10 Gebote in Pink - Arantxa Conrat - E-Book

10 Gebote in Pink E-Book

Arantxa Conrat

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Beschreibung

Josis Gebot Nr. 10: ICH WERDE SONNTAGS NICHT SHOPPEN (AUCH NICHT IM INTERNET) Joséphine Müllerheinrich, genannt Josi, Großstadtfrau Ende Zwanzig, stöckelt auf ihren High-Heels durchs Leben. Inspiriert von Papst Franziskus beschließt sie jedoch, ihrem Leben ein wenig mehr Ordnung einzuhauchen. Der Weg: Aus den echten zehn Geboten leitet sie ihre ganz eigene Version ab und nimmt sich vor, sechs Monate lang danach zu leben. Auf Empfehlung ihrer Freundin Olivia findet sie in Bruder Peterle den perfekten Online- Begleiter für ihr Projekt. Dabei ahnt sie jedoch nicht, wer sich in Wahrheit hinter diesem Namen verbirgt… Witzig, charmant und ideenreich sucht Josi nach dem Sinn des Lebens. Begeisterte Leserstimmen: »Unbedingt lesen. Es lohnt sich!!!« »Eine Liebeskomödie mit Tiefgang« »Ein humorvolles, modernes Märchen, in dem die Zehn Gebote neu interpretiert werden« Weitere Romane von Arantxa Conrat bei feelings: »Feindliche Übernahme« und »Eingecheckt ins Liebesglück«.

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Seitenzahl: 321

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Arantxa Conrat

10 Gebote in Pink

Roman

Knaur e-books

Über dieses Buch

Josis Gebot Nr. 3: ICH WERDE SONNTAGS NICHT SHOPPEN (AUCH NICHT IM INTERNET)

Joséphine Müllerheinrich, genannt Josi, Großstadtfrau Ende zwanzig, stöckelt auf ihren High Heels durchs Leben. Inspiriert von Papst Franziskus beschließt sie jedoch, ihrem Leben ein wenig mehr Ordnung einzuhauchen. Der Weg: Aus den echten Zehn Geboten leitet sie ihre ganz eigene Version ab und nimmt sich vor, sechs Monate lang danach zu leben. Auf Empfehlung ihrer Freundin Olivia findet sie in Bruder Peterle den perfekten Online-Begleiter für ihr Projekt. Dabei ahnt sie jedoch nicht, wer sich in Wahrheit hinter diesem Namen verbirgt …

Witzig, charmant und ideenreich sucht Josi nach dem Sinn des Lebens.

Weitere Romane von Arantxa Conrat bei feelings: »Feindliche Übernahme« und »Eingecheckt ins Liebesglück«.

»10 Gebote in Pink« ist ein eBook von feelings – emotional eBooks*.

Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: ww.facebook.de/feelings.ebooks

Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte – wir freuen uns auf Dich!

Inhaltsübersicht

Kapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30EpilogRechtehinweis
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Kapitel 1

Josi und der neue Papst

Joséphine!« Olivia schnipste mit ihren Fingern vor den Augen ihrer Freundin und versuchte zum wiederholten Male, deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

»Herrgott, du sollst mich nicht so nennen!« Mit bösem Blick schob Josi die vor ihrem Gesicht herumwedelnde Hand weg. Sie hasste es, mit ihrem vollen Namen angesprochen zu werden. Nicht nur, weil ihre Mutter diesen sehr wirksam einzusetzen wusste, um ihr bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit ein schlechtes Gewissen einzureden. Sondern auch, weil sie, Joséphine Müllerheinrich – selbst der Nachname hatte es in sich –, nicht eine Spur der Raffinesse und Schönheit ihrer Namensvetterin Kaiserin Joséphine, der Napoleon restlos verfallen war, ihr Eigen nennen konnte. Geschweige denn die Verwegenheit und den Sex-Appeal einer Josephine Baker – der schwarzen Venus der 1920er-Jahre. Nein, sie war einfach nur Josi. Die liebe, nette, unauffällige junge Frau von nebenan. Nicht zu dick, nicht zu dünn, nicht zu hässlich, nicht zu schön, nicht zu groß, nicht zu klein – schlichtweg, davon war Josi überzeugt, das Mittelmaß in Person, in allem, was sie war und was sie tat.

»Das ist ja unglaublich!« Fasziniert zeigte sie jetzt auf den Bildschirm und konzentrierte sich sofort wieder auf den Bericht im Auslandsjournal. Als die Reportage über den neuen Papst Franziskus beendet war, wandte sie sich voller Begeisterung Olivia zu: »Hast du das gesehen? Dem fliegen die Menschenherzen nur so zu!« Josi führte ihre Hände an die Brust. »Papst der Herzen …«, seufzte sie theatralisch. »Der setzt sich mit kleinen, aber wirksamen Gesten einfach über dieses verkorkste System Vatikan hinweg. Keine roten Schühchen, nein, seine schwarzen Treter tun es genauso. Ab mit dem Bus, was braucht er einen dicken Mercedes? Er schläft lieber im Gästehaus als im Palast. Und dann wünscht er den Abertausend Pilgern, die auf dem Markusplatz an seinen Lippen kleben, einfach auf Italienisch – wer bitte schön versteht schon Latein? – einen guten Appetit. Ich sage dir, Livi, der macht doch glatt wieder eine Katholikin aus mir.«

»Wohl kaum«, konterte Olivia skeptisch. Selbst studierte Theologin und sehr aktiv in der evangelischen Kirche, hatte diese schon öfter versucht, ihre beste Freundin, die ein grundanständiger Mensch war, aber schon länger ihrer Religion den Rücken zugewandt und sogar vor Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten war, wieder näher an den christlichen Glauben heranzuführen – bislang vergeblich. »Laut den Medien ist dieser Franziskus sehr konservativ«, unterstrich sie nun ihre Bedenken. »Deine Reizthemen Kondome, Frauen in Kirchenämtern oder Zölibat hat Franziskus auch noch nicht angepackt.«

»Das mag ja sein. Aber der könnte mich echt motivieren, mal wieder genauer hinzuschauen. Immerhin ist er der erste Papst, den ich erlebt habe, der irgendwie so … zum Anfassen ist.«

»Weil du mit deinen nicht einmal dreißig Jahren ja auch schon soooo viele Päpste erlebt hast.« Olivia zählte mit erhobenen Fingern bis zwei. »Johannes Paul II. und Benedikt. Stattliche Anzahl, Fräulein Müllerheinreich, sehr stattlich.«

»Du bist blöd!« Josi schlug ihrer Freundin auf die Hand. »Wie heißt es immer so schön: Es sind Vorbilder, die die Menschen bewegen. Und? Da hast du es: Der Typ hat es in Nullkommanichts geschafft, mich für sich und seine Sache zu begeistern.«

»Und deshalb hast du dir ausnahmsweise mal das Auslandsjournal angeschaut?«, foppte sie Olivia jetzt und zielte damit auf Josis Vorliebe ab, sich am liebsten eine Schnulze von Rosamunde Pilcher oder Nicholas Sparks nach der anderen reinzuziehen. Josi war halt eine rundum romantische, oftmals auch naive Seele und liebte es, sich vor dem Bildschirm die Augen auszuheulen und auf ein Happy End zu hoffen. Ihr oft verkündetes Motto lautete: Das Leben ist anstrengend und bitter genug, um sich auch noch in der Freizeit all die ernüchternde Realität reinzuziehen.

»Du bist echt blöd«, wiederholte Josi jetzt und ließ sich stöhnend aufs Sofa fallen. Gedankenversunken starrte sie auf die Mattscheibe, wo gerade ein Nachfolgebericht über christliche Werte in der Neuzeit ausgestrahlt wurde. »Ich könnte ja mal damit anfangen …«, murmelte sie schließlich mehr für sich, »meinen Lebenswandel auf die Probe zu stellen.«

»Aha.« Olivia betrachtete ihre Freundin amüsiert. »Und was hat das bitte mit dem neuen Papst zu tun?«

»Na ja. Er wäre halt mein Vorbild. Was ich schon sagte!«, antwortete Josi ungehalten, so als wäre ganz klar, welchen Entschluss sie gerade gefasst hatte.

»Sicher! Wie wär’s damit: Im Jugendgefängnis den Übeltätern die Füße waschen?!«

»Herrgott, Olivia, du bist mir ja ’ne große Hilfe.«

»Hey! Ich gehöre zwar zur aufgeklärten Fraktion im Gegensatz zu deinem Papst. Aber deinen kryptischen Gedanken kann ich nicht folgen. Was soll’s dann werden?«, hinterfragte diese gespielt ungehalten. »Willst du vielleicht von deinem Dasein als Shopping-Queen, Romanzen-Junkie und Apple-Jüngerin abschwören und Schritt für Schritt zur Heiligenanwärterin heranwachsen?« Bei dem Gedanken lachte sie herzhaft auf.

»So ungefähr.« Josi sprang hoch und baute sich zwischen ihrer Freundin und dem Fernseher auf. »Pass auf: Die haben doch gerade …«, sie zeigte mit dem Daumen auf den Flatscreen hinter sich, »was von den Zehn Geboten erzählt.«

»Jahaa …?«

»Na also! Die werde ich mir mal zu Gemüte führen.« Josi verengte ihre wasserblauen Augen zu Schlitzen. »Um ehrlich zu sein, weiß ich gar nicht, wann ich sie das letzte Mal gelesen habe … wahrscheinlich in grauer Vorzeit bei der Vorbereitung zur Kommunion. Egal!« Resolut klatschte sie in die Hände. »Aus den Zehn Geboten mache ich schwuppdiwupp Josi Müllerheinrichs persönliches Halbjahres-Programm.«

»Josis zehn Gebote«, schmunzelte Olivia.

»Ja, genau, du sagst es!«

»Na prima. Das kann ja lustig werden.«

»Und du«, Josi stach mit ihrem pink lackierten Fingernagel auf Olivia ein, »du wirst mir seelischen Beistand leisten.« Vor lauter Begeisterung hüpfte sie auf und ab. Auf einmal hielt sie in der Bewegung inne und dachte laut nach: »Es wird ja wohl eine moderne Interpretation dieser Zehn Gebote geben, oder?«

Dabei bemerkte sie nicht, dass sich Olivias Gesichtsausdruck innerhalb von Sekunden aufhellte. Wie immer, wenn diese eine zündende Idee hatte, bog sich ihre rechte Augenbraue nach oben. Schließlich bemerkte Olivia ganz beiläufig: »Alsooo … deine Idee finde ich ganz passabel. Aber … ich bin die denkbar ungeeignetste Person, um dich dabei zu begleiten.«

»Warum?« Josi stutzte. »Niemand kennt mich so gut wie du.«

»Na, genau deshalb!« Olivia legte all ihre Überzeugungskraft in die Waagschale. »Wir brauchen jemand Neutralen, jemanden, der dich als Gesamtkunstwerk wahrnimmt und sich nicht in Details verstrickt, die dich bei deinem Vorhaben behindern.«

»Ich kann ja mal Papst Franziskus fragen«, unterbrach Josi ihre Freundin und rollte mit den Augen. In ihrer spontanen, manchmal unsteten Art sah sie ihre Idee schon wieder zerrinnen.

»Pass auf.« Jetzt sprang auch Olivia auf. Ein Geistesblitz, mit dem sie à la longue vielleicht sogar zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde, nahm in ihrem Kopf Gestalt an. »Ein ehemaliger Kommilitone von mir«, begann sie mit der Umsetzung ihres Plans, »ein feiner Kerl mit einer sehr … weiblichen Seite.« Sie versuchte, die sichtbare Skepsis der beziehungsgestörten Josi im Keim zu ersticken. »Du weißt schon, einer, der auch ganz sicher Verständnis für deine ganzen Mädchensachen hat …« Olivia klimperte vielsagend mit den Augen. »Dieser Ex-Kommilitone hat seine Doktorarbeit über die Zehn Gebote geschrieben.«

»Wow, ein Insider. Das passt. Cool!« Josis Begeisterung fing wieder Feuer.

»Sag ich doch.« Olivias Überzeugungstalent schwang sich zu Hochform auf. »Sein Name ist Peter. Ist das nicht passend?«, grinste sie ihre Freundin an.

»Wieso?« Jetzt war es Josi, die nicht ganz mitkam.

»Mensch, Josi, das fängt ja gut an!«, erwiderte Olivia vorwurfsvoll. »Peter – Petrus, der erste Bischof von Rom. Sozusagen der Vorvorvoooorgänger von deinem Franziskus.«

»Ach, wie nett ist das denn?«, warf Josi entzückt ein. »Du meinst, sein Name ist Programm.« Als Werbetexterin konnte sie sich an solchen Wortspielen göttlich erfreuen. Mit fuchtelnden Armen forderte sie ihre Freundin auf, weiterzusprechen.

»Also gut, mein Vorschlag: Ich werde Peter mailen und ihm von deinem Vorsatz berichten. Ich bin mir ziemlich sicher, er wird den perfekten … seelischen Beistand abgeben, um deinen Plan zum Erfolg zu führen.« Zufrieden las Olivia an Josis Gesichtsausdruck ab, wie sich vor deren geistigem Auge offensichtlich ein Bild von Peter formte, mit dem sie ganz sicher auf dem Holzweg lag.

Josis Einwurf bestätigte ihre Vermutung. »Was macht denn dein heiliger Peter so? Ist er Pastor in einer Gemeinde?«

»Eher Seminare«, gab Olivia knapp zurück.

»Ach so, der bringt anderen das Predigen bei, ich verstehe. Super!«

»So ungefähr«, erwiderte die engagierte Theologin heftig nickend.

»Olivia«, Josi zögerte, »meinst du denn, der kommt mit so irdischen Wesen wie mir zurecht?«

»Na klar«, beeilte sich Olivia zu versichern. »Du glaubst ja nicht, mit welch notorischen Visionären Peter tagein, tagaus, zu tun hat. Und er ist wirklich ganz ein Netter.«

Josi durfte auf keinen Fall erfahren, dass es sich dabei eigentlich um Peter Lennert handelte – einen der bestbezahlten Coaches in Sachen Werteorientierung, dem die Topmanager im In- und Ausland von den Lippen lasen. Das würde Josi nur verunsichern, denn sie schwärmte insgeheim für ihn.

Beiläufig blickte Olivia auf die Uhr. »Huch, so spät ist es schon! Ich muss doch noch meine Vorlesung für morgen vorbereiten.« Sie griff nach ihrem Mantel und warf sich ihre Handtasche über die Schulter. »Ich versuche heute noch, Peter zu erreichen«, flötete sie gut gelaunt. Dann schmatzte sie Josi einen dicken Kuss auf die Wange. »Und du, Prinzesschen, machst dich mal an Josis zehn Gebote der Neuzeit.«

»Nichts leichter als das.« Mit einem Klaps auf den Hintern schob Josi ihre Freundin in Richtung Wohnungstür. »Und wie komme ich an meinen persönlichen Seelsorger ran?«

»Sobald ich Peter erreicht habe, gebe ich dir Bescheid.«

»Soll ich ihn dann gleich mal anrufen?« Josi war immer von der schnellen Sorte.

»Nein!«, stieß Olivia lauter als gewollt aus. Peters dunkle, sehr außergewöhnliche Stimme würde ihn sofort entlarven. Und das galt es, zu verhindern. Also versuchte sie schnell, ihre auffällige Reaktion zu vertuschen: »Ich denke, ihr solltet am besten per Mail kommunizieren. Er ist meist ziemlich … schlecht zu erreichen.«

»Verstehe«, zwinkerte Josi wissend, »hinter den dicken Seminarmauern sind Handys wohl kaum erwünscht.«

»Du sagst es, Süße!« Und schon war Olivia verschwunden.

* * * *

»Livi! Welch Glanz auf meinem Display!«

Bei Peters rauem Lachen musste Olivia gleich wieder an jenen Tag vor gut zehn Jahren denken, als sie, die Erstsemestlerin, ihm auf dem zugigen Gang vor dem Vorlesungssaal zum ersten Mal begegnet war. Umgeben von einer Frauenschar hatte er sich mit forschen Schritten dem Saaleingang genähert. Ihr erster Gedanke war gewesen: was für ein krasser Kontrast – ein sehr smarter Mann, jedoch mit einer Stimme, die eher zu einem abgefuckten Typen passte, der nach mehr als einem Bier und manch einer Packung Zigaretten gerade aus einer rauchigen Kneipe heraustrat. Und genau dieser kühnen Kombination war auch Olivia innerhalb von Sekunden verfallen. Wie eine Motte, die das Licht sucht, hatte sie sich all den anderen Grazien angeschlossen und war ihm blindlings gefolgt. Als er dann vor dem Rednerpult stand, sein charakteristisch herausforderndes Grinsen auf den wunderschönen Lippen, hatte sie es erst nicht glauben können, dass er der Peter Lennert war, Assistent am renommierten Lehrstuhl von Prof. Habermaß, dem – trotz seines jungen Alters – bereits damals ein Ruf als begnadeter Rhetoriker und kritischer Theologe vorauseilte. Doch schon bei dieser ersten Begegnung hatte sie erkannt, dass alles, was man sich über Peter Lennert erzählte, ihm nur ansatzweise gerecht wurde.

Als er jetzt mit seiner rauchigen Stimme seine ehrliche Freude über ihren Anruf zum Ausdruck brachte, schüttelte sie, wie so oft, den Kopf. Peter Lennert war eine scharfe Waffe – in vielerlei Hinsicht.

»Wenn du mich endlich mal wieder und dann noch zu so später Stunde mit einem Anruf beehrst«, hörte sie ihn gerade sagen, »kann es nur zwei Gründe geben: Entweder, du hast endlich entschieden, deine Talente außerhalb dieses unsäglichen Unibetriebs einzusetzen. Was ich, wie du weißt, sehr begrüßen und aktiv unterstützen würde. Oder aber, du versuchst mich mal wieder mit einer deiner liebreizenden, weltfremden Freundinnen zu verkuppeln, die nicht einmal wissen, wie man Theologie buchstabiert.« Sein Schmunzeln war regelrecht durch die Leitung zu hören.

»Und wenn ich einfach nur Sehnsucht nach deiner hoch erotischen Stimme hatte …?« Olivia fühlte sich ertappt. Peter kannte sie einfach zu gut. Sie beide waren verwandte Seelen. Selbst die heiße Affäre, die sie ein Semester lang während der Unizeit eingegangen waren, hatte ihrer tiefen Freundschaft nichts anhaben können. Und so verband sie mittlerweile viel, viel mehr. Das war auch der Grund, weshalb Olivia immer versuchte, ihren geliebten Peter endlich unter die Haube zu bringen. Dass weder er noch sie vor lauter Arbeit in Herzenssachen bis heute gepunktet hatten, war ihr ein Dorn im Auge. Doch anstatt selbst mal ihren emotionalen Notstand in den Griff zu bekommen, kümmerte sie sich viel lieber und mit penetrantem Einsatz um Peters Seelenfrieden. Und jetzt hatte ihr der Zufall einen vielversprechenden Plan regelrecht vor die Füße gelegt. Diese Chance musste Olivia nutzen.

»Also?«, hakte Peter einsilbig nach.

»Ich gehe meinem Job als Dozentin weiterhin begeistert nach und mache gute Fortschritte mit meiner Habilitation.«

»Okay. Wer ist die Frau, mit der du mich diesmal verkuppeln möchtest?«, grollte Peter. Ein klares Zeichen, dass ihm der Gedanke nicht geheuer war.

»Ach, Peter, tu das nicht immer so ab! Du weißt, dass mir deine Beziehungsmisere ganz besonders am Herzen liegt. Außer Arbeit, Arbeit, Arbeit, Geld heranschaffen und die eine oder andere Perle, die du mal für eine Nacht abschleppst, hast du ja nichts mehr auf dem Radar!«

Abermals erklang dieses verruchte Lachen durch die Leitung – und es beflügelte Olivias Tatendrang.

»Pass auf«, ging sie gleich in medias res. Bei Peter machte es keinen Sinn, um den heißen Brei herumzureden. »Meine allerliebste Freundin Josi …«

»Ah! Du meinst die süße, liebreizende Joséphine?« Peters Stimme wurde noch eine Oktave dunkler.

Olivia wusste, dass sich ihre beiden besten Freunde vor knapp einem Jahr auf ihrer Geburtstagsparty begegnet waren und dass es ordentlich gefunkt hatte. Was beide jedoch bis heute konsequent abstritten. Denn bevor an jenem Abend das Ganze einen Anfang hatte nehmen können, war Peter mit einer üppigen Brünetten an seiner Seite und einem mehr als offensichtlichen Ziel abgerauscht. Doch Olivia war nach wie vor der felsenfesten Überzeugung, dass die Geschichte mit Josi und Peter nach Fortsetzung schrie.

»Josi! Sie hasst ihren wahren Vornamen – merk dir das ein für alle Mal!«

»Aye, aye, Sir.« Peter schmunzelte durchs Telefon. Seine Neugierde war geweckt. »Und was bitte kann ich für die entzückende Josi tun?«

»Sie hat für sich … das Christentum wiederentdeckt.«

»Ach was? Du meinst aber nicht Madame Müllerheinrich, diesen Inbegriff der durchgeknallten Drama-Queen mit Haaren auf den Zähnen und einem Kleidungsstil, der selbst schwule Fantasien in die Knie zwingt?« Peter lachte provozierend. »Wer oder was hat diese Frau bekehrt?«

»Peter! Jetzt setz dich mal auf deinen Hosenboden und hör mir einfach nur zu.«

»Zu Befehl.« Olivia konnte tatsächlich hören, wie sich Peter auf seine Couch fallen ließ.

Sie witterte den Erfolg ihres Plans. »Meine liebste Freundin Josi hat sich vorgenommen, in den nächsten sechs Monaten ihrem derzeit eher oberflächlichen Lebenswandel einen, sagen wir mal … wertorientierten Anstrich zu verpassen.«

»Schau an. Und wer bitte hat dieses schier unmögliche Unterfangen losgetreten?« Der Zynismus in Peters Stimme war nicht zu überhören.

Olivia fühlte sich darin bestätigt, dass Peter ein Auge auf Josi geworfen hatte. Zumal er jedes Mal, wenn sie telefonierten oder sich sahen, ganz beiläufig nachfragte, wie es dem verrückten Wirbelwind denn so ginge. Sicher war es auch Josis unbefangene und oftmals blauäugige Art, die ihn reizte. Ihr erfrischendes Wesen bildete einen perfekten Kontrast zu Peters tiefgründiger Art. Und das brauchte er auch.

»Versprich mir, du lachst nicht, sondern nimmst die Sache ernst.« Ihre Warnung war hörbar.

»Für dich tue ich doch alles – fast alles – mein Engel!«

»Na also.« Entspannt lehnte sich Olivia zurück. »Josi ist äußerst begeistert von Papst Franziskus.«

»Noch so eine«, stöhnte Peter in die Leitung.

»So begeistert«, Olivia ließ sich nicht von ihrem Unterfangen abhalten, »dass sie, wie gesagt, beschlossen hat, die nächsten sechs Monate ihrem Leben ein wenig mehr Christlichkeit einzuhauchen.«

»Wow.«

»Ich schätze, sie brütet bereits darüber, wie sie das am besten anstellen soll. Auf jeden Fall war sie vorhin noch fest entschlossen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.«

»Und was bitte soll meine Aufgabe sein?« Deutlich weniger mit Fantasie gesegnet als Josi, stand Peter gerade auf der Leitung.

»Begleite sie aus der Ferne in dem Prozess, unsere christlichen Grundwerte auf die Neuzeit – ihre Neuzeit – zu übertragen.«

»Du bist wahnsinnig!«

»Komm schon, Peter! Kein anderer könnte Josi besser leiten.«

»Und was hab ich davon?«, hinterfragte er argwöhnisch.

»Lass dich einfach drauf ein.« Olivia witterte, dass in ihrem Plan Musik steckte!

»Weiß sie, dass ich ihr seelischer Beistand sein soll?«

»Nein«, Olivia zögerte, »nicht direkt …«

»Livi!«, konterte Peter genervt. »Du bist und bleibst eine olle Kupplerin!«

»Machst du mit oder nicht?«

Es herrschte Stille in der Leitung. Peter kämpfte gerade mit seinen eigenen Dämonen. Erst vor sechs Monaten hatte ihm seine letzte Freundin den Laufpass gegeben, weil er zu viel arbeitete. Mal abgesehen davon, dass die blonde Schönheit ihm intellektuell nicht im Geringsten gewachsen gewesen war. Trotz dieser Erkenntnis hatte ihn die Abfuhr härter getroffen als sonst.

Olivia, die mit ihrem Freund mitgelitten hatte, sah jedoch keinen Grund, warum Peter den Frauen endgültig entsagen sollte. Im Gegenteil, es galt, die Richtige zu finden. Deshalb wiederholte sie nach einiger Zeit durchdringend: »Also, was ist, machst du mit?«

»Was muss ich tun?«, hörte sie ein resigniertes Seufzen.

Siegessicher streckte sie eine Faust in die Luft. »Pass auf: Meine liebe Freundin sitzt wahrscheinlich gerade in ihrer hippen Wohnung und versucht, die Zehn Gebote auf ein josi-likes Maß herunterzubrechen.«

»Das nenne ich eine echte Herausforderung.«

»Wohl wahr!« Olivia musste lachen. »Aber sie ist ein grundanständiger Mensch, und ich finde es klasse, dass sie sich das vorgenommen hat …«

»Livi!«, drohte Peter.

»Okay, okay, was ich von dir will, ist, dass du ihr hilfst, den Zehn Geboten einen modernen und zugleich realistischen Anstrich zu geben – sozusagen ihre zehn Josi-Gebote zu formulieren.«

»Das wird ja immer besser.« Jetzt musste auch Peter lachen. »Also warte ich ab, bis sie sich meldet und mir ihre geistigen Ergüsse mitteilt. Und dann erkläre ich ihr, dass die Zehn Gebote eigentlich ganz anders gemeint sind?«

»Vielleicht könntest du sogar die Initiative ergreifen …?« Jetzt wurde Olivia vorsichtig. Peter mochte keine manipulativen Spielchen.

»Was springt eigentlich bei der ganzen Sache für mich raus?«

»Komm schon, Peter. Du hast doch sonst auch keine Probleme, diesen geldgetriebenen Managern etwas Anstand beizubringen.«

»Die zahlen auch üppig dafür.«

»Und Josi ist mehr als ihr Körpergewicht in Gold wert …«, säuselte Olivia.

Peters raues Lachen klang abermals durch die Leitung. »Also gut, her mit ihrer E-Mail-Adresse.«

Olivia grinste angesichts der Punktlandung. »Du bist … du bist …«

»Ein Engel auf dem Weg, sich seine Flügel zu verbrennen.«

»Hast du was zu schreiben?«

»Schieß los!«

»[email protected]

»JOSI – M … das hat etwas Verruchtes.«

»Find es raus, mein Engel!« Olivia zappelte begeistert vor sich hin. »Ach, um nochmals auf deine Frage zurückzukommen«, ergänzte sie möglichst beiläufig, »Josi weiß nicht, dass du der Peter von meiner Party bist.«

»Prima!« Sarkasmus pur troff durch die Leitung. »Und wer bitte bin ich dann?«

»Ein eher unauffälliger, gutmütiger Seminarist mit einer seeeeehr ausgeprägten weiblichen Seite.«

»Livi, ich lege jetzt auf!«

»Danke, du bester aller Freunde«, konnte Olivia gerade noch antworten, bevor sie das Tuten in der Leitung hörte. »Ja!«, stieß sie daraufhin begeistert aus. Ihren ersten Schachzug hatte sie bravourös gemeistert.

[home]

Kapitel 2

Josis zehn Gebote

Ratlos saß Josi vor ihrem MacBook und dem dazugehörigen Bildschirm. Doch diese mega-coole Ikone der Neuzeit, für die sie gut und gerne auf manch einen Schuhkauf verzichtet hatte, flimmerte einfach nur stumm vor sich hin und leistete ihr bei ihrem Vorhaben keinerlei Hilfestellung. Es war schon nach 23.00 Uhr, und bis auf die Tatsache, dass sie die Zehn Gebote gegoogelt und in mühsamer Fleißarbeit grafisch perfekt aufbereitet hatte, war sie bei ihrem Vorhaben keinen Schritt weitergekommen.

Während sie jetzt nachdenklich eine Strähne ihrer langen blonden Haare um den Finger wickelte, betete sie die Grundwerte der Christenheit im Stillen vor sich hin:

 

DAS ERSTE GEBOT

Ich bin der Herr, dein Gott.

Du sollst keine anderen Götter haben neben mir.

 

DAS ZWEITE GEBOT

Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes,

nicht missbrauchen.

 

DAS DRITTE GEBOT

Du sollst den Feiertag heiligen.

 

DAS VIERTE GEBOT

Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.

 

DAS FÜNFTE GEBOT

Du sollst nicht töten.

 

DAS SECHSTE GEBOT

Du sollst nicht ehebrechen.

 

DAS SIEBTE GEBOT

Du sollst nicht stehlen.

 

DAS ACHTE GEBOT

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden

wider deinen Nächsten.

 

DAS NEUNTE GEBOT

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib.

 

DAS ZEHNTE GEBOT

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut.

 

»Herrgott, was habe ich mir da nur angetan?« Frustriert schob Josi ihren Stuhl zurück und begann, die einzelnen Gebote auf ihre Machbarkeit hin zu sezieren: Das mit dem Du sollst nicht töten dürfte eigentlich ein Kinderspiel sein – bis auf die Tatsache, dass sie in regelmäßigen Abständen Mordgelüste gegen ihren Chef verspürte, weil er sie ständig mit irgendwelchen dämlichen Kleinaufträgen triezte. Aber jemanden totschlagen? Sie doch nicht! Allerdings: Bezog sich das mit dem Töten wirklich nur auf Menschen? Aus den Originaltext wurde keine Einschränkung ersichtlich. Waren vielleicht auch alle anderen Lebewesen auf zwei oder vier Beinen damit gemeint? Hieß das vielleicht sogar, sie dürfe nicht einmal mehr einen leckeren Hamburger von McDonald’s essen, weil dafür eine arme Kuh ermordet worden war …?

Der Verzweiflung nahe, schüttelte Josi den Kopf. »Von wegen ein Kinderspiel!«, stieß sie aus. Und all die anderen Gebote erst. Plötzlich wurde ihr ganz heiß. Wie war das überhaupt mit diesem zehnten Gebot gemeint? Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut … Hallo?! War das nicht die Triebfeder der modernen Welt? Sie selbst verdiente doch ihr Auskommen damit: Begehrlichkeiten wecken – haben wollen. Mit ihrer Arbeit in der Agentur tat sie doch tagein, tagaus nichts anderes, als das Begehren anzukurbeln.

»Herrgott!«, fluchte sie abermals. Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen …

»Da haben wir’s schon wieder: Mein Scheitern ist doch vorprogrammiert.«

Ernüchtert lehnte Josi sich zurück und fixierte den Bildschirm, so als erwarte sie von ihrem stylischen technischen Assistenten die Antwort auf ihr Dilemma.

»So lieb und nett auch Papst Franziskus daherkommt. Dieser Aufgabe kann ich mich gar nicht stellen!«, stöhnte sie.

Als sie gerade den Rechner herunterfahren und damit ihre guten Vorsätze schon wieder begraben wollte, signalisierten ein »Bling« und ein kleines Kuvert-Symbol am Bildschirmrand, dass sie eine neue Nachricht erhalten hatte. Neugierig, wie Josi nun mal war, verdrängte sie ihre Niedergeschlagenheit und öffnete die elektronische Post.

 

Von: [email protected]

An: [email protected]

Betreff: Seelischer Beistand

las sie in dem Vorschaufenster. »Bruder Peterle, wie nett!« War dieser Name Programm? Hatte Olivia mit ihrer Andeutung bezüglich einer sehr weiblichen Seite wohl gemeint, ihr neuer seelischer Beistand sei schwul? Nichts dagegen einzuwenden, freute sich Josi, dann hätte er sicher viel mehr Verständnis für all ihre irdisch-femininen Vorlieben. Und dann hatte er auch noch die Initiative ergriffen. Super! Gleich wieder Feuer und Flamme, öffnete Josi mit einem Kribbeln in den Fingern die Nachricht. Verflogen war ihr kurzzeitiger Frust.

Liebe Joséphine – ich darf Sie doch bei Ihrem Vornamen nennen?

»Punkteabzug.« Aber egal, woher sollte der gute Mann wissen, wie sie zu ihrem Namen stand?

Eine Studienfreundin von mir, Dr. Olivia Keller, hat mir erzählt, dass Sie voller guter Vorsätze sind. Ganz nach dem Motto: Lebe die Zehn Gebote der Neuzeit. Tolle Idee! Und ich finde es ganz wunderbar, dass sie uns beide verlinkt hat.

Sie wissen vielleicht, dass ich mich in meiner theologischen Arbeit sehr intensiv mit den christlichen Grundwerten auseinandersetze. Deshalb würde ich Sie sehr gerne ein Stück weit auf Ihrem Weg begleiten. Wenn Sie das möchten: Mein Angebot steht.

Olivias Beschreibung nach zu schließen, sind Sie ein Mensch, der die Dinge pragmatisch anpackt. Und so kann ich mir gut vorstellen, dass Sie bereits einen ersten Blick auf die Zehn Gebote geworfen haben.

Frustriert?

»Und wie!«

Ist Ihnen gleich die Frage in den Sinn gekommen, wie man denn heute bitte danach leben soll?!

»Der versteht mich!« Josi klatschte begeistert in die Hände und strich spontan die gerade noch verhängten Minuspunkte.

Aber seien Sie unbesorgt. Allein Ihr Vorsatz ehrt Sie, und Sie werden die Aufgabe wunderbar meistern. Ich habe Sie auf jeden Fall schon jetzt in mein Herz geschlossen und bin für jede »Schandtat« bereit!

»Schandtat. Oh, là, là! Und das von Bruder Peterle.« Vor Josis geistigem Auge entstand prompt das Bild eines mittelalten, etwas untersetzten und leicht pummeligen Pastors mit einem herrlich gutmütigem Blick und dieser wunderbaren Weiblichkeit, die nur Schwule so an sich hatten. Schon hatte sie ihn in ihr Herz geschlossen. Zumal sie ohnehin eine Schwäche für Menschen hatte, die, wie sie, eher unspektakulär daherkamen.

Ich habe einen pragmatischen Vorschlag für Sie: Nehmen Sie die Original-Gebote nicht wortwörtlich. Greifen Sie einfach das erste Stichwort auf, das Ihnen dazu einfällt, und formulieren Sie Ihre eigenen guten Vorsätze für die nächsten sechs Monate. So geben Sie den Zehn Geboten Ihre ganz persönliche Interpretation.

»Super Idee, so ein Goldschatz!«

Sie werden sehen, wie einfach es ist, das eigene Leben ein wenig christlicher zu gestalten.

Und zögern Sie bitte nicht, mir »Joséphines zehn Gebote« so bald wie möglich zukommen zu lassen.

Ich freue mich, Ihre Ideen mit Ihnen zu teilen, und bin jetzt schon ganz stolz auf Sie!

Ihr

Bruder Peterle

 

PS: Sie erreichen mich jederzeit per Mail. Das ist am einfachsten, da in meinen Seminaren Telefon-/Handyverbot herrscht.

»Wenn das nicht ein toller seelischer Beistand ist!« Entzückt und aufs Neue beflügelt, griff Josi nach ihrem iPhone und schickte Olivia eine SMS.

Danke, Süße, für deinen niedlichen Bruder Peterle. Der hat mir doch tatsächlich schon eine entzückende Mail geschrieben und ist – wie ich – Feuer und Flamme für meine Idee. »Josis zehn Gebote« sind schon im Entstehen :-)).

Olivia, die noch an der Vorbereitung ihrer morgigen Vorlesung saß, schaute entgeistert auf ihr Handy. »Bruder Peterle ?« Sie schüttelte grinsend den Kopf. »Das kann noch eine ganz große Story werden!« Und so antwortete sie prompt:

Für dich, meine angehende »Heilige der Neuzeit«, habe ich meinen besten Joker gezogen …

Bussi, OK

* * * *

Von: [email protected]

An: [email protected]

Betreff: Josis zehn Gebote

 

Lieber Bruder Peterle,

weil Sie mir mit Ihrer E-Mail eine dermaßen große Freude bereitet haben, erlaube ich Ihnen – als Einzigem in meinem Freundeskreis –, mich da und dort Joséphine zu nennen. Sie müssen wissen, das ist eine echte Ausnahme, denn eigentlich hasse ich diesen Namen wie die Pest. Huch! Ist Hassen auch nach den Zehn Geboten tabu?

Der liebe Gott hat Sie geschickt. Oh, Pardon, war das jetzt wiederum gegen das zweite Gebot? Sie sehen, ich brauche wirklich händeringend Beistand …

Ihren Anweisungen folgend habe ich »Josis zehn Gebote« bereits zu »Papier« gebracht. Ein Hinweis vorab: Sie werden durch entsprechende Anmerkungen ergänzt, damit Sie verstehen, wie ich überhaupt dazu gekommen bin.

Also gut, was hilft’s, um den heißen Brei herumzureden. Hier sind sie nun:

 

JOSIS ZEHN GEBOTE

(FÜR DIE NÄCHSTEN SECHS MONATE)

 

1. ICH WERDE MICH VON JEDEM APPLE STORE AUF DIESER WELT FERNHALTEN (AUCH IM INTERNET).

Sie sollten wissen, dass ich nicht nur eine echte Apple-Jüngerin bin, sondern auch mindestens einmal die Woche die »Tempel der Neuzeit« besuche, die dieses Unternehmen geschaffen hat. Allein schon die Innenarchitektur der Apple Stores, deren Geruch, die coolen Typen etc. heben mein Gemüt in galaktische Höhen. Jedes Mal fühle ich mich dabei, als hätte mich die Muse – nein, iGod persönlich – geküsst. Natürlich besitze ich rauf und runter alles, was dieser geniale Steve Jobs, den ich verehre – nicht umsonst nennen wir Apple-Jünger ihn iGod :-) –, entwickelt hat.

Sie können sich sicher auch vorstellen, wie groß meine Trauer war, als er 2011 verstarb. An jedem Jahrestag, dem 5. Oktober, poste ich sogar ein »iGod forever« auf meiner Facebook-Seite!

 

2. ICH WERDE DEN AUSSPRUCH »HERRGOTT« AUS MEINEM GESPROCHENEN, GESCHRIEBENEN UND GEDACHTEN WORTSCHATZ VERBANNEN.

Also … es ist so, dass ich dieses Wort ganz, ganz oft verwende. Nämlich immer dann, wenn ich mich ärgere – über mich selbst oder über andere – völlig egal. Jetzt denke ich mir aber, dass der liebe Gott ja eigentlich nichts dafür kann. Also sollte ich es lassen, ihn so unflätig anzupfeifen, oder?

 

3. ICH WERDE SONNTAGS NICHT SHOPPEN (AUCH NICHT IM INTERNET).

Was dieses Josi-Gebot betrifft, dürfte es Sie nicht wundern, dass Shoppen meine aller-, aller-, allerliebste Tätigkeit ist und bei mir extrem viele Glückshormone freisetzt. Als ich nun über das dritte Gebot nachdachte, kam mir in den Sinn, dass mehr als eine arme Verkäuferin (zum Beispiel in meinem geliebten 24/7-Land USA) meinetwegen am Sonntag arbeiten muss, und auch die Packer bei Amazon, Zalando & Co.

Wenn ich also den Anfang mache, sonntags aufs Einkaufen verzichte und es mir viele andere Menschen vielleicht nachmachen … dann könnte ja aus dem echten dritten Gebot doch wieder was werden, nicht wahr?

 

4. ICH WERDE JEDEN ZWEITEN SONNTAG MEINE ELTERN BESUCHEN.

Das ist eine prima Sache. Ich schlage nämlich zwei Fliegen mit einer Klappe: Ich (be)ehre meine Eltern, wie im Originalgebot vier gefordert, mit meiner Anwesenheit und verknappe damit die Zeit, um auf falsche (Shopping)-Ideen zu kommen. Super!

Wird aber nicht einfach, weil meine Eltern, vor allem meine Mutter, ganz ehrlich: total nerven! Sie ist übrigens die, die mir die Freude am Namen Joséphine genommen hat. Sie können sich nicht vorstellen, welch vorwurfsvoller Unterton in drei Silben Platz hat.

 

5. ICH WERDE MICH VEGETARISCH ERNÄHREN.

Ich weiß ja nicht, wie weit das mit dem »nicht töten« im fünften Gebot gemeint ist. Aber nachdem ich ein Lebewesen ohnehin nicht töten könnte – sogar mit Mücken habe ich Mitleid und lass mich lieber stechen –, habe ich mich für vegetarische sechs Monate entschieden. Dann muss kein Kalb, kein Schwein oder Huhn meinetwegen auf die Schlachtbank.

Und bevor Sie das hinterfragen: Ich bin keine Vegetarierin. Nein, ich liebe es, mir bei McDonald’s einen dicken, fetten Hamburger Royal TS mit Käse reinzupfeifen. Also wird das wirklich GAR NICHT EINFACH!

 

6. KEIN SEX OHNE VORHERIGEN SINGLE-NACHWEIS.

Ihnen kann ich es ja verraten: Bei dem Gebot mache ich mir gar keine Sorgen. Bis ich unscheinbares Wesen mal einen Typen aufreiße … Ich weiß nicht einmal mehr, wann genau ich das letzte Mal Sex hatte. War es vor zwei Jahren oder sogar drei? Warum sollte ich also in den nächsten sechs Monaten einen Treffer landen? Und wenn dieses Wunder doch passieren sollte, dann verspreche ich hoch und heilig, das Thema Single-Dasein zu klären, bevor es zu fleischlichen Verstrickungen kommt.

Ich schalte in der Ekstase mein Hirn ganz sicher nicht aus. (Ich hoffe, diese Offenheit bringt Ihre theologischen Grundmauern nicht ins Wanken!)

 

7. ICH WERDE KEINE TEXTE UND BILDER AUS DEM INTERNET HERUNTERLADEN UND ALS MEINE AUSGEBEN.

Hat Ihnen Olivia erzählt, dass ich in einer Werbeagentur arbeite? Wenn nicht, dann wissen Sie es jetzt. Und mein Spezialgebiet ist, für meinen Chef die coolsten Texte und Präsentationen zu kreieren, damit er glänzen kann. Da kommt es schon mal vor, dass ich im Internet Ideen, also Daten und Bilder, von anderen mopse und sie als meine »verkaufe«. Vor allem, wenn mein Chef innerhalb von Minuten eine geniale Idee von mir erwartet … Psst, nicht weitersagen! Ich gelobe ja Besserung :-).

 

8. ICH WERDE KEIN BÖSES WORT ÜBER MEINE KOLLEGIN HANNAH VERLIEREN.

Puh, das wird auch nicht einfach! Hannah, meine Büronachbarin, ist nämlich ein falsches Luder. Okay, soeben breche ich schon mal mit diesem Gebot, aber Sie sollen ja verstehen, was ich meine. Diese Frau schleimt sich ständig bei unserem Chef ein. Und sie mopst auch eiskalt – nämlich immer wieder – meine genialen Ideen. Und dann reibt sie mir das auch noch genüsslich hin, wenn sie mal wieder gepunktet hat.

Die sollte sich auch mal einer Wertekur unterziehen! Aber, wie heißt es so schön: Vorbilder braucht der Mensch. Dann werde ich mal den Anfang machen …

 

9. ICH WERDE MEINE FANTASIEN ÜBER PETER LENNERT BEGRABEN.

Also … das ist ein GANZ schwieriges Thema. Hier sollten Sie wissen, dass meine Freundin Olivia einen sehr guten Freund hat. Der heißt Peter – witzig, wie Sie –, aber er ist ein ganz anderer Typ. Sie ahnen es wahrscheinlich schon: Der selbstverliebte Macho, der beruflich und bei Frauen alles mitnimmt, was geht. Jedenfalls quält mich zu meinem Leidwesen schon seit Längerem die Fantasie, diesen Peter zu vernaschen. Und das nervt total! Deshalb muss und will ich das abstellen.

Gegen diese Begehrlichkeit spricht nämlich nicht nur, dass ich in meinem unscheinbaren Dasein sowieso nicht sein Typ bin. Vielmehr bin ich der festen Überzeugung, dass Olivia und dieser Peter einfach zusammengehören. Sie und er, das müssten Sie mal sehen, ergeben optisch ein Gedicht, so schön, wie die beiden geraten sind. Hinzu kommt, dass sie ein Herz und eine Seele sind.

Kennen Sie diesen Typen eigentlich? Immerhin haben Sie drei doch dasselbe studiert. Allerdings beglückt er nicht, wie Sie, angehende Pastoren, sondern für haufenweise Asche irgendwelche Topmanager rund um die ganze Welt. Da sind mir Sie und Ihre Seminaristen, lieber Bruder Peterle, doch um Längen sympathischer :-).

Wie auch immer, dieser Peter soll Olivias werden, und ich muss meine Träume über ihn ein für alle Mal begraben. Punkt.

 

10. ICH WERDE MICH ERKENNBAR FREUEN, WENN ANDERE SICH ETWAS TOLLES ZUGELEGT HABEN.

Ja, ich empfinde schon da und dort Neid, z. B. wenn andere vor mir das neue iPhone, ein schnuckeliges Outfit oder die trendigsten High Heels haben. Kurz gesagt: Ich bin ein Opfer des Konsumdschungels. Und Neid ist unsere Triebfeder …

Doch das wird sich ändern. Spätestens wenn ich mit Olivia demnächst in die USA fliege. Waren Sie schon mal dort? Neid ist im Land der Freiheit kein Thema. Es spornt die Menschen an, wenn einer etwas erreicht hat. In dem Fall sind die Amis echt vorbildlich!

So, das waren Sie nun, Josis zehn Gebote.

Bin schon gespannt, was Sie dazu sagen, und hoffe, Sie sind nicht allzu entsetzt. Denn jeder fängt doch mal klein an, oder? Auch iGod und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der liebe Gott selbst, behaupte ich mal.

Es grüßt Sie herzlich und mit den besten Vorsätzen

Ihre Josi (für Sie auch mal Joséphine)

 

PS: Antworten Sie bitte – bald!

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Kapitel 3

Bruder Peterle

Obwohl es Peter doch sehr in den Fingern juckte, sofort auf Josis Mail zu antworten, nahm er sich zusammen. »Zurückhaltung, Bruder Peterle«, ermahnte er sich und beschloss stattdessen, ins Bett zu gehen. Während er sich die Zähne putzte, wanderten seine Gedanken zwangsläufig zu jenem Abend vor gut einem Jahr zurück, als er Joséphine – er fand ihren Namen fantastisch – das erste Mal begegnet war …

Es war auf Olivias Geburtstagsfeier gewesen. Wie ein Teenager, der sich seiner selbst kein wenig sicher war, hatte Josi von der Wohnzimmertür aus die lustig feiernde Meute vorsichtig beobachtet und mit ihren Fingern, irgendwie gedankenverloren, den Strohhalm ihres Drinks hin und her gedreht. Schon auf den ersten Blick war Peter klar gewesen, dass sie zu jenen Frauen gehörte, die von innen heraus strahlten, sich jedoch ihrer Wirkung auf Männer kein bisschen bewusst waren. Und das schien immer noch so zu sein. Zumindest war das aus ihrer E-Mail sehr deutlich herauszulesen. Wie ließ es sich sonst erklären, schoss es Peter plötzlich durch den Kopf, dass Josi schon so lange keinen Sex mehr gehabt hatte? Demzufolge führte sie auch keine ernsthafte Beziehung … Was für eine Chance!

Bereits bei ihrem ersten Anblick hatte Josi ihn in ihren Bann gezogen. Es waren ihre wasserblauen Augen, von denen er magisch angezogen worden war. Ihre äußere Erscheinung hatte ihn hingegen erst auf den zweiten Blick gefesselt. Denn eigentlich stand er auf große, schlanke Frauen. Aber er hatte feststellen müssen, dass dieses Zierliche und zugleich sehr Weibliche an Josi einen unerklärlichen Reiz auf ihn ausübte. Gut und gerne würde er heute auf diese langen Hungerhaken verzichten, die sich ihm üblicherweise an den Hals schmissen.

An Josi gefiel ihm aber noch viel mehr. Schon auf den ersten Blick waren ihm ihre unaufgeregte Ausstrahlung aufgefallen und dieser klare, grundehrliche Blick, der ihn angezogen hatte wie ein Magnet. Dabei weckte das Gesamtpaket Joséphine Müllerheinrich etwas sehr Archaisches in ihm. Nur wenige Sekunden hatte es damals gedauert, bis sein Beschützerinstinkt geweckt worden war. Und ihm war sofort klar gewesen, dass er für Josi zum Mörder werden könnte …

»So viel zum vierten Gebot«, nuschelte er bei diesem Gedanken in seine Zahnbürste.

Wie sehr bedauerte er heute noch, dass ihr erstes Kennenlernen so dermaßen schiefgelaufen war. Irgendwie verlassen hatte sie gewirkt und sofort eben diesen Drang in ihm geweckt, sie zu beschützen. Bewusst beiläufig, um sie nicht aus ihren Gedanken aufzuschrecken, hatte er sich ihr genähert. Doch erst als sie ihm einen zaghaften, fast ängstlichen Blick geschenkt hatte, war er die letzten Schritte auf sie zugegangen. Entwaffnet von diesen unglaublichen Augen, die nichts Unehrliches in sich bargen, hatte er lediglich ein »Hallo, bist du auch eine Freundin von Livi?«, herausgebracht. Und selbst er, der sonst so souveräne Peter Lennert, war sich plötzlich wie ein schüchterner Teenager vorgekommen.

Sekundenlang hatte Josi ihn angestarrt. Bis sie sich schließlich einen sichtbaren Ruck gegeben, ein herausforderndes Grinsen aufgesetzt und ganz frech erwidert hatte: »Du bist Peter, der Unwiderstehliche!«

»Wer sagt das denn?«, hatte er ebenso grinsend gekontert.

»Ich bitte dich, jeder hier kennt dich. Und selbst wenn das nicht so wäre: Man muss nur all die Frauen beobachten«, mit einer ausschweifenden Handbewegung hatte Josi den Raum erfasst, »die dir in einer Tour schmachtende Blicke zuwerfen!«