Vor den Toren zum Paradies - Gerd-Uwe Dahlmann - E-Book

Vor den Toren zum Paradies E-Book

Gerd-Uwe Dahlmann

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Beschreibung

Wir schreiben das Jahr 2070. Die Welt ist globalisiert. Zwei Menschen, zwei komplett unterschiedliche Lebensentwürfe: Auf der einen Seite Jenny, eine junge, intelligente und durchsetzungsfähige Frau, die mit ihrem Töchterchen in einer geborgenen identitären Gesellschaft wirken und leben möchte. Auf der anderen Seite Charly, ihr ehemaliger Freund, der die Welt erobern, der den Traum "vom Tellerwäscher zum Millionär" in die Tat umsetzen möchte. Beide kämpfen auf ihre Art ums Überleben: Jenny stemmt sich gegen Vorurteile, Denkfaulheit und Bürokratie, während Charly auf seiner Reise um die Welt zu höchsten Höhen aufsteigt, wieder ganz nach unten stürzt und manchmal nur noch sein nackes Leben in Händen hält. Finden beide wieder zueinander? Ein spannender Abenteuer- und Politthriller, in dem auch der nötige Schuss Erotik nicht fehlt!

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Gerd-Uwe Dahlmann

Vor den Toren zum Paradies

Das Leben unserer Kindeskinder

© 2016 Gerd-Uwe Dahlmann

Lektorat: Dr. Matthias Feldbaum, Augsburg

Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN

Paperback:

978-3-7345-6128-3

E-Book:

978-3-7345-6129-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Anleitung zum Buch

Wir befinden uns einige Generationen in der Zukunft. Große Teile der Menschheit leben in Armut oder am Rande der Armut. Die Megareichen, genannt auch die „Hundert Familien“, haben erkannt, dass der Besitz von Fabriken, Banken, Minen, großen Ländereien, aber auch von Aktien gegen die aufbegehrenden Menschenmassen nicht mehr haltbar ist. Sie haben beschlossen, unter Zuhilfenahme der ihnen gehörenden und von ihnen gleichgeschalteten Medien weltweit den Sozialismus einzuführen. Fabriken, Banken, Minen und Ländereinen werden verstaatlicht. Die vormaligen Besitzer werden abgefunden und in Raten über 99 Jahre mit Zinsen und Zinseszins ausgezahlt, was in erster Linie den Hundert Familien für 99 Jahre Reichtum sichert.

Das Projekt der One World ist bereits umgesetzt. Es gibt eine Weltregierung, die nur zum Schein in organisierten Wahlen vom Volk gewählt wird. Zehntausend Parlamentarier der Weltregierung, die aus den Regionen aller Länder kommen, gaukeln der Menschheit eine handlungsfähige Regierung vor. In Wirklichkeit herrschen aber die Hundert Familien, praktisch unerkannt, im Hintergrund.

Die Hundert Familien besetzen alle Spitzenpositionen der Industrie und der Banken, sie bewohnen große Ländereien, die als Naturschutzgebiete deklariert sind und von Ihnen angemietet werden. Sie wählen sich nur sich gegenseitig in die exekutiven Ämter. Ein Eindringen in diesen Lenkungskreis von außen ist nicht möglich. Da alle Betriebe verstaatlicht sind, gibt es keine Besitzer mehr, die das wirtschaftliche Risiko tragen, sondern das trägt die Allgemeinheit.

Wenn eine Geschäftsführung sich als unfähig erweist, wird sie ausgetauscht und die Personen steigen in eine niedere Kategorie ab. Die Hundert Familien bekleiden ausschließlich die Aufsichtsräte und Kontrollorgane. Sie werden bei Misserfolg ebenfalls ausgetauscht, erscheinen aber an anderer Stelle wieder in anderer Zusammensetzung.

Es gibt nur noch Event-Religionen, Partnerschaften zwischen den Menschen sind beliebig, die Aufzucht der Kinder vollzieht sich streng organisiert in Ganztagskitas und Ganztagsschulen, in denen die Kinder auf politische Korrektheit konditioniert werden.

In den Betrieben vertreten die Gewerkschaften die Arbeitnehmer nur zum Schein. Es werden von oben nach unten delegierte Veranstaltungen nach kommunistischem Muster durchgeführt. In diesen Veranstaltungen wird entweder die „Weisheit“ der Weltregierung bejubelt, oder in Ungnade gefallenen Funktionäre verbal hingerichtet und aus dem Amt entfernt, was den Abstieg in eine niedere Kategorie nach sich zieht.

Die Hundert Familien sind im Besitz allen Wissens. Den übrigen Menschen wird nur ein begrenztes, den arbeitsbedingten Anforderungen angepasstes Wissen zugestanden.

Die Handlung selbst beschreibt den Lebenslauf von Jenny und Charly als eine Parabel zu dem Ibsen Drama „Peer Gynt“.

Die Personen:

Charly (Peer Gynt), der die Welt (One World) erobern möchte und daran glaubt, dass jeder Mensch, wenn er nur tüchtig genug ist, Erfolg haben und auch zu Reichtum gelangen kann (vom Tellerwäscher zum Millionär).

So erleben wir Charlys Reise um die Welt mit ihren Höhen und Tiefen. Einmal ist Charly reich, ein anderes Mal bettelarm und sehr oft in Lebensgefahr.

Im Hintergrund der Geschichte stehen zwei Gegenspieler:

Dankward, der eine partikulare Lebensform und autarkes Leben in selbstbestimmten Dorfgemeinschaften vertritt und

Iszak, der das Herrschaftsprinzip der Hundert Familien und der One World vertritt.

Der Gegensatz (Spannungsbogen) besteht zwischen der kleinsten Einheit (Demos – Dorf/Kratie-Selbstverwaltung) und der total von oben gelenkten und verwalteten One World.

Dankward ist der Auffassung, dass jede Ethnie, jede religiöse Gemeinschaft und jede freiwillige Vereinigung von Menschen ihren eigenen Lebensraum beanspruchen darf. Er meint, dass nur so Frieden auf der Welt herrschen kann.

Iszak ist überzeugt, dass die Menschen zu einer Demokratie nicht fähig sind, weil die Eigeninteressen den Gemeinsinn immer überlagern, und dass die Menschen von einer Elite, nämlich den Hundert Familien, geführt werden müssen.

Kann die Menschheit in Frieden leben, wenn sich die Hundert Familien misstrauen und sich gegenseitig betrügen?

1

Auf einem Marktplatz irgendwo im Westen Eurasiens.

Aus einem amtlichen Lautsprecher ertönt die Stimme des Regierungssprechers der Einenweltregierung.

„Seid gegrüßt ihr Menschen auf der Erde …, seid gegrüßt ihr Menschen in Afrika, in Amerika, Eurasien und auf dem fünften Kontinent.

Heute ist ein großer Tag für die Menschheit! Wir feiern den Tag, an dem wir eine Welt geworden sind. One World, eine Welt, eine Menschheit – eine Weltregierung. Eine Regierung, die alle Menschen regiert, die für alle da ist. Als Welthauptstadt haben wir Jerusalem ausgewählt. Hier, wo die drei großen Weltreligionen heute in Harmonie nebeneinander bestehen, hier, wo so viele verschiedene Kulturen heute friedlich zusammenleben, hier, wo die Wiege der Zivilisation steht, hier haben wir uns als Weltregierung zusammengefunden.

Ihr, … ich meine euch, … Ihr wählt in geheimen Wahlen aus den verschiedenen Verbänden, den Gewerkschaften und den Vertretern der vereinigten Kirchen, einen euch vorgeschlagenen Abgeordneten eures Bezirks. Diese Abgeordneten, aus den verschiedenen Bezirken, wählen wiederum die Delegierten für die Regionalparlamente. Diese schicken ihre Delegierten in die jeweiligen Kontinentalparlamente und das Kontinentalparlament wählt dann die Weltregierung – eure Regierung. Damit die verschiedenen Bevölkerungen der ganzen Welt gerecht repräsentiert werden, wurde beschlossen, dass aus allen Regionen gleichmäßig viele Parlamentarier für das Weltparlament entsendet werden. Und so haben wir dann zehntausend Abgeordneten für das Weltparlament bestimmt. Das hört sich nach sehr viel an, ist aber im Verhältnis zur gesamten Weltbevölkerung sehr wenig und dient, wie bereits gesagt, einer gerechten Verteilung der Verantwortung.

Liebe Mitweltbürgerinnen und Mitweltbürger, ihr habt ab heute euer Schicksal selbst in der Hand. Dies ist die reine Form der Herrschaft der Menschen, die reine Form der Herrschaft von unten nach oben, wie ich soeben dargelegt habe.

Alle Probleme werden wir ab heute gemeinsam lösen, friedlich miteinander ohne Streit, ohne Kriege. Unsere neue Regierung wird alle Güter und Errungenschaften der Menschheit gerecht und gleich unter allen Menschen verteilen.

Wir, der Weltrat, haben ein Konzept entwickelt, das einer Weltregierung, mit den vorher beschriebenen Untergliederungen, erlaubt, in vollkommener Übereinstimmung mit den Bedürfnissen aller Menschen, alle Vorgänge auf unserem Globus zur Zufriedenheit jedes Einzelnen zu regeln. Ich will nicht übertreiben, aber man kann sagen, dass wir unter diesen Voraussetzungen paradiesischen Zeiten entgegengehen.

Wir gehen …, j-a wir leben schon ab heute vor den Toren zum Paradies. Bla, bla, bla …“

„Wer kriegt den Öko-Burger?“

„Hier, ich bitte.“

„Haste die Sozimarke dabei?“

„Nein, die habe ich leider zu Hause vergessen.“

„Dann musste den vollen Zahlen, macht 250 Unierte, da hätteste fuffzig sparen können. Tipp da am Kästchen deine Identnummer ein und bestätige mit Fingerabdruck auf dem Glasfeld. Also Leute, für die, die es vergessen haben, ab heute wird nicht mehr bar bezahlt, is verboten, nur noch übern Telepointer!“

„Wer kriegt das Peace-Omelett?“

„Hallo Charly!“

„Ach, Jenny, du?“

„Ich wollte dich schon in den Studios treffen, aber da warst du schon weg und so bin ich Dir nachgegangen. Es gibt ja nicht viel Auswahl, welchen Weg man gehen muss.“

„Ich wollte eigentlich mit dem Gerätewagen mitfahren, war aber zu spät und mit den Öffentlichen ist es zu teuer, besonders dann, wenn man, wie ich, seinen Studentenausweis vergessen hat.“

„Du hättest ja vierter Klasse fahren können, aber das Publikum entspricht ja nicht deiner Kategorie bzw., der, der du gern angehören würdest. Kann ich ein Stück von deinem Brötchen haben?“

„Mensch Jenny, es ist Monatsende und mein BAföG ist auch noch nicht da. Meinetwegen; ich muss jetzt aber gehen.“

„Ich komm mit.“

„Was wolltest du eigentlich von mir?“

„Ja, Charly, du weißt ja, wie beschissen es mir geht, können wir uns deinen Job nicht teilen?“

„Bist du wahnsinnig? Ich brauche jeden Unierten und das BAföG wurde auch schon wieder gekürzt, außerdem muss ich Unterhalt für meine kranke Mutter zahlen.“

„Ich dachte, wenn wir zusammenziehen, sparst du doch auch eine ganze Menge. Lass uns nicht durchs Moslemviertel gehen, da verhauen sie dich. Schon allein, weil du blond bist. Gehen wir ein paar Straßen weiter runter, das ist sicherer.“

„Aber dann gehen wir doch durch eine Gegend der vierten Kategorie!“

„Gib einfach den bettelnden Kindern nichts, dann wird man uns in Ruhe lassen.“

Die Straße, in die sie nun einbiegen, hat keine Pflasterung und auch keinen Fußweg; kein Straßenschild verrät ihren Namen. Die Hütten rechts und links der mit Schlaglöchern übersäten Straße sind aus Holzresten und Pappe gebaut. Die Häuser haben Wellblechdächer, teilweise aber auch nur Plastikplanen als Bedachung. In den Gärten versuchen die Bewohner Gemüse anzubauen, das sie sich aber immer wieder gegenseitig stehlen.

„Wie kommst du denn darauf, dass wir zusammenziehen sollten?“

„Weil ich es alleine nicht schaffe und ich glaube du auch nicht, trotz deiner hochtrabenden Pläne.“

„Wieso sollte ich es denn nicht in eine der höheren Kategorien schaffen? Jeder hat eine Chance.“

„Jeder Angepasste und die der dritten und vierten Kategorie schon allemal nicht, mit Ausnahme der paar Vorzeigeaffen, die im Medienzirkus beschäftigt werden und uns als Promis verkauft werden. Ich habe dir doch gesagt, du sollst den Kindern nichts geben!“

„Nur etwas Kleingeld, damit sie nicht so lästig sind.“

„Das war genau falsch Charly, und jetzt hast du die ganze Meute am Hals und die zieht hundertprozentig das Gesocks an.“

„Hey, Ihr zwej hibschen …

Drei zerlumpte Gestalten, die eine Armutswelle irgendwann hier angespült hatte, umringt das Paar.

… Jib Schakett, Blonder, Brieftasche kannste drin lassen.“

„Jackett, Brieftasche? Der spinnt wohl. Ich ruf die Polizei.“

„Polizei? Wovon redet er Jakkusch? In welcher Kat lebst du, hier gibts kene Polizei nich.“

„Sei vernünftig Charly, gib ihm die Jacke, hier wird dir keiner helfen.“

„Kluges Mädchen, nun mach schon. Bringt bei Trödler mindestens zweetusend Unnies.“

„Was is mit dem Mädschen Brodin?“

„Fasst mich nicht an ihr dreckigen Schweine, dem Ersten, der es versucht, kratze ich die Augen aus!“

„Komm Jakkusch, lass uns abhauen, ehe die anderen uns alles wieder wegnehmen.“

„Na klasse! Das war ja ein super Tag, wär ich bloß nicht aufgestanden, dann hätte ich genauso viel verdient.“

„Tja Charly, du schwebst eben immer in höheren Regionen, du müsstest öfter durch solche Gegenden gehen, dann bleibst du mit den Füßen am Boden.“

„Werde ich hundertprozentig nicht. Nach oben muss man sich orientieren – Jenny.“

„Wo lebst Du denn, glaubst Du mit deinem BWL-Studium wirst du mal Chef von Volkswagen?“

„Warum eigentlich nicht?“

„Weil Du dein Studium nur so nebenher machst und weil du nicht auf eine Elite-Uni gehst. Weil du auch nicht das nötige Vitamin B hast, oder kennst du jemanden in der VW-Zentrale? Die ist übrigens in Schanghai …“

„Weiß ich …“

„Der Vorstandsvorsitzende Li Dau Zeng entstammt einem alten Adelsgeschlecht und hat alle Kulturrevolutionen überstanden …“

„Na und? …“

„Das heißt, diese Leute mischen immer mit und sind am Ende doch immer wieder vorne. Hast du schon einmal eine historische Landkarte gesehen?“

„Wozu?“

„Früher war Amerika im Westen, Eurasien in der Mitte und Asien im Osten auf den Karten. Heute ist Amerika im Osten, China, Asien und Australien in der Mitte und das ehemalige Europa im Westen auf der Landkarte …“

„Meinetwegen …“

„Als der Aktienbesitz von VW in chinesische Hände überging; weißt du, was der erste chinesische Vorstandsvorsitze gesagt hatte, als man ihm sagte, dass er nun in die Hauptzentrale nach Wolfsburg müsste?“

„Na was denn?“

„Wo liegt denn Wolfsburg?“

„In Deutschland“, war die Antwort.

„Und wo liegt Deutschland?“

„Im Regionalstaat westliches Eurasien.“

Ein Sekretär zeigte die ungefähre Lage von Wolfsburg.

„Waaas, da soll ich hin? Da oben bei Grönland, ans Packeis? Wir werden eine neue Zentrale bauen, in Schanghai! Volkswagen ist schließlich ein chinesisches Auto.“

Jenny schaut Charly mitleidig mit ihren sanften hellbraunen Augen an.

„Gut meine Liebe, ich muss ja nicht gleich Chef von VW oder Siemens werden, obwohl mich Schanghai oder Hongkong schon reizen würde. Aber eine Etage unter Li Dau lebe ich immer noch in der zweiten Kategorie.“

„Du wirst bestenfalls hier Filialleiter in einer Servicestation von VW oder Siemens. Aber immerhin kannst du dann deinen Status in der dritten Kategorie aufrechterhalten.“

Sie haben nun das Elendsviertel verlassen und kommen in ein Quartier der dritten Kategorie. Dieses Viertel besteht aus Plattenhochbauten, es gibt aber auch Straßen mit Mietshäusern, die eine bessere Bausubstanz haben.

„Komm Jenny, lass uns durch den „Kontipark“ gehen. Da müssen wir nicht durch das Verkehrsgewühl mit seinen stinkenden Abgasen.“

Park des kontinuierlichen Fortschritts und der Völkerfreundschaft steht auf einer verwitterten Säule am Eingang. Darunter eine beschädigte Tafel mit den Namen derer, die sich für die Erschaffung des Parks oder anderer Dinge des Fortschritts verdient gemacht hatten. Die Landschaft des Parks ist eine Steppe mit Büschen. Bäume gibt es nicht mehr, sie wurden von den Armen abgeholzt, um Brennholz zu haben. Alle Versuche einer neuen Bepflanzung schlugen fehl, weil selbst die jungen Bäume gleich wieder abgeschlagen wurden. Heute hat die Stadtverwaltung ohnehin kein Geld mehr für solche Dinge.

Die beiden sind im Zentrum des Parks angelangt.

„Die Regierung dieses Landes wird alles daransetzen, um die Lebensbedingungen der Bevölkerung weiter kontinuierlich zu verbessern …“, dröhnt eine Stimme aus einem Lautsprecher, die an allen öffentlichen Plätzen aufgestellt sind. Auf eine riesigen Betonwand ist das Bild eines Nachrichtensprechers projiziert.

Ein paar zerlumpte Gestalten hocken apathisch im Sand. Bänke gibt es nicht mehr. Das Holz und selbst die Zementsockel wurden als Baumaterial entwendet.

„„‚ dazu hat unsere Regierung bei der Weltregierung in Jerusalem eine niedrigere Umverteilungsrate beantragt, das heißt, unsere Region muss weniger Abgaben …“

„Komm Charly, lass uns weiter gehen, ich kann diesen Mist nicht mehr hören.“

„Wieso, klingt doch ganz vernünftig, endlich einmal mehr für uns hier.“

„Und das glaubst du?“

„Dem Regiodirektor Özmir ist von den örtlichen Behörden, wegen seiner Zugehörigkeit zum Islam, die Einreise nach Jerusalem verweigert worden …“, tönt die Stimme hinter Jenny und Charly her.

„Siehst du Charly, leider kann er nun nicht mehr vor der Weltregierung sprechen; das nenn ich höhere Gewalt. – Ich wusste übrigens gar nicht, dass der Nachrichtensprecher dem Voodoo-Kult anhängt.“

„Wie kommst du denn darauf?“

„Hast du denn nicht die vielen bunten Ornamente auf seinem Gesicht gesehen? Das war ja eine komplette Kriegsbemalung.“

„Du Doofe, das ist doch das Graffito auf der Betonwand.“

„Ach.“

„Einen Augenblick mal ihr beiden …“, ein Wachmann kommt auf sie zu, „… wohin des Weges?“

„Wir müssen hier nur durchgehen, ich wohne auf der anderen Seite des Viertels, das hier ist meine Freundin.“

„Zeigt mal eure Identkarten!“

„Können Sie mal die Schranke aufmachen? Ich wohne hier in der Nähe.“

„Ich muss erst einmal euere Kennung aufnehmen und dann noch euere Identitätüberprüfen. So, ihr könnt weitergehen.“

„Tja Jenny, hier ließe es sich leben.“

„Wo alles so schön eingezäunt ist.“

„Jedenfalls ist man hier sicher. Schau einmal dieses wunderschöne Haus, ganz weiß und wie großzügig …“

„Eher großkotzig.“

„… und blaue Hochglanzschindeln auf dem Dach …“

„Die Schlitze in dem runden Turm sind das Schießscharten?“

„Meinst Du die schmalen Fenster im Treppenhaus? Das ist eben maurischer Stil, damit die Sonneneinstrahlung nicht so stark ist.“

„Wo es hier doch immer so heiß ist.“

„Hallo, was machen Sie da?“

„Wir sind eben schon überprüft worden.“

„Sie haben sich aber ungewöhnlich lange vor diesem Haus aufgehalten.“

„Weil es uns so gefallen hat.“

„Mir nicht.“

„Kommen Sie doch bitte einmal mit zum Überprüfungswagen.“

„Wir können uns ausweisen.“

„Nein, das ist nicht sicher genug. Ich muss Sie einscannen.“

„Also, hier möchtest du wohnen, Charly?“

„Lieber als im Quartier der Vierten.“

„Da wär ich mir nicht so sicher.“

„Jenny, jetzt spinnst du aber.“

„Vielleicht doch nicht.“

„Möchtest du in solchen vergammelten Hütten leben?“

„Es gibt auch Quartiere mit festen Häusern, einfach aber solide.“

„Und nachts bewachst du deine Möhren mit der Kanone.“

„Es haben sich schon Gruppen gebildet, die sich nicht gegenseitig beklauen. Im Gegenteil, sie halten zusammen. Die tauschen untereinander, dadurch haben sie keine Abgaben an den Staat.“

„Ich muss Sie darauf hinweisen, dass ich beim Einscannen Ihre persönlichen Daten einsehe.“

„Die sind doch geschützt!“

„Ach Jenny, nun mach doch keine Schwierigkeiten.“

„Sie können mir Ihre Daten natürlich verweigern, dann muss ich Sie leider der Polizei übergeben.“

„Bloß das nicht!“

„Es geht ja ganz schnell, Jenny.“

„Das wars schon, Sie können weitergehen. Ich danke für Ihre Kooperationsbereitschaft.“

„You’re welcome. Sagen Sie, warum wird man hier eigentlich an jeder Ecke überprüft?“

„Wir arbeiten hier nur im Dienste unserer Kunden und sind für deren Sicherheit verantwortlich. Außerdem hat das Komitee für Multikulturelle Zusammenarbeit neulich eine Resolution verabschiedet, in der es befürwortet, das mehr Begegnungen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsteilen stattfinden sollten. Wir möchten für Sie damit den Anreiz erhöhen, nächstes Mal durch ein anderes Viertel zu gehen …“

„Da kannst du dann schon mal dein Marken-T-Shirt ausziehen.“

„So, da wären wir Jenny. Kommst du noch mit rauf?“

„Das hatte ich eigentlich vor.“

„Ach so, ja. Wolltest du dich bei dieser Gelegenheit gleich bei mir einnisten?“

„Und warum wolltest du, dass ich mit rauf komme? Du willst immer nur das eine.“

„Und du das andere. Wir können doch Freunde sein, ohne gleich in einer Wohngemeinschaft zu leben.“

„Ganz so einfach liegen die Dinge aber bei mir nicht. Schließlich habe ich auch noch Scherz zu versorgen und beide haben wir regelmäßig Hunger.“

„Wenn ihr beide zu mir zieht, kann ich meine Karriere abhaken.“

„Den Karriereknick hast du aber schon hinter dir. Du solltest über Alternativen nachdenken. Wie gesagt, zu zweit geht es besser und in einer Tauschgemeinschaft geht es eher noch besser …“

„Komm, wir reden drinnen weiter, die Wände haben hier Ohren.“

„Okay, trotzdem denk noch mal drüber nach.“

„Soll ich uns einen Tee kochen?“

„Ja, gerne.“

„Bleibst du heute Nacht hier?“

„Du meinst, wir wollen Sex haben?“

„Warum nicht, wär ja nicht das erste Mal.“

„Das ist richtig, aber ich möchte so langsam mal eine feste Beziehung.“

„Ach Jenny, kann das nicht noch etwas warten?“

„Das könnte es wohl, aber ich habe das Gefühl, dass du unsere Beziehung nur solange aufrechterhalten willst, bis du eine Anstellung bekommst und dann an deiner Karriere arbeiten kannst.“

„Hier, dein Tee. Vorsicht, ist noch heiß!“

„Ja danke. Charly, du weißt, dass ich nicht bei dir schnorren will. Wie du weißt, ich bin nicht darauf angewiesen, ich könnte auch bei meinem Vater in Luxus leben …“

„Kannst du mich da nicht mitnehmen und mir über ihn einen attraktiven Job besorgen? Ich möchte allerdings kein Frühstücksdirektor werden, arbeiten will ich schon.“

„Du weißt genau, dass ich aus diesem Leben ausgestiegen bin. Gerade diese miese Korruption ist genau das, was ich so hasse. Charly, ich mag dich wirklich ganz doll. Empfindest Du denn gar nichts für mich?“

„Doch, Jenny, das tu ich, aber ich bin noch nicht fertig und um eine Familie zu ernähren, muss ich einen adäquaten Job haben. Ich möchte auch noch etwas von der Welt sehen. Manchmal bin ich hin und her gerissen. Ich möchte mit dir zusammen sein, aber auch in die weite Welt hinaus.“

„Tja Charly, beides geht nun einmal nicht. Ich kann übrigens heute Nacht nicht hierbleiben, Scherz ist allein zu Hause. Ich geh dann mal, danke für den Tee.“

„Aber ein Stündchen hast du doch wohl noch Zeit, zum Schmusen.“

„Tut mir leid, aber mir ist nicht danach. Leb wohl Charly.“

„Jenny, Jenny …“

Charly geht im Zimmer auf und ab. Er schaut zum Fenster hinaus, aber Jenny ist schon verschwunden. Er überlegt, ob er ihr nachlaufen soll, setzt sich aber dann an seinen Computer und versucht sich auf das neue Projekt zu konzentrieren. Ja, das neue Projekt, sein Projekt. Ein kompaktes Universal-Automobil für Kleinbetriebe und Gewerbetreibende, aber auch für den Normalverdiener der Mittelklasse. Ein Auto, das man mit einigen Handgriffen von einem Familienauto in einen Kleinlieferwagen umwandeln kann. Die Weltregierung hat seit etlichen Jahren den Besitz von Privatfahrzeugen praktisch unmöglich gemacht. Als Begründung führte man den Umweltschutz an. Nur höhere Angestellte in den verstaatlichten Betrieben, ebenso höhere Beamte und natürlich die Politiker selbst dürfen noch über Dienstfahrzeuge verfügen. In Wirklichkeit lenkte man den Personenverkehr auf öffentliche Verkehrsträger, um Personen besser überwachen zu können und einen besseren Zugriff zu haben. Ein Automobil kann leichter auf Nebenstraßen ausweichen als ein Fahrgast in einem Zug oder Bus. Charly hatte bemerkt, dass viele Tätigkeiten und Geschäfte eben nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu bewältigen sind. Also warum nicht ein kleines flexibles Fahrzeug mit einem geringen Aktionsradius für den Verkehr in den Randgebieten der Ballungsräume bauen?

Charly hat alles genau durchgerechnet. Ein ältere Konstrukteur, Karl Demmert, hat ihn bei technischen Details beraten und July Kamsha ein junger Ingenieurstudent macht für ihn die Konstruktionsarbeit. Charly hat schon mehrfach bei VW in Wolfsburg nachgefragt, ob man dort nicht Interesse an seinem Projekt hätte, aber die haben nur abgewinkt. Man montiert dort nur noch Teile für China. Es gibt zwar noch ein kleines Entwicklungsteam, das arbeitet aber nach genauer Anweisung an Projekten für das Werk in Schanghai.

„Hallo Charly, ich bins, July, wie gehts?“

„Na ja es geht. Wo bist du, was machst du?“

„Ich bin in WOB im Werk und habe gerade an unserem Projekt gearbeitet. Mein Teamleiter hat mich dabei erwischt und wollte mich gleich rausschmeißen. Zufällig kam der Bereichsleiter vorbei und hat das mitgekriegt und sich die Sache angeschaut. Er hat mich gleich mitgenommen auf die Bereichsleiteretage und hat sich das Ding von mir erklären lassen. Mensch du, der ist interessiert, du sollst demnächst mal herkommen, dann will er mit uns sprechen.“

„Das klingt ja vielversprechend, aber erzähl ihm nicht zu viel. Ich möchte nicht, dass jemand anderes mit meiner Idee durchbrennt und dass derjenige, wenn er genügend Unterlagen hat, auf eigene Faust weitermacht. Zumal so ein Bereichsleiter ganz andere Möglichkeiten und Kontakte hat.“

„Ist klar Charly. Ich bin erst mal froh, dass ich meinen Praktikantenplatz behalten kann. Tschüss dann.“

„Ja tschüss.“

Charly macht sich sofort, als er von seiner Praktikantenstelle abends aus dem Studio kommt, wieder an die Arbeit. Er ist berauscht von der Idee, dass man bei Volkswagen in WOB an seiner Arbeit interessiert ist und erträumt sich eine schnelle Karriere. Er entwickelt aufwendige Tabellen und Berechnungen, erstellt Grafiken und arbeitet intensiv an einer Präsentation.

„Hallo, sprech ich mit Ihnen Herr Newman, Charly Newman?“

„Ja, Sie sind hier richtig. Mit wem spreche ich?“

„Mein Name ist Dr. Jeromie Spessart, ich bin Bereichsleiter für Neue Konzepte bei Volkswagen in WOB. Guten Tag, Herr Newman! Ich schalte mal Skype ein, damit wir uns sehen können.“

„In Ordnung. Guten Tag, Herr Dr. Spessart.“

„Herr Newman, der Kamsha hat mir von Ihrer Arbeit erzählt …“

„Ja ja, ich arbeite an einem Konzept eines Hybridautos mit einem Dreh…“

„Schön schön, lassen Sie uns das nicht hier besprechen! Wie wärs, wenn Sie einmal kurz zu mir herüberkommen, sagen wir morgen Nachmittag gegen 14.00 Uhr?“

„Da muss ich aber ins Studio … natürlich gegen 14.00 Uhr, ich komme.“

„Also dann bis morgen.“

„Ja, bis morgen.“

Charly arbeitet die halbe Nacht, kann dann aber vor Aufregung trotzdem nicht einschlafen. Erst gegen Morgen übermannt ihn die Müdigkeit und er schläft bis 12.00 Uhr durch.

Ein merkwürdiges Gequassel weckt ihn auf. Er hatte vergessen, seinen Computer auszuschalten und irgendetwas quasselte da herum. Charly hat das dumme Gefühl, das seine Dateien extern gescannt werden. Für einen Moment steht er hilflos da, dann entfernt er geistesgegenwärtig den Stick, auf dem die Daten gespeichert sind. Er muss sich jetzt beeilen, um nicht zu spät zu seiner Verabredung zu kommen. Am Bahnhof bemerkt er, dass er kein Geld mehr für die Fahrkarte hat. Er kann seinen Finger so oft er will auf den Scanner legen, ständig erscheint die Meldung: „Sorry, no account“. Was nun? Charly bemerkt, dass ein anderer Fahrgast, der schon gescannt hat, noch etwas zögert. Blitzschnell nutzt er die Gelegenheit und rempelt den Fahrgast an, wodurch der noch einmal mit seinem Finger die Scan-Scheibe berührt und wieder das „ok“ erscheint. Charly entschuldigt sich und rennt zum Bahnsteig. Der Fremde schaut ihm verdutzt hinterher. Als Charly in WOB-Bahnhof ankommt, sieht er zwar das Werk der DÀZHÒNG-AG(ehem. VW), weiß aber nicht, wo der Eingang ist. Er geht erst einmal der Menge hinterher, im Glauben, dass sie auch ins Werk geht, was auch stimmt. Das Gros der Menschen zeigt die Ausweise an der Wache und kann passieren. Charly muss sich aber erst noch anmelden. Oh Schreck, da steht eine riesige Schlange. Die Anmeldeprozedur dauert ja ewig lange. Charly weiß von July, dass Bereichsleiter Spessart im selben Stockwerk wie der Werksvorstand Prof. Dr. Cha Wung Lang sitzt.

„Entschuldigung, ich bin im Bereich Prof. Dr. Cha Wung Lang gemeldet.“

„Oh, wen darf ich anmelden?“

„Charly Newman bitte.“

„Danke, ich melde Sie in der Zentrale an. Draußen steht ein Wagen, der fährt Sie hin.“

„Danke!“

„Gern geschehen.“

Charly wird zum Hauptgebäude gefahren und meldet sich beim Empfang.

„Tut mir leid, Herr Newman, aber Sie sind leider nicht auf der Liste von Prof. Dr. Cha Wung Lang für heute Morgen.“

„Ach das ist ein Irrtum, ich hatte auch nicht gesagt, dass ich zu Prof. Dr. Cha Wung Lang wollte, sondern zu Bereichsleiter Dr. Spessart im Bereich von Prof. Dr. Cha Wung Lang.“

„Ach sooo, dann schauen wir dort einmal nach. Nein, tut mir leid, auch dort sind Sie nicht eingetragen, haben Sie sich vielleicht im Tag geirrt?“

„Nein bestimmt nicht, wir haben uns gestern verabredet.“

„Oh, dann frag ich am besten einmal nach. Einen Moment bitte. Herr Dr. Spessart, hier ist Herr Newman, er sagt er wäre mit Ihnen heute verabredet.“

„Ach, hab ich vergessen es eintragen zu lassen. Er soll heraufkommen!“

„Sie können zu ihm gehen. Dort ist der Fahrstuhl, fahren Sie in den 21 Stock und dann Zimmer 218. Warten Sie! Ich schließ Ihnen den Direktionsfahrstuhl auf, der fährt Sie direkt dahin.“

„Vielen Dank.“ Charly blickt der Empfangsdame tief in die Augen.

„Gern geschehen.“

„Hallo Herr Newman, sind Sie gut hergekommen?“

„Ja ohne Probleme.“

„Schön, dann zeigen Sie mal her, was Sie da so ausgebrütet haben.“

Charly zeigt Spessart seine Präsentation, seine Tabellen und Berechnungen. Spessart möchte Kopien haben, Charly zögert.

„Sie brauchen keine Angst haben, ich geb nichts weiter, ich behalte es für mich. Wir hängen das hier nicht an die große Glocke, das wäre nicht gut. Da gibt es zu viele Bedenkenträger, die Tausend Gründe fänden, warum wir so etwas lieber nicht tun sollten. Wie sieht es beruflich bei Ihnen aus?“

„Ich studiere noch und jobbe in einer Werbeagentur nebenbei.“

„Hm, Sie können hier ein Fachpraktikum machen, das ist besser für Ihre spätere Karriere und Sie kriegen auch mehr Geld. Geben Sie den Job bei der Agentur auf!“

„Wann kann ich denn hier anfangen?“

„Gleich, ich regle das. Sie können morgen gleich anfangen. Den Kamsha stell ich Ihnen zur Seite und wir suchen eine ruhige Ecke, wo Sie ungestört arbeiten können.“

„Kann ich July, ich meine July Kamsha noch sprechen?“

„Was wollen Sie denn von ihm?“

„Äh er schuldet mir noch Geld, äh ich brauch noch etwas.“

„Ich sag meiner Sekretärin Bescheid, die sorgt dafür, dass ein Betrag auf Ihre Identkarte geladen wird.“

„Danke, aber, na ja, so komm ich nicht nach Hause, mit der Bahn.“

„Na, Sie müssen ja klamm sein. Frau Spät, haben wir irgendein Versuchsfahrzeug für den jungen Mann?“

„Heute ist nur noch der Phaeton frei, erst morgen gibt es einen Polo GTI Solar.“

„Dann geben Sie ihm heute den Phaeton und ab morgen den Polo. Haben Sie gehört? Heute kriegen Sie die Luxuskarre, aber parken Sie den im Parkhaus, nicht auf der Straße.“

„Ja, vielen Dank.“

„Frau Spät wird Ihnen sagen, wo Sie morgen zur Arbeit hinmüssen und sie besorgt Ihnen auch noch den Werksausweis. Also, welcome on board!“

„Nochmals vielen Dank.“

Charly kann es kaum glauben, als er im PhaetonVölkerfreundschaft Super Comfort sitzt und zum Werkstor hinausfährt, vollgetankt und blitzeblank gewaschen und poliert. Wenn Jenny ihn jetzt sehen könnte … Beim Hinausfahren hält er seinen neuen Werksausweis vor den Scanner an der Schranke und schon ist er auf dem Weg zur Autobahn. Dort lässt er erst einmal die dreihundertfünfzig Pferde galoppieren. Ha, welch ein Gefühl ist das! Jedes Rad wird von einem Elektromotor angetrieben, die Elektromotoren werden beim Beschleunigen wiederum von einem 12-Zylinder-Vapeur-Injection-Diesel unterstützt. Beim Bremsen schalten die elektrischen Antriebsmotoren auf Dynamobetrieb um und laden die Batterien auf. Vor den Ampeln sind für jedes Fahrzeug mehrere Laserdioden in den Straßenbelag eingegossen, die beim Halten des Fahrzeuges die Batterien von unten wieder nachladen. Ein Sensor, der unter dem Fahrzeug angebracht ist, liest den Stromverbrauch und stellt ihn den Fahrzeughalter in Rechnung.

Am nächsten Tag fährt Charly am Morgen in den F+E Bereich zur DÀZHÒNG-AG nachWOB.

Der Wachmann schaut etwas skeptisch, als Charly die Schranke passiert. Frau Spät führt ihn an seinen neuen Arbeitsplatz, ein kleines Zimmer hinter ihrem Empfang.

„Ach Frau Spät, ich hatte gedacht, dass ich in einem Großraumbüro mit vielen Leuten arbeiten werde. Sprach Herr Dr. Spessart nicht von einem Team für dieses Projekt?“

„Schon, das heißt aber nicht, dass alle beieinander hocken. Das Team verteilt sich über mehrere Bereiche. Hier sind Sie gut aufgehoben oder mögen Sie nicht bei mir hier sein?“

„Doch, doch …“

„Na sehen Sie und ich bringe Ihnen auch jeden Morgen einen Kaffee.“

„Oh vielen Dank, das ist aber sehr lieb von Ihnen.“

„Ja so bin ich.“

Charly ist etwas irritiert. Was meinte sie nun? War das eine Anmache oder suchte sie nur etwas Unterhaltung? Er schätzt Frau Spät auf Anfang fünfzig, vollschlank, fein geschnittene Gesichtszüge, dunkelblond und hellbraune Augen. Eigentlich ganz attraktiv.

Charly macht sich an die Arbeit, er holt seinen Laptop hervor und arbeitet, als ob er bei sich zu Hause säße.

„Hier ist Kaffee.“

Frau Spät strahlt Charly an.

„Vielen Dank, Sie sind ein Schatz“, rutscht es Charly heraus.

„Oh!“

Charly fürchtet, etwas zu voreilig gewesen zu sein.

Frau Spät hat die Tür zum Vorzimmer ein wenig geöffnet gelassen.

„Guten Morgen, Herr Dr. Spessart.“

„Morgen, Frau Spät.“

„Herrn Newman habe ich im Nebenzimmer untergebracht.“

„Herrn wen?“

„Herrn Newman! Das neue Fahrzeugkonzept.“

„Ach so den, ja ist gut. Nachrichten aus Schanghai?“

„Ja, die wollen einen Termin mit Ihnen, wegen des neuen Kon…

„Schsch-t … ich kümmere mich darum. Und halten Sie die Tür geschlossen!“

„Ja.“

Frau Spät geht leise zur Tür und schließt sie diskret. Charly hat es aber mitbekommen. Er denkt nach. Es sieht so aus, als wären sie hier auf etwas Neues angewiesen, haben aber nichts. Um so besser für ihn.

„Kommen Sie um eins mit in die Kantine?“

„Ja gern, wo find ich die?“

„Ich nehm Sie mit oder möchten Sie lieber alleine essen?“

„Nein, gerne! Wie ist das Essen in der Kantine?“

„Sehr gut und viel Auswahl. Also bis eins!“

„Ja bis dann!“

Charly sucht eine Stromquelle für seinen alten Laptop, der etwas schwächelt. Schnell hat er eine gefunden. Da ist ja noch ein Anschluss, das muss das Hausnetz sein, mal sehen, ob ein passendes Anschlusskabel für seinen Laptop zu finden ist. Ja, da ist schon eins. Er verkabelt sich schnell und ist überrascht, dass er direkten Zugang zur Direktionsebene hat. Das ist in diesem Bereich nicht ungewöhnlich, man hat wohl nur nicht an ihn gedacht. Charly lässt es sich nicht nehmen etwas im Direktionsbereich herumzustöbern. Er trifft auch auf die Chefsekretärin Spät: aha! Harla Spät, geb. …, verheiratet …, zwei Kinder …, Lebenslauf etc.

Was Charly nicht weiß, ist, dass Frau Spät auf ihrem Rechner sehen kann, was er auf seinem macht. Sie kann sogar auf ihrem Rechner übers Netz seine Arbeiten kopieren,

„Gehen wir jetzt essen?“

„Äh, äh ja sofort, eben nur den Rechner abschalten, ich komme schon.“

„Warum so erschrocken, waren Sie so versunken in der Arbeit?“

„Ja, ja war ich, kann losgehen.“

„Na dann gehen wir. Sind Sie verheiratet?“

„Nein, bin ich nicht.“

„Aber eine feste Beziehung, die haben Sie doch?“

„Na ja, warum fragen Sie?“

„Weils mich interessiert.“

„Und Sie, Sie sind doch verheiratet?“

„Ja, woher wissen Sie das?“

„Ich habs bloß vermutet.“

„Kann man mir das denn ansehen?“

„Weiß ich nicht. Ihr Mann, arbeitet der auch hier im Werk?“

„Nein, der ist für längere Zeit in Schanghai, er hofft auf einen Karriere-Hop.“

„Ja, wer hofft nicht darauf.“

„So da sind wir, halten Sie Ihren Werksausweis gegen den Scanner, nehmen Sie sich ein Tablett und suchen Sie sich etwas am Büfett aus.“

Nachdem sich beide an einen Tisch an der großen Fensterfront gesetzt haben, entspinnt sich ein lockeres Gespräch während des Essens. Frau Spät erzählt auch von ihren Kindern, die beide im Ausland studieren. Sie ist nun ziemlich alleine hier, da alle ihre Verwandten in anderen Städten wohnen. Nur einmal im Monat trifft sie sich mit Freunden zum Kegeln.

Nach dem Essen gehen beide ins Büro zurück und Charly macht sich wieder an die Arbeit. Hin und wieder unterbricht er, um im Direktionsnetz herumzustöbern.

„Teatime, ich hab Ihnen auch ein paar Kekse mitgebracht.“

RESET, der Rechner rast herunter.

„Oh Ihr Rechner ist abgestürzt, was ist passiert?“

„Weiß ich auch nicht … mit einem Mal.“

„Puh, das ist noch einmal gut gegangen“, denkt Charly.

„Ich mach in einer halben Stunde Feierabend. Die Schlüssel für den Polo liegen auf meinem Schreibtisch. Also dann, bis morgen.“

„Ja bis morgen.“

Charly könnte nun in aller Ruhe im Netz surfen, der Schreck sitzt ihm aber noch so in den Knochen, dass er sich vorerst lieber auf seine Arbeit konzentriert.

„Na mein Junge, wie kommen Sie voran?“

„Ja, Herr Dr. Spessart, sehr gut, ich habe ja hier Ruhe. Was ist, wenn ich Daten benötige oder Berechnungen brauche?“

„Immer Frau Spät fragen, die besorgt Ihnen alles. Also machen Sie es gut, wir reden Mittwoch noch einmal über unser Projekt.“

„Ja bis dann.“

Charly findet sich schnell in dem System zurecht. Frau Spät besorgt ihm alles, was er für seine Arbeit benötigt. Mittags geht er mit ihr in die Kantine und manchmal surft er ein wenig im Direktionsnetz herum, das Frau Spät seltsamerweise nicht ausgeschaltet hat. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Charly schon bald auf die Korrespondenz von Dr. Spessart und Len Ko Ming von VW Schanghai stößt und er lesen kann, dass die beiden über ein neues Konzept eines Kompaktautos diskutieren. Ja, er kann sogar mitverfolgen, wie Spessart, nachdem er mit ihm am Mittwoch über seine Arbeit gesprochen hat, direkt im Anschluss mit Len Ko Ming kommuniziert.

„Guten Morgen Herr Newman, na, die Woche haben wir geschafft oder wollen Sie auch morgen am Samstag arbeiten kommen, dann müsste ich allerdings auch erscheinen, denn ich darf Sie hier nicht alleine werkeln lassen. Wegen der Geheimhaltung, wissen Sie?“

„Na ja Frau Spät, dann werd ich eben zu Hause weitermachen.“

„Haben Sie denn gar kein Freizeitprogramm; Sport, Kultur, Unterhaltung?“

„Doch ich geh dreimal die Woche ins Fitnessstudio.“

„Und sonst nichts?“

„Im Augenblick konzentriere ich mich auf mein Projekt, damit ich vorankomme, ich meine auch beruflich.“

„Das ist sehr lobenswert für einen jungen Menschen, aber man muss sich doch auch gelegentlich entspannen, sonst rennt man sich mit seiner Arbeit fest.“

„Da haben Sie wohl recht.“

„Sehen Sie! Haben Sie nicht Lust heute Abend mit mir zum Kegeln zu gehen? Ich treff mich heute mit Freunden, und da mein Mann verreist ist, mag ich nicht so gern solo gehen.“

„Ja gern, warum nicht?“

„Fein, ich melde mich dann in Begleitung an. Übrigens, Dr. Spessart fliegt nächste Woche nach Schanghai.“

„Ja ich weiß.“

„Woher?“

„Hatte er das nicht am Mittwoch gesagt?“

„Nein, das weiß er selbst erst seit gestern.“

„Ach so, dann muss ich das verwechselt haben.“

„So ist es wohl. Gehen wir nachher wieder gemeinsam essen?“

„Ja gern.“

Oh, das war peinlich Charly, ob sie etwas gemerkt hat? Charly wüsste zu gern etwas Genaueres über die Reise von Dr. Spessart, aber er lässt heute lieber die Finger vom Direktionsnetz.

„So, ich geh heute etwas früher. Hier haben Sie meine Adresse, wenn Sie mich dann gegen 19.00 Uhr abholen. Ich denke wir müssen ja nicht mit zwei Autos hinfahren.“

„Nein, das denk ich auch.“

„Also bis dann. Fahren Sie vorher noch nach Hause?“

„Ja, ich mach mich noch etwas frisch und ziehe mich noch um.“

„Also bis später.“

„Bis später.“

„Hallo junger Mann, ist Frau Spät schon fort?“

„Ja, die wollte heute etwas früher gehen.“

„Ist in Ordnung. Sie wissen, ich fliege nächste Woche nach Schanghai, da brauch ich noch ein paar Unterlagen. Komplettieren Sie mir schnell noch Ihre Power-Point-Präsentation auf den neusten Stand.“

„Damit bin ich gerade fertig geworden, Sie können den Stick gleich mitnehmen.“

„Das ist ja doll. Haben Sie denn gewusst, dass ich verreise?“

„Nein, nicht, aber ich habe die Präsentation vorsorglich vorbereitet.“

„Na prima, jetzt müssen Sie mich noch kurz briefen, damit ich etwas dazu erzählen kann. Eine halbe Stunde reicht wohl?“

„Das müsste klappen.“

Um nach Hause zu fahren und sich umzuziehen, ist es nun zu spät. Da Charly jetzt alleine ist, kann er noch ungestört im Netz herumsurfen. Er möchte sich auch dies und das kopieren, aber da schlägt dann der Rechner Alarm. Er muss sich also von Hand Notizen machen.

Kurz vor 19.00 Uhr packt er zusammen, schaltet sein Navi ein und fährt zu Frau Spät hinüber.

„Hallo da sind Sie ja, kommen Sie kurz herein, ich bin gleich fertig. Haben Sie sich gar nicht umgezogen, waren Sie nicht zu Hause?“

„Nein, Dr. Spessart war noch gekommen und wollte von mir ein Update der Präsentation.“

„Ja, für seine Reise nach Schanghai. Wenn das mal gut geht.“

„Wieso?“

„Er fährt auf eigene Faust, ohne das mit Prof. Cha Wung abgesprochen zu haben. Er möchte wohl die Früchte für sich ernten. Vielleicht klappt es ja; nur schief darf es nicht gehen. Können Sie mir die Kette am Hals schließen helfen?“

„Ja mach ich, lassen Sie mal sehen. So, die ist zu.“

„Prima, na denn los. Fahren Sie?“

„Meinetwegen.“

Nachdem sie zehn Minuten gefahren sind, kommen sie zu einem Bowling-Center. Charly stellt den Polo auf dem Parkplatz ab und sie gehen hinein.

„Hallöchen, ihr seid ja schon alle da.“

„Tra tri trallala, wir sind schon alle da. Hallo Harla, wen hast du denn da mitgebracht. Kaum ist ihr Mann weg, schon hat sie einen neuen.“

„Das ist Herr Newman, ein neuer Praktikant bei uns.“

„Das ist aber ein netter junger Mann. Habt ihr von denen ein paar übrig? Wie heißen Sie?“

„Charly Newmann, wie Frau Spät bereits sagte.“

„Komm Charly, setz dich zwischen uns, Harla soll dich nicht alleine haben, unsere Männer haben wir ja immer.“

Charly fühlt sich zunächst nicht besonders wohl in der Runde. Die Leute sind aus seiner Sicht für ihn zu alt, aber nach und nach taut er auf, was auch dem Genuss von einigen Bierchen geschuldet ist.

So gegen ein Uhr morgens bricht die Gesellschaft dann langsam auf.

„Also dann gute Nacht, ihr könnt ja heute ausschlafen.“

„Ja, ihr auch, Harla.“

„Das musste ja kommen, Irma muss immer irgendwelche Spitzen verteilen. Kommen Sie, Charly, ich hak mich mal unter, es ist so dunkel. Können Sie denn noch fahren?“

„Es wird schon gehen, es ist ja auch nicht weit.“

„Zu mir?“

„Ja zu Ihnen. Zu mir wäre es schon noch ein Stück.“

„Da sind wir ja schon. Kommen Sie noch kurz mit herein, ich mache uns einen Tee, der macht Sie wieder etwas munter.“

„Ich möchte Ihnen aber keine Umstände machen.“

„Nun kommen Sie schon. Da nehmen Sie schon mal Platz, der Tee ist ja gleich fertig.“

„Die Bilder hier … ist das Ihre Familie?“

„Ja, meine Kinder und mein Mann, der ist ja in Schanghai, wie Sie wissen. So, hier ist der Tee. Ich schalte mal das Familienvideo an. Schauen Sie mal die Kinder, da sind sie noch ganz klein. Sind die nicht süß?“

„Ja, wirklich.“

Harla hat sich dicht neben Charly gesetzt, sodass sich ihre Körper berühren. Sie schauen sich Bild für Bild an. So nach dem Zweihundertsten springt Harla auf …

„Wissen Sie Charly, ich hol uns noch ein Fläschchen Schampus, der macht frisch.“

„Aber, aber wie komm ich denn nach Hause?“

„Ach … bleiben Sie doch einfach heute hier, wir haben genug Platz … und morgen können Sie doch ausschlafen. Ich hol mal den Schampus. Ich glaub, ich hab noch eine Flasche kaltgestellt. Tatsächlich, machen Sie schon mal die Flasche auf, ich hol uns Gläser.“

„Na gut, auf Ihre Verantwortung.“

„Na klar, einer muss ja schuld sein. So, da sind die Gläser, schenken Sie schon mal ein. Gluck gluck gluck, na klingt das nicht verführerisch?“

„Ja, verführerisch.“

„Ach können Sie mir die Halskette wieder öffnen, die drückt nämlich so’n bisschen.“

„Ja, ich versuch es, das Schloss ist so winzig.“

„Huch … da sind wir beide umgefallen, das kommt vom Schampus. Aber Sie sind ja hoffentlich weich gefallen, nämlich auf mich … oh, oh, Charly … aaahh.

Gegen elf Uhr vormittags wacht Harla Spät auf. Es ist Samstag, wie sie bemerkt und oh Schreck Charly Newman liegt in ihrem Bett neben ihr … ja ein Arm umschlingt noch ihre Taille. Wie konnte das passieren? Nun ja, sie hatte wohl ein oder zwei Gläschen zu viel getrunken und die gute Stimmung beim Kegeln hatte auch dazu beigetragen. Trotzdem ist sie ein wenig bestürzt. Zwar hatte sie sehr wohl mit diesem Gedanken gespielt, aber nun kam es ihr doch etwas überraschend. Und ihr Mann? Der sitzt in Schanghai und hofft auf den Karrieresprung. Ob der sich vielleicht auch mit einer chinesischen Sekretärin vergnügt? Manchmal denkt Harla das. Warum soll sie nicht auch einmal auf die Weide zu den anderen? Und im Grunde hat sie es ja nur getan, um ihren Mann zu helfen. Ja, Charly soll doch ihr Vehikel für seine Karriere sein, das hatte sie von Anfang an vorgehabt. Den ersten Schreck hat Harla überstanden, sie geht in die Küche und setzt den Kaffee auf, dabei blickt sie aus dem Fenster. Ihr ist, als ob sie der Blitz trifft. Charlys Polo steht am Zaun vor ihrem Haus und das am Samstagvormittag, wo alle Nachbarn zum Einkaufen fahren. Die fragen sich, was soll das fremde Auto vor der Haustür von Familie Spät, dazu noch ein Werkswagen? Etliche Nachbarn arbeiten auch bei Volkswagen und können sehen, dass es sich um ein Versuchsfahrzeug handelt, viele wissen aber auch, dass Herr Spät zurzeit in Schanghai ist.

Harla gerät in Panik.

„Charly, Charly Sie müssen sofort aufstehen!“

„Aufstehen, was ist denn los?“

„Sie müssen aufstehen, das Auto muss weg!“

„Auto? Welches Auto?“

„Der Polo, er muss sofort verschwinden.“

„Was ist denn passiert?“

„Nun kommen Sie schon, der Polo steht vor meinem Haus und muss da weg!“

„Warum denn?“

„Die Nachbarn! Die fragen sich doch, was der Polo hier zu suchen hat.“

„Was interessiert denn die Nachbarn der Polo?“

„Die wissen, dass- der nicht zu uns gehört, und werden jetzt Gerüchte verbreiten.“

„Nun mal langsam. So ein Auto kann doch überall herumstehen.“

„Aber doch kein Werkswagen, da fragen die Leute hier, wer fährt den denn?“

„Ach, und welche Schlüsse ziehen die Leute hier daraus?“

„Na welche wohl? Mein Mann ist weg und ich arbeite auch im Werk. Welche Schlüsse zieht man da?“

„Na schön Harla, heute Nacht waren Sie aber viel netter zu mir.“

„Ach Charly verstehen Sie doch!“

„Na bis Montag dann. Erzählen Sie den Nachbarn doch einfach, dass Sie sich den Wagen ausgeliehen hätten, weil Ihrer nicht angesprungen ist.“

Am Montag, als Charly zur Arbeit erscheint, schaut Harla etwas verunsichert zu ihm auf. Er aber grüßt wie gehabt und geht in sein Zimmerchen und macht sich an die Arbeit. Harla kann es drehen und wenden wie sie will, ihr bleibt nichts anderes übrig, als Charly zum Essen zu bitten. Wie sähe es denn aus, wenn sie mit einem Mal getrennt in der Kantine erscheinen würden. Aber Charly kommt ihr entgegen und fragt sie seinerseits, und so gehen sie wie gehabt gemeinsam zum Essen, wo sich dann ein lockeres, unverbindliches Gespräch entwickelt. Über ihre gemeinsam verbrachte Nacht reden sie nicht.

Als Charly wieder in seinem Büro sitzt, bemerkt er Aktivitäten von Harla im Internet. Doch plötzlich ist er abgeschnitten. Sie will ihn dieses Mal, entgegen ihrer Gewohnheit, nicht zuschauen lassen. Das sieht Charly natürlich anders. Was Harla nicht wissen kann; Charly hatte wohl wissend, dass man ihn irgendwann abschalten würde, eine Schleife ins System geschaltet, die ihn automatisch wieder ins System zurückführt. So kann er verfolgen, wie Harla ihren Mann von den Absichten Dr. Spessarts informiert. Sie rät ihm, nicht mit Spessart zusammenzuarbeiten, sondern ihn bei Prof. Cha Wung zu verpfeifen, weil er hinter dessen Rücken mit dem Projekt Karriere machen will. Harlas Mann reagiert sofort und informiert Prof. Cha Wung. Charly konnte alles verfolgen.

„Sagen Sie Harla …“

„Huch, Charly Sie?“

„… ich wollte nur fragen, ob Ihr Mann, wenn Dr. Spessart nun in Schanghai ist, in das Projekt involviert ist, ich meine, ob er mit ihm zusammenarbeitet?“

„Wie, wie, wie … wieso?“

„Na Sie haben ihm doch eben eine Mail geschickt.“

„Woher wollen Sie denn das wissen?“

„Auch ich habe meine Informanten Harla.“

„Das können Sie doch gar nicht wissen.“

„Tja, Sie hatten mich zwar rausgeschaltet, hat aber nicht funktioniert.“

„Was ist hier eigentlich los?“

„Oh, Herr Professor Cha Wung, ja aber … der Herr Dr. Spessart ist verreist.“

„Das habe ich auch schon mitbekommen und warum weiß ich nichts davon?“

„Er sagte, er hätte Sie informiert, Herr Professor ...“

„Hat er nicht und wenn, dann müsste doch ein Vermerk im Direktionsnetz sein.“„Er sagte, das bräuchte ich nicht zu tun, es wüssten ja sowieso alle Bescheid.“

„Ach, wer stellt den hier eigentlich die Regeln auf? Rufen Sie ihn sofort zurück.“

„Jawohl, das werde ich gleich erledigen Herr Professor Cha Wung.“

„Und wer ist der junge Mann?“

„Das ist Charly Newman, er ist unser neuer Praktikant und arbeitet auch an dem Projekt.“

„Ach, der Spessart baut sich hier eine Privatorganisation auf. Frau Spät, machen Sie mit meiner Sekretärin einen Termin, der junge Mann soll mir das Projekt vortragen.“

„Wird gleich erledigt. Auf Wiedersehen Herr Prof. Cha …“

„Na Harla, das haben Sie aber schlau eingefädelt, aber was haben Sie bzw. Ihr Mann nun davon?“

„Na ja, wie soll ich sagen, der Bereichsleiterposten von Dr. Spessart ist ja nun vakant.“

„Nun müssen wir Ihren Mann nur noch in den Sattel heben.“

„Wir?“

„Ja wir Harla. Ich bin ja schließlich Mitwisser. Machen Sie mich doch zum Mittäter.“

Na schön, aber wie?“

„Sie sagen Spessart ist erledigt?“

„Das kann man wohl sagen.“

„Sie haben Zugang zu seinem Zimmer?“

„Hab ich.“

„Dann lassen Sie uns doch mal seinen Schreibtisch aufräumen, mal sehen, wie viel Leichen er im Keller hat und was er sonst noch weiß, was andere nicht wissen sollen.“

„Meinen Sie, das bringt was?“

„Was glauben Sie denn, warum diese Leute solche Posten haben? Wir sollten uns einmal die Akten etwas anschauen. Nicht die Ordner, die im Schrank stehen, sondern die in seinem Schreibtisch.“

„Der ist verschlossen.“

„Sehen Sie Harla! Wissen Sie, wo er den Schlüssel versteckt hat?“

„Ich glaube ja. Es gibt einen Ordner, der zwar voll Papier ist, der aber nie benutzt wird. Da könnte der Schlüssel sein. Ich schau gleich mal nach … tatsächlich, da ist er!“

„Dann lassen Sie uns gleich einmal stöbern, Harla. Da ist nicht viel drinnen, aber schauen wir uns das Wenige einmal an. Komfortables Sofa. Machen wir es uns bequem zum Studieren.“

„Ja wir müssen auch nicht befürchten, dass uns Spessart überrascht, der ist ja noch in Schanghai.“

„Nanu, die Szene hatten wir doch schon einmal, jetzt fehlt nur noch der Schampus.“

„Ja, ich erinnere mich auch. Ich glaub, in seiner Bar müsste sogar noch eine Flasche stehen, die können wir uns genehmigen. Das wird keiner merken und Spessart braucht Sie nicht mehr.“

„Bringen Sie auch Gläser mit!“

„Na klar. So, machen Sie wieder die Flasche auf?“

„Wie beim letzten Mal?“

„Wie beim letzten Mal; ich meine natürlich die Flasche.“

„Plop, das wars. Na dann, Prost.“

„Zum Wohl Charly.“

„Dann lassen Sie uns einmal sehen, was in dem Ordner so drinnen steht, Harla.“

„Nur Namen und Adresskürzel, die ich alle nicht kenne. Versteh ich nicht.“

„Scheint etwas Geheimes zu sein. Dazu muss es aber auch einen Schlüssel geben.“

„Wo der Schlüssel dazu liegt, weiß ich aber nicht. Noch einen Schluck, Charly?“

„Ja gern, ich schenk schon ein. Die Contras und das Terra-Cotta-Projekt. Was bedeutet das und dazu der Name Li Dau Zeng, hab ich irgendwo schon einmal gehört und die anderen Namen?“

„Weiß ich auch nicht, nur Li Dau Zeng, den Namen kenn ich, der ist der Chef vom ganzen Laden.“

„Ja ich erinnere mich.“

„Irgendwie steigt bei mir die Stimmung.“

„Nicht euphorisch werden Harla, noch ist dein Mann nicht Bereichsleiter.“

„Hoffentlich aber bald. Noch nen Schluck?“

„Meinetwegen.“

„Wir tüdeln uns jetzt einen Kleinen an. Noch nen Schluck? Dann ist die Flasche leer.“

„Harla darf ich Ihnen Ihr Goldkettchen abnehmen?“

„Ich hab doch gar keins um.“

„Ich kann ja auch nicht sehen, ob Sie eins unter dem Pulli haben. Ich schau einfach einmal nach.“

„Charly, was fummeln Sie da unter meinem Pulli herum?“

„Ich suche das Kettchen.“

„Da werden Sie aber keins finden.“

„Dafür habe ich aber etwas anderes gefunden.“

„Nicht Charly, nein das dürfen Sie doch nicht. Huch, was stupst mich denn da am Oberschenkel.“

„Das ist der dritte Mann.“

„War das nicht mal so ein Film.“

„Kann sein; der ging aber anders.“

„Oh Charly, oh … ooohh Charly!”

Charly hat die Liste an sich genommen, was Harla egal zu sein scheint. Er bereitet sich auf den Vortrag für Cha Wung vor. Er trifft sich mit July Kamsha und Karl Demmert gelegentlich, um seine Arbeiten mit ihnen durchzusprechen. Die Mittagspausen verbringt er weiterhin mit Harla, aber jetzt nur ganz kurz in der Kantine, dafür etwas länger auf dem Sofa von Dr. Spessart. Ach, Dr. Spessart, der ist zurückgekommen und durfte gleich seinen Hut nehmen. Als er seinen Schreibtisch ausräumt, vermisst er sein Buch, in dem er seine geheimen Aufzeichnungen hat. Harla Spät beteuert aber, dass in ihrem Beisein niemand sein Zimmer betreten hätte. Es müsste demnach jemand in seiner Abwesenheit eingedrungen sein. Harla fragt scheinheilig, ob denn ein wichtiges Schreiben in der Schublade gewesen wäre, denn dann müsste sie doch auch eine Kopie in ihren Unterlagen haben. Spessart knurrt nur und schickt sie hinaus. Sie hört, wie er ein langes Gespräch in einer ihr fremden Sprache mit einem Unbekannten führte.

2

Jenny ist verzweifelt, sie nimmt ihr Kind und setzt sich in den Zug. Irgendwo in der Heide muss doch dieses verdammte Dorf sein, in dem die geächteten Menschen leben, die sich von der sogenannten Wertegemeinschaft abgesondert haben. Von den Medien, – ach die Medien, die waren doch sowieso alle gleichgeschaltet, – von den Medien wurde nur Negatives oder eben nichts über diese Leute berichtet, aber aus dem Untergrund hörte man andere Dinge.

Jenny und ihre Tochter Scherz sitzen in dem völlig überfüllten Abteil 4. Klasse. Der veraltete und reparaturbedürftige Zug schleppt sich mühsam von Station zu Station voran.

Für die erste und zweite Klasse gibt es extra Züge mit dem entsprechenden Komfort. Die Waggons der 4. Klasse werden unterwegs nicht kontrolliert, da wagt sich kein Schaffner hinein. Viele der Passagiere haben keine Fahrkarten, sie springen bei der Abfahrt des Zuges auf oder springen von Brücken auf den fahrenden Zug.

„Hallöschen, Dschungel Frau, haste nicht paar Unierte fürn arbetslosen Hungrigen?“

„Ich habe mein letztes Geld für die Fahrkarten ausgegeben, bei mir ist nichts zu hohlen.“

„So siehste aba nischt aus bei die Klamotten. Die kannste doch enfach ausziehen, isch verkof die und wir teilen uns die Kohle, haha. Ohne Klamotten kriegste gleich nen Freier so wie de aussiehst; zum Beispiel misch. Isch krieg natürlisch Rabatt bej dir, weil isch die Klamotten verkoft habe … he.“

„Lassen Sie meine Kleidung los und befummeln Sie mich nicht!“

„He, he die Klene ziert sisch wohl etwas, komm doch mal mit ans Ende vom Wagen, da werd isch Disch überzeigen von meene Qualitäten, die isch habe. Nun komm schon, das Kind kann solang hier bleben.“

„Lassen Sie mich … bitte.“

Jenny fängt an zu weinen und drückt Scherz fest an sich.

„Weste Schwester, meene Jeduld is nu am Ende, keene Kohle, keene Klamotten; nu will isch wenigstens etwas Vergnüschen haben, komm schetzt.“

„Du hast dein Vergnügen gehabt – Alter. Lass die Frau jetzt in Ruhe!“

„He, he, wen haben wir denn da. Eener von die Ureingebohrenen, ihr habt doch gar nischt mehr zu sagen hier. Isch bin übrijens der Scheff von diesn Waggon, weste. Isch der Schakal. Isch leb hier. Ja isch fahr die Strecke hin und zurick und zurick und wieder hin. Scheden Tag und meene Fahrjäste müssen mir was bezahlen. Du auch. Wer nischt will, muss ausstaigen, ohne dass der Zug hält, ha, ha, ha.“

Der Mann mit dem Ohrring und der Kette um den Hals zieht ein Messer und grinst.

„Glaub scharnich, dass Dir hier schemand hilft.“

„Da hast du aber dieses Mal mit Zitronen gehandelt, Alter. Du musst nämlich nicht nur mich rauswerfen, sondern auch meine fünf Brüder. Schau mal hin. Vielleicht setzten wir dich einfach einmal an die Luft. Du kannst ja auf den nächsten Zug warten und dort den Chef spielen. Allerdings fällt mir gerade ein, im nächsten Zug sitzt ja Sultan Zip. Der ist dort der Chef. Er heißt übrigens Zip, weil er Leute gerne von oben nach unten wie einen Reißverschluss aufschlitzt. Reißverschlüsse auf Englisch Zip … weißte, und Sultan wie Chef. Aber du wirst es ihm schon zeigen, da bin sicher.“

„Heja, Heja, seid wann seid ihr so viele? Nu sei doch nischt gleeich so sauer. Das is doch nur een Missverständnis. Ihr seid doch meene Jäste. Ja, Ihr steht unter dem Schutz meener Leibjarde … Na, was is?“

„Ach ja, deine Privatarmee. Der versoffene Haufen, der mit bepissten Hosen in seiner eigenen Kotze liegt. Kommen Sie zu uns, junge Frau. Bei uns haben Sie nichts zu befürchten.“

Jenny nimmt Scherz auf den Arm und geht zitternd zu den jungen Männern, die am Ende des Abteils am Boden sitzend einen Ring gebildet haben.

„Hier in der Mitte liegt ein Kleidersack, darauf können Sie sich legen und erst einmal eine Runde schlafen. Sie scheinen ja fix und fertig zu sein.“

„Vielen Dank, dass Sie mir geholfen haben. Wieso fahren Sie denn in dieser Klasse mit diesem Gesindel?“

„Seien Sie froh … Wir sparen ganz einfach. Wir müssen nicht in der zweiten oder dritten Klasse fahren. Statussymbole bedeuten uns nichts …“

„… und in der vierten Klasse kann man euch auch nicht kontrollieren. In der ersten und zweiten Klasse gibt es ja nur Namenstickets.“

„Oha, Sie sind ja ein ganz schlaues Kerlchen. Ja in der ersten und zweiten werden nicht nur die Namen überwacht, sondern man weiß auch wohin und woher. In der dritten Klasse kontrollieren die Schaffner wenigstens noch die Fahrkarten und schauen die Fahrgäste genauer an. Wohin wollen Sie übrigens oder ist das geheim?“

„Eigentlich schon. Ich suche da ein Dorf in der Heide …“

„Ach ja, wo die Geächteten wohnen sollen und was wollen Sie da?“

„Ich will aus diesem verlogenen System aussteigen.“

„Vorsicht Mädel, hier haben die Wände Ohren, auch wenn sie brüchig sind. Der Waggonchef verdient sich gerne ein paar Unierte, der hat schon manchen ans Messer geliefert.“

„Und warum euch nicht?“

„Wir werden zwar nicht geliebt, man kann uns aber auch nicht an die Karre fahren.“

„Weil Ihr euch abgeschottet habt?“

„Jetzt ist es genug Gerhardt, sie muss ja nicht alles wissen. Schlafen Sie jetzt, der Zug braucht noch fünf Stunden, bis Sie da sind, wo Sie hinwollen.“

„Sie kennen also das Dorf?“

„Das ist ja kein Geheimnis. Die lassen nur nicht jeden rein. Die haben Angst vor U-Booten. Die vom Geheimdienst würden viel dafür geben, um jemand da hineinzubekommen.“

„Meinen Sie, die würden mich und mein Kind vor Ihrer Haustür verhungern lassen?“

„Mitleid erwecken kann auch ein Trick der Stasi sein. Die schrecken vor nichts zurück.“

„Aber woher kriegen die denn ihre Leute?“

„Gar nicht, die ziehen nur noch eigene auf. Die haben mehrere Selbstreinigungen durchgemacht und nun nehmen sie niemand mehr.“

„Aber es gibt doch noch genügend Menschen, die genauso denken, warum nehmen sie die nicht?“

„Die können doch ihre eigenen Dörfer bauen. Und nun schlafen Sie noch ein wenig.“

Jenny fällt in einen unruhigen Schlaf. Scherz kuschelt sich an sie und weint leise, bis auch sie einschläft.

„Endstation, alle aussteigen, alle aussteigen bitte.“

Ein wildes Gedränge entsteht, alle wollen zugleich hinaus. Sie schubsen und schimpfen. Jeder versucht seine Güter, die er mitgeführt hat, irgendwie durch die Türen oder die Fenster zu zwängen.

„He, könn Se nich etwas mehr Rücksicht nehmen?“

„Rücksicht? Was isn das? Das gabs vielleicht mal vor hundert Jahren.“

Ein heruntergekommener Kerl trampelt über den Korb mit Gemüse, der verzweifelten Kleinbäuerin und höhnt.

„Haste überhaupt deine Abgaben geleistet oder is das alles schwarze Ware?“

„He, junge Frau, aufwachen hier ist Endstation.“

Jenny springt auf. Der Zug ist bereits leer. Nur die jungen Männer sind noch da.

„Können Sie mir sagen, wo das Dorf ist?“

„Wozu, die nehmen Sie doch nicht auf. Zu viele Spione.“

„Ach Winhold, lass das Versteckspielen. Kommen Sie mit uns, wir zeigen es Ihnen. Trotzdem, reinkommen werden Sie nicht.“

„Ich kann es ja versuchen.“

„Wie Sie wollen.“

Inmitten einer zerlumpten Horde verlassen sie den baufälligen Bahnhof.

„Schau malGerhardt, die beiden Kerle, die da am Zaun herumlungern. Warten die auf uns oder halten sie nur ganz allgemein Ausschau?“

„Das wissen wir erst, wenn wir unterwegs kontrolliert werden.“

Sie marschieren die staubige Straße hinunter. Die jungen Männer tragen schwere Rucksäcke. Bald kommen sie an ein paar halb verfallenen Hütten vorbei.

„He Jungs, ihr müsst den Feldweg nehmen. Hinter der nächsten Kurve steht die Schmiere, die haben es bestimmt auf euch abgesehen.“

„Danke, mein Freund … hol dir bei uns einen Sack Kartoffeln ab.“

An Jenny gewandt: „Die Leute sind doch nicht so angepasst, wie die da oben es gerne hätten.“

„Das weiß ich längst und viele andere auch. Nur einige wollen es einfach nicht begreifen.“

Im Schutze hoher Maispflanzen gehen sie den Feldweg entlang, bis sie an einen Waldrand kommen. Von hier führt sie ein schmaler Pfad durch den lichten Laubwald. Für Jenny, das Stadtmädchen, ist das Gehen auf dem holperigen Pfad sehr beschwerlich. Nach einer Stunde Marsch wird endlich eine Rast eingelegt. Jenny war für einen Augenblick unschlüssig, wo sie sich hinsetzen sollte, nahm dann aber neben Winhold Platz.

„Wo wohnt ihr eigentlich und was schleppt ihr da in euren Rucksäcken?“

„Wir haben Güter eingekauft, die wir nicht selber produzieren und wir wohnen in dem Dorf, wo du hin willst“, antwortet Olaf.

„Aber, dann könnt ihr uns doch mitnehmen.“

„Das haben wir nicht zu entscheiden. Die Chancen stehen schlecht für dich. Ich möchte sagen sogar sehr schlecht. Nur dabei sein wollen reicht nicht und U-Boote hatten wir schon zur Genüge. Übrigens auch ganze liebe und dazu noch hübsche, … hübscher als du. Außerdem meinen manche, wir seien so eine Art Sozialamt, weil wir uns gegenseitig helfen. Da kommen welche und sitzen den lieben langen Tag herum und geben gute Ratschläge, nur anpacken können sie nicht so richtig. Beim Essenfassen sind sie dann wieder die Ersten, und sobald es regnet oder kalt wird, sind sie bettlägerig. Bei uns wird die ganze Woche zehn Stunden am Tag gearbeitet und am Sonnabend haben wir Gemeinschaftsdienst von neun Uhr bis drei. Da bauen wir unser Gemeinschaftshaus mit Turnhalle, Kindergarten und Schule oder wir bauen eine Stauwehr, um die Wasserversorgung zu sichern und Strom zu erzeugen.“

„Aber das find ich toll, da möchte ich mitmachen.“

„Dann bau dein eigenes Dorf. Du weißt ja gar nicht, ob dir das Leben bei uns behagen würde. Wir pflegen das traditionelle Familienleben, darum hassen uns die da oben und ihre Knechte.“

„Wie soll ich denn ein eigenes Dorf bauen, soll ich mit den Händen im Sand graben?“

„Nein, musst du nicht. Etwa einen Kilometer von unserem Dorf entfernt stehen ein paar Hütten, wo Leute hausen, die von uns abgewiesen wurden und es nun selbst versuchen. Sie haben die gleichen Anlaufschwierigkeiten, wie wir sie hatten, aber es fehlt ihnen auch eine Führerpersönlichkeit, die den Laden organisieren kann. Vielleicht bist du ja die Richtige. Winhold, du wirst die junge Frau dorthin begleiten und um Unterkunft nachfragen. Wir werden euch für die nächsten Tage mit Lebensmitteln versorgen. Ein Dauerrecht entsteht euch jedoch dadurch nicht.“