Vom Herumtreiber zum Gunfighter - Allan Greyfox - E-Book

Vom Herumtreiber zum Gunfighter E-Book

Allan Greyfox

4,9

Beschreibung

Ein Junge verlässt mit 14 Jahren sein Elternhaus und schließt sich noch 1861 den Unionstruppen an. Am Ende des Bürgerkrieges strandet er in Texas und kommt mit dem Rindertreck im Jahr 1868 zurück nach Kansas. Dort verdingt er sich als Deputy und später als Bodyguard. Er erschießt über ein Dutzend Widersacher, was ihn eines Tages zum Umdenken bringt und eine Wende in seinem Leben einleitet. Der Roman spiegelt die amerikanische Geschichte von 1861 bis 1872 am Beispiel der Entwicklung eines Jungen wider.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 517

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,9 (18 Bewertungen)
16
2
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch

Ein Junge verlässt mit 14 Jahren sein Elternhaus und schließt sich 1861 den Unionstruppen an.

Am Ende des Bürgerkrieges strandet er in Texas und kommt mit dem Rindertreck im Jahr 1868 zurück nach Kansas. Dort verdingt er sich als Deputy und später als Bodyguard.

Er erschießt über ein Dutzend Widersacher, was ihn eines Tages zum Umdenken bringt und eine Wende in seinem Leben einleitet.

Ich bedanke mich bei meiner Frau, meinem größten Fan und gleichzeitig meiner größten Kritikerin, für ihre unermüdliche Arbeit am Manuskript und die schöpferischen Diskussionen.

PETER ECKMANN, geboren 1947, lebt im Niederelbe-Dreieck in der Nähe von Cuxhaven.

Ingenieur der Verfahrenstechnik, schreibt unter dem Pseudonym Allan Greyfox Wildwest- und Detektivromane.

Jahrelange Praxis mit dem Schießen von echten Waffen und insbesondere das „Western-Action-Schießen“ haben ihm ausreichend Kenntnisse über die Waffentechnik seiner Bücher vermittelt.

Inhalt

Abschied vom Elternhaus

Der junge Herumtreiber

Der junge Soldat

Der Halbinsel Feldzug

Vom Antietam zum Rappahannock

Gefangener bei den Konföderierten

Von Chattanooga nach Atlanta

Shermans Marsch ans Meer

Der Krieg ist vorbei

Mit der Eisenbahn nach Pittsburgh

Smoky City

Raub der Lohngelder

Auf dem Mississippi unterwegs

New Orleans

Der Trail von Texas nach Kansas

Der Marshall von Abilene

Die Union Pacific

Der Bodyguard

Der Deputy

Nachwort

Abschied vom Elternhaus

Kansas, April 1861, nicht allzu weit von der Staatsgrenze zu Missouri entfernt. Missouri ist seit einigen Jahren ein Mitglied der Staatenunion der Vereinigten Staaten von Amerika, Kansas ist erst seit kurzem ein vollwertiger Bundesstaat.

Ein milder Wind weht über die Ebene und trocknet die Nässe der letzten Tage. Ein junger Mann sitzt an der Böschung des Arkansas River und sieht seinem Pferd beim Trinken zu. Der junge Mann hat noch ein Kindergesicht, er ist vierzehn Jahre alt, hat aber bereits die Statur eines kräftigen Mannes. Er ist jetzt seit drei Tagen unterwegs. Fast jeden Tag gab einem heftigen Streit mit dem Vater. Nun hat er sich, am Abend vor drei Tagen, eines der beiden Pferde aus dem Stall genommen, außerdem einen Sattel, Decke, Kochgeschirr und eine Wachsjacke. Für seine Mutter hat er noch einen Zettel hinterlegt. Wegen der Mutter, die er sehr liebt und verehrt, wäre er gerne zu Hause geblieben. Der Vater ist jedoch, in seinem Zorn und seiner mitunter unbändigen Wut auf alles und jeden, immer schwerer zu ertragen.

Nun war es einmal zu viel. Er hatte wieder einmal schwere Schläge bekommen. Seine Mutter hatte noch versucht, den Vater zur Vernunft zu bringen, aber sie blieb, wie immer in diesen Fällen, erfolglos. Er glaubt, die Schläge des Vaters noch zu spüren, so heftig sind sie gewesen.

Das Pferd trinkt jetzt nicht mehr. Es hebt seinen Kopf und zupft an den saftigen Gräsern der Flussböschung. Der Junge, er heißt Mickey Callaghan, verspürt Hunger. Das Brot, das er von den Eltern stibitzt hatte, hat er gestern Abend aufgegessen und nun knurrt ihm der Magen. Er sieht nachdenklich zu seinem Pferd. So einfach möchte er es auch haben, Wasser und Gras. Er hat sich für solche Fälle eine Angelschnur und einen Haken mitgenommen. Etwas skeptisch sieht er sich den träge dahinfließenden Fluss an. Ob hier wohl Fische leben, die sich fangen lassen? Er steht auf und sucht nach einem Wurm für seinen Haken. Nach einer Weile entdeckt er einen geeigneten unter einem Stein am Ufer. Ein passender Ast als Rute ist schnell gefunden, nun muss nur noch ein Fisch anbeißen. Nach einer ewig erscheinenden halben Stunde, zupft etwas an der Leine. Unser junger Mickey zieht die Leine aus dem Wasser, es hat etwas angebissen, es ist ein ziemlich kleiner Fisch. Mickey zückt sein Messer und zerteilt den Winzling. Nach Entfernen des Kopfes, des Schwanzes und der Hauptgräte bleibt kaum noch etwas übrig, es wird nicht reichen, um satt zu werden.

Mickey liegt im Gras und sieht in den Himmel. Irgendwie muss er auf andere Weise zu etwas Essbarem kommen, vom Angeln kann er sich nicht ernähren, jedenfalls nicht ohne fischreiches Gewässer und ohne bessere Angelkenntnisse. Er schwingt sich auf sein Pferd und reitet weiter Richtung Osten, immer am Arkansas River entlang. Es ist ein schmaler, staubiger Weg, auf dem er reitet, ist es etwa ein Postweg? Bisher ist ihm noch niemand begegnet. Sein Pferd geht im langsamen Schritt, Mickey ist in Gedanken versunken. Ein paar hundert Yards entfernt erblickt er ein paar Gebäude. Mit unverändert langsamer Gangart trottet sein Pferd den Weg entlang darauf zu. Es sind die Gebäude einer Farm, ein Haupthaus und ein Stall. Es schließt sich ein großes Feld an, auf dem der Weizen schon einen Meter hoch steht. Es ist niemand zu sehen, Mickey will mit seinem Pferd schon vorbeireiten, da fällt sein Blick auf einen Hühnerstall, der an das Stallgebäude grenzt.

Ein Huhn! Das wäre jetzt etwas, an einem Huhn ist genug zum Sattwerden dran, sie sind leicht zu fangen. Mickey steigt ab und sieht sich um. Es ist keiner zu sehen, ist vielleicht niemand zu Hause? Er geht auf den Auslauf der Vögel zu. Es sind etwa zwanzig Hühner auf dem Hof zu sehen, einige Tiere sind wohl auch im Stall. Der Hof ist mit Maschendraht umgeben, in dem sich eine Tür befindet. Mickey sieht sich um und öffnet dann das Gatter. Laut gackernd laufen die Hühner auseinander. Mickey läuft hinter ihnen her und hat schließlich ein Huhn am Flügel erwischt. Laut gackernd schlägt es mit dem anderen Flügel und pickt mit dem Schnabel. Mickey hatte nicht erwartet, dass es so schwierig werden würde, ein einziges Huhn zu fangen. Kurz entschlossen dreht er dem Huhn den Hals um, dann gibt es keinen Mucks mehr von sich.

„Hände hoch!“, erklingt eine tiefe Stimme hinter ihm. Er hebt die Hände, das Huhn noch in der einen und dreht er sich um. Eine Flinte ist auf ihn gerichtet, sie gehört zu einem Mann, der etwa zwanzig Yards von ihm entfernt steht.

„Lass das Huhn fallen und komm hierher!“

Die Stimme klingt entschlossen und duldet keinen Widerspruch. Mickey lässt das tote Huhn fallen und geht langsam auf den Farmer zu. Der Mann ist etwa Ende dreißig, er trägt alte, geflickte Kleidung und hat einen kurzen, schwarzen Bart. Das Haar reicht ihm bis auf die Schulter, es ist am Kopf aber schon recht dünn.

„Wieso vergreifst du dich an meinen Hühnern?“

Mickey sieht betreten zu Boden. Er hatte noch nie etwas gestohlen und jetzt ist schon der erste Versuch danebengegangen.

„Ich habe Hunger“, sagt er nur.

Wütend funkelt ihn der Farmer an. „Aha! So einfach ist das. Und dann denkst du, der alte Willard hat ja genug Hühner, dort holst du dir Eines, oder wie?“

Mickey stottert. „Nn-nein, nein, ich dachte nur, weil ja niemand da war… Ich habe ja nur Hunger. Heute habe ich mir einen Fisch gefangen, das hat nicht ausgereicht.“

„So! Und warum klopfst du nicht an die Tür und fragst ganz einfach?“

Mickey sagt nichts mehr, auf die Frage weiß er keine Antwort. Auf die Idee ist er nicht gekommen.

Der Mann kommt näher und sieht ihm ins Gesicht. „Du bist ja noch ein Junge!“, ruft der Farmer verblüfft. „Dabei hast du eine Figur wie ein Kerl! Wie alt bist du?“

„Vierzehn“, sagt Mickey leise. „Ich wollte doch nur ein Huhn....“

Der Mann blickt ihn jetzt etwas versöhnlicher an, senkt dann die Mündung der Flinte. „Komm mit ins Haus, geh1 aber langsam vor mir her!“

Mickey dreht sich um und geht zur Tür voraus. Der Farmer ruft zur Tür gewandt: „Helen! Komm mal und sieh, wen ich hier habe!“

Kurz darauf wird die Tür geöffnet und eine Frau sieht heraus. Sie ist klein, aber kräftig, hat ein freundliches Gesicht und lockiges, blondes Haar, das sie zu einem Knoten hochgesteckt hat. Sie trocknet sich die Hände an einem Handtuch ab. Erstaunt sieht sie den Jungen vor der Tür stehen, dahinter steht ihr Mann mit der Flinte in der Hand.

„Ich habe ihn bei den Hühnern gefunden. Er wollte eines stehlen - zum Essen.“

Seine Frau sieht Mickey an. „Was willst du jetzt mit ihm machen?“

„Wir werden ihm zu essen geben, dafür muss er aber arbeiten. Was hältst du davon, Helen?“

„Ja, das klingt gut. Ich ahne schon, wo du ihn einsetzen möchtest, er sieht ja sehr kräftig aus.“ Dann blickt sie Mickey etwas freundlicher an. „Du Armer. Wieso bist du denn alleine unterwegs?“

Mickey sieht sie nur stumm an. Auf so eine Frage ist er nicht vorbereitet. Er ist auch noch nicht weit von zu Hause fort, vielleicht ruft man den Sheriff oder schickt ihn wieder zurück.

„Komm erst einmal herein!“ Sie geht vor und Mickey folgt ihr schüchtern. Er erfährt, dass sie zwei Mädchen haben, die für ein paar Tage bei dem Onkel in der Nähe zu Besuch sind.

Mickey darf am Abendbrot teilnehmen. Er darf sich zum ersten Mal seit Tagen richtig satt essen. Die Frau des Farmers sieht ihm dabei mit mütterlichem Interesse zu. Dann beginnt Mister Willard zu erklären: „Am Ende meiner Ranch ist noch ein großes, mit hohen Bäumen bewachsenes Gelände. Ich habe dort schon angefangen zu roden. Ohne Hilfe dauert es aber sehr lange, deshalb kommst du eigentlich im richtigen Augenblick. Der Deal ist so: Du kannst bei uns schlafen und du bekommst zu essen, dafür musst du mir bei der Arbeit auf der Ranch helfen. Wenn du das nicht willst, dann hole ich den Sheriff.“

Was soll Mickey dazu sagen? Diese Sache hat er sich eingebrockt, nun muss er es auslöffeln.

Der Farmer sieht ihn an. „Wo kommst du her, ich glaube, ich habe dich schon mal gesehen.“

„Meine Eltern wohnen in der Nähe von Wichita. Mein Vater baut dort Getreide an und züchtet auch ein paar Pferde.“

„Hm.“ Der Farmer überlegt. „Und warum bist du von zu Hause fortgelaufen?“

Mickey sieht nach unten. Seine Gedanken kreisen um sein Elternhaus, um seine geliebte Mutter und um seinen gewalttätigen Vater. Und er ist jetzt ganz alleine, ganz auf sich gestellt mit seinen vierzehn Jahren. Ein paar Tränen kullern über seine Wangen.

„Sieh mal“, sagt Mrs. Willard, „nun hast du ihn mit deiner Fragerei zum Weinen gebracht!“

Langsam und mit stockender Stimme fängt Mickey an zu erzählen. „Meine Mutter habe ich sehr gern, sie hat mich auch regelmäßig im Lesen, Schreiben und Rechnen unterrichtet.“

„Das ist mehr, als unsere Kinder können“, sagt die Farmersfrau. „Die Mädchen sind noch etwas jünger als du, sie können erst ein wenig lesen.“

Mickey erzählt von seinem Vater, der Weizen anbaut und nach anfänglichen Schwierigkeiten damit ganz gut leben kann. Außerdem hat er einen Hengst und drei Stuten, die es ihm erlauben, eine kleine Pferdezucht zu betreiben. Und Mickey hat nun eine der drei Stuten, ohne Zustimmung des Vaters, mit sich genommen.

Der Farmer nickt nachdenklich. „Ich kann jetzt nachvollziehen, warum du dein Zuhause verlassen hast. Dass du dein Pferd quasi gestohlen hast, könnte dir noch Ärger einbringen.“ „Was sollte ich sonst machen? Zu Fuß komme ich nicht weit, außerdem kann mein Vater das verschmerzen. Er hat noch drei Fohlen, die sind bald groß genug.“ Mickey hat bei der Arbeit auf dem elterlichen Hof viel über den Umgang mit Pferden gelernt. Er ist sehr aufmerksam und wissbegierig.

„Warum hat dich dein Vater denn geschlagen?“, will die Farmersfrau wissen.

Mickey zuckt mit den Schultern. „Dafür brauchte er keinen Grund, einfach so, wenn er sich geärgert hat.“ Mickey überlegt einen Moment. „Früher ist er friedlicher gewesen. Seit ein paar Jahren wird er immer unerträglicher. Vielleicht hat er Sorgen, von denen ich nichts weiß.“

Heute Abend kann Mickey in einem der Betten der beiden Kinder der Farmer schlafen. „Wenn meine beiden Mädchen wieder zurück sind, dann musst du mit dem Stroh im Stall vorliebnehmen.“ Mrs. Willard lächelt ihm noch zu, bevor sie das Zimmer ihrer beiden Mädchen verlässt.

Am nächsten Morgen geht es früh los. Es ist noch nicht ganz hell draußen, als die Farmersfrau Mickey weckt. Zuerst weiß er gar nicht, wo er sich befindet. Langsam fällt ihm alles wieder ein und er ist froh, aber auch besorgt, um seine ungewisse Zukunft. Er setzt sich zu dem Farmerehepaar und bekommt einen Teller mit Haferbrei, dazu ein Glas Wasser.

„Du sollst mir helfen, Bäume zu roden. Das ist schwere Arbeit und ich bin froh, dass du so ein kräftiger Junge bist“, erklärt ihm der Farmer. Nach dem Frühstück reiten er und Mickey an das Ende des Farmgeländes. Mister Willard weist auf ein Waldstück. „Dort standen etwa einhundert Bäume. Die Hälfte davon habe ich schon selbst gerodet. Mit deiner Hilfe und der deines Pferdes werden wir den Rest rasch entfernen können.“ Der Farmer schlägt zuerst mit der Axt eine Kerbe ein Drittel tief in einen Baum. Dann wird die Säge angesetzt und der Baum soweit durchgesägt, bis er zu fallen beginnt. Zusammen mit Mickey können sie die Säge gemeinsam handhaben, das geht erheblich schneller als allein, dann muss fast alles mit der Axt geschlagen werden. Mit Säge und Axt werden die Äste entfernt, wobei Mickey gut mithelfen kann. Anschließend wird der weitgehend kahle Stamm mit einem der beiden Pferde zum Farmhaus gezogen, wo sich ein großer Stapel bereits gerodeter Bäume befindet. Der verbliebene Stumpf wird mühsam ausgegraben. Mit Axt und Säge werden die freigelegten Wurzeln gekappt, der Rest wird mit den beiden Pferden herausgezogen. Die Zeit geht schnell vorbei, ehe Mickey es sich versieht, ist es Mittagszeit. Die Farm ist nicht groß, sodass der Farmer und Mickey auf ihren Pferden zur Ranch zurückreiten.

„Der Junge ist eine große Hilfe“, sagt Mister Willard zu seiner Frau, als sie das Haus betreten.

„Einen Helfer wie ihn hätten wir schon viel früher haben sollen.“

Mickey freut sich über das Lob. Nach der schweren Arbeit schmeckt selbst das einfache Essen großartig. Nach dem Mittag wird das Roden der Bäume fortgesetzt. Die Arbeit ist schwer und Mickey, als auch Mister Willard, läuft nach einiger Zeit der Schweiß in Strömen vom Gesicht und am Rücken hinunter. Spät am Abend wird die Arbeit beendet. Nach dem Essen fällt Mickey wie ein Toter ins Bett und schläft tief bis zum Morgen.

Drei Tagen später werden die beiden Mädchen, Sally und Caroline, von ihrem Onkel wieder zurückgebracht. Sie sind zwölf und zehn Jahre alt, wie ihre Mutter haben sie blonde Haare und Sommersprossen. Mickey stellt sich ihnen vor und gibt beiden die Hand, schüchtern sehen sie sich dabei an. Mickey fühlt weich eine kleine Mädchenhand in seiner großen Pranke, dann entschlüpft ihm das Händchen und beide Mädchen laufen schnell davon. Er hört sie dann im Nachbarraum flüstern und kichern.

Der Farmer als auch Mickey haben ihre Arbeit eingestellt und die Erwachsenen sitzen auf der Terrasse und unterhalten sich. „Mickey, komm doch mal her und setzt dich zu uns!“, ruft ihn Mister Willard.

Mickey tut, wie ihm geheißen. Der Onkel, bei dem die Töchter zu Besuch waren, sitzt auch bei ihnen. Er ist der Bruder von Helen Willard und ist mit einer Frau im Nachbarort verheiratet. Er heißt Wilkinson mit Nachnamen. Sie haben selbst drei Kinder und mitunter besuchen sie sich gegenseitig, wie auch dieses Mal. Der Onkel mustert ihn neugierig. „Sag mal, wo kommst du her?“

Mickey sieht ihn etwas misstrauisch an. Warum will er das wissen? Aber der Onkel, Albert wird er genannt, lächelt und sieht ihm offen ins Gesicht.

Nach anfänglichem Zögern erzählt Mickey bereitwillig von seinem Weg hierher. Er beichtet seinen Versuch, ein Huhn zu stehlen.

„Der Lärm hätte selbst Tote aufgeweckt“, sagt Mister Willard und lacht. „Und nun habe ich einen tüchtigen Gehilfen.“

Onkel Albert mustert ihn nachdenklich. „Kann es sein, dass ein Harry Callaghan dein Vater ist?“

Mickey ist erschrocken. Ist es so leicht zu erkennen?

Onkel Albert sieht ihm ins Gesicht. „Mein Junge, du bist ja ganz blass geworden! Keine Sorge, ich erzähle es niemandem.“ Er tätschelt Mickey beruhigend die Hand. „Dein Vater ist bei niemandem beliebt, im Gegenteil. Ich kann verstehen, dass du nicht länger bei ihm leben wolltest.“

Mister Willard und sein Schwager diskutieren die letzten Neuigkeiten. Erstaunt hört Mickey, dass Kansas erst seit einem Vierteljahr zu den amerikanischen Bundesstaaten gehört, vorher war es ein »Territory« ohne politische Befugnisse.

Albert Wilkinson freut sich. „Jetzt kann ich den Wahlmann für den nächsten Präsidenten wählen.“

Sein Schwager nickt dazu. „Bei der Übernahme als Staat ist festgelegt worden, dass in Kansas das Halten von Sklaven nicht erlaubt ist. Ich bin sehr froh über diese Entscheidung.“

Mickey folgt genau den Worten der beiden Männer. Von Sklaven hat er schon mal gehört, er hat auch schon mal einen Mann mit schwarzer Hautfarbe gesehen, aber mehr weiß er nicht darüber. Deshalb fragt er: „Gibt es hier denn Sklaven?“

Albert Wilkinson kennt sich politisch sehr gut aus. „Nein, heutzutage nicht mehr, das ist jetzt verboten. Obwohl ein paar Weiße noch schwarze Hausangestellte haben werden.“

Mister Willard erinnert sich: „Kannst du dich noch an das Blutbad erinnern, dass dieser Brown hier vor fünf Jahren angestellt hat?“

„Und ob!“, antwortet sein Schwager. „John Brown war ein Fanatiker. Er hat mit seinen Söhnen und ein paar Anhängern hier in Kansas fünf Sklavenbesitzer hingerichtet. Es hat lange gedauert, bis man ihn gefasst hatte, um den Strick ist er nicht herumgekommen.“

Mickey hört das und es schaudert ihn. Es hat immer wieder Berührungen mit Indianern gegeben, an die er sich erinnert. Bis vor sechs Jahren war es Weißen nicht erlaubt, in Kansas zu siedeln, da Kansas als Land für die Indianer reserviert bleiben sollte. Aber auch diese Regel wurde, wie so viele andere, die man mit den Indianern vereinbart hatte, nicht eingehalten. Seine Eltern sind mit ihm kurz nach der Freigabe der Besiedelung von Kansas, aus Ohio hierhergekommen. Mit den zurückgebliebenen Indianern gab es dann immer wieder kleine Kämpfe, auch Viehdiebstähle. Mit der Zunahme der weißen Siedler und Rancher wurden diese Übergriffe weniger. Dass es Kämpfe von Sklavenhaltern mit Sklavengegnern und deren jeweiligen Sympathisanten gegeben hat und noch gibt, hatte er nicht gewusst.

Spät am Abend verabschiedet sich Albert Wilkinson. Danach sitzen der Rancher, seine Frau und Mickey noch auf der Bank vor dem Haus. Eine Weile sagt niemand etwas, dann beginnt der Rancher: „Wenn du möchtest, kannst du so lange bei uns bleiben, wie du magst.“

Mickey strahlt über das ganze Gesicht. Hier gefällt es ihm, alle Mitglieder der Familie sind untereinander und auch zu ihm sehr nett. „Das ist schön. Ich hatte es schon gehofft, traute mich aber nicht, zu fragen.“

„Und das mit dem Huhn und dem Sheriff, das ist auch vergessen“, der Farmer grinst.

Mickey ist glücklich, so glücklich wie schon lange nicht mehr.

Die nächsten Tage sind, wie alle anderen, mit viel Arbeit ausgefüllt. Der Farmer und Mickey kommen gut voran, pro Tag entfernen sie etwa vier Bäume. Nachts schläft Mickey jetzt im Stall, es gefällt ihm, im warmen Stroh zu liegen.

„Wenn wir hier fertig sind, kannst du das neu gewonnene Land pflügen, damit es rechtzeitig für die Wintersaat fertig ist.“

„Klar, wird gemacht.“

Er freut sich, dass seine Arbeit anerkannt wird und er auch selbstständig handeln darf.

Die beiden Mädchen werden von Helen Willard im Haus beschäftigt. Sie müssen fegen, sie helfen in der Küche und im Stall. Mickey gegenüber sind sie sehr schüchtern, nur gelegentlich sprechen sie mit ihm.

Eines Tages wird es Mickey zu dumm. Er sitzt in der Küche und isst gerade den letzten Rest Eintopf aus seinem Teller. Die Mädchen sitzen beide vor ihrem Essen und gucken auf den Tisch.

„Caroline, Sally! Warum geht ihr mir immer aus dem Weg?“ Die Ältere, Caroline, wird rot im Gesicht und guckt nach unten. Die Mutter steht am Herd und beobachtet amüsiert das Gespräch. Sally rührt mit der Gabel auf dem Teller herum. Dann sieht sie hoch und versucht sich mit einem Lächeln. „Das tut mir leid, wir kennen keine Jungs, mit denen wir spielen können. Und du bist so groß!“

Mickey lächelt sie an. „Ich tue euch doch gar nichts. Im Gegenteil, ich könnte euch helfen.“

Dann wendet er sich an Sally, die das Gespräch zwischen ihm und ihrer Schwester interessiert, aber schüchtern verfolgt.

„Ihr seid doch beide nette Mädchen und braucht euch nicht zu verstecken, auch du, Sally.“

Sally lächelt zaghaft und blickt auf den Tisch.

Die Farmersfrau mischt sich in das Gespräch: „Die Mädchen haben leider keinen Bruder. Unser erstes Kind war ein Junge, er ist kurz nach seinem ersten Geburtstag gestorben. Ich habe den Mädchen von dem Bruder erzählt, aber sie kennen ihn natürlich nicht.“

Mickey ist betroffen. „Oh, das tut mir leid. Ich wollte da nichts aufrühren.“

„Du konntest es nicht wissen. Das ist jetzt auch schon vierzehn Jahre her, es ist passiert, kurz nachdem wir hier in den neuen Staaten angekommen waren.“

Der kommende Sonntag ist ein wichtiger Tag für die ganze Familie Willard. Im Nachbarort Rock Spring ist dann Markt, die ganze Familie wird dorthin fahren. Morgens werden sie die Kirche besuchen, danach ist Sonntagsschule für die Kinder, die Männer besuchen währenddessen die Landwirtschaftsausstellung. Die Frauen sind auch nicht untätig, sie verkaufen ihre selbst hergestellten Backwaren, auch bieten sie Würste und andere Kleinigkeiten auf kleinen Ständen zum Verkauf an.

Die Mädchen sind schon ganz aufgeregt. William Willard wendet sich an Mickey: „Es ist besser, wenn du hierbleibst. Das hat zwei Gründe: Erstens sind jetzt unruhige Zeiten und zweitens besteht die Möglichkeit, dass du in Rock Spring erkannt werden könntest.“

„Was meinen Sie mit unruhigen Zeiten?“

„Wir haben seit dem 12. April Krieg in Amerika. Die Südstaaten haben das Fort Sumter in South Carolina angegriffen. Nun herrscht zwischen den Staaten im Süden und denen im Norden Krieg.“

Mickey ist überrascht. Unter Krieg kann er sich kaum etwas vorstellen, höchstens Kämpfe mit Indianern, davon hat er die Erwachsenen schon erzählen hören. „Betrifft uns das auch?“

William Willard überlegt kurz, und erklärt dann: „Ich weiß diese Dinge nur aus der Zeitung. South Carolina ist weit entfernt, aber der nächste Staat in der Union der Konföderierten ist schon Arkansas, das ist nicht weit von hier.“

Die Familie Willard steigt auf ihren Wagen. Der Farmer führt die Zügel, er schnalzt mit der Zunge, dann zieht das Pferd an. Mickey sieht dem Wagen hinterher, die Mädchen drehen sich um und winken ihm zu. Sie haben beide ihren Sonntagsstaat an und sind ungeheuer stolz mit ihren hübschen Kleidern und den Schleifen im Haar. Dann sehen sie wieder nach vorne und schwatzen mit ihren Eltern.

Mickey ist jetzt vier Wochen bei den Willards. Er hätte es kaum besser treffen können. Nachdenklich steigt er auf sein Pferd und reitet das kurze Stück bis zu ihrem gerodeten Land. Einige Bäume stehen noch, er will von dem zuletzt geschlagenen Baum noch die Aste entfernen und ihn dann mit seinem Pferd zu den anderen Stämmen bringen. Er teilt sich seine Arbeit ein, heute ist Sonntag, da will er es gemütlich angehen lassen.

Am späten Abend kommen die Willards zurück, es fängt bereits an, dunkel zu werden. Mickey hilft dem Vater beim Abschirren des Pferdes, mit denen kennt er sich aus. Auch wenn ihm sein Vater nichts beigebracht hat, der Umgang mit seinen Pferden hatte ihm immer viel Freude bereitet. Jedes Tier ist anders und hat seinen eigenen Charakter. Wenn man das beachtet, hat man schon zur Hälfte gewonnen.

Die Stimme von William Willard reißt ihn aus seinen Gedanken. „Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für dich.“ „Was ist passiert, habe ich etwas angestellt?“

„In gewisser Hinsicht, ja. Heute auf dem Markt hat mir mein Schwager gesagt, dass du wegen Pferdediebstahls gesucht wirst.“

Mickey wird plötzlich ganz schlecht, sein Magen zieht sich krampfhaft zusammen.

„Aber so wie ich unseren Sheriff kenne, kümmert er sich nicht um den Diebstahl eines Pferdes durch einen Sohn. Der hat genug in seinem County zu tun.“

Mickey ist ganz benommen vor Schreck. Und wenn der Sheriff doch kommt? Oder ein anderer Vertreter des Gesetzes? „Was soll ich tun?“, fragt er hilflos.

„Mit Pferdediebstahl ist nicht zu spaßen. Falls doch jemand kommt und dich fassen sollte, möchte ich nicht in deiner Haut stecken. Wir könnten dich natürlich eine Weile verstecken, aber das Allerbeste wäre, wenn du die Staatsgrenze nach Missouri überschreiten würdest, dort hat der Sheriff keine Befugnis mehr.“

Mickey ist erschrocken. Er würde gerne hierbleiben, und jetzt so eine weite Reise?

Mister Willard sieht seine Bestürzung. „Ich würde dich gerne behalten, du bist mir eine große Hilfe. Aber für dich wäre das nicht sicher. So weit entfernt ist Missouri nicht, bis zur Grenze sind es etwas über einhundert Meilen. Das kannst du, wenn du dich etwas beeilst, mit deinem Pferd in drei Tagen schaffen.“ Mickey seufzt und nickt zu den Worten. „Wenn Sie meinen, ich würde lieber hierbleiben.“

Der Farmer fährt fort. „Wir machen das so: Meine Frau packt dir noch für ein paar Tage etwas zu essen ein, dann kannst du morgen früh fortreiten.“ Er ruft seine Frau: „Helen, komm doch mal her!“

„Einen Moment, ich bügle gerade!“

Es klappert, als sie das Bügeleisen auf den Herd stellt, dann kommt sie herein. „Was gibt es, Bill?“

William erzählt ihr, dass Mickey sie beide wieder verlassen wird.

„Oh nein! Hat sein Vater herausgefunden, wo er jetzt ist?“, entfährt es ihr. Ihr Mann erklärt seiner Frau die Umstände, die Mickeys Abreise nötig machen. Die Farmersfrau sieht Mickey traurig an. „Wir fingen gerade an, dich zu mögen.“ Sie lächelt ihn an.

Mickey kann nichts sagen, er hat einen Kloß im Hals.

William Willard bittet sie, Proviant für ihren Mickey einzupacken.

„Ja, natürlich, er hat sich auch etwas Lohn verdient“, erwidert seine Frau und streicht Mickey das lange schwarze Haar aus der Stirn.

Der Farmer sitzt noch eine Weile mit Mickey am Tisch und zeichnet ihm eine Skizze für den Weg nach Missouri. „Du kannst noch eine Weile am Arkansas entlang reiten. Ab Win- field musst du dich Richtung Osten halten. Du musst versuchen, alle Städte, die über einen Telegrafen verfügen, zu meiden, denn dort könnte ein Steckbrief von dir sein.“

Mickey nickt, er versucht sich so viel wie möglich einzuprägen. Sorgfältig, wie einen Schatz, steckt er die Zeichnung ein. Sie wird ihm in den nächsten Tagen eine große Hilfe sein.

Der junge Herumtreiber

Es hat zu regnen aufgehört. Mickeys Haare tropfen vor Nässe, seine Wachsjacke hat ihn am Körper trocken gehalten. Es ist später Nachmittag, es ist an der Zeit, einen Unterschlupf für die Nacht zu suchen. Er befindet sich in einer großen, grasbewachsenen Ebene. Wie die Wellen eines Meeres sieht das im Wind wogende Gras aus. Nur an den Flüssen stehen gelegentlich einzelne Bäume. Ein Unterschlupf ist hier nicht zu erkennen, ein Zelt wäre jetzt gut, oder wenigstens eine Plane. Langsam reitet er weiter, immer auf der Suche nach einem kleinen Versteck.

Den Arkansas River hat er seit über einem Tag verlassen, die Grenze nach Missouri muss jetzt greifbar nah sein.

Da, hinter einem kleinen Hügel ist etwas, das ist weder Baum noch Busch. Er hält mit seinem Pferd darauf zu. Dann erkennt er, dass es sich um eine kleine, verfallene Hütte handelt. Die Wände sind aus Holz und stehen noch, dass Dach ist eingebrochen. Na ja, denkt er, besser als nichts. Er sattelt sein Pferd ab, das auch gleich zu grasen beginnt und sieht sich die Hütte an. Sie hat eine Tür, die sich noch öffnen lässt. Drinnen liegt viel Abfall und ein Teil des Daches. Unkraut wächst bereits darauf. Er zerrt den Unrat aus der Hütte und ebnet den Platz unter dem noch vorhandenen Dach, er nimmt seinen Sattel und legt ihn auf den Boden. Die Decke kommt darüber, dann sieht es als Nachtlager ganz brauchbar aus. Mickey setzt sich hin und inspiziert zum wiederholten Mal den Inhalt des Beutels, den ihm Mrs. Willard mitgegeben hat. Es ist nicht mehr viel, es wird gerade noch für heute Abend reichen. Morgen muss er sich Arbeit suchen, damit er etwas zu essen bekommt.

In der Nacht schläft er recht gut. Es regnet nicht mehr, nur von dem kleinen Baum neben der Hütte fallen immer wieder ein paar Tropfen herab.

Der Morgen dämmert bereits, als Mickey unter seiner Decke hervorkriecht und nach draußen geht. Der Boden ist taufeucht, in den Senken hängt noch Nebel über dem Gras. Da sieht er in der Ferne, etwa einhundert Yards entfernt, eine Bewegung. Es sind vier Pferde, die dort im Nebel hinter den Büschen stehen. Einige Männer sind in der Nähe der Tiere. Sie haben keine Uniform, sondern bunt zusammengewürfelte Kleidung. Aber Waffen haben sie alle, so viel kann er erkennen. Er geht hinter die Hütte, um nicht bemerkt zu werden, und hält sein Pferd dort fest.

Plötzlich hört er ein Geräusch hinter sich. Er dreht sich um und sieht in den Lauf eines Gewehres.

„Hände hoch!“, herrscht ihn ein junger Mann an. Er trägt eine schwarze, halblange Jacke und hat rotblonde Haare. Unter dem tief in die Stirn gezogenen Hut funkeln ihn blaue Augen gefährlich an. Erschrocken lässt Mickey die Zügel seines Pferdes los und hebt beide Arme.

„Bist du ein Rebell?“

Mickey schluckt. Er weiß nicht, was der Mann von ihm will. „Was ist ein Rebell? Ich bin bloß ein Junge.“

Der Mann mit der Waffe tritt näher an ihn heran und sieht ihn dann erstaunt an. „Wen haben wir denn da? Du bist ja tatsächlich noch ein Junge!“ Er lacht und senkt den Lauf seines Gewehres, das er bis eben noch auf Mickeys Brust gerichtet hatte. „Von weitem siehst du aus wie ein Mann. Wie alt bist du?“ Mickeys Schreck lässt langsam nach. „Ich bin vierzehn, ich werde bald fünfzehn.“

Der Mann stellt sein Springfield Gewehr mit der Schulterstütze auf den Boden und reicht ihm die Hand.

„Ich bin Samuel Bruhnke. Meine Freunde und ich sind auf dem Weg zur Musterung. Weil wir uns hier im Grenzgebiet zu den Staaten der Konföderation befinden, haben wir gedacht, wir sehen mal nach dem Rechten.“

Mickey weiß nicht, was er dazu sagen soll. Wovon spricht dieser Mann? Aber jetzt scheint keine Gefahr mehr von ihm auszugehen, und er erwidert sein freundliches Lächeln.

„Wo willst du hin?“

„Ich suche Arbeit, damit ich Essen bekommen kann.“

Samuel Bruhnke denkt einen Moment nach. „Okay, ich habe da eine Idee. Komm erst einmal mit zu meinen Freunden.“ Der Mann und der Junge steigen auf ihre Pferde, Mickey folgt ihm zu der Senke, in der er die vier Pferde gesehen hat.

Die vier Männer mustern ihn neugierig. Sie sind zwischen zwanzig und fünfundzwanzig Jahre alt. Ihre Haare sind zerzaust und geben ihnen ein verwegenes Aussehen. „Wen hast du denn da aufgegabelt, Sam?“, fragen sie ihren Freund, der sich später als Anführer der Gruppe herausstellt.

„Das ist nur ein großer Junge, der Arbeit sucht. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir ihm helfen können.“

„Soll er zu deinen Verwandten nach Springfield?“, fragt einer der vier.

„Ja, meine Mutter betreibt dort mit meiner jüngeren Schwester den General Store, die können eine kräftige Hand gebrauchen.“

„Und was soll er jetzt hier bei uns?“

„Er soll mit uns kommen, bis zum Abzweig nach Springfield, den Rest findet er alleine.“

Mickey wird von den Männern in die Mitte genommen. Während des Ritts wird er wieder gefragt, wo er denn herkäme. Er erfährt, dass er sich jetzt in Missouri befindet, nicht allzu weit von den »Sklavenstaaten« entfernt. Die Männer stoßen das Wort »Sklavenstaaten« mit Hass hervor, so wie man von Abschaum spricht. Mit Sklavenstaaten meinen sie Arkansas und Tennessee. Er erfährt, dass man sich hier in Missouri im Zwiespalt befindet. Die meisten Bewohner lehnen Sklavenhaltung ab, während der Gouverneur und ein Großteil des Parlamentes Freunde der Südstaaten sind. Sie selbst sind natürlich überzeugte Gegner der Sklavenhaltung, wie sie immer wieder beteuern. Sie folgen dem Aufruf von Präsident Lincoln, sich freiwillig zum Bürgerkrieg zu melden, und sind nun auf dem Weg zur Musterung. Ihr Anführer Samuel Bruhnke und einer der vier Freunde haben deutsche Wurzeln.

„Wir haben jetzt viel von uns erzählt, jetzt lass mal was von dir hören!“, fordern sie ihn auf.

Mickey fühlt sich wohl in der Gruppe. Zu Anfang wurde er misstrauisch begutachtet, jetzt sind die Männer freundlich und aufgeschlossen. Hier in Missouri fühlt er sich vor Verfolgung sicher und braucht sich nicht mehr zu verstecken.

Er erzählt, dass er sein Zuhause verlassen hat. Er erwähnt die Probleme mit seinem Vater, er erzählt auch, dass er das Pferd ohne zu fragen mitgenommen hat.

„Da war dein Vater natürlich zornig. Dass der Sohn fort war, hat ihn nicht gestört, aber dass eines der Zuchtpferde fehlte, hat ihn in Wut gebracht!“

Der große Blonde hat offensichtlich ähnliche Erfahrungen hinter sich. Er lacht grimmig. „Jetzt will er das Pferd natürlich wiederhaben, das kann ich mir gut vorstellen.“

Bald haben sie den Abzweig nach Springfield erreicht. Es ist ein kleiner, aber gut erkennbarer Weg, in den sandigen Boden haben sich einige Wagenspuren eingegraben.

Samuel Bruhnke zeigt mit der Hand nach Norden. „Hier entlang musst du reiten, bis nach Springfield sind es etwa fünf Meilen. Dort meldest du dich im General Store.“ Als er Mickeys fragenden Gesichtsausdruck sieht, fügt er noch hinzu: „Meiner Mutter gehört der Laden. Sage ihr, dass dich Samuel schickt, dann wird man dir helfen.“

Mickey nickt, dann verabschieden sich die Männer von ihm und wünschen ihm viel Erfolg. Sie ziehen in den Krieg, den furchtbarsten Krieg, den Amerika je erleben sollte, jeder vierte Soldat wird ihn nicht überleben. Aber das weiß noch keiner von ihnen. Gut gelaunt und überzeugt von ihrer Aufgabe ziehen sie lachend und scherzend weiter.

Mickey folgt dem angegebenen Weg und sieht nach einer halben Stunde die Häuser der Stadt. Es ist die größte Stadt, die er bisher gesehen hat. »Springfield« steht auf der Tafel am Anfang, Einwohnerzahl 1321. Aufmerksam reitet er die Hauptstraße entlang und beobachtet die Häuser an beiden Seiten. Auf den Straßen und den hölzernen Bürgersteigen ist viel Betrieb. Neugierig sieht Mickey sich um. Karren kommen ihm entgegen, vor ihm steht eine Kutsche. Von weitem kann er den hohen Giebel eines Geschäftes erkennen. »General Store« ist dort in gelben Buchstaben zu lesen. Dort angekommen, steigt er ab, bindet sein Pferd an der Haltestange fest und sieht sich schüchtern um. Er kommt sich sehr fremd vor, die Menschen in der Umgebung sehen zu ihm hin und mustern ihn neugierig. Er gibt sich einen Ruck und betritt den Laden, eine kleine Klingel an der Tür läutet mit hellem Ton.

Vor der Ladentheke steht eine Frau, die von einem jungen Mädchen bedient wird. Mickey steht im Hintergrund und traut sich nicht zu sprechen. Nach einer kleinen Weile ist die Dame fertig, sie steckt ihren Einkauf, Mehl und Hefe, in die mitgebrachte Tasche und geht an Mickey vorbei.

Das junge Mädchen sieht hoch und blickt Mickey an. „Was kann ich für Sie tun?“, fragt sie mit einer hellen, klaren Stimme. Das Mädchen ist hübsch, sehr hübsch sogar. Sie hat blaue Augen und lange blonde Haare, die zu einem Kranz geflochten sind. So ein schönes Mädchen hat Mickey noch nie gesehen. Er vergisst alle zurechtgelegten Worte und druckst herum. „Ich, äh, ich wollte fragen...“

Als das Mädchen ihn aufmunternd anlächelt, bekommt er erst recht kein Wort heraus.

„Möchten Sie etwas kaufen?“, fragt das Mädchen, sie ist etwas älter als er, vielleicht sechzehn Jahre.

„Ich, nein. Ich — ein Samuel Bruhnke schickt mich. Ich soll hier nach Arbeit fragen.“

„Du kommst von Samuel? Samuel ist mein großer Bruder.“ Sie reicht ihm ihre Hand, es ist eine kleine Hand, die in der großen Hand von Mickey verschwindet.

„Ich heiße Evelyn. Meiner Mutter gehört das Geschäft und ich helfe ihr. Warte doch einen kleinen Moment, ich komme gleich wieder.“

Sie verschwindet durch eine Tür im Hintergrund, Mickey sieht ihr hinterher. Einen Moment später kehrt sie mit ihrer Mutter wieder zurück. Die ist eine schlanke Frau, etwa Ende vierzig. Sie trägt die roten Haare wie ihre Tochter zu einem Kranz geflochten. Sie mustert ihn mit freundlichen Augen und reicht ihm die Hand.

„Guten Tag, Ich bin Bridget Bruhnke. Mir gehört der General Store. Ich habe gehört, mein Sohn Samuel schickt dich?“

Mickey erwidert ihren kräftigen Händedruck. „Ich heiße Mickey Callaghan. Ich bin Ihrem Sohn heute Morgen begegnet. Ich habe ihm gesagt, dass ich Arbeit suche und er hat mich an Sie verwiesen.“

„Ja, das ist richtig. Seitdem mein Mann die Zeitung hier im Ort herausgibt, führe ich das Geschäft mit meiner jüngsten Tochter alleine. Wir können einen kräftigen jungen Mann wie dich gut gebrauchen.“

Es kommen zwei Kunden in den Laden. Evelyn wendet sich ihnen zu. Mrs. Bruhnke bittet Mickey nach hinten in ihr Büro. Er versucht noch kurz einen Blick von Evelyn zu erhaschen, dann folgt er der Geschäftsfrau nach hinten. Im Büro setzt sie sich hinter den Schreibtisch und Mickey nimmt mit einem Hocker vorlieb.

„So, nun erzähl mal!“, fordert sie Mickey auf.

Und Mickey beginnt mit seiner Geschichte. Er berichtet kurz von seinem Elternhaus, von seiner Flucht mit dem von seinem Vater gestohlenen Pferd und der Begegnung mit Samuel Bruhnke heute Morgen.

Mickey erfährt von ihr, dass sie noch vier weitere Kinder hat. Die sind jetzt so alt, dass sie ihre eigene Familie haben, nur Evelyn ist ihr geblieben. Ihr Mann ist mit seiner Zeitung, dem Springfield Explorer, so beschäftigt, dass er im Geschäft keine große Hilfe mehr ist. „Wir können deshalb einen kräftigen Mann gebrauchen. Das Abladen und Aufladen der Wagen, das fällt uns doch recht schwer.“ Sie mustert ihn sorgfältig. „Wie alt bist du, mein Junge?“

„Ich bin vierzehn Jahre“, sagt Mickey. „Ich werde im März aber schon fünfzehn“, fügt er eilig hinzu.

Mrs. Bruhnke lächelt über seinen Eifer. „Okay, wir versuchen es mir dir. Du kannst hier im Haus schlafen, in einem der Betten der Kinder, die nicht mehr hier wohnen. Gearbeitet wird von morgens bis abends, je nach Bedarf. Du bekommst frei zu essen. Ein Gehalt gibt es nicht. Wenn wir mit dir zufrieden sind, sehen wir weiter.“

Mickey nickt dazu. So gefällt es ihm, er ist ohnehin nicht in der Lage, irgendwelche Forderungen zu stellen.

„Hast du etwas bei dir?“, fragt Bridget Bruhnke.

Mickey braucht nicht lange zu überlegen. „Nein, nur das, was das Pferd auf seinem Rücken trägt.“

Mrs. Bruhnke lächelt. „Was du zuerst benötigst, ist noch etwas zum Anziehen. Es kann sein, dass dir etwas von der Kleidung meiner Söhne passen könnte. Du hast ja die Größe von einem Mann.“

Mickey bekommt das Zimmer gezeigt, auch sein Pferd erhält einen Platz in dem großen Stall, der sich hinter dem Geschäft befindet.

Am Abend kommt Heinrich Bruhnke, der Mann und Vater der Familie nach Hause. Er ist groß, seine Augen strahlen immerzu und laden einen zum Lachen ein. Mickey schließt ihn sofort in sein Herz. Wenn doch nur sein Vater so gewesen wäre! Zu seiner großen Überraschung erfährt er, dass Bridget Bruhnke die ältere Schwester von William T. Sherman ist. Mickey hat noch nicht von ihm gehört, aber Heinrich Bruhnke, der von vielen hier Henry gerufen wird, erzählt ihm die Geschichte seines berühmten Schwagers. Er war seit 1859 Präsident der Militärschule in Alexandria in Louisiana und ist seit zwei Wochen Kommandeur des 13. Infanterieregiments der Nordstaaten.

Mickey hört ihm erstaunt zu. Der Zeitungsmann kann mitreißend erzählen und ist offensichtlich politisch sehr interessiert. „Dann ist der Samuel Bruhnke, den ich getroffen habe, sein Neffe?“

„Ja, genau so ist es. Ich bin Deutscher, wie viele hier in Missouri, deshalb haben einige unserer Kinder deutsche Namen.“ Die nächsten Tage im General Store beginnen mit viel Arbeit. Das Lagerhaus ist völlig überladen, weil es an stabilen Regalen fehlt. Das Holz dazu liegt schon bereit, die beiden Frauen haben keine Zeit und sind auch nicht kräftig genug, alle Waren umzulagern. Für Mickey ist das genau die richtige Arbeit.

An den Abenden erklärt ihm Heinrich Bruhnke von den neuesten politischen Entwicklungen. Er hat Freude an dem aufgeweckten Jungen und es gefällt ihm, wie schnell er die Informationen verarbeitet. Das Thema heute Abend ist die Sklaverei. Mickey kennt keine Sklaven und kennt auch nicht die besonderen Demütigungen, die diese Menschen in den Südstaaten erleiden müssen.

„Ich habe dir ein Buch mitgebracht. Ich habe gehört, dass du lesen kannst, dann ist dieses hier sehr gut geeignet.“

Er gibt Mickey ein Buch in einem grauen Einband und einem blassen Bild auf der Vorderseite. Es hat den Titel:

»Uncle Tom‘s Cabin« (Onkel Toms Hütte), er blättert ein wenig darin herum.

Heinrich Bruhnke sieht ihm zu und erklärt: „Das Buch ist von Harriet Beecher Stowe, es ist sehr beeindruckend geschrieben und beschreibt, nach meinen Kenntnissen, die Sklaverei sehr genau.“

Mickey ist sehr begierig darauf, in dem Buch zu lesen, gleich morgen in der ersten Pause will er hineinsehen.

Mit Evelyn, der Tochter des Hauses, versteht er sich immer besser. Er geht ihr zur Hand, wann immer das sinnvoll ist und sie zögert nicht, ihn als kräftige und kluge Hilfe einzuspannen. Eines Tages fragt sie ihn: „Mickey, hast du schon einmal eine Freundin gehabt?“

Er schüttelt heftig den Kopf. „Wo denkst du hin, ich bin doch noch ein Junge. Vielleicht größer als andere, aber dafür bin ich noch nicht alt genug.“

Sie sieht ihn an und lächelt. „Ja, das ist schade. Du müsstest vier oder fünf Jahre älter sein, dann wärst du eine gute Partie. Du hast alles, was ein Mann braucht. Du bist groß und kräftig, du siehst gut aus und hast eine Menge Charme.“

„Meinst du wirklich?“, fragt Mickey erstaunt. Bisher waren ihm diese Art Qualitäten nicht aufgefallen.

„Warte nur ab, eines Tages werden dir die Mädchen nachlaufen.“

Mickey lacht, der Gedanke kommt ihm noch sehr unwirklich vor. „Und du, hast du gar keinen Freund?“

„Doch, ich kann ihn nur nicht so oft sehen, wie ich möchte. Vor zwei Wochen ist er in die Armee der Nordstaaten eingetreten, seitdem sehe ich ihn gar nicht mehr. Aber der Krieg wird bald vorbei sein, hat er gesagt, und darauf freue ich mich jeden Tag.“

Das Buch, das er von Heinrich Bruhnke zum Lesen erhalten hat, wird die nächsten Tage zu seiner Lieblingslektüre. In jeder freien Minute holt er es hervor und liest wieder einige Seiten. Eines Tages hat er es durchgelesen und gibt es dem Vater der Familie zurück. Der will natürlich wissen, wie es ihm gefallen hat.

„Was sagst du zu dem Buch, kannst du dir so etwas vorstellen?“ Mickey überlegt eine Weile an der Antwort. „Es ist so schlimm, wie dort mit den Negern umgegangen wird, das kann man sich kaum vorstellen.“

„Glaube mir, mein Junge, das ist genau so, wenn nicht noch schlimmer.“

Mickey muss daran denken, was ihm die Mutter beigebracht hat. Alle Menschen sind gleich, egal welcher Religion sie angehören oder welche Hautfarbe sie haben. Früher kannte er nur Indianer als Menschen mit anderer Hautfarbe, nun gehören offenbar auch Neger zu dieser Gruppe. Mickey sieht ihn mit großen Augen an. „Sollte man nicht etwas dagegen unterneh- men:

Heinrich Bruhnke nickt entschieden. „Ja! Man sollte nicht, man muss!“ Dann fällt ihm etwas ein. „Kannst du eigentlich schießen?“

„Nein, das hat mir bisher niemand beigebracht.“

Heinrich Bruhnke denkt eine Weile nach. „Wenn du etwas gegen die Sklaverei tun willst, musst du in die Nordstaatenarmee eintreten. Du erreichst zwar noch nicht die Altersgrenze von achtzehn Jahren, du siehst aber so aus, als wärst du alt genug. Außerdem bin ich hier der Bürgermeister, das kriegen wir hin.“ Er schmunzelt und fügt hinzu: „Wenn du jetzt noch schießen könntest, dann nimmt man dich auf jeden Fall. Und deshalb“, - er zögert einen Moment - „ich habe einen Bekannten, der kann dir den Umgang mit Waffen beibringen. Ich werde ihn in den nächsten Tagen einmal fragen.“

Mickey ist schwer beeindruckt. Er wird also schon für einen richtigen Mann gehalten und soll jetzt sogar Schießen lernen. „Ja, das möchte ich gerne können“, er nickt mit leuchtenden Augen.

Nach wenigen Tagen schon beginnt die Ausbildung. Der Mann, der ihm das Schießen beibringen soll, ist mittleren Alters, er hatte schon im Befreiungskrieg von Kalifornien gegen die Mexikaner gekämpft. Er heißt Morgan Karniggle, er ist einen Kopf kleiner als Mickey und sieht ihn mit ständig zwinkernden Augen an. Er spricht nicht viel, hat aber ein scharfes Auge für die Fehler, die Mickey macht. Zuerst lernt er mit dem Gewehr umzugehen, einem Springfield Vorderlader.

„Springfield?“, fragt Mickey, „hat es etwas mit diesem Ort zu tun?“

Morgan Karniggle schmunzelt. „Nein, das ist nur zufällig so. Das Gewehr kommt aus der Waffenfabrik in Springfield im Bundesstaat Massachusetts. Wir sind hier in Springfield in Missouri.“

Das Gewehr wird über die Mündung mit einer Papierpatrone geladen. Sie besteht aus der Kugel, der Pulverladung und ist mit Papier umgeben. Mickey muss die Papierhülle in die Eland nehmen und sie mit den Zähnen aufreißen. Dann schüttet er das Pulver aus der Papierhülle oben in den Lauf, knüllt das Papier zusammen und stopft es hinterher. Zuletzt wird die Kugel in den Lauf gesteckt und alles wird mit dem Ladestock nach unten geschoben. Zuletzt wird das Zündhütchen aufgesetzt und der Hahn gespannt.

Mickey stellt sich sehr geschickt bei den Handgriffen und beim Zielen an. Das Laden geht ihm noch etwas langsam von der Hand.

Morgan lacht ihn an. „Wenn du schnell werden willst, musst du in einer Minute drei Schüsse, gut gezielt, mit Treffer auf 300 Yards zustande bringen.“

Mickey stöhnt. „Das ist doch gar nicht zu schaffen!“

„Doch, das ist es. Du bist auf dem richtigen Weg, ich hatte noch keinen Schüler, der sich so geschickt angestellt hat.“

„Tatsächlich? Sie wollen mich hochnehmen!“

„Nein, nein, du wirst schon sehen, mach nur weiter so.“

Und es kommt so, wie es der alte Hase Morgan Karniggle vorhergesagt hatte. Mickey übt fast jeden Abend für ein bis zwei Stunden. Schließlich schafft er sogar vier Schüsse pro Minute und trifft einen Eimer aus 400 Yards Entfernung. Mit vor stolz geschwellter Brust dreht er sich zu Morgan um.

Der nickt, seine Augen zwinkern noch schneller vor Begeisterung. „Siehst du, ich habe es doch gesagt. Nun wird man sich beim Militär um dich reißen.“

Mickey strahlt vor Freude über das Lob.

„Ab morgen werde ich dir das Schießen mit dem Revolver bei- bringen. Das hat auch seine Tücken, aber das zeige ich dir schon.“

Von Heinrich Bruhnke erhält er immer wieder Stoff zum Nachdenken. Und immer ist es der Konflikt Nord- gegen Südstaaten, der besonders hier in Missouri zu spüren ist.

Mit charismatischer Mimik und überzeugender Argumentation erzählt er dem jungen Mickey von der Barbarei in den Sklavenstaaten und bestärkt ihn in dem sicheren Gespür für gute und schlechte Menschen, das ihm seine Mutter vermittelt hat.

„Glaube mir, junger Mickey, das System der Südstaaten wird, früher oder später, wegen schlechterer Leistungsfähigkeit zu Grunde gehen, mit oder ohne Krieg. Die Feudalherrschaft, die sich nur mit Hilfe von ausgebeuteten Menschen aufrecht hält, noch dazu ohne jede Weiterentwicklung, wird aus Amerika verschwinden.“ Erschöpft hält er inne, beseelt von seiner eigenen Rede.

„Werden die Nordstaaten denn siegen?“, fragt Mickey.

„Tja, mein Junge, um das zu beantworten, müsste ich Prophet sein. Das Problem ist, das die Nordstaaten den Südstaaten zwar zahlenmäßig und wirtschaftlich überlegen sind, die Südstaaten haben jedoch die besseren militärischen Führer. Deshalb tippe ich auf einen lange dauernden Krieg, ganz im Gegensatz zu der vorherrschenden Meinung. Ich hoffe natürlich, dass ich mich irre.“

In den nächsten Tagen lernt Mickey mit einem Revolver zu schießen. Morgan Karniggle hat ihm zum Üben einen Perkussionsrevolver von Colt mitgebracht.

„So, mein Junge, das hier ist eine ganz neue Waffe, wie sie jetzt verwendet wird. Es gibt dafür fertige Patronen, die eine Papierhülle mit Kugel und Pulverladung haben, so wie bei dem Gewehr. Die Patronen haben das Kaliber .44. Gezündet wird wie bei der Springfield mit Zündhütchen, die hier außen aufgesetzt werden.“ Er macht eine Pause und überlegt: „In der Army wird nicht mit Revolvern geschossen. Ich bin aber mal gespannt, wie du mit einer mehrschüssigen Kurzwaffe umgehen wirst.“

Mickey hält die Waffe in der Hand und mustert sie eingehend. „Wofür ist denn dieser Hebel hier?“, fragt er und zeigt auf einen Hebel unterhalb des Laufes.

„Das ist der Ladehebel. Mit ihm wird die Papierpatrone in die Bohrung der Trommel gepresst. Es ist wie bei der Springfield, nur geschieht das hier sechs Mal hintereinander. Man kann die Trommel auch komplett herausnehmen und sie durch eine vorher gefüllte ersetzen.“

Mickey staunt, von weitem sieht es so einfach aus. Wenn man genau hinsieht, erkennt man, wie mühsam das Schießen damit ist.

„Wer bezahlt das eigentlich alles, die Waffen und die Munition und so?“, fragt Mickey.

Morgan schmunzelt. „Das meiste kommt von Henry, die Waffen gehören mir und meine Zeit schenke ich dir.“ Er macht eine Pause und fügt dann hinzu: „Dir etwas beizubringen macht mir besonders viel Freude. Ich hatte noch nie so einen gelehrigen Schüler.“

Mickey freut sich über das Lob. So viel hintereinander hat der alte Morgan noch nie mit ihm gesprochen.

Das Schießen mit dem Revolver ist wie mit dem Gewehr, nachdem die Handgriffe eingeübt sind, geht es immer besser. Mickey kann jetzt eine Trommel in weniger als einer Minute laden. Auch das Schießen geht recht gut. Immer wieder hat Morgan mit ihm das Ziehen aus dem Holster geübt.

„Den Griff des Revolvers musst du im Schlaf finden“, so lehrt ihn Morgan. „Du fasst ihn mit den Fingern, mit dem Daumen spannst du beim Ziehen den Hahn. Und immer die Augen auf das Ziel gerichtet!“

Mickey macht das gut, Morgan ist sehr zufrieden. Zuerst muss er den Revolver bis in Augenhöhe halten und über Kimme und Korn das Ziel anvisieren.

„Wenn das klappt, dann kannst du anfangen, aus der Hüfte zu schießen. Das geht schneller, weil du sofort schießen kannst, du musst jedoch lernen, instinktiv zu zielen.“

Eine Woche später kommt Heinrich Bruhnke auf seinem Pferd zu dem Übungsplatz, um sich die Fortschritte von Mickey anzusehen. „Hierher zu finden ist nicht schwierig“, grinst er den Lehrer und dessen Schüler an. „Die Schüsse sind bis nach Arkansas zu hören.“

Mickey freut sich, dass er dem geschätzten Lehrmeister in Politik seine Schießkünste vorführen darf. Er gibt zwei Schüsse mit dem Springfield Gewehr ab, dann demonstriert er seine erstaunliche Geschicklichkeit mit dem Revolver.

Heinrich Bruhnke ist sichtlich beeindruckt. „Morgan, was hast du aus unserem kleinen Jungen gemacht?“

Morgan schmunzelt und zwinkert mit seinen wasserblauen Augen. „Das ist nicht nur mein Verdienst. Mickey hat einen siebten Sinn für den Umgang mit den Waffen. In ein, zwei Jahren wird er einer der besten Schützen sein, die wir kennen.“

Mickey strahlt vor Freude. Das Lob der beiden Männer macht ihn zwar verlegen, aber ihn erfüllt wilde Freude, bei dem Gedanken, dass er etwas wirklich gut kann. Sein Vater hat ihn niemals gelobt, es gab immer nur Tadel und Schläge. Wie Morgan Karniggle es ihm beigebracht hat, reinigt er anschließend beide Waffen. Mit Hilfe eines langen Stabes schiebt er ein angefeuchtetes Reinigungstuch durch den Lauf der Springfield und ebenfalls beim Revolver, anschließend kommt ein kleiner ölgetränkter Lappen zum Einsatz.

Die beiden Männer sehen gelegentlich zu ihm hin und unterhalten sich dabei. Heinrich Bruhnke fragt seinen erfahrenen Freund: „In den letzten Tagen sind so auffallend viele Truppen in der Gegend um Springfield, wie schätzt du das ein?“

Morgan wiegt sein fast haarloses Haupt und sagt dann: „Wir werden früher mit dem Krieg zu tun haben, als wir befürchtet haben. Es lagern hier in Springfield nach meiner Einschätzung unter dem Kommandeur Nathaniel Lyon etwa sechstausend Mann.“

„Du meine Güte, da müssen wir das Schlimmste befürchten!“ „Das sehe ich auch so“, gibt ihm Morgan Recht. „Wir können nur hoffen, dass die Zivilbevölkerung so wenig wie möglich von dem Krieg mitbekommt.“

Mickey hat beide Waffen gereinigt und eingeölt und wendet sich den beiden Männern zu. Heinrich Bruhnke mustert seinen Schützling mit einer Sorgenfalte auf der Stirn. „Es sieht fast so aus, als wenn deine Schießkünste eher gefordert werden, als uns lieb ist. Präsident Lincoln hat jetzt schon zum zweiten Mal in den letzten Wochen die Einberufung von 500.000 Freiwilligen gefordert. Und der Kongress hat vor kurzem zugestimmt.“ Mickey hört das mit Sorge, aber zugleich mit Freude. Zum einen fiebert er einem unbekannten Abenteuer entgegen, zum anderen wird er neue Menschen kennenlernen. Dass ein Krieg mehr ist, als nur Abenteuer, sondern Lebensgefahr und Strapazen, wird er bald erkennen.

Der junge Soldat

Mickey ist Soldat. Plötzlich ging alles ganz schnell. Sein väterlicher Freund Heinrich Bruhnke hat seinen Einfluss als Bürgermeister von Springfield bei der Musterung eingesetzt. Dazu kam die zurzeit starke militärische Bedrohung durch die Truppen der Nord- und Südstaaten in unmittelbarer Nähe von Springfield. Das von der Regierung geforderte Mindestalter von achtzehn Jahren ist nicht nur bei ihm nicht eingehalten worden. Mickey sieht manchen jungen Soldaten, der dieses Alter bestimmt noch nicht erreicht hat. Sein hünenhafter Wuchs, das Erbe seines Vaters, hat die Musterungskommission über sein wahres Alter getäuscht. Als Henry Bruhnke seine großartigen Schießkünste erwähnte, war die Einberufung beschlossen.

Es ist Mitte Juli 1861, Mickey und viele andere junge Männer, werden mit dem Zug nach Fort Bellefontaine gebracht. Dort sollen ihm, wie seinen Kameraden, militärische Grundbegriffe beigebracht werden. Der Zug besteht aus fünf Personenwagen, alle Plätze sind besetzt. Selbst auf den Plattformen zwischen den Waggons sitzen und stehen junge Männer. Viel wird nicht gesprochen, alle sehen ein wenig blass aus und mustern ängstlich die vorbeiziehende Landschaft und die mitreisenden Rekruten.

Einige Männer, es sind meistens die Älteren von ihnen, reden laut und geben sich selbstsicher. Mickey kommen sie ein wenig wie Angeber vor.

Alle Soldaten sind noch in Zivil gekleidet. Im Fort Bellefontaine, es liegt in der Nähe von St. Louis, hat Mickey gehört, sollen sie mit Uniformen und Waffen ausgerüstet werden.

Ein Lieutenant kommt in den Wagen. Er sieht adrett aus in seiner blauen Uniform und dem feschen Hut. Ein Säbel vervollständigt seine Ausstattung. Er sieht sich aufmerksam um und fixiert einige der jungen Soldaten, die sich eben noch so lautstark unterhalten haben, mit festem Blick aus dunklen Augen. Schnell kehrt Ruhe ein, dann beginnt er zu sprechen:

„Meine Herren! Ich bin Lieutenant Hudson. Ich bin der Zugführer in ihrer Ausbildungskompanie. Ich werde Ihnen jetzt einige Informationen mitgeben. In zwei Stunden werden wir Saint Louis erreichen, wir steigen dann alle aus und Sie werden sich hinter mir aufstellen, immer vier in einer Reihe - ist das klar?“ Er sieht sich kurz um und mustert seine bunte Schar. „Wir werden dann die vier Meilen zum Fort zu Fuß zurücklegen.“ Wieder mustert er die Gruppe seiner Zuhörer. „Hat jemand eine Frage?“

Keiner sagt etwas, etwas scheu sehen sich die jungen Leute um. Mickey fällt jetzt auch keine Frage ein, vielleicht ist auch besser, nicht zu fragen, man könnte eventuell dumm auffallen.

Dann meldet sich doch jemand. „Bekommen wir heute noch etwas zu essen?“

Aus einigen Ecken kommt ein leises Kichern. Mickey denkt auch, so eine Frage stempelt einen gleich als verfressen ab. Doch der Lieutenant nickt nur, und antwortet dann: „Essen wird heute Abend noch ausgegeben. Es gibt Bohnensuppe für alle, auch für mich.“ In seinem hart erscheinenden Gesicht erscheint kurz ein Lächeln. Mit zackigen Schritten geht er weiter in den nächsten Wagen, um seine Botschaft auch dort zu verbreiten.

Mickey fühlt sich nicht wohl in diesem Haufen völlig fremder Menschen. Nachdem der Lieutenant den Wagen verlassen hat, beginnen alle durcheinanderzureden. Alle sind älter als er, er fühlt sich ein bisschen wie ein Fremdkörper.

Allmählich nähern sie sich Saint-Louis, die jungen Männer drängen sich an den Fenstern, und versuchen etwas zu erkennen. Die Rufe mischen sich mit dem Lärm der Räder zu einem fast schmerzhaften, unangenehmen Krach. Mickey bleibt schüchtern im Hintergrund und hält seine Wachsjacke fest. Sie ist das Einzige, was er mit sich führt. Die meisten der Mitreisenden haben kleine Taschen oder Beutel dabei.

Der Zug fährt in den Bahnhof von Saint-Louis ein. Dampf von der Lokomotive wallt an den Fenstern vorbei und laut quietschen die Bremsen. Mit einem kurzen Ruck kommt der Zug zum Stehen. In einem wüsten Durcheinander trampeln die Männer zu den Türen und strömen auf den Bahnsteig. Mickey hält seine Wachsjacke fest, um sie in dem Getümmel nicht zu verlieren, schließlich steht er draußen auf dem Bahnsteig. Mehrere Corporale in blauer Uniform versuchen sich mit lauter Stimme durchzusetzen. Schließlich haben sich mehrere Gruppen gebildet, die sich draußen vor dem Bahnhof aufstellen. Mickey hat sich zu einem Haufen gesellt und steht nun im Gedränge zwischen ihnen. Ein Mann in Uniform stellt sich lautstark als Gruppenführer vor und fordert sie auf, sich in Reihen zu vier Mann nebeneinander aufzustellen. Nach einigem Getümmel und Gedränge gelingt ihnen das.

Mickey bemerkt einen Mann auf einem Pferd, der vor dem Haufen der jungen Männer steht und sich die langsam aufbauende Ordnung verfolgt. Es ist der Lieutenant, der schon durch den Zug gekommen war. Er wartet noch einen Moment, bis auch jetzt wieder Ruhe eingekehrt ist und ruft ihnen dann mit kräftiger Stimme zu. „Meine Herren! Willkommen in Saint- Louis! Sie werden jetzt mir und ihrem jeweiligen Gruppenführer folgen. Bis zum Fort Bellefontaine sind es etwa vier Meilen. Wenn sie zügig ausschreiten, werden sie es in einer guten Stunde schaffen. Wegen der knappen Versorgung mit Transportwagen können wir ihnen den Fußweg nicht ersparen. Im Fort werden sie alle mit ihren Musterungsunterlagen registriert und einer Gruppe zugewiesen.“ Er macht eine Pause und sieht kurz seine Gruppenführer an.

„Marsch, Marsch!“

Er setzt sein Pferd an die Spitze und reitet voran. Die angehenden Soldaten setzen sich auch in Marsch. Zuerst geht der Schritt etwas unbeholfen, aber nach ein paar hundert Yards haben die meisten ihren Tritt gefunden. Es sind über zweihundert Männer, die jetzt in vier Gruppen zu je etwas über fünfzig Mann ihren Gruppenführern folgen. Einige Altere sind auch dabei, wie Mickey jetzt feststellt. Es sind eben Freiwillige, die nimmt man so, wie sie kommen. Es sei denn, sie sind behindert oder zu jung. Mickey ist durch die Musterung geschlüpft, weil er nicht aussieht, als wäre er zu jung. Irgendwie hat Heinrich Bruhnke seine Finger mit im Spiel gehabt.

Der Marsch geht über einen staubigen Weg. Es ist am Nachmittag, die Sonne hat sich hinter einer Wolke versteckt, sodass die Hitze gerade auszuhalten ist. Die Männer schwitzen, einige schimpfen über den Fußmarsch, die Blicke der Corporale bringen sie jedoch zum Schweigen. Mickey geht flotten Schrittes zwischen seinen Genossen her. Er ist groß und kräftig, sodass ihm dieser Marsch leichtfällt. Nur durstig ist er, er hofft, dass es im Fort etwas Wasser geben wird.

Sie erreichen endlich den Stützpunkt. Es sind über zwanzig langgestreckte Baracken aus Holz und einigen größeren Häusern, die von einer hohen Palisade umgeben sind. Die jungen Männer sehen sich neugierig um. Das soll also ihr Zuhause für die nächsten vier Wochen sein?

Lieutenant Hudson schwingt sich von seinem Pferd und tritt vor den recht ungeordneten Haufen junger Männer. „Meine Herren! Sie befinden sich jetzt im Fort Bellefontaine, Ihrer Heimat für die nächsten vier Wochen. Sie erhalten hier im Schnelldurchlauf eine Grundausbildung, dann werden Sie nach ihren Wünschen und unseren Erfordernissen aufgeteilt.“ Er sieht über den Haufen hinweg und sieht kurz auf einen Zettel, den er in der Hand hält.

„Zuerst werden Sie bei uns registriert und bekommen Ihr Zimmer zugewiesen. Es kommen acht bis zehn Personen auf ein Zimmer. Ich wünsche Ihnen viel Glück!“

Er nickt noch kurz und geht dann mit raschen Schritten zu einem der größeren Holzbauten hin.

Mit viel Geschrei und Hilfe der Unterführer wird eine lange Schlange gebildet, deren Anfang sich im Verwaltungsgebäude befindet. Mickey steht fast ganz hinten, er ist noch zu schüchtern, um sich vorzudrängen, wie es so viele andere gemacht haben. Geduldig wartet er darauf, dass er an die Reihe kommt.

Ein alter Sergeant sitzt hinter einem Tisch und hat ein Buch vor sich, in dem er Eintragungen vornimmt. Mickey reicht ihm seinen Musterungsbescheid. Der Sergeant blickt kurz darauf und sieht dann zu Mickey hoch.

„Du bist also Mickey Callaghan?“

„Ja, Sir!“

Mickey hatte eine Weile Gelegenheit, die Männer, die vor ihm an der Reihe waren, zu beobachten. Das »Sir« musste hinter jedem Satz sein, und stramm stehen musste man auch. Andernfalls bekam man sofort eine heftige Zurechtweisung.

„Du bist achtzehn Jahre alt?“

Der Feldwebel sieht zu ihm hoch und mustert ihn eindringlich. Mickey wird ganz weich in den Knien. Wenn das jetzt nicht klappt, ist alles vorbei.

„Ja, Sir!“, ruft Mickey mit lauter Stimme, die noch nicht ganz aus dem Stimmbruch heraus ist.

Der Sergeant murmelt etwas vor sich hin, dann fragt er: „Du kommst aus Missouri?“

„Nein, Sir! Ich komme aus Kansas, Sir!“

Der Unteroffizier notiert das in seinem Buch. „Du meldest dich bei Corporal Jefferson, der befindet sich vor Block C.“