Eingecheckt ins Liebesglück - Arantxa Conrat - E-Book

Eingecheckt ins Liebesglück E-Book

Arantxa Conrat

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Beschreibung

Powerfrauen mit Glück in der Liebe gibt es nicht? Sicher? Anna Lind widmet ihre ganze Kraft und Leidenschaft ihrer Eventagentur. Mittlerweile der Überzeugung, dass sie »unvermittelbar« ist, klammert sie das Thema Männer konsequent aus. Bis ihr engstes Umfeld sie zu einem längst fälligen Urlaub verdonnert, der ihren Standpunkt ordentlich ins Wanken bringen wird. Denn dort begegnet sie dem Hoteltester Nick Castle… Romantische Unterhaltung für Leserinnen von Nora Roberts und Carly Phillips. »Eingecheckt ins Liebesglück« von Arantxa Conrat: Ein lustiger und romantischer Roman, der unter dem Titel »Kein Mann fürs Leben« bereits bei Knaur erschienen ist. Begeisterte Leserstimme: »Das Buch ist gute Entspannung gepaart mit tiefgründigerem Nachklang.« Von Arantxa Conrat sind außerdem bei feelings erschienen: »10 Gebote in Pink« und »Feindliche Übernahme«. »Eingecheckt ins Liebesglück« ist ein eBook von feelings –emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Seitenzahl: 594

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Arantxa Conrat

Eingecheckt ins Liebesglück

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Powerfrauen mit Glück in der Liebe gibt es nicht? Sicher?

Anna Lind widmet ihre ganze Kraft und Leidenschaft ihrer Eventagentur. Mittlerweile der Überzeugung, dass sie »unvermittelbar« ist, klammert sie das Thema Männer konsequent aus. Bis ihr engstes Umfeld sie zu einem längst fälligen Urlaub verdonnert, der ihren Standpunkt ordentlich ins Wanken bringen wird. Denn dort begegnet sie dem Hoteltester Nick Castle …

Romantische Unterhaltung für Leserinnen von Nora Roberts und Carly Phillips.

Von Arantxa Conrat sind außerdem bei feelings erschienen: »10 Gebote in Pink« und »Feindliche Übernahme«.

 

»Eingecheckt ins Liebesglück« ist ein eBook von feelings – emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte – wir freuen uns auf Dich!

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Epilog

Kapitel 1

Fünf Jahre zuvor …

 

Müde und abgespannt betrat Anna ihre gemeinsame Wohnung in Salzburg. Doch kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, realisierte sie, dass Timo sie gar nicht erwartete. Es war Freitagabend, nach zweiundzwanzig Uhr, und Anna war gerädert von einer besonders anstrengenden Woche, in der sie, wie schon seit Monaten, im Dreieck gesprungen oder besser gesagt gefahren war – zwischen Salzburg, München und Wien. Die Rückfahrt heute, zusätzlich erschwert durch den Wochenendverkehr, hatte sie endgültig den letzten Nerv gekostet. Und nun war sie seit Stunden nur noch davon beseelt gewesen, sich in Timos Arme zu kuscheln und einfach mal hängenzulassen. Sie brauchte dringend eine Kraftquelle und einen Trostspender zugleich.

Während sie noch im Flur mit einem Stöhnen ihre Füße von den hohen Schuhen befreite, warf Anna einen Blick ins Wohnzimmer. Die Lampe neben dem Sofa brannte, aber nein, er war tatsächlich nicht da. Stattdessen entdeckte sie auf dem Weg in die Küche auf dem Esstisch eine kurze Notiz: Bin zur Eröffnung des Limit One, komm nach, wir werden Spaß haben! Kuss, T.

Anna ließ sich auf einen der Stühle fallen und schüttelte ungläubig den Kopf. Selbst zum Weinen war sie zu müde, wenngleich ihr danach war. Noch vor einer Stunde hatte sie vom Auto aus mit Timo telefoniert und ihm ihr Leid geklagt. Die ganze Woche lang hatte sie ihr Chef in München, wo sie noch in Lohn und Brot stand, mit allen möglichen Aufgaben traktiert. Und so hatte sie sich die Nächte um die Ohren schlagen müssen, um ihre Fahrt nach Wien doch noch hinzubekommen.

Beflügelt von der Vorfreude über den geplanten gemeinsamen Neubeginn in Wien hatte Anna schließlich alle Aufträge ihres Chefs abgearbeitet und war noch gestern, zu später Stunde, in der Donau-Metropole angekommen. Doch schnell war am Morgen ihr Optimismus zerronnen. Denn nach dem Gespräch mit der Headhunterin war klar gewesen, dass Anna in Wien nicht einfach mal eben so beruflich Fuß fassen würde. Ohne Netzwerk, ohne wirkliche Unterstützung von Timo, der durchaus einige wichtige Leute in der Stadt kannte, sahen Annas Chancen nicht gut aus. Als Münchnerin war sie in Wien ein No-Name. Und ihre bisherige, durchaus beeindruckende Karriere, aber vor allem das Einkommensniveau, das sie mittlerweile erreicht hatte, stellte eher einen Hemmschuh dar. »Sie werden deutliche Abstriche machen müssen, wenn Sie hier Fuß fassen wollen, Frau Lind«, hatte die freundliche Frau Annas Pläne durchkreuzt. »Und selbst das wird eine Zeit dauern.«

Nach wie vor ratlos raufte sich Anna die Haare. Während sie ihre schmerzenden Fußballen massierte, nahm sie Timos Zettel noch mal zur Hand. Was war aus den mutigen und zugleich optimistischen Plänen geworden, die Timo und sie vor ein paar Monaten geschmiedet hatten, fragte sie sich jetzt. Überzeugt, dass sie in ihm den Mann fürs Leben gefunden hatte, der sie als starke, erfolgreiche Frau akzeptierte – und sich nicht wie so viele andere Männer davon bedroht fühlte –, war Anna bereit für einen kompletten Neuanfang gewesen.

Schnell war die Wahl auf Wien gefallen – Timo, aus Salzburg kommend, Anna aus München –, sie hatten sich darauf geeinigt, dort gemeinsam neue Wege zu gehen. Mit dem kleinen Unterschied, dass er in der österreichischen Hauptstadt ohnehin schon ein lukratives Jobangebot hatte. Doch Anna tat, wie immer, alles für die Liebe. Und so hatte sie ihren wunderbaren Job in München gekündigt, natürlich in der Überzeugung, dass es ein Leichtes sein würde, mit Timos Hilfe und dank ihrer Fähigkeiten und Qualifikation in Wien schnell Fuß zu fassen.

Doch jetzt saß sie da und erkannte, dass sie mal wieder ganz auf sich alleine gestellt war. Entmutigt las sie wieder Timos Zeilen, … wir werden Spaß haben …, um den Zettel dann zusammenzuknüllen und frustriert in eine Ecke des Esszimmers zu werfen. Okay, dachte sie, eine letzte Chance gebe ich dir noch …

Mit müden Beinen stand sie auf und suchte nach ihrem Handy. Wenige Sekunden später hatte sie bereits Timos Nummer gewählt. Als sich dieser schließlich am anderen Ende der Leitung meldete, sagte sie abgespannt: »Hey Großer, ich hatte gehofft, dich heute Abend nur für mich zu haben.« Es gelang ihr nicht, den leicht vorwurfsvollen Unterton zu vermeiden.

»Anna! Komm doch vorbei!« Lautes Getöse im Hintergrund verriet, dass in der neu eröffneten Diskothek die Party voll im Gang war. »Es ist eine Bombenstimmung hier!«

»Timo, bitte, ich bin kaputt und brauche dich jetzt!« Annas Stimme war nur noch ein Flüstern.

»Jetzt nerv nicht, Anna. Ich habe keine Lust auf deinen Frust!«

»Ist gut …« Anna beendete die Verbindung ohne weiteren Kommentar. Die Tränen, die sie schon seit Stunden zurückgehalten hatte, flossen nun ungehalten und still über ihre Wangen. Erst langsam wurde ihr bewusst, dass sie mit voller Geschwindigkeit der nächsten Beziehungskatastrophe entgegensteuerte. Sie, die toughe Powerfrau, saß hier in Salzburg in einer Wohnung, die nur als Übergangslösung gedacht war, bald ohne Job in München und ohne Aussicht auf eine neue Aufgabe in Wien. Mit einem Mann, der gar nicht für sie da war, wenn sie ihn mal brauchte, und der nur die erfolgreiche, fröhliche und unternehmenslustige Anna an seiner Seite sehen wollte. Anna seufzte. Definitiv kein Mann fürs Leben, sagte ihre innere Stimme. Gib’s auf, einen Partner zu suchen, der deine starken Seiten ebenso liebt wie deine schwachen. Du wirst ihn nicht finden!

»Stimmt«, rief sie laut in den leeren Raum und wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. Dann löschte sie das Licht im Wohnzimmer, ging in den Flur, zog ihre Schuhe wieder an und griff nach ihrem Schlüssel. Als die Wohnungstür hinter ihr ins Schloss fiel, war sie schon wieder ganz die Anna, wie man sie kannte. Den Rücken aufrecht, signalisierte sie eisernen Willen und Durchsetzungskraft. Der Vorsatz war gefasst, und Anna war sich ihres neuen Lebensmottos sicher: Geh alleine deinen Weg und konzentriere dich auf das, was du wirklich kannst.

Das Kapitel Timo war damit abgeschlossen.

Kapitel 2

Nein, Bruderherz, ich sag’s dir, ich bin mittlerweile unvermittelbar!« Mit einer ausschweifenden, resoluten Handbewegung verlieh Anna ihrer Aussage noch mehr Kraft. »Welcher Mann will schon was mit einer Frau wie mir anfangen?!?«

Zusammen mit ihrem Bruder Leon und dessen Frau Nathalie stand sie an der Stehtheke ihrer geräumigen Küche. Ein langer Abend lag hinter ihnen, an dem die drei wieder einmal den Problemen dieser Welt auf den Grund gegangen waren, um schließlich bei dem Thema zu landen, das aus Annas Sicht schlichtweg Fakt war: Erfolg hin oder her – einen Mann fürs Leben würde sie nicht mehr finden.

»Das ist doch ausgemachter Blödsinn, Anna!«, versuchte Leon abermals, seine volle Überzeugungskraft in die Waagschale zu legen. »Deinem Charme und Aussehen kann doch kaum jemand widerstehen. Ich weiß gar nicht, welches Männerbild du deiner Negativprojektion zugrunde legst!«

»Ich spreche aus Erfahrung«, gab Anna trotzig zurück, »und die wirst du mir ja mit meinen fast fünfunddreißig Jahren wohl kaum abstreiten wollen.«

»Für mich«, warf Nathalie in die Runde, »bist du schlichtweg die perfekte Frau!« Annas Einwände wollte sie nicht im Geringsten gelten lassen: »Du bist doch Everybody’s Darling – übrigens auch für unsere Zwillinge, aber dieser Aspekt zählt hier nicht.« Sie nahm die zierliche Anna in ihre Arme: »Wenn ich ein Mann wäre, hätte ich dich schon längst vor den Traualtar geschleppt, wäre dir vollkommen verfallen und würde dir jeden deiner Wünsche von den Lippen ablesen.«

»Quatsch!« Anna befreite sich aufgebracht aus der Umarmung. »Ihr beide seid völlig realitätsfremd – mal abgesehen von eurer totalen Subjektivität.« Frustriert griff sie zu ihrem Grappa-Glas und gönnte sich einen tiefen Schluck. Scharf brannte sich der Trester durch ihre Kehle und trieb ihr die Tränen in die Augen. Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen, schoss es ihr plötzlich durch den Kopf. Dieser Abend kann für mich nur noch elendig enden …

Daraufhin rief sie in die Runde: »Diese Diskussion führt wieder mal zu nichts. Wir sollten hier abbrechen. Außerdem habe ich morgen wieder einen anstrengenden Tag vor mir.«

»Komm schon, Anna, lass dich jetzt nicht hängen, der Abend ist noch jung … und wir auch!«, versuchte Nathalie, Annas drohenden Rauswurf hinauszuzögern. »Du willst doch nur dem Thema aus dem Weg gehen – Feigling!«

»Von wegen!«, etwas fester als gewollt, stellte Anna ihr Glas auf die schwarze Marmorplatte. Diese Unterstellung konnte sie nicht auf sich sitzenlassen: »Jetzt sage ich dir mal, wie das wirklich ist. Und merke dir eines: Ich spreche aus Erfahrung.«

»Da bin ich aber gespannt …«, erwiderte Nathalie mit einem unüberhörbar zynischen Unterton.

»Wir leben in einer Welt, in der die Männer nach wie vor Jäger und Beschützer sind. Frauen, die selbst ihren Mann stehen, sind nicht gefragt – auch heute noch nicht. Scheiß auf die Emanzipation! Glaubt ihr denn wirklich daran?!?«

»Also, meine Frau ist ziemlich emanzipiert – und das liebe ich ganz besonders an ihr.« Liebevoll küsste Leon seine Frau auf den Mund. Und an Anna gewandt sagte er: »Schwesterherz, du übertreibst mal wieder. Nicht alle Männer stehen mit der Keule bereit, um ihre Frauen mit Futter zu versorgen oder sie vor den bösen Raubtieren zu verteidigen. Etwas fortschrittlicher sind wir mittlerweile schon.«

»Augenscheinlich, Leon, nur augenscheinlich.« Anna schenkte ihnen allen einen weiteren Grappa ein, vergessen war ihr Vorsatz, dem Abend ein Ende zu bereiten. Nun war sie wieder auf Touren. »Schau mich an: Seit Jahren hat es für mich nicht zu mehr gereicht als ein paar One-Night-Stands. Und wohl kaum, weil ich nicht mehr gewollt hätte, ganz im Gegenteil. Aber was soll ich machen. Wenn ich irgendwo aufkreuze, breche ich schon mal rein optisch mit der geltenden Norm – nicht blond, nicht langhaarig …«

»Deine Frisur steht dir aber super, sie unterstreicht deinen Typ«, durchbrach Nathalie Annas Argumentationskette und ließ, um ihre Aussage zu unterstreichen, ihre Finger durch Annas kurze, fransig geschnittene Haare im Pixie-Stil streifen.

»Viel zu kurz, viel zu frech. Glaub mir, Nathalie, die Bewertung kannst du den gelobten Herren von den Augen ablesen. Und ich passe nicht in das Beuteschema von neunundneunzig Prozent der Männerwelt.«

Leon, der für sich beschlossen hatte, sich aus der zunehmend hitziger werdenden Diskussion herauszuhalten, rollte ungläubig die Augen.

»Und wenn die dann auch noch mein Auto sehen oder sogar erfahren, was ich beruflich mache … dann ist es endgültig vorbei … Die denken sich alle das Gleiche: Finger weg von dieser Frau, der kannst du rein gar nichts mehr bieten, und einen Beschützer braucht die sowieso nicht. Ergo …«, mit dem Zeigefinger stach Anna vehement auf Leons Brust ein, »… für Frauen wie mich gibt es keine Nachfrage!«

»Aua«, gespielt beleidigt rieb sich Leon die Stelle, in die sich Annas Finger gebohrt hatte. Eine Antwort auf diesen ausgemachten Blödsinn kriegst du von mir diesmal nicht, dachte er bei sich.

»Vielleicht schaust du nur nicht genau genug hin«, warf Nathalie nun ein, »um nicht zu sagen gezielt weg. Wenn du schon nach einem Mann mit mehr Tiefgang suchst, dann musst du aber auch deutlich subtiler mit der Aufgabe umgehen und nicht gleich alle Männer, die dir über den Weg laufen, mit deinen Vorurteilen abstempeln.«

»Das tue ich doch gar nicht!« warf Anna verärgert ein.

»Das mag stimmen, Anna, aber auch nur deshalb, weil du schon gar nicht richtig hinschaust. Seitdem du das Thema für dich abgeschrieben hast, konzentrierst du dich doch nur noch auf deinen Job. Als deine ehemalige Kollegin kenne ich deinen Tunnelblick nur zu gut … du merkst ja nicht einmal mehr, wenn sich ein Mann bewundernd nach dir umschaut!« Emotionsgeladen schlug Nathalie mit ihrer rechten Faust auf Leons Arm ein.

»Ihr beide habt es jetzt echt auf mich abgesehen, oder?!«, wehrte sich Leon lachend. »Und dabei habt ihr vor einer halben Stunde noch eisern behauptet, ich sei euer Traummann.« Verständnislos trat er einen Schritt zur Seite, so als müsse er vor diesen kämpferischen Weibsbildern in Deckung gehen. Dann verschränkte er seine Arme vor der Brust. »Da soll einer die Frauen noch verstehen. Ich kann doch wirklich nichts dafür, dass meine Schwester ein Männer abweisendes Arbeitstier ist, und dass die meisten Männer zu blöd und zu faul sind, zu entdecken, was sie hinter dieser selbstbewusst-coolen Fassade alles zu bieten hat!«

»Entschuldige, Schatz«, Nathalie zog Leon wieder näher an sich heran und gab ihm einen besänftigenden Kuss, »aber bei dem Thema gehen mir mittlerweile echt die Pferde durch.«

»Und mir auch«, warf Anna ein, »lasst uns das Ganze lieber mal hier beenden. Eine Lösung des Dilemmas werden wir heute nicht finden, und außerdem bin ich supermüde.«

Von wegen, dachte Nathalie, jetzt werden wir das Thema erst recht mal strategisch angehen … Mit dieser Idee im Kopf wandte sie sich an Anna: »Sag mal, liebe Schwägerin, wann warst du eigentlich das letzte Mal in Urlaub, in entspannter Atmosphäre und offen für neue Bekanntschaften?«

»Ach, hör mir damit auf! So ein Urlaubsflirt ist doch auch keine Lösung.« Anna schüttelte energisch den Kopf.

»Wieso denn das schon wieder nicht?«, fragte Leon mit naivem Blick.

»Weil so ein netter Urlaubsflirt genau das ist und nicht mehr. Klar kann ich da Spaß haben und mir einen netten Loverboy angeln – das habe ich ja auch schon des Öfteren praktiziert … aber kaum bist du wieder zu Hause und schlüpfst in dein wahres Ich, nehmen die charmanten Herren – wenn sie dir bis dahin überhaupt erhalten geblieben sind – ganz schnell ihre Füße unter die Arme. Auch davon kann ich mittlerweile ein Lied singen!«

»Also ehrlich Anna, wenn du nicht bald diese destruktive Haltung ablegst, wirst du den Mann fürs Leben nicht mehr finden!« So langsam verlor Nathalie die Geduld. »Jetzt gib dir mal einen Ruck und nimm dir eine Auszeit.«

Entsetzt schaute Anna zu ihr auf. »Und wozu soll das gut sein?!«

»Du hast die letzten Monate so viel gearbeitet, dass du nicht einmal mehr weißt, was es heißt, einem Mann schöne Augen zu machen.«

»Ich weiß sehr wohl, wie das geht. Und eine Auszeit brauche ich dafür auch nicht!«

»Ach ja? Wann bitte hast du dir denn das letzte Mal Zeit genommen, um auf Männerfang zu gehen?«, herausfordernd baute sich Nathalie vor Anna auf. »Komm mir jetzt bloß nicht mit der Ausrede, du hättest viel zu viel zu tun. Denn ich weiß genau, dass du es dir leisten kannst. Deine Firma läuft momentan mehr als gut, Großprojekte stehen erst im zweiten Halbjahr an und außerdem hast du in Mariella eine perfekte Partnerin, die auch mal deine Aufgaben übernehmen kann. Du bist zeitlich völlig ungebunden …« Nathalie drückte ihre Schwägerin an sich. »Also spricht alles dafür, endlich mal wieder Urlaub zu machen. Was würde ich nur dafür geben«, seufzte sie nun, »ein paar Tage alleine am Strand zu liegen, ein schönes Buch zu lesen und mir die Sonne auf den Bauch scheinen zu lassen … und wer weiß, was oder wer sich in einer solchen Umgebung so alles auftun würde …«

»Hallo?! Was höre ich da?!«, warf Leon ein. »Seit wann willst du denn ohne mich Urlaub machen und wieder auf Männerfang gehen?!?«

»Ihr beide seid mir die Größten!« Anna schüttelte lachend den Kopf. »Ihr könnt doch sowieso nicht ohne den anderen leben!« Wehmütig schaute sie auf das Pärchen, das mit jeder Pore Harmonie ausatmete. »Ich glaube, Nathalie, ich sollte deinen Rat vielleicht doch ernst nehmen«, lenkte sie nun ein, »zumal ich wirklich schon viel zu lange keinen Urlaub mehr hatte. Und das Wetter treibt einen zurzeit ohnehin in die Ferne …«

»Na also, Schwesterherz, dann beweis auch in dieser Sache mal deine schnelle Entscheidungsgabe und tu es einfach«, motivierte Leon seine Schwester.

»Meine Worte«, ergänzte Nathalie strahlend.

* * * *

Kurz nach Mitternacht, Nathalie und Leon waren schon vor einer halben Stunde gegangen, räumte Anna die letzten Gläser und Teller in den Geschirrspüler. Wenn sie an den morgigen Vormittag dachte, war sie fast gewillt, alles stehen und liegen zu lassen, um schnellstens ins Bett zu gehen. Eine Besprechung nach der anderen stand bevor, und schon jetzt wusste sie, dass sie mit den Folgen des langen, feucht-fröhlichen Abends zu kämpfen haben würde. Doch der ordnungsliebende Teil in ihr konnte und wollte die Küche nicht in diesem Zustand hinterlassen. Und so räumte sie mechanisch die Überreste des Abends weg.

Als sie schließlich den Wohn- und Essbereich ihres Lofts betrat, um, wie gewohnt, vor dem Zubettgehen zu lüften, fiel ihr Blick auf den Laptop, der noch auf dem Sofa lag. »Eigentlich könnte ich wirklich kurz mal googeln, was sich so alles an Last-Minute-Angeboten im Netz tummelt«, murmelte Anna vor sich hin und schaltete das Gerät an. Während der Rechner hochfuhr, sperrte sie die Fenster weit auf und ließ die kalte Luft in den Raum strömen. Im Licht der Straßenlaterne fiel leise Schnee und begrub München zum wiederholten Male in diesem Winter unter einer jungfräulichen weißen Decke. Anna liebte es, wenn die Straßen unter den Schneemassen ihre Konturen verloren und eine unwirkliche Stille die Stadt einhüllte. »So schön der Schnee aber auch ist«, dachte sie jetzt, »warmes Wasser und Meer hätten auch was …«

Fröstelnd von der kalten Luft, die bereits den ganzen Raum eingenommen hatte, schloss sie die Fenster und setzte sich, aller Vernunft zum Trotz, an ihren Laptop. »Egal, jetzt ist es ohnehin schon so spät, auf ein paar Minuten kommt es auch nicht mehr an«, sinnierte sie, während der Rechner die Startseite der Suchmaschine lud.

Last*Minute*einsamer*Strand – mit schnellen Fingern tippte sie die Schlüsselwörter ein. Schon die ersten Suchergebnisse versetzten sie in Urlaubsstimmung.

 

MALEDIVEN – Stelzenhäuser mitten im Taucher-Dorado versprechen die perfekte Kombination von Sport und Entspannung

THAILAND – Zehn Tage im Luxus-Resort, exklusive Palmenhäuser direkt am einsamen Privatstrand

SÜDAFRIKA – Luxuriös ausgestattete Lodges – erleben Sie Afrika auf seine einzigartige Art

HAWAI …

 

»Traumhaft …«, hörte sich Anna sagen, während sie die unzähligen Angebote überflog. Sie gab sich einen Ruck: »Jetzt ab ins Bett.« Vielleicht schaffte sie es ja am Samstag, ins Reisebüro zu gehen. Mit dem Gefühl, ihr schlechtes Gewissen etwas beruhigt zu haben, fuhr sie den Rechner herunter. Immerhin habe ich Nathalies Anregung gleich aufgenommen, gestand sie sich selbstzufrieden.

Als sie ihr Badezimmer betrat und in den Spiegel schaute, musste sie tatsächlich feststellen, dass Nathalie und Leon nicht ganz unrecht hatten. »Dein Gesicht schreit regelrecht nach Urlaub, Anna!«, sprach sie zu ihrem Konterfei. Während sie sich die Zähne putzte, inspizierte sie ihre feine Haut, die die dunklen Augenringe ganz besonders deutlich durchscheinen ließ. Ihre mandelförmigen, dunkelbraunen Augen wirkten müde, nur wenig war von ihrer Lebendigkeit und Wachsamkeit zu erkennen. »Ich bin so ausgepowert, nicht einmal der Concealer kann mehr gute Arbeit leisten … meine Haut schreit nach Wärme, frischer Luft und Sonne! Okay, okay«, überzeugte Anna sich schließlich selbst, »kommenden Samstag suche ich mir ein schönes Urlaubsziel aus.«

Mit diesem Vorsatz, aber mit der festen Überzeugung, dass der Urlaub auch diesmal wohl an ihrer miserablen Selbstorganisation scheitern würde, sank Anna in ihr großes, mit gemütlichen Kissen übersätes Bett und fiel alsbald in einen tiefen Schlaf.

 

Am anderen Ende der Stadt, mittlerweile gemütlich in Leons Armen liegend, gab sich Nathalie viel überzeugender als ihre Schwägerin. »Gleich morgen hetze ich Anna unsere Reisebüro-Chefin an den Hals. Die kennt sich nicht nur in Sachen exklusive Wellness-Reiseziele besonders gut aus, sondern ist selbst so ein Arbeitstier wie Anna. Also kann sie bestens beurteilen, was derzeit das Angesagteste für deine Schwester wäre!«

»Nathalie, du bist wirklich eine Weltverbesserin – und deshalb liebe ich dich so sehr.«

»Ganz ehrlich, Leon«, voller Tatendrang setzte sich Nathalie im Bett auf, »im Falle deiner Schwester muss sich aber auch jemand um diese Dinge kümmern. So patent sie sonst in jeder Lebenslage ist, aber wenn es um sie selbst geht, ist sie eine echte Katastrophe!«

»Da hast du recht«, Leon gähnte herzhaft, »eigentlich bräuchte Anna einen persönlichen Assistenten.«

»Ja, das auch, aber vor allem einen Fels in der Brandung, einen Beschützer, eine breite Schulter, um sich auch mal auszuweinen, einen allerbesten Freund und großartigen Liebhaber …«, murmelte Nathalie. Mit einem zufriedenen Lächeln kuschelte sie sich an ihren mittlerweile schlafenden Mann. »Ein Mann für Annas Leben – das packen wir jetzt an!«

Kapitel 3

Als Anna am späten Vormittag auf die Uhr schaute, musste sie mit Entsetzen feststellen, dass die ursprünglich bis 11.00 Uhr anberaumte Sitzung zeitlich völlig aus dem Ruder zu laufen drohte. Jetzt sind wir erst bei Tagesordnungspunkt drei, dachte sie frustriert, und noch keine einzige Entscheidung in Sicht. Die bringen mich mit ihrer Jubiläumsveranstaltung noch zum Wahnsinn!

»Herr Schaller«, hörte sie sich selbst sagen, »ich denke, wir sollten hier erst einmal abbrechen. Wir können und wollen für Ihr Unternehmen eine wirklich einmalige 150-Jahr-Feier aufziehen. Aber dafür brauchen wir definitiv ein Motto und vor allem die wesentlichen Schwerpunktthemen. Ohne Inhalte wird das nichts. Und wir müssen wissen, ob es eine Tagesveranstaltung werden soll oder doch lieber ein Abendevent. Wenn wir all diese Eckdaten nicht festlegen können, weil Ihr Boss keine Zeit dafür findet, dann verschwenden wir Ihre und auch meine Zeit!«

»Was soll ich tun, Frau Lind? Sie haben ja vollkommen recht«, gab ihr Gegenüber zerknirscht zu, »aber unser Boss war die letzten Wochen schwer in den Endverhandlungen einer Firmenübernahme eingespannt. Und heute Morgen erfahre ich, dass er sich gestern auf den Weg nach Thailand gemacht hat, um persönlich die Kaufverträge zu unterzeichnen.«

»Herr Schaller«, beschwichtigend hob Anna die Hand, »ich verstehe Ihre missliche Lage, keine Frage, aber lassen Sie uns bitte erst wieder zusammenkommen, wenn Herr Castelli zurück ist und auch Zeit für uns hat. Zum Glück haben Sie ja die Ausschreibung so rechtzeitig gestartet, dass noch alles im grünen Bereich ist.«

Helmut Schaller erhob sich vom Besprechungstisch. »Aber geben Sie mir bitte noch fünf Minuten, dann werde ich zumindest versuchen, mit dem Vorzimmer vom Boss zu klären, wann er wieder da ist und hoffentlich auch Zeit für uns hat.« Mit diesen Worten öffnete er die Tür des Besprechungsraumes und verschwand im Gang.

Ich will gar nicht wissen, wie das ist, für diesen Castelli zu arbeiten, dachte Anna genervt. Der jettet ständig in der Welt herum, will aber trotzdem bei allen Themen eingebunden werden. Kein Wunder, dass ich hier nicht weiterkomme. Das sind mir wirklich die liebsten Kunden … Und spätestens, wenn’s dann ans Zahlen geht, folgt die nächste Diskussion. Toll soll es sein, aber kosten darf’s nichts … »Mein lieber Herr Castelli«, kopfschüttelnd murmelte Anna vor sich hin, während sie auf die Rückkehr von Schaller wartete. »Ich bin schon sehr auf Sie gespannt. Und ich glaube, wir zwei werden noch richtig viel Spaß miteinander haben …«

Um sich die Zeit sinnvoll zu vertreiben, griff Anna nach ihrem iPhone. Mal sehen, was sich in den letzten Stunden alles an Mails angehäuft hat, dachte sie, während sie das Zugangspasswort eingab. Mit ihrem rechten Daumen ließ sie die eingegangenen E-Mails über das Display sausen und stellte mit schnellem Blick fest, dass keine drohenden Katastrophen in ihrem Eingangspostfach schlummerten. Das ist ja schon mal gut, dachte sie. Doch da fixierte ihr Blick eine Nachricht mit einer ungewöhnlichen Betreffzeile:

Buchungsbestätigung Thailand, paradiesisches Resort mit persönlichem Entspannungsprogramm, 06.02. bis 18.02.2013

Anna murmelte weiter: »Diese Spams machen mich ganz verrückt.« Genervt wollte Anna schon die Delete-Funktion bestätigen. »Ich muss unbedingt unsere IT mal wieder darauf ansetzen, die Filter zu aktualisieren.« Doch eine sonderbare Eingebung verleitete Anna dazu, die E-Mail doch zu öffnen:

 

Sehr geehrte Frau Lind,

wie mit Ihrer Schwägerin besprochen, bestätigen wir Ihnen hiermit folgende Reisebuchung:

 

HINREISE

Ab MUC   06.02.2013, 10.05 h

An FRA   06.02.2013 12.00 h

Ab FRA   06.02.2013, 14.10 h

An BKK   07.02.2013, 06.20 h

Anschlussflug (Privatjet-Transfer)

zum Andaman Sea ThaiSpa Resort

Ab BKK   07.02.2013, 08.00 h

An priv. Flugplatz ThaiSpa Resort   07.02.2013, 09.45 h

*************

UNTERKUNFT

10 Nächte (07.02. bis 17.02.2013)

Superior Beach-Lodge mit eigenem Whirlpool und privater Terrasse

tägliche Massageeinheiten (1,5 Stunden) sowie Nutzung des SPA- und Fitness-Bereiches im Preis inbegriffen

*************

RÜCKREISE

Ab priv. Flugplatz ThaiSpa Resort   17.02.2013, 18.30 h

An BKK, General Aviation   17.02.2013, 20.00 h

Transfer zum Terminal 1

Ab BKK   17.02.2013, 23.45 h

An MUC   18.02.2013, 05.30 h

*************

 

Die Flüge haben wir für Sie wahlweise in der Economy und der Business Class reserviert. Bitte kreuzen Sie die gewünschte Option an und bestätigen Sie uns die Buchung per Fax samt Angabe der Kreditkarte, von der wir die Reisekosten abbuchen sollen.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr ThaiTour Reisebüro-Team

gez. Ursula Kemp

 

Das ist doch nicht zu fassen, lachte Anna auf, kaum rede ich mit Nathalie über einen möglichen Urlaub, schon will sie mich zu meinem Glück zwingen! Aber richtig böse konnte Anna ihrer Schwägerin nicht sein. Denn Nathalie kannte sie gut genug, um zu wissen, dass man sie zu solchen Dingen zwingen musste. Sie selbst hätte ihre privaten Bedürfnisse wohl doch wieder hintangestellt.

Als Anna gerade die Mobilnummer ihrer Schwägerin wählen wollte, betrat Helmut Schaller wieder den Besprechungsraum. Und so legte sie pflichtbewusst ihr iPhone zur Seite.

»Sorry, Frau Lind, es hat etwas gedauert, aber wir wollten den Boss persönlich erreichen, um den Termin abzustimmen. Es ist immer sicherer, wenn wir das direkt mit ihm ausmachen, dann steigt zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass er den Termin auch tatsächlich einhält«, erklärte er nun. »Außerdem konnte ich ihm so auch nochmals klarmachen, dass wir ohne ihn und seine konkreten Vorgaben nicht mit den Vorbereitungen starten können. Das hat er jetzt auch eingesehen und versprochen, uns ganze drei Stunden seiner wertvollen Zeit zu widmen, wenn er wieder im Lande ist.«

»Wunderbar, Herr Schaller«, erwiderte Anna und dachte abermals: Mit dem Boss werde ich echt noch richtig Spaß haben. Laut fügte sie dann noch hinzu: »Und wann gewährt uns Ihr Boss nun Audienz?« Sie kannte Helmut Schaller lange genug, um sich die kaum versteckte Kritik an dessen Chef auch leisten zu können.

Leicht errötend erwiderte Schaller: »Tja, leider erst in drei Wochen, Frau Lind, er kommt vorher nicht aus Thailand zurück.«

»Was soll ich sagen«, erwiderte Anna leicht frustriert, »wir können ihn ja kaum zwingen, uns vorher Gehör zu schenken, oder, Herr Schaller?«

Mit einer entschuldigenden Geste reichte dieser Anna einen Zettel: »Also, sein Vorschlag war, dass wir uns am 18. Februar, 8.30 Uhr, hier in seinem Büro treffen. Herr Castelli ist Frühaufsteher, müssen Sie wissen. Ginge das bei Ihnen?«

18.02., 8.30 Uhr …, überlegte Anna schnell, während sie ihr iPhone wieder aus der Handtasche holte. Sollte ich wirklich das Urlaubsangebot annehmen, wäre ich sogar wieder zurück. Zwar mit garantiertem Jetlag, aber ganz sicher gut erholt und entspannt genug, um diesem Castelli vor die Augen zu treten.

»Geht klar, Herr Schaller, den Termin halten wir fest. Anna tippte schnell die Daten in ihr iPhone ein. »Und bis dahin wird meine Agentur schon einmal ein paar attraktive Locations anfragen, die sich für Ihre Jubiläumsveranstaltung eignen könnten. Ich gehe davon aus, dass rund fünfhundert Teilnehmer auch im Sinne Ihres Bosses sind?«

»Doch, ja, die Zahl habe ich bereits von ihm bestätigt bekommen.«

»Und, konnten Sie in dem Telefonat auch klären, ob es eine Tages- oder aber eine Abendveranstaltung sein soll?«

»Herr Castelli hatte nur wenig Zeit und musste zur Vertragsunterzeichnung, diesbezüglich muss ich leider passen. Können Sie denn die infrage kommenden Veranstaltungsorte zunächst für den ganzen Tag blockieren?«

»Das müssen wir ohnehin, Herr Schaller. Die Frage ist nur, wie viel Zeit wir noch zusätzlich für den Auf- und Abbau reservieren müssen. Wird es eine Abendveranstaltung, so reicht uns ein ganzer Tag vorher. Wird es allerdings ein Tagesevent, müssen wir allemal einen weiteren halben Tag zusätzlich blocken. Aber ich denke, nachdem wir noch gute eineinhalb Jahre Zeit bis zu dem Festakt haben, dürften uns die Vermieter möglicher Räumlichkeiten noch nicht allzu viel Druck machen. Wir schauen einfach mal, was wir bis zum Achtzehnten arrangieren können.«

»Auf Sie ist einfach Verlass, liebe Frau Lind!«

»Herzlichen Dank, Herr Schaller. Dann sehen wir uns also am 18. Februar, um 8.30 Uhr.«

»Danke für Ihre Geduld«, schob Helmut Schaller nochmals eine Entschuldigung hinterher. Es war ihm anzusehen, dass ihm die Situation mehr als unangenehm war.

»Kein Thema, dafür sind wir doch da«, säuselte Anna angestrengt, sammelte ihre Unterlagen zusammen und griff nach ihrem Mantel. Während Helmut Schaller ihr hineinhalf, hielt sie inne, drehte sich zu ihm um und fragte: »Sagen Sie mal, Herr Schaller, jetzt kennen wir uns schon so lange, und ich weiß, wie strukturiert Sie arbeiten. Was hat Sie eigentlich bewogen, in dieses Unternehmen zu wechseln? Wenn ich das so offen sagen darf, Ihr Boss scheint ja eher chaotisch veranlagt zu sein. Das passt doch überhaupt nicht zu Ihrer Arbeitsweise … Und auch das wenige, was man da und dort in der Presse so über Herrn Castelli liest, lässt ihn nicht als einen gerade einfachen, umgänglichen Menschen erscheinen …«

»Dass Sie sich da mal nicht täuschen«, lachend schob Helmut Schaller Anna den Mantel über die Schulter. »Herr Castelli wird seinem öffentlichen Ruf – der ohnehin nahezu nur auf Mutmaßungen basiert – glücklicherweise kein bisschen gerecht. Ich habe noch nie einen so arbeitswütigen, sachlichen und vor allem klar strukturiert arbeitenden Chef erlebt wie ihn. Und extrem sympathisch ist er auch noch!«

»Was Sie nicht sagen …«

»Doch, doch! Aber er hat halt wirklich viel um die Ohren. Und das macht ihn manchmal leider zum Engpassfaktor.«

Klare Sache, echter Flaschenhals, grinste Anna in sich hinein. Laut erwiderte sie: »Vielleicht sollte er mal lernen, zu delegieren … aber entschuldigen Sie, Herr Schaller, ich möchte Sie mit meinen Kommentaren nicht in Erklärungsnöte bringen!«

»Ich bin mir sicher«, erklärte Annas Gegenüber nun im Brustton der Überzeugung, »Sie werden sich spätestens am 18. Februar selber seinem Fanklub anschließen.«

Anna drehte sich zu Helmut Schaller um und schüttelte ihm mit einem skeptisch-kritischen Lächeln die Hand. »Ihr Firmenjubiläum wird auf jeden Fall ein voller Erfolg, Herr Schaller, sollten wir den Auftrag bekommen. Das verspreche ich Ihnen schon jetzt – unabhängig davon, ob ich dem Castelli-Fanklub beitrete oder nicht!«

»Sie werden mit Sicherheit Gefallen an Herrn Castelli finden – davon bin ich überzeugt!«

»Mir reicht, wenn ihn unser Konzept überzeugt«, erwiderte Anna nun zuckersüß. »Ich glaube nicht, dass Herr Castelli mir dafür gefallen muss, geschweige denn, ich ihm …« Mit diesen Worten nahm sie Kurs auf die Tür des Besprechungszimmers und ließ den verwunderten Kommunikationschef der Castelli-Gruppe mitten im Raum stehen. Bevor sie das Zimmer verließ, drehte sie sich nochmals um: »Tschüss, Herr Schaller, alles Gute, bis dahin!« Energisch öffnete sie die Tür und verschwand.

Frauen, dachte sich dieser und schüttelte nur den Kopf. Als hätte ich versucht, sie mit dem Boss zu verkuppeln …

* * * *

Eine halbe Stunde später fuhr Anna mit ihrem schwarzen Cabrio schwungvoll auf den Parkplatz ihrer Firma. Der sonnige Föhntag hatte nicht nur die Schneemassen vom Vorabend rasant schmelzen lassen, sondern es ihr sogar erlaubt, offen durch die Stadt zu fahren. Wofür besitze ich schon so ein Auto, grinste Anna vor sich hin, wenn nicht um jeden Sonnenstrahl zu nutzen! Auf jeden Fall hatte das Wetter ein gutes Stück dazu beigetragen, ihren Ärger über diesen Nicolas Castelli zu verdrängen. Männer, die so ein Geheimnis aus sich machen, dachte sie gerade, haben sicher auch ordentlich etwas zu verbergen. Vielleicht würde sie es ja rausfinden, wenn er ihr in wenigen Wochen endlich unter die Finger kam …

Während sie das Verdeck ihres Wagens schloss, blickte sie voller Stolz auf die großen Buchstaben aus Edelstahl, die sich entlang der Fassade des schmucken Backsteingebäudes zogen: L&L Events. Das von ihr und ihrer besten Freundin Mariella Luca vor bald fünf Jahren gegründete Unternehmen war erst vor sechs Monaten in die neuen Räumlichkeiten eingezogen. Elegant und fein, aber nicht überzogen, war der neue Firmensitz das Symbol für den Erfolg der beiden Freundinnen, aber auch für sehr harte Arbeit. Mittlerweile hatte L&L sich unter den deutschen Event-Agenturen einen guten Namen erarbeitet. Zahlreiche renommierte Kunden schmückten die Referenzliste der Firma, und dank konstant voller Auftragsbücher zählte sie nun schon zwanzig feste Mitarbeiter. Viel größer wollten Anna und Mariella ihr Unternehmen aber auch nicht mehr wachsen lassen, denn ein wesentlicher Teil des Erfolges war das sehr familiäre und freundschaftliche Miteinander im gesamten Team. Und natürlich die persönliche Betreuung aller Kunden durch die beiden Gesellschafterinnen.

Voller Tatendrang stieg Anna nun aus ihrem Cabrio, schnappte sich die Präsentationsunterlagen, die sie für ihren Termin bei Castelli ausgearbeitet hatte, und nahm mit dem für sie so charakteristischen festen Schritt Kurs auf den Haupteingang der Agentur. Der gläserne Windfang des Gebäudes gab unmittelbar den Blick frei auf das Herzstück des Bürogebäudes: den Denkraum. So hatten Mariella und Anna das lichtdurchflutete Atrium getauft, in dem all die kreativen Köpfe von L&L gemeinsam an der Entwicklung und Produktion ihrer Veranstaltungen arbeiteten. Üppige Pflanzen in hohen Terrakotta-Töpfen verliehen dem Raum einen südländischen Charakter. Unterstrichen wurde dieses Ambiente durch einen fröhlich vor sich hin plätschernden Brunnen in der Mitte des Atriums. Gerade an sonnigen Tagen wie heute fühlte man sich tatsächlich ein Stück weit in südliche Gefilde versetzt, dachte Anna voller Stolz. Wer das Glück hat, hier zu arbeiten, braucht doch keinen Urlaub! Schwungvoll öffnete sie die Tür des Windfangs.

»Hallo Anna«, begrüßte sie ihre Assistentin Marie freudestrahlend, »wir wollten fast schon eine Vermisstenanzeige aufgeben. Hat dich das Enfant terrible Nicolas Castelli in seinem Büro gefangen gehalten?«

»Monsieur hat sich nicht einmal blicken lassen!« Um ihrem Ärger Luft zu machen, schlug Anna mit ihrer Hand kraftvoll auf den Empfangstresen. Marie zuckte merklich zusammen. »Der Herr ist einfach nach Thailand abgerauscht und war nicht gesehen.«

»Unverschämt«, bekräftigte Marie Annas Unmut, wohl wissend, dass ihre Chefin es hasste, versetzt zu werden. Geduld war wahrlich nicht Annas Stärke – schon gar nicht, wenn es darum ging, einen großen Auftrag an Land zu ziehen. »Heißt das, der Auftrag hängt noch in der Luft?«, fragte die junge Frau vorsichtig nach.

»Kein Stück sind wir weitergekommen«, beklagte Anna ungehalten, »ich bin echt sauer! So kann man doch nicht arbeiten!« Sie reichte ihrer Assistentin den Zettel, den sie von Helmut Schaller bekommen hatte: »Aber immerhin steht der nächste Termin schon. Trägst du den bitte bei mir ein?«

»Betreff: Der große Unbekannte?« Grinsend nahm Marie das Papierstück entgegen. »18.02. … ohhhh … dann ist ja dein Thailand-Urlaub gesichert!«

Verdutzt hielt Anna, die bereits auf dem Weg zu ihrem Büro war, im Gehen inne: »Wie, gehörst du auch zu dem Verschwörerteam?!«

»Ja, ich bin sozusagen eine Komplizin«, gestand Marie gespielt kleinlaut ihren Schulterschluss mit Annas Schwägerin: »Nathalie hat mich heute ganz in der Früh angerufen …«

»Alles klar«, warnend hob Anna den Zeigefinger, »und weil du auch schon lange der Meinung bist, dass ich urlaubsreif bin, hast du dich diesem Komplott voller Begeisterung angeschlossen.« Anna kam wieder auf Marie zu und tadelte sie mit einem bösen Blick: »Du bist mir aber ein gute Assistentin! Aber eins sage ich dir gleich: Bevor ich irgendeine Entscheidung treffe, muss ich mich unbedingt mit Mariella abstimmen. Ich weiß nicht, wie ihre Pläne für die nächsten Wochen sind.«

»Auch das ist schon geklärt …«, gab Marie schnell zurück.

Nun musste Anna doch lachen. »Habe ich hier eigentlich noch irgendetwas zu melden?«

»Klar doch, Chefin, ab dem 18. Februar wieder.«

»Herrgott, könnt ihr alle penetrant sein!«, damit drehte Anna ihrer Assistentin den Rücken zu. »Dann bestätige halt diese elende Reisebuchung!« Mit einer abfälligen Armbewegung nahm sie erneut Kurs auf ihr Büro.

»Bin schon dabei«, flötete die junge Frau ihr hinterher, sichtlich begeistert, dass die Reise in trockenen Tüchern war. »Möchtest du eigentlich in der Business Class fliegen?«, fragte sie dann wieder im Geschäftston.

Anna überlegte kurz. Auch wenn sie es sich mittlerweile leisten konnte, hatte sie die Zeiten nicht vergessen, in denen sie und Mariella sich den Gürtel hatten enger schnallen müssen, um ihr Unternehmen erst einmal voranzubringen. »Ich denke, auf der Hinreise reicht es mir, Economy zu fliegen. Aber vielleicht kannst du noch einen XL-Seat für mich ergattern? Den Rückflug nehme ich auf jeden Fall in der Business Class, sonst schlage ich am 18. Februar völlig gefaltet bei Castelli auf. Und das wollen wir doch vermeiden.«

»Aber hallo, immerhin hast du einen Termin mit einem der begehrtesten Junggesellen Deutschlands …«

Perplex über diese Erwiderung schaute Anna ihre Assistentin fragend an: »Was hat das denn mit unserem Auftrag zu tun?«

»Ich meine ja nur«, gab Marie augenzwinkernd zurück, »immerhin träumen Heerscharen von Frauen davon, an diesen sagenumwobenen Mann heranzukommen …«

»Weißt du was, Marie?«, erwiderte Anna sichtlich irritiert, »am besten du tust dich gleich mit Helmut Schaller zusammen und gründest einen Nicolas Castelli Fanklub.« Anna merkte zwar, wie ungewöhnlich scharf sie auf Maries Einwurf reagierte, konnte aber nicht anders. Ich bin wirklich urlaubsreif, dachte sie, plötzlich vom schlechten Gewissen geplagt. Und so ergänzte sie etwas konzilianter: »Der konnte heute Morgen nämlich auch nicht aufhören, seinen Boss in den höchsten Tönen zu loben.«

»N i c o l a s C a s t e l l i …« Marie zog den Namen genussbetont in die Länge. »Jetzt mal ehrlich Anna, wäre der Typ nichts für dich?«

Ohne weiteren Kommentar verschwand diese in ihrem Büro.

Doch Marie wäre nicht Marie, wenn sie sich von dieser Reaktion ihrer Chefin würde einschüchtern lassen. Laut genug, dass diese es durch die offene Tür hören konnte, rief sie: »Viel weiß man ja nicht über ihn, aber eine gute Partie ist er allemal. Und wenn man den wenigen, leider schon etwas älteren Bildern, die von ihm im Internet kursieren, Glauben schenken kann, dann dürfte mittlerweile ein echtes Schnuckelchen aus ihm geworden sein …«

»Erzähl das seinem Fanklub«, hörte Marie ihre Chefin erwidern, »aber lass mich damit bloß in Ruhe!« Wie konnte es sein, dachte Anna genervt, dass dieser Castelli, den sie noch gar nicht mal kannte, ihr schon jetzt so auf den Geist ging? Laut fügte sie noch an: »Mir geht’s als Single wunderbar. Und so kann und soll es auch bleiben!« Schwungvoll schloss sie die Tür zu ihrem Büro, um klar zu signalisieren, dass das Thema für sie beendet war.

Wer’s glaubt, wird selig, dachte Marie. Das Klingeln des Telefons hielt sie jedoch davon ab, ihrer Chefin, mit der sie mittlerweile ein sehr vertrauensvolles Verhältnis verband, zum wiederholten Male eine ausführliche Stellungnahme zu deren Singledasein unterzujubeln. »L&L Events, Marie Schmitz am Apparat, was kann ich für Sie tun?«, meldete sie sich freundlich.

 

Ein einziger Blick auf ihren übervollen Schreibtisch verleitete Anna indessen erneut dazu, ihren Beschluss, in Urlaub zu fahren, gleich wieder zu verwerfen. Während sie ihren Mantel an die antike Schneiderpuppe hängte, die sie als Garderobe nutzte, schaute sie in den Spiegel. Das schwarze Wickelkleid, das sie heute Morgen ganz bewusst für ihr erstes Treffen mit Castelli ausgesucht hatte, betonte vorteilhaft ihre schlanke Taille. Doch es saß zurzeit – das musste sie sich eingestehen – nicht perfekt. Da und dort warf es ein paar Falten zu viel, die dem eigentlich eleganten, aber ebenso reizvoll-femininen Kleid nicht wirklich guttaten. Anna fehlten schlichtweg zwei, drei Kilo auf den Rippen, was sich auch auf ihrem ohnehin schmalen Gesicht deutlich abzeichnete. Zwar brachte der Kurzhaarschnitt Annas schöne, gleichmäßige Gesichtszüge besonders gut zur Geltung, aber die hohen Wangenknochen stachen derzeit allzu sehr hervor und betonten die dunklen Augenränder umso mehr.

»Wenn du müde und abgespannt bist, Anna, sieht man dir das sofort an«, murmelte sie ihrem Spiegelbild zu und fuhr sich mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht.

»Und deshalb will ich dich ab übermorgen hier nicht mehr sehen!«

»Mariella!«, erschrocken drehte sich Anna zu ihrer Partnerin um, die lächelnd in der Tür stand. »Ihr habt euch wohl alle gegen mich verschworen, was?«

»Sagen wir mal so: Dich muss man einfach zu deinem Glück zwingen.«

»Schon gut, ich bin auch wirklich ziemlich ausgepowert.«

»Seit wann so einsichtig, meine Liebe?« Verwundert kam Mariella nun auf ihre Partnerin zu. »Lass uns morgen Vormittag die wichtigsten Dinge besprechen, die während deines Urlaubs anfallen könnten. Dann schmeißen wir den Laden hier auch mal ohne dich.«

»Ich füge mich eurem Willen.«

»Ich glaub’s ja nicht!!!« Mariella lachte begeistert auf. »Na dann, hau rein, dir bleibt nicht mehr viel Zeit.«

Als Mariella sich umdrehte, um wieder in ihr Büro zu gehen, rief Anna sie noch einmal zurück: »Sag mal, du bist doch so supergut vernetzt und kennst jeden, der angesagt ist. Kannst du mir ein paar Infos zu Nicolas Castelli geben? Du weißt doch, dass wir um den Auftrag kämpfen, sein Firmenjubiläum zu organisieren. Der Termin mit ihm heute ist ja leider geplatzt, aber am 18. Februar soll es nun tatsächlich so weit sein, und ich will mich umso besser auf mein Gegenüber vorbereiten.«

»Nicolas Castelli?«, grinsend näherte Mariella sich ihrer Partnerin. »Reizvoller Kandidat für ein Tête-à-Tête, oder?!«

»Was soll das?!?«, entnervt ließ sich Anna auf ihren Bürostuhl fallen. »Ich will lediglich wissen, wie der Typ als Geschäftspartner ist.«

Ohne auf Annas Reaktion einzugehen, erwiderte Mariella: »Da stellst du selbst mich vor eine Herausforderung. Ich habe ihn persönlich noch nie gesehen. Und vom Hörensagen weiß ich nur, dass es widersprüchliche Meinungen über ihn gibt. Die einen behaupten, er wäre eiskalt und schwierig – ein echter Kotzbrocken –, die anderen bezeichnen ihn wiederum als sehr freundlich, menschlich und fair. Die Firma hat er, seit er der Chef ist, sehr erfolgreich geführt, sie zählt heute zu den Touristikunternehmen mit höchster Rendite. Aber das weißt du ja bereits. Von seinem Privatleben weiß man schlichtweg nichts, außer, dass er über ein großes privates Vermögen verfügt. Soweit ich weiß, ist er überzeugter Single. Doch selbst diese Information beruht eher auf Gerüchten als auf Fakten. Wahrscheinlich sind die ganzen Blondinen, die man ihm immer wieder andichtet, reine Erfindungen der Presse – aus der Not heraus, weil sonst wenig über ihn in Erfahrung zu bringen ist. Er scheint sein Privatleben sehr erfolgreich abzuschirmen. Vielleicht ist er auch schwul … keine Ahnung! Ach, und es gibt von ihm auch keine aktuellen Bilder. Der Mann läuft tatsächlich nahezu inkognito durch die Gegend.«

»Danke für dein Executive Summary.« Anna liebte die unvergleichbare Begabung ihrer Partnerin, Wesentliches auf den Punkt zu bringen. »Hm, das macht diesen Castelli ja wirklich ein Stück weit interessant …«, sinnierte sie laut vor sich hin. »Und herausfordernde Persönlichkeiten sind ja meine wahre Spezialität – rein geschäftlich, natürlich!«

»Sag ich dir doch! Aber du wirst ihn ja nun bald persönlich in Augenschein nehmen können. Und dann kannst du uns alle aufklären.«

Mit rollenden Augen entließ Anna ihre Partnerin. Das kann ja noch heiter werden, dachte sie für sich, verwarf aber schnell weitere Gedanken an diesen ach so rätselhaften Mann. Stattdessen widmete sie sich den Aufräumarbeiten, die sie vor Urlaubsantritt noch unbedingt erledigen musste.

* * * *

Als Anna das nächste Mal auf die Uhr blickte, stellte sie erstaunt fest, dass es schon nach zwanzig Uhr war. Die rege Betriebsamkeit im Atrium war der Ruhe des Feierabends gewichen. Lediglich der Brunnen plätscherte weiterhin munter vor sich hin. Anna stand von ihrem Schreibtisch auf und rieb sich den schmerzenden Nacken. Du hast heute Morgen schon wieder vergessen, deine Dehnübungen zu machen, ermahnte sie sich im Stillen. Ihr müder Körper unterstrich die Notwendigkeit des Urlaubs umso mehr. Eigentlich war sie mittlerweile froh über den komplizenhaften Überfall, der sie schon am übernächsten Tag nach Thailand führen würde.

Ich muss es morgen unbedingt noch vor Ladenschluss in die Buchhandlung schaffen, überlegte sie nun. Wenn ich zehn Tage unterwegs bin, brauche ich mindestens acht meiner geliebten Frauenromane. Bei dem Gedanken musste Anna lächeln und konnte sich wunderbar vorstellen, wie Nathalie und Mariella im Duett die Nasen über ihre literarischen Vorlieben rümpften. Doch Anna stand dazu. Ein Urlaub war kein echter Urlaub, wenn sie nicht stundenlang diese seichten Geschichten verschlingen konnte, in denen die Hauptdarsteller schön, die Geschichten trivial und ein Happy End garantiert waren.

Wie kann jemand, der ansonsten so anspruchsvoll und so intelligent ist, auf solch simpelste Lektüre stehen, pflegte Mariella immer wieder beim Anblick von Annas mittlerweile stattlicher Romanbibliothek die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Frauenzeitschriften waren ja auch nicht besser. Das war stets Annas Antwort darauf. Sie liebte diese Diskussionen mit ihrer Freundin – fast schon, als wären sie ein altes Ehepaar. Sie brauchte wirklich keinen Partner, sie hatte doch Mariella. Und für das bisschen Sex reichte auch der eine oder andere One-Night-Stand. Das Thema wurde ohnehin völlig überbewertet …

Bei diesen Überlegungen schummelte sich auf einmal wieder der Name Nicolas Castelli in Annas Gedanken. Wie komme ich denn jetzt schon wieder auf diesen Typen, fragte sie sich irritiert. Jetzt haben mir die Mädels einen Floh ins Ohr gesetzt! Kopfschüttelnd stapelte sie die noch verbliebenen Unterlagen auf ihrem Schreibtisch. Zufrieden mit ihrer intensiven Aufräumaktion, die ihr den bevorstehenden Urlaub gleich ein gutes Stück schmackhafter machte, griff sie nach ihrer Handtasche und dem Autoschlüssel. Zeit, nach Hause zu fahren.

An der Tür zu ihrem Büro schaltete Anna das Licht aus und hielt noch einmal inne. Ich könnte mich später noch ein bisschen über mein Urlaubsziel informieren, dachte sie. Voller Vorfreude griff sie nach ihrem Laptop. Mit der Handtasche in der Hand und dem Rechner unterm Arm löschte sie die letzten Lichter im Atrium und verließ das Gebäude. Erstaunt stellte sie fest, dass es schon wieder angefangen hatte zu schneien. Glücklicherweise hatte Anna heute Mittag ihr Cabrio unter einem der Carports abgestellt, sodass sie jetzt nicht in der Kälte das Auto freischaufeln musste. Als sie sich erschöpft auf den rotbraunen Ledersitz fallen ließ und den Motor startete, schaltete sie automatisch die Sitzheizung ein. »Thailand, ich komme«, flötete sie laut vor sich hin. Sie würde vor dieser Kälte flüchten – schon übermorgen.

* * * *

Zwei Stunden später stand Anna, mittlerweile in ihrer Lieblingsschlabberhose und einem weiten T-Shirt, vor ihrer dunkelblauen Couch und betrachtete stolz ihr Werk der letzten Stunde. Vor ihr klaffte ihr größter Reisekoffer, fast bis auf den Rand gefüllt mit allen möglichen Sommerklamotten. Ganz untypisch für sie, weil sie meistens in letzter Minute ihre Sachen packte, hatte sie heute regelrecht die Lust überkommen, sich damit auf den Urlaub einzustimmen. Und so hatte sie sogar der Versuchung widerstanden, in die Sauna zu gehen, um ihrem müden Körper eine Entspannungseinheit zu gönnen.

»So«, murmelte sie, »jetzt fehlen mir nur noch ein paar Bücher und mein Kulturbeutel. Thailand: Ich komme!« Mit steigender Vorfreude griff sie nach ihrem Laptop und schaltete ihn ein. Und während das System hochfuhr, ging sie in die Küche und schenkte sich ein Glas Rotwein ein.

Gemütlich ausgestreckt auf der Couch, den Laptop auf den Knien, horchte sie wenig später mit einem Ohr den Nachrichten zu, während sie auf Google die Stichworte Andaman Sea ThaiSpa Resort eintippte. Da sie die Funktion Bildersuche eingegeben hatte, taten sich innerhalb von Sekunden wunderbare Fotos der Hotelanlage auf, die sie besuchen würde.

Während sie sich von den Bildern noch mehr in Urlaubsstimmung bringen ließ, hörte Anna im Hintergrund die Nachrichtensprecherin sagen: »Heute gab das traditionsreiche Familienunternehmen Castelli offiziell bekannt, worüber schon länger in Insiderkreisen spekuliert worden war. Mit der Übernahme der Mehrheitsanteile an der internationalen ThaiSpa-Resort-Kette und den fünf damit hinzukommenden Tophäusern rundet die deutsche Hoteliersfamilie ihre Präsenz in Asien ab. Nicolas Castelli, der persönlich zur Vertragsunterzeichnung nach Bangkok gereist war, zeigte sich zuversichtlich und selbstbewusst. Gegenüber unserem Korrespondenten in Bangkok kommentierte er, er sei froh, die mehrere Monate andauernde Übernahmeschlacht nun für sein Unternehmen gewonnen zu haben.

… von einer Schlacht konnte man im wahrsten Sinne des Wortes sprechen«, kommentierte die Fernsehreporterin abschließend, während ein offensichtlich schon älteres Foto von Nicolas Castelli über den Bildschirm flimmerte. »Analysten hatten immer wieder die Frage gestellt, ob sich die Castelli-Gruppe im Kampf um die ThaiSpa-Resorts nicht übernehmen würde, woraufhin der Börsenkurs zeitweilig unter deutlichem Druck stand. Der als eiserner und zielstrebiger Manager geltende Castelli scheint jedoch die Oberhand behalten zu haben.«

Das ist ja wirklich ein Zufall, schmunzelte Anna. Nun fahre ich morgen doch tatsächlich in genau eines dieser Resorts. Wer weiß, vielleicht treffe ich ja Mister Castelli noch vor dem 18. Februar. Auf jeden Fall sei ihm verziehen, dass er sich heute nicht hat blicken lassen. Respekt für diesen Coup!

Während die TV-Moderatorin die weiteren Nachrichten des Tages verlas, konzentrierte sich Anna wieder auf die Bilder und Informationen zu ihrem Urlaubsziel. Auf der Homepage des Hotels durchsuchte sie die Massageangebote und beschloss, für die ersten Tage bereits einige Termine zu reservieren. Herrlich, dachte sie, diese Thai-Massagen werden meinem verspannten Rücken mehr als guttun. Ungewollt drängte sich ihr dabei ein weiterer Gedanke auf: Ob sich dieser Castelli nach der langen Übernahmeschlacht wohl auch ein paar Entspannungseinheiten in seinem neuesten Juwel gönnt …?

Leicht verwirrt von diesen unentwegt wiederkehrenden Geistesblitzen rund um den aufstrebenden Firmentycoon fuhr Anna ihren Rechner herunter. Auf dem Weg ins Bad warf sie noch einen letzten Blick auf ihren Koffer. Habe ich auch ausreichend schicke und verführerische Sachen für abends eingepackt? Mit einer forschen Handbewegung tat sie diesen lästigen Gedanken ab und verschwand im Badezimmer.

 

Als Anna wenig später in ihrem Bett lag, das Licht schon ausgeschaltet, beschlichen sie – nach langer Zeit erstmals wieder – jene Gedanken, vor denen sie sich regelrecht fürchtete und die ihr sonst so fröhliches Gemüt durchaus aus dem Gleichgewicht bringen konnten. Es passierte ihr nicht mehr so oft, aber wenn, dann stets zu später Stunde, wenn sie alleine war. Und es war immer wieder dieselbe Frage, die sie quälte und auf die sie keine Antwort fand: Warum war es ihr nicht gelungen, trotz all der tollen Attribute, die man ihr nachsagte, einen Partner fürs Leben zu finden? War sie vielleicht zu anspruchsvoll oder gar schwer im Umgang? War sie mit ihren fünfunddreißig Jahren möglicherweise wirklich schon zu alt? Oder war es einfach nur so, dass sie sich eine Beziehung, in der sie sich in irgendeiner Weise unterordnen musste, nicht vorstellen konnte und sie auch gar nicht wollte?

Noch lange lag sie wach und ärgerte sich, dass sie in diese elende innere Auseinandersetzung verfallen war – gerade heute, wo doch langsam echte Vorfreude auf ihren Urlaub aufkam. War möglicherweise dieser große Unbekannte, dieser Nicolas Castelli, der Auslöser gewesen? Warum hatten heute alle um sie herum ständig die gleichen Andeutungen gemacht? Wie dem auch sei, versuchte sie die trübsinnigen Gedanken und die Eingebungen rund um diesen sagenumwobenen Typen wegzuwischen. Mir geht es gut, sagte sie sich müde, und eigentlich kann ich froh und glücklich sein, dass ich nicht auf einen Mann und dessen Rückhalt angewiesen bin. Und dieser Castelli ist mit Sicherheit kein Traumprinz – schon gar nicht für eine Frau wie mich!

Kapitel 4

Ciao, meine Liebe, ich wünsche dir einen wundervollen und vor allem erholsamen Urlaub!« Stürmisch umarmte Mariella ihre Freundin. »Und am besten auch noch etwas Prickelndes dazu …!«

Einen Teufel werde ich tun, mich auf etwas Prickelndes einzulassen, dachte Anna für sich – schon allein meinen Nerven zuliebe. Laut gestand sie immerhin: »Ich bin jetzt wirklich froh, dass ich eurer Überzeugungskunst keinen weiteren Widerstand geleistet habe. Meine Kreativität und meine Nerven haben in letzter Zeit echt nachgelassen.«

»Und mach dir keine Gedanken, wir schmeißen den Laden schon. Schau bloß zu, dass du dein iPhone auch wirklich ausschaltest! Hast du die Umleitung deiner Mails auf mein Postfach eingerichtet?«

Gehorsam nickend bestätigte Anna Mariellas Bemerkungen. »Aber wenn etwas Dringendes ist, rufst du mich an, versprochen?« Drohend erhob Anna ihren Zeigefinger.

»Du weißt, du kannst dich auf mich verlassen.« Während sie das sagte, griff Mariella in ihre Handtasche und fischte ein Taschenbuch heraus. »Ich habe übrigens noch ein ganz besonderes Buch für meine liebste Leseratte. Als ich das gesehen habe, musste ich sofort an dich denken.« Sie reichte es Anna: »Hier, zur ersten Einstimmung auf deinen Urlaub und auf was auch immer in Thailand auf dich noch zukommen mag …«

Anna nahm erfreut das Geschenk ihrer Freundin entgegen und schaute auf das Cover: Küss mich, Fremder!, prangte in großen, farbigen Lettern auf der Titelseite, im Hintergrund das Bild eines einsamen Sandstrands und einer schräg in den Horizont ragenden Palme.

»Mariella, du bist ein Engel, das ist genau die richtige Lektüre für mich, danke!«, rief sie begeistert aus. Auf die offensichtliche Anspielung, die ihre Freundin mit diesem Buch verband, ging sie erst gar nicht ein.

Aber Mariella ließ sich nicht davon abhalten, noch einen draufzusetzen: »Du weißt sehr genau, wie das gemeint ist, nicht wahr?!« Sie grinste von einem Ohr zum anderen. »Enttäusch mich nicht! Immerhin hat es mich größte Überwindung gekostet, mit diesem Taschenbuch an die Kasse zu gehen. Echt peinlich!«

»Ich weiß es zu schätzen, dass du deinen Intellekt und guten Ruf so für mich aufs Spiel setzt.« Anna schob das Taschenbuch in ihre Reisetasche. »Ich verspreche dir, es zu verschlingen. Ob ich sonst noch etwas aus deiner Anregung mache … schau’n wir mal!« Sie umarmte ihre Freundin noch ein letztes Mal und stellte sich in die Schlange zur Sicherheitskontrolle.

Als Anna diese wenig später hinter sich gelassen hatte, winkte sie Mariella nochmals zu. Mit einem breiten Grinsen deutete diese mit ihren Händen ein Herz an und hielt den rechten Daumen hoch. Lachend winkte Anna ab und machte sich auf den Weg zum Gate. Sie freute sich regelrecht auf den langen Flug und würde sicher die meiste Zeit davon schlafend verbringen. Immerhin waren die letzten Tage besonders lang und anstrengend gewesen. Und wenn es ihr nicht gelang, zu schlafen, würde sie eben das Buch verschlingen. Küss mich, Fremder! … Klar doch, auf solche Fantasien würde sie sich einlassen, aber mehr auch nicht.

* * * *

»Entschuldigen Sie«, ein sanftes Rütteln an ihrer Schulter weckte Anna aus ihrem tiefen Schlaf, »möchten Sie noch Ihr Frühstück einnehmen? Wir landen in gut einer Stunde.«

Anna blickte in das freundliche Gesicht der Stewardess. »Bitte etwas schwarzen Kaffee und einen Orangensaft dazu«, erwiderte sie noch ganz benommen. Sie hatte tatsächlich nahezu die ganze Flugzeit über geschlafen.

Während die junge Asiatin die Getränke einschenkte, machte sich bei Anna schon langsam etwas Entspannung bemerkbar. Als sie die Abdunklung der Fensterluke hochschob und den farbenprächtigen Sonnenaufgang zu sehen bekam, empfand sie echte Vorfreude. Weit weg lag der kalte Münchner Winter, und Anna meinte schon, die wärmenden Sonnenstrahlen auf ihrer Haut zu spüren. Kaum zu glauben, dass sie sich anfänglich sosehr dagegen gewehrt hatte, diese Auszeit zu nehmen.

Als sich das Flugzeug bereits im Landeanflug befand, kramte Anna ihre Reiseunterlagen aus der Tasche und las nach, an wen sie sich nach der Passkontrolle wenden sollte, um zu dem Flug-Shuttle zu gelangen, der sie zu ihrem Ziel bringen würde. Nachdem der Pilot soeben bestätigt hatte, dass das Flugzeug überpünktlich landen würde, hatte sie noch ausreichend Zeit, sich im Terminal etwas frisch zu machen und die Zähne zu putzen. Das ist mir allemal lieber, dachte sie zufrieden, als diese engen Nasszellen in den Flugzeugen. Gespannt beobachtete sie durch das kleine Fenster, wie das Flugzeug zur Landung ansetzte und sich schließlich gemächlich dem Terminal des Flughafens Bangkok näherte. Anna war in bester Stimmung.

 

Eine gute Stunde später hatte sie alle Formalitäten hinter sich gebracht und auch ihren Koffer vom Band geholt. Den Gepäck-Trolley vor sich herschiebend, verließ sie den Sicherheitsbereich und hielt – wie in den Reiseunterlagen angewiesen – nach dem Schild Andaman Sea ThaiSpa Resort Ausschau. Da stand auch schon eine freundlich lächelnde, in ein typisches Thai-Kleid gehüllte junge Frau. Sie hielt ein Schild mit Annas Namen in die Höhe. Erfreut über den reibungslosen Ablauf nahm Anna Kurs auf die hübsche Thailänderin. Bei ihr angekommen, rief sie gut gelaunt: »Guten Morgen, ich bin Anna Lind. Vielen Dank, dass Sie mich abholen.«

»Herzlich willkommen, Miss Lind. Ich hoffe, Sie hatten einen angenehmen Flug?« Mit einer sanften Geste übernahm die Hostess Annas Trolley.

»Ja, der Flug war prima, vielen Dank.«

Nun wies die Hostess mit der Hand den Weg: »Folgen Sie mir bitte.«

Verwundert drehte sich Anna um und hielt nach weiteren Gästen Ausschau: »Bin ich die Einzige, die Sie abholen?«

»Heute reisen nur zwei Gäste an. Die zweite Person wartet bereits im Flugzeug auf den Weiterflug«, gab die Hostess freundlich zurück. »Sobald wir also die Sicherheitskontrolle vom General Aviation Terminal passiert haben, können Sie gleich starten und werden planmäßig im Hotel ankommen.«

Wenig später erreichten die beiden besagte Sicherheitskontrolle. Als Anna ihren Pass aus der Reisetasche herausfischte, fiel ihr Blick auf das Taschenbuch, und sie musste innerlich schmunzeln: Sobald wir gestartet sind, werde ich anfangen zu lesen, nahm sie sich vor.

Schnell waren die Formalitäten erledigt und die beiden Damen mit einem Elektrowagen zu einem Privatflieger unterwegs, auf dessen Seite in großen türkisen Buchstaben die Aufschrift prangte: Welcome to the ThaiSpa Resorts. Kurz darauf erreichten sie auch schon den Jet. Die junge Frau begleitete Anna noch zu der Treppe, die in das Flugzeug hinaufführte. Mit einem dezenten Lächeln und der landestypischen Verbeugung verabschiedete sie sich von ihr: »Miss Lind, ich wünsche Ihnen einen erholsamen und entspannenden Urlaub. In zirka eineinhalb Stunden werden Sie unser Resort erreichen. Dort können Sie direkt Ihr Zimmer beziehen. Einen guten Flug wünsche ich Ihnen!«

Anna faltete ihre Hände und verbeugte sich ebenfalls vor der Hostess. »Sie können sich gar nicht vorstellen«, seufzte sie, »wie sehr ich mich freue, endlich anzukommen!« Diskret überreichte sie der Hostess ein Trinkgeld. »Vielen Dank für Ihren Service.« Daraufhin wandte sich Anna von ihr ab und stieg voller Elan die Stufen empor.

Im Flugzeug wurde sie von einer ebenfalls typisch thailändisch gekleideten Stewardess mit einem nicht minder freundlichen Lächeln begrüßt. Anna musste schmunzeln, als sie sich dabei an die oft griesgrämigen Gesichter ihrer Landsleute erinnerte. Umso mehr stieg ihre Vorfreude auf die bevorstehende Auszeit. Ich werde zwei Wochen lang nur von freundlich lächelnden Menschen umgeben sein. Ist das nicht toll, schwärmte sie vor sich hin.

Als ihre Augen sich an das gedämpfte Licht in der Kabine gewöhnt hatten, bewunderte sie die luxuriöse Einrichtung des Jets. Nur acht einladende, in Nappaleder bezogene Sessel waren in der Kabine untergebracht. Der zweite angekündigte Fluggast hatte bereits auf einem der hinteren Sitze Platz genommen und sich hinter einer Zeitung verschanzt. Es war, nach den langen, mit einer dunkelgrauen Hose bekleideten Beinen zu schließen, ein Mann. Er war in die Lektüre der New York Times vertieft und schien Annas Ankunft gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Doch schon aus Höflichkeit begrüßte sie den Mann auf Englisch: »Good Morning.«

Keine Rückmeldung aus dem Fond, nur ein leises Rascheln der Zeitungsseiten. Es leben die guten Manieren, ging es Anna durch den Kopf, doch ärgern ließ sie sich davon nicht. Die zunehmende Urlaubsentspannung machte sich schon jetzt in ihr breit. Wer’s nicht nötig hat …, dachte sie. Bestimmt so ein wichtigtuerischer Manager, der bloß nicht gestört werden will. Und so wählte Anna bewusst einen der vorderen Sessel als Sitzplatz aus.

Bevor sie es sich gemütlich machte, holte sie das Taschenbuch, das ihr Mariella geschenkt hatte, aus ihrer Reisetasche. Dann verstaute sie diese oberhalb ihres Sitzes im Handgepäckfach und nahm in dem einladenden Ledersessel Platz. Kaum hatte sie sich angeschnallt, hörte sie auch schon, wie der Pilot die Maschinen startete. Die Tür des Flugzeuges wurde verschlossen und dämpfte deutlich den Lärm der Triebwerke. Anna liebte diesen Moment, die Geräuschkulisse, gepaart mit dem Geruch nach Kerosin, beides spürbare Vorboten des Starts. Des Starts in meinen hart verdienten Urlaub … Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sitz zurück und warf einen Blick auf das Rollfeld. Die mittlerweile schon hoch am Himmel stehende Sonne versprach einen wunderbaren Tag.

Als das Flugzeug sich schon auf dem Weg zur Startbahn befand, betrat die Stewardess nochmals die Fahrgastkabine und bot erst Anna und dann dem weiteren Fluggast Getränke an. Während Anna sich, zur Einstimmung auf ihren ersten Urlaubstag, für ein Glas Champagner entschied, hörte sie den Mann auf dem hinteren Sessel mit einer dunklen, sonoren und – wie sie überrascht feststellen musste – sehr freundlichen Stimme sagen: »Danke Mai Li, für mich nur ein Wasser, ich habe noch einen langen Tag vor mir.«

»Gerne, Sir«, erwiderte die Stewardess ausnehmend freundlich, fast mit einer singenden Stimme, »kann ich Ihnen auch etwas zum Knabbern anbieten?«

Neugierig wegen der besonders zuvorkommenden Art der Stewardess drehte sich Anna verstohlen um. Dabei dachte sie: Was ist denn das wohl für einer? Sie versuchte, einen Blick auf den Mann zu erhaschen, der seine anregende Stimme so wirksam zum Einsatz brachte. Doch dieser war bereits wieder in die Lektüre seiner Zeitung vertieft, sodass sie nur seine langen, gebräunten und sehr gepflegten Finger zu sehen bekam.