100-Meilen-Lauf Berlin 2015 - Sebastian Thiel - E-Book

100-Meilen-Lauf Berlin 2015 E-Book

Sebastian Thiel

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Beschreibung

Seit mehr als 25 Jahren ist Sebastian Thiel Marathonläufer und Triathlet. Fast von Beginn an berichtet er in Briefen an einen Freund von seinen Wettkämpfen; angefangen von einem Extremlauf über knapp 70 km in den Schweizer Bergen, über Ironman-Triathlons bis hin zu Teilnahmen am Triple-Ultra-Triathlon, bei denen er 11,4 km schwamm, 540 km Rad fuhr und 126,6 km lief. In den Briefen schreibt Sebastian Thiel nicht nur über die sportlichen Aspekte wie Zeiten und Platzierungen, sondern mehr auch über sehr persönliche Dinge, die ihn zur Teilnahme an diesen extremen Ausdauerbelastungen bewegen. Im vorliegenden Bericht geht es um seine zweite Teilnahme am 100-Meilen-Lauf in Berlin. www.sebastianthiel.com

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Inhaltsverzeichnis

Prenzlauer Berg bis Hohen Neuendorf

Hohen Neuendorf bis Zehlendorf

Zehlendorf bis Altglienicke

Altglienicke bis Prenzlauer Berg

Über den Autor

100-Meilen-Lauf Berlin 2015

[...] Ich hatte mir als nächstes Zwischenziel gesetzt, den Abzweig vom Teltowkanal in Richtung Treptow nach 20 Stunden zu erreichen. Ich scheiterte gnadenlos. Seit dem letzten Verpflegungspunkt hatte ich wacker durchgehalten, nicht auf die Uhr zu schauen. Die Zeit vergeht ja ohnehin. Aber als ich dann sah, dass ich eine Viertelstunde später dran war als erhofft, war es so weit. Der Zeitpunkt, an dem man in sich hineinkriecht, war gekommen [...]

Prenzlauer Berg bis Hohen Neuendorf

Berlin, den 17. August 2015

Lieber B.!

Warum lernt man nicht immer aus Erfahrungen? Warum muss man manchmal die gleichen Dinge noch einmal tun?

Nach dem 100. Marathon im März hatte ich mir vorgenommen, in diesem Jahr an drei Ironman, einem 100-Kilometer-Lauf in Thüringen und zum zweiten Mal am 100-Meilen-Lauf auf dem Mauerweg teilzunehmen. Die drei Ironman waren gewissermaßen der Ausgleich dafür, dass ich auf einen Start bei einem Double- oder Triple-Ultra-Triathlon verzichtete, und so bestritt ich den ersten Anfang Juni in Hannover und den zweiten sechs Tage später in Moritzburg. Drei Wochen danach war ich über 100 Kilometer beim Thüringen-Ultra am Start und vier Wochen später beim Ironman in Glücksburg, dem Ostseeman. Dieser wiederum liegt nun also erst gut zwei Wochen zurück, was bedeutet, dass ich knapp 14 Tage Zeit hatte, um mich für den 100-Meilen-Lauf zu erholen.

Die körperliche und mentale Erholung war aber in diesem Jahr nicht nur durch die Fülle der Extremwettkämpfe innerhalb kurzer Zeit, sondern auch durch meine Arbeit erschwert. Ständig kämpfte ich um einen einigermaßen pünktlichen Feierabend und gegen sehr viel Ärger an. Hätte ich durch Anja und ihre Tochter nicht einen so großen Rückhalt im letzten Dreivierteljahr gefunden, hätte ich entweder auf den einen oder anderen Start verzichtet oder meine Kündigung auf den Tisch geknallt und gesagt, dass mich alle mal können...

So war ich also einigermaßen frei, als ich vorgestern früh mit Anja zusammen gegen halb sechs im Jahn-Sportpark zum Start des 100-Meilen-Laufes eintraf. Doch ich hatte den Streckenplan für Henrik, der mich die ersten knapp 100 Kilometer auf dem Fahrrad begleiten wollte, zu Hause liegen lassen und außerdem vergessen, mich mit Sonnencreme sowie die Füße mit Vaseline einzuschmieren. Meine Gedanken auf den ersten Kilometern: Wieso gehe ich so unvorsichtig solch eine Distanz an? Warum denke ich nicht an diese Kleinigkeiten? Ich bin erst einmal so weit gelaufen, habe erst an drei, vier Wettkämpfen teilgenommen, die eine ähnliche Dauer hatten, warum bin ich so fahrlässig? In der letzten Woche habe ich ausschlafen können und hatte sogar den gestrigen Tag ganz frei. Warum habe ich mir nicht eine halbe Stunde wirklich Zeit genommen, um mich auf den Lauf richtig vorzubereiten?

Schön war, dass der Start in den Jahn-Sportpark verlegt worden war, etwa neun Kilometer vom ehemaligen Startpunkt in Kreuzberg entfernt und damit quasi vor meine Haustür. Um vier Uhr standen Anja und ich auf, um fünf Uhr liefen wir von meiner Wohnung die gut eineinhalb Kilometer zum Start. Nach Henrik kamen überraschenderweise auch noch Rupert und seine Freundin dazu. Wir redeten und flachsten ein bisschen, aber nachdem ich bemerkt hatte, an was ich nicht gedacht hatte, war ich froh, als es kurz vor sechs Uhr war und ich gleich los laufen konnte.

Ich verabschiedete mich. Henrik würde ich als erstes wiedersehen, denn ab dem dritten Verpflegungspunkt und Kilometer 18 durfte er mich auf dem Fahrrad offiziell begleiten. Rupert und seine Freundin planten einen Ausflug nach Großglienicke und an den gleichnamigen See, wo ich hoffte, in siebeneinhalb Stunden zu sein. Dort war etwa Kilometer 65. Die letzten gut 60 Kilometer wollte mich dann Anja auf dem Fahrrad begleiten. Den Wechsel von ihr und Henrik hatten wir also bei meinen Eltern geplant, die wie vor zwei Jahren einen Verpflegungspunkt leiteten. Dieser lag dieses Mal bei Kilometer 97, und wenn alles gut gehen würde, sollten Anja und ich uns dort um 18 Uhr wiedersehen.

Es war ein etwas anderer Abschied als sonst. Bei allen drei Ironman in diesem Jahr war Anja mit dabei, in Moritzburg erst ab mittags, als ich die Hälfte des Radfahrens hinter mir hatte, aber bei den anderen beiden von Beginn an. Doch jedes Mal wusste sie, ich würde zwölf bis dreizehn Stunden später im Ziel sein, und wenn nichts Außergewöhnliches passierte, reichte, dass sie da war und wir uns sahen und kurz winken oder drücken konnten. Diesmal aber standen auch für sie 60 Kilometer Fahrrad fahren auf dem Programm, dem Plan nach von etwa achtzehn bis fünf Uhr in der Frühe. Auch sie war etwas angespannt.

Vor 15 Jahren, im Herbst 2000, war ich von Schöneberg in den Prenzlauer Berg gezogen. Das kleine Stadion im Jahn-Sportpark hatte ich schnell entdeckt und habe hier seitdem unzählige Runden gedreht. Aber ich war noch nie eine Runde in verkehrter Richtung gelaufen. So aber starteten wir und verließen das Stadion nach 300 Metern. Da sah ich noch einmal Anja, Henrik, Rupert und seine Freundin und winkte ihnen. Das ist immer ein besonderes Gefühl, auch ein besonders schönes. Ich begebe mich auf eine Reise. Sie sind alle so nah bei mir, doch wissen sie nicht, welch ein Erlebnis diese 160 Kilometer zu Fuß sind und welche Erfahrungen man macht. Sie begleiten mich mit dem Fahrrad, und ich kann darüber reden und schreiben, trotzdem wird so ein Lauf immer ein Rätsel bleiben. Aber das ist er nicht nur für die Außenstehenden, sondern auch für mich selbst. Im Nachhinein weiß ich oft nicht, welche Motivation oder welcher Wille mich noch vorangetrieben haben, als jedes Körperteil schmerzte und die Müdigkeit immer größer wurde. Aber das Gute an Reisen ist, dass man sie nicht immer in dem Moment genießt, in dem sie geschehen, sondern von der Wirkung zehrt, die sie haben.