschnittlichen Äußeren. »Meine Kollegen und ich müssen Ihr Angebot noch besprechen, aber Sie sind der letzte Anwärter, den wir sehen und … tja, ich kann schon mal sagen, dass wir beeindruckt sind.«

Ich lächle und bemühe mich, es nicht zu übertreiben – auch wenn ich eigentlich auf meine armen, geschundenen Knie fallen und seine Füße küssen möchte.

»Das ist sehr nett von Ihnen, Mr. Keppelhammer«, erwidere ich und schüttle ihm die Hand, als er mich zur Tür begleitet. »Ich freue mich, von Ihnen zu hören.«

Ich bin kaum zurück in meinem Büro, als ich den Anruf erhalte, dass der Auftrag uns gehört.

So wird’s gemacht.

Obwohl die Tatsache, dass ich es kann, mich immer wieder erstaunt. Egal, wie gestört andere Bereiche meines Lebens sind, im Job scheine ich die Fähigkeit zu besitzen, in eine andere Persönlichkeit zu schlüpfen: Dann bin ich die coole, selbstsichere und kompetente Abby. Die Abby, mit der die Leute gern Geschäfte machen.

Ich muss mir ständig selbst ins Bewusstsein rufen, wie viele Kunden ich gewinnen konnte, seit ich die Firma gegründet habe. Denn wenn ich das nicht tue, bekomme ich wieder einen dieser »Momente« – die, in denen ich mich frage, wie ich auf die Idee komme, die Verantwortung für all diese Kunden, drei Mitarbeiter und einen Umsatz von ungefähr 170000 Pfund im Jahr zu übernehmen.

Ich weiß, dass mich das nicht zu einer Großunternehmerin macht, aber mir wurde von Menschen, die es wissen müssen, versichert, dass das für eine Firma im ersten Jahr ein guter Umsatz ist. Natürlich erwirtschafte ich bislang kaum Gewinne, aber das Potenzial ist da – das sagt man mir jedenfalls. Vor allem, weil ein oder zwei der Kunden, die ich gewinnen konnte, ziemlich beeindruckend sind. Meine Crème de la Crème beinhaltet ein landesweit tätiges Unternehmen: eine Kette von Gartencentern namens Diggles.

Gott, ich liebe Diggles. Als wir den Auftrag bekamen, bin ich nach Hause gehüpft und habe gegrinst wie eine Frau, die nicht nur ein Schuhgeschäft geerbt, sondern am gleichen Tag die Hauptrolle in einer romantischen Komödie mit Ashton Kutcher ergattert hat.

»Hi, Abby«, sagt Priya, meine Juniordesignerin, als ich ins Büro komme.

»Du bist immer noch da? Es ist schon nach halb sieben.«

»Wir wollen gleich ins Cross Keys«, erwidert sie.

»Triffst du dich da mit … Wie war sein Name noch gleich? Karl?«

»Wie war sein Name noch gleich hat mich sitzenlassen.«

»O nein. Tut mir leid, Priya«, entgegne ich unsicher. Obwohl ich zugeben muss, dass solche Situationen mittlerweile nicht mehr so unangenehm sind wie am Anfang, denn Priya wird ungefähr einmal im Monat sitzengelassen. Manchmal sogar zweimal. Also ist Mitgefühl zu zeigen etwas, das ihre Kollegen und ich sehr oft üben können.

Dass sie ständig verlassen wird, verblüfft mich genauso wie alle anderen. Denn Priya, meine jüngste Mitarbeiterin, ist reizend. Sie ist begeisterungsfähig, hat eine unglaubliche Persönlichkeit und ist sehr attraktiv, wenn auch auf eine ungewöhnliche Weise.

Ihre Haare haben im Laufe der Jahre für einige eigenwillige Experimente herhalten müssen. Aktuell sind sie in einem Neonpink gefärbt, das, wie wir während eines Stromausfalls feststellten, sogar im Dunkeln leuchtet. Wahrscheinlich wird diese Frisur niemals das Cover der Vogue zieren, doch sie hat uns sehr dabei geholfen, den Notausgang zu finden. Und Priya trägt ihre Haare auf eine Art, die ich mir bei keinem anderen Menschen vorstellen könnte.

Andere sind nicht so tolerant – wegen der ungewöhnlichen Haarpracht und dem Nasenring ist sie schon bei sechs Arbeitsstellen abgelehnt worden, ehe ich sie eingestellt habe. Die Leute wissen nicht, was ihnen entgeht. Sie ist erst 20 und eine der besten Graphikdesignerinnen, die ich je kennengelernt habe: schnell, übersprudelnd vor Kreativität und extrem originell. Gut, ihr Liebesleben ist nicht gerade unkompliziert oder überschaubar – aber das ist eine andere Geschichte.

»Wie lief der Pitch?«, fragt der »stattliche Matt«, mein anderer Juniordesigner. Seinen Beinamen hat er von Brenda, einer Bedienung in der Stammkneipe des Büros, die jede Gelegenheit nutzt, um über seinen strammen Hintern zu reden. Der Name ist geblieben. Dafür hat Priya gesorgt.

Genau genommen ist Matt nicht im eigentlichen Sinn »stattlich«; sein Bizeps spannt sich nicht, und er fällt eher durch seine Brille als durch seine ausgeprägte Brustmuskulatur auf. Doch auf seine Art ist er umwerfend: groß und ruhig, mit einer Vorliebe für enganliegende Jeans und coole T-Shirts und mit einem modernen Pony, auf den er besteht, auch wenn er ihm beim Arbeiten am Computer immer in die Augen hängt.

»Es lief gut«, erwidere ich cool und checke meine Mails. »Richtig gut.«

»Wann sagen sie Bescheid?«, fragt Priya.

Meine Mundwinkel zucken. Ich wäre eine miserable Geheimagentin geworden. »Ich habe schon Nachricht bekommen.«

»Und?«

»Und wir haben den Auftrag!«

»Hurra!« Priya springt auf, um mich zu umarmen. »Bedeutet das, dass die Drinks heute Abend auf dich gehen?«

»Das lässt du dir nicht entgehen, oder?«, spöttele ich. »Ich schätze schon. Gott weiß, was mein Steuerberater dazu sagt. Jedes Mal, wenn wir einen Pitch gewinnen, endet es damit, dass ich die Hälfte der ersten Bezahlung in Drinks investiere.«

Ich öffne meinen Posteingang, der wie so häufig unter der Last ungelesener E-Mails fast zu bersten droht. Ich nutze die einzigen freien fünf Minuten des Tages, um sie zu lesen, auch wenn das schmale Zeitfenster bedeutet, dass ich sie noch oberflächlicher überfliege als sonst.

Die Tür geht auf, und Heidi kommt herein. In ihrem Jackie-O-Zweiteiler und den umwerfenden taubenblauen Schuhen sieht sie ausgesprochen schick aus.

»Heidi, ich schulde dir einen Drink«, verkünde ich. »Ich weiß nicht, was du den Leuten bei Max Crane erzählt hast, aber es hat funktioniert.«

»Oh – du hast den Pitch für dich entschieden? Gut gemacht.« Sie lächelt leicht, und mir fällt wie so oft in den letzten Wochen auf, dass es eine gedämpftere Reaktion ist, als ich sie von ihr erwartet hätte. Sie war nie so überschwenglich wie Priya, wenn wir einen Pitch gewonnen haben, doch das ist ja niemand, es sei denn, er hat gerade eine Überdosis Aufputschmittel intus.

Trotzdem habe ich bislang nie bezweifelt, dass Heidi der stärkste Fürsprecher dieser Firma ist.

Ihre zurückhaltende Reaktion ist eigentlich auch nichts, was mich beschäftigen müsste – wäre da nicht die Tatsache, dass viele unserer Konkurrenten Heidi schon morgen abwerben würden. Ich frage mich oft, ob das Gehalt und die Karrierechancen, die eine große Firma ihr bieten könnten, sie eines Tages in Versuchung führen werden.

»Ist alles in Ordnung?«, frage ich sie.

Sie schüttelt kurz den Kopf, als würde sie gerade in die Wirklichkeit zurückkehren. »Tut mir leid, Abby. Ja, alles in Ordnung. Hast du eine Pressemitteilung über deinen Erfolg rausgegeben? Ich werde eine verfassen, wenn du möchtest.«

»Es war nicht mein Erfolg, Heidi. Es war unser Erfolg.«

Sie lächelt. »Wenn du das sagst. Ich werde dich trotzdem in der Pressemitteilung zitieren. Ach, und hast du irgendwann fünf Minuten, damit ich mit dir über einen möglichen Neukunden sprechen kann? Es ist eine trendige neue Botox-Klinik. Ich habe mich kurz mit der Besitzerin unterhalten und denke, du könntest sie überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten.«

Das ist die Heidi, die ich kenne. Aktiv, voller Begeisterung und immer einen Schritt voraus – jedem.

»Um vier habe ich Zeit«, entgegne ich und lösche einige E-Mails. »Kommst du später mit, wenn wir einen trinken gehen?«

Sie zieht die Nase kraus. »Ach, ich glaube nicht. Ich muss mal früher ins Bett. Ich bin total geschafft. Trinkt aber gern einen für mich mit.« Sie zwinkert mir zu. »Und sorg dafür, dass Brenda die Hände von Matts Hinterteil lässt, ja?«

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5.

Es gibt nur eine Sache, die es für mich erträglich macht, von fitten, sportlichen Menschen umgeben zu sein, und das ist ein KitKat Chunky.

Ich komme mit meiner Schokolade und einer Diätcola aus dem Foyer des Sportcenters zurück und beobachte, wie meine Freundin Jess versucht, neben dem Indoor-Fußballfeld nicht die Selbstbeherrschung zu verlieren.

»Komm schon, Jamie!«, flüstert sie, als ihr vierjähriger Sohn sich darauf vorbereitet, ein Tor zu schießen. »Jaaaa!«, brüllt sie und klatscht, als er es schließlich schafft.

Während das Spiel weiterläuft, reicht sie ihrer neun Monate alten Tochter Lola eine Rassel. Die Kleine gurgelt zufrieden. »Lass nicht zu, dass ich eine dieser penetranten, ewig wettstreitenden Mütter werde«, sagt sie.

»Du bist verdammt nah dran«, ziehe ich sie auf und beiße von meinem Schokoriegel ab.

Seit ich denken kann, sind Jess und ich Freundinnen. Wir haben viele gemeinsame Interessen – vom Lesen bis zu einer Schwäche für italienische Männer. Nur in einem sind wir, wie schon die Wahl unserer Snacks beweist, Lichtjahre voneinander entfernt.

Jess ist das, was meine Grandma als »Sportfanatikerin« bezeichnet hätte. Sie ist unfassbar fit. Schon in der Schule war sie Kapitän der Korbball- und Schlagball-Mannschaft, machte Gelände- und Hürdenlauf und hatte beim Volleyball einen Schmetterball, mit dem man Zuschauer hätte enthaupten können.

Während andere Menschen um die 30 sich von der Arbeit und dem gesellschaftlichen Leben ablenken ließen, machte sie weiterhin Marathonläufe und Triathlon. Wenn man das und ihre zierliche Figur, ihre azurblauen Augen und ihren umwerfenden Charme betrachtet, müsste ich sie eigentlich hassen. Zum Glück ist sie eine wundervolle Freundin und bringt mich mehr zum Lachen als jeder andere, den ich kenne – also vergebe ich ihr alles andere.

Ich halte mich selbst nicht für vollkommen unsportlich. Ich bin nicht fettleibig und leide auch nicht unter von schlechter Ernährung verursachter Akne oder etwas ähnlich Offensichtlichem. Tatsächlich schwanke ich zwischen der Kleidergröße 40 und 42, obwohl ich nicht auf meine Ernährung achte. Ich trinke zu viel und kann einem oder auch drei Gläsern Wein nach einem anstrengenden Tag nicht widerstehen.

Ich war nicht immer so. In der Schule war ich Mitglied des Schlagball-Teams (auch wenn ich viel Zeit an der vierten Base verbrachte und hoffte, dass der Ball niemals zu mir kommen würde). Ich habe letztes Jahr auch einen Kurs in Step-Aerobic besucht und bin Fahrrad gefahren, wenn mir danach war – obwohl mir zugegebenermaßen nicht oft danach war.

Seit ich die Firma gegründet habe, spielt meine Gesundheit allerdings nur noch eine untergeordnete Rolle. Wenn ich jetzt ins Fitnessstudio gehen würde, würden meine Bauchmuskeln in den Streik treten.

»Läufst du heute?«, frage ich.

»Natürlich«, erwidert Jess und grinst, weil sie weiß, wie verstörend ich den Gedanken finde, dass sie Mitglied in einem Laufklub ist.

»Hast du denn nie einen Tag Pause?«, frage ich, obwohl ich die Antwort schon kenne.

»Ach, der Klub trifft sich nicht jeden Tag – nur ein paarmal die Woche.«

»Aber du läufst jeden Tag.«

»Nicht an Weihnachten. Auch wenn ich letztes Jahr einen Fünf-Kilometer-Lauf einschieben konnte, als Adam sich um den Rosenkohl gekümmert hat.« Sie zwinkert mir zu. »Wie bist du letzte Woche mit dem Motorrad-Mann verblieben?«

»Ach, mit dem.« Ich rolle mit den Augen. »Er hat meine E-Mail-Adresse. Ich warte auf eine Nachricht von ihm, damit ich ihm die Daten der Versicherung schicken kann. Eigentlich bin ich ziemlich überrascht, dass er sich noch nicht gemeldet hat. Wenn ich bedenke, wie sauer er war, hätte ich damit gerechnet, die Rechnung direkt präsentiert zu bekommen.«

»Oje.«

»Ich habe Angst davor. Es wird ein Vermögen kosten. Und damit habe ich mich selbst unversicherbar gemacht.«

»War es denn ganz sicher deine Schuld?«

»Ich fürchte, ja. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass er mitverantwortlich wäre, dieser schlechtgelaunte Kerl.«

»Hast du nicht gesagt, er wäre umwerfend?«

»Das schließt sich ja gegenseitig nicht aus«, lasse ich sie wissen.

»Du hättest ihn beinahe umgebracht, oder?«

Ich zucke zusammen. »Das stimmt nicht.«

»Du hast das gesagt.«

»Habe ich das? Oh. Tja, das ist nicht meine offizielle Version.«

Sie lacht, nimmt ein Feuchttuch und versucht, Lola die Nase zu putzen.

»Wie geht es dir, wenn du daran denkst, nächste Woche wieder mit der Arbeit anzufangen?«, frage ich sie und denke darüber nach, ob ich noch genug Kleingeld für eine Tüte Chips habe.

»Gut«, entgegnet sie, als wäre es auch für sie selbst eine Überraschung. Jess nimmt nach dem Mutterschutz ihren Job als Seniormanager in einer Telekommunikationsfirma wieder auf. »Ich muss mich erst noch mit einigen Neuerungen auseinandersetzen, aber dann geht’s los.«

»Ich wette, es ist eine Riesenumstellung, die Kinder nicht mehr vierundzwanzig Stunden am Tag um dich zu haben.«

»Ich bin bereit«, erklärt sie. »Diese Woche habe ich mich dabei erwischt, wie ich zu einem Supermarkt am anderen Ende der Stadt gefahren bin – nur um mal etwas anderes zu sehen. Es wird also Zeit für eine Veränderung.«

Lola verliert ihre Rassel und fängt an zu wimmern. Ich reiche ihr das Spielzeug und ernte ein strahlendes Lächeln. Ich kann nicht widerstehen, sie auf den Arm zu nehmen und mit ihr zu kuscheln.

»Wer ist eine Süße?« Grinsend vergrabe ich mein Gesicht in ihrem Bäuchlein, und sie quietscht vor Vergnügen.

»Bekommst du auch langsam den Wunsch nach einem Kind?«, fragt Jess und hebt die Augenbrauen.

»Gib mir noch vier oder fünf Jahre«, antworte ich. »Ich weiß, dass du Mann und Kinder hattest, bevor du dreißig warst – aber einige von uns gehen es eben langsamer an. Im Übrigen schaffe ich es nicht mal, Arbeit und Privatleben unter einen Hut zu bringen, wenn ich mich nur um mich allein kümmern muss.«

»Sobald du den Richtigen getroffen hast, wird dich nichts mehr aufhalten können.«

»Tja … das ist auch so eine Sache.«

Jess wirft mir einen wissenden Blick zu. »Deine Durststrecke ist vorüber, meine Liebe. Heute Abend klappt’s. Ich kann es spüren.«

Ich bin nicht überzeugt. »Du hast es bei allen drei Blind Dates ›gespürt‹, die du arrangiert hast – und trotzdem bin ich noch Single.«

Jess ist fest entschlossen, mir einen Mann zu beschaffen. Deshalb habe ich mich mit einigen alleinstehenden Arbeitskollegen von Adam getroffen. Keiner von ihnen war wirklich übel, aber bei mir hat es einfach nicht gefunkt. Jess hält mich deshalb für extrem wählerisch.

Heute Abend treffe ich allerdings keinen von Adams Kumpeln: Ich werde mit ihr, Adam und einem Typ aus dem Laufklub essen. Jess ist überzeugt davon, dass das der Startschuss für eine romantische Liebesbeziehung sein wird, die in einer Ehe, Kindern und unzähligen Pärchenabenden endet.

»Tja, vielleicht«, räumt sie ein. »Aber Oliver ist Italiener. Zumindest war sein Großvater Italiener. Oder zu einem Viertel. Oder so.«

»Da bin ich ja italienischer«, gebe ich zurück.

»Er ist erst seit ein paar Monaten dabei, also kenne ich ihn noch nicht besonders gut«, fährt sie fort, ohne auf meine Bemerkung einzugehen. »Aber du wirst ihn mögen. Da bin ich mir sicher. Er sieht sehr gut aus und ist einer der nettesten Menschen, denen ich je begegnet bin.«

»Wenn das so ist, warum hast du mich dann erst mit drei anderen Männern verkuppeln wollen?«

»Er ist erst seit kurzem Single. Er hat gerade erst mit seiner Freundin Schluss gemacht.«

»Also trägt er emotionalen Ballast mit sich herum?«

Sie lächelt. »Du nicht?«

Darauf gibt es keine Antwort. Nachdem ich mein KitKat aufgegessen und die Diätcola getrunken habe, suche ich in meiner Tasche nach fünfzig Pence. Jetzt brauche ich auf jeden Fall Chips.

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6.

Um eines klarzustellen: Ich trage keinen emotionalen Ballast mit mir herum. Also, eigentlich nicht. Verglichen mit anderen Leuten ist mein Liebesleben relativ überschaubar. Oder vielleicht habe ich auch nur zu viele Talkshows gesehen.

Als jemand, der seit sechs Jahren glücklich verheiratet ist, hat Jess eine unangemessene Meinung darüber, was ein normales Liebesleben für eine Frau Ende 20 ausmacht.

Ich kann nicht abstreiten, dass ich meine Höhen und Tiefen habe, aber wer hat das nicht? Ich hatte längere Beziehungen (zwei), und mir wurde das Herz gebrochen (ein Mal). Ich hatte eine lange Phase der Enthaltsamkeit (die noch andauert). Und einen Urlaubsflirt (den ich sehr genossen habe – bis ich herausfand, dass er verheiratet war). Bisher habe ich mich nie mit einem dieser Männer alt werden sehen, und im verrückten letzten Jahr stand die Suche nach Mr. Right nicht gerade an erster Stelle. Deshalb hatte ich auch seit über einem Jahr keine romantische Beziehung mehr. Wie es so weit hat kommen können, weiß ich nicht, doch es ist so.

An Abenden wie diesem, wenn die Arbeit hinter mir liegt und ich die Probleme aus meinem Haar gespült und sie mit Tonnen von Haarspray ersetzt habe, werde ich daran erinnert, dass es im Leben noch mehr gibt, als nur Kunden zu gewinnen. Wie Flirts und Spaß, spontanes Ausgehen und gewagten Augenkontakt.

Vielleicht ist es der Verlauf des Abends, der in mir wieder den Wunsch nach einem Sozialleben weckt. Ich weiß nicht, was ich von Oliver-dessen-Großvater-zu-einem-Viertel-Italiener-ist erwartet habe, aber sicher nicht das: einen bodenständigen, bescheidenen und unglaublich süßen Typ mit einem Lächeln, das so strahlend ist, dass man damit eine Hochspannungsleitung speisen könnte.

»Warum hast du mir nicht gesagt, wie attraktiv er ist?«, zische ich, als Jess einen Topf Kartoffeln in ein Sieb leert.

»Habe ich das nicht getan?«, erwidert sie unschuldig. »Ich war mir sicher, ich hätte es erwähnt. Ich habe aber gesagt, dass er ein netter Kerl ist.« Sie gibt die Kartoffeln in eine Schüssel und salzt sie.

»Das ist, als würde man behaupten, Barack Obama hätte einen ›netten Job‹. Jess, er ist entzückend. Er ist perfekt … Er …«

»… ist da draußen mit meinem Mann und nicht mit dir«, unterbricht sie mich. »Geh jetzt wieder ins Esszimmer.«

»Ja, ja«, entgegne ich und versuche, mich zu sammeln. »Ich bin noch nie mit einem Arzt ausgegangen«, überlege ich laut und nehme einen Schluck Wein.

Ach ja. Habe ich das erwähnt? Oliver ist Kardiologe. Kann es noch besser werden?

Er kam vor eineinhalb Stunden mit einer Flasche Valpolicella und Blumen für Jess hier an. Und er hat offenbar Schwierigkeiten, seinen Blick von meinem Dekolleté zu wenden – auch wenn er jedes Mal, wenn ich ihn dabei ertappe, beschämt die Augen niederschlägt. Ich finde es großartig.

»Ja, ›Doktor Charming‹ könnte der erste sein«, erwidert sie. »Allerdings wird nichts passieren, wenn du weiter hier herumstehst.«

Sie hat natürlich recht. Außerdem sollte ich schon deshalb zu ihm gehen, um ihn vor Adam zu retten. Bisher hat Oliver sich mannhaft dagegen gewehrt, sich von Adam mit seiner Vorliebe für politische Themen in einen katatonischen Zustand quatschen zu lassen. Doch wie lange er das noch durchhält, weiß nur Gott allein.

»Ich wünschte, ich hätte mich besser auf diesen Abend vorbereitet«, sage ich zu Jess. »Schau mich an. Mein Nagellack ist abgesplittert, und ich habe mir nicht einmal die Beine rasiert.«

»Na und? Du trägst doch eine Hose.« Sie reicht mir die Schüssel mit den dampfenden Kartoffeln.

»Darum geht es nicht.«

»Worum denn dann? Hast du vor, die Hose auszuziehen?«

»Habe ich dir etwa nicht gesagt, dass ich heute noch gern eine Partie Strip-Poker spielen würde?«, entgegne ich grinsend. Von der Tür her erklingt ein Räuspern. Ich wende den Kopf und erblicke Oliver, der mit einem erstaunten Gesichtsausdruck in der Tür steht. Ich werde rot. »Das war … Ich wollte nicht …«

»Wie kommt ihr zurecht, Oliver?«, ergreift Jess das Wort.

»Äh … gut«, antwortet er, sieht mich an und schlägt scheu die Augen nieder. »Ich wollte schauen, ob ich helfen kann.«

»Wir haben alles unter Kontrolle«, sagt Jess.

Ich spüre seinen Blick auf mir, aber ich kann ihn nicht ansehen, bis er irgendwann zur Pinnwand geht.

»Du hast hübsche Kinder«, sagt er zu Jess und betrachtet die Fotos. »Schlafen sie?«

Ich drehe mich zu Jess um und bemerke, dass sie hektisch auf ihre Augen deutet und mit den Fingern vor ihrem Gesicht herumfuchtelt.

»Hm?«, sagt sie schließlich. »O ja, sie gehen um sieben Uhr ins Bett. Das klappt mittlerweile ganz gut.«

»Ich liebe Kinder«, fährt er fort. »Ich kann es kaum erwarten, eigene zu haben. Vor kurzem bin ich Onkel geworden.«

»Ach, tatsächlich?«, sagt Jess und hört nur mit halbem Ohr zu, während sie weiterhin auf ihr Gesicht zeigt. Verwirrt schüttle ich den Kopf und frage mich, warum sie ausgerechnet jetzt Scharade spielen will.

»Ja, meine Schwester hat einen Sohn bekommen – Jonah. Süß.«

»Wie alt ist er?«, frage ich.

Als er sich umwenden will, um mir zu antworten, packt Jess mich am Ellbogen und dreht mich um, als wollte sie mit mir tanzen.

»Vier Monate, glaube ich«, sagt er. »Er kann schon krabbeln.«

»Das ist aber sehr früh«, entgegnet Jess und hustet. »Normalerweise krabbeln sie erst mit acht Monaten.« Ich will mich umdrehen, als sie mich wieder festhält und mir die Schüssel aus den Händen nimmt. »Oliver, kannst du die bitte ins Esszimmer bringen, ehe sie kalt werden?«

»Sehr gern«, erwidert er grinsend, als Jess mich so fest packt, dass ich Angst habe, sie macht als Nächstes Brennnessel bei mir.

»Was soll das?«, frage ich, als Oliver verschwunden ist. Sie öffnet den Küchenschrank, nimmt ihren Taschenspiegel heraus und hält ihn mir vor die Nase. Der Dampf der Kartoffeln hat meine Wimperntusche dazu bewogen, mir die Wangen herunterzulaufen.

»Oh, toll.«

»Keine Sorge – er hat nichts bemerkt. Nimm dir ein Papiertaschentuch. Und dann geh da raus und flirte mit ihm, als würde dein Leben davon abhängen.«

 

Adam bleibt unbeirrt. Egal, wie oft Jess versucht, das Thema zu wechseln, er will nichts davon wissen.

»In diesem Land ist die Gleichgültigkeit gegenüber Europa unglaublich«, sagt er und schluckt einen Bissen Gemüse herunter. »In der EU gibt es dreihundertfünfundsiebzig Millionen Einwohner, und kaum einer weiß den Einfluss des Europäischen Parlaments auf unser Leben zu schätzen. Das Budget, das sie verwalten, ist phänomenal und trotzdem …«

Das Babyphon springt an, als Lola aufwacht und weint. Alle halten inne und lauschen, ob sie sich wieder beruhigt. Nach ein paar Sekunden wird klar, dass sie sich nicht beruhigen wird.

»Ich werde gehen.« Adam steht auf und geht zur Tür. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht erleichtert aufzuseufzen.

»Was denkst du über den Halbmarathon nächste Woche, Oliver?«, fragt Jess und schenkt mir Wein nach. »Wirst du deine persönliche Bestzeit unterbieten?«

»Tja, ich werde es versuchen«, erwidert er. »Obwohl ich für gewöhnlich zwei Wochen vor einem Lauf keinen Alkohol mehr trinke. Heute Abend habe ich gegen die Regel verstoßen.« Er grinst und sieht mich an, und mir fällt das kleine Grübchen in seinem Kinn auf. Es ist ungeheuer sexy, und er scheint sich dessen überhaupt nicht bewusst zu sein.

»Falls ich je einen weiteren Grund brauche, um nicht mit dem Laufen anzufangen, ist er das«, entgegne ich lächelnd.

Jess lacht, doch als ich Oliver anblicke, kommt es mir so vor, als wäre Selbstironie in diesem Fall nicht angebracht. So werde ich ihn nicht von mir überzeugen können.

»Läufst du nicht gern, Abby?« Er lächelt mich mit großen, freundlichen Augen an. Irgendetwas hindert mich daran, mein Brötchen weiter mit Butter zu bestreichen. Plötzlich sind mir der lockere Teig und die üppige Schicht weicher Butter zuwider – und die Auswirkungen, die beides auf mein Hüftgold hat.

»Ich habe früher viel Sport getrieben«, erzähle ich ihm. Jess beißt sich auf die Unterlippe und wendet den Blick ab.

»Ach?«, erwidert er, während ich seine Unterarme betrachte. Sie sind, wie der Rest von Oliver, schlank und muskulös. Er hat kein Gramm Fett zu viel.

»Hm. Vor allem Fahrrad fahren. Viel schwimmen. Das habe ich immer gemacht.«

»Okay.« Er nickt. »Das ist beides sehr gut für dich.«

»Abby ist wegen der Firma allerdings so beschäftigt, dass ihr kaum noch Zeit dafür bleibt«, wirft Jess ein.

»Ich weiß, dass das jeder behauptet, aber in meinem Fall stimmt es«, füge ich hinzu, reiche ihm die Kartoffeln und nehme mir von den ballaststoffreichen grünen Bohnen.

»Ach, komm schon.« Oliver lacht leise, und seine Wangengrübchen kommen wieder zum Vorschein. »Ich glaube nicht, dass jemand zu viel zu tun hat, um zu trainieren. Jeder kann ein paarmal in der Woche eine Stunde einplanen, um Sport zu treiben. Selbst du, Abby.« Er sagt das mit einem Funkeln in den Augen, doch es gibt keinen Zweifel daran, dass er davon überzeugt ist.

Es gelingt mir, seinen Blick länger zu erwidern, als ich es ohne drei Gläser Wein geschafft hätte. Aber als mir die Hitze den Nacken hinaufkriecht, muss ich den Blick abwenden.

»Na ja, du hast offensichtlich noch nie jemanden kennengelernt, der gerade seine eigene Firma eröffnet hat«, bringe ich hervor.

»Da kannst du recht haben«, gibt er zu. Gott, er ist so süß. »Um welche Branche handelt es sich? Jess hat erwähnt, dass es irgendetwas mit Websites zu tun hat?«

»Wir sind eine Agentur für Webdesign.«

»Abby wurde schon mit einem Preis ausgezeichnet und hat ein paar richtig große Kunden«, fügt Jess hinzu. »Und dabei ist sie erst seit achtzehn Monaten dabei.«

»Sehr gut.« Er lächelt. Zum ersten Mal an diesem Abend habe ich das Gefühl, dass er mich mag. Und doch ist es offensichtlich, dass ein Flirt für ihn nicht selbstverständlich ist – er wirkt zu ungekünstelt, zu sehr wie der Junge von nebenan. Aus irgendeinem Grund macht ihn das noch begehrenswerter.

Jess steht mit einem zufriedenen Lächeln auf. »Ich räume den Tisch ab«, sagt sie. »Oliver, bleib sitzen.« Sie legt ihm unmissverständlich die Hand auf die Schulter. »Du bleibst hier und unterhältst dich mit Abby.«

Als sie durch die Tür verschwindet, sehen Oliver und ich uns im Zimmer um und suchen peinlich berührt nach einem Gesprächsthema.

»Nettes Armband«, sagt er irgendwann. Es kommt mir vor, als würde er versuchen, das Richtige zu tun, weil er mich mag, als wäre er jedoch unsicher, weil er ungeübt ist. »Sieht exotisch aus.«

Claire’s Accessories, um genau zu sein. 4 Pfund 99. Das muss er aber nicht wissen.

»Danke«, murmle ich schüchtern. Er nimmt sein Weinglas, und als sein Arm dabei meinen berührt, habe ich das Gefühl zu explodieren.

Wir blicken einander wieder in die Augen, und mit einem Mal fühle ich mich schwach. »Weißt du«, überlegt er, »nachdem deine Firma jetzt schon achtzehn Monate lang läuft, solltest du dir ein bisschen mehr Zeit für dich nehmen.«

Mein Herz schlägt plötzlich doppelt so schnell. »Vielleicht hast du recht. An was hast du da gedacht?«

Lächelnd lehnt er sich zurück und sieht mutiger aus als bisher. »Werde Mitglied im Laufklub.«

Mein Lächeln erstirbt. »Ich glaube nicht, dass das etwas für mich ist.«

»Wirklich nicht? Wenn du viel geschwommen bist, wirst du nicht lange brauchen, um die nötige Kondition zu erreichen.« Ich kann ihm ansehen, dass er glaubt, was er sagt.

»Ach, ich weiß nicht. Ich denke darüber nach«, schwindle ich.

»Du musst es nicht machen«, sagt er und sieht unglaublich süß und zugleich sexy aus. »Doch es wäre toll, wenn du es tun würdest.«

Mir fällt auf, dass ich aufgehört habe zu atmen, als die Tür aufspringt und Adam zurückkommt. »Sie ist erkältet«, sagt er. »Ich habe ihr etwas gegeben. Oh … Wo ist Jess?«

»In der Küche, den nächsten Gang vorbereiten«, entgegne ich und hoffe, dass er losgeht, um ihr zu helfen.

»Gut. Tja, sie hasst es, wenn ich mich einmische. Wo waren wir stehen geblieben, Oliver? Ach ja, das Referendum.«

Ich sinke auf meinem Stuhl zusammen.

»Eigentlich haben Abby und ich uns über den Laufklub unterhalten«, sagt Oliver. »Sie will vielleicht mitmachen.«

»Tatsächlich?«, stößt Jess hervor, die hereingekommen ist und mir nachschenkt. »Das ist ja phantastisch! Du wirst es lieben.«

»Ich glaube nicht, dass ich das gesagt habe«, winde ich mich.

»Ernsthaft, Abby, wenn du es langsam angehen lässt, baust du in null Komma nichts Kondition auf«, fährt Jess fort. Sie scheint sich nicht im Klaren darüber zu sein, dass es nie so weit kommen wird. Ich nippe an meinem Wein.

»Wir treffen uns fast jeden Tag. Aber für den Anfang sollten drei Tage die Woche für dich reichen«, erklärt Oliver, während ich mich bemühe, mich nicht an meinem Chardonnay zu verschlucken.

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7.

Der wöchentliche Einkauf ist selbst für meine Verhältnisse maßlos. Ein Viererpack Magnum, eine riesige Tüte Tortilla-Chips, zwei Flaschen Pinot Grigio und ein paar »unwiderstehliche Stückchen Käsekuchen«, die so unwiderstehlich sind, dass ich es nicht einmal bis nach Hause schaffe, ohne die Packung aufzureißen. Ich betrachte meine Ausbeute und verspüre ein schlechtes Gewissen. Meine Arterien werden mir den Genuss all der Sachen nicht gerade danken.

Na ja. Ich klemme mir den Telefonhörer zwischen Schulter und Kinn und öffne eine Packung Marshmallows. Während Jess mir einen Vortrag hält, stopfe ich mir voller Genuss einen davon in den Mund und antworte erst, als sie eine Pause macht, um Luft zu holen. »Jess, das ist im Prinzip eine tolle Idee. Nicht zuletzt, weil ›Doktor Charming‹ da ist.«

»Du magst ihn noch immer?«

»Er ist umwerfend.«

»Dann mach im Laufklub mit.«

Ich seufze. »Es gibt einen guten Grund, warum ich nicht Mitglied werden kann.«

»Ach ja? Und der wäre?«

Ich hole noch einen Marshmallow aus der Tüte und betrachte ihn. »Ich könnte sterben.«

Sie prustet los.

»Das ist mein Ernst«, sage ich unschuldig. »Ich kenne meine Grenzen.«

Tatsächlich habe ich über Olivers Vorschlag nachgedacht. Doch wenn ich Jess jetzt Hoffnungen mache, wird sie sich darauf stürzen und nicht mehr lockerlassen, also halte ich mich lieber bedeckt.

»Okay. Du hast vielleicht recht«, seufzt sie. Es ist ein offensichtlicher und fruchtloser Versuch der umgekehrten Psychologie. »Wie wäre das: Trainiere ein paar Wochen im Fitnessstudio, um dich in Form zu bringen, und werde dann Mitglied im Laufklub. Auf die Weise ist es nicht so beängstigend, denn du fängst nicht bei null an.«

»Hm«, brumme ich, nicht halb so begeistert wie sie.

»Abby.« Sie spricht mit mir, als wollte sie einem Hündchen den Befehl »Sitz!« beibringen. »All deine Argumente, es nicht zu tun, sprechen nur dafür.«

»Hä?«

»Ich meine, du bist nicht in Form. Wenn du in Form kommen möchtest, komm in den Laufklub.«

»Tja, wenn es nur so einfach wäre …«

»Es ist so einfach! Oliver will nur, dass du teilnimmst, weil er dich mag. Trotzdem ist es eine gute Idee. Wie gesagt, du solltest vorher ein bisschen trainieren, um den Übergang etwas leichter zu machen. Aber es gibt sogar eine Gruppe für Anfänger. Du kommst bestimmt zurecht. Vergiss deine Vorurteile – vor allem die Vorstellung, dass wir ein Haufen Fitnessfanatiker wären, die sonst nichts anderes machen.«

»Aber das stimmt doch.«

»Falsch! Wir sind Menschen, die ihr Leben ausgewogen gestalten und gern laufen.«

»Daran ist nichts ›ausgewogen‹«, gebe ich zurück.

»Abby«, sagt sie wieder in diesem Tonfall. »Viele Leute fangen an wie du.«

»Wie, mit einem kugelrunden Bauch und einer Mitgliedskarte im Fitnessstudio, die in dem Jahr abgelaufen ist, als die Spice Girls gegründet wurden?«

»Ich merke, dass ich auf verlorenem Posten kämpfe. Du hast gewonnen – mach nicht mit. Selbst wenn es den Beginn einer wundervollen Beziehung mit ›Doktor Charming‹ bedeuten könnte. Es soll eben nicht sein.«

»Das ist unfair, Jess.«

»Ich weiß. Hat es funktioniert?«

Ich denke eine Sekunde darüber nach. »Wenn er mich mag, warum besorgt er sich nicht meine Telefonnummer und bittet mich um ein Date?«

»Weil er möchte, dass du dem Laufklub beitrittst«, erwidert sie, ohne zu zögern.

»Oooh«, stöhne ich. »Das ist nicht fair. Hör zu, ich lasse es mir durch den Kopf gehen. Und jetzt geh und kümmere dich um deine Kinder und hör auf, mich zu bedrängen.«

Ich lege auf und betrachte meinen Bauch. Wenn mein Hosenbund noch tiefer einschneidet, werde ich zerteilt. Ich schiebe mir noch einen Marshmallow in den Mund und räume die restlichen Einkäufe in meine kleine, aber feine Küche.

Danach nehme ich mir die Post von Freitag vor, für die ich erst jetzt, am Sonntagnachmittag, die Zeit finde, sie zu öffnen.

Die ersten beiden Briefe sind Müll. In einem steht, dass ich nur einen Schritt davon entfernt bin, 5000 Pfund zu gewinnen, wenn ich einen Katalog bestelle, der eine unglaublich große Auswahl an orthopädischen Strümpfen bietet. Der andere ist die Postwurfsendung einer Flugzeug-Firma. Sie müssen die schlechteste Datenbank der Welt haben, wenn sie mich für eine potenzielle Kundin halten.

Der dritte Umschlag ist braun und fällt deshalb in die Kategorie von Briefen, die ich nur ungern öffne. Braune Briefe sind immer wichtig. Ich reiße den Umschlag auf und finde darin den ersten handgeschriebenen Brief, seit meine 80 Jahre alte Grandma mir eine Fünfpfundnote geschickt und mich ermuntert hat, mir davon etwas Neues zum Anziehen zu kaufen.

Ms. Rogers,

der Optimist in mir hat versucht, berechtigte Gründe dafür zu finden, warum Sie nicht auf meine drei E-Mails geantwortet haben. Vielleicht war unser Kuss auf dem Parkplatz ein so überwältigendes Erlebnis, dass Sie mir die falschen Kontaktdaten gegeben haben. Doch die E-Mails kamen nicht zurück. Also versuche ich, den Pessimisten in mir zu unterdrücken, der befürchtet, dass Sie das Thema »Unfall« möglicherweise meiden. Leider befürchte ich ebenso, dass sich das Thema angesichts der Rechnung von über 1000 Pfund für die Reparatur des Motorrades nicht einfach von selbst erledigt. Also, auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole: Wären Sie so freundlich, mir die Versicherungsdaten zu schicken? Falls es nicht zu viele Umstände macht. Danke.

Tom Bronte

Was für eine Frechheit. Er hat überhaupt keinen Kontakt mit mir aufgenommen! Und 1000 Pfund? Für ein verdammtes Motorrad?! Dafür bekommt man ein ganzes Auto. Gut, zugegebenermaßen ein mieses Auto, aber immerhin.

Was soll überhaupt die Sache mit dem Kuss? Ihm muss doch klar sein, dass er derjenige ist, der angefangen hat. Es ist offensichtlich, dass er sich über mich lustig macht, aber das tut nichts zur Sache. Genau genommen macht es alles nur noch schlimmer.

Im Übrigen weigere ich mich, mir für etwas die Schuld geben zu lassen, was ich nicht getan habe – wie zum Beispiel seine E-Mails zu ignorieren. Zumindest … glaube ich, dass ich das nicht getan habe.

Ich bin verunsichert.

Ich gehe in mein Arbeitszimmer und starte meinen Laptop. Ungeduldig trommle ich mit den Fingerspitzen auf den Schreibtisch, bis der Rechner endlich hochgefahren und bereit ist. Dann werfe ich einen Blick in meinen Posteingang und stelle zufrieden fest, dass ich sämtliche Mails gelesen habe. Lediglich drei oder vier Nachrichten, die Freitag nach Feierabend angekommen sind, konnte ich noch nicht lesen.

»Da«, sage ich laut und verschränke die Arme vor der Brust. »Keine einzige ungelesene E-Mail. Was sagst du nun, Mr. Tom ›1000 Pfund für eine popelige Delle in meinem Motorrad‹ Bronte?«

Plötzlich kommt mir ein Gedanke. Er hat nur Tom auf die Karte geschrieben, die er mir nach dem Unfall in die Hand gedrückt hat. Also, warum sagt mir sein Nachname irgendetwas?

Ich klicke den Papierkorb an und prüfe die ungelesenen E-Mails, als mein Blick an drei Nachrichten von der Adresse [email protected] hängenbleibt.