Von wegen unzertrennlich - Caprice Crane - E-Book

Von wegen unzertrennlich E-Book

Caprice Crane

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Beschreibung

Layla Brennan, benannt nach dem Eric-Clapton-Song, hat ihren Highschool-Schwarm Brett Foster geheiratet – you’ve got me on my knees, Layla – und mit ihm die große, herzliche und liebenswerte Familie, die sie sich immer gewünscht hat, seit ihre Mutter gestorben und ihr Vater abgehauen ist. Ihre Schwiegereltern sind einfach nur klasse, mit Bretts Bruder kann man über alles reden, und mit seiner Schwester macht sie sich als Haustierfotografin selbstständig. Laylas Leben ist ein schönes buntes Album, doch plötzlich – what will you do when you get lonely? – will Brett sich scheiden lassen. Sie ist verletzt, weil er sie allein lässt, aber vor allem stinksauer, dass sie nun auch seine tolle Verwandtschaft verlieren wird. Layla beschließt, um ihr Familienglück zu kämpfen, gegen ihren Mann: Please don’t say we’ll never find a way …

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Caprice Crane

Von wegen unzertrennlich

Eine romantische Komödie

Aus dem Englischen von Adelheid Zöfel

FISCHER E-Books

Inhalt

[Motto]Für meine grandiose Großmutter [...]LaylaBrettLaylaTrishLaylaBrettLaylaBrettScottLaylaBrettLaylaTrishLaylaBrettLaylaScottGinnyBrettLaylaTrishLaylaBrettTrishLaylaBrettLaylaBrettTrishGinnyBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaTrishLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaGinnyBrettLaylaScottLaylaScottLaylaScottLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettLaylaBrettTrishBrettLaylaBrettLaylaBrettGinnyLaylaBrettDank

»Blood’s thicker than mud.

It’s a family affair …«

 

Sly and the Family Stone

Für meine grandiose Großmutter Betty Yaeger, der man ihre verrückten Launen schon allein deswegen verzeiht, weil sie fest daran glaubt, dass sie die Königin von England ist – oder mindestens ihr Ebenbild. Diese Frau, die mit ihren dreiundneunzig Jahren neulich zu meiner Mutter sagte, am Tag, bevor Mom ihren Geburtstag feierte: »Warum machen die Leute eigentlich so einen Wirbel um dich? Ich bin doch diejenige, die das alles durchmachen musste, die Wehen und die ganzen Schmerzen.« Meine Großmutter ist wunderbar und einmalig, und ich liebe sie über alles, obwohl – und weil – sie so ist, wie sie ist. Dieses Buch hier ist für dich, Grandma.

Layla

Eric Clapton hat George Harrison irgendwann Pattie Boyd ausgespannt. Das weiß inzwischen jeder. Nicht ganz so bekannt ist, dass Eric Clapton meiner Mutter den Mann gestohlen hat. Meinen Vater. Unsere Kleinfamilie wurde ebenfalls ein Opfer der magischen Anziehungskraft von Sex, Drogen und Platin. Und ich frage mich schon lange, wer mir mal mein eigenes kleines Eheglück klaut.

Wenn man nach einem Clapton-Song heißt, ist das ein zweischneidiges Schwert. Klar, alle Leute reagieren sofort irgendwie darauf, aber andererseits kriegt jeder Möchtegern-Boyfriend den perfekten Anmachspruch frei Haus geliefert: »Layla – wie der Song? Haben deine Eltern den Song gehört, als sie dich gemacht haben?«

»Nein«, antworte ich dann immer. »Aber eigentlich müsste ich Bruiser heißen, das reimt sich nämlich auf Loser.«

In der siebten Klasse wollte Garret Paulson besonders kühn sein und kam mit dem ganzen Refrain daher, total pervers: »Layla, you’ve got me on my knees … Layla, I’m begging, darlin’, please.« Tja – wer zuletzt lacht, lacht am besten, und das war in diesem Fall ich – und mit mir noch gut zwanzig Siebtklässler der Presley Middle School. Er will vor mir in die Knie gehen? Gut, kann er haben. Mit aller Kraft hab ich ihm meinen Hockeyschläger in den Schritt gedonnert. So lernt man was fürs Leben, finde ich.

Für die Wahl des Namens war mein Vater verantwortlich. »Layla« war sein Lieblingssong, und meine Mutter wollte nicht widersprechen. Ihr gefiel die Vorstellung, dass ich keinen Allerweltsnamen haben würde. Sie selbst hieß Sue und war ihr ganzes Leben über immer nur von Sues umgeben – sie antwortete, auch wenn sie gar nicht gemeint war, und fühlte sich als eine von vielen. Von Anfang an wollte sie, dass ich auffiel. Sie dachte, das ist meine Bestimmung. Also war sie einverstanden mit Layla. Und zog mir einen gebatikten Strampelanzug an.

Obwohl ich den Namen jetzt schon so lange habe, freue ich mich immer, wenn ich ihn höre – fast immer jedenfalls. Ich freue mich nicht, wenn ihn jemand laut schreit, obwohl ich keine drei Meter von der betreffenden Person entfernt bin. In diesem konkreten Fall von Brett, meinem Mann.

»Layla!«, brüllt er noch mal.

Und warum habe ich nicht reagiert? Weil ich die Akustik hier im Haus kenne. Ich weiß, wann man jemanden hört und wann nicht. Das weiß ich deswegen so genau, weil ich hier wohne. Und weil ich nicht bescheuert bin. Aber Brett denkt, wenn ich ihn rufe, und er ist direkt im Nebenzimmer und sieht ein Footballspiel im Fernsehen oder schraubt an seinem Computer herum oder sonst irgendwas –, dann weiß ich nicht, dass er mich hören kann. Er ignoriert mich und tut später total ahnungslos. Das beleidigt meine Intelligenz.

Also revanchiere ich mich. Er weiß nämlich auch, dass ich ihn höre. Und er hat mich heute Morgen gehört, als ich etwas von ihm wollte. Aber natürlich quasselte da in der Glotze gerade sein Freund Troy Aikman, und mir war klar, dass Brett diese Sportsendung unbedingt sehen will.

Dass ich nicht geantwortet habe, kann man vielleicht kleinlich finden, aber er hat mich dazu getrieben. Wir sind nicht schon immer so – erst in letzter Zeit. Und ich bin diejenige, die in dieser Situation blöd aussieht, das weiß ich, aber mein Verhalten ist nur eine Reaktion darauf, wie er mich behandelt. Das macht die Sache auch nicht besser, nehme ich an, aber man muss schon alles im Kontext sehen.

»Hast du mich nicht gehört?«, fragt Brett, während er durch die Gegend rennt und irgendwas sucht.

»Wie bitte?«, sage ich. »Hast du was gesagt?«

»Ich hab dich vom anderen Zimmer gerufen.«

»Oh – tut mir leid«, antworte ich übertrieben betroffen. »Ich hab dich echt nicht gehört.« So wie du mich anscheinend nicht mehr hörst, außer wenn’s dir passt.

»Hast du meine Schlüssel gesehen?«, fragt er.

»Ich glaube, ja. In der Küche. Oder oben auf dem Wäschekorb. Ja, genau. Auf dem Wäschekorb. Jetzt weiß ich’s wieder. Deine Schlüssel liegen oben auf dem Wäschekorb.«

Er geht ins Bad, ohne auch nur ein minimales Dankeschön zu murmeln. Ich höre die Schlüssel klimpern, als er sie einsteckt. Dann geht die Haustür.

»Sehen wir uns beim Spiel?«, ruft er noch.

»Äh …« Eine halbe Sekunde lang überlege ich, ob ich hingehen soll oder nicht. In letzter Zeit war ich da eher bequem. Aber dann fällt mir ein, ich habe ja Brooke, meine beste Freundin aus der Grundschule, mit der ich quatschen kann. »Ja, klar.«

 

Brooke und ich sitzen an der Fünfzig-Yard-Linie. Ich kaue schlaffes Popcorn, während sie die Ärsche der gegnerischen Spieler bewertet.

»Dem da gebe ich ’ne Sieben«, verkündet sie. »Er hat bestimmt Haare drauf.«

»Iiih. Wie kommst du denn auf die Idee?«

»Weil er schon eine Glatze kriegt, und erfahrungsgemäß wandert die Behaarung. Wenn die Typen keine Haare mehr auf dem Kopf haben, dann haben sie überall sonst welche, wo sie keine haben wollen.«

»Okay«, sage ich. »Aber dann wüsste ich gern, warum er trotzdem eine Sieben bekommt, auch mit Haaren? Sieben ist doch viel zu gut.«

»Ich nehm’s zurück. Er kriegt ’ne Fünf.« Dann zeigt sie auf einen anderen Spieler. »Der da kriegt eine Zwei. Zu viel Masse. Je fetter der Arsch, desto größer die Chance auf Bremsspuren. Ich habe beobachtet, Männer wischen sich nicht richtig ab, wenn sie einen dicken Hintern haben. Zu viel Fläche, die berücksichtigt werden muss.«

»Sehr eklig.«

»Wart’s nur ab, bis du die Wäsche waschen musst. Dann wird’s erst richtig eklig.«

»Welche Fettarschunterhosen musst du eigentlich waschen?«, frage ich sie. Brooke hat nämlich seit mindestens einem Jahr keine Beziehung mehr.

»Keine. Und das ist auch gut so.«

»Ja, manche Jobs braucht man wirklich nicht«, sage ich. Ich sehe Brett die Seitenlinie entlangrennen. Seine dichten Haare flattern in alle Richtungen. Mit seinen einssiebenundachtzig, den fünfundachtzig Kilo, den breiten Schultern und dem perfekt durchtrainierten Kampfbody könnte man denken, gleich läuft er selbst aufs Spielfeld und schnappt sich den nächsten Ball. Und ich weiß genau, dass so gut wie jedes weibliche Wesen im Publikum sich fragt, wie er in Elasthanhosen aussieht und in so einem Kompressionsshirt, wie sie die Spieler immer beim Training anziehen – auf dem Damenklo habe ich schon mitgekriegt, dass sich irgendwelche Zuschauerinnen darüber unterhalten.

»Und – wie geht’s dem Coach?«, fragt Brooke.

»Gut, danke«, sage ich und stopfe mir noch eine Handvoll Popcorn in den Mund.

»Täusche ich mich – oder hat er bis jetzt wirklich kein einziges Mal hochgeschaut, ob du auf der Tribüne sitzt?«

»Er muss das Spiel gewinnen, Brooke«, erwidere ich. »Dass ich da bin, weiß er.«

»Sonst guckt er immer. Ich mein ja nur.«

»Danke, dass du’s mir unter die Nase reibst.« Als wäre mir das nicht schon längst aufgefallen. Natürlich habe ich es gemerkt! Juckt es ihn überhaupt noch, ob ich zu den Spielen komme oder nicht? Keine Ahnung.

Ich gebe mir echt Mühe, eine gute Ehefrau zu sein – ich will ihn unterstützen und ihm täglich zeigen, wie sehr ich ihn liebe. Unzählige Tage und Nächte habe ich schon an der Seitenlinie gestanden, auf dem Kopf eine Mütze mit einem großen weißen Plastikschnabel, ich habe gekreischt und gewinkt und das Team angefeuert, bei dem er der Defense-Koordinator ist. Ich habe erlebt, wie das Team verliert. Und verliert. Und verliert. Dass ich Football eigentlich nicht leiden kann, spielt dabei keine Rolle – ich liebe Brett. Und Brett liebt Football. Schon immer. Ich habe die Grundregeln gelernt, damit ich dem Spielverlauf einigermaßen folgen kann, obwohl Brett immer noch sagt, ich muss unbedingt einen Einführungskurs belegen. Ich war da und habe ihm zugejubelt, bei jedem Angriffsversuch während seiner zuerst echt miesen College-Coach-Laufbahn. Für mich war seine Karriere nur in der Theorie ein Fehlschlag, auch damals schon. Ich war so stolz auf ihn, als hätte er noch kein einziges Spiel verloren. Dabei waren die Condors der University of California in Culver City (UCCC) zu der Zeit kurz davor, in der Division III einen neuen Niederlagen-Rekord aufzustellen. Zu Bretts Verteidigung muss man sagen: Das Team hatte zwar den höchsten Prozentsatz an Niederlagen, aber dafür machten die meisten Spieler ihren College-Abschluss. Weil Brett das wichtig fand. Er steckte damit auch Hauptcoach Frank Wells an, und gemeinsam forderten sie von den Spielern sowohl Teamgeist als auch akademische Leistung – das ganze Paket. Die Uni-Zeitung schlug vor, man sollte den Namen Condors in ›Wirre Wissenschaftler‹ ändern. Keiner in der Mannschaft fand das auch nur im Entferntesten witzig. Die gesamte Offensive beschloss, das Büromobiliar der Zeitung kurz und klein zu schlagen, aber sie mussten an dem Tag alle in ihren Computerkurs.

Wie schlecht waren sie tatsächlich, die Condors? Sie hatten fünfundzwanzig Spiele in Folge vergeigt. Seit zweieinhalb Jahren verloren sie ständig, und die Negativphase lief schon, als Brett und Coach Wells die Regie übernahmen. Brooke und ich hatten sogar eine Wette laufen: Falls die Condors je gewinnen sollten, dann würde Brooke mir fünfhundert Dollar zahlen. Brooke musste von einem Sekretärinnengehalt leben und konnte kaum ihre monatliche Miete stemmen, aber sie war sich ihrer Sache absolut sicher. Ich habe sie nicht gezwungen zu zahlen, als die Mannschaft dann schließlich doch gewann – aber ich glaube, ich hätt’s tun sollen.

Bei einem besonders grauenhaften Spiel schenkte das Team den Gegnern zweiundvierzig Punkte – im ersten Viertel. Ein anderes Mal haben sie gegen eine Mannschaft verloren, deren Bus unterwegs zusammengebrochen war, weshalb die Hälfte der Spieler festsaß, zwei Stunden von hier, während die andere Hälfte einen 49:0-Kantersieg einfuhr. Ich feuerte Bretts Männer die ganze Zeit an, und ich meinte es ernst. Ich war für ihn da, auch in den dunkelsten Stunden. Vielleicht dann vor allem.

In dieser Spielzeit folgte Brett einer Eingebung, als sich der Field-Goaler gleich am Anfang eine Verletzung zuzog. Er ersetzte ihn durch den Trommler der Blaskapelle. Und als dieser sich das Knie verdrehte, beschlossen Brett und Coach Wells, bei jedem vierten Down einfach stur draufzuhalten, egal, ob sie an der 5- oder der 50-Yard-Linie waren und ob sie noch einen oder dreißig Yards vor sich hatten. Die Zuschauer waren begeistert. Leider galt das auch für die Defense der jeweiligen Gegner. Und die Uni-Zeitung. Aber das war eben Bretts Stil, von dem er auch Coach Wells überzeugte: Brett war immer bereit, ein Risiko einzugehen und die Konsequenzen zu tragen, gleichgültig, wie die Leute sich aufregten. Und dafür liebte ich ihn nur umso mehr.

Dabei fällt mir ein ganz bestimmtes Spiel ein – das Spiel, das unser Leben verändert hat. Ehrlich. Es blieben noch dreißig Sekunden. Bretts Team war nur fünf Punkte im Rückstand, die Condors hatten den Ball an der 7-Yard-Linie der anderen Mannschaft. In zweieinhalb Jahren waren sie so kurz vor Spielende noch nie so nah dran gewesen. Was keinem groß aufgefallen wäre, angesichts des mit tausend treuen Condor-Anhängern besetzten Stadions. Die Fans waren hin und weg von der neuerdings so krassen Spielweise. Wen störte es da, dass die übrigen zehntausend Sitze leer waren? Ich allein schrie ja schon laut genug für mindestens zweitausend Zuschauer.

Ach, wie gut ich mich erinnere. Es war ein kritischer Augenblick, und Brett hatte sicher eine Strategie im Ärmel, aber welche? Als Allererstes schaute er sich nach mir um. Mein Herz ratterte los, ich erwiderte seinen Blick und winkte wie eine Irre – so stolz, so verliebt. Ich sah es ihm an – er hatte einen absolut wahnsinnigen Plan. Und genau das gefiel mir doch so an ihm: sein Wahnsinn. Diesen Touch von Wahnsinn muss man haben, damit die Chemie so stimmen kann wie zwischen uns. Ob Sieg oder Niederlage – ich wusste genau, wir nahmen die Dinge, wie sie kamen, schon immer, seit wir uns in der Highschool kennengelernt hatten. Zugegeben, der Sex war besser, wenn wir gewonnen hatten, aber gut war er immer. Ein Mädchen muss ja nicht jedes Mal auf dem Küchenfußboden, dann auf dem Sofa im Wohnzimmer und schließlich auf dem Esstisch genommen werden. Das ist echt nicht nötig. Manchmal hat das Bett genau den gleichen Effekt.

Aber zurück zu Bretts Plan. Beim entscheidenden Spielzug des entscheidenden Spiels am Anfang seiner Coach-Karriere schaffte es Brett, Coach Wells zu überreden, dass der Fullback einen Triple Reverse oder so was Ähnliches machen soll – ein Spielzug, an dem Brett etwa einen Monat lang herumgetüftelt hatte. Drei Querpässe gehörten dazu, wodurch die Defense-Spieler speziell dieser gegnerischen Mannschaft völlig ins Rotieren kommen sollten, weil sie hin- und herrennen mussten und völlig außer Atem kommen würden. Der Spielzug wurde auch total genial ausgeführt – bis der Fullback kurz vor der Torlinie den Ball fallen ließ. Die Condors verloren, aber das machte nichts. Viele Fans waren enttäuscht, als sie nach Hause gingen, aber nicht weiter überrascht, und die Spieler hatten die Gelegenheit, sich solidarisch hinter den unglücklichen Fullback zu stellen, was im Mannschaftssport nicht allzu oft passiert. Irgendwie bekamen sie durch diese knappe Niederlage auch eine Art von Energie, die sie vorher nicht hatten. Als würden sie plötzlich zu einer Einheit verschmelzen und genau die chemische Verbindung eingehen, die Brett und Coach Wells schon die ganze Zeit angestrebt hatten.

Ja, es funktionierte. Ein paar Spieler veränderten sich, der Fullback wurde eingezogen, und Brett und Coach Wells haben jetzt schon seit zwei Jahren kein Spiel mehr verloren. Und die Gesamtlage hat sich … verändert. Ich will ja nicht so tun, als wäre Verlieren besser als Gewinnen – immerhin habe ich Rock ’n’ Roll High School gesehen, deshalb weiß ich verdammt gut, dass Siege besser sind als Niederlagen. Aber ich muss leider sagen, dass es komischerweise nicht mehr so viel Spaß macht wie vorher. Vielleicht weil ich das Gefühl hatte, Brett brauchte mich, als sie noch verloren haben. Als wären er und ich eher ein Team.

Klar, ich habe gewusst, dass es nicht ewig so weitergehen kann mit dem Verlieren. Mir war klar, dass Brett die Sache drehen kann und die Condors von einem Sieg zum nächsten führt. Denn das war er schon immer: ein Siegertyp. UCCC an die Spitze zu bringen, das war – und hier ertönt die Darth-Vader-Stimme – Bretts Bestimmung.

»Ich seh’s schon – sie gewinnen wieder.« Brooke deutet zur Anzeigetafel, auf der die Condors mit 37:8 vorne liegen. »Müssen wir bis ganz zum Schluss bleiben?«

Ich starre aufs Spielfeld und versuche, Brett mit meinem Blick zu hypnotisieren. Ich glaube, er würde es gar nicht merken, wenn ich verschwinde. Dieses Jahr habe ich schon ein paar Spiele verpasst – zum ersten Mal überhaupt –, und er hat sich nicht beschwert. Ich starre so konzentriert, dass mein Blick ein Loch in seinen Hinterkopf bohren würde, wenn ich magische Kräfte hätte. Aber er schaut stur immer in die andere Richtung. Ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass ich keine Hexe bin. Nein, er dreht sich nicht zu mir um.

»Einverstanden«, sage ich. »Hauen wir ab.«

»Und wohin?«, fragt Brooke. »Der Hotdog vorhin hat’s nicht so richtig gebracht.«

»Ins Swingers?«, schlage ich vor, weil ich Lust auf einen Brownie mit Vanilleeis habe.

»Ach, du lieber Gott!«, stöhnt Brooke. »Heute Nacht habe ich genau von so einem Dessert geträumt. Ich schwör’s!«

»Dann ist das eindeutig unsere Bestimmung«, sage ich, und wir gehen zu meinem Wagen.

Darth-Vader-Stimme oder nicht: ich fand das Thema Schicksal und Bestimmung schon immer extrem spannend – womit ich natürlich das Schicksal meine, das wir, mehr oder weniger, selbst bestimmen. Meine Mom hat immer gesagt: »Wenn du nicht wo Blödes landen möchtest, dann lauf nicht in die Richtung. Wenn es dir da, wo du bist, nicht gefällt, dann geh woanders hin.« Den zweiten Satz hätte sie wahrscheinlich lieber nicht in Anwesenheit meines Vaters sagen sollen. Der nahm ihn etwas zu wörtlich.

Mein Vater liebte die Musik, und er wollte auf jeden Fall der nächste Clapton sein – oder der nächste Jimmy Page. Oder Jimi Hendrix. Deshalb änderte er seinen Namen von Brennan zu Foxx, als ich zwei Jahre alt war. (Ein Nachname mit nur einer Silbe und zwei x erschien ihm wie eine Garantie für Ruhm und Reichtum: Sich in Foxx oder Gunn oder Starr umzunennen, war damals überhaupt groß in Mode.) Außerdem verließ er meine Mutter und mich, ohne einen Blick zurück, und folgte seinem Traum, gemeinsam mit der Heavy-Metal-Band Afterbirth. Der Bandname war nicht ohne eine gewisse Ironie, denn ganz offenbar sah mein Vater keinen Anlass, da zu bleiben und abzuwarten, wie ich mich nach meiner Geburt entwickeln würde.

Aber wahrscheinlich bin ich zu streng mit ihm. Dad sorgte für alles – für Namen, Neurosen und Verlustängste. Zum Glück ging ja alles gut. Mich hat meine Mutter großgezogen, und sie hat Doppelschichten gearbeitet, um alles zu finanzieren. Deshalb hatte sie keine Zeit, Männer kennenzulernen, wieder zu heiraten und mir irgendwelche kleinen Geschwister zu schenken. Aber das war okay. Klar, es wäre nett gewesen mit einer Schwester oder einem Bruder, aber meine Mutter und ich entwickelten eine Nähe, die wir unter anderen Bedingungen nicht gehabt hätten. Wir waren ein Team, und mir gefiel das: wir gegen die Welt, auch wenn die Welt von unserem Kampf natürlich nichts ahnte. Früher habe ich gehofft, dass Brett und ich auch so ein Team bilden und dass er uns zum Superbowl des Lebens führt – um zur Abwechslung mal eine der Football-Metaphern zu klauen, die er und sein Freund Wells, der Coach, so gern verwenden. Aber zur Zeit kommt mir das eher unwahrscheinlich vor.

Als ich ungefähr sieben war, dachte ich einmal, ich sehe meinen Vater. Es war in der Arkade am Santa Monica Pier. Ich erkannte ihn an seinen dünnen Fußgelenken. Eigentlich hatte ich kaum Erinnerungen an ihn, aber weil er immer Karottenjeans trug, fielen seine schmalen Knöchel besonders auf, auch weil sie gar nicht zum Rest seiner athletischen Figur passten. Er spielte Skee-Ball, dieses widerlich frustrierende Spiel, bei dem man einen Holzball eine Bahn entlangrollen muss, dann eine kleine Rampe hinauf und in ein Bullauge mit fünf Löchern. Wenn man das kleinste Loch trifft, kriegt man am meisten Punkte. Ich erinnere mich deswegen so genau an diese Szene, weil Dad etwas auf den Schultern trug: ein kleines Mädchen, das eigentlich ich hätte sein müssen. Der Mädchen sah überhaupt nicht so aus wie er und gehörte wahrscheinlich seiner Begleiterin, einer dürren Blondine mit Schleierblick und einem heiseren Lachen, das sie immer dann von sich gab, wenn ihr Nachwuchs fast von dem tollen Aussichtsplatz heruntergerutscht wäre.

Ich zupfte meine Mutter am Ärmel und zeigte auf das muntere Trio. »Ist das da drüben mein Dad?«, fragte ich sie.

»Nein, Schätzchen«, antwortete sie. »Das ist überhaupt nicht dein Vater.« Aber als wir rausgingen, spuckte sie ihn an. Man kann also zu der Mitgift, die mein lieber Vater mir hinterlassen hat, auch noch Halluzinationen hinzufügen.

 

Im Swingers bestellen Brooke und ich sofort ein Brownie Sundae für uns beide, dazu zwei Tassen Kaffee. Mir fällt auf, dass ich viel mehr von unserem Nachtisch esse als Brooke, obwohl sie doch angeblich davon geträumt hat.

»Ich muss auf meine mädchenhafte Figur achten«, sagt sie. »Wie soll ich sonst irgendeinen armen Trottel dazu bringen, mich zu heiraten?«

»Wie wär’s mit Liebe?«

»Klar. Funktioniert das bei dir?«, erwidert sie.

»Ja, ausgezeichnet«, lüge ich. Das heißt, eigentlich ist es gar nicht gelogen – auch wenn ich zugeben muss, dass sich in letzter Zeit alles etwas gestört anfühlt. Ich kann das nur der Tatsache zuschreiben, dass wir uns der Halbzeit nähern und Brett in dieser Phase besonders gestresst ist, und das wird immer schlimmer. Was ich gut verstehe.

Die Bedienung kommt vorbei und gießt uns Kaffee nach. Brooke und ich, wir sehen beide, dass auf ihrem Namensschild America steht, aber Brooke hat kein Über-Ich, das ihr sagt, dass sie den Mund halten sollte.

»America?«, sagt Brooke. »Heißen Sie wirklich so? Als ich klein war, hatten wir ein Dienstmädchen, das America hieß.«

»Brooke!« Ich versinke in meinem Sitz. Mit einem stummen Lächeln bitte ich die Kellnerin um Verzeihung, aber sie funkelt uns böse an und entfernt sich wortlos.

»Was denn? Mir gefällt der Name. Das war doch ein Kompliment.«

»Ich glaube nicht, dass sie deine Bemerkung als Kompliment aufgefasst hat.«

Brooke hat ein schlechtes Gewissen, das merke ich. »Ich habe America geliebt, wenn dir das ein Trost ist«, murmelt sie. »Oder vielleicht fand ich es auch einfach nur toll, ein Dienstmädchen zu haben. Das war supercool. Meine Mutter war damals mit Lance verheiratet, und wir haben im Roxbury Drive gewohnt. Ach, das waren noch Zeiten. Dieser Lance hatte irre viel Kohle. Schade, dass er dann auf einmal schwul wurde. Mann, ich fand das so klasse mit einem Dienstmädchen. Ach, America, wo bist du geblieben?«

Ich schaue mich um. Hoffentlich ist unsere Bedienung nicht in Hörweite. Es wäre mir megapeinlich, wenn sie dauernd ihren Namen hören müsste. »Komm, wir gehen«, sage ich.

Ich kann Leute, die gemein sind zur Bedienung, eigentlich nicht ausstehen. Sie nerven mich ohne Ende. Ich weiß, dass Brooke es nicht böse meint, aber manchmal ist sie schon extrem taktlos. Bei mir ist diese Empörung eine automatische Reaktion, weil ich quasi im Restaurant aufgewachsen bin: Meine Mom arbeitete im Carlo’s Pizza and Trattoria. Es war allerdings eher eine Pizzeria als eine Trattoria – zum Beispiel wurden die Pappteller vom Fett ganz durchsichtig, man musste die Bestellungen über das allgemeine Getöse und Gebrabbel hinweg brüllen, und die Gäste waren alle ziemlich schäbig angezogen. Aber durch den Namen brachte Carlo, der Besitzer, die Kneipe auf ein höheres Niveau. Im Rückblick bin ich mir ziemlich sicher, dass er nicht mal Italiener war.

Meine Mom arbeitete dort, seit ich zwölf war. Meine Hausaufgaben habe ich fast immer im Carlo’s gemacht, ich habe die meisten meiner Mahlzeiten dort gegessen und mein Grundstudium in Menschenkenntnis absolviert, weil ich zwei Jahre lang als Lieferfahrerin arbeitete, nachdem ich endlich meinen Führerschein gemacht hatte. Davor habe ich gelernt, was man als Bedienung alles können muss, habe begriffen, dass die Leute keinen miesen Trick auslassen – und dass sie auch damit durchkommen, wenn man sie lässt. Sie schubsen dich herum, bis du zurückschubst, und das hat mir niemand so deutlich vor Augen geführt wie die Gäste im Carlo’s.

Ich möchte hier nicht endlos irgendwelche Anekdoten ausbreiten, weil sie größtenteils banal sind, aber ich muss kurz erwähnen, dass »Behalten Sie den Rest« sehr irreführend sein kann. Man begreift erst, was das Wort peinlich bedeutet, wenn man mit zwei Dollar und 87 Cent abzieht und einem irgend so ein Typ nachruft: »Hey, wo wollen Sie hin? Ich habe gesagt, das Kleingeld können Sie behalten.« Also nur die Münzen. Eine andere Variante ist die Rechnung, die sich auf neunzehn Dollar und 39 Cents beläuft, und der Gast gibt einem einen 20-Dollar-Schein und sagt: »Keine Sorge – stimmt so.« Okay: a) Was bringt dich auf die Idee, dass ich mir wegen 61 Cent Sorgen mache? Und b) Ich mache mir tatsächlich Sorgen, wenn das mein gesamtes Trinkgeld sein soll. Ich möchte mir nämlich ’ne Kinokarte kaufen, keine Briefmarke.

Aber trotz der nervigen Gäste und obwohl ich meiner Mutter immer die Ohren vollgejammert habe – stundenlang, bis mir nichts mehr einfiel, worüber ich mich beklagen konnte –, würde ich das alles noch mal machen, ja, ich würde es sogar noch tausendmal machen, wenn ich nur wieder mit meiner Mutter lachen könnte. Wir haben so oft über meine ewigen Job-Nörgeleien gelacht. Mom bekam kleine Fältchen um die Augen, wenn sie loskicherte, und sie schüttelte dann immer den Kopf, als wollte sie es nicht lustig finden, um nicht lachen zu müssen – weil sie ihre Lache peinlich fand. Aber sie war ganz toll.

Meine Mutter – meine wunderschöne, ständig überarbeitete Mom – ist an Brustkrebs gestorben, als ich in der zehnten Klasse war. Damals dachte ich, mein Leben ist auch zu Ende. Ohne Brett und seine Familie wäre es vielleicht auch so gewesen. Als Mom die Diagnose bekam, waren Brett und ich seit etwa acht Monaten zusammen. Brett war übrigens einer der wenigen Jungen, die am Anfang nicht mit einem Clapton-Spruch daherkamen; seine Musikkenntnisse hätten dafür gar nicht ausgereicht.

Als Mom starb, waren wir fünfzehn Monate zusammen. Die Fosters haben mich aufgenommen, als würde ich zur Familie gehören. Ich wohnte eine Woche lang bei ihnen, gleich nach dem Tod meiner Mutter, weil ich nicht allein sein wollte, und ich schaffte es nie ganz, wieder auszuziehen. Es wurde nicht offiziell besprochen, auch deswegen, weil alle immer dachten, mein verschwundener Vater würde sich melden, aber nach einer Weile hatte man den Eindruck, ich wäre dort auf die Welt gekommen. Wir waren ein neues Team. Wir alle miteinander. Ich fand das schön.

Ich wohne also seit der Highschool mit meinem damaligen Freund und heutigen Ehemann zusammen. Das heißt, ich bin entweder total cool oder total provinziell. Aber egal, wie man es sieht – wir waren ein Paar, bis zum Ende der Schule, dann gingen wir auf dasselbe College, und geheiratet haben wir gleich nach dem Examen. Ginny, Bretts Mom, ist super. Ich kann mir keine bessere Ersatzmutter vorstellen. Seine Schwester Trish war meine Brautjungfer, und Bill, sein Vater, hat mich zum Altar geführt. Trish und ich, wir haben unseren eigenen Tierfotoladen eröffnet, ich bin die Fotografin beziehungsweise Produktentwicklerin beziehungsweise Kundenkontaktperson, und Trish ist zuständig für Marketing beziehungsweise Rechnungswesen beziehungsweise Mädchen für alles.

Ich habe schon immer gewusst, dass ich was mit Tieren machen will, aber dass ich mal Tierfotografin werden würde, war mir nicht klar. Mein erster Vorstoß in die Welt der Tiere war am Miller Animal Hospital. Ich hatte beschlossen, Tierärztin zu werden, aber vor dem Studium wollte ich den Job austesten. Ich bekam eine Stelle als Veterinärhelferin. Nur in der Nachtschicht, aber trotzdem griff ich begeistert zu, weil ich hoffte, mich als engagierte zukünftige Tierärztin beweisen zu können.

In meiner ersten Nacht kam um ein Uhr ein Anruf von einer Frau, die total in Panik war, weil ihr Hund jeden Blickkontakt verweigerte. Während des Telefongesprächs rief sie dauernd zwischendurch: »Edgar, Edgar!«, was bei ihr wie »Ed-gaaah, Ed-gaaah!« klang, weil sie einen hemmungslosen New Yorker Akzent hatte. »Sehen Sie? Er will mich einfach nicht anschauen!« Ich sah natürlich gar nichts, weil ich ja mit ihr telefonierte.

»Haben Sie vielleicht etwas getan, wodurch Sie sein Vertrauen zerstört haben könnten?«, fragte ich. »Mein Hund wollte mal nichts mehr mit mir zu tun haben, weil ich sein normales Hundefutter gegen das Zeug in der blauen Tüte ausgetauscht habe.«

»Ich habe aber nicht das Futter gewechselt!«, protestierte sie. Und schon wieder rief sie: »Ed-gaah!«

»Haben Sie einen Hut aus Schinken? Ich wette, damit könnten Sie ihn locken.«

Sie besaß keinen Schinkenhut und fand meinen Vorschlag deshalb nicht besonders brauchbar. Weil mir aber nichts Besseres einfiel, schlug ich vor, sie soll ihren Hund doch einfach mal vorbeibringen. Mir war klar, dass dem armen Tier nichts fehlte – aber in der Klinik war nichts los, ich langweilte mich, und diese Frau war meine erste Klientin. Oder Patientin. Außerdem kann man mich zu jeder Tages- und Nachtzeit mit jeder Art von Hund besuchen.

Etwa 25 Minuten später erschien die Dame, eine Duschkappe auf dem Kopf, die Reste ihrer Coldcream am Haaransatz. Sie stellte Edgar, eine Shar-Pei-Terrier-Mischung, auf die Anmeldung. Kein Hund kann es ab, wenn er anderthalb Meter über dem Boden auf einer schmalen Fläche balancieren soll. Edgar sah aus wie ein zitternder Don Knotts. Und wie es sich für einen halben Shar-Pei gehört, hatte sein Schlabbergesicht unzählige Falten, die gnadenlos auf seine Augen drückten. Man fragte sich, ob er überhaupt irgendwas sehen konnte. Durch diese Falten bekam man den Eindruck, als wäre er von Frauchen höchstpersönlich ausgebrütet worden, denn die hatte ebenfalls einen gewaltigen Hautüberschuss im Gesicht. Ihren Lippenstift will ich lieber gar nicht erwähnen, weil ihr Mund aussah, als hätte sie fettes Clowns-Make-Up aufgetragen.

»Ed-gaaah!«, zeterte sie, »Ed-gaaah!« Keine Reaktion.

Ich startete ebenfalls einen Versuch und flötete: »Edgar?« Auch keine Reaktion. Da kam mir die Idee, es mit der anderen Aussprache zu probieren. »Ed-gaaah?«

Das klappte. Edgar schaute mich an. Somit war bewiesen: Blickkontakt war nicht das Problem, und taub war der Hund nicht.

»Ma’am«, begann ich, »ich denke … äh, ich würde sagen, er hat mich gerade angeschaut. Deshalb nehme ich an, dass er gesund ist. Jedenfalls, was die Augen angeht.«

»Aber warum schaut er mich nicht an?«, quengelte sie.

Darauf wusste ich keine Antwort. Außer vielleicht, dass ihr schriller Brooklyn-Akzent sogar den Hund nervte. Vielleicht wollte das arme Tier erreichen, dass sie möglichst wenig redete. Ich war klug genug, meine Theorie für mich zu behalten. Brooke hätte bestimmt losgeplappert.

»An Ihrer Stelle würde ich mir keine Sorgen machen«, sagte ich, obwohl sie sich offensichtlich längst Sorgen machte, sonst hätte sie ja den guten Edgar nicht hergebracht – auch wenn daran, technisch gesehen, ich schuld war.

»Du und ich«, sagte sie zu dem Hund – was seltsamerweise klang wie »Tu-n-ich« – »wir beide hatten doch noch nie ein Kommunikationsproblem. Warum willst du mich nicht anschauen?«

Leider hatte ich keine Gelegenheit, Edgars Antwort zu hören, falls er eine geben wollte. (Manchmal frage ich mich, ob mir seine Antwort jetzt im Umgang mit Brett weiterhelfen würde.) Dr. Eisen, der diensthabende Tierarzt, war genau in dem Moment von seinem Schläfchen im Hinterzimmer aufgewacht und kam zu uns, weil er wissen wollte, was los war. Seine Augen waren knallrot, weil er den Kopf auf die Arme statt auf ein Kissen gelegt hatte, und durch eine Hemdfalte war ein Abdruck auf seiner Wange entstanden.

Als die Frau ihre Krise schilderte, richteten sich die Augen des Arztes auf mich – und es waren Augen, die sagten: Stimmt das? Sie haben diese Frau aufgefordert, mitten in der Nacht ihr Haus zu verlassen und hierherzukommen, weil ihr Hund sie nicht anschaut? Mir fiel leider keine angemessene Erklärung ein. Edgar bekam das obligate Leckerli, Frau und Hund verließen die Klinik, und Doktor Eisen erläuterte mir in ziemlich feindseligem Tonfall, dass wir außerhalb der offiziellen Sprechzeiten nur Notfälle behandeln. Wenn wir nämlich zuließen, dass sämtliche Irren dieser Welt jederzeit ihre Lieblinge anschleppen durften, dann würden wir das Leben derjenigen Tiere aufs Spiel setzen, die tatsächlich Hilfe brauchten. Danach legte Dr. Eisen sich wieder schlafen.

Keine zwanzig Minuten später kam ein echter Notfall, und es stellte sich heraus, dass ich davon völlig überfordert war. Eine Frau stürmte durch die Eingangstür und ließ sich auf den Boden fallen, ihren hellen Labrador im Arm. Er war von einem Auto angefahren worden, blutete an mehreren Stellen und atmete nur noch flach. Die Frau war in Tränen aufgelöst, und ich würde jetzt gern behaupten, dass ich sie trösten konnte, aber ich hatte mit so was keinerlei Erfahrung, und statt irgendwie aktiv zu werden, legte ich mich zu den beiden auf den Boden und fing auch an zu weinen. Ich heulte und schluchzte im Chor mit der Frau, als wäre es unser gemeinsamer Hund. Natürlich rief ich vorher nach Doktor Eisen, und als der angerannt kam, um den Hund in das Untersuchungszimmer zu bringen, konnte ich seiner vorwurfsvollen Miene entnehmen, dass ich mir gleich die nächste Predigt anhören musste.

»Layla, bitte, kommen Sie mit«, sagte er streng.

Ich stand auf, strich meine Hose glatt und ging hinter ihm her. Ich hielt den Hund fest und tätschelte ihm den Kopf, während Doktor Eisen die Wunden säuberte und nähte. Dabei liefen mir die Tränen übers Gesicht, und mein Brustkorb hob und senkte sich, weil ich so jämmerlich schluchzte. Jedes Mal, wenn ich mich wieder einigermaßen im Griff hatte, schaute mich der Hund mit seinem großen braunen Auge an – es war nur ein Auge zu sehen, weil er auf der Seite lag –, und schon ging’s wieder los.

Nachdem der Arzt dem Hund ein Beruhigungsmittel gespritzt hatte, damit er sich von den Strapazen erholen konnte, forderte er mich auf, doch bitte Platz zu nehmen.

»Layla«, begann er und holte tief Luft – die Art von Luftholen, bei der man gleich weiß, jetzt kommt was Unangenehmes. »Ich freue mich, dass Sie sich bei Ihrer Arbeit so engagieren und dass Sie Tiere offenbar sehr lieben, aber nach allem, was heute Abend vorgefallen ist, glaube ich nicht, dass Sie hier am richtigen Platz sind.«

»Aber –«

Ich wollte mich verteidigen, doch er unterbrach mich. »Es wird noch wesentlich schlimmere Fälle geben, mit viel mehr Blut. Manche Tiere – viele Tiere – kommen nicht durch. Sie müssen belastbar sein.«

»Ich bin belastbar«, sagte ich und streckte die Zunge raus, um auf der rechten Wange eine salzige Träne abzulecken.

Doch das war das Ende vom Lied. Ich wurde gefeuert. Nach einer einzigen Nacht. Ich arbeitete nicht mal eine ganze Schicht – vier Stunden reichten. Eine Ausbildung als Tierärztin stand also nicht auf meiner Agenda. Das war okay, glaube ich. Der verstockte Edgar und meine mitfühlende Anteilnahme am Schicksal eines verwundeten Labradors bewahrten mich vor einer vierjährigen Ausbildung, die ich ans normale Grundstudium hätte dranhängen müssen. Nachdem ich mal so nebenbei im Park ein paar Schnappschüsse von einem Hund gemacht hatte, merkte ich, dass ich das viel besser konnte. Und mit Tieren zu tun hatte es ja auch. Jetzt bin ich am richtigen Platz – jedenfalls arbeitsmäßig. Manchmal ist es gut, wenn man nicht alles bekommt, was man will. Ich finde es gut, dass die Tiere nicht sterben, wenn man sie fotografiert.

 

»Also – du kennst doch dieses ganze Gerede von SUVs und dass sie so wahnsinnig schädlich sind für die Umwelt«, sagt Brooke, während sie den letzten Rest unseres Sundaes löffelt. »Aber wusstest du, dass man einen Megasteuernachlass kriegt, wenn man sich einen Wagen in einer bestimmten Gewichtsklasse kauft und behauptet, man braucht ihn nur für Geschäftszwecke?«

»Das gilt für Farmer«, sage ich.

»Ich meine es ernst. Man bezeichnet diese Autos dann als Kleinlaster, und schon fallen sie in die Kategorie Nutzfahrzeuge. Und du kannst sie praktisch komplett von der Steuer absetzen. Das heißt, im Grunde bekommst du einen kostenlosen Hummer.«

»Essen kannst du ihn trotzdem nicht.«

»Stimmt, aber ich überlege echt, ob ich mir einen kaufen soll.«

»Ich will ja nicht kleinlich sein«, sage ich. »Aber du hast nicht mal einen Job. Ich würde annehmen, man braucht ein Business oder wenigstens einen Job, damit man was von der Steuer absetzen kann.«

»Ja, klar. Ich arbeite an dem Problem. Aber einfach ist das nicht. Geniale, charismatische Alleskönner werden heutzutage nicht mehr eingestellt.«

»›Alleskönner‹?«, wiederhole ich. »Ist das zur Zeit deine Selbstvermarktungsstrategie?«

»Nicht alle Menschen wissen schon mit zwei Jahren, was sie mal werden wollen. Wir können nicht alle in unserer Highschool-Traumwelt weiterleben, Layla.«

Wenn Brooke meinen Namen sagt, weiß ich, dass sie irgendwie sauer auf mich ist. Sonst nennt sie mich Lay oder Baby oder Mädel. Aber »Layla« bedeutet: Jetzt wird’s ernst. Jetzt stänkert sie gleich gegen meine Ehe mit Brett.

Als ich meine berufliche Laufbahn einschlug, zog Brett ziemlich schnell nach. Er konnte ja nicht ewig zuschauen, wie Trish und ich mit den Tieren spielten – und wir konnten es nicht ewig hinnehmen, dass er, bevor wir den perfekten Schuss im Kasten hatten, ein paar Sekunden lang unsere Motive mit Salami-Happen ablenkte. Brett wollte seinen Traum verwirklichen – wenn auch anfangs auf eher bescheidenem Niveau. Er ging zurück zur Hamilton High, unserer ehemaligen Schule, und bekam einen Job als Assistent seines alten Mentors, Frank Wells. Dieser erklärte, er selbst werde sich von jetzt an vor allem auf die Offensivtaktik konzentrieren, weil das seine wahre Leidenschaft war, und machte Brett zu seinem Defense-Koordinator und zum Junioren-Coach. Brett war einverstanden. Am Anfang war das Ergebnis ihrer Zusammenarbeit auch hier ziemlich mies, aber dann kam der fast märchenhafte Erfolg. Gemeinsam führten sie die Mannschaft zur Meisterschaft, und das drei Jahre nacheinander. Danach gingen die beiden dazu über, an der UCCC zu coachen. Ich hab ja schon erwähnt, worauf es letzten Endes hinauslief: Sie gewannen.

Brett. Jeder weiß das – er ist ein phantastischer Coach und Defense-Koordinator. Für die meisten in seiner Mannschaft ist er der kluge große Bruder, wenn nicht sogar der gute Vater. Aber Brett unterscheidet sich von der übrigen Menschheit vor allem durch einen ganz bestimmten Charakterzug, den manche Leute als seine größte Schwäche bezeichnen würden, weil seine Visionen so verrückt sind: Brett denkt immer im großen Maßstab. Immer. Deshalb treibt er seine Spieler nicht nur zu sportlichen, sondern auch zu intellektuellen Höchstleistungen an. Er weiß, dass man beides braucht und dass sich in der besten aller Welten die zwei Seiten perfekt ergänzen.

So war er schon immer. Er ist eine Mischung aus Spinner und Wunderkind. In der Highschool war er der große Football-Star – und mit Star meine ich, er war die Sonne, um die sich alles dreht, der Mittelpunkt des Universums. In der Geschichte unserer Schule wurde er von mehr Colleges umworben als sonst irgendjemand. Er war der Typ, über den man in der Zeitung liest und dessen Eltern praktisch jeden Abend mit einem anderen College-Scout am Tisch sitzen und Hackbraten essen – und um Mitternacht müssen die armen Eltern die Anrufe der anderen Scouts abwimmeln, die leider nicht das Glück hatten, einen Platz am Esstisch zu finden. Aber insgeheim war er auch Chefredakteur eines wöchentlichen Berichts über Profi-Football-Scouting, den er vom Keller seiner Eltern aus selbst produzierte und vertrieb, bis die NFL ihm eine Unterlassungsklage ins Haus schickte. Seine Beobachtungen trafen so genau ins Schwarze, dass die Leute bei der NFL den Verdacht hatten, er habe in jeder Kabine der Liga seine Informanten. Sie ahnten nicht, dass Brett überhaupt nicht der Typ ist, der Informanten braucht.

Im College war er auf dem Weg zum Profi, aber eine Zukunft mit Superbowl-Ringen, Knienarben und profitablen Werbeverträgen blieb ihm erspart, weil seine Achillessehne riss. Ich glaube, dass er bis ans Ende seiner Tage irgendwo in seinem Inneren eine imaginäre Seitenlinie entlangrennt und auf den perfekten Wurf wartet, den er fängt und in die Endzone des Lebens trägt, zum entscheidenden Touchdown.

Nach der Verletzung hat er jedenfalls genau das versucht. Es gibt ein perfektes Beispiel, an dem ich zeigen kann, wie das bei ihm läuft und dass er sich ständig Probleme einhandelt, weil er in größeren Zusammenhängen denkt. Ich meine den Protein-Riegel, den er vom Sportzentrum aus campusweit anbot, ohne Genehmigung. »Foster-Riegel« nannte er ihn. Er recherchierte, welche Zutaten gesund sind, und entwickelte dann gemeinsam mit ein paar Typen einen Snack, den praktisch jeder mochte. Extrem erfolgreich. Der Snack verkaufte sich in der ganzen Gegend hervorragend, bis der Chef der Sportfakultät irgendwie ein verdorbenes Exemplar erwischte und die Riegel-Produktion verbot. Brett wurde das Opfer seiner eigenen genialen Idee: Er stolperte, weil er eine steigende Nachfrage bedienen musste und Geschäfte mit einem fragwürdigen Händler machte, der seine Ware in einem Laster ohne Aufschrift ankarrte. Wie sich herausstellte, war es überschüssiges Regierungs-Granola, bei dem das Verbrauchsdatum abgelaufen war. Brett hätte es wissen müssen. Welches Regierungsmitglied isst schon Granola?

Aber dieses Debakel gehört längst der Vergangenheit an. Jetzt ist Brett obenauf. Er coacht wie ein tanzender Derwisch, und seine unternehmerische Seite lebt er ebenfalls aus. Er treibt sich auf der Craigslist herum und sucht Designer, die ihm helfen können. Oder jedenfalls behauptet er das. Er glaubt, der nächste große Coup ist seine preisgünstige Sportunterwäsche, die man demnächst dann bei jedem Discounter kaufen kann. Die erste echte Konkurrenz zu Under Armour. Wäsche, die man auch bezahlen kann.

Klar – er wird es noch weit bringen. Was er anpackt, läuft. Ein klasse Typ, lustig, charmant, kompetent – man versteht sofort, warum ich mich mit ihm und seiner Familie zusammentun wollte, als Team. Aber wahrscheinlich hat bis jetzt niemand so recht kapiert, weshalb ich sauer auf ihn bin.

Außer Brooke. Sie versteht es manchmal sogar ein bisschen zu gut. Sie zwingt mich, auch den Dingen ins Auge zu blicken, die ich lieber übersehen würde. Ich weiß, sie will nur mein Bestes. Falls ich das mal vergessen sollte, erinnert sie mich daran, wenn sie mich zum Abschied umarmt. Und dann zeigt sie mir den Mittelfinger.

Brett

Ich sag ja nicht, sie soll wieder diese Mütze aufsetzen, die mit dem Schnabel vorne dran. Das Ding fand ich, ehrlich gesagt, schon immer ein bisschen übertrieben. Aber wenn die eigene Frau sich während eines Spiels rausschleicht und denkt, man merkt es nicht? Das ist ja, als würde ich es nicht merken, wenn Layla behauptet, sie ist siebenundzwanzig. Machen wir mal lieber neunundzwanzig draus, oder? Wir stehen beide am Rand des großen Drei-Null-Abgrunds, und da hilft es nichts, sich zu verstecken. Keine Ahnung, was das ist mit den Mädels und ihrem Alter, aber eine ehrliche Antwort kriegt man von keiner.

Ich erkläre mal, wie’s geht: Man nimmt das aktuelle Jahr, zieht davon das Jahr ab, in dem man geboren wurde, und schon hat man sein Alter. Da gibt’s keine Probezeit, keine zwei Jahre Nachlass wegen guter Führung, und anders als sonst fast überall gibt’s auch keinen Tittenbonus.

Wie kann es sein, dass alle Mädchen, die in meiner Klasse waren, plötzlich zwei Jahre jünger sind als ich? Du willst Offenheit und Ehrlichkeit in deiner Beziehung, und das Erste, was du machst, ist, dass du das falsche Alter angibst? Hat das irgendwas mit der Angst vor dem Tod zu tun? Glaubst du, der Sensenmann rechnet nicht selbst noch mal nach? Übers Alter lügen ist, wie wenn man über sein Einkommen oder seine Penislänge lügt. Irgendwann kommt die Wahrheit ans Licht. Ich lüge bei so was jedenfalls nie.

Aber sonst lüge ich schon manchmal – muss man, wenn man glücklich verheiratet bleiben will. Leute, die sagen, man muss hundert Prozent ehrlich sein, waren noch nie in einer längeren Beziehung. Und mit »längere Beziehung« meine ich, dass man nach den ersten drei Monaten noch echt miteinander redet. Es ist kindisch und im Grunde eine Beleidigung, wenn Leute so hochmoralisch daherkommen mit ihrem »Ich lüge nie«. Und da meine ich nicht nur das übliche »Nein, da siehst du nicht dick drin aus«, »Nein, ich finde deine Freundin nicht scharf« und »Ja, ich werde dich immer attraktiv finden, auch wenn dir drei Haare am Kinn wachsen und dein Busen bis in die Hose hängt«. Über so was müssen wir gar nicht erst reden. Was ich meine, ist: Du musst lügen, dass sich die Balken biegen, sonst wird dein Leben zur Hölle. Vor allem, wenn deine Familie irgendwie mit reinspielt. Und Layla? Sie gehört viel mehr zur Familie als die Durchschnittsehefrau. Sie gehört wahrscheinlich mehr zur Familie als je irgendeine Frau in der Geschichte der Ehe.

Layla ist für meine Mutter das, was Trish, meine lesbische Schwester, nie sein konnte: ein richtiges Mädchen, immer am Kichern, und vor allem braucht sie eine Mama. Trish und meine Mutter haben ein sehr gutes Verhältnis, aber es ist eben nicht diese elementare Mutter-Tochter-Beziehung wie bei Layla und meiner Mom.

Und für meinen Vater ist Layla das, was jeder Durchschnittsvater, der gern Kalauer erzählt, unbedingt braucht: Publikum. Aber kein Publikum, das immer nur stöhnend die Augen verdreht, wie die typischen Verwandten. Layla findet die abgedroschenen Witze meines Vaters wirklich lustig, und sie lacht jedes Mal darüber. Manchmal fragt sie ihn sogar, ob er einen Witz noch mal erzählen kann, und darauf springt er an wie ein Hund auf ein herumliegendes Steak.

Mein kleiner Bruder Scott? Der betet Layla an. Mich hat er nie so bewundert, wie kleine Brüder ihre großen Brüder bewundern sollten, die Football-Stars sind und gute Ratschläge geben können, wenn es um Mädchen, Schule oder CDs geht. Für ihn war Layla schon immer eine Göttin, und er kann es bis heute nicht fassen, dass sie sich mit einem normalen Sterblichen wie mir zufriedengibt. Natürlich wohnt er noch zu Hause, spielt World of Warcraft online und malt halbnackte Dämoninnen mit Laylas Gesicht – für seine Kurse an der Kunsthochschule Medina, behauptet er. Ich wünsche ihm viel Glück. Aber ich hab ihn schon irgendwie gern, den kleinen Perversling.

Ich höre mich vielleicht an wie ein Arschloch, wenn ich das hier alles einfach so raushaue, und ich habe auf jeden Fall in meinem Leben schon mehr als genug Fehler gemacht, aber an seinen Fehlern wächst man, oder? Wir lernen aus dem, was wir verkacken. Der Charakter definiert sich durch die Entscheidungen, die man unter Druck fällt. Und in letzter Zeit läuft auf dem Soundtrack in meinem Kopf »Under Pressure« von Bowie und Queen in einer Dauerschleife.

Ich brauche keine Seidendessous – also, dass sie welche trägt, nicht ich. Um ehrlich zu sein, keine der beiden Möglichkeiten ist je zur Sprache gekommen. Aber in meinem nöligen kleinen Hirn treibt sich ein vager Verdacht herum, dass Laylas nächtliche Uniform, bestehend aus meinen alten Boxershorts und einem fleckigen T-Shirt, nicht unbedingt dazu gedacht ist, mich scharf zu machen. Ich weiß nicht genau, wann der Schalter umgelegt wurde und sie aufgehört hat, zueinander passende BHs und Höschen zu kaufen, um stattdessen so was zu tragen. Und natürlich muss sie keine ultraknappe Reizwäsche anziehen und jeden Abend vor dem Schlafen eine Tanznummer für mich aufführen. Aber es gab Zeiten, da hat sie so was gemacht. Wie soll ich es also einfach ignorieren, wenn sie damit aufhört?

Es ist ja nicht nur, dass die Spitzenunterwäsche verschwunden ist – im Grunde macht mir das sowieso nichts aus. Wenn ich einen bestimmten Aspekt rauspicken müsste, der mich in letzter Zeit wahnsinnig macht, dann ist das, wie sie sich meiner Familie gegenüber verhält. Oder sagen wir besser: die Tatsache, dass sie zu jedem gegebenen Zeitpunkt mit mindestens einem Mitglied meiner Familie zusammen ist. Ich weiß, zum Teil bin ich selbst dran schuld. Ich habe ihr immer gesagt, sie soll ruhig was mit ihnen machen. Aber es gibt einen Unterschied zwischen »was mit ihnen machen« und »mit ihnen verschmelzen«. Das Memo hat Layla offenbar nie gekriegt.

Soll man nicht eigentlich seine Schwiegermutter hassen? Was hier abgeht, ist doch unnatürlich. Verstößt es nicht irgendwie gegen die Gesetze der Physik? Früher hab ich mich jeden Tag mit meinem kleinen Bruder gestritten. Layla hat sich noch nie mit ihm gestritten. Kein einziges Mal. Na ja, ein Mal vielleicht: Er war sauer, weil sie für meinen Dad das bessere Vatertagsgeschenk hatte als er. Und jetzt mal ernsthaft, wenn wir schon dabei sind – woher hat sie gewusst, dass mein Vater diesen elektrischen Krawattenhalter so toll finden würde? Stundenlang hat er zugeschaut, wie das Ding rotiert, als wäre er ein Baby, das auf ein Mobile überm Gitterbett starrt.

Früher war das nicht so. Früher habe ich mich nicht andauernd über sie geärgert. Im Gegenteil, da kam ich mir in ihrer Gegenwart unbesiegbar vor. Vor ein paar Jahren war mein Football-Team eine einzige Katastrophe – wir haben ständig verloren, und das war richtig blöd für mich, weil Coach Wells und ich vorher mit unserer Highschool-Mannschaft nur gewonnen hatten –, aber weil Layla da war, habe ich mich trotzdem irgendwie als Sieger gefühlt. Man kann es komisch finden, aber das große Wunder, auf das wir gewartet haben, war eine knappe Niederlage nach einem verrückten Spielzug, den ich mir ausgedacht hatte, aber bei einem kleinen College, das die Leute nicht mit Stipendien ködern darf und mit Spielern, die bei den meisten Gegenmannschaften nicht mal die dritte Geige spielen würden … tja, da nimmt man, was man kriegen kann.

Manche Leute haben gesagt: »Jedes Mal, wenn die Condors kurz davor sind zu gewinnen, fällt ihnen irgendwas Neues ein, wie sie im letzten Moment doch noch verlieren können.« Aber Layla hätte so was nie gesagt. Sie hat mir das Gefühl gegeben, dass alles möglich ist. Sie war da, direkt hinter mir am Spielfeldrand, mit dem rot-senfgelben Trikot, das immer aus einem Meer von Grün und Grau herausstach. Dazu die Mütze mit dem Schnabel. Layla hat ein so großes Herz, dass jeder in ihrer Nähe sich wünscht, er wäre sie. Und eine Figur, bei der jeder von meinen alten Kommilitonen sich wünscht, er wäre ich.

Um sie herum kreist immer, wie ein persönlicher Fanclub, eine Gruppe von vier Leuten, die denken, die Sonne scheint ihr aus dem … na ja, jedenfalls kommt’s einem so vor, als würden diese vier Leute – meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und mein Bruder – Layla manchmal fast mehr lieben, als ich sie liebe. Layla hat meine Verwandten dazu gebracht, dass sie zu meinen Spielen kommen, auch als wir mit unserer rekordverdächtigen Niederlagenserie nicht gerade ein Publikumsmagnet waren. Sie ist die Art von Mensch, die so durch und durch gut ist, dass es einen schon fast nervt, weil man selbst im Vergleich so fies wirkt.

Ich weiß noch, einmal, nach einer besonders schlimmen Niederlage – noch so ein Spiel, bei dem wir eigentlich kurz davor waren zu gewinnen –, hat sie eine Handvoll unserer treuesten Fans zusammengetrommelt, damit sie direkt vor der Umkleidekabine warteten und unseren Spielern zujubeln, als die total niedergeschlagen vorbeigelatscht sind. Und ich kann es beschwören – als die Spieler dann in den Bus stiegen, da hat jeder in der Mannschaft den Kopf ein bisschen höher getragen.

Als meine Großmutter alt und krank wurde, war es Layla, die still bei ihr saß, ein verständnisvolles Lächeln auf den Lippen, während Mimi fluchte und schimpfte – über die sackdummen Demokraten, die dreckigen Europäer und die Pflegerin, die angeblich ihre Lieblingsperücke gestohlen hatte. Sechs Monate ging das immer so weiter, und der Rest der Familie gab auf, aber Layla hielt noch ein weiteres Jahr durch. Es stimmt: ein Jahr. Zwölf Monate. Das muss ihr mal einer nachmachen!

Irgendwann hat sie sich in den Kopf gesetzt, mit der Mannschaft müsse man anders reden, und eine große Besprechung organisiert. Sie hatte sich angehört, was für Vorstellungen ich habe, und dann hat sie den Spielern verklickert, dass sie nicht spielen wie ein Team – und dass sie ihre Sorgen und Nöte ansprechen müssen, um sie zu überwinden. Ich wollte mir gerade den Arsch ablachen, hab mir Footballspieler vorgestellt, die »ihre Gefühle mitteilen«, da höre ich auf einmal, wie ein paar Erstsemester gestehen, dass sie stocksauer sind, weil sie nie spielen dürfen, und andere Erstsemester beschweren sich, weil die Älteren ihnen dauernd irgendwelche Streiche spielen, und ein paar von den Älteren sind wütend auf bestimmte Typen, die immer nur an sich selbst denken … und, siehe da, die Spieler fingen tatsächlich an, miteinander zu kommunizieren. Kurz darauf haben sie dann auch alle zu John Simms gehalten, unserem Fullback, nachdem der an der Torlinie den Ball verloren hat – und es kann schon sein, dass sich die Mannschaft aufgrund dieser Versammlung zusammengerauft hat.

Ja, Layla war immer da, sie stand hinter mir, hat mich unterstützt. Und ich muss sagen, es hat mir geholfen zu wissen, dass ich am Ende, egal ob Sieg oder Niederlage, nach Hause komme zur süßesten, liebsten, verrücktesten und schärfsten Frau weit und breit. Hört sich kitschig an, ich weiß, aber ich hatte echt ein irres Glück, dass sie meine Frau wurde, oder?

Ich habe Layla in der Highschool kennengelernt. Sie war ein Kumpel von meinem Freund Doug. Sie hatte dunkle, gewellte Haare, und über ihren Nasenrücken ging dieser Bogen von Sommersprossen, was ich total niedlich fand. Sie hat’s gehasst – dass sie Sommersprossen hatte, meine ich, nicht dass ich es süß fand. Und in ihren Augen waren ein paar kleine, goldene Tupfer, die hatten die gleiche Farbe wie ihre Haare, wenn die Sonne darauf schien. Und ihr Lächeln? Als wüsste sie irgendein Geheimnis, und man will unbedingt rausfinden, was es ist. Ich war sofort hin und weg von ihr. Was Layla romantisch fand. Nicht so nett fand es allerdings Claudine DeMarco, meine damalige Freundin.

Ich wollte niemanden betrügen, und ich wollte auch nicht lügen (und hab dann schnell gelernt, was für ein Fehler das ist), also habe ich mich nach der fünften Stunde mit Claudine hingesetzt und ihr gesagt, dass mit uns Schluss ist. Sie schrie und schimpfte mindestens eine halbe Stunde lang. Ich kam sehr spät zum Geometrieunterricht. Ich saß nur da und hab Claudine zugehört – war ja das Mindeste, was ich für sie tun konnte –, wie sie winselte und heulte, und dann hat sie sich die triefende Nase am Ärmel abgewischt, aber nur, um mich danach noch weiter anzuschreien. Die Tränen liefen ihr in schwarzen Wimperntuschesturzbächen übers Gesicht, und sie hat nicht aufgehört, bis ihre Augen ganz verquollen waren und ihre Stimme klang, als wäre das Wort »heiser« extra für sie erfunden worden. Es war der Wahnsinn. Irgendwann war aber doch Schicht. Sie putzte sich endgültig die Nase, schüttelte sich und schaute mich einen Moment lang durchdringend an. Dann hat sie mit der linken Schulter gezuckt und mir in aller Seelenruhe hingeworfen: »Ich hätte dir einen blasen sollen, was?«

Ich bin immer noch stolz auf mich, dass ich es schaffte, nicht mit »Aber so was von!« zu antworten. Aber das Schlussmachen hatte echt nichts mit dem nicht gehabten Oralverkehr zu tun. Da hat noch was ganz anderes gefehlt. Etwas, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass es das überhaupt gibt auf dieser Welt. Bis ich Layla getroffen habe.

Aber wäre schon cool gewesen, wenn Claudine es mir oral gemacht hätte.

Am Anfang waren wir eine Clique: ich, mein Kumpel Doug (der immer viel zu sehr der Clown war, um eine Freundin zu finden, damals – inzwischen macht er IT-Zeug, und ich sage immer, dass das für Frauen genau so attraktiv ist wie die Clownsnummer, aber jetzt hat er gerade geheiratet), Steve, Steves Freundin Michelle und Layla. Wir fünf hingen immer zusammen rum, beim Mittagessen und jeden Tag nach der Schule. An den Wochenenden haben wir die Stadt aufgemischt – was im Normalfall hieß, Doug, Steve und ich spielen Videospiele, Layla und Michelle machen sich über uns lustig, und dann gehen wir alle zusammen ins Multiplex, um die neuesten Filme zu sehen. Die Zeit verging, Steve und Michelle trennten sich, Doug zog weg, und aus unserer Fünferclique wurde ein Zweierpasch.

Layla war der erste Mensch, der mich dazu gebracht hat, mich zivilisiert zu benehmen. Dabei hat sie nicht geschimpft oder irgendwelche Regeln aufgestellt. Vor ihr wollte ich mich einfach nicht wie ein Vollidiot aufführen. Es war für mich wichtig, was sie von mir hält, und ich wollte dafür sorgen, dass sie mich auch weiterhin mag.

Anscheinend hat es funktioniert, denn circa fünf Minuten, nachdem wir mit dem College fertig waren, haben wir geheiratet. Ich weiß nicht, ob das die schlaueste Idee war, weil wir beide nie richtig mit anderen zusammen waren. Wenigstens wusste ich, dass sie mich nie zu meinem Nachteil mit irgendjemandem vergleichen konnte. Es war einfach klar: Wir machen das jetzt. Dass ich nicht gerade ein Weltmeister im Durchdenken von spontanen Ideen bin, wusste sowieso jeder. Wir waren vielleicht ein bisschen jung und haben das Ganze vorher nicht konsequent durchgeplant, aber zum Glück hat es für mich funktioniert. Ich musste mir von meinen Kumpels einiges anhören, weil ich so früh und so jung schon unter der Haube war, aber ich wusste, es gab unter ihnen keinen Einzigen, der nicht heimlich in Layla verliebt war, seit sie auf der Bildfläche erschienen war, also nahm ich die ganzen Witze nicht besonders ernst.

Ich wusste, dass ich sie liebe, als sie mich das erste Mal als Arschloch bezeichnet hat. Romantisch, was? Traurig, aber wahr. Sie war der einzige Mensch, der mich zurechtgewiesen hat, wenn ich Scheiße gebaut habe, und sie war gar nicht irgendwie zickig oder ein Kontrollfreak. Sie war einfach ehrlich. Und meistens hatte sie recht – auch wenn ich das selten zugebe.

Ich sage oft, dass ich mit Layla erwachsen geworden bin, aber ich wette, Layla würde sagen, darauf wartet sie bis heute.

Unsere Freunde haben alle mit dem Heiraten erst angefangen, als Layla und ich schon fünf oder sechs Jahre verheiratet und ungefähr zwölf Jahre zusammen waren. Aber bei ihren Beziehungen war irgendwas grundsätzlich anders. Vielleicht, weil bei ihnen nicht sämtliche Premieren des Lebens dazugehörten, die guten wie die schlechten. Weil sie auf einem erwachseneren Fundament beruhten. Aber egal, warum – wenn ich mir meine Kumpel und ihre Ehefrauen anschaue, muss ich immer denken, ob in meiner eigenen Ehe nicht etwas fehlt. Darüber habe ich in letzter Zeit viel nachgedacht.

Nicht, dass mich jemand falsch versteht – ich liebe Layla. Ich weiß, sie ist das Beste, was mir je passiert ist. Ich kann mich auf sie verlassen. Sie ist die absolute Traumfrau. Sie ist auf jeden Fall, hundertprozentig und ohne jeden Zweifel, die Frau, mit der ich den Rest meines Lebens verbringen werde.

Glaube ich.

Sie hätte bis zum Ende des Spiels bleiben sollen.

Layla

Brett kommt nach Hause, und wieder sind die Rollen vertauscht. Diesmal ignoriert er mich. Aber nicht auf die übliche Art. Er stellt sich nicht taub – er ist sauer. Er stolziert durch die Wohnung, und alles, was er macht, wird mit einem lauten Peng abgeschlossen. Er zieht seine Schuhe aus – wumm. Er hängt seine Jacke weg und knallt die Kleiderschranktür zu. Er geht aufs Klo und knallt auch da die Tür zu.

»Tolles Spiel« sage ich, als er endlich rauskommt.

»Ach, ja? Wie ging’s denn aus?«

»Siebenunddreißig zu fünfzehn?«, sage ich, wobei ich am Schluss des Satzes die Stimme leicht anhebe, was man so interpretieren kann, dass ich mir nicht ganz sicher bin. Aber ich habe noch mal nachgeschaut, bevor ich nach Hause gegangen bin. Trotzdem, als er mir die Frage so an den Kopf wirft, bekomme ich Panik und frage mich, ob es vielleicht doch noch ein Field-Goal oder so was gab.

»Du brauchst nicht zu den Spielen zu kommen, wenn du keine Lust hast«, sagt er.

Auf einen Schlag fühle ich mich richtig mies. Ich will ja zu den Spielen. Ich will ihn doch unterstützen. Ich hab ihn immer unterstützt. Ich hatte bloß das Gefühl, dass es ihm inzwischen egal ist. Ist es anscheinend doch nicht.

»Tut mir leid, Schatz«, sage ich und meine es von ganzem Herzen. »Brooke wollte dringend weg, und ich habe gedacht, du merkst es nicht. Ich habe sie schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen, und wir haben immer so viel zu bereden und –«

»Ist schon okay«, sagt er, weil er merkt, dass ich ein schlechtes Gewissen habe. »Es hat mich nur gewundert.«

»Sei mir nicht böse.« Lächelnd gehe ich auf ihn zu. »Wie kann ich das wieder gutmachen?«

Er kommt auch auf mich zu, und ich weiß, er hat mir verziehen. In letzter Zeit war es oft ein bisschen schwierig zwischen uns, aber in solchen Momenten, wenn wir nicht aneinander vorbeireden, sondern einander erreichen, dann ist es wie im Paradies. Das wissen wir beide.

Dass ich Brett liebe, ist mir klargeworden, als er mich zum Grab meines Vaters mitgenommen hat. Ich wusste nicht, wo wir hingehen. Er hat mich einfach nach der Schule entführt. Es war ein verregneter Freitag, und ich hatte eigentlich keinen Bock, etwas zu unternehmen, schon gar nicht gegen meinen Willen und ohne zu wissen, wohin die Reise geht. Wir waren noch zu jung für einen Heiratsantrag, aber alt genug, dass er seine Verführungskünste im Freien ausprobieren konnte, an einem öffentlichen (aber abgelegenen) Ort. Das war, bevor meine Mutter gestorben ist, deshalb war ich mir sicher, als wir zum Friedhof kamen, dass seine Versuche, mir die Unschuld zu rauben, eine neue Stufe erreicht hatten.

»Du willst auf den Friedhof? Ehrlich?« Da stand ich, eine Hand in die Hüfte gestützt, ein spöttisches Lächeln auf den Lippen, eine Augenbraue hochgezogen.

Brett berührte sanft meine selbstsichere Augenbraue, um sie wieder in ihre natürliche Position zurückzuschieben. »Ja, auf den Friedhof«, sagte er und kickte ein bisschen Erde von einem verwitterten Grabstein.