1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée - Victor Hugo - E-Book
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1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée E-Book

Victor Hugo

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Beschreibung

Dieses eBook: "Victor Hugo: 1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. "Dreiundneunzig" (1793) ist ein Roman von Victor Hugo. Er handelt vom Aufstand der Vendée des Jahres 1793 in Frankreich. Der Begriff Aufstand der Vendée (frz. soulèvement de Vendée) bezeichnet den bewaffneten Kampf einer royalistisch-katholisch gesinnten Landbevölkerung der Vendée und benachbarter Départements gegen Repräsentanten und Truppen der Ersten Republik in den Jahren 1793 bis zum Anfang 1796. Victor-Marie Hugo (1802 - 1885) war ein französischer Schriftsteller. Er schrieb zahllose Gedichte sowie Romane und Dramen und betätigte sich als literarischer, aber auch politischer Publizist. Mehrfach war er, als Angehöriger der Pairskammer, Abgeordneter oder Senator, auch direkt politisch aktiv. Während er im deutschen Sprachraum weniger bekannt ist als etwa Molière, Voltaire oder Balzac, gilt er vielen Franzosen als ihr größter Autor überhaupt. Sein Schaffen kann teils der Romantik, teils dem Realismus zugeordnet werden.

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Victor Hugo

1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée

e-artnow, 2013
ISBN 978-80-7484-198-9

Inhaltsverzeichnis

Erster Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Viertes Buch.
Zweiter Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Dritter Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch
Drittes Buch.
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch.

Erster Theil.

Auf hoher See.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch.

Im Wald von La Saudraie.

Inhaltsverzeichnis

Ende Mai 1793 wurde eines der Pariser Bataillone, die unter Santerre in die Bretagne eingerückt waren, zu einem Streifzug durch den schauerlichen Wald von La Saudraie, Bezirk Astillé, kommandirt. Dieses Bataillon war nur dreihundert Mann stark, denn es hatte in jenen harten Kriegszeiten sehr nothgelitten – Zeiten episch heldenhaften Ringens, wo von den sechshundert Freiwilligen des ersten Pariser Bataillons siebenundzwanzig, des zweiten dreiunddreißig und des dritten siebenundfünfzig Mann aus der Argonne und den Schlachten von Valmy und Jemmappes zurückgekehrt waren.

Die Bataillone, die von Paris nach der Vendée abmarschirten, zählten neunhundertundzwölf Mann und führten jedes drei Geschütze. Ihr Zustandekommen war ein sehr rasches gewesen: Den 25. April, also zur Zeit, da Gohier die Justiz und Bouchotte das Kriegswesen leiteten, war vom Stadtbezirk Bon-Conseil der Vorschlag ausgegangen, in die Vendée Freiwilligenbataillone zu entsenden; hierauf hatte ein Mitglied des Stadtraths Namens Lubin Bericht darüber erstattet, und am ersten Mai hatte Santerre bereits zwölftausend Mann nebst einem Bataillon Artillerie und dreißig Feldgeschützen zusammen. Trotz aller Eile war die Art und Weise der Mobilmachung so vorzüglich, daß sie heutzutage der Einteilung der Linienkompagnien zu Grunde gelegt wird; es ist dadurch das frühere numerische Verhältniß zwischen Truppe und Unteroffizieren ein anderes geworden.

Unter dem Datum des 28. April war vom Pariser Stadtrath an die Freiwilligen von Santerre die Ordre ergangen: »Keine Gnade, keinen Pardon!« Ende Mai waren von den zwölftausend Parisern achttausend gefallen.

Das Bataillon, welches im Walde von La Saudraie operirte, rückte sehr behutsam vor. Von Hast keine Spur, ein fortwährendes Spähen nach rechts und links, vor sich hin und rückwärts: »Der Soldat muß ein Auge im Rücken haben«, meinte Kleber. Marschirt wurde schon lang. Wie viel Uhr oder welche Tageszeit es sein mochte, hätte sich schwer bestimmen lassen, denn in einem so urwüchsigen Dickicht weicht ein gewisses abendliches Dämmern auch der hellsten Mittagssonne nicht.

Deshalb drangen die Soldaten so vorsichtig weiter.

Tragische Erinnerungen knüpften sich an diesen Wald: In diesem Gestrüpp hatte, schon im November 1792, der Bürgerkrieg seine Gräuelthaten begonnen; der wilde, hinkende Mousqueton war dieser Baumnacht entstiegen, die nunmehr ein Grab unzähliger Opfer schaudervollsten Mordes, eine Stätte des Entsetzens war; deshalb drangen die Soldaten so vorsichtig weiter in die Tiefen. Und doch blühte Alles rings um sie her und wob sich von allen Seiten zu einer zitternden Mauer von zartbelaubten, kühlfächelnden Zweigen zusammen; hin und wieder schillerte ein Sonnenstrahl in die grünende Finsterniß hinein und auf der Erde dehnte sich ein dichtüppiger Rasenteppich, gestickt und verbrämt mit Schwertlilien, Narcissen, lenzduftigem Safran und jenen kleinen Blumen, die das schöne Wetter ankündigen, und allen Moosgattungen in jeder erdenklichen Form durcheinanderwimmelnd, hier gekrümmt wie eine Raupe und dort gezackt wie ein Stern. Langsamen Schritts und schweigend bahnten sich die Soldaten einen Weg durch das leise auseinandergeschobene Astwerk, indem die Vögelchen über ihren Bajonetten weiterzwitscherten.

Ein fortwährendes Spähen nach rechts und links.

Früher, in friedlichen Zeiten, hatte in den Gebüschen von La Saudraie die »Houiche-ba« florirt, so heißt dort nämlich das nächtliche Jagen auf jene Vögelchen; jetzt wurde nur noch Jagd gemacht auf Menschen.

In diesem Wald gediehen an hochstämmigen Holzarten nur Birke, Buche und Eiche; das ebene, mit Moos und Gras dichtbewachsene Terrain gab keinen Laut von sich unter den Tritten der schreitenden Männer; wenn sich ausnahmsweise ein Fußpfad zeigte, so war's nur auf einer ganz kurzen Strecke; vor lauter Stechpalmen, Schlehdornen, Farrenkräuterstauden, Heuhecheln und Brombeerhecken konnte man einen Menschen auf eine Entfernung von nur zehn Schritten unmöglich gewahr werden.

Ein Reiher oder ein Wasserhuhn, die zuweilen durch die Wipfel hinflatterten, deuteten an, daß ein Sumpf in der Nähe war.

Der Zug bewegte sich auf gut Glück hin immer vorwärts, gespannt und besorgt, Gesuchtes zu finden.

Hin und wieder zeigten abgebrannte oder ausgetretene Stellen, kreuzförmig aufgerichtete Stöcke, blutige Zweige die Spuren menschlichen Aufenthaltes: hier war Menage gekocht, dort Messe gelesen worden, und dort hatte man die Verwundeten gepflegt. Aber die hier ausrasteten, waren verschwunden – wohin? vielleicht schon in weite Ferne; vielleicht auch mochten sie nur wenige Schritte weit mit zielenden Stutzen im Hinterhalt liegen. Einstweilen war der Wald wie ausgestorben. Das Bataillon marschirte mit steigender Vorsicht; Einsamkeit und Mißtrauen halten gleichen Schritt. Weit und breit keine Seele, also ein Grund mehr zur Besorgniß in dieser berüchtigten Einöde; wie nahe lag da die Wahrscheinlichkeit einer listig gestellten Falle.

Dreißig Grenadiere unter der Führung eines Sergeanten gingen in beträchtlicher Entfernung vom Kern des Bataillons als Eclaireurs voraus, mit ihnen die Marketenderin.

Marketenderin schließen sich überhaupt lieber der Avant-Garde an: es ist dies zwar mit Gefahr verbunden, aber man bekommt dabei doch etwas zu sehen, und die Neugierde ist einmal eine der Aeußerungen weiblicher Tapferkeit.

Plötzlich durchzuckte jeden Einzelnen dieses kleinen Vortrabs jener den Jägern wohlbekannte Schauer, wenn sie auf ein Wild gestoßen sind. Mitten aus einem Dickicht heraus hatte man etwas wie ein Aufathmen vernommen, und nun schien es auch, als ob es sich im Laubwerk rührte. Die Soldaten winkten einander zu.

In den Späher-und Lauscherdienst der Eclaireurs braucht kein Offizier einzugreifen; was geschehen soll geschieht schon von selbst. Vor Ablauf einer Minute war die verdächtige Stelle bereits umstellt und ein Kreis von Gewehrläufen darauf gerichtet; von allen Seiten her hatten die Soldaten den dunkeln Mittelpunkt des Dickichts aufs Korn genommen und erwarteten, den Finger am Drücker und den Blick auf das verdächtige Objekt geheftet, nur noch das Kommando des Sergeanten, um einen Kugelregen hinzusenden.

Da, im Moment, wo der Sergeant abfeuern lassen wollte, rief die Marketenderin: Halt!

Da rief die Marketenderin: Halt!

Sie hatte es gewagt, einen Blick durch das Buschwerk zu thun und setzte nun, zu den Soldaten gewendet, hinzu:

– Kameraden, schießt nicht!

Hierauf eilte sie ins Dickicht. Die Uebrigen folgten ihr nach, und wirklich fand sich Jemand in dem Versteck vor.

Mitten im dichtesten Gestrüpp, am Rande einer jener kleinen kreisförmigen Lichtungen, die in den Wäldern durch Kohlenmeier entstehen, welche die Baumwurzeln rundum versengen, saß in einem von Zweigen gebildeten Nest, einer Art Laubkammer, die wie ein Alkoven nach einer Seite hin halb offen stand, ein Weib mit einem Säugling an der Brust und zwei blondlockigen schlafenden Kindern auf dem Schooß.

Das also war der Feind.

– Sie, was thun Sie hier? rief die Marketenderin.

Das Weib blickte von dem Säugling zu ihr auf.

– Sind Sie verrückt, hier so zu sitzen, fuhr die Marketenderin fort, und fügte dann hinzu:

– Nur noch eine Minute, und Sie waren über den Haufen geschossen!

Und zu den Soldaten gewendet, erklärte sie:

– Es ist ein Weib.

– Donnerwetter! so viel sehen wir auch, sagte einer von den Grenadieren.

– In den Wald rennen, um sich über den Haufen schießen zu lassen, begann die Marketenderin von Neuem, ist so was Dummes je dagewesen!

Das Weib, verblüfft und starr vor Bestürzung, glotzte wie im Traum all die Gewehre, Säbel, Bajonette und wilden Gesichter um sich an.

Die beiden Kinder wachten auf und schrieen.

Das eine rief: Mich hungert.

Das andere: Mutter, ich fürchte mich.

Der Säugling trank ruhig weiter.

– Am Gescheutesten bist du dran, sagte die Marketenderin zu ihm.

Die Mutter war vor Entsetzen sprachlos.

– Nur nicht ängstlich, rief ihr der Sergeant zu, wir sind das Bataillon Bonnetrouge.

Das Weib erzitterte am ganzen Leibe und starrte in des Sergeanten hartes Gesicht, von dem eigentlich nur die Brauen, der Schnurrbart und die zwei kohlschwarz glühenden Augen sichtbar waren.

– Vormals das Bataillon von der Croix-Rouge, erläuterte die Marketenderin.

Und der Sergeant fuhr fort:

– Wer bist du, meine Dame?

Immer noch starrte das Weib schaudernd zu ihm hinüber. Sie war jung, blaß, abgezehrt, und trug, wie alle bretonischen Bäuerinnen, nur ganz zerfetzt, die große Kapuze und die mit einer Schnur um den Hals zurückgeschlagene Wolldecke. Mit der Gleichgültigkeit der Verwilderung ließ sie ihren Busen entblößt. Ihre nackten Füße bluteten.

– Es ist eine Arme, sagte der Sergeant.

Und die Marketenderin begann wieder in ihrem soldatisch weiblichen, nur so verstohlen mildanklingenden Ton:

– Wie heißen Sie?

Das Weib stammelte leise, fast unverständlich vor sich hin:

– Michelle Fléchard.

Die Marketenderin fuhr dem Säugling mit ihrer breiten Hand streichelnd über das Köpfchen und fragte:

– Wie alt ist der Käfer?

Da die Mutter keine Antwort gab, wiederholte sie ihre Frage:

– Wie alt das Ding da ist, möcht ich wissen.

– Ach so, sagte nun die Mutter, achtzehn Monate.

– Ei, das ist ja schon altes Eisen, sagte die Marketenderin. Das hat lang genug an der Brust gelegen. Das muß entwöhnt werden. Wollen's mit Suppe füttern.

Die Mutter erholte sich allmälig von ihrem Schrecken. Die zwei wachgewordenen Kleinen waren eher neugierig als ängstlich. Sie staunten die schönen Federbüsche der Soldaten an.

– Ach! sagte die Mutter, sie sind recht hungrig, und setzte dann noch hinzu: Mir ist die Milch ausgegangen.

– Sollen schon was zu essen kriegen, rief der Sergeant ihr zu, und du auch. Aber das ist nicht Alles. Was hast du für politische Gesinnungen?

Das Weib schaute den Sergeanten an, ohne ihm zu antworten.

– Hast du mich nicht verstanden?

Darauf erwiderte sie:

– Ganz klein bin ich ins Kloster gekommen, aber ich habe geheirathet; ich bin keine Klosterfrau geworden. Bei den Schwestern habe ich französisch reden lernen. Unser Dorf ist angezündet worden. Wir sind so schnell davongelaufen, daß ich nicht einmal Schuhe angezogen habe.

– Nach deinen politischen Gesinnungen frage ich.

– Das weiß ich nicht.

– Blos weil es Kundschafterinnen giebt hier herum, fuhr der Sergeant fort. Dergleichen wird von uns mit blauen Bohnen traktirt. Na, so sprich einmal! Eine Zigeunerin bist du doch nicht? Du hast doch ein Vaterland?

– Ich weiß nicht, antwortete sie.

– Was? du weißt nicht, wo deine Heimath ist?

– Ah so, meine Heimath – o doch.

– Nun also, wie heißt dein Vaterland, deine Heimath?

– Die Maierei von Siscoignard in der Gemeinde von Azé.

Jetzt war an den Sergeanten die Reihe gekommen, verblüfft dreinzuschauen. Nachdem er einen Augenblick nachdenklich dagestanden, begann er wieder: – Wie hast du gesagt?

– Siscoignard.

– Das ist aber noch immer kein Vaterland, so ein Nest.

– Aber so heißt meine Heimath, sagte die Frau, schien dann eine Minute lang über etwas nachzusinnen, und fügte schließlich hinzu:

– Nun versteh ich's, mein Herr: Sie sind aus Frankreich; ich bin aus der Bretagne.

– Und was weiter?

– Ja, das ist nicht die nämliche Heimath.

– Aber das nämliche Vaterland! schrie der Sergeant.

Die Frau erwiderte hierauf nur:

– Ich bin aus Siscoignard.

– Gut; lassen wir's gelten, dein Siscoignard, entgegnete der Sergeant. Dort ist also deine Familie her?

– Ja.

– Und was treiben sie, die Leute?

– Sie sind alle gestorben. Ich habe niemand mehr.

Der Sergeant, der sich nicht ganz ungern reden hörte, inquirirte weiter:

– Eltern hat man doch, zum Teufel! oder hat sie gehabt. Wer bist du? Heraus mit der Sprache!

Das Weib lauschte in dumpfem Staunen den drei Worten »hat sie gehabt«, die schon mehr wie ein Niesen als wie eine menschliche Rede klangen.

Die Marketenderin fühlte das Bedürfniß, sich ins Mittel zu legen. Sie begann abermals den Säugling zu streicheln und klopfte den zwei anderen Kindern auf die Backen.

– Wie heißt der Milchegel da? fragte sie. Aber nein, es ist offenbar ein Mädel.

– Georgette, antwortete die Mutter.

– Und der Aelteste? denn der wenigstens ist doch ein Mannsbild, der Schlingel dort.

– René-Jean.

– Und der Jüngere, der ja auch ein Mannsbild ist und noch dazu zwei Backen hat wie ein Trompeter?

– Das ist mein Dicker, Alain.

– Nett sind sie, die kleinen Kerle, sagte die Marketenderin; das stolzirt euch schon so einher wie etwas Vernünftiges.

Der Sergeant aber ließ nicht ab:

– Heraus jetzt mit der Sprache, meine Dame! Hast du ein Haus?

– Ich habe eins gehabt.

– Wo?

– In Azé.

– Und warum bist du nicht mehr in diesem Haus?

– Weil man mir's verbrannt hat.

– Wer?

– Ich weiß nicht – so eine Schlacht eben.

– Woher kommst du?

– Von dort drüben her.

– Wohin gehst du?

– Ich weiß nicht.

– Zur Sache endlich: Wer bist du?

– Ich weiß nicht.

– Was, du weißt nicht, wer du bist?

– Wir sind eben Leute, die sich flüchten.

– Mit welcher Partei hältst du's?

– Ich weiß nicht.

– Stehst du zu den Blauen oder stehst du zu den Weißen? Zu wem stehst du?

– Zu meinen Kindern steh ich.

Es entstand eine Stille; dann sagte die Marketenderin:

– Ich habe nie eins gehabt, ein Kind: ich war immer so in Eile.

– Aber von deinen Eltern weißt du doch etwas? hob der Sergeant wieder an. Heraus damit, meine Dame: wie war's mit deinen Eltern bestellt? Ich heiße Radoub; ich bin Sergeant; ich stamme aus der Straße Cherche-Midi wie mein Vater und meine Mutter; ich kann von meinen Eltern erzählen. Erzähle du uns von den Deinigen. Sage uns, was das für Leute gewesen sind.

– Fléchard nannten sie sich. Weiter ists nichts mit ihnen.

– Allerdings, ein Fléchard heißt Fléchard, gerade wie ein Radoub Radoub heißt. Aber man treibt doch irgend ein Gewerbe? Womit haben sie sich beschäftigt? Womit beschäftigen sie sich? Wie haben sie sich durch die Existenz fléchardirt, deine Fléchards?

– Sie waren Bauersleute. Mein Vater war verstümmelt und arbeitsunfähig von wegen der Stockprügel, die der gnädige Herr, sein und unser gnädiger Herr, ihm hatte geben lassen, was noch aus Güte geschah, weil mein Vater ein Kaninchen weggenommen hatte, weswegen man zum Tod verurtheilt wurde; aber der gnädige Herr war barmherzig gewesen und hatte gesagt: Gebt ihm bloß hundert Stockprügel; und so ist mein Vater ein Krüppel geworden.

– Weiter.

– Mein Großvater war ein Hugenott. Der hochwürdige Herr Pfarrer hat ihn auf eine Galeere schicken lassen. Ich war noch ganz klein.

– Weiter.

– Meines Mannes Vater war ein Salzschmuggler. Der König hat ihn erhängen lassen.

– Und dein Mann, was treibt der?

– Dieser Tage hat er sich geschlagen.

– Für wen?

– Für den König.

– Weiter.

– Nun ja, und für seinen gnädigen Herrn.

– Weiter.

– Nun ja, und für den hochwürdigen Herrn Pfarrer.

– Himmelherrgottsakramentsochsen! platzte ein Grenadier heraus.

Das Weib fuhr vor Entsetzen in die Höhe.

– Sie sehen, werthe Frau, daß wir echte Pariser sind, sagte die Marketenderin verbindlich.

Das Weib faltete die Hände und rief:

– Jesus, Maria und Joseph!

– Nur keine abergläubischen Faxen, ermahnte sie der Sergeant.

Die Marketenderin setzte sich neben sie und zog den ältesten Knaben zu sich her, der es auch gern geschehen ließ. Kinder beruhigen sich gerade so, wie sie erschrecken: man weiß nicht weshalb; sie haben einen geheimnißvollen innerlichen Tastsinn.

– Sie arme gute Frau vom Land, Sie haben da ein nett Paar Rangen; das ist immerhin etwas. Man sieht ihnen ihr Alter an: der Größere geht ins fünfte Jahr, der Andere ins vierte. Aber das muß ich sagen, der Wurm, den Sie an der Brust haben, ist ein verteufelter Vielfraß. O du kleines Ungeheuer, ob du wohl aufhören wirst, deine Mama so abzugrasen!

Wissen Sie Frau, Sie müssen keine Furcht haben. Eigentlich sollten Sie sich ins Bataillon aufnehmen lassen und es machen wie ich. Mich heißen sie die Husarin; ein Spitzname, was? Aber lieber will ich so heißen als Mamsell Bicorneau wie meine Mutter. Ich bin die Marketenderin, heißt so viel wie eine Person, welche Erfrischungen herumreicht, wenn man sich zusammenkartätscht und abschlachtet, wenn der Teufel los ist, was? Wir haben ungefähr den gleichen Fuß; ich werde Ihnen ein Paar von meinen Schuhen geben. Ich habe den 10. August mitgemacht zu Paris. Westermann hat von meinem Schnaps getrunken. Ich habe auch Ludwig XVI., das heißt Ludwig Capet köpfen sehen. Er wollte nicht dran; ist auch ganz begreiflich; wenn man bedenkt, daß er am 13. Januar noch Kastanien gebraten hat und gelacht mit seiner Familie! Als man ihn mit Gewalt auf das Fallbrett legte, wie man's nennt, trug er weder Rock noch Schuhwerk mehr, blos das Hemd, eine gesteppte Weste, eine graue Tuchhose und grauseidene Strümpfe. Der Fiaker, in dem er angefahren kam, war grün angestrichen. Sehen Sie, Sie thäten am besten, mit uns zu gehen; wir sind ein Bataillon von lauter guten Kerlen; Sie wären dann die Marketenderin Nummer zwei; Sie werden den Rummel bald los haben; ich will Ihnen schon zeigen, wie einfach das Geschäft ist: da hat man sein Fäßchen mit der Schelle und geht eben in den Lärm, ins Pelotonfeuer, in die Kanonenschüsse, kurz mitten in die Suppe hinein und ruft: Nun, Kinder, mag Keiner eins trinken? Das ist die ganze Hexerei. Von mir kriegt Jeder einen Schluck, auf Ehre ja, die Weißen wie die Blauen, obschon ich blau bin und das in der Wolle gefärbt; aber trinken dürfen sie Alle; das hat eine trockene Leber, so ein Verwundeter, und dann sucht sich ja der Tod die Leute nicht nach ihrem Glaubensbekenntniß aus. Im Angesicht des Todes sollten die Menschen einander eine Hand geben. Eigentlich ist es etwas Einfältiges, so eine Keilerei.

Kommen Sie nur mit! Wenn ich aus dem Leben muß, können Sie dann das Geschäft fortsetzen.

Ich sehe nur so aus, wissen Sie; im Grunde bin ich ein gutmüthiges Weib und ein braver Kerl; vor mir brauchen Sie sich nicht zu fürchten.

Als die Marketenderin schwieg, murmelte die Arme vor sich hin:

– Unsere Nachbarin hieß Marie-Jeanne und unsere Magd Marie-Claude. Unterdessen belehrte der Sergeant Radoub den einen Grenadier:

– Sei still! Du hast die Frau erschreckt. In Damengesellschaft flucht man nicht.

– Aber, entgegnete der Grenadier, es ist denn doch die reine Seekrankheit für die Intellektualität eines honetten Menschen, wenn man solche chinesische Kaffern sieht, denen der gnädige Herr den Schwiegervater zum Krüppel gehauen, denen der hochwürdige Herr Pfarrer den Großvater ins Zuchthaus, denen der König den Vater an den Galgen gebracht hat, und die sich zuguterletzt noch herumholzen und eine Rebellion anfangen und sich abtakeln lassen für den König, den gnädigen Herrn und den hochwürdigen Herrn Pfarrer!

– Keine Widerreden! rief der Sergeant.

– Man schweigt ja schon, murrte der Grenadier; aber verdrießen darf es Einen, wenn eine so nette Frau wie die sich der Gefahr aussetzt, blos für den Jux eines Pfaffen den Schädel eingeschlagen zu bekommen.

– Mann, sagte der Sergeant, wir sind hier nicht im Club unseres Stadtviertels; darum sei kein Cicero.

Und er wendete sich wieder zu dem Weib: – Aber dein Mann, meine Dame? Was treibt er? Was ist aus ihm geworden?

– Nichts: man hat ihn ja umgebracht.

– Wo denn?

– Im Busch.

– Wann?

– Vor drei Tagen.

– Und wer?

– Ich weiß nicht.

– Was? Du weißt nicht, wer dir deinen Mann umgebracht hat?

– Nein.

– War's ein Blauer oder war's ein Weißer?

– Eine Flintenkugel war's.

– Und vor drei Tagen?

– Ja.

– Wozugegen war's?

– Bei Ernée. Dort ist er gefallen, ja.

– Und du, was treibst du, seitdem du deinen Mann verloren hast?

– Ich trage meine Kinder fort.

– Wohin willst du sie tragen?

– Vorwärts.

– Und wo schläfst du?

– Auf der Erde.

– Und wovon nährst du dich?

– Von nichts.

Der Sergeant machte jene militärische Grimasse, wobei der Schnurrbart bis zur Nasenspitze hinaufgezogen wird:

– Also von nichts?

– Heißt das von Schlehen, von Brombeeren, wenn noch welche vom vergangenen Jahre her übrig geblieben sind, dann auch von Heidelbeeren und von den Schößlingen am Farrenkraut.

– Allerdings gleichbedeutend mit nichts.

Das älteste Kind schien zu verstehen und sagte:

– Mich hungert.

Da zog der Sergeant ein Stück Kommisbrod aus der Tasche und reichte es der Mutter hin. Diese brach das Brod in zwei Theile, die sie den Kindern gab. Gierig fielen die Kleinen darüber her.

– Für sich hat sie nichts behalten, brummte der Sergeant.

– Sie hat eben keine Lust zum Essen, sagte ein Soldat.

– Sie ist eben die Mutter, entgegnete der Sergeant.

Die Kinder hielten inne:

– Trinken! sagte das Eine: – Trinken! wiederholte das Andere.

– Giebt's denn kein Wasser in dem verteufelten Wald? sagte der Sergeant.

Da nahm die Marketenderin den kleinen kupfernen Becher, der neben dem Glöckchen an ihrem Gürtel hing, drehte den Hahn des Fäßchens, das sie querüber an einem Riemen trug, ließ ein paar Tropfen in den Becher rinnen und setzte ihn den Kindern an die Lippen.

Das ältere trank und verzog das Gesicht. Das jüngere spuckte aus.

– Aber es ist doch etwas Gutes, sagte die Marketenderin.

– Ein Schwerenöther? fragte der Sergeant.

– Und noch dazu vom besten. Es sind halt Bauern, antwortete sie, indem sie den Becher auswischte.

Der Sergeant begann abermals:

– So viel steht also fest, meine Dame, daß du davonläufst?

– Ich muß ja wohl.

– Immer querfeldein, so auf gut Glück hin?

– Erst renne ich aus Leibeskräften, dann geh ich nur noch, und nachher fall ich hin.

– Traurige Wirtschaft, das! meinte die Marketenderin.

– Es wird ja gerauft, stammelte das Weib. Ringsum ist Alles eine große Schießerei. Ich weiß nicht, was sie gegen einander haben. Meinen Mann haben sie mir umgebracht. Weiter versteh ich nichts davon.

Der Sergeant stampfte mit seinem Flintenkolben auf die Erde, daß es klirrte: – Ja, ein dummer Krieg, hol mich der Teufel!

– Gestern Nacht, fuhr das Weib fort, haben wir uns in einer Höhlung schlafen gelegt.

– Selb Vieren?

– Selb Vieren.

– Schlafen gelegt?

– Schlafen gelegt.

– Also aufrecht schlafen gelegt, bemerkte der Sergeant. Und zu den Soldaten gewendet:

– Kameraden, sagte er, eine Höhlung heißt in der Sprache dieser Eingeborenen ein alter, hohler, abgestorbener Baum, in den ein Mensch nur hineinschlüpfen kann wie ein Säbel in die Scheide. Aber was ist da zu machen? Es gehört einmal nicht zu den Naturnotwendigkeiten, daß Jeder in Paris geboren wird.

– In einem Baumstamm übernachten! staunte die Marketenderin, und dazu mit drei Kindern!

– Und wenn nun die Heulerei der Kleinen losging, fuhr der Sergeant fort, muß es den Leuten, die ihr Weg vorüberführte und die gar nichts sehen konnten, ganz schnurrig vorgekommen sein, einen Baum »Papa« und »Mama!« schreien zu hören.

– Es ist noch Sommer, gottlob! seufzte das Weib. Und sie starrte zu Boden, in Ergebung, mit dem Staunen der Geschöpfe, die einer Naturgewalt unterliegen.

Schweigend umstanden die Soldaten dieses Elend: eine Wittwe, drei Waisen, auf der Flucht, ausgestoßen, preisgegeben dem ringsum grollenden Krieg, dem Hunger, dem Durst, ohne eine andere Nahrung als das Gras des Feldes, ein anderes Obdach als den freien Himmel. Der Sergeant trat näher und betrachtete den Säugling. Da ließ die Kleine die Mutterbrust los, wendete langsam das Köpfchen um und schaute mit einem Lächeln aus seinen schönen blauen Augen in das unheimlich wilde, struppige, borstige Gesicht, das sich hinbeugte über sie. Der Sergeant richtete sich wieder auf: es rann ihm eine große Thräne längs der Wange herab und blieb wie eine Perle an der Spitze seines Schnurrbarts hängen. Mit fester Stimme sprach er: – Kameraden, aus der ganzen Bescheerung läßt sich schließen, daß dem Bataillon Vaterfreuden bevorstehen. Alles einverstanden? Die drei Kleinen werden an Kindesstatt angenommen.

– Die Republik hoch! riefen die Grenadiere.

– Abgemacht, sagte der Sergeant und streckte beide Arme über die Mutter und die Kleinen aus:

– Hier seht ihr also die Kinder des Bataillons Bonnetrouge.

Die Marketenderin sprang vor Freude in die Höhe und rief:

– Recht so, drei Köpfe unter einer Kappe. Dann drückte sie schluchzend, überschwänglich die arme Wittwe an ihr Herz und sagte:

– Wie doch die Kleine schon so muthwillig dreinschaut!

– Hoch die Republik! ertönte es nochmals aus Aller Mund, und der Sergeant sprach zur Mutter:

– Komm mit, Bürgerin.

Zweites Buch.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.

Die Korvette »Claymore«.

I.

Englisch-französische Mischung.

Inhaltsverzeichnis

Im Frühling 1793, während Frankreich, von allen Seiten her gleichzeitig angegriffen, sich mit einem pathetischen Intermezzo, dem Sturz der Gironde, beschäftigte, trug sich auf der Inselgruppe des Kanals Folgendes zu.

Eines Abends, am 1. Juni, auf Jersey, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, bei nebliger Witterung, die für eine heimliche Abfahrt gerade in Folge ihrer Gefährlichkeit günstig ist, segelte eine Korvette aus der kleinen öden Bucht von Bonnenuit. Das Fahrzeug hatte eine französische Mannschaft an Bord, gehörte jedoch zu der englischen Flottille, die wie ein Vorposten bei der östlichen Spitze der Insel ihre Station hatte. Die englische Flottille stand unter dem Kommando des Fürsten von la Tour-d'Auvergne, aus dem Geschlechte der Bouillon, und auf seinen Befehl war die Korvette mit einem eigenen und dringenden Auftrag detachirt worden.

Diese in Trinity-House unter dem Namen »The Claymore« eingetragene Korvette war scheinbar ein Fracht-, in Wirklichkeit aber ein Kriegsschiff. Trotz ihrem schwerfälligen, friedfertig merkantilen Aussehen, war ihr keineswegs zu trauen, denn bei ihrem Bau hatte man einen Doppelzweck im Auge gehabt: List, um womöglich zu täuschen, und Kraft, um nöthigen Falls zu kämpfen. Für den heutigen Nachtdienst hatte die Ladung des Zwischendecks dreißig kurzen Marinegeschützen von schwerem Kaliber den Platz räumen müssen. In Voraussicht eines Sturmes oder vielmehr um dem Fahrzeug seine harmlose Figur zu belassen, waren dieselben eingezogen, das heißt mit dreifachen Ketten dergestalt nach innen zu festgehalten, daß die Mündungen die überdies zugestopften Lucken kaum berührten; von außen war also nichts sichtbar; auch die Stückpforten waren geblendet, jede Oeffnung geschlossen; kurz die Korvette trug gewissermaßen eine Maske. Die ordonnanzmäßigen Korvetten führen ihre Geschütze nur auf dem Verdeck; dieses Schiff hingegen, für Trug und Ueberfall berechnet, war so gebaut, daß, wie wir bereits wissen, die Batterie nicht auf dem Deck, sondern im Zwischendeck untergebracht war. Obgleich nach einem massiven, gedrungenen Modell konstruirt, war der »Claymore« den Schnellseglern beizuzählen; seine Schale war so fest wie sonst keine zweite in der englischen Marine und im Gefecht blieb seine Leistungsfähigkeit kaum hinter der einer Fregatte zurück, obwohl er an Stelle des Besanmastes einen ungleich kleineren mit einer einfachen Brigantine führte. Von seltenem Scharfsinn zeugte das ausgezeichnete geschweifte Fugenwerk am Steuer, welches auf den Werften von Southampton mit fünfzig Pfund Sterling bezahlt worden war.

Die ausschließlich französische Schiffsmannschaft bestand aus übergelaufenen Matrosen und war von Emigranten befehligt. Unter diesen sorgfältig ausgesuchten Leuten befand sich auch nicht Einer, der nicht ein guter Seemann, ein guter Soldat und ein guter Royalist gewesen wäre; Alle bekannten sie sich zu dem dreifach schwärmerischen Kultus: Schiff, Waffe, König. Behufs einer eventuellen Landung war ihnen ein halbes Bataillon Marinetruppen beigegeben worden. Kapitän der Korvette war der Graf du Boisberthelot, Ritter des Sankt-Ludwigsordens und einer der verdienstvollsten Marineoffiziere des früheren Regime, Lieutenant der Chevalier von La Vieuville, der bei den Gardes-françaises die Kompagnie kommandirt hatte, in welcher Hoche Sergeant gewesen, und Lootse Philipp Gacquoil, der geschickteste Fachmann von ganz Jersey.

Daß das Fahrzeug etwas Außerordentliches vorhatte, unterlag keinem Zweifel, umsomehr als ein Mann an Bord gekommen war, dem man irgend ein Wagniß zutrauen mußte. Es war ein hochgewachsener Greis, rüstig, von aufrechter Haltung und strengen Gesichtszügen; sein Alter genau festzustellen hätte schwer fallen dürfen, da er zugleich bejahrt und doch wieder jung erschien – eine jener Gestalten voller Furchen und voller Kraft, mit weißem Haar auf der Stirn und einem Blitz im Auge, an Körperstärke Vierziger und Achtziger an geistigem Ansehen. Während er die Korvette bestieg, hatte man durch den klaffenden Schlitz seines Schiffermantels wahrnehmen können, daß er sogenannte »Bragou-Bras« oder Pumphosen trug, ferner hohe Stiefel und eine Jacke aus Ziegenfell, das seidengestickte Leder nach außen, das rauhe, borstige Haar nach innen zugekehrt, also ganz wie ein bretonischer Bauer gekleidet war. Jene altmodischen bretonischen Jacken ließen sich auf zweierlei Arten tragen, sowohl an Festtagen wie bei der Arbeit, je nachdem man sie nach der glatten oder der behaarten Seite wendete; so ging man die Woche über im Pelz, am Sonntag in der Stickerei.

Der Bauernanzug dieses Greises war überdies, gleichsam zur Vervollständigung seiner trügerisch beabsichtigten Echtheit, an Knieen und Ellenbogen wie durch langjährigen Gebrauch abgenutzt, und auch der grobe Tuchmantel glich dem heruntergekommenen Erbstück einer Fischerfamilie. Als Kopfbedeckung trug der Mann den Hut von hoher Form mit breiter Krämpe, der, wenn man letztere in der wagerechten Stellung läßt, ländlich aussieht, kriegerisch aber, wenn man sie auf einer Seite vermittelst einer Schnur und Kokarde aufstülpt. Er trug ihn nach Bauernmanier einfach mit hängender Krämpe, ohne Schnur noch Kokarde.

Der Gouverneur der Insel und der Fürst von la Tour-d'Auvergne hatten ihn persönlich an Bord geführt und untergebracht, und der geheime Agent des Prinzen, Gélambre, ein ehemaliger Garde-du-corps des Herrn Grafen von Artois, der schon die Einrichtung der Kajüte selber überwacht hatte, war trotz seinem alten Adel in der Rücksicht und Hochachtung so weit gegangen, dem Greis die Reisetasche nachzutragen. Auch hatte sich Herr von Gélambre, als er das Schiff wieder verließ, vor dem Bauern tief verneigt; Lord Balcarras hatte ihm noch zugerufen: »Glück auf, General!« und der Fürst von la Tour-d'Auvergne: »Lieber Vetter, auf Wiedersehen!«

Herr v. Gélambre hatte sich vor dem Bauern tief verneigt.

»Der Bauer.« So wurde der Passagier auch wirklich gleich nach seinem Erscheinen vom Schiffsvolk in jenen wortkargen Gesprächen bezeichnet, die Seeleute mit einander führen; doch wenn ihnen auch der Schlüssel des Räthsels fehlte, so viel wußten sie immerhin, daß jener Bauer ebensowenig ein Bauer war wie der »Claymore« ein Kauffahrer.

Bei spärlichem Wind ging die Korvette unter Segel, steuerte an Boulay-Bay vorüber und blieb noch eine gute Weile lavirend in Sicht, bis sie, immer mehr zusammenschrumpfend, in der sinkenden Nacht verschwand.

Eine Stunde später schickte Gélambre von seiner Wohnung in Saint-Hélier aus folgende kurze Zeilen via Southampton an den Herrn Grafen von Artois ins Hauptquartier des Herzogs von York: »Königliche Hoheit, die Abfahrt hat soeben stattgefunden. Erfolg gesichert. In acht Tagen steht die ganze Küste in Flammen, von Granville bis Saint-Malo.«

Vier Tage vorher war dem Abgeordneten Prieur vom Marne-Departement, Kommissär des Nationalkonvents bei der Armee von Cherbourg, derzeit in Granville beschäftigt, durch einen geheimen Eilboten und von derselben Hand wie obige Depesche geschrieben, dies Billet zugestellt worden: »Bürger Abgeordneter, den 1. Juni, zur Ebbezeit, wird die Kriegskorvette mit maskirter Batterie »The Claymore« auslaufen, um einen Mann an die französische Küste zu bringen, dessen Personalbeschreibung anbei folgt: hoher Wuchs, alt, Haar weiß, Bauernkleider und Aristokratenhände. Morgen ein Näheres. Er wird am zweiten in der Frühe landen. Alarmiren Sie die Kreuzer, kapern Sie die Korvette, lassen Sie den Mann guillotiniren.«

II.

Ueber Schiff und Passagier Nacht.

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Die Korvette, anstatt südlich gegen Sainte-Catherine zuzusegeln, hatte ihren Kurs nach Norden, dann nach Osten gerichtet und war schließlich resolut zwischen Serk und Jersey in die Meerenge eingedrungen, die man le Passage de la Deroute nennt. Damals gab es weder auf dem einen noch auf dem anderen Ufer einen Leuchtthurm.

Die Sonne war völlig untergegangen und die Nacht dunkler als es sonst im Sommer zu sein pflegt; eine Mondnacht, aber ein Himmel, eher an die Aequinoktial-als an die Sonnenwendezeit erinnernd, so gleichmäßig war er mit schweren Wolken ausgefüttert; demnach konnte, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Mond erst im Untergehen, bei seiner Berührung mit dem Horizont sichtbar werden. Einige Wolken hingen sogar bis auf das Meer herab und bedeckten es mit Nebeln.

Die allseitige Dunkelheit war jedoch günstig. Der Lootse Gacquoil hatte den Plan, Jersey links und Guernesey rechts liegen lassend, nach einer kühnen Durchfahrt zwischen Les Hanois und Les Douvres in irgend eine Bucht an der Küste von Saint-Malo einzulaufen; dieser Weg war zwar weniger kurz als der über Les Minquiers, aber sicherer, da die französischen Kreuzer bis auf weiteren Befehl Ordre hatten, vor Allem die Strecke zwischen Saint-Helier und Granville im Auge zu behalten.

Mit Aufgebot aller Mittel hoffte Gacquoil, unvorhergesehene Zwischenfälle abgerechnet, bei einigermaßen günstigem Wind die französische Küste vor Tagesgrauen zu erreichen.

Bis jetzt ging Alles nach Wunsch; die Korvette war eben an Gros-Nez vorbeigesegelt; das Wetter schien, wie der Seemann sagt, schmollen zu wollen; der Wind wurde stärker und die Wellen bewegter; aber gerade dieser Wind war gut und die See ging hoch, ohne deshalb stürmisch zu sein. Nur bekam bei gewissen Wogenschlägen das Vordertheil des Fahrzeugs etwas zu viel Senkung.

Der »Bauer«, den Lord Balcarras »General« genannt, und zu dem der Fürst von la Tour-d'Auvergne »Lieber Vetter« gesagt, hatte den Matrosenschritt und spazierte ruhig und gravitätisch auf dem Deck auf und nieder. Daß das Schiff heftig hin und hergeworfen wurde, schien er nicht zu bemerken.

Der Bauer spazierte ruhig und gravitätisch auf und nieder.

Von Zeit zu Zeit zog er aus der Tasche seines Wammses ein Schokoladetäfelchen, von dem er ein Stück abbrach und verzehrte: trotz seinem weißen Haar hatte er noch alle seine Zähne. Nur den Kapitän redete er zuweilen leise und bündig an, sonst keine Seele, und dieser hörte ehrerbietig zu, als hielte er eher seinen Passagier als sich selber für den eigentlich Kommandirenden.

Der »Claymore« fuhr nun, in Nebel eingehüllt, sehr geschickt die gedehnte, steile Nordküste von Jersey entlang, dem Lande möglichst nah, wegen der gefürchteten Klippe Pierres de Leeq, die sich in der Mitte der Meerenge zwischen Jersey und Serk befindet. Gacquoil, aufrecht beim Steuer, die Richtung von Grève de Leeq Gros-Nez, Plémont der Reihe nach angebend, ließ die Korvette einigermaßen blindlings, aber mit vollkommener Sicherheit, wie Einer, der zum Haus gehört und das ganze Winkelwerk des Meeres kennt, zwischen all den Verkettungen von Hindernissen einhergleiten. Das Vordertheil des Schiffes hatte kein Licht, aus Furcht vor einem Entdecktwerden in diesen so argwöhnisch überwachten Gegenden. Man wünschte sich zu dem Nebel Glück. Jetzt war man bei La Grande-Etaque, und die Finsterniß so dicht, daß man die ragenden Umrisse des Pinacle kaum zu unterscheiden vermochte. Auf dem Thurm von Saint-Ouen hörte man die zehnte Stunde schlagen, ein Zeichen, daß man immer noch den Wind im Rücken hatte. Die Gunst der Elemente ließ nicht nach; die See ging höher, weil man sich nicht weit von La Corbière bewegte.

Kurz nach Zehn geleiteten der Graf du Boisberthelot und der Chevalier von La Vieuville den »Bauern« nach seiner Kajüte, die keine andere war als die des Kapitäns. Beim Eintreten sagte der Greis mit gedämpfter Stimme: – Sie wissen, meine Herren, das Geheimniß muß gewahrt werden. Kein Wort also, bis die Mine springt. Sie allein kennen hier meinen Namen.

– Wir würden ihn mitnehmen ins Grab, antwortete Boisberthelot.

– Ich für mein Theil, erwiderte der Greis, verschweige ihn, selbst im Angesicht des Todes.

So verabschiedeten sich die Drei.

III.

Adelig-bürgerliche Mischung.

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Der Kapitän und sein Lieutenant stiegen wieder aufs Deck und gingen plaudernd neben einander auf und ab. Sie unterhielten sich offenbar über ihren Passagier. Dies im großen Ganzen ihr Gespräch, das ihnen der Wind vom Mund in die Nacht entführte.

– Es wird sich bald zeigen, ob er der rechte Mann ist, brummte Boisberthelot dem Chevalier halblaut ins Ohr.

– Einstweilen ist er ein Fürst, entgegnete La Vieuville.

– Beinahe.

– Französischer Edelmann, aber bretonischer Fürst.

– Wie die La Trémoille, wie die Rohan.

– Mit denen er auch verschwägert ist.

Boisberthelot begann wieder:

– In Frankreich und in den Galawagen des Königs ist er der Marquis, gerade wie ich Graf bin und Sie Chevalier.

– Eine verschollene Mär, die Galawagen! rief La Vieuville. Jetzt ist der Karren Trumpf.

Nach einer Pause sagte Boisberthelot:

– In Ermangelung eines französischen Fürsten behilft man sich schon mit einem Bretonen.

– Wenn die Tauben nicht mehr gebraten herumfliegen, so .... Nein, wenn kein Adler herumfliegt, begnügt man sich mit einem Raben.

– Ein Geier wäre mir lieber, erwiderte Boisberthelot.

– Allerdings! meinte La Vieuville, ein Schnabel und zwei Klauen.

– Es wird sich ja zeigen.

– Hoffentlich, antwortete La Vieuville, denn zu lang schon thut ein Führer Noth. Ich sage wie Tinténiac: »Nur einen Führer und Patronen!« Sehen Sie, Graf, ich kenne sie so ziemlich, alle möglichen und unmöglichen Führer, die von gestern, die von heut und die von morgen: nicht Einer hat den Soldatenschädel, den wir gerade brauchen. In dieser verteufelten Vendée muß der General auch ein Inquisitor sein; den Feind abhetzen muß er, ihm jede Mühle, den Busch, den Graben, die Erdscholle streitig machen, ihm faule Händel zwischen die Beine werfen, Alles verwerthen, nichts aus den Augen verlieren, viel massakriren, abschrecken, den Schlaf und die Barmherzigkeit davonjagen. Zur Stunde giebt es in jener Armee von Bauern wohl Helden, aber keine Kommandeurs. Von Elbée ist eine Null, Lescure ein kranker Mann, Bonchamps ein Pardonirer: Mitleid dummes Zeug! La Rochejacquelein mag einen prächtigen Infanterielieutenant abgeben; Silz weiß mit der Taktik, aber nicht mit den Nothbehelfen des Freischaarenkriegs umzugehen. Cathelineau ist ein naiver Fuhrmann, Stofflet ein durchtriebener Förster, Bérard ein untauglicher, Boulainvilliers ein lächerlicher, Charette ein abscheulicher Mensch; den Barbier Gaston will ich hier gar nicht erwähnen, denn Sapperlot noch einmal! weshalb liegen wir der Revolution in den Haaren, und was soll uns von den Republikanern unterscheiden, wenn wir den Edelleuten Perrückenmacher als Kommandanten zumuthen?

– Diese Schandrevolution steckt eben auch uns mit an.

– Wie eine Räude – ganz Frankreich.

– Ja, die Räude des dritten Standes, fuhr Boisberthelot fort. Nur England kann uns davon kuriren.

– Und das wird es auch, verlassen Sie sich darauf, Kapitän.

– Einstweilen bleibt's etwas Unappetitliches.

– Und wie! Ueberall Plebs; die Monarchie mit Stofflet, dem Förster des Herrn von Maulevrier als Generalissimus, braucht die Republik um den Portiersohn des Herzogs von Castries, Seine Excellenz Herrn Staatsminister Pache, nicht zu beneiden. Ein sauberes Gegenüber, dieser Vendéer Krieg: auf der einen Seite der Bierbrauer Santerre und auf der andern Gaston, der Haarkünstler.

– Mein lieber La Vieuville, auf diesen Gaston halte ich gewissermaßen etwas. Er hat sich in seinem Rayon von Guéménée nicht übel benommen und dreihundert Blaue ganz hübsch zusammengepfeffert, die zuvor noch ihre eigene Grube graben mußten.

– Recht brav, aber das hätte ich gerade so gut besorgt.

– Ei der Tausend, ich auch.

– Große Kriegsthaten, begann La Vieuville abermals, beanspruchen bei dem, der sie vollbringen soll, Noblesse; sie geziemen den Rittern kurzweg und nicht einem Ritter vom Kamm.

– Und dennoch, entgegnete Boisberthelot, giebt es in jenem dritten Stand anständige Menschen. Da haben Sie zum Beispiel einen gewissen Uhrmacher Joly, vormals Sergeant beim Regiment Flandern: Der Mann geht Ihnen unter die Vendéer und sammelt eine Bande bei der Küste; nun hat er aber einen Sohn, der als Republikaner bei den Blauen dient, während er zu den Weißen hält. Schließlich Zusammenstoß, Gefecht. Der Vater nimmt seinen Sohn gefangen und jagt ihm eine Kugel durch das Hirn.

– Der ist allerdings nicht ohne, sagte La Vieuville.

– Ein monarchischer Brutus, setzte Boisberthelot hinzu.

– Unerträglich bleibt es aber trotz alledem doch, unter dem Kommando eines Coquereau zu stehen, eines Jean-Jean, Moulins, Focart, Bouju oder Chouppes!

– Lieber Chevalier, drüben beim Feind ärgern sie sich genau so. Wir stecken voll geringer Leute und sie voll Adel. Oder meinen Sie, daß die Sansculotten ein Wohlgefallen finden an Bürgergeneralen wie dem Grafen von Canclaux, dem Vicomte von Miranda, dem Vicomte von Beauharnais, dem Grafen von Valence, dem Marquis von Custine, dem Herzog von Biron?

– Ein tolles Durcheinander!

– Und dem Grafen von Chartres nun gar!

– Dem Sohn von Egalité? Apropos, wann wird denn der Vater wohl einmal König?

– Niemals.

– Er rückt dem Throne näher. Seine Verbrechen kommen ihm zu Statten.

– Aber seine Laster gestatten ihm nicht, zu kommen, sagte Boisberthelot. Und nach einer Pause setzte er wieder hinzu:

– Und doch hatte er eine Aussöhnung angestrebt. Er hatte den König besucht. Ich war dabei, in Versailles, wie ihm auf den Rücken gespuckt wurde.

– Von der großen Treppe herab?

– Ja.

– Geschah ihm ganz recht.

– Unter uns nannten wir ihn Philipp, »das liebe Vieh«.Im Französischen Bourbon le Bourbeux, was unter Beibehaltung des Wortspieles im Deutschen nicht wiederzugeben ist.

– Eine Glatze, ein Gesicht voller Beulen, ein Königsmörder – ekelhaft! Und La Vieuville setzte noch hinzu:

– Ich war bei Quessant mit ihm zusammen.

– Auf dem »Saint-Esprit?«

– Ja.

– Wäre er dem Signal gefolgt, das ihm befahl, unter dem Wind des Admiralsschiffs von d'Orvillers zu bleiben, so hätte er die Engländer am Durchbrechen verhindert.

– Gewiß.

– Hat er sich damals wirklich bis zum Kiel hinab verkrochen?

– Das nicht. Aber behaupten muß man es doch, sagte La Vieuville und brach in Lachen aus.

– Dummköpfe giebt's einmal, ergänzte Boisberthelot. Nehmen Sie nur zum Beispiel jenen Boulainvilliers, den Sie soeben erwähnt: ich hab ihn gekannt, hab ihn wirthschaften sehen. Zu Anfang waren die Bauern mit Piken bewaffnet; hatte sich der Mensch wahrhaftig in den Kopf gesetzt, sie auf die Pike abzurichten! Er ließ ihnen Handgriffe einüben: Pike schräg! oder: Schleift die Pike, Spitze herab! Liniensoldaten aus diesen Wilden zu machen, war seine Marotte. Er glaubte, ihnen beibringen zu können, wie man Carrés mit vorgeschobenen Schützen oder hohle Vierecke formirt. Dabei radebrechte er die Kommandosprache von Olims Zeiten, und nannte den Feldwebel noch Rottmeister wie unter Ludwig XIV. Er war förmlich darauf versessen, all die Wilderer zu einem Regiment zusammenzuschweißen; er hatte regelrechte Kompagnien organisirt, deren Sergeanten jeden Abend einen Kreis um ihn bilden mußten, um die Parole und Gegenparole vom Leibkompagnie-Sergeanten des Obersten zu empfangen, der sie dem Leibkompagnie-Sergeanten des Majors zuflüsterte, welcher sie wiederum seinem nächsten Nachbar übermittelte und so von Ohr zu Ohr bis herab zum letzten Mann. Einmal sogar kassirte er einen Offizier, der sich mit bedecktem Haupte erhoben hatte, als ihm der Sergeant die Parole geben sollte. Wie das anschlug, können Sie sich schon vorstellen. Dem Strohkopf ging nicht ein, daß Rüpel rüpelhaft geführt sein wollen, und daß sich aus Waldmenschen keine Kasernenmenschen machen lassen. Ich hab ihn wirthschaften sehen, diesen Boulainvilliers.

Sie thaten ein paar Schritte, Jeder mit eigenen Gedanken beschäftigt. Dann wurde das Gespräch wieder aufgenommen:

– Apropos, bestätigt sich's auch, daß Dampierre gefallen ist?

– Ja wohl, Kapitän.

– Vor Condé?

– Im Lager von Pamars. Eine Kanonenkugel.

Boisbertheloi seufzte.

– Der Graf von Dampierre! Auch Einer von den Unsern, der zu den ihren zählte.

– Er reise glücklich!« sagte La Vieuville.

– Und Mèsdames? wo sind die?

– In Triest.

– Immer noch?

– Immer. Und La Vieuville setzte heftig hinzu:

– O über diese Republik! So viel Verwüstungen um einer Bagatelle willen! Wenn man bedenkt, daß diese Revolution aus einem Defizit von ein paar Millionen herausgewachsen ist! ...

– Kleine Ausgangspunkte niemals unterschätzen, bemerkte Boisberthelot.

– Uns geht doch Alles schief, fuhr La Vieuville fort.

– Leider: La Rouarie ist todt und Du Dresnay versimpelt. Sind das traurige Parteihäupter, diese Bischöfe sammt und sonders, dieser Coucy von La Rochelle und dieser Beaupoil Saint-Aulaire von Poitiers und dieser Mercy von Luçon mit seiner verliebten Frau von l'Eschasserie .....

– Welche eigentlich Servanteau heißt, denn Sie werden ja wissen, Kapitän, daß l'Eschasserie ein Gutsname ist.

– Und dieser falsche Bischof von Agra, der nebenbei Pfarrer ist von Dingsda!

– Von Dol! Er heißt Guillot von Folleville. Hat übrigens Kourage, denn er schlägt sich.

– Priester, wenn wir Soldaten brauchen! Bischöfe, die keine Bischöfe, und Generale, die keine Generale sind! ...

– Nicht wahr, Kapitän, unterbrach La Vieuville, Sie haben doch den »Moniteur« in Ihrer Kajüte?

– Allerdings.

– Was wird denn gegenwärtig in Paris gespielt?

– »Paul und Adele« und »die Höhle«.

– Ins Theater möcht ich wieder einmal.

– Sie werden nicht lang mehr darauf warten, denn in einem Monat sind wir in Paris. Und nachdem er einen Augenblick nachgerechnet, fügte Boisberthelot hinzu: – Allerspätestens. Lord Hood weiß es von Herrn Windham.

– Aber wenn dem so ist, Kapitän, gehen die Dinge gar so schief nicht.

– Am Schnürchen würden sie gehen, nur muß der Krieg in der Bretagne ordentlich geführt werden.

La Vieuville schüttelte den Kopf und fragte dann:

– Kapitän, wird unsere Marine-Infanterie ausgeschifft?

– Wenn es die Beschaffenheit der Küste zuläßt, ja, wonicht, nein. Der Krieg muß je nach Umständen in ein Ding hineinhageln oder hineinschleichen, zumal der Bürgerkrieg, der immer einen Nachschlüssel in der Tasche haben soll. Was geschehen kann, wird geschehen. Die Hauptsache ist und bleibt aber der Chef. Und halb in Gedanken that Boisberthelot die Frage: – La Veuville, was halten Sie von dem Chevalier von Dieuzie?

– Dem Jungen?

– Ja.

– Als Kommandeur?

– Ja.

– Wieder nur ein Taktiker fürs Flachland. Mit dem Busch wird nur der Bauer fertig.

– Dann bleibt Ihnen auch nichts Anderes übrig, als den General Stofflet und den General Cathelineau in Geduld hinzunehmen.

La Vieuville stand eine Minute nachdenklich; dann sagte er:

– Ein Prinz müßte kommen, ein französischer Prinz, ein Prinz von Geblüt, ein echter Prinz.

– Sie meinen? Durchgebrannte Prinzen...

– Fürchten das Feuer – ich weiß schon, Kapitän; man muß aber den aufgerissenen Ochsenaugen der Bauernburschen etwas zu verschlingen geben.

– Lieber Chevalier, unsere Prinzen werden fernbleiben.

– Wir werden uns drein ergeben.

Boisberthelot fuhr sich mit einer mechanischen Geberde über die Stirn, als wolle er einen Gedanken herauspressen, und sagte schließlich:

– Nun versuchen wir's vorläufig mit diesem General.

– Er hat wenigstens einen Namen.

– Glauben Sie, daß er ansprechen wird?

– Wenn er nur nicht ohne ist! antwortete Vieuville.

– Das heißt, entsetzlich, sagte Boisberthelot.

Der Graf und der Chevalier schauten einander an.

– Sie haben den richtigen Ausdruck gefunden, Herr du Boisberthelot: entsetzlich. Das ist es, was Noth thut. In dem Krieg auf's Messer, der gegenwärtig ausgekämpft wird, ist die Blutgier das Zeitgemäße. Die Königsmörder haben Ludwig XVI. das Haupt abgeschlagen; wir wollen dafür den Königsmördern die Glieder vom Leib reißen. Ja, unser General muß die generalgewordene Unerbittlichkeit sein. In Anjou und im oberen Poitou, wo die Führer sich auf die Großmüthigen hinausspielen, wird mit der Stange in der Barmherzigkeit herumgefahren: nichts kommt vom Fleck; im Marais und in der Gegend von Retz ist man entsetzlich: da steckt Alles. Blos weil Charette entsetzlich ist, behauptet er gegen Parrain das Feld. Hyäne wider Hyäne.

Boisberthelot mußte die Antwort schuldig bleiben, denn ein Verzweiflungsschrei schnitt La Vieuville plötzlich die Rede ab, und gleichzeitig erdröhnte etwas, das nichts sonst Gehörtem gleichkam. Beides, der Schrei und dieses Etwas aus den untern Schiffsräumen.

Kapitän und Lieutenant stürzten zum Zwischendeck, vermochten jedoch nicht, in dasselbe einzudringen. Alle Artilleristen stürmten ihnen fassungslos entgegen.

Ein furchtbares Ereigniß hatte stattgefunden.

Das Werkzeug des Krieges.

IV.

Tormentum belli.

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Ein Geschütz der Batterie, ein Vierundzwanzigpfünder, war losgerissen.

Im ganzen Seeleben giebt es vielleicht keinen gleich schrecklichen Moment. Es ist dies das Furchtbarste, was einem Kriegsschiff auf offener See begegnen kann. Ein Geschütz, das seine Bande entzweibricht, verwandelt sich urplötzlich wie in ein übernatürliches Wesen. Die Maschine ist zum Ungeheuer geworden, und diese Masse rollt nun mit den Sprüngen einer Billardkugel auf ihren Rädern umher, seitwärts, wenn das Schiff der Breite nach, vorwärts, wenn es der Länge nach bewegt wird; sie kommt und geht, steht still, als sänne sie über etwas nach, rast dann von Neuem wieder auf und davon, wie ein Pfeil von einem Ende des Fahrzeugs zum andern fliegend: das schlägt Pirouetten und entwischt, schnellt hin und bäumt sich, stößt, schmettert, mordet, vernichtet. Es gleicht einem Sturmbock, der nach Willkür eine Mauer berennt; dabei ist der Sturmbock von Erz und die Mauer von Holz. Es ist, als ob sich die Materie, dieser ewige Sklave, befreit hätte, um Rache zu nehmen, als löse die Bosheit der sogenannten leblosen Dinge sich los und breche plötzlich vor, die Geduld abschüttelnd, dumpf räthselhaft antobend gegen Alles; es giebt nichts Unwiderstehlicheres als solch Wüthen der willenlosen Masse. Der tollgewordene Metallblock vereinigt die Sprungkraft des Panthers mit der Schwerfälligkeit des Elephanten, der Behendigkeit der Maus, der Ausdauer der Axt, der Unberechenbarkeit der Windsbraut, dem Zickzack des Blitzes, der Taubheit der Gruft; er wiegt zehntausend Pfund und hüpft hin und wieder wie der Spielball eines Kindes, in sinnverwirrendem Wechsel zwischen schwindelnden Kreisen und geradwinkligem Abspringen. Und was vermag da der Mensch? Was soll er beginnen? Ein Sturm legt sich, ein Wirbelwind saust vorüber, ein Orkan erlahmt, ein geborstener Mast läßt sich ersetzen, ein Leck verstopfen, eine Feuersbrunst löschen. Wie aber soll man vor dieser kolossalen erzenen Bestie bestehen? wo sie anfassen? Einem Köter kann man zureden, einen Stier stutzig machen, eine Schlange einschläfern, einen Tiger fortschrecken, einen Löwen zähmen; diesem Ungeheuer, dem losgebrochenen Geschütz gegenüber vermag man nichts: man kann es nicht tödten: es ist leblos, und dennoch hat es eine Existenz, eine grausige, von Naturkräften ihm verliehene Existenz: Das Schiff, dessen Fußboden es schaukelt, wird von den Wellen und diese werden von dem Wind in Bewegung erhalten; die Vertilgungsmaschine ist ihr Spielzeug; Schiff, Wellen, Windstöße, Alles greift in einander und haucht ihr eine elementarische Seele ein. Wie ist diesem Causalsystem beizukommen? Wie diesem übermenschlichen Räderwerk des Schiffbruchs Halt zu gebieten? und wie läßt es sich berechnen, dieses abwechselnde Kommen und Gehen, Wiederkehren, Stehenbleiben und Anprallen? Jeder einzelne Stoß gegen die Verkleidung des Fahrzeugs kann sie entzweisprengen. Wie die Ursachen dieses mäandrischen Herumtobens ergründen? Man hat es mit einem Geschoß zu thun, das sich fortwährend eines Bessern zu besinnen, die vermuthete Richtung zu ändern, räthselhafte Absichten zu haben scheint. Kann man etwas aufhalten, dem man ausweichen muß? Die fürchterliche Kanone tummelt sich, stürmt voran, zurück, schlägt nach allen Seiten aus, entwischt, braust vorbei, spottet aller Voraussicht, rennt jedes Hinderniß über den Haufen, zermalmt die Menschen, als wären es Fliegen. Die ganze Entsetzlichkeit der Situation liegt in der Beweglichkeit des Fußbodens: wie läßt sich ankämpfen gegen eine schiefe Fläche, deren Launen ewig wechseln? So ein Fahrzeug trägt gewissermaßen einen Blitz zwischen den Lenden, der aus dem Kerker hinausstrebt, etwas wie ein Donnerschlag, der über einem Erdbeben dahin rollt.

In einer Sekunde war die ganze Mannschaft auf den Beinen. Verschuldet hatte Alles der Stückmeister, der die Schraubenmutter der Kette nicht genug geschlossen und die vier Räder des Geschützes mangelhaft befestigt hatte, wodurch die Schwelle und die Einfassung gelockert, die zwei Scheiben aus dem richtigen Verhältniß gebracht und schließlich die Anhalttaue verschoben worden waren; so ging denn das Stückwerk auseinander, und die Laffette war gelockert. Feste Anhalttaue, die den Rückstoß verhindern, wurden zu jener Zeit noch nicht gebraucht. Als nun eine starke Welle gegen die Stückpforte anprallte, wurde die nachlässig befestigte Kanone zurückgetrieben, die Kette riß, und das verhangnißvolle Rasen durch das Zwischendeck nahm seinen Lauf.

Um sich dieses ungeheuerliche Hingleiten deutlich zu machen, braucht man blos an das Herabrinnen des Tropfens längs einer Fensterscheibe zu denken.

Im Augenblick, wo die Kette riß, waren die Artilleristen im Zwischendeck zugegen, einzeln oder in Gruppen, mit den Vorbereitungen beschäftigt, welche Seeleute für den Fall eines Angriffs zu treffen pflegen. Durch eine Senkung des Schiffes nach vorn ins Rollen gebracht, bohrte die Kanone sich durch all diese Leute hindurch und zermalmte mit einem Ruck vier Mann, dann schnitt sie, durch eine Seitenbewegung des Fahrzeugs aus der Bahn geschleudert, einen fünften Unglücklichen mitten entzwei und rannte gegen Backbord auf ein Geschütz, das sofort von der Laffette stürzte. In diesem Augenblick war der oben vernommene Verzweiflungsschrei ertönt. Alle Artilleristen stürmten die Leitertreppe hinauf, und im Handumdrehen stand das Zwischendeck leer.

Das kolossale Geschütz blieb sich selber überlassen, sein eigener Herr und Herr über das ganze Schiff, das nun seinem Wüthen preisgegeben war. Die Matrosen, lauter Leute, die im Kampfgewühl nur ein Lachen hatten, jetzt standen sie zitternd da, in unbeschreiblichem Entsetzen.

Boisberthelot und La Neuville, sonst die Unerschrockenheit selber, starrten noch immer wortlos, farblos, rathlos vom Treppenrand hinab, als sie sich plötzlich bei Seite geschoben fühlten durch Jemand, der auch sofort ins Zwischendeck hinunterstieg.

Es war ihr Passagier, der »Bauer«, von dem sie eben zuvor gesprochen hatten.

Auf der untersten Sprosse der Leitertreppe stand dieser Mann stille.

V.

Vis et vir.

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Kraft und Mann, hier soviel wie die rohe Naturgewalt gegenüber der schwachen Menschenkraft.

Wie der leibhaftige Wagen aus der Apokalypse fuhr die Kanone im Zwischendeck ab und zu, und der zitternde Schein der Laterne, die unter dem Vordersteven der Batterie hing, umwob die ganze Erscheinung mit einem zwischen Licht und Schatten schwindelnd hin und herwogenden Flimmer. Die Umrisse des Geschützes verschwanden in der Schnelligkeit seiner Flucht; bald huschte es schwarz durch die Helle, bald schimmerte es weißlich durch das Dunkel. Es führte sein Vertilgungswerk immer weiter: vier andere Kanonen hatte es bereits zertrümmert und in die Schiffswand zwei Lücken gebrochen, glücklicherweise über der Wasserlinie, aber doch so, daß bei stärkeren Windstößen die Wellen hineinschlagen mußten. Tollwüthend stürmte es gegen das Fugenwerk an; zwar leisteten die sehr starken Spanten noch Widerstand, denn das Krummholz besitzt eine eigenthümliche Festigkeit; aber man hörte sie unter dieser ungeheuren Keule krachen, die in unfaßlicher Allgegenwart von jeder Seite zugleich auf sie einhieb. Das Schrot, wenn man es in einer Flasche hin und herschüttelt, schlägt nicht toller und unmittelbarer um sich. Immer wieder rasten die vier Räder über die Todten weg und zerschnitten, zerlegten, zerrissen die fünf Leichen in zwanzig herumgeschleuderte Fetzen; die Köpfe schienen noch aufzuschreien, und auf dem Boden folgte ein rieselnder Blutstrom den Schwankungen des Schiffes. Die mehrfach beschädigte Schiffsverkleidung ging bereits auseinander. Und bei alledem fortwährend der dämonische Lärm.

Der Kapitän, der seine Fassung bald wiedergewonnen hatte, ließ durch die Luke Alles ins Zwischendeck hinabwerfen, was den wilden Lauf der Kanone irgendwie hemmen konnte, die Matratzen, die Hängematten, die Segel-und Tauvorräthe, die Säcke der Mannschaft und die Ballen falscher Assignatscheine,Assignaten waren die von der revolutionären Regierung herausgegebenen Banknoten, die massenhaft im Ausland, namentlich in England, nachgemacht und von den Feinden der Republik, besonders den entflohenen Adligen, nach Frankreich geschmuggelt wurden, um die Assignaten zu entwerthen und dadurch den Kredit der Republik zu schädigen. von denen eine ganze Ladung an Bord war, denn diese Niederträchtigkeit hielt man englischerseits für kriegsrechtlich erlaubt. Aber was nützte das Alles, da sich Niemand hinuntertraute, um es so zu ordnen, daß ein Vortheil daraus hätte erwachsen können? Wenige Minuten und das Ganze beinah war zu Charpie zerfetzt.

Die See ging gerade hoch genug, um dem Unheil möglichst Vorschub zu leisten. Ein Sturm wäre noch wünschenswerther gewesen, denn er hätte die Kanone vielleicht umgeworfen, und sobald sie nur einmal nicht mehr auf den Rädern lief, konnte man ihr beikommen. Unterdessen wurden die Verheerungen immer bedrohlicher. Schon waren die Masten, welche, im Balkenwerk des Kiels wurzelnd, durch alle Etagen der Fahrzeuge wie große runde Pfeiler emporragen, stellenweise gesplittert und sogar geborsten. Der Fockmast hatte unter den konvulsivischen Stößen des Geschützes einen Riß bekommen, und selbst der Mittelmast war beschädigt. Die Batterie ging in die Brüche; von dreißig Geschützen waren zehn bereits kampfunfähig. Die Lücken in der Schiffsverkleidung mehrten sich, und das Wasser begann schon einzudringen.

Der alte Passagier unten an der Treppe des Zwischendecks schien zu Stein erstarrt. Regungslos und mit strengem Blick schaute er der Verwüstung zu. Ein Schritt vorwärts schien ein Ding der Unmöglichkeit. Jede Bewegung der entfesselten Kanone rückte den Untergang näher. In kürzester Frist konnte der Schiffbruch nicht mehr abgewendet werden. Sterben oder dem Unheil Halt gebieten, zu etwas mußte man sich aufraffen, aber zu was? Und welch ein ungleicher Kampf! Galt es doch, diesen entsetzlichen, wahnsinnigen Block festzuhalten, mit einem Blitze zu raufen, einen Donnerschlag niederzudonnern.

– Chevalier, fragte Boisberthelot, glauben Sie an Gott?

La Vieuville antwortete: – Ja, heißt das nein, oder zuweilen doch.

– Beim Sturm?

– Ja, und in Augenblicken wie jetzt.

– Uns kann in der That auch nur Gott weiter helfen, sagte Boisberthelot.

Alles schwieg, nur der höllische Lärm der Kanone nicht, und von außen antwortete die andringende Fluth den Schlägen des Geschützes mit den Schlägen ihrer Wellen; es war, als ob zwei Hämmer einander wechselseitig ablösten.

Plötzlich erschien in dem unzugänglichen Raum, wo die ausgerissene Kanone wie in einem Cirkus umhertollte, ein Mann mit einer Eisenstange. Es war der Urheber der Katastrophe, jener Stückmeister, dessen Fahrlässigkeit Alles verschuldet hatte, und der nun, da er den Schaden angerichtet hatte, ihn auch wieder gut machen wollte. Er hatte mit der einen Hand nach einer Nothspake, mit der anderen nach einem geschlungenen Tau gegriffen und war so durch die Luke ins Zwischendeck gesprungen.

Und nun begann ein titanisches Schauspiel: das Ringen der Kanone mit dem Kanonier; eine Schlacht zwischen Materie und Intelligenz, ein Zweikampf zwischen Mensch und Sache.

Der Mann hatte in einer Ecke Posto gefaßt.

Der Mann hatte in einer Ecke Posto gefaßt und wartete, Stange und Tau krampfhaft festhaltend, mit der ganzen Spannkraft seiner Muskeln wie auf zwei ehernen Säulen wider eine Spante gestemmt und im Boden wurzelnd, todtenbleich, in tragischer Ruhe.

Er wartete auf den Moment, wo das Geschütz an ihm vorbeirollen würde.

Der Kanonier war mit seiner Kanone vertraut, und ihn dünkte, auch sie müsse ihn kennen. Hatte er doch schon lange Zeit mit ihr zusammen gelebt und – wie so oft – seinem dienstbaren Ungeheuer die Hand in den Rachen gesteckt. Jetzt redete er sie an, wie der Herr seinen Hund: – Komm her!

Vielleicht war sie ihm lieb geworden. Er schien es zu wünschen, daß sie auf ihn zukommen möge. Aber auf ihn zukommen, hieß so viel, wie über ihn kommen, und dann war er ja verloren; wie konnte er der Zermalmung entgehen? Das war die Frage, und Alle starrten entsetzt auf ihn herab. In jeder Brust stockte der Athem, nur vielleicht in der des Greises nicht, der als finsterer Zeuge bei den zwei Fechtern im Zwischendeck stand. Auch ihn konnte die Kanone zerschmettern. Er rührte sich nicht, und unter den Füßen Aller lenkten die blinden Wellen die Schlacht.

Im Augenblick, wo der Artillerist seine Kanone zum Zweikampf Brust an Brust herausforderte, fügten es die Schwankungen der Fluth zufällig so, daß das Geschütz auf einen Moment wie vor Staunen innehielt: – So komm doch! sagte der Mann.

Es war, als ob ihn das Ding verstünde. Plötzlich sprang es auf ihn zu. Der Mann wich aus, und die unerhörte Schlacht begann: das Zerbrechliche rang mit dem Unverwundbaren, der Thierbändiger von Fleisch und Bein griff die erzene Bestie an, die Seele eine Kraft. Das Alles ging in einem Helldunkel vor sich gleich einem verschwimmenden übernatürlichen Gesicht. Eine Seele! seltsam; es war, als ob auch die Kanone eine hätte, aber eine Seele von lauter Haß und Wuth. Dies blinde Ungeheuer schien Augen zu haben und dem Menschen aufzulauern. Es steckte, wenigstens hätte man es fast glauben mögen, etwas Hinterlistiges in diesem Klumpen. Auch er wartete den günstigen Zeitpunkt ab. Man hätte ihn für ein Rieseninsekt aus Eisen mit oder scheinbar mit der Willenskraft eines Dämons halten können. Stellenweise sprang er, eine kolossale Heuschrecke, bis zur niedrigen Decke der Batterie empor, fiel dann wie der Tiger auf seine Klauen, auf seine vier Räder zurück und machte wieder Jagd auf den Menschen. Dieser, geschmeidig, behend, gewandt, glitt gleich einer Schlange zwischen den züngelnden Blitzen einher. Alle Stöße aber, denen er so flink zu entschlüpfen verstand, trafen das Schiff und setzten die Zerstörung fort.

An der Kanone war ein Stück von der zerrissenen Kette zurückgeblieben und hatte sich, wer kann sagen wie? um die Schraube hinten am Knauf geschlungen, so daß eines der Enden an der Laffete hing, während das andere, freie, in wilden Kreisen um das Geschütz herumflog, zehnmal beweglicher noch als das Geschütz selber. Die Schraube hielt es wie mit geschlossener Hand fest und nun schlug diese Kette, mit zehn Geißelhieben für jeden Hieb des Sturmbocks, in gräßlichem Wirbel um sich, eine eiserne Peitsche in eherner Faust. Dadurch war der Kampf noch schwieriger geworden. Und dennoch kämpfte der Mensch weiter. Hier und da war sogar er der Verfolger. Er schlich mit seiner Stange und seinem Tau längs der Schiffsverkleidung hin, und die Kanone, die ihn zu verstehen und eine Ueberlistung zu befürchten schien, entfloh, hinterher der gewaltige Jäger.