111 Gründe, Lehrer zu sein - Dietrich Horn - E-Book

111 Gründe, Lehrer zu sein E-Book

Dietrich Horn

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Beschreibung

In diesem Buch geht es um liebenswerte Eigenheiten und bisweilen wunderliche, aber hilfreiche Persönlichkeitsmerkmale von Lehrern, wie zum Beispiel den Hang zum Gebrauch von Radiergummis und roter Tinte. Es geht um die überraschenden Parallelen zwischen einer Unterrichtsstunde und einem Rolling-Stones-Konzert, um soziale Verantwortung und mehr oder weniger liebenswerte Schüler, Eltern und Kollegen. Darum, warum der Hausmeister der wichtigste Mann in der Schule ist und warum Lehrer gar nicht anders können, als immer alles besser zu wissen. Witzig, hintersinnig und sympathisch erläutert Dietrich von Horn 111 Gründe, Lehrer zu sein und gibt interessante Einblicke in die Lehrerseele. So ist 111 Gründe, Lehrer zu sein das ideale Buch für alle, die Lehrer sind, es mal waren oder noch werden wollen!

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Dietrich von Horn

111 Gründe, Lehrer zu sein

Eine Hommage an den schönsten Beruf der Welt

Wer in der Schule nicht den Verstand verliert,

der hatte nie welchen.

Vorwort

Die Mischung macht’s!

Ach Gott, schon wieder ein Lehrerbuch, werden viele denken. Ja klar, wieder eins, aber ein völlig anderes. Es werden 111 Gründe aufgeführt, Lehrer zu werden oder Lehrer zu sein. Viele davon werden beim Leser das Gefühl erzeugen: Moment mal, da werden ja Gründe genannt, die nun alles andere als erstrebenswert erscheinen, diesen Beruf zu ergreifen oder auszuüben. Frust klingt manchmal an, aber auch viel Lust. Am Ende wird dem Leser klar, dass es die Mischung aus allem ist, die diesen Beruf einzig macht, die ihn zum schönsten und wichtigsten Beruf auf der Welt macht. Noch ein Rat: Lesen Sie nicht alles auf einmal, also am besten häppchenweise.

In den vierzig Jahren meines Berufslebens haben mich immer wieder Schüler, Eltern und Bekannte gefragt, warum ich Lehrer geworden und dabei geblieben bin. Antworten zu finden war nicht schwer. Daher war es ein Leichtes, eine Liste zu füllen, die 111 Gründe anführt, warum man Lehrer werden sollte und warum es so befriedigend ist, Lehrer zu sein.

Beim Ausformulieren der Gründe kamen längst vergessene Erinnerungen hoch, lange vermisste Unterlagen wurden wiederentdeckt. Das gab mir auch beim Schreiben die Möglichkeit, mein ganz persönliches Resümee zu ziehen. Was hatte ich doch für ein Glück, diesen Beruf ergreifen zu dürfen.

Abiturienten, die in der Berufswahl noch nicht festgelegt sind, sollten sich von den 111 Gründen animiert fühlen, ein Lehramtsstudium aufzunehmen. Lehramtsstudenten sollten sich in ihrer Berufswahl bestätigt fühlen. Gestandene Lehrer finden sich hoffentlich in vielen Schilderungen mit dem Gefühl wieder: »Geht mir also nicht alleine so«, und gewesene Lehrer werden sich vielleicht erinnern: »Ach ja, so war’s!«

Natürlich ist dieses Buch unvollkommen, subjektiv, voreingenommen. Ich nehme Haltungen ein, die anderen vielleicht völlig fremd sind. Aber auch das ist das Schöne an diesem Beruf, dass es eben viele Möglichkeiten gibt, ans Ziel zu kommen. Hauptsache, man lebt ihn mit Begeisterung, Herzblut und vor allen Dingen mit Liebe zu den Schülern, um ihnen den ersten lebensnotwendigen Anstoß zum Selbstbewusstsein zu geben, auf dass sie das Leben meistern.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen, und wenn der Leser manchmal zu neuen Erkenntnissen kommt, ihn das Buch etwas nachdenklich macht, dann hat es doch schon viel erreicht. Kritik an der Schule, den Schülern und den Lehrern wird es immer geben.

Wenn nicht, kann etwas nicht stimmen.

Dietrich von Horn

KAPITEL 1

Weil es Spaß macht

GRUND 1

Weil er den schönsten Beruf der Welt hat

Eigentlich gibt es doch nur vier richtige Berufe auf der Welt: Das sind der Pastor, der Bauer, der Arzt und der Lehrer. Nur sie müssen sich mit den wirklichen Dingen des Lebens auseinandersetzen: Wie finde ich mein Seelenheil, wer versorgt mich mit Nahrung, wer heilt mich und wer gibt mir die Bildung, die ich brauche, um im späteren Leben zurechtzukommen? Im Idealfall sollte das funktionieren, aber leider kommt einem immer das Leben dazwischen, also die Unvollkommenheit der Menschen.

Und wenn der Lehrer kein Kindergeschrei mehr abkann, er die Kollegen alle blöde, den Schulleiter inkompetent findet und er beim Tennis nur noch den Punktrichter machen will, dann überlegt er, ob er vielleicht doch ins Altersheim gehen und dort anfangen sollte, Gedichte zu schreiben:

Das Wetter verhieß nichts Gutes.

Es wurde kalt.

Er kletterte auf einen Baum,

wollte ein paar alte Äste herausschneiden.

Da fiel er aus ihm wie ein reifer Apfel.

Er kam noch nicht mal dazu, sich darüber zu freuen,

dass dies ein schöner Tod war.

Seine Frau fand ihn im Laub.

»Immer muss ich alles allein machen«, dachte sie.

Sie ging ins Haus, denn es fing an zu regnen.

Seine Frau bekommt diesen Text in die Hand. Kopfschüttelnd macht sie sich an einen Gegenentwurf.

Das Wetter verhieß viel Gutes.

Es wurde warm.

Er kletterte auf einen Baum,

wollte ein paar Äste herausschneiden.

Da roch er an den Apfelblüten.

Er konnte sich darüber freuen,

dass der Frühling kam.

Seine Frau sah ihn vom Küchenfenster aus.

Laut rufend riss sie ihn aus seiner Glückseligkeit:

»Der Tee ist fertig,

die Äpfel kannst du im Herbst erst pflücken.«

GRUND 2

Weil er sich beim Lesen der Tagespresse wie ein Oberlehrer fühlen darf

Man könnte meinen, dass der Lehrer sich freut, wenn er in der von ihm abonnierten Tageszeitung Fehler entdeckt. Er liebt zwar den »Hohlspiegel« aus dem fast gleichnamigen Wochenmagazin, ärgert sich aber in gleichem Maße über die Laxheiten in seiner Tageszeitung. An Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehler hat er sich immer noch nicht gewöhnt, aber viel mehr ärgern ihn Fakten, die falsch sind. Er ist der festen Überzeugung, dass Zahlen und andere Fakten eine bedeutsame Rolle spielen, wenn es gilt, Überzeugungen zu prägen.

So berichtete eine angesehene Zeitung unter der Überschrift »Größte bekannte Struktur im Universum entdeckt« sinngemäß Folgendes: Die Struktur ist fast 40 Billionen Kilometer lang. Das entspricht einer Strecke, die Licht in vier Milliarden Jahren zurücklegt. Die Entdeckung sei aufregend, weil sie dem Verständnis von der Skala des Kosmos widerspreche, wonach es keine Gebilde geben dürfte, das größer ist als 1,2 Milliarden Lichtjahre.

Über »das größer ist« statt »die größer sind« sieht er hinweg. Hat er nicht seinen Schülern immer wieder empfohlen, täglich Zeitung zu lesen. Nachher berufen die sich noch auf deren Rechtschreibung. Viel größer ist der Unmut über den laxen Umgang mit den Zahlen. Wozu hat er seinen Schülern beigebracht, dass das Licht in der Sekunde 300.000 Kilometer zurücklegt. Die Stunde hat 3600 Sekunden. Das wissen sogar seine Schüler. Das multipliziert der Lehrer mit den 24 Stunden des Tages, den 365 Tagen des Jahres und den angeführten 4 Milliarden Jahren. Kommt er doch glatt auf 378 Trillionen Kilometer. Da hat sich der Reporter mal locker um das Milliardenfache geirrt. Wen stört das schon? Vor allem aber: Wer merkt das? Wahrscheinlich nur wieder der Lehrer.

GRUND 3

Weil er die Chance hat, seine Hobbys in der Schule zu etablieren

Die Schule bietet ein weites Feld, neben den vorgeschriebenen -Fächern seine eigenen Hobbys zu etablieren. Der traditionelle Fächer-kanon mit Deutsch, Mathematik, Englisch und Sport wurde im Laufe der letzten Jahre kaum geändert. Seine Freiräume findet der Lehrer in Klassenfahrten, Wahlpflichtkursen, Arbeitsgemeinschaften und der Durchführung von Projekten. Hier kann er sich austoben und seinen Vorlieben zum Wohle der Schüler nachgehen.

Jedes Wochenende im Sommer macht er sich mit seinem VW-Bus, vollgepackt mit seiner Surf-Ausrüstung, auf den Weg an die Ostseeküste. Er verbringt Stunde um Stunde mit der Warterei auf den richtigen Wind. Aber was für ein Lebensgefühl, wenn er dann bei Windstärke sechs über das Wasser gleiten darf. Wenn dann noch die Manöver und Sprünge gelingen, was will man mehr.

Es wäre doch zu schade, dieses Gefühl nicht an seine Schüler weiterzugeben. Die Umsetzung dieses Gedankens erfordert aller-dings taktisches Geschick.

Die erste Phase leitet er ein, indem er im Matheunterricht zur Freude der Schüler manchmal abschweift. Man ist ja nahezu gezwungen, der Klasse zu erklären, was denn die Ausrüstung auf seinem VW-Bus zu bedeuten hat. Schließlich laufen die Schüler jeden Tag über den Lehrerparkplatz. Ein bisschen Schwärmerei darf dann schon mal sein.

Phase zwei ist überschrieben mit »Wir planen eine Klassenfahrt«. Dabei gilt es, das nötige Geschick walten zu lassen. Sollen doch alle Schüler trotz seines undemokratischen Vorgehens das Gefühl haben, dass es ihr ausgesprochener Wunsch ist, nach Neustadt in die Surfschule zu fahren.

Phase drei ist der vorbereitende Elternabend. Da muss der Lehrer sein ganzes pädagogisches Geschick aufbieten, um die Widerstände gegen Kosten und Zielort zu überwinden.

Das gelingt ihm natürlich. Die Klassenfahrt gelingt auch. Bleibt nur noch die Hoffnung, diese Veranstaltung zur ständigen Einrichtung werden zu lassen.

Dem seit Jahren Squash spielenden Lehrer bieten sich ähnliche Chancen. Da gibt es die Wahlpflichtkurse. Sport: Turnen am Schwebebalken, Bewegung im Raum mit dem Medizinball oder Gymnastik nach esoterischer Musik haben dann doch nicht den gleichen Reiz für Schüler wie seine Lieblingssportart. Die Schulleitung wird von dem Angebot überzeugt. Weil überraschend viele Schüler ihr Interesse bekunden, werden die Plätze in der örtlichen Freizeitanlage gebucht. Nicht alle Schüler halten den wöchentlich stattfindenden Kurs durch, aber der größere Teil ist begeistert.

Und wenn er Jahre später von einem Kursteilnehmer besucht wird, gibt es manchmal eine Überraschung. Neben der Berichterstattung der beruflichen Karriere wird die Frage gestellt: »Wissen Sie eigentlich, dass ich immer noch Squash spiele?« Da hat er doch was richtig gemacht!

Dann erinnert sich der Lehrer wieder an die Meinung von Erziehungswissenschaftlern: Spielen ist wichtig.

GRUND 4

Weil er gern Kaffee trinkt

Laut einer Untersuchung konsumieren die circa 700.000 Lehrer in Deutschland 150.000 Liter Kaffee am Vormittag. Kaffee ist nicht gesund, er ist eine Droge. Das weiß der Lehrer, trotzdem trinkt er ihn immer wieder. Ohne ihn kann er gar nicht überleben. Es gibt sogar die Theorie, dass zum Beispiel die DDR nur deshalb zugrunde gegangen ist, weil es dort keinen guten Kaffee für die Lehrer gab.

Der Kaffee des Lehrers muss eine hohe Qualität haben und aus einem Land kommen, wo einem garantiert wird, dass der einfache Arbeiter auch seinen gerechten Lohn bekommt. Also einen Fair-Trade-Kaffee kaufen, der darf dann auch ein bisschen mehr kosten. Gibt’s zwar nicht bei Aldi, aber wenn man sich ein bisschen umhört, dann kriegt man den auch. Der Lehrer hat ein gutes Gefühl und er schmeckt ihm dann ganz einfach besser. Obwohl, wegen des Geschmacks ist der Kaffee wohl nicht das Getränk der Lehrer geworden, eher sind es seine Nebenwirkungen, hervorgerufen durch das Koffein, das angeblich Müdigkeit und Verstimmungen beseitigen und sich positiv auf die Leistungsfähigkeit auswirken soll. Bei moderatem Konsum mag das ja durchaus stimmen, bei Koffeinmissbrauch aber schlägt es genau in die entgegengesetzte Richtung um, der Stresspegel steigt an, man bekommt Herzrasen und läuft hektisch zwischen den Tischen und der Kaffeemaschine hin und her.

Die Kaffeemaschine steht im Abstellraum des Lehrerzimmers. Vier Kaffeemaschinen sind täglich im Einsatz, sie werden bereits vom Lehrer, der morgens als Erster im Lehrerzimmer erscheint, aufgesetzt. Finanziert wird das Ganze durch eine Umlage, die monatlich eingetrieben wird. So steht das Getränk im Übermaß zur Verfügung.

»Was? Du willst schon wieder Geld für Kaffee haben?«

»Was? Der Kaffee ist immer noch nicht durch?«

Kollegien mit Nespresso-Maschinen haben es da einfacher. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Nur gibt es da wieder das Problem des übermäßigen Plastikmülls. Zudem sind die Portionen vergleichsweise teuer. Die Frage nach der richtigen Kaffeemaschine kann da schon mal für schlechte Stimmung sorgen, zumal George Clooney höchstwahrscheinlich nicht persönlich den Kaffee zubereitet.

Es gibt zwei Typen des Kaffeetrinkers. Da ist der Gemütliche, der Genussorientierte, der ganz bedächtig seinen Kaffee zelebriert. Er zieht sich auch bei aller Hektik im Lehrerzimmer in seine Ecke zurück, gibt dem Kaffee Milch und Zucker dazu, rührt das Ganze gemächlich mit einem Löffel um und genießt in vollen Zügen seine Tasse Kaffee. Erst dann ist er wieder bereit, auf die Umwelt zu reagieren.

Dem entgegen steht der hektische, der wirkungsorientierte Trinker, der als Erstes in der Pause zur Kaffeekanne stürmt, sich einen Becher schnappt, ihn fast bis zum Rand vollgießt und in sich reinschüttet. Wenn der Kaffee zu kalt ist, wird er in den Ausguss gespuckt und der Inhalt der Tasse hinterhergeschüttet. Was ist denn das wieder für eine Plörre? Das kann man doch gar nicht trinken.

Musiklehrer erinnern sich des Liedes C-a-f-f-e-e und kommen dann auch noch auf die Idee, das mit dem Schulchor einzuüben.

Ce-a-eff-eff-e-e,

trink nicht so viel Kaffee,

nichts für Kinder ist der Türkentrank,

schwächt die Nerven, macht dich blass und krank.

Sei doch kein Muselmann,

der das nicht lassen kann.

Und der Musiklehrer überlegt, ob er es nicht mal mit seinem Chor in der großen Pause im Lehrerzimmer singen sollte. Er lässt es dann aber doch, denn beim Kaffee versteht der Lehrer keinen Spaß. Was soll das denn? Das soll wohl lustig sein. Das Lied ist ja rassistisch, macht sich lustig über andere Kulturen. Das geht doch gar nicht. Wir haben schon genug Ärger mit andersartigen Kulturen. Und jetzt kommt der noch mit einem solchen Lied. Na ja, Musiklehrer eben, nicht von dieser Welt.

GRUND 5

Weil er auch mal als Beobachter an einem Elternabend teilnehmen kann

Elternabende sind immer eine besondere Herausforderung für den Lehrer. Dort will er souverän sein und auf seine Elternschaft einen guten Eindruck machen. Da ist es dann ganz hilfreich, wenn der Lehrer als Vater einer Tochter auch mal an einem Elternabend der weiterführenden Schule teilnehmen darf, denn ein Lehrer ist immer bereit dazuzulernen. Vielleicht kann er sich ja das eine oder andere abgucken.

Der Elternabend findet im Klassenraum statt. An der Wand hängt ein halb abgerissenes Plakat von Picasso. Die linke Gardine am Fenster ist von der Gardinenstange gerutscht und liegt auf dem schmutzigen Boden. Die Tafel ist verschmiert. Links unten steht, dass der Lehrer X schwul sei. Den Stuhl muss man sich aus einer Ecke holen. Der Klassenlehrer hat zwei Kollegen dabei. Die Mathematiklehrerin berichtet über ihr Projekt, das am Wochenende stattfand und nicht so erfolgreich verlaufen ist, wie sie es sich vorgestellt hatte. Der Geschichtslehrer berichtet über die nächsten Themen und die Anzahl der noch kommenden Tests. Die beiden wollen sich nun verabschieden, da sie wohl jetzt nicht mehr gebraucht werden.

Danach ergreift der Klassenlehrer das Wort und nimmt zum ausgewiesenen Tagesordnungspunkt »Oberstufenreform« Stellung. Die sei aber so kompliziert, dass er sie selbst noch nicht verstanden habe. Zur Beruhigung der Eltern sei aber gesagt, dass die Schüler wie selbstverständlich da reinwachsen werden. Da brauche man keine Angst zu haben.

Der nächste Punkt der Tagesordnung ist der Bericht von der Schulkonferenz. Hierzu kann von seiner Seite leider nichts gesagt werden, da an diesem Tag eine Krankheit seine Teilnahme verhinderte und danach nicht die Zeit war, sich über Inhalte zu informieren. Über was kann man noch reden? Ach ja, zum 8. Mai ist etwas geplant, vielleicht ein Projekt über Probleme, die Kinder hatten, deren Väter als Spätheimkehrer aus dem Krieg kamen. Der Zeitraum dieses Projektes ist noch nicht festgelegt. Es kommt eben auf die Schüler an, vielleicht eine Stunde, einen Tag oder eine Woche. Inhaltlich wird man abwarten müssen, inwieweit die Schüler diese Problematik annehmen und mit Leben füllen können.

Eine Mutter fragt, ob auch ein Praktikum geplant sei. Also, er persönlich ist gegen Praktika, das ist mal wieder so eine Mode. Man muss ja nicht allem modischen Schnickschnack hinterher-laufen. Nein, bei dem Lehrstoff, den ein Gymnasium zu erfüllen hat, sei das aus seiner Sicht im Moment nicht drin. Vor einem Jahr sei mal ein Praktikum in der Kreisstadt durchgeführt worden, aber die Kollegen hätten nur Negatives zu berichten gehabt. Ein Praktikum sei ja auch eher eine Aufgabe der Regionalschule, der Gesamt-schule, der Gemeinschaftsschule, der Hauptschule usw. Diese Schularten belegten sowieso alle Praktikumsplätze, sodass für Gymnasien kein weiterer Platz sei. Aber wenn denn so ein großes Interesse an einem Praktikum bestünde, bleibe es jedem selbst überlassen, das in den Ferien zu absolvieren. Ob noch weitere Fragen seien. Die Frage ist so gestellt, dass man keine Fragen mehr hat.

Nach dem Elternabend geht der beobachtende Lehrer in die nächste Kneipe und bestellt sich ein Bier. Der nächste Elternabend soll im Spätsommer sein. Diese Aussicht verleitet ihn dazu, noch ein Bier zu bestellen. Heute hat er mal gelernt, wie man es nicht machen sollte, und das ist ja auch eine Erkenntnis.

GRUND 6

Weil er schriftliche Rechtfertigungen von Schülern lesen darf

Um eine Sache klären zu können, muss der Lehrer auch mal streng sein und den Schüler auffordern, nachdem sich die Gemüter beruhigt haben, sich zu undurchsichtigen Vorfällen zu äußern:

Bei der Heizung vor der Klasse befand ich mich mit Kai in einem Gespräch, als Jan dazukam. Darauf sprach Kai ihn auf die ständigen Provokationen im Musikunterricht an. Er antwortete darauf: »Hast doch selbst Schuld, kannst dich doch woanders hinsetzen!«

Kai sagte daraufhin: »Beim nächsten Mal sag ich das dem Lehrer, oder ich werde dich schlagen.« Auf diese Äußerung hin wollten die beiden sich schlagen, was sie allerdings dann ließen. Es fielen noch einige kleine Pöbeleien, dann wollte sich Jan hinsetzen. Ich habe mich allerdings immer da hingesetzt, wo er sich hinsetzen wollte. Dann fing er an, mich auf das Gröbste zu beleidigen mit Worten wie: Ossi, Pisser, Arsch, Blödmann.

Daraufhin meinte ich: »Ich bin wohl intelligenter als du!« Jan lachte drüber und meinte: »Du bist so blöd. Das sieht man doch. Du kannst ja noch nicht mal von der Tafel ablesen.«

Daraufhin vergaß ich mich und gab ihm eine Ohrfeige. Jan rannte die Treppen runter und stieß dabei weiter Beschimpfungen aus. Daraufhin stoppte ich ihn im Treppenhaus und schrie ihn an, er möchte mit mir zum Schulleiter gehen, um ihm zu erläutern, was er getan hatte. Dabei brüllte mich Jan mit weiteren Schimpfwörtern an.

Dann packte ich Jan am Kragen und wollte ihn zum Lehrer-zimmer bringen, aber Jan war mit der Wahl meines Weges nicht so sehr einverstanden. Ich sagte zu ihm auch, dass das der kürzeste Weg zum Lehrerzimmer war. Daraufhin fing er wieder an, mich zu beschimpfen: »Von dir lass ich mir gar nichts sagen, ist das klar?« Wobei ich mich erneut vergaß und ihm ein bisschen in die Nieren trat.

Dem Lehrer kommt in den Sinn, diesen Brief mal in der Stunde vorzulesen. Vielleicht versteht der eine oder andere dann, wie Gewalt entsteht und zu was sie führt.

KAPITEL 2