Weihnachtswunder gesucht - Natalie Rabengut - E-Book

Weihnachtswunder gesucht E-Book

Natalie Rabengut

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Beschreibung

Als Vollwaise verbinde ich mit Weihnachten nicht unbedingt glückliche Kindheitserinnerungen. Ironischerweise bekomme ausgerechnet ich eine E-Mail vom Bürgermeister von Neuhnfelde – dem Ort, in dem das ganze Jahr über Weihnachten ist. Ich soll eine Mühle geerbt haben und die Stadt will sie mir abkaufen. Dagegen habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden, allerdings ist meine Neugierde geweckt, schließlich muss mein Erbe ja irgendwo hergekommen sein. Also fahre ich nach Neuhnfelde, um mir anzusehen, wo die Leute gelebt haben, die mich nicht wollten. Bleiben werde ich keinesfalls. Weihnachten ist einfach nichts für mich, noch weniger mitten im Sommer. Erstaunlicherweise finde ich viel, viel mehr, als ich erwartet habe, und dazu noch eine charmante Stadt mit unerträglich liebenswürdigen Einwohnern. Gut. Fast alle Einwohner sind liebenswürdig. Bloß Melanie Gressmann, die hübsche Goldschmiedin mit den unverschämt langen Beinen, ist ungenießbar. Es gibt Gerüchte darüber, dass sie angeblich lächeln kann, aber das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe. Vielleicht bleibe ich doch eine Weile in Neuhnfelde – wenigstens so lang, bis ich Melanie ein Lächeln entlockt habe …  Romantische Liebeskomödie. In sich abgeschlossen. Gefühlvolle Handlung. Ein Schuss Humor. Explizite Szenen. 

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WEIHNACHTSWUNDER GESUCHT

WEIHNACHTEN IN NEUHNFELDE

BUCH DREI

NATALIE RABENGUT

ROMANTISCHE LIEBESKOMÖDIE

Copyright: Natalie Rabengut, 2023, Deutschland.

Korrektorat: http://www.swkorrekturen.eu

Covergestaltung: Natalie Rabengut

ISBN: 978-3-910412-28-6

Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.

Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.

www.blackumbrellapublishing.com

INHALT

Weihnachtswunder gesucht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Epilog

Über Natalie Rabengut

WEIHNACHTSWUNDER GESUCHT

Als Vollwaise verbinde ich mit Weihnachten nicht unbedingt glückliche Kindheitserinnerungen. Ironischerweise bekomme ausgerechnet ich eine E-Mail vom Bürgermeister von Neuhnfelde – dem Ort, in dem das ganze Jahr über Weihnachten ist.

Ich soll eine Mühle geerbt haben und die Stadt will sie mir abkaufen. Dagegen habe ich grundsätzlich nichts einzuwenden, allerdings ist meine Neugierde geweckt, schließlich muss mein Erbe ja irgendwo hergekommen sein. Also fahre ich nach Neuhnfelde, um mir anzusehen, wo die Leute gelebt haben, die mich nicht wollten.

Bleiben werde ich keinesfalls. Weihnachten ist einfach nichts für mich, noch weniger mitten im Sommer.

Erstaunlicherweise finde ich viel, viel mehr, als ich erwartet habe, und dazu noch eine charmante Stadt mit unerträglich liebenswürdigen Einwohnern.

Gut. Fast alle Einwohner sind liebenswürdig. Bloß Melanie Gressmann, die hübsche Goldschmiedin mit den unverschämt langen Beinen, ist ungenießbar. Es gibt Gerüchte darüber, dass sie angeblich lächeln kann, aber das glaube ich erst, wenn ich es mit eigenen Augen sehe.

Vielleicht bleibe ich doch eine Weile in Neuhnfelde – wenigstens so lang, bis ich Melanie ein Lächeln entlockt habe …

Romantische Liebeskomödie. In sich abgeschlossen. Gefühlvolle Handlung. Ein Schuss Humor. Explizite Szenen.

KAPITEL1

MELANIE

Mit einem zufriedenen Lächeln schob ich eine Hand hinter meinen Kopf und lauschte auf mein wild klopfendes Herz. Meine Oberschenkel bebten noch ein bisschen und ich fühlte mich gut. Richtig, richtig gut.

Es ging doch nichts über zwei, drei anständige Orgasmen.

Der Moment hätte perfekt sein können, wenn Yannik nicht so unfassbar gequält geseufzt hätte.

Die Matratze sackte neben mir ein, als er den Oberkörper wie einen Zementblock fallen ließ. Sein zweites Seufzen war noch lauter und ich rollte mit den Augen. Ich konnte den Countdown schon mal einleiten. Yanniks Vortrag würde gleich beginnen.

In drei, zwei, eins …

»Wir sollten das nicht mehr machen.« Er suhlte sich in seinem Selbstmitleid. »Das muss aufhören.«

»Warum?« Ich musterte meine erst kürzlich frisch gestrichene Schlafzimmerdecke. Der zarte Grauton war eine gute Wahl gewesen und wirkte auf mich viel beruhigender als kaltes Weiß. Oder warmes Weiß. Oder überhaupt Weiß.

»Weil …« Er brach ab und suchte nach einem Grund, den er – wie immer – nicht finden würde.

»Das zwischen uns funktioniert doch wunderbar«, sagte ich – ebenfalls wie immer.

»Du magst mich nicht einmal«, beklagte er sich.

»Hey, das liegt nicht an dir. Du weißt, dass ich niemanden mag.«

»Das macht es ja nicht besser!«

Ich hob den Kopf ein kleines Stückchen und musterte Yanniks Körper – die starken Arme, den flachen Bauch, seine großen Hände und natürlich seinen Schwanz. »Ich mag einiges an dir.«

Er griff nach der Bettdecke und warf sie über mein Gesicht. »Du bist unmöglich!«

Ich hörte seine Stimme bloß gedämpft, schob die Decke wieder weg und pustete mir ein paar Haarsträhnen aus der Stirn. »Du kannst so schön fest zupacken.«

»Melanie, das ist mein Ernst.«

»Das sagst du immer. Ich meine, wie lange machen wir das jetzt?«

»Zu lang«, erwiderte er mit Grabesstimme.

»Komm schon.« Ich rollte mich auf die Seite und bohrte den Zeigefinger in seine Rippen. »Wie lang?«

Er packte mein Handgelenk und schob mich weg. »Sechs Jahre? Fast sieben?«

»Siehst du? Es ist das perfekte Arrangement.«

Yannik schüttelte den Kopf. »Was ist, wenn uns jemand erwischt?«

»Wer soll uns denn erwischen? Habe ich verpasst, dass Elmo mit einem Fernglas vor meinem Fenster hängt? Und Samuel hat hoffentlich auch Besseres zu tun. Dass du für die vier-, fünfmal im Jahr so einen Aufstand machst.«

Er presste die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme vor der Brust. Angesichts der Tatsache, dass er splitterfasernackt war, wirkte das nicht ganz so beeindruckend, wie er es sich vermutlich vorstellte. »Ich werde nicht gern benutzt.«

»Richtig. Für dich springt natürlich rein gar nichts dabei raus.« Ich ließ mich wieder sinken, streckte mich neben ihm aus. »Wir haben vereinbart, dass es okay ist, solange niemand von uns jemanden datet. Datest du jemanden?« Ich wusste, dass ich mir die Frage sparen konnte, denn die einzigen anderen Single-Frauen in der Stadt, die auch nur ansatzweise in Yanniks Altersgruppe lagen, waren Meike Meidner, Dr. Sofia Haberlin, Svenja Wintsch und Nesrin Heydari.

Mit Meike waren wir zur Schule gegangen und da sie unter einer Angststörung litt und nie vor die Haustür ging, konnte ich mir nicht vorstellen, dass sie Yannik anrief und ihn zu sich einlud, wenn sie Lust auf Sex hatte. Vielleicht lag ich da falsch, aber es erschien mir doch sehr unwahrscheinlich.

Dr. Sofia Haberlin war um die Anfang vierzig, geschieden und nicht mehr unbedingt scharf auf Männer. Ich hatte sie einmal in der Nachbarstadt mit einer Frau in einer Bar gesehen – könnte bloß eine Bekannte gewesen sein, auf mich hatte es allerdings wie ein Date gewirkt. Ging mich nichts an, doch aufgrund meiner Beobachtung schloss ich sie als sexuelle Partnerin für Yannik aus.

Ich wusste, dass er Svenja nicht leiden konnte, weil sie immer so unfassbar gut gelaunt war. Unerträglich gut gelaunt. Dermaßen fröhlich, dass man sich unwillkürlich wohl fragte, welche Drogen genau sie nahm.

Und Nesrin? Sie war Ende letzten Jahres hergezogen, um ihren Cupcake-Shop zu eröffnen. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was zwischen ihr und unserem Bäckerei-Besitzer Armin vorgefallen war, aber da lag eindeutig etwas in der Luft. Ich nahm an, dass sein Kopf explodieren würde, sollte Yannik auch nur mit dem Gedanken spielen, Nesrin einen Moment zu lang anzuschauen.

»Nicht direkt«, sagte er.

»Aha.« Ich runzelte die Stirn. »Und mit wem triffst du dich indirekt?«

Er war bedenklich lange ruhig, denn eine seiner furchtbarsten Eigenschaften war, wie viel er reden konnte und vor allem wollte. Über seine Gefühle. Meine Gefühle. Nicht zum Aushalten war das.

Was frau nicht alles tat, um in einer Stadt wie Neuhnfelde wenigstens ab und zu guten Sex zu haben. Vielleicht sollte ich bei der nächsten Stadtratssitzung vorschlagen, dass wir ein paar Callboys herholten. Frauen hatten auch Bedürfnisse. Ich hörte im Geiste schon, wie das Kaffeekränzchen begeistert jubelte, obwohl die Damen zusammen gute vierhundert Jahre alt sein mussten.

»Wenn ich dir das sage, machst du dich nur wieder über mich lustig.«

»Ich würde mich nie über dich lustig machen.«

Yannik drehte den Kopf zu mir und musterte mich angepisst. »Also echt jetzt mal, Mel.«

»Ich hasse es, wenn du mich so nennst.«

»Nein, du hasst es, wenn ich ›Melli‹ sage. Also sage ich ›Mel‹.«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich lediglich gesagt habe, dass Mel nicht ganz so schlimm ist wie Melli. Das heißt nicht, dass ich so genannt werden will.«

»Dein Problem, Mel.«

Zur Strafe rammte ich meinen Finger ein weiteres Mal in seine Seite. »Du wolltest mir von der neuen Frau in deinem Leben erzählen.«

»Nein, wollte ich nicht.«

Ich verharrte nahezu regungslos. »Also ist da wirklich jemand?«

Yannik seufzte. Im Seufzen war er wirklich fast so gut, wie er im Bett war.

Skrupellos bohrte ich den Finger tiefer. »Erzähl’s mir, erzähl’s mir, erzähl’s mir, erzähl’s mir, erzähl’s mir, erzähl’s mir, erzähl’s mir!«

»Ist ja schon gut.« Er hielt meine Hand fest und streckte den Arm aus, nahm sein Handy vom Nachttisch. »Wehe, du machst dich über mich lustig!«

»Ich gebe mein Bestes«, versprach ich. Versuchen konnte ich es ja.

Yannik öffnete seinen Browser, während ich gar nicht erst vorgab, etwas anderes zu machen, als ihm schamlos zuzusehen.

»OnlyFans?«, fragte ich. »Du kleiner Spießer hast einen OnlyFans-Account?«

Sofort ließ er das Handy sinken. »Das klingt, als würdest du dich über mich lustig machen wollen.«

Ich schüttelte den Kopf und presste beide Hände vor meinen Mund. »Niemals«, nuschelte ich hinter meinen Fingern, sodass ich kaum zu verstehen war.

Seine Augen wurden schmal, aber er machte weiter, meldete sich an und rief ein Profil auf, ehe er mir das Handy unter die Nase hielt.

»Hannah Honigschnute?« Ich nahm ihm das Smartphone ab. »Was für ein blöder Name!«

Yannik räusperte sich sehr, sehr laut.

»Niedlicher Name, wollte ich sagen«, log ich und tippte das erste Foto an. »Aber sie ist hübsch.«

»Ich weiß.« Er klang zufrieden und verschränkte die Hände hinter dem Kopf.

»Wieso kann ich nicht alle Beiträge sehen?«

»Manche Inhalte muss man zusätzlich zu dem Abo kaufen«, erklärte er.

Ich scrollte über die Seite. Zwar wusste ich, was OnlyFans war, hatte mich selbst aber bisher nicht damit beschäftigt. »Das heißt, du hast alles gekauft außer die Beiträge mit diesem Schloss-Symbol.«

»Genau, also alles, was mich neben dem interessiert hat, was sowieso im Abo enthalten ist.«

»Im Abo?«

»Ja, voller Zugang kostet 14,99 Euro im Monat.«

Ich starrte auf die Abonnentenzahl, und mein Kopf platzte fast, während ich ausrechnete, was Hannah Honigschnute wohl im Monat verdiente. »Warte mal …«

»Hm?« Yannik hatte eine Augenbraue gehoben und sah mich an.

»Wie genau funktioniert das?«

»Du kannst dir einfach einen Account machen und folgen, wem du willst. Es gibt immer ein bisschen was gratis, aber wenn du alles sehen willst, musst du ein Abo abschließen. Neben dem Abo gibt es noch Premium-Inhalte.«

»Was für Premium-Inhalte?«, wollte ich wissen.

»Meistens Videos.« Er wich meinem Blick aus, weshalb ich beschloss, dass ich es mir wahrscheinlich einfach ansehen sollte.

Die meisten Fotos von Hannah Honigschnute zeigten sie in hübscher Unterwäsche und lasziven Posen, aber es war nichts extrem Sexuelles dabei. Den Großteil davon hätte sie wahrscheinlich auch auf Instagram posten können, wobei ich hier und da ihre Nippel ausmachen konnte.

Ich klickte das erste Video an, doch es begann relativ harmlos mit ihr in hübscher Unterwäsche auf einem großen Bett. Allerdings ahnte ich angesichts der aufgereihten Sexspielzeuge bereits, worauf es wohl hinauslaufen würde. Ich scrollte durch das Video, sah zu, wie die Hüllen fielen und der erste Dildo zum Einsatz kam.

»Das ist … irgendwie sexy«, gestand ich nach einer Weile.

»Ja.« Yannik strahlte mich an.

»Was kostet so ein extra Video?«

»Das variiert, je nach Länge und Inhalt.«

»Hm«, machte ich. »Und die Videos, die du nicht gekauft hast?«

»Sind halt Sachen, die mich nicht interessieren.«

»Wie zum Beispiel? Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.«

Er zuckte mit den Achseln. »Lesbensachen. Das gibt mir nichts.«

»Oh, sie hat Videos mit anderen Frauen?« Meine Neugier war geweckt. »Auch mit Männern?«

»Nein, das macht sie nicht, hat sie gesagt.«

Ich tippte das nächste Video an – Hannah Honigschnute in der Badewanne. »Jetzt sag doch mal, was du hierfür bezahlt hast.«

»Keine Ahnung. Acht Euro oder so.«

Ich zählte die gekauften Videos durch und rechnete es mit dem monatlichen Beitrag zusammen. Mein Blick wanderte wieder zu der Anzahl der Abonnenten. »Zahlen die alle fünfzehn Euro im Monat?«

Yannik schüttelte den Kopf. »Nein, bloß knapp ein Drittel der Leute bezahlt für das Abo. Das hat sie mal in einem Live-Stream gesagt. Die kann man sich auch nur ansehen, wenn man abonniert, und da waren siebzigtausend Zuschauer oder so dabei.«

Hannah Honigschnute hatte laut der Anzeige knapp sechshunderttausend Abonnenten. Wenn ein Drittel davon fünfzehn Euro im Monat zahlte, dann verdiente sie drei Millionen im Monat. Nein, das konnte nicht sein, oder?

Und da war noch nicht eingerechnet, was Fans wie Yannik zusätzlich springen ließen.

Ich schluckte. Das war irrsinnig viel Geld.

Es dauerte, bis ich meinen Schock verdaut hatte und mir ein ganz anderer Gedanke kam. »Warte mal …«

»Hm?« Er sah mich an.

»Versuchst du mir jetzt wirklich weiszumachen, dass du keinen Sex mehr mit mir willst, weil du dich sonst fühlst, als würdest du eine Pornodarstellerin hintergehen?«

Er runzelte die Stirn. »Ich glaube, sie sieht sich selbst als Sexworkerin.«

Ich holte tief Luft, weil er mir ganz eindeutig auswich. »Versuchst du mir jetzt wirklich weiszumachen, dass du keinen Sex mehr mit mir willst, weil du dich sonst fühlst, als würdest du eine Sexworkerin hintergehen?«

Yannik schwieg, ehe er langsam nickte.

»Du servierst mich für Hannah Honigschnute ab?«

»Abservieren ist ja wohl übertrieben«, sagte er. »Wir sind nicht mal Friends with benefits, weil du mich nicht dein Freund sein lässt. Wir wohnen zufällig im selben Ort und haben Sex, wenn dir danach ist. Sonst sagst du mir nicht mal Hallo.«

»Du übertreibst.« Ich schnaubte. »Ich habe dir sogar ein Geburtstagsgeschenk mitgebracht.«

»Ein Blowjob ist kein Geburtstagsgeschenk!«

Ich verschränkte die Arme. »Komisch. Damals hast du dich nicht beschwert.«

»Mensch, Mel, jetzt hör auf. Ich habe schon ein paarmal gesagt, wie schwer mir das hier fällt.«

»Es ist doch keine Alternative, Hannah Honigschnute aus der Ferne anzugeilen.«

Yannik presste die Lippen aufeinander und nahm mir das Handy weg. »Ich wusste, dass du es nicht verstehen würdest. Was soll ich denn machen? Der Workshop läuft zum ersten Mal seit Jahren gut – ich kann jetzt nicht wegziehen. Ich weiß ja nicht, wie deine Finanzen aussehen, aber meine erholen sich gerade erst nach all der mageren Zeit. Ich habe letzten Monat angefangen, endlich was für die Altersvorsorge zu machen. Allerdings kann ich auch schlecht einen Katalog aufschlagen und mir eine Frau hierhin bestellen, um mein Leben mit ihr zu verbringen, oder ist das neuerdings möglich? Und du?« Er schnaubte. »Davon müssen wir gar nicht erst anfangen. Also lass mich doch!«

Er klang ungewohnt scharf, was mir tatsächlich ein schlechtes Gewissen machte. »Sorry«, murmelte ich kleinlaut.

Er sah mich überrascht an. »Schon gut.«

»Also kein Sex mehr?« Der Gedanke war … deprimierend.

Yannik schüttelte den Kopf. »Es liegt nicht an dir. Oder zumindest nicht nur an dir.«

»Ich weiß, ich weiß. Du und deine Gefühle.«

Wir waren eine ganze Weile ruhig, aber ich ließ es mir trotzdem nicht nehmen, mich an ihn zu schmiegen und die Decke über uns auszubreiten. Yannik streichelte meine Schulter.

»Hast du ihr mal geschrieben?«, wollte ich wissen.

»Bist du irre? Ich bin doch kein Creep.«

»Aber ein Fan, oder nicht?«

»Und? Ich glaube, sie bekommt genug furchtbare Nachrichten und Bilder von Schwänzen, da muss ich ihr das Leben nicht noch zusätzlich schwer machen.«

»Vielleicht freut sie sich ja. Du bist ein …«, ich musste mich regelrecht zwingen, es laut zu sagen, »netter Typ.«

»Ein netter Typ? Wow. Danke, echt.« Sarkasmus drang aus jedem Wort.

»Bild dir mal nichts drauf ein. Ich werde in der Öffentlichkeit bestreiten, dass ich das jemals gesagt habe.«

»Du bestreitest in der Öffentlichkeit sogar, dass wir uns kennen, obwohl alle wissen, dass wir in einer Klasse waren.«

»Hm.« Ich zuckte mit den Achseln. »Aber trotzdem. Warum versuchst du dein Glück nicht bei ihr?«

»Weil es schwachsinnig ist. Sie wohnt in München und hat so viele Fans. Warum sollte sie ausgerechnet meine Nachricht lesen und sich denken: Wow, was für ein netter Typ? Hey, weißt du was, ich sollte mein Leben hier aufgeben und nach Neuhnfelde ziehen.«

»Männer sind komisch.«

Yannik lachte. »Schön, dass du uns alle über einen Kamm scherst. Wenn ich von dir auf alle Frauen schließen würde, wäre mein Fazit auch nicht gerade berauschend.«

Ich seufzte, weil er da leider recht hatte.

KAPITEL2

RICHARD

Ich hatte zwei Dutzend neue E-Mails in meinem Postfach und keine davon war relevant. Während ich an meinem Kaffee nippte, mahnte ich mich zur Ruhe. Die Stimmung war ohnehin schon angespannt – wie vor jedem Meeting. Wenn ich jetzt noch den Aufstand probte, zu unserem Boss ins Büro marschierte und ihn anbrüllte, würde es der allgemeinen Situation nicht helfen.

»Richard?«, wisperte Moni hinter mir. »Hast du die Unterlagen fertig?«

Ich hielt die Akte über meine Schulter, ohne hinzusehen. Ich war mir nämlich ziemlich sicher, dass Moni nicht nur wisperte, weil die Tür des Chefs aufstand und er »nicht gestört« werden wollte, sondern auch, weil sie leichter vertuschen konnte, dass sie geweint hatte, wenn ich sie nicht anschaute.

Jeder hier auf der Etage hatte mitbekommen, wie das Arschloch sie angebrüllt hatte, weil die Kaffeemaschine – mit der sie seinen Kaffee gemacht hatte – so laut war.

Es wäre ja auch zu einfach gewesen, die Bürotür schlicht zu schließen, statt alle anderen dazu zu verdammen, so leise wie möglich zu sein. Petra war jetzt dreimal zum Kopierer gegangen, traute sich aber offensichtlich nicht, ihn zu benutzen.

»Danke«, wisperte Moni und schlich auf ihren Zehenspitzen weiter.

Mein Blick glitt zum Kalender. Es war ein Wunder, dass ich es überhaupt achtzehn Monate in dem Laden ausgehalten hatte. Und ein viel größeres Wunder war es, dass ich Mark Harmbeck, meinen Boss, in der Zeit nicht einfach umgebracht hatte.

Eine weitere E-Mail traf in meinem Postfach ein, immer noch nicht die, auf die ich wartete. Es schien bloß Spam zu sein, denn ich wusste beim besten Willen nicht, was der Bürgermeister von Neuhnfelde von mir wollen könnte.

Das war doch diese Weihnachtsstadt irgendwo bei Bremen. Oder zumindest grob dort in der Ecke. Ich hatte schon etliche Fernsehberichte darüber gesehen, aber da ich mit Weihnachten nichts anfangen konnte, war es mir relativ egal gewesen.

Ich markierte die Mail und glitt mit dem Mauszeiger auf das Papierkorb-Symbol. Doch dann zögerte ich. Warum ich sie nicht einfach löschte, wusste ich nicht, aber aus einer Laune heraus öffnete ich die Nachricht und überflog die Zeilen.

Okay, vielleicht war es kein Spam, aber die Nachricht musste – trotz des richtigen Namens in der Anrede – falsch adressiert sein.

[email protected] wollte mir nämlich weismachen, dass ich eine Mühle geerbt hatte. Die sogenannte Brosch-Mühle, die mir die Stadt Neuhnfelde, vertreten durch den Bürgermeister, gern abkaufen wollte.

Bei Rückfragen sollte ich mich melden. Darunter standen mehrere Telefonnummern.

Ich sah auf die Uhr. Das Meeting war in einer halben Stunde und ohne die E-Mail konnte ich nicht weiterarbeiten.

»Ja, und?«, brüllte der Chef in seinem Büro ins Telefon, bevor er lautstark gegen seinen Schreibtisch trat.

Ich öffnete mein Dokument und notierte es für die HR-Abteilung. Eigentlich hatte es als eine Art Scherz angefangen, die Ausraster unseres Bosses zu katalogisieren, doch nach mehr als 45 Seiten kam es mir eher wie ein möglicherweise gutes Beweismittel vor Gericht statt Zeitverschwendung vor.

Letzte Woche war ich mit einer Headhunterin essen gewesen, die mir drei sehr gute Jobangebote vorgelegt hatte. Berlin, Rostock und Köln standen zur Wahl, die Vorstellungsgespräche waren bloß eine Formalität.

Ich verkleinerte das Dokument und klickte ein anderes an. Meine Kündigung. Jeden Tag änderte ich das Datum. Jeden Tag fragte ich mich, worauf ich eigentlich wartete.

Weil ich nichts Besseres zu tun hatte, öffnete ich den Browser und tippte »Brosch-Mühle« und »Neuhnfelde« ein.

Ha, ein charmantes Gebäude, das allerdings schleunigst renoviert werden musste.

Ich las die E-Mail des Bürgermeisters erneut. Die Stadt wollte aus der Mühle und dem Anbau ein dringend benötigtes Hotel für Neuhnfelde machen.

Ich klickte den Link im Footer an. Die Website der Stadt sah überaus professionell aus, mit guten Fotos, übersichtlichen Fakten und einem kleinen Lageplan. Es gab bereits einige Geschäfte und viel war mit »Neueröffnung bald« beschriftet.

Wahrscheinlich sollte ich dem armen Mann schreiben, dass er den Falschen erwischt hatte. Da es auf der Seite eine »Team«-Rubrik gab, sah ich sie mir an, um ein Gesicht zu der Nachricht zu haben. Samuel Ritschel war … jünger, als ich gedacht hatte. Jünger als ich selbst wahrscheinlich.

Meine Finger lagen auf der Tastatur, und ich überlegte, wie genau ich meine Nachricht formulieren sollte, ohne die entscheidenden Details auszulassen oder sie dramatischer klingen zu lassen, als sie waren.

Da ich noch mehr als genug Zeit hatte, nahm ich mein Handy, tippte die Nummer ein und ging in Richtung Flur. Es klingelte, als ich gerade durch die Tür trat.

»Samuel Ritschel. Weihnachtsstadt Neuhnfelde.«

»Herr Ritschel, Richard Opitz hier, Sie hatten mich bezüglich der Mühle angeschrieben.«

»Ja, Herr Opitz, das ging aber schnell.« Der Mann klang so erfreut, dass es mir beinahe leidtat, ihn enttäuschen zu müssen.

»Ich fürchte, ich habe keine guten Nachrichten. Ich glaube nämlich, dass Sie den Falschen erwischt haben.«

»Sie … sind nicht Richard Opitz?«

»Doch, aber ich kann die Mühle nicht geerbt haben. Ich bin Vollwaise, im Kinderheim aufgewachsen, keine Familienmitglieder bekannt.«

»Oh fuck«, sagte der Bürgermeister eher zu sich selbst, ehe er hinterherschob: »Sorry.«

»Kein Problem. Ich bin das Mitleid gewohnt.«

»Okay, das Ganze tut mir natürlich leid für Sie, aber deshalb habe ich nicht geflucht. Ich … ähm … also …« Er verstummte, wusste offenbar wirklich nicht, wie er formulieren sollte, was auch immer er zu sagen hatte.

»Einfach raus damit.« Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Das hier hatte bloß ein kurzes Gespräch werden sollen. Der Chef würde vor Wut kotzen, wenn ich nicht pünktlich kam. Wortwörtlich. Er hatte sich wirklich vor lauter Herumschreien und Toben in der Vergangenheit bereits übergeben.

»Sicher? Ich möchte nicht unsensibel sein.«

»Ganz sicher.«

»Okay.« Herr Ritschel holte tief Luft und sprach sich selbst offenbar Mut zu. »Ich habe hier die Namen Ihrer Eltern und Verwandten, alle verstorben, weshalb Sie der Erbe der Mühle sind.«

»Das ist nicht möglich.« Es rauschte in meinen Ohren. »Schlicht und ergreifend nicht möglich. Ich wurde ausgesetzt.«

»Vor dem Kinderheim in Oldenburg.«

Mein Magen verkrampfte sich. »Woher wissen Sie das?«

»Fuck, ich wollte ganz sicher nicht Ihren Tag ruinieren, Herr Opitz. Ich dachte, Sie würden die Akte kennen.«

Wie immer, wenn ich nicht wusste, wie ich mit Situationen umgehen sollte, wurde ich defensiv. »Ganz eindeutig weiß ich nicht, worum es geht.«

»Wollen Sie vielleicht herkommen? Ich habe das Gefühl, dass das hier kein Thema für ein lässiges Telefonat zwischen Fremden ist.«

»Sie haben den falschen Mann«, beharrte ich.

»Nein, habe ich nicht. Ihre Mutter hieß Karoline Scheffel, sie ist gestorben, als Sie knapp fünf Monate alt waren. Aneurysma im Gehirn. Ihr Vater war Rafikov Vitomir Ilyich. Er muss irgendwann zwischen 1993 und 1997 gestorben sein, genauer konnten wir es nicht eingrenzen, weil er, kurz bevor er Ihre Mutter kennengelernt hat, aus der damals noch UDSSR geflohen ist. Oder er war ein Spion, ganz sicher sind wir nicht, aber Ihr Vater hat nicht wirklich viele Spuren hinterlassen.«

Ich hörte, was er sagte, aber ich konnte es nicht verarbeiten. Das war Unsinn. Ich hatte keine Familie, keine Angehörigen. Mit Anfang zwanzig – und auch mit Anfang dreißig noch mal – hatte ich Akteneinsicht verlangt und jeden Stein umgedreht. Das Ergebnis war jedes Mal das gleiche gewesen.

»Herr Opitz? Es tut mir leid, Sie damit so zu überfallen. Das müssen Sie mir glauben.«

»Ich habe jetzt ein Meeting«, sagte ich und legte einfach auf. Ich starrte auf meine zitternde Hand. Das war Unsinn. Absoluter Unsinn. Schlicht und ergreifend nur Schwachsinn.

»Richard?« Moni tauchte in der Tür zum Flur auf. »Es geht los.«

»Ich komme. Danke.« Ich brauchte noch einen Moment, um mich zu beruhigen. Mein Puls jagte und mein Rücken fühlte sich unangenehm verschwitzt an. Eigentlich war es eine Unverschämtheit. Was bildete sich dieser Typ überhaupt ein, dass er dachte, er wüsste mehr über mein Leben als ich?

Vor dem Kinderheim in Oldenburg.

Mit einem Kopfschütteln lief ich schneller. Ich nahm meinen Block vom Schreibtisch und ging zum Konferenzraum. Natürlich hatte ich Pech und war der Letzte, der Boss war schon da, und sein hochroter Kopf ließ mich wissen, dass er bereits herumgebrüllt hatte.

»Ah, Richard, wie schön, dass du uns mit deiner Anwesenheit beehrst. Warum fängst du nicht gleich an? Das letzte Quartal. Bitte.« Er deutete mit der Hand auf mich, aber sein spöttischer Tonfall machte klar, dass er mich bloß verhöhnen wollte.

»Ich habe nichts.«

Sein Gesicht nahm direkt einen dunkleren, sehr ungesunderen Rotton an. »Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass ich auf jemand anders angewiesen war, der mir Unterlagen weiterleiten sollte, damit ich arbeiten kann. Ich habe … Moment, bitte.« Ich machte ein riesiges Schauspiel daraus, durch meine Notizen zu blättern, obwohl ich genau wusste, wie viele E-Mails ich geschickt hatte. »Ich habe im Laufe der letzten anderthalb Wochen zwölf Erinnerungen geschickt, bin einmal vertröstet und sonst ignoriert worden.«

»Was?« Mark schlug mit der Hand auf den Tisch vor ihm. »Das kann ja wohl nicht wahr sein. Das zeigt wieder genau, was hier alles schiefläuft und warum nichts funktioniert. Wer hier hat Richard ignoriert?« Er funkelte wütend in die Runde.

Ich riss mich zusammen, verbannte Samuel Ritschels Stimme aus meinem Kopf. Damit konnte ich mich gerade nicht befassen. Ich hatte Wichtigeres zu tun.

Karoline Scheffel.

Rafikov Vitomir Ilyich.

»Wer das war, will ich wissen!«, brüllte Mark und verteilte dabei kleine Speichelbläschen. Er spuckte immer beim Reden, aber wenn er sich aufregte und herumschrie, wurde es wesentlich schlimmer.

Ich hob die Hand.

»Was?«, fauchte der Boss.

»Es ist tatsächlich der Grund, warum hier alles schiefläuft und nichts funktioniert«, wiederholte ich seine Worte. »Du hättest mir die Sachen schicken sollen.«

Ich hörte praktisch, wie sämtliche Kollegen und Kolleginnen gleichzeitig die Luft anhielten. Es wurde mucksmäuschenstill. Das Surren der Mehrfachsteckdose war zu hören. So still war es schlagartig.

»Ich habe keine E-Mails bekommen«, behauptete er.

Ich wollte mir auf die Zungenspitze beißen wie sonst auch, aber ich hatte keine Energie mehr übrig. Nicht nach dem Telefonat. »Wenn du sie nicht bekommen hast, warum hast du dann auf eine geantwortet und automatisierte Lesebestätigungen für die anderen verschickt?«

»Da muss ganz offensichtlich was falschgelaufen sein«, keifte er.

»Oder du bist schlecht in deinem Job.«