111 Gründe, erwachsen zu werden - Karsten Weyershausen - E-Book

111 Gründe, erwachsen zu werden E-Book

Karsten Weyershausen

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Beschreibung

Ist es wirklich so schlimm, erwachsen zu werden? Ein Leben als großes Kind bringt nämlich auch einige Nachteile mit sich. Besonders für die Mitmenschen. Ewige Jungs, Berufsjugendliche und Dauergäste im "Hotel Mama" werden sich in diesem Buch ebenso wiederfinden wie ihre leidgeprüften Freundinnen. Karsten Weyershausen liefert allen, die vom Peter-Pan-Syndrom befallen sind, 111 Gründe, erwachsen zu werden. Alle Erkenntnisse dieses Buchs hat er in jahrelangen ebenso leidvollen wie komischen Selbstversuchen gewonnen. Das Vorurteil, dass Erwachsene langweilig sind, widerlegt der Autor nachhaltig. Er kuriert alle, die trotzig an der ewigen Kindheit festhalten, und zeigt: Das Leben ist nur spannend, wenn alles in Bewegung bleibt.

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Karsten Weyershausen

111 GRÜNDE, ERWACHSEN ZU WERDEN

Eine Anleitung für ewige Kinder, Peter Pans und Berufsjugendliche

Schwarzkopf & Schwarzkopf

»Liebe kleine Krummelus, niemals will ich werden gruß.«

Pippi Langstrumpf

EINLEITUNG

(oder:Die Sache mit dem Korkenzieher)

Als Kind dachte ich immer, dass alle Erwachsenen blöd sind. Spätestens als ich Teenager war, wusste ich es mit Gewissheit. Die meisten Erwachsenen in unserer Wohngegend hatten einen Bierbauch, hassten ihren langweiligen Job und schliefen abends vor dem Fernseher ein. Höhepunkt ihrer Woche war – jeden Samstag vor der Sportschau – die rituelle Autowäsche, die sie bevorzugt in ballonseidenen Jogginghosen vollzogen. Zudem litten sie unter Haar- und Zahnausfall. Keine rosigen Aussichten also.

In Pippi Langstrumpf schluckt die Titelheldin zusammen mit ihren Freunden sogenannte Krummeluspillen, damit sie für immer Kinder bleiben können. Wenn Inger Nilsson dazu die magische Zauberformel sprach, bewegte ich vor dem Fernseher leise die Lippen dazu. Es dauerte lange, bis ich begriff, dass man erwachsen sein kann, ohne ein langweiliger Spießer zu werden.

In meiner Verweigerungshaltung war ich nicht allein. Der Familientherapeut Dan Kiley griff das Thema in seinem Buch Das Peter-Pan-Syndrom auf, das unangemessen kindische Verhaltensmuster bei Männern beleuchtet. Wer vierzig ist und noch immer die Bravo-Charts auswendig herunterbeten kann, sollte sich jetzt angesprochen fühlen.

Bei Frauen ist dieses Verhalten offenbar nicht so stark ausgeprägt – von Pippi Langstrumpf einmal abgesehen. Auf der anderen Seite kannte ich eine Frau, die ihr Toilettenpapier im Kühlschrank aufbewahrte. Wieso sie das tat, habe ich mich nie zu fragen getraut. Doch dies sind Ausnahmen. Schließlich wollen die meisten Frauen später selbst Kinder bekommen.

Wenn Männer beschließen, erwachsen zu werden, gibt meist ein weibliches Wesen den Anstoß dazu. So war es auch bei mir.

Als sie mich eines Abends mit einer Flasche Rotwein überraschte, hatte ich weder einen Korkenzieher noch die passenden Gläser zur Hand. Es dauerte zwar eine Weile, bis ich die Werkzeuge fand, doch mit Hilfe einer Schraube, eines Schraubendrehers und einer Kneifzange schaffte ich es schließlich, den Korken zu entfernen. Sie fand das ungeheuer komisch. Nachdem sie sich langsam umgeblickt hatte, verzog sie das Gesicht. Meine Wohnung glich noch immer einer chaotischen Studentenbude. Überall stapelten sich Bücher, Zeitschriften und CDs. So etwas wie einen Kleiderschrank gab es bei mir erst gar nicht. Meine gesamte Küchenausstattung bestand aus zwei Töpfen und einer Mikrowelle.

Als wir nachher auf meinem Sofa saßen und unseren Wein aus Sektgläsern tranken, fiel der Satz, der mich zum Nachdenken brachte. »Eigentlich bist du ein großer Junge«, blickte sie mich milde lächelnd an, wie es nur eine verliebte Frau tun kann. War dies nun als Kompliment oder als Kritik gemeint?

Jedenfalls kaufte ich am nächsten Tag als Erstes einen Korkenzieher.

So fing er also an, mein langer Weg zum Erwachsensein. Leben bedeutet ständige Veränderung, ob wir es wollen oder nicht. Gerade das macht es interessant. Wer da ein Kind bleiben will, ist auch ein wenig feige. Auf Krummeluspillen kann ich heute verzichten. Auch wenn es schön war mit Pippi Langstrumpf im Taka-Tuka-Land.

Karsten Weyershausen

KAPITEL EINS

JE MEHR SICH ÄNDERT, DESTO MEHR BLEIBT GLEICH

Ein kleiner Vergleich: Erwachsen zu sein ist keine Frage des biologischen Alters. Es gibt viele Gründe, erwachsen zu werden, egal wie alt man ist. Allerdings findet man mit 14 andere als mit 40.

Grund Nr. 1 (mit 14)

Weil man den Führerschein machen will

Wer kein Auto lenken kann, kann auch sein Leben nicht lenken.« Diese weisen Worte habe ich nicht von Konfuzius, sondern von einer gewissen Dora aus Idstein. Das Autofieber ist heute anscheinend geschlechterübergreifend.

Der Führerschein hat die Konfirmation als Initiationsritual längst abgelöst. Erst wer fahren kann, ist erwachsen. »Die Straßenbahn nehmen doch nur Schüler, Asoziale und Rentner«, hörte ich neulich von einem Jugendlichen. Klar, alles Randgruppen, die niemand mag. Deswegen ist ein Führerschein unerlässlich. Zu den berühmten Männern, die nie einen Führerschein besaßen, zählen Roger Willemsen, Jürgen Trittin, Wolfgang Joop und Schmusesänger Sasha. Will man zu solchen Leuten gehören?

Fahrschüler können gemein sein. Ein besonders fieser Witzbold kritzelte einst obszöne Zeichnungen ins Übungsheft eines meiner Freunde. Kleiner Scherz unter Fahrschülern. Natürlich wagte das arme Opfer nicht, seiner Fahrlehrerin das verunstaltete Heft vorzulegen. Sich aus einer solchen Situation herauszumanövrieren, ohne wie ein Trottel zu wirken, ist mit Sicherheit auch ein Schritt in Richtung Erwachsenwerden.

Ein schöner Nebeneffekt des Lappens ist die Bewegungsfreiheit, die man mit einem Auto erlangt. Nie mehr im Winter in kalten Bahnhöfen auf den verspäteten Zug warten! Fahrpläne kann man nun getrost vergessen, denn der Führerschein macht einen unabhängig. Statistisch gesehen haben Besitzer eines fahrbaren Untersatzes auch ein regeres Sexualleben als Fußgänger. Ein Auto ist schon rein traditionell der ideale Ort, um mit dem anderen Geschlecht auf Tuchfühlung zu gehen. So mancher unter uns verdankt einem gut gepolsterten Autorücksitz schließlich seine Existenz. Ein weiterer Grund, zur Fahrschule zu eilen.

Macht ein Führerschein aber tatsächlich erwachsen? Auch dies ist wie alles im Leben relativ, denn neulich sah ich im Zirkus ein Hängebauchschwein, das am Steuer eines winzigen Feuerwehrautos eine verdammt gute Figur machte.

Grund Nr. 2 (mit 40)

Weil man den Führerschein behalten will

Eine Frau, die ich früher einmal kannte, hatte die Angewohnheit, mit ihrem jeweils aktuellen Lover im Auto herumzuknutschen. Sie fand das erotisch. Normalerweise wäre so etwas nichts Ungewöhnliches – wenn es nicht bei Tempo 150 auf der Autobahn geschehen wäre. Offenbar war es aber genau das, was für sie den Reiz des Ganzen ausmachte. Einmal gingen sie und ihr Galan so weit, dass sie im Eifer des Gefechts wiederholt von der Fahrbahn abkamen. Dummerweise geschah dieses Manöver ausgerechnet vor den Augen der Polizei, die unsere beiden Liebenden umgehend aus dem Verkehr zog. Von der Polizei erwischt zu werden ist auch so schlimm genug. Mit heruntergelassenen Hosen erwischt zu werden verleiht jedoch selbst dem Begriff »Peinlichkeit« ungeahnte Dimensionen.

Den Führerschein zu bekommen ist gar nicht so schwer. Ihn zu behalten ist hingegen eine Lebensaufgabe. Immerhin lauern in der Erwachsenenwelt allerlei Versuchungen auf uns, die unsere Willenskraft oft genug auf eine harte Probe stellen. Zwei Drittel derer, die nach dem Führerscheinentzug zum sogenannten Idiotentest antreten, fallen beim ersten Anlauf durch. Das bedeutet, dass jährlich etwa 60.000 Deutsche zu staatlich geprüften Idioten abgestempelt werden. Zum Spott seiner Mitmenschen hat man auch noch die Kosten zu tragen, falls man erneut die Fahrschulbank drücken muss.

Das musste auch die Freiwillige Feuerwehr eines kleinen Dorfs in der Lüneburger Heide erfahren. Nach und nach hatte jeder der Feuerwehrleute den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer verloren. Als es schließlich zu einem Großbrand kam, saßen sie in der Klemme. Es gab niemanden mehr unter ihnen, der das Feuerwehrauto fahren durfte. Merke: Wenn Erwachsene nicht erwachsen handeln, wird es meist blamabel.

Leider kann man selbst heute nicht auf den ersten Blick erkennen, ob man einem Erwachsenen gegenübersteht oder einem ewigen Kindskopf. Und selbst wenn man seinem Gegenüber ein Bein absägen würde, um die Jahresringe zu zählen – viele werden mit dem Alter eben nicht weiser, höchstens faltiger. Leider.

Grund Nr. 3 (mit 14)

Weil man endlich Sex haben möchte

Als ich 13 wurde, änderten sich die Gesprächsthemen auf dem Schulhof schlagartig. Stand vorher die aktuelle Folge von Biene Maja im Mittelpunkt des allgemeinen Interesses, waren es plötzlich die knospenden Oberweiten unserer Mitschülerinnen.

Natürlich waren sie uns bald entwachsen und gaben sich nur noch mit älteren Jungs ab. Deshalb blieb Sex bis auf Weiteres ein Mysterium für uns. So richtig wusste keiner, wie die Sache funktioniert. Im Sexualkundeunterricht hatte unsere Lehrerin ausgerechnet an der Stelle aufgehört, wo es interessant wurde. Wahrscheinlich weil sie selbst nicht viel weiter gekommen war, spekulierten wir.

Einzig Gossenpoet Charles Bukowski schien zu wissen, wie der Hase läuft. »Und dann steckte ich ihn rein«, hieß es bei ihm kurz und knapp. Das war selbst mir etwas zu unromantisch.

Bis auf gelegentliche Knutschereien hatte ich in der Liebe jedenfalls keine nennenswerten Erfolge zu verzeichnen. Meine erste Packung Kondome liegt wahrscheinlich noch heute irgendwo auf dem Dachboden meiner Eltern herum. Falls ich vor dem achtzehnten Lebensjahr keinen Sex haben würde, nahm ich mir vor, entweder zu einer Prostituierten zu gehen oder Pfarrer zu werden.

Die wahre Lektion zum Thema Sex lernte ich erst später. Wie bei jedem explosiven Gemisch sind die einzelnen Ingredienzen für sich allein ganz harmlos. Erst wenn beim Sex die Liebe dazukommt, fliegt einem alles um die Ohren.

Um Sex zu haben, sollte man erst lernen, die Frauen zu lieben. Sie haben nämlich nicht die geringste Lust, sich als Verkehrsübungsplatz missbrauchen zu lassen. Nachdem ich meine Pickel einigermaßen im Griff hatte, sah ich Licht am Ende des Tunnels. Besser noch als das erste Mal war es, die ganze Nacht eng umschlungen mit einer Frau zu verbringen. Oder den nächsten Morgen neben ihr aufzuwachen. Oder später ihr Parfüm auf dem Kopfkissen zu riechen. Oder sich auf das nächste Mal freuen zu können. »Sex ist die einzige Entschädigung, die wir erhalten, nachdem wir aus dem Paradies unserer Kindheit vertrieben wurden«, schrieb Alberto Moravia einst. Wie wahr!

Grund Nr. 4 (mit 40)

Weil man endlich einen Sexualpartner länger als drei Monate haben möchte

Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment.« Auch wenn vieles an der sexuellen Revolution gut war, dieser dumme Spruch gehört eindeutig in den Mülleimer der Geschichte. Eine ganze Generation ist mit diesem Motto im Hinterkopf aufgewachsen. Glücklich hat sie ein reges Sexualleben nicht gemacht. Allerdings hatte sie beim Therapeuten die spannenderen Geschichten zu erzählen. Möchte man wirklich jede Nacht mit einer anderen Frau schlafen? Wer diese Frage mit einem Ja beantwortet, ist definitiv NICHT erwachsen.

Heute ist es wesentlich einfacher, einen One-Night-Stand zu finden als einen Kandidaten für eine ernsthafte Beziehung. Gerade das Internet macht es uns leicht, per Mausklick an einen neuen Sexualpartner zu kommen.

Es gab eine Zeit, in der all meine Beziehungen höchstens drei Monate dauerten. Denn nach meiner Schätzung klingt genau dann die heiße Phase der Verliebtheit ab. Ich war damals Experte im Beenden von Beziehungen. Ein guter Grund, jemandem den Laufpass zu geben, findet sich immer. Wenn man geschickt ist, kann man es sogar so drehen, dass sein Gegenüber das Gefühl hat, selbst Schluss gemacht zu haben.

Ich fand es reizvoll, nur die Sahnestücke vom Beziehungskuchen zu kosten. Fliegendes Geschirr, Eifersuchtsszenen oder tränenreiche Versöhnungen – all das blieb mir erspart. Dabei sind es genau diese Dinge, die uns weiterbringen. Um erwachsen zu werden, brauchen wir einen Menschen, mit dem wir uns auseinandersetzen. Nur so können wir lernen, den Beziehungsalltag zu meistern. Verliebtheit ist leider nur ein kleiner Teil des Beziehungsgeflechts. Wer das früh begreift, ist klar im Vorteil.

Als mir schließlich die wahre Liebe über den Weg lief, schaffte ich es nicht, sie zu halten. Ich hatte ja nicht gelernt, wie man eine dauerhafte Beziehung führt. Zum Glück gab es Taschentücher.

Wenn ich heute Menschen jenseits der Vierzig sehe, die sich von einer Bettgeschichte in die nächste stürzen, beneide ich sie nicht. Denn ich weiß, wie sie sich fühlen, wenn sie am Heiligabend allein unterm Mistelzweig sitzen.

Grund Nr. 5 (mit 14)

Weil man nicht mehr zur Schule gehen will

In meinen schlimmsten Alpträumen wandle ich auf der Suche nach meinem Klassenzimmer durch die langen Korridore meiner alten Grundschule. Nur ist das Schulgebäude verlassen. Bloß die Jacken der Schüler hängen an den Kleiderhaken. Dann, plötzlich, schrillt die Pausenglocke, und ich werde von einer aus dem Nichts auftauchenden riesigen Horde lärmender Schulkinder überrannt. Meist wache ich dann schweißgebadet auf. Das ist noch der angenehmste Traum in Sachen Schule.

Heute kann ich mit Gewissheit sagen: Die Schule war ein einziger Betrug! Das fing schon mit der Schultüte an, die nur stinknormale Schokolade enthielt statt der ersehnten Actionfigur Big Jim. Zur Einschulung hörten wir ein Lied mit dem tiefsinnigen Refrain »Miehle, mahle, muhle, wir gehen jetzt zur Schule«. Da ahnte ich bereits, dass nun schlechte Zeiten anbrachen …

So ging es munter weiter. Der Lehrkörper bestand entweder aus kauzigen Veteranen, die wahrscheinlich schon Hitler unterrichtet hatten, oder aus idealistischen Blumenkindern, die sich innerhalb eines Schuljahres in desillusionierte Zyniker verwandelten, die nur noch Dienst nach Vorschrift schoben. Oft lernten wir Dinge, von denen ich dachte, dass ich sie nie im Leben brauchen würde – und ich hatte recht! Nicht nur, dass wir bei schönstem Sommerwetter in einem muffigen Klassenzimmer unserer besten Jahre beraubt wurden, wir mussten auch noch irrwitzige Theorien wie die Mengenlehre büffeln!

Meine einzigen Waffen im Kampf gegen diese himmelschreiende Ungerechtigkeit waren exzessives Schulschwänzen und die Simulation aller mir bekannten Kinderkrankheiten. In der Schule und im Krieg ist schließlich alles erlaubt. Mein Sportlehrer war zum Beispiel früher Offizier bei der Bundeswehr und verhielt sich, als wäre der Sportplatz sein privater Truppenübungsplatz. Da ich schon früh überzeugter Pazifist war, schwänzte ich den Unterricht und ließ ihn ein ganzes Jahr ohne mich herumbrüllen.

Es war jedoch nicht alles schlecht: Oft zeigte meine hübsche Englischlehrerin viel Bein, wenn sie mit ihrem Wickelrock auf dem Pult saß. Ein späterer Klassenlehrer holte dagegen seine Klampfe raus, wenn er von guter Laune überwältigt wurde. Er hatte schon ein schweres Leben, denn die Schule lag sozusagen in der Bronx meines verschlafenen Städtchens. Es gab Schüler, die durch die vielen Prügeleien auf dem Pausenhof bereits etwas langsam im Kopf waren. Deswegen trugen manche Lehrer ihre bloße Verachtung unverhohlen zur Schau. Wahrscheinlich sahen sie die meisten von uns ohnehin als Klebstoff schnüffelnde, transsexuelle Busfahrer enden.

Meine Mitschüler waren leider auch nicht besser. Jeans von C&A oder ein uncooles Fahrrad genügten, um zur Persona non grata abgestempelt zu werden.

»Die Unendlichkeit kann ganz schön lang sein, besonders gegen Ende hin«, sagte Woody Allen einmal. Genauso fühlte sich meine Schulzeit an. Dann, ganz plötzlich, war sie vorbei, wie eine besonders hartnäckige Geschlechtskrankheit.

Was hatte ich in diesen Jahren gelernt? Dass aus netten Kindern langweilige Erwachsene werden. Die Bedeutung von Herdenmentalität, Intoleranz und Selbstverleugnung sowie die schlichte Erkenntnis, dass die größten Dummbatzen nicht nur den Schulhof regieren, sondern später auch die Erwachsenenwelt, … und wie man aus Sperrholz ein Vogelhäuschen baut.

Grund Nr. 6 (mit 40)

Weil man den Schulabschluss nachholen möchte

Ein weiser Mann sagte einmal, dass Armut und Jugend eine Komödie ergäben, während Armut und Alter zur Tragödie würden. Die Vorstellung, die Schule zu schmeißen, um als Drummer in einer Punkband durch die Lande zu tingeln, ist in jungen Jahren noch ganz reizvoll. Falls es wider Erwarten doch nicht zur Weltkarriere reicht, steht immer noch ein Job bei McDonald’s in Aussicht. Etwas Besseres wird man kaum bekommen, denn die guten Stellen gehen nun mal an Leute mit Schulabschluss.

»Die Quelle des Wissens ist vorhanden. Es liegt an Ihnen, davon zu trinken«, dozierte einer meiner Lehrer gern. Manchmal ist diese Quelle jedoch durch inkompetente Pädagogen vergiftet. Statt einen zu Höchstleistungen zu motivieren, verleiden sie einem den Unterrichtsstoff für alle Zeiten.

Mein Mathelehrer zum Beispiel hielt alle Leute, die Schwierigkeiten mit Zahlen hatten, schlicht für blöde. »Wer die Mathematik nicht beherrscht, gehört auf eine Sonderschule, weil er nicht logisch denken kann«, lautete einer seiner Standardsprüche.

Es gibt viele unter uns, die nie die Chance hatten, sich zu qualifizieren. Kinder aus der sozialen Unterschicht zum Beispiel oder junge Frauen, die »später ja sowieso heiraten«. Als Kind war man dagegen machtlos. Als Erwachsener nicht.

Deshalb sind Klassentreffen auch so interessant. Viele vermeintliche Schulversager laufen erst später zur Höchstform auf. Einer der größten Härtefälle meiner Klasse besitzt heute eine gut laufende Medienagentur in Hamburg. Dabei verbrachte er den Großteil seiner Schulzeit im Wartezimmer des Rektors.

Lieblose Eltern und desinteressierte Lehrer können ein Leben zerschmettern, bevor es richtig angefangen hat. Ist es nicht traurig, wenn eine Frau, die das Zeug zur Nobelpreisträgerin hat, ihr Leben bei Karstadt hinter der Käsetheke fristet? Als Erwachsener hat man zum Glück immer die Chance, Dinge, die in der Kindheit schiefgelaufen sind, zu korrigieren. Man muss nur erwachsen genug sein, um dies zu erkennen.

Grund Nr. 7 (mit 14)

Weil man endlich eigenes Geld haben möchte

Ist es nicht schlimm, dass sich alles ums Geld dreht? Das fängt schon ganz früh an. Wir wollen die Barbie mit dem tollen Kleid, Comics, leckere Süßigkeiten und, und, und … Und das sind noch die bescheidenen Wünsche.

Wenn man dann endlich sein erstes Geld verdient hat, verlangen die Eltern auch noch, man solle es gut anlegen. Nix da! Mein erstes Geld wurde sofort in eine Gitarre investiert. Ein billiges Teil aus dem Quelle-Katalog, das einen Klang hatte wie ein nasser Pappkarton. Trotzdem war ich selig.

Als kleines Kind ist es nicht schlimm, kein Geld zu haben. Im Teenageralter ist es jedoch ein unhaltbarer Zustand. Spätestens wenn der Schulkamerad aus gutbetuchtem Haus mit dem Porsche vorfährt, wird der Leidensdruck übermächtig.

Schon davor ist es schwer, mitzuhalten. Seltsamerweise verfügen viele Kinder über enorme Ressourcen. Wer nicht die neuesten Designerklamotten trägt, endet leicht als verbitterter Außenseiter. Besonders die Kinder von geschiedenen Eltern kassieren oft ein doppeltes Taschengeld. Wer es da nicht schafft, die Ehe seiner eigenen Eltern zum Scheitern zu bringen, schaut finanziell in die Röhre. Dann kann nur noch ein Nebenjob helfen.

Mit zwölf begann ich, Plakate für einen Supermarkt zu malen, da ich eine schöne Schrift hatte. Es war schon komisch, das Wort »Damenschlüpfer« in riesigen Lettern auf eine Reklametafel zu malen, während alle Kunden des Ladens zuschauten – aber was macht man nicht alles für Geld!

In diesen Jahren merkt man auch, wie unterschiedlich stark der Wunsch nach dem schnöden Mammon in uns ausgeprägt ist. Während einige von uns gewillt sind, des Geldes wegen eine verhasste Laufbahn einzuschlagen, wählen andere einen interessanten, aber letztlich schlecht bezahlten Job. Was davon ist nun erwachsen? Ich kann dies offen gesagt nicht beantworten.

Was ich jedoch nie vergessen habe, ist das Gefühl, mein erstes selbst verdientes Geld in der Brieftasche herumzutragen. Inzwischen ist die Brieftasche sogar etwas voller. All die Wünsche, die ich als kleines Kind hatte, könnte ich mir nun problemlos erfüllen: eine Spider-Man-Komplettsammlung, ein rotes Fahrrad, etliche Tafeln weißer Knusperschokolade. Dennoch tue ich es nicht, denn ich bin ja erwachsen. Nur eines Tages lege ich mir vielleicht doch noch eine elektrische Eisenbahn zu!

Grund Nr. 8 (mit 40)

Weil man endlich keine Schulden mehr haben möchte

Der durchschnittliche Schuldner steht mit 37.000 Euro in der Kreide. Singles, Arbeitslose und alleinerziehende Mütter sind besonders betroffen. Die hinterlistige Werbeindustrie macht es einem aber auch nicht leicht. Fast alles bekommt man in »bequemen Ratenzahlungen«. Für den Rest gibt es Kredite und Hypotheken. Den Härtefällen werden Darlehen angeboten, die ihnen helfen sollen, bereits existierende Schulden abzuzahlen. Nur wer halbwegs erwachsen ist, erkennt, wann er über den Tisch gezogen wird.

Meist beginnt das Drama bereits im Teenageralter. Der Sohn einer Freundin war bereits vor seinem 18. Geburtstag hoch verschuldet. Das meiste davon verdankte er den endlosen Handygesprächen mit seiner Freundin. Natürlich sollte auch das erste Auto standesgemäß sein, von der ersten Wohnung ganz zu schweigen. Meist springen die Eltern ein, um ihre Kinder aus dem Schuldensumpf zu ziehen. Blöd ist nur, wenn man mit vierzig noch immer seine Lektion nicht gelernt hat.

Früher gab ich als Berufswunsch gern Millionär an. In alten Filmen gab es immer einen Millionär, der eine Luxusjacht, einen Rennwagen und eine tolle Villa hatte. Die meiste Zeit lungerte dieser Glückspilz auf Tennisplätzen und an Swimmingpools herum. In meiner kindlichen Einfalt dachte ich, so etwas sei ein ganz normaler Job, wie Opa, Weihnachtsmann und Westernheld. Als ich herausfand, dass es für diesen Beruf keine Ausbildungsplätze gibt, war die Enttäuschung groß.

Als ich älter wurde, sah ich schließlich ein, dass ich wohl nie zu einer Jacht, einem Rennwagen und einer tollen Villa kommen würde – zumindest nicht auf legalem Wege.

Mein persönliches Schlüsselerlebnis hatte ich, als ich mir in einer finanziell schwierigen Lage ein teures Computerspiel zulegte, von dem ich wusste, dass ich es mir eigentlich nicht erlauben konnte. Bereits in den folgenden Tagen holte mich die Realität ein. Nun hatte ich die Wahl: meine Miete nicht zu zahlen oder mich die nächsten vier Wochen von Toastbrot zu ernähren. Es wurde ein verdammt langer Monat.

Natürlich will ich jetzt nicht behaupten, dass verschuldete Menschen nicht erwachsen sind, aber wer mit seinem Geld nicht haushalten kann, ist zumindest nicht gerade alltagstauglich.

Grund Nr. 9 (mit 14)

Weil man endlich das Rauchen anfangen will

Die Helden meiner Kindheit packten in Krisensituationen erst ihr Schießeisen aus, dann ihre Kippen. Manchmal auch umgekehrt. Am besten gefiel mir Clint Eastwood, der in seiner Rolle als Fremder ohne Namen an dünnen Zigarillos kaute. So etwas sah ziemlich männlich aus, fand ich. Toll fand ich auch Humphrey Bogart, dessen immer präsente Zigarette wohl nur auf operativem Wege zu entfernen war. In der anderen Hand hielt er, falls keine Frau verfügbar war, ein halb gefülltes Whiskyglas. Ich konnte es kaum erwarten, auch so zu sein wie diese Kerle. Nur: Wann immer ich mit der Zigarette im Mundwinkel vor dem Spiegel posierte, sah ich statt eines lässigen Typen nur einen Milchbubi.

In der Schulzeit trafen sich alle Querulanten vor Unterrichtsbeginn in der sogenannten Raucherecke, die zehn Meter vom Pausenhof entfernt war. Dort wurden Glimmstengel ausgetauscht und über den Geschmack des Tabaks philosophiert. Harte Typen wie wir rauchten natürlich Camel, Marlboro und Rothändle. Alles andere war Weiberkram. Die Intellektuellen unter uns bevorzugten dagegen Gauloises. Natürlich hätte keiner von uns den Geschmack dieser Marken auseinanderhalten können. Es ging in erster Linie darum, cool auszusehen. Nun ja.

Meine Eltern duldeten keine Zigaretten im Haus. Um keinen verräterischen Geruch zu hinterlassen, rauchten meine große Schwester und ich selbst bei Eiseskälte heimlich auf dem Balkon. Wahrscheinlich ist Lungenentzündung nach Krebs bei Rauchern die häufigste Todesursache. Wir konnten es kaum erwarten, erwachsen zu werden, um uns zu unserem Laster zu bekennen.

Gerade in der Teenagerzeit ist eine Zigarette unerlässlich. Was fängt man sonst mit seiner Hand an, wenn man an der Tanzfläche steht? Außerdem gab es tolle Gesten, die nur mit einer Zigarette funktionierten. Ganz zu schweigen von der berühmten »Zigarette danach«, die natürlich auch ausgetestet werden muss.

Meine Begeisterung für Tabakwaren begann genau an dem Tag abzunehmen, an dem mir meine Eltern das Rauchen erlaubten. Plötzlich war mir bewusst, dass es vor allem der Reiz des Verbotenen war, der mich lockte. Hätten sie mir bei der Gelegenheit doch auch den Alkohol erlaubt!

Grund Nr. 10 (mit 40)

Weil man endlich das Rauchen aufgeben will

Es gibt einen schönen Spruch über den Kommunismus, der irgendwie auch auf das Rauchen zutrifft: »Wer jung ist und kein Kommunist ist, hat kein Herz. Wer erwachsen ist und immer noch Kommunist ist, hat kein Hirn.«

Rein logisch betrachtet, ist es ganz schön albern, an einem glühenden Papierröhrchen zu saugen, das mit getrockneten Blättern gefüllt ist, um seine Lunge mit giftigen Substanzen zu füllen. Dass der ganze Vorgang Krebs verursacht, wollen wir jetzt mal ganz außer Acht lassen.

Eine Freundin von mir war derartig nikotinsüchtig, dass sie, als ihr die Blättchen ausgingen, anfing, das Telefonbuch zu rauchen. Seitdem weiß ich: Die Gelben Seiten sind zwar nützlich, aber nicht sehr lecker.

Obwohl ich eigentlich recht tolerant bin, war mir dieses Verhalten etwas unheimlich. Eine andere Freundin sollte nach einer Lungenerkrankung mit dem Rauchen aufhören, weil sonst akute Lebensgefahr bestünde. Sie weinte zwar sehr viel, die Zigaretten hat sie jedoch bis heute nicht aufgegeben.

Seltsamerweise bin ich noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, die Nichtraucherin war. Wahrscheinlich sind Menschen mit selbstzerstörerischen Tendenzen einfach interessanter. Ebenso seltsam ist es, dass all diese Frauen davon träumten, das Rauchen aufzugeben. »Ich würde ja gern aufhören, doch dann nehme ich bestimmt fünf Kilo zu«, lautet die Lieblingsausrede aller femininen Suchtopfer. Die weibliche Psyche! Bei der Wahl zwischen Lungenkrebs oder Übergewicht ist Ersteres offenbar das kleinere Übel.

Männliche Raucher sind noch schlimmer. Denn ein leidenschaftlicher Raucher, der immer von der Gefahr des Rauchens für die Gesundheit liest, hört in den meisten Fällen auf – zu lesen.

Es gibt aber auch Ausnahmen. Mein Vater war in seinen jungen Jahren ebenfalls starker Raucher. Nachdem er eine Lungenklinik besucht hatte, war er so schockiert über das Gesehene, dass er sämtliche Aschenbecher und Feuerzeuge in den Müll warf. »Alles andere wäre egoistisch gewesen. Ich hatte schließlich eine Familie zu ernähren«, sagt er heute.

Für die Mehrzahl der Raucher scheint so etwas keine Rolle zu spielen. Die Sucht ist stärker als die Interessen anderer. Der beste Grund, mit dem Rauchen aufzuhören, ist meiner Meinung nach folgender: Wer einen starken Raucher küsst, hat das Gefühl, einen Aschenbecher auszulecken. Schön ist das nicht!

KAPITEL ZWEI

BEZIEHUNGEN

Grund Nr. 11

Weil Händchenhalten plötzlich wieder cool ist

Zu den erfreulichsten Dingen, die man im Stadtpark zu sehen bekommt, gehören alte Paare, die Hand in Hand durchs Grüne schlendern. Es ist schön, die Verbundenheit zu sehen, die durch ein gemeinsames Leben geformt wurde.

Als Kind wäre es dagegen das absolute Todesurteil gewesen, händchenhaltend mit einem Mädchen erwischt zu werden. Mädchen waren schließlich doof. Damals fand ich Darth Vader weitaus anziehender als jedes weibliches Wesen. Mädchenspiele waren total langweilig und endeten meist mit Geheule, wie zum Beispiel, als ich die Haare einer Barbie abfackelte. Dabei wollte ich nur sehen, ob sie brennen.

Die Einsicht, dass Mädchen doch ganz annehmbar waren, verdankte ich Ute, die eines Tages in unsere Nachbarschaft zog. Ute war witzig und sehr frech. Sehr, sehr frech sogar. Das mochte ich. Außerdem hatte sie rote Locken. Da wir den gleichen Schulweg hatten, holte ich sie jeden Morgen ab. War sie mal krank, kam mir der Weg doppelt so lang vor. Ich erinnere mich noch, dass ausgerechnet sie neben mir stand, als wir uns bei einer Schulaufführung an den Händen fassen sollten. Plötzlich war ich so aufgeregt, dass ich ganz feuchte Handflächen bekam.

Was konnte das nur sein?

Ute jedenfalls schien es nicht zu stören. Danach hielt ich auf dem Schulweg öfter ihre Hand.

Es gab jedoch ein paar Jungs in meiner Klasse, die uns auslachten, wenn sie uns so sahen. »Ihr armen Deppen!«, dachte ich nur, während ich schnell meine Hand in die Hosentasche steckte. Trotz solcher Vorfälle war die Zeit mit Ute wunderschön. Damals hatte ich von der Liebe nicht die geringste Ahnung. Doch das war nicht schlimm. Mir reichte es vollkommen, nur ihre Hand zu halten.

Es gibt nichts Schöneres, als frisch verliebt und händchenhaltend durch die Stadt zu spazieren. Schließlich demonstriert man damit der ganzen Welt, dass man zusammengehört. Paare, die so etwas peinlich finden, habe ich nie verstanden. Wer wirklich verliebt ist, dem macht es nichts aus, sich ein wenig lächerlich zu machen. Gerade das gehört zur Liebe dazu. Auch dies ist eine der vielen schönen Seiten des Erwachsenwerdens. Und wenn es wirklich wahre Liebe ist, stört es nicht weiter, wenn einer von beiden feuchte Hände bekommt.

Grund Nr. 12

Weil man einmal im Leben »Lehn dich an mich, Baby!« sagen will

Die profundesten Lebensweisheiten findet man oft in chinesischen Glückskeksen oder deutschen Schlagertexten. Es gibt einen alten Song von Frank Farian, in dem es heißt: »Kopf hoch Baby, lehn dich an mich, es wird schon irgendwie gehen.« Bei diesen Zeilen werden Frauen schwach, denn ganz offensichtlich sprechen sie ein Urbedürfnis an.

Es gibt viele weibliche Wesen in meinem Bekanntenkreis, die immer wieder beklagen, ihnen fehle etwas. Etwas, das sie nur aus Erzählungen ihrer Großmütter kennen. »Ich würde mich so gerne bei jemandem anlehnen, wenn ich schwach bin«, kommt es wie aus einem Munde. Auf den ersten Blick ein simpler Wunsch, der ganz leicht zu erfüllen sein müsste. Ist er aber offenbar nicht.

Sie ist gefrustet, weil sie immer alles allein erledigen muss. Er ist gefrustet, weil er nicht weiß, was sie eigentlich will. Eine alte Leier, aber Mario Barth machte diese Problematik zum Millionär.