Unter Brüdern - Paul C. Meynert - E-Book
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Unter Brüdern E-Book

Paul C. Meynert

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Beschreibung

„Wenn schon ein Mord geschehen muss, will er ihn traurig genießen, will es auskosten, wenn alle Hemmungen dahinschmelzen, damit das älteste aller Gesetze wieder regieren kann: du oder ich …“ Nirgends ist man so einsam wie unter Menschen, mit denen man sich nichts mehr zu sagen hat. Benjamin und Peter waren enge Freunde, so nah wie Brüder. Ein Ausflug führt sie in die Berge, auf eine einsame Hütte. Dort werden sie mit sich selbst, mit einander und mit Fragen von Leben und Tod konfrontiert. Die Situation eskaliert … Ein klaustrophobisches Kammerspiel um Einsamkeit, Enttäuschung und tödliche Begegnungen. Jetzt als eBook: „Unter Brüdern“ von Paul C. Meynert. dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 240

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Über dieses Buch:

Nirgends ist man so einsam wie unter Menschen, mit denen man sich nichts mehr zu sagen hat. Benjamin und Peter waren enge Freunde, so nah wie Brüder. Ein Ausflug führt sie in die Berge, auf eine einsame Hütte. Dort werden sie mit sich selbst, mit einander und mit Fragen von Leben und Tod konfrontiert. Die Situation eskaliert …

Ein klaustrophobisches Kammerspiel um Einsamkeit, Enttäuschung und tödliche Begegnungen.

Über den Autor:

Paul Candidus Meynert ist das Pseudonym eines bedeutenden deutschen Naturwissenschaftlers, der 1947 in Hamburg geboren wurde. Seine Forschungen auf dem Gebiet der Nanotechnologie sind gewichtig und bekannt. Eine eigene Nahtoderfahrung hat ihn veranlasst, sich mit philosophischen und spirituellen Themen intensiv zu befassen. Seit seiner Emeritierung lebt er im Winter in München und im Sommer in der Toskana.

Bei dotbooks veröffentlichte Paul C. Meynert bereits Die wahre Geschichte Gottes.

***

Originalausgabe November 2012

Copyright © 2012 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Redaktion: Gisela Klemt

Titelbildgestaltung: Nicola Bernhart Feines Grafikdesign, München

Titelbildabbildung: © ollirg – veer.com

ISBN 978-3-943835-03-8

***

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Paul Candidus MeynertUnter Brüdern

Eine tödliche Geschichte

dotbooks.

Du aber bist nicht Herr des morgigen Tages und verschiebst immerzu das Erfreuliche. Das Leben geht mit Aufschieben dahin, und jeder von uns stirbt, ohne Muße gefunden zu haben. Epikur

Es ist schade, alsdann sterben zu müssen, wenn man nun allererst gelernt hat, wie man recht gut hätte leben sollen. Immanuel Kant

1

Samstag

Noch bevor der Wecker losplärren kann, erwacht Benjamin und fühlt sich grobschlächtig auf seinem nassgeschwitzten Laken. Sein Traum, soeben abgebrochen, hält ihn noch immer fest im Griff. Dieser altbekannte, ihn stets neu verwirrende Traum …

Er steht in einem riesigen Warenhaus, dessen Regale gefüllt sind mit glitzerndem Spielzeug jeder Sorte. Er ist nicht allein dort, aber er hat wieder einmal viel zu lange getrödelt bei der Betrachtung der aufeinandergetürmten Attraktionen – und als er sich dann endlich nach den anderen umdreht, sind sie fort, sind verschwunden. Er sucht überall, ruft nach ihnen, schreit, rennt hierhin und dorthin. Fremde Gesichter drehen sich zu ihm um, blicken auf ihn herunter. Aber seine Freunde kann er nirgends finden, so sehr er auch weint und brüllt. Plötzlich tritt ein großer Mann auf ihn zu, die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Es sieht aus, als habe er dort etwas verborgen, irgendetwas Fürchterliches. Dieser Mann öffnet den Mund, um ihn, den kleinen Benjamin, herrisch anzusprechen – und in dem Moment erwacht er aus diesem Traum, er, Benjamin, 54 Jahre alt, erwacht schweißgebadet. Immer erwacht er an dieser Stelle, stets ist es ihm, als habe er noch einen Nachhall der Worte des großen Mannes im Ohr. Was der Mann sagt, das klingt wie … ja wie? Noch nie hat er, jäh und erschrocken aufgewacht, es vermocht, sich wieder auf Klang und Bedeutung dieser Worte zu besinnen. Dennoch sind sie ihm so vertraut wie kaum etwas anderes. Sie sind eine Botschaft, eine geheime Parole, die nur er, er allein, entschlüsseln und verstehen kann. Aber dazu müsste er sich erinnern, und er erinnert sich nicht. Wenn es nur einmal gelänge, wenigstens ein einziges Mal! Aber es gelingt nicht. Es ist wie verhext. Und dazu diese ständige Wiederholung: als liefe man auf einem rollenden Band, wie in einem Fitness-Studio. Man schwitzt, strengt sich an und ermattet schließlich. Und alles, ohne vom Fleck gekommen zu sein.

Wieder einmal hat er geträumt, ein Kind zu sein, sich in einem Kaufhaus zu verirren. Warum bloß diese ständige Wiederholung? Wozu sollte all das nütze sein?

Aber muss es zu etwas nütze sein? Vielleicht wissen unsere Träume nichts vom Drang des Wachbewusstseins, sie auszuforschen, zu deuten und einzuordnen. Vom Drang, sie abzuheften in den Klarsichthüllen eines kontrollierbaren Alltagslebens. Aber vielleicht ist das ganz falsch. Ein Irrweg. Vielleicht handelt es sich bei diesen Nachtwelten um eine andere Seite unseres Seins, die man einfach hinnehmen sollte. Hinnehmen, ohne sie mit der Elle des Tages messen zu wollen. Ist es wirklich nötig, auch die Nachtschattengewächse in ein Herbarium zu pressen, statt sich an ihrer fahlen, gefährlichen Schönheit zu freuen?

Freuen … Wo bin ich nur im Strudel dieser Assoziationen hingeraten? Freude trinken alle Wesen an den Brüsten der Natur, hat Schiller gedichtet, der pathetische Gipskopf.

Benjamin richtet sich im Bett auf. Johanna, seine Frau, scheint noch zu schlafen, hat sich auf die Seite gedreht. Im Dämmerlicht des Weckers erkennt er die Rundung ihrer Hüfte. Sonderbar, dass sie hier bei ihm geblieben und nicht ins Gästezimmer übergesiedelt ist. Seit anderthalb Jahren tut sie das fast jede Nacht. Er fühlt sich versucht, ihren so still und schwer unter der Decke ruhenden Körper zu berühren. Mit der Hand nicht nur unter diese Decke, sondern auch unter ihr Nachthemd zu fahren. Ihre weiche, ein wenig feuchte Wärme zu tasten, zu fühlen … Aber selbstverständlich tut er nichts dergleichen. Sie kann sehr ärgerlich werden, wenn man sie vorzeitig weckt. Nichts ist es mit Sinnenfreude, nichts mit den Freuden des Bettes … nichts. Verdammt lang her.

Er seufzt leise. Schüttelt den Kopf hin und her, als lägen die Reste des Traumes wie Staub auf seinem Haar. Dehnt Schultergürtel und Arme, schlüpft dann vorsichtig und etwas schwerfällig aus dem Bett. Er hat nackt geschlafen, wie immer, auch eine jener Angewohnheiten, die Johanna nicht schätzt. Am meisten aber empört sie sein Schnarchen, das, wie sie behauptet, mit den Jahren immer schlimmer geworden ist.

Immer noch ein wenig ungeschlacht, die Bewegungen eckig, streift er jetzt den Bademantel über. Der Schlaf hat ihn nicht erfrischt, im Gegenteil, er fühlt sich beschwert und entkräftet zugleich. Er könnte sich ja freuen auf das Wochenende, das vor ihm liegt. Freuen auf die Fahrt in die Berge, auf die kurze Flucht aus der häuslichen Tretmühle. Aber es gelingt ihm nicht. Wie immer in der letzten Zeit.

Sorgsam darauf bedacht, nirgendwo anzustoßen, trottet er ins Badezimmer. Über die Schulter wirft er, schon auf dem Flur, noch einen Blick zurück. Die Umrisse des Bettes lasten schwer in der Mitte des Raumes. Das Doppelbett scheint ihm, im Rückblick, eine Art Richtstatt zu sein, wo die Ehe vollstreckt wird – bisweilen.

Sic transit gloria mundi.

Er stolpert leise fluchend weiter. Dabei bleibt sein Blick an einem Bild hängen, einer Collage aus Fotos vergangener Zeiten. Johanna hat sie akribisch zusammengestellt, auf Pappe geklebt und dann gerahmt – Urlaubsfotos, Bilder von Skitouren, von Grillfesten, von Geburtstagsfeiern. Johanna allein, Johanna mit Benjamin, Benjamin allein, Benjamin mit Freunden, Benjamin mit Johanna …

Verdammt lang her.

2

Die heiße Dusche hat ihn mit Macht aus seiner Traumwelt herausgerissen. Hat ihn rücksichtslos in die unentfliehbare Realität des heraufdämmernden Tages hineingeschwemmt. Sich die Haare zu waschen, muntert ihn zusätzlich auf. Der Blick klärt sich, er fühlt sich allmählich fähig, diesem neuen Tag ins Auge zu sehen. Jetzt wird alles besser. Vielleicht …

Als er vor dem Spiegel steht und den Rasierapparat zur Hand nimmt, sieht er Johanna in der Badezimmertür stehen. Auch sie hat sich einen Bademantel übergestreift. Mit Interesse betrachtet er ein großes Dreieck brauner Haut. Betrachtet die Stelle, wo sich der Stoff über ihren vollen Brüsten schließt. Ist das wirklich die Frau, mit der er schon so viele Nächte verbracht hat? Wie viele eigentlich? Er erinnert sich plötzlich, wie sie damals, in seiner Regensburger Junggesellenbude, darauf bestanden hat, den Fernseher anzuschalten. Man war angeheitert gewesen von einer gemeinsam geleerten Flasche Sekt. „Es ist doch ganz gleich, was läuft!“

Es war Expeditionen ins Tierreich, ein Film über Wildkatzen. Der fing recht langweilig an, aber dann kam der Reporter auf die Sexualgewohnheiten der Tiere zu sprechen. Er sagte, er hätte bei Wildkatzen schon 19 Paarungen pro Nacht beobachtet.

„Komm!“, rief die Johanna von damals und packte ihn fest am Hosenbund, „das wollen wir auch probieren!“ Doch trotz aller Mühe hatten sie mit den Wildkatzen nicht mithalten können. Aber immerhin …

17 Jahre ist das her, denkt er sich. Oder sind es sogar 18? Egal. Verdammt lang her. Und laut fragt er: „Du bist schon wach? Habe ich dich aufgeweckt?“

„Hast du nicht. Heute nicht!“, erwidert sie. Ihre Stimme klingt gar nicht vorwurfsvoll, was Benjamin überrascht. „Ich wollte dir nur noch rasch etwas sagen, bevor du fährst, ich weiß selbst nicht recht, ob es wichtig ist“, fährt sie fort. „Gestern, du warst noch nicht hier, hat dein Bruder angerufen. Er hat mir nicht gesagt, was er von dir will, aber er klang irgendwie seltsam. Ziemlich durcheinander. Er wird sich noch einmal bei dir melden, hat er gemeint. Wann immer das sein mag. Auf jeden Fall weiß er ja, dass du mit Peter auf die Berghütte fährst. Er wird dich schon irgendwie erreichen, wenn es wirklich so wichtig ist. Oder?“

Benjamin nickt. Bei der Rasur hat er gerade die schwierige Stelle am Kinn erreicht. Dass sie ausgerechnet jetzt von seinem Bruder anfangen muss …

„So viel zu deinem Bruder Benedikt“, ergänzt sie noch. Es klingt wie eine Zusammenfassung, ein Schlusswort. Aber es folgt noch eine Fußnote: „An ihm wird es wohl kaum gelegen haben, aber eine gute Nacht war das nicht. Ich habe verdammt schlecht geträumt.“

„Du auch?“

„Ja. Ich weiß nicht mehr viel davon, aber es war irgendetwas mit Blut, viel Blut. Es bedeckte fast alles, eine richtig dicke Schicht – wie Sirup oder Lack oder so. Und ich schwamm mittendrin, oder vielmehr, ich klebte obendrauf, klebte richtig fest. Aber was meinst du eigentlich mit ‚du auch‘? Was hast du denn geträumt?“

Doch Benjamin antwortet nicht. Er starrt in das Waschbecken, denn er hat sich mit der Klinge seines Rasierapparates tief ins Kinn geschnitten, und nun tropft sein eigenes Blut auf das weiße Porzellan und bildet dort, ganz anders als Sirup oder Lack, seltsame, spiralige Muster. Und er versucht, in diesen Mustern zu lesen, einen verborgenen Sinn darin zu erkennen. Er versucht es, obwohl er begreift, wie sinnlos und abgeschmackt das ist. Dennoch: das eigene Blut … Ihm ist das dünne Rinnsal aus eigenem Blut ein Orakel. Er sucht nach Wahrheit darin. Aber er findet nichts. Was soll der Unsinn, sagt er sich, presst ein Kleenex-Tuch gegen die Wange, dreht den Wasserhahn auf und spült alles fort.

3

Wortlos sitzen sie einander am Küchentisch gegenüber. Johanna hat zu Benjamins nicht geringer Überraschung die Espressomaschine in Betrieb gesetzt. Kommentarlos nimmt sie zwei Tassen aus dem Schrank. Er erinnert sich: Diese Tassen haben sie bei einem gemeinsamen Urlaub gekauft, vor fünf Jahren war das, in Brixen, in einem großen Haushaltswarengeschäft unter den Laubengängen. Mag Johannas freundliche Geste am heutigen Morgen auch einer plötzlich auflodernden Gesprächsbereitschaft entsprungen sein – diese Bereitschaft erschöpft sich, wie ein kleines Feuer im Sturm, sogleich wieder, sie hält nicht vor. Johanna starrt, während die Maschine dampft und faucht, nur noch stumm auf die Buchenholzplatte des Tisches. Dann wischt sie mit einem Kleenex-Tuch etliche Rotweinflecken fort. Sie hat gestern schon wieder eine Flasche von meinem Salice Salentino gesoffen, denkt Benjamin. So eine Schande, dieser Wein ist doch viel zu schade für ihre Trinksitten. Es sind jetzt nur noch drei Flaschen da von diesem Superjahrgang, die wird sie bald vertilgt haben. Aber wenn ich etwas sage, gibt es gleich wieder eine Riesenszene. Warum geht sie nicht zu ALDI und kauft sich dort irgendwas? Anderthalb-Liter-Flaschen, Südtiroler Bauernschoppen oder so!

Johanna betrachtet ihre Fingernägel. Vielleicht wäre es mit Kindern nicht zu diesem häuslichen Elend gekommen. Vielleicht hätte sich vieles vermeiden lassen, denkt Johanna. Wer weiß? Aber erst wollte er nicht. Und als er dann plötzlich davon anfing, war ich schon 39. Da wurde er plötzlich sentimental, aus Angst vor dem Alter vermutlich. Fast hätte er dann dieser kleinen, blonden Journalistin ein Kind angevögelt. Ein Glück, dass wenigstens sie aufgepasst hat, er hätte es gewiss darauf ankommen lassen. Aber das Mädchen war scharf auf die eigene Karriere – ein Segen! Na, das ist ja auch vorbei. Obwohl es ihm eigentlich gar nicht schlecht bekommen ist, wenigstens hat er sich damals nicht so hängen lassen. Damals.

Die Maschine verstummt. Johanna steht auf, gießt den dunklen Saft in die Brixener Tassen und stellt sie auf den Tisch.

„Danke“, sagt Benjamin, stürzt den Kaffee hinunter und rührt sinnlos mit dem Löffel in seiner leeren Espressotasse herum. Früher hätte sie mich gefragt, ob ich noch einen will. Oder sie wäre einfach aufgestanden und hätte mir die zweite Tasse gebracht. Vielleicht hätte sie sogar einen Schokoladenkeks auf die Untertasse gelegt. Johanna hebt die Augen und betrachtet ihn lange. Er tut so, als würde er es nicht bemerken, aber natürlich ist es ihm sofort aufgefallen. Was will sie denn jetzt schon wieder? Aber sie weiß vermutlich selbst nicht, was sie will.

Eigentlich sieht er immer noch ganz gut aus, denkt sie in fast zärtlicher Stimmung. Auch mit Mitte 50 noch. Wenn er nur öfter zum Friseur ginge, kurze Haare stehen ihm einfach besser. Aber er glaubt wohl, so sehe er jünger aus. Seine Sache. Irgendwann werde ich ihm reinen Wein einschenken. Am besten ziemlich bald.

„Wann bist du mit Peter verabredet?“, fragt sie langsam. Sie fragt das, als meine sie etwas anderes, etwa: „Du könntest mal wieder zum Friseur gehen.“ Oder: „Dieses Hemd hat hübsche Farben.“ Oder: „Heute soll es in den Bergen heftige Gewitter geben.“ Aber stattdessen: „Wann bist du verabredet?“

„Um Viertel vor sechs, wie immer“, entgegnet er. Zum Kuckuck, das müsste sie doch allmählich wissen. Oder fragt sie das nur, damit wenigstens irgendetwas gesagt wird? Damit die Einöde des Schweigens nicht so an den Nerven zerrt und zehrt?

Sie steht vom Tisch auf, irgendwie zerstreut. Der Knoten des Gürtels löst sich, und ihr Morgenrock fällt weit auseinander, was sie gar nicht zu bemerken scheint. Wieso hat sie sich eigentlich das Nachthemd ausgezogen?, fragt sich Benjamin. Das ist sonderbar, das ist doch gar nicht ihre Art. Und er spürt, wie sich zwischen seinen Beinen Leben regt. Auch das ist sonderbar, diese morgendliche Auferstehung des Fleisches, nach einer solchen Nacht. Aber immerhin …

Er weiß nicht, welcher Teufel ihn reitet, aber er will jetzt nicht mehr ruhig sitzen bleiben.

„Weißt du eigentlich noch, dass wir einmal einen Film über die Wildkatzen gesehen haben? Damals in Regensburg? Seltsame Tiere! Sie rammeln manchmal 20 Mal pro Nacht, und …“

Johannas Seitenblick lässt ihn innerlich gefrieren, lässt ihn sofort bereuen, dieses Thema angeschnitten zu haben.

„Und?“, sagt sie derart beiläufig, dass es nur volle Absicht sein kann. Sie sagt es zudem mit jenem strafenden Unterton, den er so hasst.

„Und jetzt, lieber Benjamin, werden wir noch ein wenig Kopfrechnen üben.“ Das hatte seine Lehrerin ihn oft genug hören lassen. Damals, als die Grundschule noch „Volksschule“ hieß. Sie hatte ihn dann mit Aufgaben bombardiert, die er als fürchterlich empfand – wohl wissend, dass sie ihn angesichts seiner mühsam gestammelten Lösungsversuche zum Gespött der ganzen Klasse machte.

„Na und?“, wiederholt Johanna. „Was soll diese kleine Anspielung auf die Idylle des Tierlebens? Spürst du plötzlich den Kater in dir? Hast du etwa auf deine alten Tage genug von den kleinen Büromäusen?“ In Wahrheit erinnert sie sich sehr gut der Szene, auf die Benjamin angespielt hat. Mein Gott, denkt sie, damals war er wirklich noch ein guter Ficker. Erstklassig sogar, er war ganz bei der Sache und hat nicht immer über sich selbst nachgedacht. Heute will er ständig irgendetwas beweisen, will demonstrieren, wie fantasievoll er ist. Verfällt auf irgendwelche Tricks, die er sich angelesen hat, Kniffe, um den jungen Dingern zu zeigen, dass er ein erfahrener Liebhaber ist. Macht sich dabei bloß lächerlich. Ich sollte ihm wirklich bald reinen Wein einschenken, bevor er auf dumme Gedanken kommt.

„Mein Gott, warum musst du immer gleich so zynisch und verletzend sein? Was ist denn schlimm an dem, was ich gesagt habe? Ich finde, du siehst noch ziemlich knackig aus, das wollte ich damit gesagt haben. Was ist denn schlimm daran?“

„Nichts“, gibt sie in versöhnlichem Ton zurück. „Ganz und gar nicht. Der Haken ist bloß, dass es durchaus eine Zeit gegeben hat, zu der ich solche Reden sehr gern gehört hätte. Aber damals hattest du andere Melodien drauf. Das ist eine ganze Weile her, mein Lieber. Und es ist etwas spät, wenn du jetzt plötzlich die Wildkatze in dir entdeckst. Ich weiß nicht recht, ob diese … Erkenntnis wirklich mit mir zu schaffen hat. Oder ob es dir einfach darauf ankommt, mal wieder den vitalen Burschen zu spielen.“

Der ist er ja früher wirklich gewesen, denkt sie. Gott, warum ist das Leben bloß so kompliziert? Es ist alles viel zu schwierig, eindeutig. Das Leben ist unüberschaubar geworden. Man verschwendet viel zu viel Zeit darauf, seine Einzelteile zusammenzuhalten.

Du meine Güte, ist das alles kompliziert, denkt Benjamin. Wenn die Wildkatzen ein Bankkonto hätten, eine Einkommenssteuererklärung abgeben müssten und regelmäßig zur psychotherapeutischen Behandlung gingen – wenn das so wäre, würden sie auch nicht 20 Mal pro Nacht ficken. Sie hätten einfach keine Zeit mehr dazu. Sie würden bloß noch davon reden, wie gern sie es täten. Dass sie es wirklich gern täten, bloß unter anderen Verhältnissen. Und wie gern sie es getan hätten, damals, in der guten alten Zeit. Ein Glück, dass ich wenigstens zwei Tage wegfahre. Bloß raus aus diesem Laufrad, in dem ich mich wie ein Goldhamster im Kreise drehe. Benjamin hasst Goldhamster.

„Ich muss noch meine Tasche packen“, sagt er. „Peter ist zwar nie fertig, wenn man zur verabredeten Zeit kommt, aber trotzdem. Ich will nicht unpünktlich sein.“ Und das stimmt. Er ist wirklich nie unpünktlich. Tatsächlich ist es ein kleines Wunder, wenn er einmal nicht fünf Minuten vor der Zeit am Treffpunkt erscheint.

„Schon gut“, gibt sie leise zurück. „Du brauchst dich aber nicht zu beeilen, du bist zu früh dran wie immer. Willst du noch einen Espresso?“

Ohne seine Antwort abzuwarten, öffnet sie die Schiebetür des Hängeschranks.

Dann kramt sie im untersten Fach nach einer Tüte mit Schokoladenkeksen.

4

Benjamin verstaut seinen Rucksack im Kofferraum. Er öffnet die Autotür, lässt sich lustlos auf den Fahrersitz sinken. Viel zu weiche Polster, denkt er, und das denkt er immer, wenn er in dieses Auto steigt. Das hat man nun davon, wenn man einen Franzosen kauft. Die bauen Sofas ein statt Sitze. Nun hör doch endlich mal auf damit, würde Johanna antworten, wenn sie bei ihm wäre.

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