Feindliche Übernahme - Arantxa Conrat - E-Book

Feindliche Übernahme E-Book

Arantxa Conrat

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Beschreibung

Kann man zwischen Intrigen und Machtspielchen die große Liebe finden? Antonia Winter ist seit dem plötzlichen Ende ihrer Karriere von der Idee beseelt, ihr eigenes Mode-Label auf den Markt zu bringen. Das fertige Konzept in der Tasche, hofft sie, Stefan Jacobsen, den neuen CEO des Modekonzerns Zinatex, für die Idee gewinnen zu können. Doch dieser Mann, der Antonia vor Jahren das Herz gebrochen hat, durchkreuzt gleich mehrfach ihre Pläne. Ein Rachefeldzug! Davon ist sie überzeugt. In dem erbitterten Machtspiel zwischen den beiden sieht Peter Kappmann, Anwalt bei Zinatex, endlich die Chance, Jacobsen zu Fall zu bringen und das ehemalige Top-Model zu erobern. Wer wird am Ende als Sieger der feindlichen Übernahmeversuche hervorgehen und – geschäftlich, aber auch privat - sein Glück finden? Von Arantxa Conrat sind außerdem bei feelings erschienen: »10 Gebote in Pink« und »Eingecheckt ins Liebesglück«. »Feindliche Übernahme« ist ein eBook von feelings – emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende eBooks findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte - wir freuen uns auf Dich!

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Seitenzahl: 392

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Arantxa Conrat

Feindliche Übernahme

Roman

Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.

Über dieses Buch

Kann man zwischen Intrigen und Machtspielchen die große Liebe finden?

 

Antonia Winter ist seit dem plötzlichen Ende ihrer Karriere von der Idee beseelt, ihr eigenes Mode-Label auf den Markt zu bringen. Das fertige Konzept in der Tasche, hofft sie, Stefan Jacobsen, den neuen CEO des Modekonzerns Zinatex, für die Idee gewinnen zu können. Doch dieser Mann, der Antonia vor Jahren das Herz gebrochen hat, durchkreuzt gleich mehrfach ihre Pläne. Ein Rachefeldzug! Davon ist sie überzeugt. In dem erbitterten Machtspiel zwischen den beiden sieht Peter Kappmann, Anwalt bei Zinatex, endlich die Chance, Jacobsen zu Fall zu bringen und das ehemalige Topmodel zu erobern. Wer wird am Ende als Sieger der feindlichen Übernahmeversuche hervorgehen und – geschäftlich, aber auch privat – sein Glück finden?

 

Von Arantxa Conrat sind außerdem bei feelings erschienen: »10 Gebote in Pink« und »Eingecheckt ins Liebesglück«.

 

»Feindliche Übernahme« ist ein E-Book von feelings –emotional eBooks*. Mehr von uns ausgewählte romantische, prickelnde, herzbeglückende E-Books findest Du auf unserer Facebook-Seite: www.facebook.de/feelings.ebooks. Genieße jede Woche eine neue Liebesgeschichte – wir freuen uns auf Dich!

Inhaltsübersicht

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Epilog

Kapitel 1

Mit großen Schritten lief Antonia auf das Büro des Zinatex-Chefs zu. Ihr geschmeidiger Gang und der elegante, unnachahmlich erotische Hüftschwung, ihr Markenzeichen, als sie noch auf den Laufstegen dieser Welt zu Hause gewesen war, verrieten nicht ihren wahren Gemütszustand. Sie war aufgebracht, schäumte innerlich vor Wut. Und genau deshalb hatte sie den Entschluss gefasst, dem wochenlangen Warten auf Antwort nun endlich ein Ende zu setzen – komme, was wolle. Nervös und geladen, aber zugleich voller Mut und Tatendrang war sie nun auf dem Weg zu Stefan Jacobsen, um ihn zur Rede zu stellen. Fast ein halbes Jahr, seit er den Posten als CEO des mächtigen Modekonzerns angetreten hatte, war sie ihm erfolgreich aus dem Weg gegangen. Aus gutem Grund. Aber jetzt, jetzt ging es um Wichtigeres, und das gab ihr die Kraft, all die Bitterkeit ihrer gemeinsamen Vergangenheit zu verdrängen. Die Zeit war gekommen, ihm gegenüberzutreten.

Kurz vor der schweren zweiflügligen Tür, deren eine Seite nur angelehnt war, hielt Antonia inne. In Gedanken ging sie das Konzept noch mal durch, mit dem sie ihn konfrontieren würde. Ungeduldig schob sie sich das lange, gewellte Haar hinter die Ohren. Bis auf diese eine widerspenstige Locke, die ihr immer wieder in die Stirn fiel, saß ihre Frisur auch heute perfekt. Ein letztes Mal sah Antonia an sich hinunter und begutachtete den Sitz ihres strengen, aber sehr körperbetonten Hosenanzugs. Sie war zufrieden mit ihrem Outfit. Es signalisierte Seriosität und Professionalität, unterstrich aber auch ihre Weiblichkeit, die sie sehr wohl einzusetzen wusste. Entschlossen hob sie die Hand, um anzuklopfen. Doch plötzlich hörte sie Stimmen und hielt in der Bewegung inne.

Trotz der vorgerückten Zeit, es war schon nach zwanzig Uhr und kein einziger Mitarbeiter mehr weit und breit zu sehen, schien Jacobsen nicht alleine zu sein. Enttäuschung gesellte sich zu Antonias Aufregung. Tagelang hatte sie sich auf diesen Moment vorbereitet und den richtigen Zeitpunkt abgepasst. Sollte sie nun einen Rückzieher machen?, fragte sie sich in einem kurzen Moment der Verunsicherung. Nein. Sie gab sich einen Ruck. Wer auch immer sich bei Stefan Jacobsen befindet, du bist hier, um es durchzuziehen! Vielleicht war es auch besser so, vor Publikum würde er sie schon nicht rausschmeißen.

Antonia straffte ihren Körper, so wie sie es schon immer getan hatte, bevor sie ins Scheinwerferlicht eines Catwalk getreten war. Jetzt oder nie!

Als sie erneut zum Klopfen ansetzte, hörte sie seine dunkle, sonore Stimme. Schon damals hatte er damit jede Nervenbahn in ihrem Körper zum Schwingen gebracht. Sie erschauerte in dem Bewusstsein, dass diese Wirkung auf sie nicht nachgelassen hatte.

»Das ist mein letztes Wort, Frau Steinmann«, hörte sie ihn gerade sagen, »mich interessieren keine träumerischen Geschäftsideen von einem Exmodel, das seine Arbeitszeit auf unsere Kosten verplempert! Diese Firma hat zu lange irrwitzigen Visionen Raum gegeben und war kurz vor dem Bankrott. Solcher Unfug hat mit mir ein Ende!« Ein dumpfer Schlag unterstrich die Endgültigkeit seiner Aussage. »Und genau deshalb bleibt Antonia Winter auch auf der Liste der Entlassungen, basta!«

Entsetzt, dass sie gerade ungewollt Zeugin ihres bevorstehenden Rauswurfs wurde, aber noch viel mehr darüber, dass ihre Idee von dem neuen CEO, dem der Ruf eines eiskalten Sanierers vorauseilte, so abfällig in den Wind geschlagen wurde, wuchs in Antonia umso mehr der Kampfeswille. Was bildete sich dieser arrogante Typ eigentlich ein! Typisch Stefan Jacobsen, gnadenlos, wenn es darum ging, sich von Menschen zu trennen, die seiner Karriere im Wege standen. Es war nicht das erste Mal, dass Antonia das erlebte. Doch diesmal würde sie nicht klein beigeben!

Todesmutig, wie ein verletztes Tier, stieß sie, ohne anzuklopfen, mit all ihrer Kraft die Tür auf und betrat den Raum. »Ihre Arroganz kennt keine Grenzen, Herr Jacobsen!«, rief sie wutentbrannt. Wie eine Furie nahm sie Kurs auf den Mann, der mit dem Rücken zu ihr an dem großen Besprechungstisch saß. Bewusst wich sie dabei dem warnenden Blick von Jutta Steinmann, der Personalchefin von Zinatex, aus, die Antonia mit einer Mischung aus Überraschung und Entsetzen anstarrte. Mit zu Schlitzen verengten Augen versuchte diese, Antonia im Stillen zu warnen. Doch es war zu spät, nichts würde sie jetzt mehr aufhalten. Mein Schicksal ist ohnehin besiegelt, sagte sie sich beherzt. Ich habe ganz offensichtlich ja nichts mehr zu verlieren!

Direkt hinter Jacobsen blieb Antonia stehen. Überrascht stellte sie fest, dass auf dem Tisch die orangenfarbene Mappe mit ihrem Konzept lag. Über Jahre hinweg, in unzähligen Nachtschichten, hatte sie ihre Geschäftsidee entwickelt. Es war mehr als nur eine Chance, gutes Geld zu verdienen. Ihr Herzblut lag darin und vor allem ihre persönliche Perspektive, beruflich wieder durchzustarten. Der Anblick der Mappe beflügelte Antonia jetzt umso mehr in ihrem Vorhaben. Ohne abzuwarten, bis Stefan Jacobsen sich ihr zuwandte, stemmte sie ihre Hände in ihre wohlgeformten Hüften und schrie ihn an: »Sparen Sie ruhig dieses Unternehmen zu Tode und schmeißen Sie uns alle auf die Straße!« Wie eine Raubkatze beugte sie sich vor und griff mit ihren schlanken Fingern über seine Schulter. »Und wenn Sie in ein paar Jahren die Nase voll haben vom Sanieren, Herr Jacobsen«, spie sie seinen Namen regelrecht aus und riss die Mappe an sich, »dann können Sie sich für viel Geld an meinem Projekt beteiligen!« Mit diesen Worten richtete sie sich wieder auf, nur noch beseelt von dem Wunsch, den Raum zu verlassen. Unbewusst streifte sie dabei einen Krückstock, der an der Stuhllehne des Zinatex-Chefs gehangen hatte. Mit einem lauten Poltern fiel dieser auf den dunklen Parkettboden.

»Herrgott, Antonia!« Entsetzt sprang Jutta Steinmann von ihrem Stuhl hoch und hob den Stock auf. »Es tut mir leid, Herr Jacobsen«, schob sie eine Entschuldigung hinterher, so als wäre sie an dem Schlamassel schuld. Ungelenk reichte sie dem finster dreinblickenden Mann seine Gehhilfe. Dann wandte sie sich mit einem vorwurfsvollen Blick Antonia zu: »Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst!« Ihre schneidende Stimme duldete keine Widerrede. Um den Befehl zu unterstreichen, wies sie mit der Hand zur Tür. »Morgen früh erwarte ich dich in meinem Büro – acht Uhr dreißig!«

Äußerst aufgewühlt, weil sie Jutta Steinmann, die für sie viel mehr war als nur eine Kollegin, in eine solche Situation gebracht hatte, schaute sie betreten zu Boden und machte Anstalten, den Raum zu verlassen.

»Halt!« Langsam schob Jacobsen seinen Bürostuhl nach hinten. Mit der Kraft seiner Arme stemmte er sich hoch, das weiße, perfekt geschnittene Hemd spannte sich dabei über seine breiten Schultern. Angestrengt zog er sein rechtes Bein nach. Es wirkte so, als würde er einen Fremdkörper widerwillig mit sich herumschleppen. Als er sich schließlich aufgerichtet hatte, griff er nach dem Krückstock, um sich dann im Zeitlupentempo zu Antonia umzudrehen.

Ein Hauch von Mitleid vermengte sich mit ihrer Wut. Hin und her gerissen von wechselnden Gefühlen, starrte sie auf Jacobsens Bein. Nein, rang sie im Stillen mit sich, du darfst jetzt nicht schwach werden. Nicht ihm gegenüber! Was auch immer ihm passiert ist: kein Mitleid! Vergiss nicht, wie sehr er dich schon einmal verletzt hat und was er jetzt mit dir vorhat! Sekunden vergingen, bis sie ihren inneren Kampf unter Kontrolle brachte. Schließlich richtete sie zögerlich, den feinen Streifen seines dunklen Maßanzuges folgend, ihren Blick nach oben. Obwohl Antonia selbst nahezu eins achtzig groß war, überragte Stefan Jacobsen sie um eine gute Kopflänge. Seine athletische Figur strafte seine Behinderung Lügen. Antonia hatte ganz vergessen, stellte sie nun verbittert fest, wie stattlich er war. Wahrscheinlich hat er sich verletzt – die Folge eines Sportunfalls, versuchte sie ihre Anteilnahme zu verdrängen. Als ihr Blick schließlich sein Gesicht erfasste, zogen seine geheimnisvollen Augen sie in ihren Bann. Sie drohte in diesem dunklen Blau, das tiefer war als die düsterste Nacht, zu versinken. Wie damals schon …

Stefan Jacobsen … unabwendbar mit ihrer Vergangenheit konfrontiert, entwich Antonia ein lautes Stöhnen. Von einer Sekunde auf die andere verlor sie jegliche Körperspannung. Nach Halt suchend, griff sie nach der Armlehne seines Bürostuhls. »Du bist es tatsächlich!«, stieß sie mit letzter Kraft aus, so als hätte sie bis jetzt gehofft, einen anderen Mann Namens Stefan Jacobsen vorzufinden. Doch es war Tatsache: Der einzige Mann auf der Welt, den sie nie wieder hatte sehen wollen, stand vor ihr und blickte sie herausfordernd an. Sein dichtes Haar, das so schwarz war, dass es fast schon den bläulichen Ton seiner Augen annahm, und die dichten, markanten Augenbrauen, die er sichtlich verärgert zusammengezogen hatte, verliehen ihm einschüchternde Züge. Macht, eiskalter Wille und Abneigung waren ihm ins Gesicht geschrieben. Aber auch etwas anderes, was sie nicht zu deuten vermochte.

»Toni D’Inverno …«, grollend sprach er den Namen aus, mit dem sie früher als Model aufgetreten war. »Es wurde Zeit, dass wir uns begegnen!« Seine schneidende Bemerkung verriet eine verachtende Vorfreude.

Als er einen Schritt auf sie zuging, das steife Bein nach sich ziehend, hob Antonia die Arme, um sich zur Wehr zu setzen.

»Bleib mir fern!«, rief sie hasserfüllt und schob den Stuhl zwischen sie beide. Sein abschätzender Blick mobilisierte bei ihr neue Kräfte: »Du willst mich also loswerden?!« Trotzig straffte sie ihre Schultern. »Keine Sorge, ich verschwinde freiwillig aus deinem Blickfeld! Aber das«, wie wild fuchtelte sie nun mit der Mappe vor seinen Augen, »das nehme ich mit!« Mit diesen Worten drehte sie ihm den Rücken zu und nahm mit großen Schritten Kurs auf die Tür. Bevor sie den Raum verließ, drehte sie sich noch einmal zu ihm um. »Ein weiteres Mal laufen wir uns nicht mehr über den Weg – Herr Jacobsen!«, rief sie aus und rauschte hinaus.

»Das war ganz sicher noch nicht das letzte Kapitel unserer Geschichte, Toni!«, rief er ihr drohend hinterher.

Seine Worte, laut genug, dass sie sie noch hören konnte, jagten ihr erneut einen Schauer über den Rücken. Mit aller Macht werde ich das zu verhindern wissen, schwor sie sich in diesem Moment.

* * * *

Pünktlich um 8.30 Uhr betrat Antonia am nächsten Morgen Jutta Steinmanns Büro. Wenngleich sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte und diese sehr wohl in allen Knochen spürte, war ihr das nicht anzusehen. Immerhin hatte sie als ehemaliges Model eine harte Schule hinter sich und kannte jeden Trick, um die Spuren von Übermüdung und Anspannung zu kaschieren.

»Guten Morgen«, zerknirscht trat sie nun vor die Personalchefin und verschränkte die Arme vor ihrer Brust, so als wolle sie sich vor der bevorstehenden Standpauke schützen.

Jutta Steinmann hatte nach Antonias gestrigem Auftritt mehr als einen Grund für eine Zurechtweisung. Nicht nur als Leiterin der Personalabteilung von Zinatex. Seit Antonia ihren Job als Assistentin in der Designabteilung des Modekonzerns angetreten und sich Schritt für Schritt bis zur Teamleiterin hochgearbeitet hatte, war eine enge Freundschaft zwischen den beiden entstanden. Dennoch, oder gerade deshalb, blickte die warmherzige Frau Antonia jetzt äußerst streng an. Ihre sonst so verständnisvollen Augen verrieten Besorgnis und Verärgerung zugleich. »Guten Morgen«, erwiderte sie knapp, »setz dich.« Mit der Hand wies sie auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch, auf dem sich Berge von Unterlagen türmten.

Reumütig nahm Antonia Platz, schlug widerwillig die Beine übereinander und streckte den Rücken durch. Erst dann blickte sie ihre mütterliche Freundin direkt an.

Ein sanftes, wenn auch besorgtes Lächeln huschte nun doch über Juttas Gesicht. »Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?!«, fragte sie und betonte jedes Wort. Und bevor Antonia darauf antworten konnte, setzte sie fort: »Als du gestern hereingeplatzt bist, war ich gerade dabei, deinen Kragen zu retten. Doch leider hast du mit deinem Auftritt diese Chance vermasselt …, und zwar voll und ganz!« Jutta Steinmann redete nie lang um den heißen Brei herum: »Ich habe den Auftrag, deine Kündigung als allererste auszusprechen. Noch heute!« Frustriert lehnte sie sich in ihrem Bürostuhl zurück.

Minutenlang schwiegen sich die beiden an. Äußerlich gefasst, rasten Antonias Gedanken zwischen den Konsequenzen, die diese Kündigung für sie und ihre Geschäftsidee haben würde, und dem, was damals zwischen ihr und Stefan Jacobsen vorgefallen war, hin und her. Sie weigerte sich jedoch, in die Vergangenheit zurückzublicken und verdrängte eisern die Erinnerungen an die Zeit, in der sie mehr als nur Freunde gewesen waren. Stefan Jacobsen war ein für alle Mal für sie gestorben! Unbewusst schüttelte sie sich und versuchte stattdessen, sich auszumalen, wie es weitergehen würde.

»Dieser Mann scheint – gelinde gesagt – nicht gut auf dich zu sprechen zu sein … und umgekehrt, wie mir scheint, du auch nicht auf ihn«, warf Jutta ein und riss Antonia aus ihren Gedanken. »Willst du mir verraten, warum?«

Entgeistert schaute Antonia ihre Freundin an. »Über dieses Kapitel …«, unbewusst wählte sie die gleichen Worte wie Stefan Jacobsen am Abend zuvor, »möchte ich nicht sprechen – mit niemandem!« Aufgebracht sprang sie auf und fing an, in dem Büro hin und her zu tigern. Sie hatte das dringende Bedürfnis, zu flüchten. So weit weg, wie nur möglich von diesem elenden Schuft und all dem längst vergrabenen Schmerz.

»Eurem Verhalten nach zu schließen, muss es schon mehr als ein Kapitel zwischen euch gegeben haben …«, versuchte Jutta erneut, mehr Informationen aus Antonia herauszulocken. »Und mir scheint, Jacobsen hat recht, wenn er sagt, dass es nicht das letzte gewesen sein wird.«

Neugierig betrachtete Jutta Steinmann Antonias versteinerte Miene. Es überraschte sie, dass diese ein Geheimnis vor ihr hatte. Was, fragte sie sich zum wiederholten Male seit gestern Abend, war zwischen den beiden vorgefallen? Was auch immer es gewesen war, dachte sie resigniert, beide mussten zutiefst verletzt aus der Sache herausgekommen sein. Anders ließen sich die emotionalen Reaktionen auf beiden Seiten nicht erklären. »Diese Frau hat hier nichts mehr zu suchen!«, wiederholte sie nun laut Jacobsens letzte Worte des gestrigen Abends. »Das hat er wortwörtlich gesagt, als du weg warst.«

Antonia hielt in der Bewegung inne und drehte sich langsam zu der Personalchefin um. Dann hob sie die Hand, zeigte mit dem Finger auf sie und erwiderte voller Trotz: »Ich habe hier nichts mehr zu suchen?! Gerne! Aber dieser Bastard soll dafür bezahlen!« Wutentbrannt stützte sie sich auf den Schreibtisch und beugte sich zu Jutta vor. »In genau einer Stunde hast du einen Vorschlag von mir auf dem Tisch, wie ich mir meine Abfindung vorstelle. Und spätestens heute Abend verlasse ich diese heiligen Hallen auf Nimmerwiedersehen! Doch vorher … vorher soll er ordentlich bluten!«

»Antonia, bitte, nimm Vernunft an!« Die Personalchefin stand auf, ging um den Schreibtisch herum und fasste Antonia an den Schultern. Als sie sich ihr widerwillig zuwandte, las Jutta in ihren Augen Trotz und Kampfesgeist. Sanft schüttelte sie die junge Frau: »Du bist nicht in der Position, dich mit diesem Mann anzulegen. Er sitzt am längeren Hebel und du … du brauchst diesen Job, um dein Projekt auf den Weg zu bringen. Vergiss das nicht!«

»Nein, nein und nochmals nein!« Antonia riss sich von ihr los und begann wieder, im Raum auf und ab zu wandern. »Er hat sich doch nicht eine Sekunde mit meinem Konzept auseinandergesetzt. Träumerische Geschäftsidee«, schnaufte sie aufgebracht, als sie seine Worte zitierte, »der hat doch keine Ahnung!«

»Antonia«, abermals versuchte Jutta, sie zu beschwichtigen.

»Mit meiner Abfindung und dem Konzept im Gepäck werde ich es alleine schaffen!« Antonia überschlug ihre Rechte im Falle einer Kündigung: »Immerhin war ich acht Jahre in dieser Firma. Da stehen mir doch mindestens acht Monatsgehälter zu …«

»Leider nicht«, erwiderte die Personalchefin nüchtern. Und als Antonia sie fragend anschaute, ergänzte sie. »Du bist Mitarbeiterin der Vermögens-GmbH, die nur acht Personen beschäftigt. Also genießt du keinen Kündigungsschutz und hast damit auch kein Anrecht auf eine Abfindung.«

»Du wirst es Jacobsen doch nicht so leicht machen …?« Verunsichert über diese Information, appellierte Antonia nun an ihre Freundin. »Du musst mir helfen, so viel wie möglich herauszuschlagen. Ich brauche das Geld … sonst zerplatzt mein Traum wie eine Seifenblase!« Von jetzt auf gleich fiel sie in sich zusammen und ließ sich frustriert in den Stuhl fallen.

Vorsichtig legte Jutta ihren Arm um Antonias Schulter und wiegte sie sanft hin und her. Schließlich sagte sie: »Ich kann und darf in dieser Sache nichts mehr für dich tun. Herr Jacobsen hat sich das Recht herausgenommen, das Exit-Gespräch persönlich mit dir zu führen. Er erwartet dich um neun Uhr in seinem Büro.« Besorgt schaute sie auf ihre Uhr. »Also in genau zehn Minuten.«

Plötzlich und unerwartet, selbst für Jutta, die Antonias eiserne Selbstkontrolle besser kannte als keine andere, brach diese in Tränen aus. Minutenlang schluchzte die junge Frau vor sich hin, unfähig, auch nur ein Wort herauszubringen.

»Es tut mir leid, meine Große!«, flüsterte Jutta ihr fürsorglich zu. Bemüht, ihr Mut zuzusprechen, ergänzte sie dann: »Kämpfe um deine Idee und mach was draus. Ich werde dir außerhalb dieser vier Wände beistehen, so gut ich kann, versprochen!« In Antonias Augen entdeckte sie eine Trauer, die sie nur einmal zuvor bei ihr gesehen hatte, als ihre Eltern bei dem schrecklichen Verkehrsunglück zu Tode gekommen waren.

»Er will mich vernichten …«

»Das wird er schon nicht«, tröstete Jutta das Häufchen Elend vor sich. »Vergiss nicht, wie stark du bist!«

* * * *

Sie war so wunderschön wie damals, oder vielleicht noch schöner. Mit ihren fünfunddreißig Jahren hatte Antonia nichts von ihrer Anmut eingebüßt. Ganz im Gegenteil. Verbittert erkannte Stefan Jacobsen, als diese pünktlich auf die Minute sein Büro betrat, dass ihre magische Anziehungskraft auf ihn keinen Deut nachgelassen hatte. Sie war nach wie vor die begehrenswerteste Frau, die er jemals gesehen hatte. Und das, obwohl er in seiner Arbeit von Beautys nur so umgeben war. Doch Antonias Schönheit, die von innen heraus zu strahlen schien, war einzigartig. Unterstrichen wurde sie durch die sichtbaren Zeichen ihres Temperaments. Ihre Naturlocken, die stets ein Eigenleben zu haben schienen, waren von einem Rot, so intensiv wie das prächtigste Herbstlaub und so provozierend, wie nur die Farbe Rot es sein konnte. In ihrer üppigen Fülle umrahmten sie ein wunderbar ebenmäßiges Gesicht. Ihre helle, feine Haut war so zart, als wäre sie in Alabaster geschlagen. Und dennoch strahlte Antonia eine Lebendigkeit aus, die man in solch vollkommenen Zügen nicht erwartete. Es waren ihre großen, dunkelgrün funkelnden Augen, die ihr so viel Ausdruck und Charakter verliehen.

Und dann auch noch dieser vollkommene Körper! Ihr schmal geschnittenes dunkelblaues Kleid öffnete, trotz seiner Schlichtheit, der männlichen Fantasie Tür und Tor. Schöner konnte absolute Weiblichkeit nicht verpackt werden. Jeder Mann würde bei diesem Anblick verführt, dachte Stefan Jacobsen in einem Anflug von Eifersucht, der ihn daran erinnerte, wie er Antonia damals ganz und gar verfallen gewesen war. Instinktiv wurde ihm klar, dass sie noch heute die Macht hatte, ihn in die Knie zu zwingen …

Er gab sich einen Ruck. Jahrelang hatte er sich in verbittertem Rückzug geübt. Und wenn er eines gelernt hatte, dann war es, seine Gefühle zu verbergen. Der unverhohlene Blick, den er ihr jetzt zuwarf, war der beste Beweis seines Könnens. Seine Augen verdunkelten sich noch eine Nuance und schienen sie auszuziehen. Um seine Gefühle vor ihr zu verbergen, als sie nun mit großen Schritten auf ihn zukam, wich er Antonias Funken sprühendem Blick aus und fixierte ihren perfekt geformten Busen.

»Guten Morgen, Stefan«, überraschend kontrolliert begrüßte sie ihn. Als Model hatte auch sie gelernt, ihr Temperament zu zügeln, vor allem dann, wenn Männer sie so unverfroren anstarrten, wie er es jetzt tat. Contenance, Antonia, Contenance! »Oder legen Sie Wert darauf, dass wir uns siezen, Herr Jacobsen?« Ihr zynischer Unterton war nicht zu überhören.

»Ich wüsste nicht, warum«, erwiderte er nüchtern. »Bitte, nimm Platz.« Mit der Hand deutete er auf den Krückstock, der auch heute an der Armlehne seines Bürostuhls hing, und ergänzte: »Entschuldige, wenn ich nicht aufstehe.«

Während Antonia sich wortlos setzte, stieg trotz ihrer Wut erneut Mitleid in ihr auf, und sie konnte sich ein sanftes Lächeln nicht verkneifen. »Hast du dich beim Training verletzt?«

»Nicht weiter wichtig!«, gab Stefan ungewollt scharf zurück. Doch dann riss er sich zusammen. »Du weißt, warum ich dich heute zu mir gebeten habe?«

»Gebeten ist ja wohl leicht untertrieben«, gab sie mit einer ordentlichen Portion Sarkasmus in der Stimme zurück. »Du willst mich rausschmeißen und nichts dafür zahlen.«

»Du warst schon immer großartig darin, Dinge auf den Punkt zu bringen. Das habe ich besonders an dir bewundert.«

»Stefan, lass das.« Antonia blickte ihn nun direkt an. »Was früher war, spielt hier keine Rolle«, blockte sie jegliche Anspielung auf die gemeinsame Vergangenheit ab. Stattdessen ergänzte sie geschäftsmäßig: »Ich habe dir einen Vorschlag zu unterbreiten.«

»Ich höre.« Fasziniert von ihrer Selbstkontrolle, lehnte sich Stefan in seinem Stuhl zurück und forderte Antonia mit einem Kopfnicken auf, fortzufahren.

»Mein Konzept für die neue Geschäftsidee und somit alle Unterlagen, die dazugehören, nehme ich mit. Immerhin war die meiste Zeit, die ich in die Entwicklung reingesteckt habe, Freizeit. Also nichts, was der Zinatex bislang geschadet hätte«, spielte sie auf seine Behauptung von gestern Abend an. »Und zum Schutze des guten Rufes dieser Firma und deiner Person versüßt du mir den Rausschmiss mit sechzehn Monatsgehältern – zwei für jedes Jahr, das ich hier gearbeitet habe. Egal, ob sie mir arbeitsrechtlich nun zustehen oder nicht.«

»Du willst mich erpressen?«, feixte er, eher herausfordernd als überrascht.

»Es ist mir egal, wie du es nennst.« Antonia schenkte ihm ein kühles Lächeln. »Mein Name hat in dieser Branche noch Gewicht. Und wenn du versuchst, mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen, werde ich mich wehren.«

Fasziniert starrte Stefan sie an. Auch von ihrem Mumm hat sie nichts eingebüßt!

»Ja oder nein?«

»Und was habe ich davon, wenn ich deiner Forderung nachkomme?«

»Einen wirksamen Rausschmiss … das wolltest du doch!«

Stefan ließ sich Zeit mit seiner Antwort und betrachtete Antonia nachdenklich. Die leichte Röte in ihren Augen verriet, dass sie noch vor Kurzem geweint haben musste. Doch wie keine andere, stellte er in einem Anflug von Stolz fest, schaffte sie es meisterlich, ihre Schwäche zu kaschieren. Ungewollt schossen ihm erneut Bilder von früher durch den Kopf. Sie machten ihm bewusst, dass Antonia ihm gegenüber nie klein beigeben würde. Ihr unbändiger Stolz und ihr eiserner Wille waren schon immer ihre Triebkräfte gewesen. Aber genau darin sah er auch die Chance, sie dorthin zu bringen, wo er sie haben wollte …

»Was wirst du mit dem Geld und dem Konzept anfangen?«

»Das geht dich gar nichts an!«, erwiderte sie schroff.

»Und ob, dein Konzept ist in diesem Hause entstanden, und es sind Firmengelder, die ich dafür lockermachen soll.« Sein Blick war jetzt eine einzige Provokation. »Also möchte ich wissen, worauf ich mich da einlasse.«

Kurz dachte Antonia über seinen Einwurf nach. Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen, denn jede Minute mit ihm war eine Qual. Dennoch ließ sie nicht zu, dass ihr Hass auf ihn Übermacht gewann. »Ich werde eine Firma gründen und meine träumerische Geschäftsidee … hattest du sie nicht so genannt?! … auf eigenes Risiko realisieren.«

»Ich bin einverstanden.«

Skeptisch starrte Antonia ihn an. »Unter welcher Bedingung …?« Ihr war klar, dass er sie nicht einfach so gehen lassen würde.

»Zinatex hält neunundvierzig Prozent der Anteile an deiner neuen Firma – als stille Teilhaberin.« Nun lehnte sich Stefan vor und schenkte Antonia sein charmantestes Lächeln. »Und als CEO deiner Mitgesellschafterin habe ich jederzeit das Recht, über die Entwicklung deines Unternehmens informiert zu werden. Persönlich.«

»Du … du …!«, Antonia brachte vor Wut kein weiteres Wort heraus.

»Friss oder stirb, liebe Antonia.«

»Du Bastard!«

Stefan ließ sich von ihrer Beschimpfung nicht aus der Ruhe bringen und schenkte ihr ein siegessicheres Grinsen. Er wusste, dass er sie in der Hand hatte. Und außerdem hatte er es schon immer geliebt, wenn sie ihrem Temperament wenig ladylike Luft verschaffte. Dieser Kontrast zu ihrer natürlichen Anmut war entwaffnend – aber zugleich auch ihre Achillesferse. »Also, was ist? Rausschmiss ohne Abfindung oder Beteiligung an deinem Baby?«

Aufgebracht sprang Antonia von ihrem Stuhl auf – bereit zur Flucht. Als sie die Tür des Büros erreicht hatte, wandte sie sich Stefan nochmals zu. »Ich werde ab sofort freigestellt«, rief sie ihm erbost zu, »die Vertrags- und Gründungskosten gehen ebenfalls zulasten von Zinatex und …«, warnend hob sie ihren Zeigefinger, »die erste Gesellschafterversammlung findet frühestens Ende des Jahres statt. Vorher wirst du mich nicht mehr zu sehen bekommen!« Mit diesen Worten verließ sie den Raum und knallte die Tür hinter sich zu.

Schmunzelnd blickte Stefan auf die Tür. »Und ob ich dich vorher zu sehen bekommen werde, meine geliebte Antonia …«, flüsterte er voller Vorfreude.

Kapitel 2

Mist!«, entnervt schleuderte Antonia den Businessplan auf den Esstisch ihrer Wohnung. Seit jenem Tag vor sechs Wochen, als sie sich unfreiwillig auf den Deal mit Stefan Jacobsen eingelassen hatte, diente dieses Provisorium ihr als Arbeitsplatz. Tag und Nacht hatte sie daran gearbeitet, ihre Firma aus der Taufe zu heben. Doch nachdem sie alle Angebote für die notwendigen Investments neu von den Lieferanten angefordert hatte, war nun klar, dass ihre Ersparnisse und die Abfindung von Zinatex niemals ausreichen würden, um ihre Unternehmung auf den Weg zu bringen. Antonia hatte nicht damit gerechnet, dass sie für Mieträume, Möblierung, Nähwerkstatt sowie weiteres Zubehör und nicht zuletzt für die Programmierung der Internetplattform im Schnitt rund zwanzig Prozent mehr berappen müsste als gegenüber ihrer ursprünglichen Planung. Ihre Bonität als Existenzgründerin reichte nicht aus, um entsprechende Einkaufsmacht auszuüben. Nicht einmal die Tatsache, dass Zinatex mit neunundvierzig Prozent an ihrer Firma beteiligt war, verbesserte die Situation. Zum einen hatte Stefan Jacobsen auf eine stille Teilhaberschaft bestanden, und zum anderen war es Antonia schlichtweg zuwider, ihn darum bitten zu müssen, dieses Bindeglied zu ihr als Joker zu ziehen. Sie wollte unbedingt ihr Unternehmen eigenständig zum Laufen bringen, und nicht weil Zinatex und dieser verdammte Stefan Jacobsen dahinter standen!

»Verdammt!«, fluchte sie abermals, nicht wissend, wie sie aus dieser Zwickmühle herauskommen sollte. Es konnte doch nicht sein, dass sie jetzt schon ihren Traum begraben musste! Missmutig strich sie sich die Haare aus dem Gesicht.

Als es klingelte, schrak sie zusammen. Ein Blick auf die alte Wanduhr, eines der Erbstücke ihrer Eltern, verriet ihr, dass es schon nach einundzwanzig Uhr war. Antonia hatte keine Ahnung, wer um diese Zeit noch bei ihr vorbeischauen wollte. Mal abgesehen davon, dass sie überhaupt keinen Nerv hatte, jemanden zu empfangen. Kurz überlegte sie, einfach nicht zu reagieren. Doch dann brachte sie es nicht übers Herz. Es könnte ja ein Nachbar sein, der Hilfe braucht …, ermahnte ihr Gewissen sie.

Stöhnend erhob sie sich. Während sie zur Wohnungstür lief, zupfte sie an ihrem knappen Trägerhemd und schob sich den Bund der lässig sitzenden Jerseyhose über den Bauchnabel. Sie warf noch einen Blick in den Spiegel, bevor sie die Tür öffnete. Keiner hätte in diesem Moment in ihr das ehemalige Topmodel Toni D’Inverno erkannt, so derangiert, wie sie aussah. Notdürftig richtete sie ihre Haare her. Ist doch egal! Wer unangekündigt um diese Uhrzeit bei mir klingelt, kann nicht erwarten, dass ich wie aus dem Ei gepellt an der Tür stehe! Mit einem leisen Seufzer griff sie zur Klinke und riss die Wohnungstür auf.

»Du siehst grauenvoll aus!« Mit einem mitleidigen Lächeln zog Jutta die überraschte Antonia an sich und gab ihr einen herzhaften Kuss auf die Wange. Ohne auf deren Reaktion zu warten, betrat sie die Wohnung. In der Hand schwenkte sie eine Flasche Rotwein. »Seit du Zinatex verlassen hast, habe ich nichts mehr von dir gehört«, tadelte Jutta die junge Frau mit erhobenem Finger. »Und das war immerhin schon vor eineinhalb Monaten!«

»Komm rein«, erwiderte Antonia seufzend. Völlig überflüssig, denn Jutta eilte bereits voraus und betrat das geräumige Wohn-Ess-Zimmer. Müde und resigniert schloss Antonia die Wohnungstür und folgte ihr. Obwohl sie ganz und gar nicht auf einen Plausch aus war, musste sie sich insgeheim eingestehen, dass es ihr gut tat, endlich mal wieder jemanden zu Gesicht zu bekommen.

Außer den zahlreichen Behördengängen, die für die Firmengründung notwendig gewesen waren, und den elenden Lieferantengesprächen, die neben Frustration kaum etwas gebracht hatten, war Antonia tatsächlich wochenlang nicht unter Menschen gekommen. Für die sonst so gesellige junge Frau war das ganz und gar außergewöhnlich. Und so hatten sich einige ihrer Freunde auch schon beschwert, sie habe für nichts mehr Zeit. Doch das alles war Antonia egal gewesen. Denn sie hatte sich bewusst abgeschirmt, um voller Tatendrang und Freude ihre Pläne voranzutreiben. Bis heute, als ihr endgültig klargeworden war, wie schwierig es sein würde, ihr Projekt eigenständig auf die Beine zu stellen.

»Schön, dass du vorbeischaust«, rief sie nun doch, dankbar für die Unterbrechung. Mit schlürfenden Füßen umrundete Antonia die Theke zu ihrer offenen Küche, um zwei Weingläser und den Flaschenöffner zu holen.

»Ich dachte mir, dass du vielleicht etwas Hilfe oder zumindest Zusprache brauchen könntest …« Neugierig betrachtete Jutta den Berg an Unterlagen, der kreuz und quer auf dem Esstisch verstreut lag. Sie griff nach dem Ausdruck einer Excel-Tabelle und studierte interessiert all die roten Kringel, die Antonia darauf vermerkt hatte. »Kommst du voran?«, fragte sie vorsichtig und ahnte bereits, dass genau das Gegenteil der Fall war.

Mit einem erneuten Seufzer ließ sich Antonia auf einen der Stühle fallen. »Um ehrlich zu sein, hat mich vor nicht einmal fünf Minuten die nüchterne Erkenntnis getroffen, dass mein Geld hinten und vorne nicht ausreicht.« Um von den Tränen abzulenken, die ihr plötzlich in die Augen traten, machte sie sich daran, die Weinflasche zu öffnen.

»Wir sind halt doch wie Mutter und Tochter.« Jutta trat auf Antonia zu und streichelte ihr sanft über die Haare. »Ich hatte es irgendwie im Gefühl, dass du mich heute brauchen würdest.« Sie nahm Antonia die Flasche aus der Hand und schenkte den beiden den schweren Rotwein ein, den sie mitgebracht hatte. Dann zeigte sie auf das Etikett: »Genau der richtige Tropfen, um gemeinsam über Lösungen zu sinnieren. Prost, meine Große!«

»Prost!«, erwiderte Antonia matt.

»Ich möchte alles wissen, von Anfang an«, munterte Jutta sie nun auf. »Auch wie das letzte Gespräch mit Stefan Jacobsen verlaufen ist.« Abermals warf sie Antonia einen mütterlich tadelnden Blick zu. »Ich hatte ja gehofft, dass du nach dem Treffen mit ihm nochmals bei mir vorbeischauen würdest …«

»Ich war zu aufgebracht«, erklärte Antonia einsilbig.

»Aber er hat dir doch die Abfindung zugestanden, die du wolltest. Das weiß ich. Immerhin habe ich deine letzte Lohnabrechnung abgezeichnet und angewiesen.«

»Das hat er in der Tat. Aber dieser Bastard hat sich damit neunundvierzig Prozent der Anteile an meiner Firma gesichert.«

»Er persönlich?!«

»Nein, für Zinatex. Allerdings mit der zusätzlichen Bedingung, dass er persönlich die Aufsichtsfunktion wahrnehmen wird.« Voller Wut schlug Antonia auf den Tisch. »Das Einzige, was ich ihm noch abringen konnte, war, dass er mir bis Ende des Jahres nicht mehr unter die Augen tritt!« Ein weiteres Mal schlug sie mit der Faust auf den Tisch, diesmal so fest, dass die Gläser wackelten. »Wehe, der kommt mir vorher in die Quere!«

Jutta Steinmann ließ Antonia etwas Zeit, sich wieder zu beruhigen. Dann fragte sie: »Willst du mir endlich verraten, was es mit euch beiden auf sich hat? Ich kenne dich so gar nicht. Sonst schafft es doch kein Mensch, dein frohes Gemüt dermaßen zu erschüttern …«

»Bitte Jutta, lass gut sein«, mit einer fahrigen Handbewegung wies Antonia ihre fürsorgliche Freundin in die Schranken. »An diesen Mann zu denken trägt ganz sicher nicht dazu bei, mich aufzuheitern.«

»Okay«, gab sich diese geschlagen. Der Moment, um die Wahrheit zu erfahren, würde schon noch kommen. »Dann erzähl mir doch, was dir solche Schwierigkeiten bereitet.«

»Mein Geld reicht hinten und vorne nicht aus«, wiederholte Antonia nun ganz nüchtern ihre Erkenntnis nach wochenlanger Arbeit. »Als ich noch unter dem Dach von Zinatex die Businessplanung aufgesetzt habe, war ich von ganz anderen Konditionen seitens der Lieferanten ausgegangen. Trotz der aktuell angespannten Lage hat der Konzern natürlich eine ganz andere Bonität, als ich das als Existenzgründerin vorweisen kann.«

»Willkommen in der Realität«, erwiderte Jutta sarkastisch. Dann dachte sie kurz nach. »Hast du nicht gesagt, dass Jacobsen dir neunundvierzig Prozent der Anteile abgerungen hat? Mit Zinatex als Gesellschafterin im Rücken dürften solche Reaktionen seitens der Lieferanten doch eigentlich gar nicht vorkommen?«

Antonia senkte ihren Blick. Ihr war klar gewesen, dass ihre Freundin sehr schnell den Haken an der Sache aufdecken würde. Sie murmelte: »Dafür müsste ich Jacobsen um die Freigabe bitten, die stille Teilhaberschaft als Joker einzusetzen …« Hastig straffte sie ihre Schultern und gab sich kämpferisch: »Nie und nimmer krieche ich vor ihm auf Knien. Ich werde es alleine schaffen – basta!«

»Kind! Wo ist dein Geschäftssinn abgeblieben?!« Kopfschüttelnd sprang Jutta auf, umrundete den Tisch und beugte sich zu Antonia vor. »Ich akzeptiere, dass du mir noch nicht verraten willst, was es mit dir und Stefan Jacobsen auf sich hat. Aber was ich nicht dulden werde, ist …«, aufgebracht schüttelte Jutta die junge Frau an den Schultern, »… was ich nicht dulden werde – hörst du! – ist, dass du deinen Traum und alles, was du dafür getan hast, an der offensichtlichen Abneigung diesem Mann gegenüber scheitern lässt!«

Antonia gab keinen Mucks von sich. Schmollend saß sie auf ihrem Stuhl und blickte zu Boden.

»Um wie viel Geld geht es denn?«, lenkte Juttas gutmütige Seite ein. »Kann ich dir vielleicht eine Finanzspritze geben?«

»Fast zweihunderttausend Euro.« Antonia war nur noch ein kleines Häufchen Elend. »Allein die Ausstattung der Näherei schlägt mit fast hunderttausend anstelle von den geplanten Fünfundachtzigtausend zu Buche …«

»Hm«, nachdenklich rieb sich Jutta die Schläfen. »Beim besten Willen, selbst wenn ich meine Altersversorgung heranziehen würde, könnte ich das Geld nicht für dich aufbringen.«

»Nein, das kommt auch gar nicht infrage!« Entsetzt sprang Antonia auf. »Ich werde es alleine schaffen!«, wiederholte sie und schenkte ihrer Freundin nun wieder ein entschlossenes Lächeln.

»Dann bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als Zinatex ins Spiel zu bringen. Sehe es doch positiv, Jacobsen hat dir wirklich einen Joker in die Hand gespielt. Also sprich mit ihm. Ich bin sicher, er wird dir die Freigabe zugestehen. Er ist ein Geschäftsmann durch und durch. Und dein Konzept ist ohne Wenn und Aber gut!«

Wieder versank Antonia in grübelndes Schweigen. Jutta erkannte an ihrer Mimik, dass sie mit der Situation haderte. »Antonia.« Sie legte die Hand auf deren Schulter und schüttelte sie sanft. »Wie oft bist du ins Scheinwerferlicht getreten und hast jeglichen Ärger um dich herum ausgeblendet, nur um die Beste zu sein?«

»Das gehörte zu einem professionellen Model dazu.«

»Und im Businessleben ist das nicht anders, meine Große. Also mach deine Erfahrung und dein Können zur Stärke: Gute Miene zum bösen Spiel … sprich mit Jacobsen und bring deinen Traum auf den Weg!«

Geistesabwesend schüttelte Antonia den Kopf. Es musste doch noch andere Wege geben, an das Geld heranzukommen …

* * * *

Herrgott, noch mal! Angespannt wippte Antonia mit ihrem linken Fuß. Wenn dieser Typ mir noch einmal so unverschämt auf den Busen starrt, scheuer ich ihm eine! Seit nunmehr einer Stunde versuchte sie, diesem kleingeistigen Banker ihr Geschäftsmodell zu erläutern und zu erklären, weshalb sie zusätzliches Geld brauchte. Doch diese farblose Gestalt, die Antonia im Stehen, selbst ohne High Heels, um einen guten Kopf überragte, hörte ihr gar nicht richtig zu. Es war mehr als offensichtlich, dass er sich in der Situation sonnte, sie – das ehemalige Topmodel Toni D’Inverno – bittend vor sich sitzen zu haben. Kleiner Mann ganz groß.

»Frau Winter«, setzte dieser erneut an. Mit seinen müden Augen, die hinter der altmodischen Brille noch kleiner wirkten, als sie tatsächlich waren, warf er ihr einen väterlich mitleidigen Blick zu. »Wissen Sie eigentlich, auf welches Risiko Sie sich da einlassen?« Um seine Aussage zu unterstreichen, beugte er sich vor. »Man hat Ihnen gekündigt, Sie haben also kein festes Einkommen mehr und keine ausreichenden Sicherheiten zu bieten«, er nickte wissend, »die Gründung Ihrer Firma hat schon jetzt einen Großteil Ihrer Reserven verschlungen. Und dabei haben Sie die notwendigen Investitionen in die Näherei und die IT-Plattform noch gar nicht getätigt …«

»Aber deshalb bin ich doch hier!«, unterbrach Antonia den Mann ungehalten. »Ich will einen Kredit von Ihnen, um all das auf den Weg zu bringen. Meine Geschäftsidee ist vielversprechend!«

»Ich will Sie doch nur davon abhalten, dass Sie sich in eine Katastrophe stürzen, Frau Winter.« Nun stand der Mann auf, umrundete den Besprechungstisch und legte seine schwieligen Hände auf Antonias Schulter. »Was halten Sie davon«, er beugte sich zu ihr herunter und flüsterte ganz nah an ihrem Ohr, »wenn wir uns heute Abend treffen und in angenehmer Atmosphäre darüber beraten, welche Alternativen Sie anstelle eines solchen Abenteuers haben. Ich bin sicher«, säuselte er, »dass Ihre Schönheit in der Modebranche noch heute gefragt ist. Warum also sollten Sie Ihr hübsches Köpfchen freiwillig in eine solche Schlinge stecken?«, wiederholte er seine Bedenken.

Antonia erschauerte, als sie seinen feuchten Atem an ihrem Ohr spürte. »Jetzt reicht’s!«, entrüstet schob sie die Hände des Mannes von sich und sprang von ihrem Stuhl auf. Als sie sich zu ihrer vollen Größe aufgerichtet hatte, blickte sie den Wicht vor ihr voller Verachtung an. »Ich traue Bankern von jeher nicht über den Weg, aber Sie, Herr Müller, sind ein Kleingeist«, stieß sie temperamentvoll aus. »Sie toppen wirklich alles, was ich in Ihrem Berufsstand bislang erlebt habe!« Mit fahrigen Händen sammelte sie ihre Unterlagen zusammen und stopfte sie in ihre Aktentasche.

»Frau Winter …«, schon wieder dieser mitleidige Ton. »Jetzt seien Sie doch einsichtig. Ich will doch nur Ihr Bestes!« Der untersetzte Mann machte erneut einen Schritt auf Antonia zu. »Erlauben Sie mir, Sie an die Hand zu nehmen …«

»Klar doch, Herr Müller«, nun beugte sich Antonia über ihn und ließ ihn körperlich spüren, wie haushoch überlegen sie ihm war. »Träumen Sie weiter davon. Und während Ihnen klarwird, dass Sie ganz sicher nicht der Typ sind, um mich an die Hand zu nehmen, werde ich einen geeigneten Weg finden, meine Unternehmung zu starten – ohne Ihre Bank, ohne Sie und ohne Ihre fadenscheinigen Avancen!«

Der Mann schüttelte verärgert den Kopf. »Ich glaube, die Träumerin sind Sie, Frau Winter.« Antonia hatte ganz offensichtlich den Bogen überspannt. Mit kleinen Schritten, die ihn noch mickriger erscheinen ließen, entfernte er sich von ihr, umrundete seinen Schreibtisch und nahm auf seinem abgesessenen Bürostuhl Platz. Dann verschränkte er die Finger und blickte zu ihr herüber. »Ich muss Ihnen auch mitteilen, dass wir ab sofort Ihren Dispokredit auf null herunterfahren müssen. Als Arbeitslose«, er betonte jeden Buchstaben und sonnte sich in seinem kleinen Triumph, »reicht Ihre Bonität leider nicht mehr aus, um den bisherigen Rahmen aufrechtzuerhalten.« Sein feixendes Grinsen hätte jeder Karikatur Ehre gemacht. »Und nun entschuldigen Sie mich, ich habe Anschlusstermine und muss mich darauf vorbereiten.« Demonstrativ nahm er einen Stapel Unterlagen in die Hand.

»Wissen Sie was, Sie … Sie …«, nun war es auch mit Antonias Geduld vorbei. Während sie mit großen Schritten auf die Bürotür zuging, atmete sie zweimal tief durch. Doch diesmal half diese sonst so bewährte Technik ihr nicht, ihr Temperament in den Griff zu bekommen. Mit der Hand an der Klinke drehte sie sich nochmals zu dem Banker um: »Ihren Dispo können Sie sich sonst wohin stecken«, rief Sie lauthals, »ab sofort bin ich keine Kundin Ihres Hauses mehr!« Außer sich vor Wut riss sie die Tür auf und stürmte hinaus.

Erst als sie die Parkanlage vor dem Bankgebäude erreicht hatte, verlangsamte Antonia ihre Schritte. Sie konnte es einfach nicht fassen, was ihr soeben widerfahren war. Dass diese elende Krämerseele im Grunde mit seinen Argumenten bezüglich ihrer Bonität auch noch recht hatte, machte es ihr nicht leichter, zu akzeptieren, in welcher Sackgasse sie gelandet war.

Erschöpft ließ sie sich auf eine Bank fallen und starrte Minuten lang ins Leere. Plötzlich schossen ihr Juttas Worte in den Sinn: »Also mach deine Erfahrung und dein Können zur Stärke: gute Miene zum bösen Spiel … sprich mit Jacobsen und bring deinen Traum auf den Weg!«

Also gut. Was bleibt mir anderes übrig?! Resigniert griff Antonia in ihre Handtasche und wählte Stefans Nummer. Wenn sie jemand zu Fall bringen würde, dann ganz sicher nicht dieser kleinkarierte Banker und schon gar nicht Stefan Jacobsen!

* * * *

Eine Woche war vergangen, seit Antonia beschlossen hatte, den Gang nach Canossa anzutreten. Sie war jedoch keinen einzigen Schritt weitergekommen. »Herr Jacobsen ist auf einer Geschäftsreise«, hatte seine Assistentin am Telefon erwidert, als Antonia versucht hatte, ihn zu erreichen. »Wir melden uns bei Ihnen.« Doch bis heute hatte sie nichts von ihr, geschweige denn von ihm gehört.

»Du elender Hurensohn!« Aufgebracht stapfte sie in die Diele ihrer Wohnung und griff nach Mantel und Schlüssel. »Wenn du mich weichkochen möchtest, dann hast du dich aber geschnitten.« Mit Schwung ließ sie die Wohnungstür hinter sich zufallen. Von Jutta, mit der sie vorhin noch telefoniert hatte, wusste sie, dass er wieder im Lande und in der Zentrale war. »Dann werde ich Sie jetzt zur Rede stellen, Herr Jacobsen!«

Während sie auf den Fahrstuhl wartete, schaute sie auf die Uhr. Es war kurz vor neunzehn Uhr, in einer knappen halben Stunde könnte sie bei Zinatex sein. Stefan wäre sicher noch da, denn ihre Freundin hatte selbst bis neunzehn Uhr einen Termin bei ihm.

Als Antonia keine zwanzig Minuten später, unter Missachtung der einen oder anderen dunkelgelben Ampel, den Weg aus Schwabing heraus nach Dornach, wo sich die Zinatex-Zentrale befand, hinter sich gebracht hatte, parkte sie vor dem gläsernen Gebäude. Kaum ein Fahrzeug stand mehr davor, aber in Stefan Jacobsens Büro brannte noch Licht. Eins zu null für mich!, jubelte sie voller Anspannung. Der Moment war gekommen!

Mit flinken Fingern rief sie auf ihrem iPhone Juttas Büronummer auf und drückte die grüne Wähltaste. »Komm schon«, flüsterte sie nervös in die Stille ihres Wagens. Sie brauchte Jutta, um in das Gebäude zu gelangen. Als sich diese wenige Sekunden später meldete, rief Antonia erleichtert und aufgeregt zugleich: »Gott sei Dank, du bist noch in den heiligen Hallen!«

»Antonia, schön dich zu hören!«

»Pass auf: Ich stehe hier unten und brauche deine Hilfe, um reinzukommen. Jacobsen ist noch da, und ich gedenke, ihn zu überfallen.«

»Du hast Glück!« Jutta musste lachen. Sie freute sich, dass Antonia endlich bereit war, dem Zinatex-Chef entgegenzutreten. »Er ist bestens gelaunt, weil er einen riesigen Auftrag an Land gezogen hat.«

»Wunderbar. Dann werde ich ihm jetzt mal ein wenig die Laune vermiesen. Machst du mir auf?«

»Ich bin gleich da. Warte am Personaleingang auf mich.« Schon hatte Jutta aufgelegt.

Antonia sammelte vom Beifahrersitz ihre Unterlagen auf und schwang sich aus dem Wagen. Voller Entschiedenheit nahm sie Kurs auf den Seitentrakt des Gebäudes. Als sie dort ankam, hielt Jutta ihr bereits die Tür zum Personaleingang auf. »Nur mit der Ruhe, meine Große«, sie drückte Antonia einen Kuss auf die Wange. »Er legt heute ohnehin eine Nachtschicht ein. Das hat er gerade noch verkündet.«

»Gut, das ist gut.« Geistesabwesend erwiderte Antonia den Kuss. In Gedanken wappnete sie sich schon für das Gespräch. Ohne weiter auf Juttas fragenden Blick zu achten, stürzte sie entschlossen in Richtung der Fahrstühle.

»Aber heute oder spätestens morgen früh rufst du mich an, um mir zu berichten!«, rief ihr Jutta noch hinterher. Wie eine Amazone sieht Antonia aus, dachte sie dabei voller stolz.

Antonia wandte sich nochmals um und schenkte ihrer Freundin ein siegessicheres Lächeln. »Versprochen!« Dann verschwand sie im Fahrstuhl, dessen Türen sich soeben lautlos geöffnet hatten.

In der Chefetage angekommen, marschierte sie schnurstracks auf das Chefbüro zu. Im Vorzimmer war es dunkel, nur der Lichtstrahl aus der halb geöffneten Tür zu Stefans Büro erhellte ein wenig den Raum. Kurz hielt sie inne, um sich zu sammeln. Dann klopfte sie am Türrahmen an und trat ein, ohne auf Jacobsens Antwort zu warten.

»Haben Sie noch etwas vergessen, Frau Steinmann?«, fragte er, ohne von seinen Unterlagen aufzublicken.

Wie elektrisiert hielt Antonia in der Bewegung inne und nutzte die kurze Zeit, bis Jacobsen erkennen würde, dass nicht die Personalchefin vor ihm stand, um ihn voller Neugierde zu betrachten. Mit seinen vierzig Jahren sah er, nüchtern betrachtet, nach wie vor sehr gut aus. Die leichten Falten um seine Augen machten ihn sogar noch interessanter. Antonias Körper reagierte prompt auf ihn, was sie maßlos ärgerte. Dennoch konnte sie nicht umhin, ihm erstmals auch Respekt zu zollen. Wie sie selbst auch, war Stefan in seiner Karriere als Dressman ganz oben auf der Erfolgswelle mitgeschwommen. Doch irgendwie hatte er nie richtig dazugehört und stattdessen im Management seinen Weg gemacht. Schon damals, als er deutlich mehr verdiente als manch ein Manager in Topposition, hatte er immer wieder betont, dass seine Karriere auf den Laufstegen nur Mittel zum Zweck sei. Bald werde ich die Modebranche von der anderen Seite aus aufmischen!, hörte ihn Antonia heute noch sagen. Und nun war er dort angekommen. Immerhin war Zinatex, trotz der Krise, in die das Unternehmen vor ein paar Jahren geschlittert war, einer der größten Konzerne der Branche weltweit. Stefan war vor ein paar Monaten als CEO inthronisiert worden, um den Tanker wieder auf Kurs zu bringen. Allein diese Tatsache war Beweis genug für sein Können.

Fasziniert von seinem Anblick, merkte Antonia nicht, dass Stefan sich aufgerichtet hatte. Ein überraschter, aber zugleich zufriedener Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Antonia, du hier?«

Wie auf frischer Tat ertappt, zuckte sie zusammen. Reiß dich am Riemen! Sie drückte den Rücken durch. Gebannt verfolgte sie nun, wie er sich von seinem Stuhl hochstemmte, seine Krücke zur Hand nahm und mit langsamen Schritten seinen Schreibtisch umrundete. Krawatte und Sakko hatte er abgelegt. Die dunkle Anzughose und das strahlend weiße, eng geschnittene Manschettenhemd reichten dennoch aus, nicht nur seine sportlich schlanke Figur zu betonen, sondern auch die Aura des erfolgreichen Managers zu unterstreichen. Selbst seine Behinderung nahm ihm keinen Deut seiner mächtigen Präsenz.

Als Stefan schließlich vor Antonia stehen blieb, schenkte er ihr ein entwaffnendes Lächeln. »Ich wusste, dass wir uns noch deutlich vor Jahresende wiedersehen würden …« In seiner Stimme schwang Genugtuung mit.

Unter Aufbringung all ihrer Kräfte gelang es ihr, sich seiner magischen Anziehungskraft zu entziehen. Innerhalb von Sekunden hatte sie ihre Abwehrhaltung wieder eingenommen. »Und ich wusste nicht, dass du jetzt auch unter die Hellseher gegangen bist!«, erwiderte sie spitz. Dem Drang, mit ein paar Rückwärtsschritten Abstand zu gewinnen, gab sie nicht nach. Stattdessen wartete sie mit einem herausfordernden Blick seine Reaktion ab.

»Und ob ich unter die Hellseher gegangen bin!«, erwiderte er süffisant. »Du hast ein Problem und ich kann dir dabei helfen.« Völlig unbeeindruckt von Antonias spürbarer Ablehnung ihm gegenüber, blickte Stefan zu ihr hinunter.

Wut kochte in ihr hoch, weil er so geschickt die Gesprächsführung an sich gerissen hatte. Sie schnaubte laut vor sich hin, unfähig etwas zu erwidern.

»Ein paar unserer Lieferanten haben mich angerufen und gefragt, ob sie ein Angebot bei dir abgeben sollen«, gab er offen zu. »Weil du aus unserem Stall kommst, ahnen sie …«, er grinste, »nennen wir es