Verrückt nach Vincent & Reise nach Marokko - Hervé Guibert - E-Book

Verrückt nach Vincent & Reise nach Marokko E-Book

Hervé Guibert

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Beschreibung

In Deutschland wurde Hervé Guibert (1955 – 1991) durch das Protokoll seiner Aids-Erkrankung berühmt, das den provokanten Titel trägt: "Dem Freund, der mir das Leben nicht gerettet hat" (1991, NA 2021). Doch seine literarische Karriere hatte bereits zehn Jahre zuvor begonnen, mit kleinen, intensiven Erzählungen, die von der Poetik Roland Barthes' und Thomas Bernhards geprägt waren. Zwei dieser Texte verarbeiten Guiberts Beziehung zu Vincent, einem jungen Mann, den er 1981 auf einer Reise durch Marokko kennenlernte und dem er bis kurz vor seinem Tod in einer Art Hassliebe verbunden blieb. Aus Anlass von Guiberts 30. Todestag erscheinen beide Erzählungen nun erstmals zusammengefasst in einem Band. "Reise nach Marokko" (1982) ist eine experimentelle Tour de force, eine wilde Collage aus fantasierten Orient-Klischees und realen Machtspielchen innerhalb einer kleinen französischen Reisegruppe. Auch wenn dem Bericht eine wirkliche Reise zugrunde liegt, verwebt Guibert beide Textebenen und verwischt damit die Grenze zwischen Erfindung und realem Geschehen. Der Intensität der Amour fou mit Vincent scheint er nur mit dem literarischen Mittel der Autofiktion beizukommen – ein Verfahren, das auch "Verrückt nach Vincent" (1989) zugrunde liegt. Dort lässt Guibert den titelgebenden Protagonisten bei einem Sprung aus dem Fenster sterben, um dann in rückläufiger Chronologie zu erzählen, wie sich die obsessive Urlaubsbekanntschaft in Paris fortsetzt. Das Prinzip der Rückwärtserzählung aufgreifend, steht in dieser Ausgabe der jüngere Text vor dem älteren. So wird "Reise nach Marokko" zur zweifachen Rückkehr – zum Beginn einer verhängnisvollen Affäre und zu den Anfängen einer Schriftstellerkarriere.

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VERRÜCKT NACH VINCENT

&

REISE NACH MAROKKO

HERVÉ GUIBERT

VERRÜCKT

NACH VINCENT

&

REISE

NACH MAROKKO

Zwei Erzählungen

Aus dem Französischen vonJJ Schlegel

«Fou de Vincent» (1989)

«Voyage avec deux enfants» (1982)

© Editions de Minuit, Paris

1. Auflage

© 2021 Albino Verlag, Berlin

Salzgeber Buchverlage GmbH

Prinzessinnenstraße 29, 10969 Berlin

[email protected]

Aus dem Französischen von JJ Schlegel

Umschlaggestaltung: Robert Schulze

unter Verwendung des Fotos «Vincent» von Hervé Guibert

Printed in the Czech Republic

ISBN 978-3-86300-328-9

Mehr über unsere Bücher und Autor*innen:

www.albino-verlag.de

INHALT

VERRÜCKT NACH VINCENT

Einführung

REISE NACH MAROKKO

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

VERRÜCKT

NACH VINCENT

In der Nacht des 25. auf den 26. November fiel Vincent drei Etagen tief, weil er mit einem Bademantel Fallschirmspringen spielen wollte. Er hatte einen Liter Tequila getrunken, irgendein kongolesisches Kraut geraucht, Kokain gesnifft. Als sie ihn leblos vorfanden, riefen seine Kumpel die Feuerwehr. Vincent stand plötzlich auf, lief bis zu seinem Wagen, fuhr los. Die Feuerwehrleute setzen ihm nach, stürmen in das Mietshaus, das er bewohnt, fahren mit ihm im Fahrstuhl hoch, dringen in sein Zimmer ein, Vincent beschimpft sie. Er sagt: «Lasst mich gefälligst ausruhen!», sie: «Du riskierst, dass du nicht mehr aufwachst, Blödmann!» Im Nebenzimmer schlafen die Eltern ruhig weiter. Vincent warf die Feuerwehrler hinaus. Er schlief ein wie eine Eins. Um Viertel vor neun schüttelt ihn seine Mutter, will ihn zur Arbeit schicken, er kann nicht einmal mehr einen Finger bewegen, sie bringt ihn ins Krankenhaus. Am 27. November, benachrichtigt von Pierre, besuchte ich Vincent im Hospital Notre-Dame-du-Perpetuel-Secours. Zwei Tage später verstarb er an den Folgen eines Milzrisses.

Ich hatte Vincent 1982 kennengelernt, er war damals noch ein Kind. Er war es in meinen Träumereien geblieben, ich hatte zu akzeptieren, dass er ein Mann geworden war, liebte ihn aber weiter als das, was er nicht mehr war. Seit sechs Jahren okkupierte er mein Tagebuch. Einige Monate nach seinem Tod beschloss ich, ihn in meinen Notizen – in umgekehrter Zeitfolge – wiederzufinden.

Was war es? Eine Leidenschaft? Eine Liebe? Eine erotische Zwangsvorstellung? Oder eine meiner Erfindungen? Sah im Schaufenster eines Ladens für Zaubereiartikel eine schwarze Bakelitschachtel, in Form einer fliegenden Untertasse, die über Lupen und Spiegel ein Hologramm erzeugt. Man muss ein Objekt hineinlegen, zum Beispiel ein Goldstück oder einen Ring, damit es sich auf einer transparenten Fläche im Deckel dreidimensional widerspiegelt. Man glaubt, es wegnehmen zu können, es ist aber ungreifbar. Ich komme in Versuchung, das Ding zu kaufen, um etwas darin einzuschließen, das Vincent gehört hat und das mich durch diese eigenartige Illusion an ihn erinnert, aber kein Einfall (eine Haarlocke, ein Foto) entspricht meiner Lust auf den Apparat. Allenfalls für sein Geschlechtsteil wäre dieser Reliquienschrein der rechte Platz.

Ich kämme mich nie. Ich reibe mein feuchtes Haar in einem Handtuch und fahre dann mit den Fingern hindurch, um es in Form zu bringen. Gestern, ich weiß nicht, warum, hab ich den kleinen Kamm bemerkt, den mir Vincent geschenkt hat, ganz vereinsamt auf dem Brett im Badezimmer (er hat mir so selten Geschenke gemacht), ich nahm ihn, kämmte mich damit, der Kamm wurde zum magischen Gegenstand. Vincent hatte in dem Kamm seine Zauberformel hinterlassen: «Wenn du mich eines Tages brauchst – nimm den Kamm, und ich komme!» Ich spitze die Ohren, aber das Telefon klingelt nicht. Am nächsten Morgen: ich kämme mich wieder, vielleicht bekommt der Kamm seine Zauberkraft erst beim zweiten Gebrauch. Tags darauf kämme ich mich noch einmal: vielleicht wirkt er erst beim dritten Mal, usf.

Im hinteren Saal des Sélect, wo ich mehrmals den Platz gewechselt habe, bevor er kam, um so ungestört wie möglich zu sein, mache ich ihm eine Erklärung. Er senkt den Blick, lächelt ernst, ohne Verlegenheit, ohne Sarkasmus, mein Schmerz scheint ein Balsam für ihn zu sein in diesen Zeiten moralischer Verknappung.

Wenn doch der Heldenmut, ohne zu jammern und zu klagen, ohne ihn anzurufen, das mehr oder minder erträgliche Gefühl der Entbehrung seines Körpers und einer Umarmung in sich zu bändigen, beim Gegenüber ein absolut unerträgliches Gefühl der Entbehrung dieser Umarmung hervorbrächte, wie eine Verwünschung mit umgekehrten Vorzeichen, die ihn dann zu mir triebe.

Er ging, ich hatte Eile, hatte ihn satt. Ich hatte Hans Georg mit ihm im Bus zum Flughafen geschickt, um Hector abzuholen, hatte dafür gesorgt, dass dessen Ankunft mit Vincents Abreise zusammenfiel. Als ich in mein Atelier zurückkomme, finde ich ein paar Worte von ihm auf dem Schreibtisch, unglaublich liebevoll, mit einer Zeichnung, er nennt mich Guibertino und dankt mir, ihn ertragen zu haben. Er hat Farbe bekommen, sich ausgeschlafen, gut gegessen, kam gesundheitlich wieder auf den Damm, sagt mir, dass er Schluss machen will mit dem Koksen. Wir haben Hector zu einem Rameau-Konzert in Saint-Louisles-Français ausgeführt, ich langweile mich, stelle mir Vincent im Flugzeug vor, wir beschließen, in der Pause zu gehen. Vincent taucht hinter einer Säule auf. In der ersten Sekunde ist er ein Gespenst. In der zweiten hat er sich entschieden, nicht abzufliegen, um mit mir in Rom zu leben. In der dritten hat man ihn nicht mitfliegen lassen; ich hatte sein Ticket gestern bei der Reiseagentur bestätigen lassen. Er hat sein Gepäck auf dem Rücken, wir verlassen die Kirche. Das Flugzeug war überbucht gewesen, und der Pilot hatte ihn nicht in die Kabine nehmen wollen, als er sein Gesicht gesehen hatte. Vincent hat einen Angestellten der Chartergesellschaft bei sich, der ihn bis zur Kirche begleitet hat und ihm als Entschädigung eine Nacht in einem Luxushotel zahlen wollte, wir stecken ihn morgen früh in die erste Linienmaschine nach Paris, Vincent muss an dem Tag arbeiten, er weiß noch nicht, dass man ihn gefeuert hat. Hector fragt mich leise: «Wer ist das?» Ich antworte: «Vincent.» Er ruft aus: «Das ist Vincent?» Sein Ton will sagen: «Der da ist Vincent?»

Der erste Satz, den ich über ihn geschrieben habe, am Ende des Abends, an dem ich ihn kennenlernte: «Unter den Kindern will ich zu demjenigen gehen, dessen Reiz der verborgenere ist, und ich will ihm den Flecken über dem Auge abküssen, sein rechtes Lid, das schlecht schließt, alle Male seiner Hüften und seines Nackens.»

Die letzte Nacht versuchte er eine geschlagene Stunde lang, in mich reinzukommen, auf dem Bauch, seitlich, mit Creme, ich rücklings unter ihm, mit einer anderen Creme, mit dem Öl, das ich für ihn aus der Küche holen musste, im Stehen nicht, er ist zu klein. Ich wollte einen Präser, er war rosa und hatte ein Reservoir; als ich ihn aus seiner Verpackung schob, um ihn ihm überzustreifen, fragte ich: «Hat es Sinn?» Er sagte: «Man erschrickt ja geradezu, wie du dich da auskennst!» Er wollte den Präser abziehen, sagte: «Du hast echt Schiss, Aids zu kriegen, was?» Ich entschuldigte mich pausenlos, gab vor, dass mein Hintern zu eng sei, zu trocken. Ihm stand er nicht richtig. Einmal – er lag über mir und hatte meine Beine gepackt, um sie mit seinen Schultern hochzuhalten – flüsterte er: «Drück dich hoch!» Jetzt nur keinen Krampf bekommen, ich war ein Schlangenmensch geworden. Er stöhnte, er war drin, er suchte meinen Mund, seine Zunge stieß hinein, ich hatte den Eindruck, die Frau zu sein, mit der er schlief. Er küsste mich ein zweites Mal, hatte einen ganz trockenen Mund, sein Speichel tränkte mich, dieses kostbare Gut, das er auf der Straße ausspuckt.

Seltsam, an einem Buch weiterzuschreiben, das man schon vor einem halben Jahr seinem Verleger ausgehändigt hat, dessen Vertrag unterzeichnet ist: es auf fliegende Blätter zu schreiben, nicht abzutippen, und diese fröhlichen oder traurigen Seiten nach und nach dem Verleger zu überbringen oder zu schicken, eine Art, die Distanz zwischen sich und dem Buch zu verringern, noch näher an ihm zu sein, noch tiefer in seinem Innern, so, als ob man unmittelbar hineinschriebe in das Buch.

Als er erfuhr, dass ich den Brief dann doch geöffnet hatte, den Pierre ihm an meine Adresse geschrieben hatte, kein Vorwurf, sondern nur: «Jetzt weiß ich, dass du nicht ganz richtig bist.»

Ich hatte mich früh hingelegt, die anderen waren noch im Wohnzimmer, sie hörten das Klingeln nicht, ich war am Schlafen, stand auf, um abzunehmen, es war Vincent, ich erkannte seine Stimme nicht, so gut schien es ihm zu gehen, er fragte: «Ist es bei dir dieselbe Uhrzeit?» Er erklärte mir, dass er nicht gekommen war, weil er einen Job als Kulissenschieber bei einem Film gefunden hatte, sagte, dass Stars darin spielten, er irrte sich bei ihren Namen, erzählte noch, dass er zehn Kilo zugenommen hatte; er hat sehr lange geredet, ich legte mich ganz glücklich wieder hin, es war mir lieber, ihn da unten in Hochform zu wissen als unwohl bei mir.

Im Prado, im zweiten Jahr, trennten wir uns am Eingang, damit jeder auf eigene Faust die Säle abwandern konnte. Als ich ihn am Ausgang in den Gärten wiederfand, war er in Begleitung eines Mannes, er hatte sich anmachen lassen von einem Pädophilen. Ich stürzte auf den Mann zu, rollte mit den Augen und knurrte wie ein Wolf; der Typ verzog sich, Vincent fragte mich, was denn in mich gefahren sei.

Ich gab die Droge dem Freund zurück, der sie mir verschafft hatte.

Der Vertrag war zu grausam: um uns zu sehen, musste es ihm schlecht gehen und mir gut.

Vincent ist nicht gekommen. Es ist nicht nur die Entbehrung seines Fleisches, sondern der Zusammenbruch der Hoffnungen, dieser erträumten Reise, der wichtigsten Aussicht, die plötzlich furchtbar versperrt scheint. Heute Morgen fühle ich mich wie das Opfer eines Unfalls.

Wenn ich einen Abend mit Vincent verbringe, ist das kleine Quantum Droge, das ich bei mir habe – auch wenn ich es nicht benutze –, doch wie die Sicherheit einer Balancierstange, die es mir ermöglicht, das Drahtseil bis zum Ende zu gehen und seinen Leib zu erbeuten.

Ich hatte Kopfweh, bat ihn, mir den Trapezmuskel im Rücken zu massieren. Seine ausgetrockneten, rauen, vom Flechtenbefall und den scharfen Gegenmitteln aufgesprungenen Handflächen fuhren leicht über meine Schultern, mein Herz machte sie sanft wie Seide.

Er sagte, sein Traum sei es, dabei zuzuschauen, wie eine Frau sich ein Gemüse in die Scheide einführt, fuhr fort: «Und du, was erregt dich am meisten?» Ich wusste keine Antwort.

Seit zwei, drei Tagen denke ich an ein anderes Buch (es macht immer recht glücklich, ein neues Buchprojekt zu erahnen), denn ich sagte mir, dass ich zum Nichtstun nicht tauge: ein fingiertes Reisetagebuch, ein Pseudoroman, eine Weltreise im Camper mit Vincent, mit einer Waffe, und womöglich würde Vincent in der Geschichte zu einer Frau, hieße Jane? Wie Jane Mansfield. Mir scheint, dass er mir beim letzten Mal gesagt hat: «Ich könnte dir niemals etwas Schlimmes antun.»

Damals war ich knapp bei Kasse, hatte aber immer ein Fläschchen mit kostbarem Parfüm. Er befahl mir vor dem Weggehen, das bis zum letzten Tropfen auf seiner Brust auszugießen.

Ich segne ihn jeden Tag dafür, nicht gekommen zu sein.

Die anderen sind schrecklich lieb zu mir, aber ich bin nicht wirklich hier, ich bin bei dem anderen, der nicht da ist, ich mache mich abwesend, den Abwesenden wiederzufinden. Wäre er da, ich wäre nirgendwo.

Er untersagt mir noch immer seinen Hintern, meint, der wäre fürs Aa.

Ich habe ihn unter Verdacht, dass er das Ende unseres letzten Abends vorsätzlich verdorben hat; weil er schon entschlossen war, nicht herzukommen zu mir, er rechnete sich wohl aus, dass mein Groll meinen Schmerz vermindern würde; er kommt nicht mehr, ist aber schlau genug, mir dieses Fünkchen Hoffnung zu erhalten, das meine Liebe nährt.

Ich machte unermüdlich weiter in der Nacht, einmal flüsterte ich: «Magst du es, wenn ich dir die Nüsse lecke?», er antwortete: «Ich mag alles», er schlief schon.

Ich höre mir die Musik an, die er mir geschenkt hat (Reggae). Ich mag sie nicht. Es ist eine gute Übung.

Er sagt: «Wenn du ihn mir bei Licht bläst, dann sehe ich, dass du an der Stelle kahl bist.»

«Wenn ich abends heimkomme, zieh ich mich vor dem Spiegel aus; den ganzen Tag über hab ich mit meiner hässlichen Fresse gelebt, aber immerhin: Ich habe einen schönen Brustkorb, ich mag vor allem diesen Muskel, den da unterm Arm, gefällt er dir auch?»

Vincent und ich haben ein Gutteil der Nacht mit der Bemühung zugebracht, ihn mir reinzudrücken. Das erinnerte mich an unsre jugendlichen, durchwachten Nächte zu zweit, die allerersten, als die Sinnlichkeit noch stärker war als die Erschöpfung, als die vergebliche Suche nach Lust erhebender war als die Lust selber, und wo die Körper beginnen, einen eigentümlichen Duft auszuscheiden, einen Dunst jenseits der Sexualität, einen Schweiß des Absoluten.

Es gibt schwachsinnige Projekte: Unterseefahrräder nach Afrika zu exportieren, um den Meeresgrund zu sehen, Pornodarsteller werden, oder Komiker, einen Club Med auf einer verlassenen Ölplattform im Kongo zu eröffnen.

Fünf Tage und fünf Nächte mit Vincent in dieser fremden Stadt, fünf monotone Vereinigungen: voller Trägheit und Resignation bietet er sich mir dar, ich übergieße ihm den Schenkel. Die Empfindung von Liebe kehrt erst zurück, als ich ihm adieu sagte, gleich nachdem er verschwunden war.

Als ich, leicht angetrunken, gestern beim Abendessen meine rechte Hand auf der Tischdecke sah, überstrahlt vom Licht der Weihnachtsgirlanden, das durch den Rosenlorbeer hindurchbrach, schien mir ganz klar zu sein, dass diese Hand einzig dazu geschaffen war, Vincent zu streicheln; heute Morgen wurde dieses Gefühl übermäßig.

Er sagt: «Bevor ich gehe, wollen wir noch schmusen. Soll ich oben oder unten liegen?»

Als ich Isabelle wiedersah, gestand ich, dass ich vorgehabt hatte, ihr den Verrat heimzuzahlen, sich demjenigen anzubieten, in den ich verliebt war, Vincent nämlich, der über ein Bild von ihr ins Träumen geriet. Sie fragte mich: «Ist er schön?» – «Nein, es ist ein Scheusal.»·– «Und er, liebt er dich?» Ich konnte keine andere Antwort hervorbringen, als Luft durch die Lippen zu blasen und einen Laut zwischen «Pah!» und «Pöh!» von mir zu geben.

Die Honigseife, die er mir geschenkt hat, schrumpft fürchterlich schnell, ich gebrauche sie nur noch für meine Genitalien; zusammen scheiden die beiden einen betörenden Duft aus.

Er hat in meinem Mund getanzt.

Kaum angekommen, verlangt er einen Porno von mir, das letzte Mal wollte er sowas nicht anschaun. Ich stelle fest, dass er mein schwarzes Hemd mit den weißen Mustern trägt, er fügt beim Aufmachen des obersten Knopfs hinzu: «Und dein T-Shirt.» Ich beuge mich vor, nach einer Kassette mit Mädchen zu suchen. Als ich mich wieder aufrichte, hat er sich den Oberkörper frei gemacht und sitzt neben mir auf der Couch. Wieder erlebe ich seine Haut, herrlich, die roten Pickel des vergangenen Monats sind weg, sie ist wunderbar sanft und parfümiert, mit den Schönheitsfleckchen auf den Schultern, ich traue mich kaum, sie zu küssen, streichle ihn schüchtern, so, als ob ich zum ersten Mal die Erlaubnis dazu erhalten hätte, sage: «Du machst mir ein enormes Geschenk!», darauf er: «Das stimmt, ich bin nicht übel gebaut.»

Auf «Kiss» von Prince tanzte er mit seinem Geschlecht in meinem Mund; jetzt könnte ich alles von ihm verlangen.

Wenn er mich im Auto seiner Mutter wohin bringt, rast er los, schlittert ab, stoppt brutal, dreht sich um seine eigene Achse, schleudert mich hin und her, ich sage nichts, ich zeig ihm nicht, dass ich glücklich bin.

Er will mich zum Bootfahren mit Max in den Bois de Boulogne führen, er sagt: «Das ist mein bester Freund, ich warne dich, für ihn schlafen wir nicht miteinander, es gibt nichts Körperliches zwischen uns, ich hoffe, du kannst dich beherrschen.» T. meint, dass sie mich mit dem Ruder bewusstlos schlagen werden.

Er fragt mich nach dem Abendessen, ob die Badezimmertür abschließbar sei. Als er herauskommt, zeigt er mir eine Linie braunen Pulvers auf dem Klodeckel, sagt: «Hab ich für dich vorbereitet, das ist brown sugar, nicht so gute Qualität wie der weiße, ist aber billiger.» Was hat er die ganze Zeit eingeschlossen auf dem Klo gemacht? Als er geht, drückt er mir einen kleinen Kuss aufs Glied. Er kommt zurück, hat sein Heroin vergessen; ich putze mir die Zähne, er beißt mir in eine Arschbacke. Eben noch, im Bett, tat er so, als ob er mich in den Hintern ficken würde.

Er beginnt, gemeinsame Erinnerungen zu erwähnen, sagt: «Wir waren wirklich zu niedlich, diese erste Nacht, die wir zusammen verbracht haben, in dem Hotelzimmer in Agadir.»

Ich hab ihn ausgiebig gestreichelt, das ist nicht immer der Fall, ich war sicher, er denkt: niemand streichelt mich so.

Er hat neben mir geschlafen, ich bestehe immer darauf, dass er bleibt, diesmal hab ich nicht darauf bestanden, er ist beim Musikhören in meinen Armen eingeschlafen – so wie vorhin vor dem Fernseher, während sein Bad einlief und er alles um sich herum vergaß, auch den Moment unseres Wiedersehens – ich lutsche und wichse ihn immer weiter, ziehe seine bewusstlose Hand hinüber zu meinem Glied, drück sie fest, an den unkontrollierten Bewegungen seiner Finger vergewissere ich mich, dass er nicht merkt, wie ich komme, ich schlafe gegen ihn gedrückt ein, wache plötzlich wieder auf, stehe über das Fußende des Bettes noch einmal auf, um das Licht zu löschen, er zieht sich vollständig aus, legt sich unter die Bettdecke, ich frage ihn, warum er nicht drunterschlüpfen will, er sagt, dass er schwitzt, später krümmt er sich unter einem Hustenanfall, er schüttelt sich und setzt sich auf, die Vögel haben schon zu singen begonnen, es ist fünf Uhr, ich erzähle Vincent vom Amazonas, er schaut durchs Fenster, gießt sich in der Küche ein großes Glas Wodka ein. Als ich inmitten der Abdrücke des angebeteten und nun verschwundenen Körpers aufwache, bin ich nahe daran, mir den Mund mit Ammoniak auszuspülen und Laken und Kissen mit Schwefel zu bestäuben.

Wenn ich künftig die Ader sehe, die über meinen rechten Arm läuft, hab ich Lust, sie mir unter seinen Augen mit dem abgeschrägten Nädelchen einer Spritze anzustechen.

Eine Episode, die ich vergessen hatte: Ich kannte ihn seit weniger als einem Jahr, sollte den Rencontres de la photographie in Arles beiwohnen, hatte ihn eingeladen, mit mir zu kommen; er hatte nicht gekonnt, für alle Fälle hatte ich ihm den Namen meines Hotels hinterlassen. Eines Abends, als ich gerade zur Vorführung gehe, sehe ich ihn am Gitter der Arena stehen. Ich bin so glücklich, dass ich davon ganz kalt werde, wie gelähmt von einem Glück, das mich innerlich zu Eis gefrieren lässt. Er sagt: «Ich bin todmüde, war per Anhalter den ganzen Tag unterwegs zu dir; komm, gehn wir in dein Hotel.» Ich träume nur und hab nur von dem Augenblick geträumt, in dem ich mit ihm endlich im Hotelzimmer bin, und dennoch antworten meine Lippen ihm trocken: «Das machen wir später. Schaun wir uns zuerst die Vorführung an.» Nach Ende der Vorstellung teilt Vincent mir mit, dass er zurückfährt. Dem eiskalten Glück folgt ein siedend heißes Unglück.

Weil ich ihn auf diese Musik habe tanzen sehn, erscheint er mir im leeren Raum, der plötzlich aufgebläht wird durch die Musik.

Mir träumt: Vincent lutscht an mir, endlich, ich hab’s geschafft, meinen Schwanz in seinen Mund zu bekommen, ich bemerke, dass er unter der Zunge weiße Sternchen hat; die müssen dem Himmelsglobus entsprungen sein, den ich beim Einschlafen angelassen hatte.

Ein Trick, um mit ihm zu telefonieren, wenn ich Angst vor ihm habe: die Musik ganz laut stellen und drüberreden, sie verschluckt die Angst.

Er erzählt mir ekelhaftes Zeug: In dem afrikanischen Restaurant, in dem er seine Abende verbringt, haben die meisten Typen Aids, und in den Küchen lassen sich die hungrigen Mädchen für eine Mahlzeit aus gegrilltem Tiefkühlhai ungeschützt bumsen.

Es gab eine Zeit, in der ich mich am Abend, kurz bevor ich ihn traf, ein zweites Mal rasierte, um ihm die Haut nicht wund zu schürfen.

Er erscheint in einer klatschmohnroten Motorradkombi aus Nylon, sein Kopf guckt irgendwie albern hervor; ich lache, er meint, wenn das so ist, dann geh ich gleich wieder, ich halt ihn zurück, er will mir nicht sagen, was er am Nachmittag getan hat, sagt, das gesteht er niemandem, und dass er heroinmäßig auf dem Trockenen sitzt, ich fordere ihn auf, mir seine Arme zu zeigen, er gibt mir eine Vorstellung mit dem Overall, schält sich von oben nach unten heraus wie eine Banane, enthüllt weiße Baumwollunterwäsche mit Knöpfen, die ihm die Taille einschnürt, gibt jetzt vor, den ganzen Nachmittag lang Motocross gefahren zu sein, stößt meine Hand zurück; später am Abend zieht er seinen Schwanz aus der Motorradkluft, ich wollte, dass er mich streichelte, und darf ihm jetzt einen blasen, während er im Stehen zuschaut, wie sich im Video ein paar Mösen feilen lassen.

Ich hab ihm die Lampe gegeben, die er so bewundert hatte wegen des Zusammenspiels von Kupfer, Elfenbein und kobaltblau lackiertem Holz, ich hatte sie vor fünfzehn Jahren von meinem ersten Gehalt erstanden, aufgestockt um den Erlös der zwanzig Golddollar, die mir meine Großmutter vermacht hatte, als ich zehn war.

Er war fünfzehnhundert Kilometer weit weg, ich tanzte wieder mit jemand anderem, und dennoch gab ich mich dem Tanz hin, als ob er mich sehen könnte, um ihn zu beeindrucken.