1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée - Victor Hugo - E-Book

1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée E-Book

Victor Hugo

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Beschreibung

In "1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée" entfaltet Victor Hugo ein eindringliches Bild der politischen und sozialen Turbulenzen während der Französischen Revolution. Der Roman schildert den Aufstand der Vendée, eine Tragödie, die nicht nur von blutigem Konflikt geprägt ist, sondern auch von tiefen menschlichen Emotionen und moralischen Dilemmata. Hugos stilistische Virtuosität spiegelt sich in seinem Einsatz von lebhaften Beschreibungen und komplexen Charakterentwicklungen wider, die den Leser in die erschütternde Realität der Zeit eintauchen lassen. Durch historische Genauigkeit und dramatische Spannung gelingt es Hugo, die Schrecken der Terrorherrschaft eindrucksvoll zu vermitteln und gleichzeitig über die Konsequenzen des politischen Extremismus nachzudenken. Victor Hugo, einer der bedeutendsten französischen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, war nicht nur für seine Romane berühmt, sondern auch für sein tiefes politisches Engagement. Durch sein persönliches Erleben der revolutionären Umbrüche und seine Sorge um die soziale Gerechtigkeit erfuhr er eine starke Inspiration, die in diesem Werk ihren Ausdruck findet. Hugos menschlicher Ansatz und seine Unterstützung für die Unterdrückten machen "1793" zu einem unverzichtbaren Teil seines literarischen Schaffens. Ich empfehle "1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée" jedem, der sich für historischen Roman sowie die sozialen und politischen Dynamiken der Französischen Revolution interessiert. Hugos meisterhafte Schilderung der menschlichen Abgründe und der Suche nach Gerechtigkeit eröffnet dem Leser nicht nur Einblicke in eine bewegte Epoche, sondern regt auch zur Reflexion über aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen an. In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen: - Eine prägnante Einführung verortet die zeitlose Anziehungskraft und Themen des Werkes. - Die Synopsis skizziert die Haupthandlung und hebt wichtige Entwicklungen hervor, ohne entscheidende Wendungen zu verraten. - Ein ausführlicher historischer Kontext versetzt Sie in die Ereignisse und Einflüsse der Epoche, die das Schreiben geprägt haben. - Eine Autorenbiografie beleuchtet wichtige Stationen im Leben des Autors und vermittelt die persönlichen Einsichten hinter dem Text. - Eine gründliche Analyse seziert Symbole, Motive und Charakterentwicklungen, um tiefere Bedeutungen offenzulegen. - Reflexionsfragen laden Sie dazu ein, sich persönlich mit den Botschaften des Werkes auseinanderzusetzen und sie mit dem modernen Leben in Verbindung zu bringen. - Sorgfältig ausgewählte unvergessliche Zitate heben Momente literarischer Brillanz hervor. - Interaktive Fußnoten erklären ungewöhnliche Referenzen, historische Anspielungen und veraltete Ausdrücke für eine mühelose, besser informierte Lektüre.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Victor Hugo

1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée

Bereicherte Ausgabe. Chaos, Terror und Aufstand: Ein meisterhafter historischer Roman über die Französische Revolution und den Vendée-Aufstand
In dieser bereicherten Ausgabe haben wir mit großer Sorgfalt zusätzlichen Mehrwert für Ihr Leseerlebnis geschaffen
Bearbeitet und veröffentlicht von Good Press, 2023
EAN 8596547686552

Inhaltsverzeichnis

Einführung
Synopsis
Historischer Kontext
Autorenbiografie
1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée
Analyse
Reflexion
Unvergessliche Zitate
Notizen

Einführung

Inhaltsverzeichnis

Wenn Ideale zu Gesetzen verhärten, wird Menschlichkeit zum Prüfstein der Geschichte. Vor diesem Hintergrund führt Victor Hugo in seinem Roman 1793 die Leserinnen und Leser in ein Jahr äußerster Zuspitzung: Die Revolution ringt mit ihren eigenen Schatten, während ein Land zwischen Hoffnung und Schrecken taumelt. Das Werk stellt die Frage, welche Ethik im Ausnahmezustand trägt, und prüft, wie weit politische Notwendigkeit reichen darf, ohne den Menschen zu verraten. In diesem Spannungsfeld entfaltet sich eine Erzählung von seltener moralischer Dichte, die die Kräfte beleuchtet, die Gesellschaften erneuern – und zerstören können.

Victor Hugo, einer der bedeutendsten Autoren des 19. Jahrhunderts, veröffentlichte seinen Roman 1874 unter dem französischen Originaltitel Quatrevingt-treize. In einigen deutschen Ausgaben erscheint das Werk als 1793 – Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée. Es gilt als Hugos letzter vollendeter Roman und bündelt die literarische Erfahrung eines Lebens, das sich unablässig mit politischer Freiheit, Gerechtigkeit und menschlicher Würde beschäftigte. Seine Stellung im Kanon verdankt es der einzigartigen Verbindung von poetischer Sprache, epischer Weite und einer unerschrockenen Auseinandersetzung mit den Extremen revolutionärer Zeiten.

Entstanden ist das Buch nach Jahrzehnten politischer Umbrüche, die Hugo persönlich erlebt hatte, einschließlich Exil und Rückkehr nach Frankreich. Die Veröffentlichung 1874, in den frühen Jahren der Dritten Republik, verleiht dem Roman besondere Schärfe: Er blickt aus der Distanz der Reife auf das Revolutionsjahr 1793 zurück, reflektiert aber zugleich die Verwerfungen eines modernen Frankreich. So gewinnt die historische Erzählung eine doppelte Perspektive: Sie rekonstruiert ein entscheidendes Kapitel europäischer Geschichte und prüft, was dieser Vergangenheit für die politischen und moralischen Fragen der Gegenwart zu entnehmen ist.

Die Handlung spielt im Westen Frankreichs, wo der Aufstand der Vendée aufflammt, und in Paris, wo die Revolution ihre Institutionen formt und ihre Macht organisiert. Der Roman zeichnet die Konfrontation zwischen republikanischen Kräften und royalistischen Aufständischen nach, mit besonderem Augenmerk auf die Dilemmata, die Menschen in Extremsituationen treffen. Statt eines reinen Schlachtenberichts entfaltet sich eine Erkundung des Gewissens unter Druck. Ohne vorzugreifen, lässt sich sagen: Es geht um Entscheidungen, deren Folgen größer sind als diejenigen, die sie treffen – und die doch in einzelnen, unerbittlichen Momenten gefällt werden müssen.

Als Klassiker behauptet sich 1793, weil er die historische Kulisse nicht als Kulissenschieberei benutzt, sondern als Laboratorium moralischer Fragen. Hugo verbindet das Panorama eines Bürgerkriegs mit einer Sprache, die Pathos nicht scheut und doch zur Nüchternheit zwingt. Figuren und Situationen sind nicht reine Allegorien, sondern verdichten Widersprüche: Pflicht und Mitgefühl, Ordnung und Freiheit, Recht und Gnade. Das Werk vermeidet einfache Parteinahme; es zeigt, wie Gewalt die Wahrheit verdunkelt und wie schwer es ist, Gerechtigkeit zu wahren, wenn die Welt in Freund und Feind zerfällt.

Literarisch wirkt der Roman, weil er die Tradition des historischen Romans mit hugo’scher Bildkraft erweitert. Er bietet große Szenen öffentlicher Entscheidung und intime Momente stiller Gewissensprüfung, verbindet politische Rhetorik mit dramatischer Zuspitzung. Seine Wirkung reicht über die französische Literatur hinaus: 1793 trägt dazu bei, wie europäische Kultur Revolution, Terror und Bürgerkrieg imaginiert. Forschungen und Unterricht knüpfen bis heute an sein Spannungsverhältnis von historischer Faktizität und dichterischer Wahrheit an. Der Text hat so Maßstäbe gesetzt für Erzählweisen, die Geschichte als Konflikt konkurrierender Wahrheiten zeigen.

Thematisch kreist das Buch um die Frage, ob Ziele Mittel heiligen – oder die Mittel die Ziele korrumpieren. Es zeigt den Magnetismus des Fanatismus und die Versuchungen der Macht, aber auch die Möglichkeit, über Parteinahmen hinaus an Prinzipien festzuhalten. Der Roman untersucht, was ein Gemeinwesen im Innersten zusammenhält, wenn der Ausnahmezustand zum Alltag wird. In dieser Prüfung erweist sich Menschlichkeit weder als Schwäche noch als bloße Sentimentalität, sondern als Maßstab, der in Zeiten äußerster Gefahr schwerer, aber umso notwendiger wiegt.

Erzählerisch arbeitet Hugo mit Kontrasten: Hauptstadt und Provinz, Tribüne und Dorf, Dekret und Gewissen, Licht und Schatten. Perspektivwechsel eröffnen den Blick auf institutionelle Entscheidungen wie auf das Schicksal derjenigen, die ihre Folgen tragen. Die Sprache entfaltet Bilder, die das Ringen zwischen Ordnung und Natur vergegenwärtigen, und strukturiert die Handlung in Szenen, in denen die Zeit gleichsam gerinnt. So entsteht eine dramaturgische Spannung, die den historischen Rahmen nicht bebildert, sondern befragt – mit einer Intensität, die den Leser selbst in die Verantwortung nimmt.

Historisch verankert ist das Geschehen im Jahr 1793, als die Nationalkonvention die Richtung der Revolution bestimmte und der Konflikt im Westen Frankreichs eskalierte. Die Vendée wurde zum Schauplatz eines Bürgerkriegs, in dem religiöse Bindungen, soziale Spannungen und politische Loyalitäten kollidierten. Gleichzeitig arbeitete in Paris die revolutionäre Staatsmacht daran, Einheit zu erzwingen und den Krieg nach innen und außen zu bewältigen. Der Roman greift diese bekannten Eckdaten auf, ohne den Anspruch einer Chronik zu erheben, und macht erfahrbar, wie Geschichte als Summe individueller Entscheidungen Gestalt annimmt.

Als historische Fiktion bleibt 1793 der Wahrheit der Erfahrung verpflichtet, nicht einer buchhalterischen Vollständigkeit von Fakten. Hugo nutzt die Freiheit des Romans, um die inneren Konsequenzen äußerer Ereignisse sichtbar zu machen. Das Werk lädt dazu ein, Legenden und Vereinfachungen zu misstrauen. Nicht die Kälte des Archivs, sondern die Wärme – und Zerrissenheit – menschlicher Motive treibt die Erzählung voran. In diesem Sinne ergänzt das Buch die Geschichtsschreibung, indem es die seelischen Bewegungen zeigt, die Zahlenkolonnen und Parlamentsprotokolle nur selten erfassen.

Heute ist 1793 aktuell, weil es Mechanismen politischer Radikalisierung, Polarisierung und Gewalt sichtbar macht, die in unterschiedlichen Zeiten wiederkehren. Es zeigt, wie Sprache Realität schafft, wie Angst Institutionen formt und wie schwer es ist, in kritischen Momenten Maß zu halten. Das Buch erinnert daran, dass Rechtstaatlichkeit und Mitmenschlichkeit in Krisen nicht als Luxus gelten dürfen. Wer die Gegenwart verstehen will, findet hier eine Schule des Urteilens: nicht, um rasch zu verurteilen, sondern um die Reichweite und die Grenzen politischer Verantwortung auszuloten.

Seine zeitlose Qualität liegt in der Verbindung aus erzählerischer Wucht, moralischer Differenzierung und historischer Weitsicht. 1793 ist kein Museumstext, sondern ein Prüfstein: Es fordert dazu auf, im Echo vergangener Konflikte die eigene Gegenwart zu erkennen. Mit seiner Empathie für den Einzelnen, seinem Misstrauen gegen die Verlockung einfacher Lösungen und seinem Glauben an die Würde des Menschen bleibt das Werk lebendig. Wer dieses Buch aufschlägt, tritt in einen Raum, in dem Geschichte nicht abgeschlossen ist – und in dem Lesen zu einer Form verantwortlichen Denkens wird.

Synopsis

Inhaltsverzeichnis

Victor Hugos historischer Roman spielt im Jahr 1793, als Frankreich von der Terrorherrschaft erschüttert und der Westen des Landes von Aufständen ergriffen wird. Das Werk verfolgt mehrere Figuren, deren Wege sich in der Wirrnis von Krieg und Revolution kreuzen. Im Zentrum stehen ein adliger Royalist, der die Erhebung anführt, ein junger republikanischer Kommandeur mit idealistischen Zielen und ein kompromissloser Gesandter der Revolution, zugleich Mentor des jungen Offiziers. Hugo entfaltet daraus ein Spannungsfeld zwischen Pflicht und Mitleid, Gesetz und Gewissen. Die Handlung folgt der Eskalation des Konflikts von der Küste bis ins Hinterland und rahmt sie mit politischen Debatten in Paris.

Der Roman setzt mit einer dramatischen Episode auf See ein: In Sturm und Gefahr wird ein entfesseltes Kriegsgerät zur Bedrohung für die eigene Mannschaft. Diese Szene fungiert als Sinnbild für entfesselte Kräfte, die niemand mehr vollständig beherrschen kann. Kurz darauf gelingt an der bretonischen Küste die heimliche Anlandung eines royalistischen Anführers. Im Schutz des unwegsamen Geländes und mit Rückhalt in den Dörfern beginnen königstreue Kräfte, sich zu formieren. Die Verbindung von Naturgewalt, Improvisation und Entschlossenheit markiert die Tonlage eines Krieges, der sich den gewohnten Regeln entzieht.

Der royalistische Anführer organisiert den Widerstand mit straffer Hand. Er verbindet taktische Härte mit der Ausnutzung der Geographie, setzt auf Überraschung, Spione und das Wissen um lokale Wege. Religiöse und monarchische Symbole stiften Identität, während bäuerliche Anhänger als Kämpfer und Versorger dienen. Angriffe auf republikanische Truppen und kühne Manöver stärken den Nimbus des Aufstands. Zugleich deutet der Roman an, dass hinter der Strenge des Kommandeurs ein eigener Moralkodex steht, der im Verlauf der Ereignisse sichtbar wird. So gerät der Krieg zu einem Duell aus List, Furcht und unbequemer Loyalität.

Auf Seiten der Republik tritt ein junger Offizier hervor, der militärische Klugheit mit Menschlichkeit zu verbinden sucht. Über ihm wacht ein Gesandter der Revolution, ein früherer Lehrer, der im Namen des Gesetzes unerbittliche Maßnahmen fordert. Beide werden beauftragt, den Aufstand im Westen niederzuschlagen. Zwischen ihnen entspinnt sich ein intellektueller und emotionaler Konflikt: der Idealismus eines neuen, gerechteren Gemeinwesens gegen die Logik des Ausnahmezustands. Ihre gemeinsame Aufgabe, den royalistischen Anführer zu stellen, wird zum Prüfstein ihrer Überzeugungen und ihrer persönlichen Bindung.

Parallel zur Kriegsführung im Westen zeichnet Hugo politische Schauplätze in Paris. In Versammlungen werden Notstandsgesetze, Opferbereitschaft und die Rechtfertigung von Härte verhandelt. Der Roman zeigt, wie Beschlüsse und Parolen in Distanz zum Schlachtfeld fallen, jedoch unmittelbare Wirkungen entfalten. Die Kluft zwischen abstrakter Staatsräson und den Folgen vor Ort wird spürbar. Dabei gleitet die Debatte bisweilen in gegenseitige Verdächtigungen ab. Der Eindruck entsteht, dass die Revolution ihre Kinder zu verschlingen droht, wenn Prinzipientreue und Selbsterhaltung ununterscheidbar werden. Die Frage, wo Recht in Terror umschlägt, bleibt offen.

Mit besonderer Eindringlichkeit rückt Hugo das Schicksal Unbeteiligter in den Blick. Eine einfache Mutter und ihre Kinder, zwischen die Fronten geraten, werden zum Maßstab menschlicher Kosten. Requirierungen, Geiselnahmen und Vergeltungen treffen sie ebenso wie unberechenbare Zufälle. Kleine Gesten von Fürsorge stehen neben Taten der Brutalität, und beides findet sich auf beiden Seiten. Der unmittelbare Schmerz und die entwürdigende Angst der Zivilbevölkerung erden die großen Ideale. Dadurch verleiht der Roman den hohen Worten von Freiheit, Königstreue und Republik ein Antlitz aus Hunger, Müdigkeit und stummem Durchhalten.

Die Handlung kulminiert in einer Belagerung eines alten festen Gemäuers, das strategisch bedeutsam ist. Der royalistische Anführer verschränkt Täuschung und Standhaftigkeit, der junge Republikaner setzt auf Umsicht und begrenzte Gewalt. Als inmitten des Gefechts Unschuldige in Lebensgefahr geraten, handelt der Gegenspieler unerwartet menschlich. Ein riskanter Rettungsakt stellt die gewohnten Freund-Feind-Schemata infrage und zwingt beide Lager, ihre moralischen Gewissheiten neu zu bedenken. Hugo nutzt die Enge des belagerten Ortes, um den Druck zu steigern und die Frage nach Recht und Gnade in greifbare, existenzielle Situationen zu übersetzen.

Aus der militärischen Konfrontation erwachsen juristische und politische Entscheidungen. Mechanismen revolutionärer Justiz greifen, Komitees und Kommissare drängen auf Konsequenz. Der junge Befehlshaber plädiert für Maß und Zukunftsvertrauen, der Aufseher für Unnachgiebigkeit und die Gleichheit vor einem strengen Gesetz. Persönliche Bindungen, einst Quelle der Stärke, werden zur Prüfung. Die Figuren stehen vor Entscheidungen, die ihr Selbstverständnis unwiderruflich prägen. Ohne die entscheidenden Wendungen vorwegzunehmen, verdeutlicht der Roman, wie schwer es ist, Gerechtigkeit inmitten der Gewalt zu wahren und der eigenen Moral treu zu bleiben.

Am Ende bleibt 1793 weniger eine Parteinahme als eine ernste Meditation über Revolution und Menschlichkeit. Hugo zeigt, wie politische Ideen zum Prüfstein des Gewissens werden und wie Mitgefühl die scheinbar klare Linie zwischen Sieg und Schuld verwischt. Das Werk fragt, ob Recht ohne Barmherzigkeit Bestand hat, und ob Gewalt, selbst im Namen des Guten, nicht die Grundlagen untergräbt, die sie zu schützen beansprucht. In dieser Spannweite findet der Roman seine nachhaltige Bedeutung: als Mahnung, in Zeiten des Umbruchs der Menschlichkeit treu zu bleiben, ohne auf die Klarheit der Verantwortung zu verzichten.

Historischer Kontext

Inhaltsverzeichnis

Victor Hugos Roman spielt im Jahr 1793, einem Kulminationspunkt der Französischen Revolution. Frankreich ist zur Republik geworden, doch die Institutionen befinden sich im Ausnahmezustand. Die Nationalkonvention tagt in Paris, während lokale Sektionen und Volksgesellschaften Druck auf die Gesetzgebung ausüben. Gleichzeitig führen Komitees für öffentliche Sicherheit und allgemeine Sicherheit die Exekutive, um die Revolution nach innen und außen zu verteidigen. Der Alltag ist von Misstrauen, politischer Mobilisierung und militärischen Anforderungen geprägt. In diesem Umfeld entfaltet sich die Handlung zwischen Hauptstadt und westlichen Provinzen, insbesondere in der Vendée und der Bretagne, wo der Kampf um Legitimität, Religion und Ordnung besonders heftig tobt.

Der Sturz der Monarchie 1792 und die Hinrichtung Ludwigs XVI. am 21. Januar 1793 radikalisierten die politische Landschaft. Die junge Republik stand seitdem unter dem Eindruck existenzieller Bedrohung: monarchische Mächte von außen, Gegenrevolution im Inneren, wirtschaftliche Not. Diese Gemengelage schuf Bedingungen, unter denen ideologische Reinheit und revolutionäre Wachsamkeit zu Leitnormen wurden. Die Grenzen zwischen zivilem und militärischem Handeln verwischten. Hugos Roman greift diese Spannung auf, indem er eine Welt zeigt, in der Entscheidungen oft als Notwehr verstanden werden und in der die Frage, wie eine Republik überleben kann, die Handlung moralisch auflädt.

Politisch war 1793 von heftigen Fraktionskämpfen geprägt. Die Girondisten, anfänglich tonangebend, gerieten wegen militärischer Rückschläge und Misstrauens seitens der Pariser Sansculotten unter Druck. Vom 31. Mai bis 2. Juni 1793 erzwang ein Aufstand der Hauptstadt die Ausschaltung führender Girondisten aus der Konvention. Die Montagnards übernahmen die Führung und knüpften ihre Legitimität an eine starke Exekutive und an soziale Maßnahmen zugunsten der Armen. Dieses Machtgleichgewicht – zwischen repräsentativer Debatte und revolutionärer Straße – bildet den politischen Resonanzraum, in dem Hugo die Intentionen seiner revolutionären Figuren verortet.

Das Komitee für öffentliche Sicherheit wurde im April 1793 geschaffen und im Juli neu besetzt, um die Kriegsführung zu koordinieren und die Revolution zu sichern. Unter Mitgliedern wie Maximilien Robespierre, Saint-Just, Couthon und Carnot schuf es ein beispielloses Zentralisierungsprogramm. Dekrete, Kommissare auf Mission und eine engmaschige Überwachung sollten die militärische Leistung steigern und die Loyalität der Regionen sichern. In Hugos Darstellung spiegeln solche Institutionen die Spannung zwischen effizienter Staatsführung und der Gefahr, dass der Ausnahmezustand die Rechtsordnung absorbiert. Die Frage nach notwendiger Strenge versus willkürlicher Härte zieht sich als Grundthema durch den historischen Hintergrund.

Im Justizbereich markierten 1793 die Verschärfungen den Aufstieg der sogenannten Terrorherrschaft. Der Revolutionstribunal in Paris und zahlreiche Ausnahmegerichte in den Departements verfolgten vermeintliche und tatsächliche Feinde der Republik. Mit dem Gesetz über die Verdächtigen vom September 1793 wurden Kriterien der Loyalität extrem weit gefasst, Haft und Anklage erleichtert. Zugleich errang die Guillotine symbolische Bedeutung als Instrument gleicher Strafvollstreckung – und als Warnung. Das Klima der Verfolgung, das daraus erwuchs, prägt die Atmosphäre des Romans, ohne die konkrete Justizpraxis im Detail zu dokumentieren, und bildet den Hintergrund für Dilemmata zwischen Gnade und Verpflichtung.

Militärisch stand Frankreich 1793 der Ersten Koalition gegenüber: Großbritannien, Österreich, Preußen, Spanien, die Niederlande und weitere Verbündete. Frühere Offensiven gerieten ins Stocken; der General Dumouriez desertierte im April. Der Notstand mündete in die levée en masse vom 23. August, die eine Volksbewaffnung zur Verteidigung der Nation forderte. Gleichzeitig intensivierte die Regierung die Kriegsproduktion, reorganisierte Armeen und führte ein System logistischer Requisitionen ein. Dieses Umfeld materialisiert im Roman als permanenter Druck: Fronten sind allgegenwärtig, Entscheidungen fallen unter Zeitnot, und die Grenze zwischen Frontsoldat und Bürger verschwimmt im Namen eines totalen Verteidigungsanspruchs.

Besonders einschneidend war 1793 der Aufstand in der Vendée. Auslöser waren die allgemeine Wehrpflicht, die Verteidigung des katholischen Glaubens nach der Zivilverfassung des Klerus und monarchische Loyalitäten, verbunden mit lokalen sozialen Spannungen. Die bocage-Landschaft mit Hecken, Hohlwegen und kleinen Feldern begünstigte eine bewegliche, volksnahe Kriegsführung. Bauern, Handwerker und Kleinadelige sammelten sich zur katholischen und königlichen Armee, mit Führern wie Jacques Cathelineau, d’Elbée, Henri de La Rochejaquelein, François de Charette und Jean-Nicolas Stofflet. Hugos Figuren greifen Haltungen dieser Milieus auf, ohne eins zu eins historische Persönlichkeiten zu imitieren.

Der Kriegsverlauf im Jahr 1793 war wechselhaft. Vendée-Truppen errangen Erfolge in Machecoul, Fontenay und Saumur, scheiterten jedoch im Juni an Nantes, wo Cathelineau verwundet wurde und wenig später starb. Die republikanische Gegenoffensive trieb die Aufständischen im Herbst zur sogenannten Virée de Galerne, einem verzweifelten Marsch nach Norden in der Hoffnung auf Seehilfe. Der Angriff auf Granville im November misslang; Hunger, Krankheit und Erschöpfung setzten ein. Die Niederlagen bei Le Mans und Savenay im Dezember 1793 zerstreuten die große Armee. Hugos Roman nutzt diese Kulisse, um die Zermürbungskraft eines Bürgerkriegs erfahrbar zu machen.

Die Repressionen waren brutal. In Nantes organisierte der Konventsbeauftragte Jean-Baptiste Carrier ab Ende 1793 Massenersäufungen in der Loire; auf republikanischer Seite führten Anfang 1794 die „colonnes infernales“ des Generals Turreau einen Vernichtungskrieg gegen Dörfer, die man der Unterstützung der Aufständischen verdächtigte. Zugleich kam es auch seitens royalistischer Verbände zu Vergeltungen und Übergriffen. Das Ergebnis war eine Spirale von Gegengewalt, unter der vor allem Zivilisten litten. Der Roman stellt diese Verwilderung der Sitten nicht mit statistischer Akribie, sondern als moralisches Klima dar, in dem Entscheidungen tragische Konsequenzen nach sich ziehen.

Über die Vendée hinaus erfasste eine parallele, lose verbundene Bewegung die Bretagne und das Maine: die Chouannerie. Sie setzte stärker auf Guerillakampf, Sabotage und lokale Netzwerke. Britische Unterstützung blieb im Jahr 1793 begrenzt; spätere Expeditionen sollten folgen, doch nachhaltige Wirkung war selten. Die Konflikte hielten in Wellen bis Mitte der 1790er Jahre an und erschöpften die Regionen wirtschaftlich und demografisch. In Hugos erzählerischem Kosmos erscheint diese weiträumige Instabilität als Hintergrundrauschen: Staatliche Autorität ist fragmentiert, Loyalitäten verschieben sich, und politische Parolen treffen auf die Beharrungskraft lokaler Gesellschaften.

In Paris radikalisierten Sansculotten, Jakobinerklub und radikale Presse 1793 den öffentlichen Diskurs. Die Ermordung Jean-Paul Marats durch Charlotte Corday im Juli schürte Märtyrerkult und Repressionsbereitschaft. Mit dem Gesetz vom 14. Frimaire (Dezember 1793) bündelte die Konvention Kompetenzen in Paris und beschnitt lokale Eigenmächte. Gleichzeitig gewann die Entchristianisierungsbewegung in vielen Städten an Einfluss, teils mit Schließungen von Kirchen und symbolischen Aktionen. Die Spannung zwischen zentraler Disziplin und revolutionärer Spontaneität bildet bei Hugo eine Achse, entlang derer idealistische Programmatik und praktische Gewaltbereitschaft einander bedingen und korrumpieren können.

Die wirtschaftliche Lage war prekär. Assignaten, papiergedeckte Staatsanleihen, verloren rapide an Wert; Preise stiegen, Nahrungsmittelknappheit provozierte Unruhen. Um die Versorgung zu sichern, erließ die Konvention Höchstpreisgesetze: zunächst für Getreide (Mai 1793), im September als allgemeines Maximum ausgedehnt. Requisitionen, Rationierung und Kontrollen prägten den Alltag. Handwerk, Transport und Kriegsindustrie arbeiteten am Limit; Frauen und Kinder traten verstärkt in Werkstätten auf. Dieses Gefüge von Not und Mobilisierung ist im Roman stets spürbar, wenn Versorgung, Marschtempo, Müdigkeit oder improvisierte Lösungen darüber entscheiden, ob eine Idee politisch tragfähig oder militärisch illusorisch bleibt.

Technik und Logistik rahmten den Konflikt. Musketen mit Steinschloss, leichte Feldartillerie und fahrbare Geschütze bestimmten das Gefecht; in der bocage wurden Hinterhalte entscheidend. Die französische Marine rang unter Blockadedruck der Royal Navy, private Kaper aus Saint-Malo und anderen Häfen suchten Lücken. Der Atlantik und der Ärmelkanal blieben riskante Räume, in denen Sturm, Strömung und Feuerkraft unberechenbar wirkten. Experimente mit optischer Telegraphie (Chappe) standen am Beginn, die erste Linie folgte bald. Bei Hugo fungieren solche materiellen Bedingungen nicht als Dekor, sondern als Kräfte, die Würde, Mut und Fehlbarkeit der Handelnden sichtbar machen.

Kulturell veränderte die Revolution Rituale und Zeitrechnung. Der Revolutionskalender begann rückdatiert am 22. September 1792 und setzte sich 1793 administrativ durch, um Brüche mit dem Ancien Régime zu markieren. Bürgerliche Eheschließung, erleichterte Scheidung, neue Feste und Symbole prägten das öffentliche Leben. Die Presseflut, Flugblätter und Volksreden schufen ein Klima, in dem Sprache selbst zur Waffe wurde. Die Figur Marats und sein Blatt „L’Ami du peuple“ wirkten über seinen Tod hinaus. Hugo nutzt diese Zeichenwelt, um zu zeigen, wie Worte Regimenter bewegen, aber auch, wie schnell Prinzipien in Parolen erstarren können, wenn Angst und Not regieren.

Victor Hugo schrieb seinen Roman Jahrzehnte nach den Ereignissen, veröffentlicht wurde er 1874. Geprägt von eigener politischer Erfahrung – der Revolution von 1848, der Diktatur Napoleons III., Jahren des Exils – blickt er auf 1793 als moralischen Prüfstein. Er konsultierte Chroniken, Memoiren und Geschichtswerke seiner Zeit, um historische Konstellationen glaubhaft zu verdichten. Dabei formt er fiktionale Figuren, die Haltungen verkörpern: revolutionäre Strenge, royalistische Pflicht, soldatische Loyalität, humanitäre Skrupel. Die Distanz des Autors erlaubt eine Reflexion über die Möglichkeit einer gerechten Republik, ohne die Gewaltförmigkeit ihrer Geburtsstunde zu leugnen.

Zeitgenössische und spätere Deutungen der Revolution prägten die Rezeption. Romantische Republikaner wie Michelet sahen in 1793 den heroischen Kampf des Volkes; konservative Kritiker hoben die Zügellosigkeit des Terrors hervor. Die Vendée blieb besonders umstritten: Für Royalisten ein Märtyrermythos, für Republikaner lange ein notwendiges Durchgreifen. Spätere Historiker diskutierten Dimensionen eines möglichen „Politizids“, während andere auf die komplexe Gemengelage aus Krieg, Repression und lokalen Dynamiken verwiesen. Hugos Roman positioniert sich nicht als Anklageschrift, sondern als literarische Erörterung von Verantwortung in Zeiten, in denen rechtliche Normen unter Belagerungsdruck geraten.

Die Verbindung von politischer Idee und privatem Gewissen steht im Zentrum von Hugos Kommentar zur Zeit. Der Roman zeigt, wie Bürgerkrieg die moralische Optik verzerrt: Pflicht kann unbarmherzig werden, Gnade politisch verdächtig erscheinen. Indem er die Ereignisse von 1793 im Spiegel persönlicher Entscheidungen darstellt, kritisiert Hugo die Verführungskraft absoluter Reinheitsansprüche. Seine Zeitgenossen konnten darin auch Anspielungen auf jüngere Traumata lesen, etwa die blutige Niederschlagung der Pariser Kommune 1871. So schließt der Text eine historische Meditation ab: Er bekräftigt die Republik als Ziel, warnt jedoch vor einem Weg dorthin, der den Menschen preisgibt.

Autorenbiografie

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Victor Hugo (1802–1885) wurde in Besançon geboren und gilt als einer der prägenden Schriftsteller der europäischen Romantik. Als Lyriker, Dramatiker und Romancier verband er ästhetische Innovation mit politischem Engagement. Weltweit bekannt sind seine Romane Notre-Dame de Paris und Les Misérables, deren Figuren und Konflikte das 19. Jahrhundert in Kunst und Öffentlichkeit verankerten. Hugos Werk überdauerte wechselnde Regime in Frankreich und spiegelte deren Spannungen: Restauration, Julimonarchie, Zweites Kaiserreich und Dritte Republik. Er schrieb mit gleicher Intensität über Liebe, Armut und Gerechtigkeit wie über Geschichte, Religion und Macht. Seine Stimme beeinflusste Debatten weit über die Literatur hinaus.

Die Spannweite seines Œuvres reicht von frühen Gedichtsammlungen bis zu monumentalen Zyklen wie Les Contemplations und La Légende des siècles, von Theaterreformen mit Hernani und Ruy Blas bis zu erzählerischen Großformen. Hugo war zugleich öffentlicher Intellektueller, dessen Reden und Pamphlete politische Auseinandersetzungen prägen konnten. Sein Exil während des Zweiten Kaiserreichs schärfte die internationale Wahrnehmung seiner Ideen. Themen wie Schuld und Erlösung, soziale Not, Rechtsstaatlichkeit und die Würde des Einzelnen durchziehen sein Werk. Viele Motive fanden später in Opern, Filmen und Bühnenbearbeitungen ein neues Leben und machten Hugo zu einem dauerhaften kulturellen Bezugspunkt.

Bildung und literarische Einflüsse

Als Sohn eines Offiziers und einer literarisch interessierten Mutter erlebte Victor Hugo eine Kindheit, die von Reisen und Ortswechseln geprägt war. Schuljahre in Paris förderten seine Begabung; bereits als Jugendlicher schrieb er Gedichte und suchte Veröffentlichung. Der bildungsbürgerliche Kanon, Bibellektüre und die französische Geschichtsschreibung formten seinen frühen Horizont. Entscheidende Impulse gaben die Lektüre Chateaubriands und die Begegnung mit Shakespeare und Walter Scott, deren dramatische Fülle und historische Imagination ihn ansprachen. Ebenso nachhaltig prägten ihn Ansichten mittelalterlicher Architektur und die Symbolkraft gotischer Räume, die später in Notre-Dame de Paris eine künstlerische Verdichtung fanden.

Im Selbststudium und im Austausch mit Gleichgesinnten entwickelte Hugo eine Poetik, die das Klassische respektierte, aber dessen Regeln nicht für bindend erklärte. In der Vorrede zu Cromwell formulierte er eine Programmatik der Romantik, die das Erhabene mit dem Grotesken verband und die Vielfalt historischer Sujets legitimierte. Zeitgenössische Umbrüche – Revolutionserfahrungen, Restaurationspolitik, Debatten um Presse- und Gewissensfreiheit – lieferten ihm Stoff und Orientierung. Aus dem Studium von Geschichtsquellen, Bibelmotiven und Volksüberlieferungen destillierte er eine Sprache mit rhetorischer Spannung, starkem Bildgebrauch und dramatischer Kontrastführung. Diese Mischung wurde zu seinem unverwechselbaren ästhetischen Kennzeichen.

Literarische Laufbahn

Sein literarischer Aufstieg begann in den 1820er Jahren mit Gedichtbänden, deren Klangfülle und Bildhaftigkeit Aufmerksamkeit gewannen, sowie mit Experimenten im Drama. Mit Cromwell artikulierte er theoretisch den Bruch mit klassizistischer Norm, auf der Bühne entfachte Hernani 1830 eine heftige Auseinandersetzung um die Zukunft des Theaters. Die Inszenierung, von jugendlichen Anhängern verteidigt und von Traditionalisten bekämpft, markierte einen Wendepunkt der französischen Bühnenkunst. Ruy Blas folgte als weiteres Erfolgsstück, das politisches Intrigenspiel mit lyrischer Energie verband. Hugo profilierte sich damit als führende Stimme einer Bewegung, die neue Themen, Mischstile und eine freiere Verssprache zuließ.

Der Roman Notre-Dame de Paris machte 1831 Hugos Namen europaweit bekannt. Mit dichterischer Fantasie rekonstruierte er mittelalterliches Paris, zeigte das Zusammenwirken von Volk, Macht und Glaube und verlieh der Kathedrale eine symbolische Rolle. Das Buch verstärkte das öffentliche Bewusstsein für den Schutz historischer Bausubstanz und prägte das Bild der Gotik in der populären Vorstellung nachhaltig. Neben der Liebes- und Außenseitergeschichte beeindruckte die topografische Genauigkeit, die Hugo durch Studien historischer Quellen erreichte. Der Roman demonstrierte seine Fähigkeit, architektonische und soziale Strukturen in erzählerische Spannung umzusetzen.

Mit Le Dernier Jour d’un Condamné und Claude Gueux legte Hugo frühe Prosatexte vor, die Justiz- und Gesellschaftskritik bündelten und die Todesstrafe zum Thema machten. Diese Anliegen kulminierten in Les Misérables, an dem er lange arbeitete und das 1862 erschien. Der Roman entwarf ein weites Panorama von Elend, Gesetz und Gnade, verband Schicksale einzelner Figuren mit historischen Verwerfungen und sprach Leserinnen und Leser weit über Frankreich hinaus an. Die zeitgenössische Kritik reagierte gespalten, doch die Resonanz des Publikums war überwältigend. Das Buch wurde zu einem prägenden Zeugnis sozialer Literatur.

Im Exil erreichte Hugos Lyrik eine neue Tiefe und öffentliche Schlagkraft. Les Châtiments brandmarkte das Zweite Kaiserreich in scharfer, satirischer Diktion; die Sammlung zirkulierte trotz Zensur breit. Les Contemplations verband private Trauer – insbesondere um seine 1843 verunglückte Tochter Léopoldine – mit Reflexionen über Zeit, Erinnerung und Glaube. Mit La Légende des siècles entwarf er anschließend einen fortlaufenden Zyklus, der in erzählerischen Gedichten die Geschichte der Menschheit als moralische Entwicklung skizzierte. Diese Bücher zeigten seine Meisterschaft in langen Perioden, überraschenden Bildern und dem Wechsel von epischer Weite zu intimer Meditation.

Neben Roman und Lyrik veröffentlichte Hugo Essays, Reden und Reiseschilderungen, darunter Le Rhin, das Landschaften mit politischer Reflexion verknüpfte. Er blieb dem Theater verbunden und erweiterte sein Prosawerk um spätere Romane wie Quatrevingt-treize, der die Gewalt und Dilemmata der Revolution thematisierte. Zugleich entstanden tausende Zeichnungen, oft in dunkler Tusche, die seine Fantasie für Architekturen und imaginäre Landschaften erkennen lassen. Seine stilistische Signatur – pathetische Steigerung, kontrastreiche Bildführung, Wortmusik und moralische Zuspitzung – prägte Generationen von Autorinnen und Autoren und schuf ein Repertoire, das bis heute interpretiert und adaptiert wird.

Überzeugungen und Engagement

Hugos Überzeugungen entwickelten sich im Lauf der Jahrzehnte in Richtung republikanischer und sozialer Anliegen. Er verteidigte die Pressefreiheit, forderte Bildung für alle und bekämpfte die Todesstrafe, wozu er literarische Texte und politische Reden einsetzte. Schriften wie Napoléon le Petit und die satirischen Gedichte der Châtiments richteten sich gegen Autoritarismus und Willkür. Seine Romane dramatisierten moralische Fragen in konkreten Lebenslagen und brachten soziale Missstände ans Licht. Dabei sah er Literatur als öffentliches Gewissen, das Empathie erzeugen und politische Teilhabe anregen sollte. Kunst und Engagement erschienen ihm nicht als Gegensätze, sondern als wechselseitige Verstärkung.

Nach dem Staatsstreich vom 2. Dezember 1851 verließ Hugo Frankreich und schrieb aus dem Exil in Belgien, auf Jersey und Guernsey gegen das Regime. Von Hauteville House aus hielt er Verbindung zu französischen Debatten, publizierte Gedichte und Pamphlete und nutzte seine Bekanntheit, um Verfolgte zu unterstützen. Eine Amnestie lehnte er so lange ab, bis er den politischen Bedingungen misstraute; erst nach dem Sturz des Zweiten Kaiserreichs kehrte er zurück. In der frühen Dritten Republik plädierte er für Versöhnung, unter anderem durch Forderungen nach Amnestie, und blieb eine moralische Instanz im öffentlichen Raum.

Letzte Jahre und Vermächtnis

In den späten Jahren wurde Hugo in Paris zu einer lebenden Institution. Er veröffentlichte weitere Dichtungen und Prosaarbeiten, darunter L’Art d’être grand-père, und blieb publizistisch aktiv. Quatrevingt-treize steht als spätes erzählerisches Hauptwerk. Victor Hugo starb 1885 in Paris; sein Tod löste landesweite Trauer aus. Der Staat richtete eine große öffentliche Aufbahrung aus, und er wurde im Panthéon beigesetzt. Sein Einfluss wirkt in Literatur, Theater, Musik und Film fort; zugleich förderte sein Beispiel das Bewusstsein für den Schutz von Kulturerbe und für die soziale Verantwortung der Kunst. Seine Bücher behalten ihre moralische Dringlichkeit.

1793 - Roman. Die Terrorherrschaft und der Aufstand der Vendée

Hauptinhaltsverzeichnis
Erster Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Viertes Buch.
Zweiter Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch.
Drittes Buch.
Dritter Theil.
Erstes Buch.
Zweites Buch
Drittes Buch.
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch.

Erster Theil.

Auf hoher See.

Inhaltsverzeichnis

Erstes Buch.

Im Wald von La Saudraie.

Inhaltsverzeichnis

Ende Mai 1793 wurde eines der Pariser Bataillone, die unter Santerre[1] in die Bretagne eingerückt waren, zu einem Streifzug durch den schauerlichen Wald von La Saudraie, Bezirk Astillé, kommandirt. Dieses Bataillon war nur dreihundert Mann stark, denn es hatte in jenen harten Kriegszeiten sehr nothgelitten – Zeiten episch heldenhaften Ringens, wo von den sechshundert Freiwilligen des ersten Pariser Bataillons siebenundzwanzig, des zweiten dreiunddreißig und des dritten siebenundfünfzig Mann aus der Argonne und den Schlachten von Valmy und Jemmappes zurückgekehrt waren.

Die Bataillone, die von Paris nach der Vendée abmarschirten, zählten neunhundertundzwölf Mann und führten jedes drei Geschütze. Ihr Zustandekommen war ein sehr rasches gewesen: Den 25. April, also zur Zeit, da Gohier die Justiz und Bouchotte das Kriegswesen leiteten, war vom Stadtbezirk Bon-Conseil der Vorschlag ausgegangen, in die Vendée Freiwilligenbataillone zu entsenden; hierauf hatte ein Mitglied des Stadtraths Namens Lubin Bericht darüber erstattet, und am ersten Mai hatte Santerre bereits zwölftausend Mann nebst einem Bataillon Artillerie und dreißig Feldgeschützen zusammen. Trotz aller Eile war die Art und Weise der Mobilmachung so vorzüglich, daß sie heutzutage der Einteilung der Linienkompagnien zu Grunde gelegt wird; es ist dadurch das frühere numerische Verhältniß zwischen Truppe und Unteroffizieren ein anderes geworden.

Unter dem Datum des 28. April war vom Pariser Stadtrath an die Freiwilligen von Santerre die Ordre ergangen: »Keine Gnade, keinen Pardon!«[1q] Ende Mai waren von den zwölftausend Parisern achttausend gefallen.

Das Bataillon, welches im Walde von La Saudraie operirte, rückte sehr behutsam vor. Von Hast keine Spur, ein fortwährendes Spähen nach rechts und links, vor sich hin und rückwärts: »Der Soldat muß ein Auge im Rücken haben«, meinte Kleber. Marschirt wurde schon lang. Wie viel Uhr oder welche Tageszeit es sein mochte, hätte sich schwer bestimmen lassen, denn in einem so urwüchsigen Dickicht weicht ein gewisses abendliches Dämmern auch der hellsten Mittagssonne nicht.

Deshalb drangen die Soldaten so vorsichtig weiter.

Tragische Erinnerungen knüpften sich an diesen Wald: In diesem Gestrüpp hatte, schon im November 1792, der Bürgerkrieg seine Gräuelthaten begonnen; der wilde, hinkende Mousqueton war dieser Baumnacht entstiegen, die nunmehr ein Grab unzähliger Opfer schaudervollsten Mordes, eine Stätte des Entsetzens war; deshalb drangen die Soldaten so vorsichtig weiter in die Tiefen. Und doch blühte Alles rings um sie her und wob sich von allen Seiten zu einer zitternden Mauer von zartbelaubten, kühlfächelnden Zweigen zusammen; hin und wieder schillerte ein Sonnenstrahl in die grünende Finsterniß hinein und auf der Erde dehnte sich ein dichtüppiger Rasenteppich, gestickt und verbrämt mit Schwertlilien, Narcissen, lenzduftigem Safran und jenen kleinen Blumen, die das schöne Wetter ankündigen, und allen Moosgattungen in jeder erdenklichen Form durcheinanderwimmelnd, hier gekrümmt wie eine Raupe und dort gezackt wie ein Stern. Langsamen Schritts und schweigend bahnten sich die Soldaten einen Weg durch das leise auseinandergeschobene Astwerk, indem die Vögelchen über ihren Bajonetten weiterzwitscherten.

Ein fortwährendes Spähen nach rechts und links.

Früher, in friedlichen Zeiten, hatte in den Gebüschen von La Saudraie die »Houiche-ba« florirt, so heißt dort nämlich das nächtliche Jagen auf jene Vögelchen; jetzt wurde nur noch Jagd gemacht auf Menschen.

In diesem Wald gediehen an hochstämmigen Holzarten nur Birke, Buche und Eiche; das ebene, mit Moos und Gras dichtbewachsene Terrain gab keinen Laut von sich unter den Tritten der schreitenden Männer; wenn sich ausnahmsweise ein Fußpfad zeigte, so war's nur auf einer ganz kurzen Strecke; vor lauter Stechpalmen, Schlehdornen, Farrenkräuterstauden, Heuhecheln und Brombeerhecken konnte man einen Menschen auf eine Entfernung von nur zehn Schritten unmöglich gewahr werden.

Ein Reiher oder ein Wasserhuhn, die zuweilen durch die Wipfel hinflatterten, deuteten an, daß ein Sumpf in der Nähe war.

Der Zug bewegte sich auf gut Glück hin immer vorwärts, gespannt und besorgt, Gesuchtes zu finden.

Hin und wieder zeigten abgebrannte oder ausgetretene Stellen, kreuzförmig aufgerichtete Stöcke, blutige Zweige die Spuren menschlichen Aufenthaltes: hier war Menage gekocht, dort Messe gelesen worden, und dort hatte man die Verwundeten gepflegt. Aber die hier ausrasteten, waren verschwunden – wohin? vielleicht schon in weite Ferne; vielleicht auch mochten sie nur wenige Schritte weit mit zielenden Stutzen im Hinterhalt liegen. Einstweilen war der Wald wie ausgestorben. Das Bataillon marschirte mit steigender Vorsicht; Einsamkeit und Mißtrauen halten gleichen Schritt. Weit und breit keine Seele, also ein Grund mehr zur Besorgniß in dieser berüchtigten Einöde; wie nahe lag da die Wahrscheinlichkeit einer listig gestellten Falle.

Dreißig Grenadiere unter der Führung eines Sergeanten gingen in beträchtlicher Entfernung vom Kern des Bataillons als Eclaireurs voraus, mit ihnen die Marketenderin.

Marketenderin schließen sich überhaupt lieber der Avant-Garde an: es ist dies zwar mit Gefahr verbunden, aber man bekommt dabei doch etwas zu sehen, und die Neugierde ist einmal eine der Aeußerungen weiblicher Tapferkeit.

Plötzlich durchzuckte jeden Einzelnen dieses kleinen Vortrabs jener den Jägern wohlbekannte Schauer, wenn sie auf ein Wild gestoßen sind. Mitten aus einem Dickicht heraus hatte man etwas wie ein Aufathmen vernommen, und nun schien es auch, als ob es sich im Laubwerk rührte. Die Soldaten winkten einander zu.

In den Späher-und Lauscherdienst der Eclaireurs braucht kein Offizier einzugreifen; was geschehen soll geschieht schon von selbst. Vor Ablauf einer Minute war die verdächtige Stelle bereits umstellt und ein Kreis von Gewehrläufen darauf gerichtet; von allen Seiten her hatten die Soldaten den dunkeln Mittelpunkt des Dickichts aufs Korn genommen und erwarteten, den Finger am Drücker und den Blick auf das verdächtige Objekt geheftet, nur noch das Kommando des Sergeanten, um einen Kugelregen hinzusenden.

Da, im Moment, wo der Sergeant abfeuern lassen wollte, rief die Marketenderin: Halt!

Da rief die Marketenderin: Halt!

Sie hatte es gewagt, einen Blick durch das Buschwerk zu thun und setzte nun, zu den Soldaten gewendet, hinzu:

– Kameraden, schießt nicht!

Hierauf eilte sie ins Dickicht. Die Uebrigen folgten ihr nach, und wirklich fand sich Jemand in dem Versteck vor.

Mitten im dichtesten Gestrüpp, am Rande einer jener kleinen kreisförmigen Lichtungen, die in den Wäldern durch Kohlenmeier entstehen, welche die Baumwurzeln rundum versengen, saß in einem von Zweigen gebildeten Nest, einer Art Laubkammer, die wie ein Alkoven nach einer Seite hin halb offen stand, ein Weib mit einem Säugling an der Brust und zwei blondlockigen schlafenden Kindern auf dem Schooß.

Das also war der Feind.

– Sie, was thun Sie hier? rief die Marketenderin.

Das Weib blickte von dem Säugling zu ihr auf.

– Sind Sie verrückt, hier so zu sitzen, fuhr die Marketenderin fort, und fügte dann hinzu:

– Nur noch eine Minute, und Sie waren über den Haufen geschossen!

Und zu den Soldaten gewendet, erklärte sie:

– Es ist ein Weib.

– Donnerwetter! so viel sehen wir auch, sagte einer von den Grenadieren.

– In den Wald rennen, um sich über den Haufen schießen zu lassen, begann die Marketenderin von Neuem, ist so was Dummes je dagewesen!

Das Weib, verblüfft und starr vor Bestürzung, glotzte wie im Traum all die Gewehre, Säbel, Bajonette und wilden Gesichter um sich an.

Die beiden Kinder wachten auf und schrieen.

Das eine rief: Mich hungert.

Das andere: Mutter, ich fürchte mich.

Der Säugling trank ruhig weiter.

– Am Gescheutesten bist du dran, sagte die Marketenderin zu ihm.

Die Mutter war vor Entsetzen sprachlos.

– Nur nicht ängstlich, rief ihr der Sergeant zu, wir sind das Bataillon Bonnetrouge.

Das Weib erzitterte am ganzen Leibe und starrte in des Sergeanten hartes Gesicht, von dem eigentlich nur die Brauen, der Schnurrbart und die zwei kohlschwarz glühenden Augen sichtbar waren.

– Vormals das Bataillon von der Croix-Rouge, erläuterte die Marketenderin.

Und der Sergeant fuhr fort:

– Wer bist du, meine Dame?

Immer noch starrte das Weib schaudernd zu ihm hinüber. Sie war jung, blaß, abgezehrt, und trug, wie alle bretonischen Bäuerinnen, nur ganz zerfetzt, die große Kapuze und die mit einer Schnur um den Hals zurückgeschlagene Wolldecke. Mit der Gleichgültigkeit der Verwilderung ließ sie ihren Busen entblößt. Ihre nackten Füße bluteten.

– Es ist eine Arme, sagte der Sergeant.

Und die Marketenderin begann wieder in ihrem soldatisch weiblichen, nur so verstohlen mildanklingenden Ton:

– Wie heißen Sie?

Das Weib stammelte leise, fast unverständlich vor sich hin:

– Michelle Fléchard.

Die Marketenderin fuhr dem Säugling mit ihrer breiten Hand streichelnd über das Köpfchen und fragte:

– Wie alt ist der Käfer?

Da die Mutter keine Antwort gab, wiederholte sie ihre Frage:

– Wie alt das Ding da ist, möcht ich wissen.

– Ach so, sagte nun die Mutter, achtzehn Monate.

– Ei, das ist ja schon altes Eisen, sagte die Marketenderin. Das hat lang genug an der Brust gelegen. Das muß entwöhnt werden. Wollen's mit Suppe füttern.

Die Mutter erholte sich allmälig von ihrem Schrecken. Die zwei wachgewordenen Kleinen waren eher neugierig als ängstlich. Sie staunten die schönen Federbüsche der Soldaten an.

– Ach! sagte die Mutter, sie sind recht hungrig, und setzte dann noch hinzu: Mir ist die Milch ausgegangen.

– Sollen schon was zu essen kriegen, rief der Sergeant ihr zu, und du auch. Aber das ist nicht Alles. Was hast du für politische Gesinnungen?

Das Weib schaute den Sergeanten an, ohne ihm zu antworten.

– Hast du mich nicht verstanden?

Darauf erwiderte sie:

– Ganz klein bin ich ins Kloster gekommen, aber ich habe geheirathet; ich bin keine Klosterfrau geworden. Bei den Schwestern habe ich französisch reden lernen. Unser Dorf ist angezündet worden. Wir sind so schnell davongelaufen, daß ich nicht einmal Schuhe angezogen habe.

– Nach deinen politischen Gesinnungen frage ich.

– Das weiß ich nicht.

– Blos weil es Kundschafterinnen giebt hier herum, fuhr der Sergeant fort. Dergleichen wird von uns mit blauen Bohnen traktirt. Na, so sprich einmal! Eine Zigeunerin bist du doch nicht? Du hast doch ein Vaterland?

– Ich weiß nicht, antwortete sie.

– Was? du weißt nicht, wo deine Heimath ist?

– Ah so, meine Heimath – o doch.

– Nun also, wie heißt dein Vaterland, deine Heimath?

– Die Maierei von Siscoignard in der Gemeinde von Azé.

Jetzt war an den Sergeanten die Reihe gekommen, verblüfft dreinzuschauen. Nachdem er einen Augenblick nachdenklich dagestanden, begann er wieder: – Wie hast du gesagt?

– Siscoignard.

– Das ist aber noch immer kein Vaterland, so ein Nest.

– Aber so heißt meine Heimath, sagte die Frau, schien dann eine Minute lang über etwas nachzusinnen, und fügte schließlich hinzu:

– Nun versteh ich's, mein Herr: Sie sind aus Frankreich; ich bin aus der Bretagne.

– Und was weiter?

– Ja, das ist nicht die nämliche Heimath.

– Aber das nämliche Vaterland! schrie der Sergeant.

Die Frau erwiderte hierauf nur:

– Ich bin aus Siscoignard.

– Gut; lassen wir's gelten, dein Siscoignard, entgegnete der Sergeant. Dort ist also deine Familie her?

– Ja.

– Und was treiben sie, die Leute?

– Sie sind alle gestorben. Ich habe niemand mehr.

Der Sergeant, der sich nicht ganz ungern reden hörte, inquirirte weiter:

– Eltern hat man doch, zum Teufel! oder hat sie gehabt. Wer bist du? Heraus mit der Sprache!

Das Weib lauschte in dumpfem Staunen den drei Worten »hat sie gehabt«, die schon mehr wie ein Niesen als wie eine menschliche Rede klangen.

Die Marketenderin fühlte das Bedürfniß, sich ins Mittel zu legen. Sie begann abermals den Säugling zu streicheln und klopfte den zwei anderen Kindern auf die Backen.

– Wie heißt der Milchegel da? fragte sie. Aber nein, es ist offenbar ein Mädel.

– Georgette, antwortete die Mutter.

– Und der Aelteste? denn der wenigstens ist doch ein Mannsbild, der Schlingel dort.

– René-Jean.

– Und der Jüngere, der ja auch ein Mannsbild ist und noch dazu zwei Backen hat wie ein Trompeter?

– Das ist mein Dicker, Alain.

– Nett sind sie, die kleinen Kerle, sagte die Marketenderin; das stolzirt euch schon so einher wie etwas Vernünftiges.

Der Sergeant aber ließ nicht ab:

– Heraus jetzt mit der Sprache, meine Dame! Hast du ein Haus?

– Ich habe eins gehabt.

– Wo?

– In Azé.

– Und warum bist du nicht mehr in diesem Haus?

– Weil man mir's verbrannt hat.

– Wer?

– Ich weiß nicht – so eine Schlacht eben.

– Woher kommst du?

– Von dort drüben her.

– Wohin gehst du?

– Ich weiß nicht.

– Zur Sache endlich: Wer bist du?

– Ich weiß nicht.

– Was, du weißt nicht, wer du bist?

– Wir sind eben Leute, die sich flüchten.

– Mit welcher Partei hältst du's?

– Ich weiß nicht.

– Stehst du zu den Blauen oder stehst du zu den Weißen? Zu wem stehst du?

– Zu meinen Kindern steh ich.

Es entstand eine Stille; dann sagte die Marketenderin:

– Ich habe nie eins gehabt, ein Kind: ich war immer so in Eile.

– Aber von deinen Eltern weißt du doch etwas? hob der Sergeant wieder an. Heraus damit, meine Dame: wie war's mit deinen Eltern bestellt? Ich heiße Radoub; ich bin Sergeant; ich stamme aus der Straße Cherche-Midi wie mein Vater und meine Mutter; ich kann von meinen Eltern erzählen. Erzähle du uns von den Deinigen. Sage uns, was das für Leute gewesen sind.

– Fléchard nannten sie sich. Weiter ists nichts mit ihnen.

– Allerdings, ein Fléchard heißt Fléchard, gerade wie ein Radoub Radoub heißt. Aber man treibt doch irgend ein Gewerbe? Womit haben sie sich beschäftigt? Womit beschäftigen sie sich? Wie haben sie sich durch die Existenz fléchardirt, deine Fléchards?

– Sie waren Bauersleute. Mein Vater war verstümmelt und arbeitsunfähig von wegen der Stockprügel, die der gnädige Herr, sein und unser gnädiger Herr, ihm hatte geben lassen, was noch aus Güte geschah, weil mein Vater ein Kaninchen weggenommen hatte, weswegen man zum Tod verurtheilt wurde; aber der gnädige Herr war barmherzig gewesen und hatte gesagt: Gebt ihm bloß hundert Stockprügel; und so ist mein Vater ein Krüppel geworden.

– Weiter.

– Mein Großvater war ein Hugenott. Der hochwürdige Herr Pfarrer hat ihn auf eine Galeere schicken lassen. Ich war noch ganz klein.

– Weiter.

– Meines Mannes Vater war ein Salzschmuggler. Der König hat ihn erhängen lassen.

– Und dein Mann, was treibt der?

– Dieser Tage hat er sich geschlagen.

– Für wen?

– Für den König.

– Weiter.

– Nun ja, und für seinen gnädigen Herrn.

– Weiter.

– Nun ja, und für den hochwürdigen Herrn Pfarrer.

– Himmelherrgottsakramentsochsen! platzte ein Grenadier heraus.

Das Weib fuhr vor Entsetzen in die Höhe.

– Sie sehen, werthe Frau, daß wir echte Pariser sind, sagte die Marketenderin verbindlich.

Das Weib faltete die Hände und rief:

– Jesus, Maria und Joseph!

– Nur keine abergläubischen Faxen, ermahnte sie der Sergeant.

Die Marketenderin setzte sich neben sie und zog den ältesten Knaben zu sich her, der es auch gern geschehen ließ. Kinder beruhigen sich gerade so, wie sie erschrecken: man weiß nicht weshalb; sie haben einen geheimnißvollen innerlichen Tastsinn.

– Sie arme gute Frau vom Land, Sie haben da ein nett Paar Rangen; das ist immerhin etwas. Man sieht ihnen ihr Alter an: der Größere geht ins fünfte Jahr, der Andere ins vierte. Aber das muß ich sagen, der Wurm, den Sie an der Brust haben, ist ein verteufelter Vielfraß. O du kleines Ungeheuer, ob du wohl aufhören wirst, deine Mama so abzugrasen!

Wissen Sie Frau, Sie müssen keine Furcht haben. Eigentlich sollten Sie sich ins Bataillon aufnehmen lassen und es machen wie ich. Mich heißen sie die Husarin; ein Spitzname, was? Aber lieber will ich so heißen als Mamsell Bicorneau wie meine Mutter. Ich bin die Marketenderin, heißt so viel wie eine Person, welche Erfrischungen herumreicht, wenn man sich zusammenkartätscht und abschlachtet, wenn der Teufel los ist, was? Wir haben ungefähr den gleichen Fuß; ich werde Ihnen ein Paar von meinen Schuhen geben. Ich habe den 10. August[2] mitgemacht zu Paris. Westermann hat von meinem Schnaps getrunken. Ich habe auch Ludwig XVI., das heißt Ludwig Capet köpfen sehen. Er wollte nicht dran; ist auch ganz begreiflich; wenn man bedenkt, daß er am 13. Januar noch Kastanien gebraten hat und gelacht mit seiner Familie! Als man ihn mit Gewalt auf das Fallbrett legte, wie man's nennt, trug er weder Rock noch Schuhwerk mehr, blos das Hemd, eine gesteppte Weste, eine graue Tuchhose und grauseidene Strümpfe. Der Fiaker, in dem er angefahren kam, war grün angestrichen. Sehen Sie, Sie thäten am besten, mit uns zu gehen; wir sind ein Bataillon von lauter guten Kerlen; Sie wären dann die Marketenderin Nummer zwei; Sie werden den Rummel bald los haben; ich will Ihnen schon zeigen, wie einfach das Geschäft ist: da hat man sein Fäßchen mit der Schelle und geht eben in den Lärm, ins Pelotonfeuer, in die Kanonenschüsse, kurz mitten in die Suppe hinein und ruft: Nun, Kinder, mag Keiner eins trinken? Das ist die ganze Hexerei. Von mir kriegt Jeder einen Schluck, auf Ehre ja, die Weißen wie die Blauen, obschon ich blau bin und das in der Wolle gefärbt; aber trinken dürfen sie Alle; das hat eine trockene Leber, so ein Verwundeter, und dann sucht sich ja der Tod die Leute nicht nach ihrem Glaubensbekenntniß aus. Im Angesicht des Todes sollten die Menschen einander eine Hand geben. Eigentlich ist es etwas Einfältiges, so eine Keilerei.

Kommen Sie nur mit! Wenn ich aus dem Leben muß, können Sie dann das Geschäft fortsetzen.

Ich sehe nur so aus, wissen Sie; im Grunde bin ich ein gutmüthiges Weib und ein braver Kerl; vor mir brauchen Sie sich nicht zu fürchten.

Als die Marketenderin schwieg, murmelte die Arme vor sich hin:

– Unsere Nachbarin hieß Marie-Jeanne und unsere Magd Marie-Claude. Unterdessen belehrte der Sergeant Radoub den einen Grenadier:

– Sei still! Du hast die Frau erschreckt. In Damengesellschaft flucht man nicht.

– Aber, entgegnete der Grenadier, es ist denn doch die reine Seekrankheit für die Intellektualität eines honetten Menschen, wenn man solche chinesische Kaffern sieht, denen der gnädige Herr den Schwiegervater zum Krüppel gehauen, denen der hochwürdige Herr Pfarrer den Großvater ins Zuchthaus, denen der König den Vater an den Galgen gebracht hat, und die sich zuguterletzt noch herumholzen und eine Rebellion anfangen und sich abtakeln lassen für den König, den gnädigen Herrn und den hochwürdigen Herrn Pfarrer!

– Keine Widerreden! rief der Sergeant.

– Man schweigt ja schon, murrte der Grenadier; aber verdrießen darf es Einen, wenn eine so nette Frau wie die sich der Gefahr aussetzt, blos für den Jux eines Pfaffen den Schädel eingeschlagen zu bekommen.

– Mann, sagte der Sergeant, wir sind hier nicht im Club unseres Stadtviertels; darum sei kein Cicero.

Und er wendete sich wieder zu dem Weib: – Aber dein Mann, meine Dame? Was treibt er? Was ist aus ihm geworden?

– Nichts: man hat ihn ja umgebracht.

– Wo denn?

– Im Busch.

– Wann?

– Vor drei Tagen.

– Und wer?

– Ich weiß nicht.

– Was? Du weißt nicht, wer dir deinen Mann umgebracht hat?

– Nein.

– War's ein Blauer oder war's ein Weißer?

– Eine Flintenkugel war's.

– Und vor drei Tagen?

– Ja.

– Wozugegen war's?

– Bei Ernée. Dort ist er gefallen, ja.

– Und du, was treibst du, seitdem du deinen Mann verloren hast?

– Ich trage meine Kinder fort.

– Wohin willst du sie tragen?

– Vorwärts.

– Und wo schläfst du?

– Auf der Erde.

– Und wovon nährst du dich?

– Von nichts.

Der Sergeant machte jene militärische Grimasse, wobei der Schnurrbart bis zur Nasenspitze hinaufgezogen wird:

– Also von nichts?

– Heißt das von Schlehen, von Brombeeren, wenn noch welche vom vergangenen Jahre her übrig geblieben sind, dann auch von Heidelbeeren und von den Schößlingen am Farrenkraut.

– Allerdings gleichbedeutend mit nichts.

Das älteste Kind schien zu verstehen und sagte:

– Mich hungert.

Da zog der Sergeant ein Stück Kommisbrod aus der Tasche und reichte es der Mutter hin. Diese brach das Brod in zwei Theile, die sie den Kindern gab. Gierig fielen die Kleinen darüber her.

– Für sich hat sie nichts behalten, brummte der Sergeant.

– Sie hat eben keine Lust zum Essen, sagte ein Soldat.

– Sie ist eben die Mutter, entgegnete der Sergeant.

Die Kinder hielten inne:

– Trinken! sagte das Eine: – Trinken! wiederholte das Andere.

– Giebt's denn kein Wasser in dem verteufelten Wald? sagte der Sergeant.

Da nahm die Marketenderin den kleinen kupfernen Becher, der neben dem Glöckchen an ihrem Gürtel hing, drehte den Hahn des Fäßchens, das sie querüber an einem Riemen trug, ließ ein paar Tropfen in den Becher rinnen und setzte ihn den Kindern an die Lippen.

Das ältere trank und verzog das Gesicht. Das jüngere spuckte aus.

– Aber es ist doch etwas Gutes, sagte die Marketenderin.

– Ein Schwerenöther? fragte der Sergeant.

– Und noch dazu vom besten. Es sind halt Bauern, antwortete sie, indem sie den Becher auswischte.

Der Sergeant begann abermals:

– So viel steht also fest, meine Dame, daß du davonläufst?

– Ich muß ja wohl.

– Immer querfeldein, so auf gut Glück hin?

– Erst renne ich aus Leibeskräften, dann geh ich nur noch, und nachher fall ich hin.

– Traurige Wirtschaft, das! meinte die Marketenderin.

– Es wird ja gerauft, stammelte das Weib. Ringsum ist Alles eine große Schießerei. Ich weiß nicht, was sie gegen einander haben. Meinen Mann haben sie mir umgebracht. Weiter versteh ich nichts davon.

Der Sergeant stampfte mit seinem Flintenkolben auf die Erde, daß es klirrte: – Ja, ein dummer Krieg, hol mich der Teufel!

– Gestern Nacht, fuhr das Weib fort, haben wir uns in einer Höhlung schlafen gelegt.

– Selb Vieren?

– Selb Vieren.

– Schlafen gelegt?

– Schlafen gelegt.

– Also aufrecht schlafen gelegt, bemerkte der Sergeant. Und zu den Soldaten gewendet:

– Kameraden, sagte er, eine Höhlung heißt in der Sprache dieser Eingeborenen ein alter, hohler, abgestorbener Baum, in den ein Mensch nur hineinschlüpfen kann wie ein Säbel in die Scheide. Aber was ist da zu machen? Es gehört einmal nicht zu den Naturnotwendigkeiten, daß Jeder in Paris geboren wird.

– In einem Baumstamm übernachten! staunte die Marketenderin, und dazu mit drei Kindern!

– Und wenn nun die Heulerei der Kleinen losging, fuhr der Sergeant fort, muß es den Leuten, die ihr Weg vorüberführte und die gar nichts sehen konnten, ganz schnurrig vorgekommen sein, einen Baum »Papa« und »Mama!« schreien zu hören.

– Es ist noch Sommer, gottlob! seufzte das Weib. Und sie starrte zu Boden, in Ergebung, mit dem Staunen der Geschöpfe, die einer Naturgewalt unterliegen.

Schweigend umstanden die Soldaten dieses Elend: eine Wittwe, drei Waisen, auf der Flucht, ausgestoßen, preisgegeben dem ringsum grollenden Krieg, dem Hunger, dem Durst, ohne eine andere Nahrung als das Gras des Feldes, ein anderes Obdach als den freien Himmel. Der Sergeant trat näher und betrachtete den Säugling. Da ließ die Kleine die Mutterbrust los, wendete langsam das Köpfchen um und schaute mit einem Lächeln aus seinen schönen blauen Augen in das unheimlich wilde, struppige, borstige Gesicht, das sich hinbeugte über sie. Der Sergeant richtete sich wieder auf: es rann ihm eine große Thräne längs der Wange herab und blieb wie eine Perle an der Spitze seines Schnurrbarts hängen. Mit fester Stimme sprach er: – Kameraden, aus der ganzen Bescheerung läßt sich schließen, daß dem Bataillon Vaterfreuden bevorstehen. Alles einverstanden? Die drei Kleinen werden an Kindesstatt angenommen.

– Die Republik hoch! riefen die Grenadiere.

– Abgemacht, sagte der Sergeant und streckte beide Arme über die Mutter und die Kleinen aus:

– Hier seht ihr also die Kinder des Bataillons Bonnetrouge.

Die Marketenderin sprang vor Freude in die Höhe und rief:

– Recht so, drei Köpfe unter einer Kappe. Dann drückte sie schluchzend, überschwänglich die arme Wittwe an ihr Herz und sagte:

– Wie doch die Kleine schon so muthwillig dreinschaut!

– Hoch die Republik! ertönte es nochmals aus Aller Mund, und der Sergeant sprach zur Mutter:

– Komm mit, Bürgerin.

Zweites Buch.

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

I.
II.
III.
IV.
V.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.

Die Korvette »Claymore«.

I.

Englisch-französische Mischung.

Inhaltsverzeichnis

Im Frühling 1793, während Frankreich, von allen Seiten her gleichzeitig angegriffen, sich mit einem pathetischen Intermezzo, dem Sturz der Gironde, beschäftigte, trug sich auf der Inselgruppe des Kanals Folgendes zu.

Eines Abends, am 1. Juni, auf Jersey, etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang, bei nebliger Witterung, die für eine heimliche Abfahrt gerade in Folge ihrer Gefährlichkeit günstig ist, segelte eine Korvette aus der kleinen öden Bucht von Bonnenuit. Das Fahrzeug hatte eine französische Mannschaft an Bord, gehörte jedoch zu der englischen Flottille, die wie ein Vorposten bei der östlichen Spitze der Insel ihre Station hatte. Die englische Flottille stand unter dem Kommando des Fürsten von la Tour-d'Auvergne, aus dem Geschlechte der Bouillon, und auf seinen Befehl war die Korvette mit einem eigenen und dringenden Auftrag detachirt worden.

Diese in Trinity-House[5] unter dem Namen »The Claymore«[4] eingetragene Korvette war scheinbar ein Fracht-, in Wirklichkeit aber ein Kriegsschiff. Trotz ihrem schwerfälligen, friedfertig merkantilen Aussehen, war ihr keineswegs zu trauen, denn bei ihrem Bau hatte man einen Doppelzweck im Auge gehabt: List, um womöglich zu täuschen, und Kraft, um nöthigen Falls zu kämpfen. Für den heutigen Nachtdienst hatte die Ladung des Zwischendecks dreißig kurzen Marinegeschützen von schwerem Kaliber den Platz räumen müssen. In Voraussicht eines Sturmes oder vielmehr um dem Fahrzeug seine harmlose Figur zu belassen, waren dieselben eingezogen, das heißt mit dreifachen Ketten dergestalt nach innen zu festgehalten, daß die Mündungen die überdies zugestopften Lucken kaum berührten; von außen war also nichts sichtbar; auch die Stückpforten waren geblendet, jede Oeffnung geschlossen; kurz die Korvette trug gewissermaßen eine Maske. Die ordonnanzmäßigen Korvetten führen ihre Geschütze nur auf dem Verdeck; dieses Schiff hingegen, für Trug und Ueberfall berechnet, war so gebaut, daß, wie wir bereits wissen, die Batterie nicht auf dem Deck, sondern im Zwischendeck untergebracht war. Obgleich nach einem massiven, gedrungenen Modell konstruirt, war der »Claymore« den Schnellseglern beizuzählen; seine Schale war so fest wie sonst keine zweite in der englischen Marine und im Gefecht blieb seine Leistungsfähigkeit kaum hinter der einer Fregatte zurück, obwohl er an Stelle des Besanmastes einen ungleich kleineren mit einer einfachen Brigantine führte. Von seltenem Scharfsinn zeugte das ausgezeichnete geschweifte Fugenwerk am Steuer, welches auf den Werften von Southampton mit fünfzig Pfund Sterling bezahlt worden war.

Die ausschließlich französische Schiffsmannschaft bestand aus übergelaufenen Matrosen und war von Emigranten befehligt. Unter diesen sorgfältig ausgesuchten Leuten befand sich auch nicht Einer, der nicht ein guter Seemann, ein guter Soldat und ein guter Royalist gewesen wäre; Alle bekannten sie sich zu dem dreifach schwärmerischen Kultus: Schiff, Waffe, König. Behufs einer eventuellen Landung war ihnen ein halbes Bataillon Marinetruppen beigegeben worden. Kapitän der Korvette war der Graf du Boisberthelot, Ritter des Sankt-Ludwigsordens und einer der verdienstvollsten Marineoffiziere des früheren Regime, Lieutenant der Chevalier von La Vieuville, der bei den Gardes-françaises die Kompagnie kommandirt hatte, in welcher Hoche Sergeant gewesen, und Lootse Philipp Gacquoil, der geschickteste Fachmann von ganz Jersey.

Daß das Fahrzeug etwas Außerordentliches vorhatte, unterlag keinem Zweifel, umsomehr als ein Mann an Bord gekommen war, dem man irgend ein Wagniß zutrauen mußte. Es war ein hochgewachsener Greis, rüstig, von aufrechter Haltung und strengen Gesichtszügen; sein Alter genau festzustellen hätte schwer fallen dürfen, da er zugleich bejahrt und doch wieder jung erschien – eine jener Gestalten voller Furchen und voller Kraft, mit weißem Haar auf der Stirn und einem Blitz im Auge, an Körperstärke Vierziger und Achtziger an geistigem Ansehen. Während er die Korvette bestieg, hatte man durch den klaffenden Schlitz seines Schiffermantels wahrnehmen können, daß er sogenannte »Bragou-Bras« oder Pumphosen trug, ferner hohe Stiefel und eine Jacke aus Ziegenfell, das seidengestickte Leder nach außen, das rauhe, borstige Haar nach innen zugekehrt, also ganz wie ein bretonischer Bauer gekleidet war. Jene altmodischen bretonischen Jacken ließen sich auf zweierlei Arten tragen, sowohl an Festtagen wie bei der Arbeit, je nachdem man sie nach der glatten oder der behaarten Seite wendete; so ging man die Woche über im Pelz, am Sonntag in der Stickerei.

Der Bauernanzug dieses Greises war überdies, gleichsam zur Vervollständigung seiner trügerisch beabsichtigten Echtheit, an Knieen und Ellenbogen wie durch langjährigen Gebrauch abgenutzt, und auch der grobe Tuchmantel glich dem heruntergekommenen Erbstück einer Fischerfamilie. Als Kopfbedeckung trug der Mann den Hut von hoher Form mit breiter Krämpe, der, wenn man letztere in der wagerechten Stellung läßt, ländlich aussieht, kriegerisch aber, wenn man sie auf einer Seite vermittelst einer Schnur und Kokarde aufstülpt. Er trug ihn nach Bauernmanier einfach mit hängender Krämpe, ohne Schnur noch Kokarde.

Der Gouverneur der Insel und der Fürst von la Tour-d'Auvergne[3] hatten ihn persönlich an Bord geführt und untergebracht, und der geheime Agent des Prinzen, Gélambre, ein ehemaliger Garde-du-corps des Herrn Grafen von Artois, der schon die Einrichtung der Kajüte selber überwacht hatte, war trotz seinem alten Adel in der Rücksicht und Hochachtung so weit gegangen, dem Greis die Reisetasche nachzutragen. Auch hatte sich Herr von Gélambre, als er das Schiff wieder verließ, vor dem Bauern tief verneigt; Lord Balcarras hatte ihm noch zugerufen: »Glück auf, General!« und der Fürst von la Tour-d'Auvergne: »Lieber Vetter, auf Wiedersehen!«

Herr v. Gélambre hatte sich vor dem Bauern tief verneigt.

»Der Bauer.« So wurde der Passagier auch wirklich gleich nach seinem Erscheinen vom Schiffsvolk in jenen wortkargen Gesprächen bezeichnet, die Seeleute mit einander führen; doch wenn ihnen auch der Schlüssel des Räthsels fehlte, so viel wußten sie immerhin, daß jener Bauer ebensowenig ein Bauer war wie der »Claymore« ein Kauffahrer.

Bei spärlichem Wind ging die Korvette unter Segel, steuerte an Boulay-Bay vorüber und blieb noch eine gute Weile lavirend in Sicht, bis sie, immer mehr zusammenschrumpfend, in der sinkenden Nacht verschwand.

Eine Stunde später schickte Gélambre von seiner Wohnung in Saint-Hélier aus folgende kurze Zeilen via Southampton an den Herrn Grafen von Artois ins Hauptquartier des Herzogs von York: »Königliche Hoheit, die Abfahrt hat soeben stattgefunden. Erfolg gesichert. In acht Tagen steht die ganze Küste in Flammen, von Granville bis Saint-Malo.«

Vier Tage vorher war dem Abgeordneten Prieur vom Marne-Departement, Kommissär des Nationalkonvents bei der Armee von Cherbourg, derzeit in Granville beschäftigt, durch einen geheimen Eilboten und von derselben Hand wie obige Depesche geschrieben, dies Billet zugestellt worden: »Bürger Abgeordneter, den 1. Juni, zur Ebbezeit, wird die Kriegskorvette mit maskirter Batterie »The Claymore« auslaufen, um einen Mann an die französische Küste zu bringen, dessen Personalbeschreibung anbei folgt: hoher Wuchs, alt, Haar weiß, Bauernkleider und Aristokratenhände. Morgen ein Näheres. Er wird am zweiten in der Frühe landen. Alarmiren Sie die Kreuzer, kapern Sie die Korvette, lassen Sie den Mann guillotiniren.«

II.

Ueber Schiff und Passagier Nacht.

Inhaltsverzeichnis

Die Korvette, anstatt südlich gegen Sainte-Catherine zuzusegeln, hatte ihren Kurs nach Norden, dann nach Osten gerichtet und war schließlich resolut zwischen Serk und Jersey in die Meerenge eingedrungen, die man le Passage de la Deroute nennt. Damals gab es weder auf dem einen noch auf dem anderen Ufer einen Leuchtthurm.

Die Sonne war völlig untergegangen und die Nacht dunkler als es sonst im Sommer zu sein pflegt; eine Mondnacht, aber ein Himmel, eher an die Aequinoktial-als an die Sonnenwendezeit erinnernd, so gleichmäßig war er mit schweren Wolken ausgefüttert; demnach konnte, aller Wahrscheinlichkeit nach, der Mond erst im Untergehen, bei seiner Berührung mit dem Horizont sichtbar werden. Einige Wolken hingen sogar bis auf das Meer herab und bedeckten es mit Nebeln.

Die allseitige Dunkelheit war jedoch günstig. Der Lootse Gacquoil hatte den Plan, Jersey links und Guernesey rechts liegen lassend, nach einer kühnen Durchfahrt zwischen Les Hanois und Les Douvres in irgend eine Bucht an der Küste von Saint-Malo einzulaufen; dieser Weg war zwar weniger kurz als der über Les Minquiers[7], aber sicherer, da die französischen Kreuzer bis auf weiteren Befehl Ordre hatten, vor Allem die Strecke zwischen Saint-Helier und Granville im Auge zu behalten.

Mit Aufgebot aller Mittel hoffte Gacquoil, unvorhergesehene Zwischenfälle abgerechnet, bei einigermaßen günstigem Wind die französische Küste vor Tagesgrauen zu erreichen.

Bis jetzt ging Alles nach Wunsch; die Korvette war eben an Gros-Nez vorbeigesegelt; das Wetter schien, wie der Seemann sagt, schmollen zu wollen; der Wind wurde stärker und die Wellen bewegter; aber gerade dieser Wind war gut und die See ging hoch, ohne deshalb stürmisch zu sein. Nur bekam bei gewissen Wogenschlägen das Vordertheil des Fahrzeugs etwas zu viel Senkung.

Der »Bauer«, den Lord Balcarras »General« genannt, und zu dem der Fürst von la Tour-d'Auvergne »Lieber Vetter« gesagt, hatte den Matrosenschritt und spazierte ruhig und gravitätisch auf dem Deck auf und nieder. Daß das Schiff heftig hin und hergeworfen wurde, schien er nicht zu bemerken.

Der Bauer spazierte ruhig und gravitätisch auf und nieder[2q].

Von Zeit zu Zeit zog er aus der Tasche seines Wammses ein Schokoladetäfelchen, von dem er ein Stück abbrach und verzehrte: trotz seinem weißen Haar hatte er noch alle seine Zähne. Nur den Kapitän redete er zuweilen leise und bündig an, sonst keine Seele, und dieser hörte ehrerbietig zu, als hielte er eher seinen Passagier als sich selber für den eigentlich Kommandirenden.

Der »Claymore« fuhr nun, in Nebel eingehüllt, sehr geschickt die gedehnte, steile Nordküste von Jersey entlang, dem Lande möglichst nah, wegen der gefürchteten Klippe Pierres de Leeq, die sich in der Mitte der Meerenge