40 Tage fasten - Timm Kruse - E-Book

40 Tage fasten E-Book

Timm Kruse

5,0

Beschreibung

"Wer ist eigentlich verrückter? Jemand, der vierzig Tage fastet, oder eine übersättigte Gesellschaft, in der alle glauben, nicht genug zu bekommen?" Timm Kruse macht die Probe aufs Exempel. Und stellt fest, dass nichts zu essen gar nicht so schwer ist. Witzig und unterhaltsam protokolliert er seinen täglichen Kampf zwischen Versuchung und Verzicht und lernt sich dabei selbst besser kennen.

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Tim Kruse

40 Tage fasten

Von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

Titel der Originalausgabe:

40 Tage fasten. Von einem, der mal Ballast abwerfen wollte

© Wilhelm Heyne Verlag/Verlagsgruppe Random House, München 2012

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2019

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: grafik·design, Martina Eisele

Umschlagmotiv: © kedsanee/iStock/GettyImages

Satz: Carsten Klein, Torgau

E-Book-Konvertierung. Carsten Klein, Torgau

ISBN (E-Book) 978-3-451-81271-2

ISBN (Taschenbuch) 978-3-451-03118-2

Inhalt

Vorwort

Der Vorabend des letzten Fastentags

Am Abend vor dem großen Fasten

Erster Tag

Zweiter Tag

Dritter Tag

Vierter Tag

Fünfter Tag

Sechster Tag

Siebter Tag

Achter Tag

Neunter Tag

Zehnter Tag

Elfter Tag

Zwölfter Tag

Dreizehnter Tag

Vierzehnter Tag

Fünfzehnter Tag

Sechzehnter Tag

Siebzehnter Tag

Achtzehnter Tag

Neunzehnter Tag

Zwanzigster Tag

Einundzwanzigster Tag

Zweiundzwanzigster Tag

Dreiundzwanzigster Tag

Vierundzwanzigster Tag

Fünfundzwanzigster Tag

Sechsundzwanzigster Tag

Siebenundzwanzigster Tag

Achtundzwanzigster Tag

Neunundzwanzigster Tag

Dreißigster Tag

Einunddreißigster Tag

Zweiunddreißigster Tag

Dreiunddreißigster Tag

Vierunddreißigster Tag

Fünfunddreißigster Tag

Sechsunddreißigster Tag

Siebenunddreißigster Tag

Achtunddreißigster Tag

Neununddreißigster Tag

Vierzigster und letzter Tag

Sechs Monate später

Dank

Über den Autor

Bildteil

Vorwort

Hängt einen wassergefüllten Rankkürbis

an den Ast eines Baumes, kniet auf den Boden

und führt das Ende der Ranke in euer Hinterteil ein,

damit das Wasser durch alle eure Eingeweide fließen kann.

Schriften der Essener

Es handelt sich bei diesem dürren Band um eine komplett überarbeitete Neuauflage meines Buchs »40 Tage fasten«, das 2012 bei Heyne erschienen ist. Das Buch war damals ein ziemlicher Überraschungserfolg und animierte Menschen im gesamten deutschsprachigen Raum zum Fasten.

Mich erreichten nach Erscheinen des Buchs Dutzende von E-Mails voller Fragen, persönlichen Erfahrungen und Ratschlägen. In dieser Neuauflage versuche ich nun, alle Fragen zu beantworten, Erkenntnisse durch den Austausch mit Lesern einzubauen und noch mehr Wert auf den sachlich-fachlichen Anteil des Buchs zu legen. Sie finden hier also Info-Kästchen mit weiterführenden Hintergründen und Fakten über das Fasten.

Aus medizinischen und juristischen Gründen sollte ich darauf hinweisen, dass es nicht ganz ungefährlich ist, 40 Tage lang zu fasten. Aber das wissen Sie bestimmt ohnehin und haben es wohl auch nicht vor. Wenn Sie aber trotzdem Lust haben, mal länger als die allgemein empfohlenen sieben Tage zu fasten, kann ich für nichts garantieren. So viel ist aber ziemlich sicher: Es dürfte Ihnen guttun.

Eines noch vorweg: Erleuchtung sollten Sie sich davon besser nicht versprechen.

Der Vorabend des letzten Fastentags

Lasst das Wasser dann aus eurem Körper fließen,

damit es aus dem Inneren alle unreinen und s

tinkenden Stoffe des Satans wegspült. Und ihr werdet

mit eurer Nase all die Abscheulichkeiten und Unreinheiten

riechen, die den Tempel eures Körpers beschmutzten,

und sogar all die Sünden, die in eurem Körper wohnen

und euch mit allen möglichen Leiden foltern.

Schriften der Essener

9. Oktober

77,7 Kilogramm

Während ich dies schreibe, wiege ich weniger, als die Weltgesundheitsorganisation WHO für gesund hält – ich bin untergewichtig.

Kürzlich meinte jemand, ich sähe aus wie ein abgehalftertes Supermodel. Oder wie ein runzliger, ausgetrockneter alter Mann nach einem Facelift, wie ein Häftling im Hungerstreik oder gar wie ein Krebskranker in seinen letzten Zügen.

Immerhin lebe ich noch – und das nach 39 Tagen ohne feste Nahrung. Dabei müsste ich den Prophezeiungen vieler besorgter Mitmenschen zufolge schon längst unter der Erde liegen. Ich dürfte zumindest keine Haare mehr auf dem Kopf haben, dazu einen Darmverschluss, abgeknickte Nieren und Zahnausfall obendrein, außerdem Organversagen oder wenigstens Herzrhythmusstörungen. Auf jeden Fall würden mich Impotenz, Inkontinenz und Schizophrenie ereilen. Letzteres trifft von außen gesehen vielleicht noch am ehesten zu. Aber ich habe mich keineswegs schrecken lassen!

Ich blättere zurück an den Anfang meines Fastentagebuchs. Vor 40 Tagen habe ich also begonnen, mein Leben zu verändern.

Am Abend vor dem großen Fasten

Die Heilung von Körper und Geist gleicherweise

ist und bleibt durch alle Menschzeitalter das Ideal.

Der übergeordnete Begriff hierfür heißt Heilfasten.

Dr. Otto Buchinger, Das Heilfasten1

31. August

93,4 Kilogramm

Voller Sehnsucht denke ich an gestern – an mein letztes Abendmahl; ein Abschiedsessen vom Essen: Oliven, Schafskäse, eingelegte Peperoni und Fladenbrot vom Griechen auf dem Wochenmarkt. Ein Hauch Knoblauch liegt noch in meinem Atem, wenn ich die Unterlippe vorschiebe und die Luft in meine Nase strömen lasse. Eine letzte Reminiszenz an fette Zeiten. An gestern.

Jetzt liege ich hier, bin schlapp und klapprig, friere, kann nicht schlafen und finde Fasten zum Kotzen, bevor es überhaupt richtig begonnen hat.

Sie müssen nämlich eines wissen: Ich liebe Essen. Ich esse ungezügelt und maßlos. Das Gefühl des Sattseins ist mir fremd. Entweder ich habe Hunger oder mir ist schlecht.

Sollte ich tatsächlich irgendwann einmal sterben – gewöhnlich blende ich diese Vorstellung aus –, dann am liebsten durch Überfressen. Der schönste Tod ist Platzen.

Pappsattsein bringt Befriedigung. Sonst nichts. Nur vollgefressen bin ich glücklich.

Jetzt gerade bin ich weder pappsatt noch vollgefressen. Nicht mal annähernd. Dafür hat der sogenannte Entlastungstag kulinarisch zu wenig zu bieten: ein Brötchen zum Frühstück, dazu Kaffee – was Fastenanleitungen zufolge nicht empfehlenswert ist, schon gar nicht vier Pötte. Mittags eine dünne Suppe. Am Nachmittag noch ein Eis. Eindeutig verboten.

Dabei habe ich es mir an diesem letzten Tag vor dem großen Fasten sogar noch gutgehen lassen. Experten erteilen nämlich strenge Auflagen: Am Entlastungstag ist höchstens ein Joghurt zum Frühstück erlaubt, mittags ein bisschen Gemüse und vielleicht noch ein Apfel am Nachmittag. Das war’s. Von Brötchen, Kaffee und Eis ist nie die Rede.

Aber das ist mir heute alles egal. Diese Kugel Schokoladeneis ist meine letzte Sünde für die nächsten 40 Tage.

Dass sich mein Gewicht nicht im dreistelligen Kilobereich bewegt, verdanke ich allein der Tatsache, dass ich täglich 30 Kilometer auf dem Fahrrad zurücklege. So weit ist es nämlich von mir zu Hause zur Arbeit und zurück. Seit ich fünfmal pro Woche mehr als eine Stunde täglich auf einem schmalen ledernen Sattel Feldwege entlangtrete, gibt es keinen Grund mehr, mich beim Essen zurückzuhalten.

Dasselbe gilt für meinen Kaffeekonsum. Kaffee ist außerdem ein guter Nahrungsersatz und Kalorienverbrenner. Fatalerweise hat vor einem Jahr eine Coffee Lounge direkt neben meiner Arbeitsstelle aufgemacht – 0,3 Liter Latte macchiato für 1,99 Euro. An manchen Tagen stehe ich fünfmal in dieser Kaffeetankstelle an der Kasse.

Ein Tag ohne Kaffee ist Zeitmüll, sagte mal ein alter Freund. Mittlerweile sehe ich das auch so.

Der Verzicht auf Kaffee ist das Schlimmste beim Fasten. Und sämtlicher Kaffeeersatz schmeckt scheußlicher als alkoholfreies Bier. Kaffee ist die subtilste Sucht, der ich bisher verfallen bin. Aber ich werde mich auch von dieser Sucht befreien! Bei Zigaretten, Alkohol und Joints hat das auch schon geklappt.

Keine Sorge – ich bin kein Gesundheitsfanatiker. Ich versuche nur für die kommenden 40 Tage, meinen Körper von Gift zu befreien. Das ist alles. Bitte denken Sie auch nicht, ich wäre ein Yogi, Sufi oder Sadhu oder so was – überhaupt nicht. Ich bin auch kein virtuoser Meister der Meditation. Mit Esoterik habe ich nichts am Hut. Höchstens Spiritualität kann ich etwas abgewinnen. Sie ist aber auch kein Steckenpferd von mir. Ich bin eigentlich ganz normal – außer, dass ich jetzt für 40 Tage fasten will. Na gut: und dabei auf ein bisschen Erleuchtung hoffe.

Es dämmert. Ich sitze zu Hause am Küchentisch, trinke literweise dünne Apfelschorle und überlege, ins Bett zu gehen, nur um den Hunger nicht mehr zu spüren. Genau genommen ist es weniger Hunger. Ich habe Lust auf was Leckeres. Ein Mars? Wildschweinrippchen? Oder heiße Banane aus der Mikrowelle mit Honig!

Um 21 Uhr lege ich mich ins Bett und überdenke mein ­Projekt. Mir gehen Fragen durch den Kopf: Wieso hörte Jesus nach 40 Tagen Fasten in der Wüste das Wort Gottes? Wieso empfing Moses nach 40 Tagen ohne Nahrung auf dem Berg Sinai die Zehn Gebote? Wieso erlangte Buddha nach 40 Tagen des Darbens unter einem Baum die Erleuchtung? Wieso? Wieso geschahen diese Dinge immer ausgerechnet nach 40 Tagen? Und warum sollte nicht auch für mich die Erleuchtung drin sein, wenn ich einfach mal 40 Tage faste? Jesus, Moses und Buddha waren davor doch auch ganz normale Bürger, oder?

Ich bin nicht religiös. Fromme Menschen sind mir suspekt. Ich ärgere mich, wenn Pastoren in Gottesdiensten die Menschen als Sünder bezeichnen, und Kirchensteuer zahle ich schon seit zwölf Jahren nicht mehr. Trotzdem glaube ich an so etwas wie Schöpfung. Irgendetwas bringt die Erde schließlich zum Rotieren. Keine Uhr ohne Uhrmacher, kein Universum ohne Gott.

Ich bin mir auch sicher, dass die Bibel und alle anderen großen, weisen Bücher der Weltreligionen den Weg zum menschlichen Glück offenbaren. Gelesen habe ich trotzdem keines. Höchstens drin geblättert.

Die Idee, 40 Tage zu fasten, kam mir vor zwei Wochen in Italien im Rahmen eines Workshops für angewandte Psychologie – mein Hobby. Mich interessiert seit Jahren, wie ich ticke, wie andere ticken und warum die Welt nicht mehr richtig tickt. Auf diesen Workshops versuchen die Teilnehmer ihre eigenen Programme und Glaubenssätze besser kennenzulernen und zu hinterfragen. Außerdem herrscht auf solchen Seminaren immer eine extrem harmonische und friedliche Atmosphäre, die einem eher unausgeglichenen Charakter wie meinem sehr guttut.

Am letzten Tag dieses einwöchigen Seminars sollten sich alle Teilnehmer einen ruhigen Platz in der Natur suchen, den Workshop noch einmal Revue passieren lassen und einfach still das Innen und Außen beobachten. Man könnte das auch Meditation nennen – aber die Workshop-Leiterin vermied das Wort. Dabei hätte ich nichts dagegen gehabt, denn ich meditiere seit ein paar Jahren mehr oder weniger regelmäßig und weiß, wie gut ein bisschen Stillsitzen mir tut. Da ich vom Naturell her eher einem Zappelphilipp gleiche als einem Zen-Mönch, ist Meditation meine Medikation – sämtliche Nebenwirkungen sind herzlich willkommen.

Ich kletterte also wie von der Workshop-Leiterin angeordnet in die Natur und saß eine viertel Stunde später auf einem Hügel mit Blick auf ein kleines Bergdorf in der Toskana, um mich und meine Umgebung zu beobachten.

Irgendwann schloss ich die Augen und richtete die Aufmerksamkeit nach innen. Ich scannte meinen Körper durch, vom Scheitel bis zur Sohle, wie es die Leiterin des Workshops empfohlen hatte. Ziemlich schnell trat eine innere Stille ein, ich wurde ruhiger, mein Atem flacher. Gedankliche Störfeuer blitzten kurz auf, hatten aber keine Tragweite mehr.

Für ein paar Minuten war ich fast ganz frei von Gedanken. Und plötzlich ploppte diese Idee hoch, unkontrolliert, unerzogen, ungewollt – sie blieb hängen wie ein Befehl: Ich muss einmal in diesem Leben für 40 Tage fasten.

Manchmal gibt es solche Ideen: Sie kommen aus dem Nichts und manifestieren sich. Ich war wie besessen von der Idee. Ich war mir sicher, eine Chance auf Erleuchtung zu haben.

Als ich zurück im Seminarraum saß, erzählte ich niemandem von meiner seltsamen Eingebung. Ich schielte lieber heimlich auf mein Handy und versuchte, im Internet etwas über diese ominösen 40 Tage zu finden:

»Und Jesus, erfüllt vom Heiligen Geist, kehrte vom Jordan zurück und wurde vom Geist vierzig Tage lang in die Wüste geführt, wo er vom Teufel versucht wurde. Und er aß nichts während dieser Tage; und als sie zu Ende waren, wurde er hungrig.« (Lukas 4,1–2)

Ich machte einen Screenshot von der Bibelstelle und wunderte mich über mich selbst. Kirche und Bibel gehörten bisher nicht zu meinen Komplizen.

Während ich jetzt in meinem Bett liege, erinnere ich mich an den Screenshot. Ich suche in meinem Handy und lese das Zitat ein zweites Mal.

Der feine Unterschied zwischen Jesus und mir ist, dass er erst nach 40 Tagen hungrig wurde. Ich bin es schon jetzt, obwohl ich noch gar nicht richtig mit dem Fasten begonnen habe. Und mein Job erlaubt es mir auch nicht, 40 Tage in der Wüste rumzuhängen und meine Rippen zu zählen. Ganz zu schweigen davon, dass die nächste Wüste von meiner norddeutschen Heimat ziemlich weit entfernt ist. Aber zumindest eine Gemeinsamkeit bleibt uns: Vom Teufel versucht zu werden ist auch bei mir an der Tagesordnung.

Eine weitere Internetrecherche ergibt, dass es in der Bibel nur so wimmelt von Fastenden: Moses, Daniel, Elia, Esther, Paulus und einige weniger Prominente widerstanden ebenfalls der Verführung durch den Teufel und kasteiten sich durch Nahrungsverzicht.

Im Alten Testament steht sogar, wann man fasten sollte:

in Zeiten eines Krieges oder der Gefahr eines Krieges (Richter 20,26; 1 Samuel 7,6); wenn geliebte Menschen erkrankt sind (2 Samuel 12,16–23); für erkrankte Feinde (Psalm 35,11–13); wenn geliebte Menschen gestorben sind (1 Samuel 31,13; 1 Chronik 10,12); um Gott seine Reue zu zeigen (5. Buch Mose 9,15–18; 1 Könige 21,17–29; Jona 3,4–10); immer wenn eine Gefahr droht (Esra 8,21; Esther 4,3 und 4,16).

Wann sollen wir dann eigentlich überhaupt noch essen?

Vielleicht verschaffen mir diese 40 Tage einen Glaubenskick, und das Buch der Bücher wird zu meiner Abendlektüre. Und ich trete am Ende wieder in die Kirche ein? Gott bewahre!

Mein biblischer Fastenmarathon hat eine dünne Vorgeschichte: Vor sieben Jahren habe ich zum ersten Mal gefastet, fünf Tage lang. Dann steigerte ich mich im Laufe der Jahre auf zwölf Tage.

Damals ging es mir vor allem um Gewichtsreduktion und Säuberung meines verseuchten Körpers. Ich trank damals noch regelmäßig Alkohol, Kiffen und Koksen gehörten auch dazu. Ich aß ständig Fleisch, hatte nichts gegen Fast Food und trank Kaffee, bis mein Herz rumpelte wie eine Waschmaschine voller Turnschuhe. Ich wollte meinem Körper eine Pause vom Chaosleben seines Herrchens gönnen.

Doch neben Fettabbau und Reinigung gab mir das Fasten ein Gefühl von Freiheit und Unabhängigkeit. Außerdem spürte ich, wie sich mein Körper innerhalb weniger Tage erholte und plötzlich so topfit war, dass ich ganze Obstplantagen hätte ausreißen können. Ich fühlte mich auch seelisch gereinigt, brauchte kaum noch Schlaf, war vollkommen klar und hatte das Gefühl, absolut authentisch zu sein; ungekünstelt. Undressiert. Ich spürte zum ersten Mal, dass es eine Alternative zu meinem wilden Leben geben könnte. Eine Alternative, die mir vielleicht ein längeres, gesünderes und vor allem glücklicheres Leben bescheren könnte.

Das Fasten war zwar jedes Mal eine Quälerei, bescherte mir aber solche Glücksmomente, dass ich mindestens einmal im Jahr für eine Woche oder mehr fastete. Danach verfiel ich allerdings nach wenigen Wochen wieder in den alten Trott und trank, rauchte und fraß in pathologischen Dosen.

Besonders vorbereitet habe ich mich auf die 40 Tage nicht. Immerhin habe ich im Internet einen ganzen Stapel Bücher übers Fasten bestellt. Ich will wissen, ob meine Erfahrungen mit denen der großen Fastenexperten übereinstimmen und ob das, was ich an körperlichen Veränderungen spüren werde, wissenschaftlich belegbar ist.

Wir glauben ja nichts mehr, was nicht in irgendwelchen Studien überprüft worden ist.

! Der Entlastungstag

Fasten beginnt immer mit dem sogenannten Entlastungstag; Tag null. Es ist der Tag vor der eigentlichen Kur und dient dazu, den Körper sanft auf das Fasten vorzubereiten. An diesem Tag gibt es lediglich leichte und bekömmliche Kost. Also kein Brot, kein Fleisch, keine Nudeln, keine Süßigkeiten. Alkohol oder andere schädliche Substanzen sind natürlich ebenfalls verboten. Stattdessen gibt es Joghurt, vielleicht ein bisschen Kartoffelpüree oder ein Süppchen. Mehr nicht. Je strenger Sie an diesem Tag mit sich sind, desto leichter fällt Ihnen der Anfang Ihrer Fastenperiode.

Erfahrene Fastende machen den Entlastungstag an einem Sonntag, um montags mit dem Fasten loszulegen.

Wenn Sie zum ersten Mal fasten, sollten Sie sich eine Woche Urlaub gönnen. Zumindest in den ersten drei Tagen werden Sie kaum in der Lage sein, zu arbeiten.

Vor allem für Workaholics kann es schwer sein, die freie Zeit auch zu genießen. Suchen Sie Entspannung. Gehen Sie in eine Therme oder in die Sauna, verbringen Sie viel Zeit in der Natur, reiben Sie sich mit Ölen ein, meditieren Sie oder hören Sie klassische Musik. Sie werden merken, welche Ruhe in Ihrem Körper herrscht, wenn Nahrungsbeschaffung und -verarbeitung keine Rolle spielen.

1 Otto Buchinger: Das Heilfasten und seine Hilfsmethoden als biologischer Weg, Hippokrates Verlag, 24. Aufl., 2005.

Erster Tag

Das viele Essen und besonders das Fleischessen

unterdrücken die Vernunft, machen untüchtig

zu scharfem Nachsinnen und erzeugen träge Gemüter,

die zu jeder Dummheit und Torheit fähig sind.

Theophrastus, griechischer Philosoph und Naturforscher

1. September

92,5 Kilogramm

6 Uhr. Fasten beginnt immer gleich: »Glaubern« am frühen Morgen: 40 Gramm Glaubersalz mit viel Wasser möglichst ex. Sich beim Baden im Meer zu verschlucken ist dagegen ein Genuss. Glaubersalz schmeckt wie die Essenz einer verdunsteten Monsterwelle. Der Mund möchte sich am liebsten umstülpen.

Zum Glück habe ich durch diverse Trinkspiele als Jugendlicher Erfahrung in Sachen Viel- und Schnelltrinken.

Außerdem habe ich eine neue Methode entwickelt: Ich trinke Glaubersalz als konzentrierte Lösung und kippe dann erst die vorgeschriebenen anderthalb Liter Flüssigkeit hinterher. Am liebsten in Form von Apfelschorle. Vermengen kann sich das Ganze dann im Magen. Das ist weitaus angenehmer, als es nach Vorschrift zu machen und anderthalb Liter Glaubersalzwasser zu trinken. Etwa zwei Stunden später setzt schwallartiger Durchfall ein. Der erste Klogang ist am heftigsten. Von da an ist alles nur noch qualvoll und ekelhaft und widerlich.

Man verbringt die folgenden Stunden unbedingt in Toilettennähe und erträgt stoisch Hunger und Mattigkeit. Prost Mahlzeit.

! Glaubern

Am Morgen des ersten Fastentags schlucken Sie 40 Gramm Glaubersalz, in Wasser aufgelöst. Je weniger Wasser Sie nehmen, desto schneller haben Sie dieses ekelhafte Getränk runtergewürgt. Insgesamt sollten Sie zwei Liter Wasser trinken, damit sich das Salz in Magen und Darm ordentlich verteilen kann.

Seien Sie gewiss: Das ist der ekelhafteste Teil beim Fasten. Anschließend sollten Sie unbedingt in Klonähe bleiben. Erwarten Sie über mindestens zwei Stunden verschiedene heftigste Durchfallattacken.

Glaubersalz funktioniert bei jedem Menschen. Je strenger Sie am Entlastungstag waren, desto besser wirkt das Salz in Ihren Därmen. Der Körper versucht, das Glaubersalz loszuwerden, sammelt literweise Flüssigkeit in seinem Verdauungstrakt und scheidet es dann kräftig und heftig aus. Natürlich ist es deshalb auch wichtig, viel zu trinken!

Sobald der Ausscheidungsprozess beendet ist, werden Sie sich schlapp, matt und erledigt fühlen. Der heftige Durchfall erinnert den Körper vermutlich an seinen letzten Magen-Darm-Infekt. Legen Sie sich hin und ruhen Sie sich aus. Gönnen Sie Ihrem Körper für die nächsten Tage Ruhe, entspannen Sie bewusst.

So elend habe ich mich nach dem Glaubern noch nie gefühlt! Ich gehe heute auf gar keinen Fall zur Arbeit. Als freier Mitarbeiter beim NDR-Fernsehen kann ich mir diesen Luxus leisten. Ich bekomme kein festes Grundgehalt, sondern verdiene nur Geld, wenn ich arbeite, das heißt: einen Fernsehbeitrag produziere.

Normalerweise gehe ich um zehn zur Konferenz, schlage dort entweder ein Thema vor oder ergattere eines, das aktuell ansteht. Wenn weder das eine noch das andere der Fall ist, habe ich frei, kann recherchieren, flurfunken oder Kaffee trinken – verdiene dann aber auch nichts. Trotzdem darf ich natürlich nicht einfach tage- oder wochenlang wegbleiben, sonst sitzt irgendwann ein anderer auf meinem Stuhl. Da fällt mir ein, dass ich meinen Kollegen noch gar nichts von meinem Fastenvorhaben erzählt habe. Dabei hätte ich noch nicht einmal einen Ruf zu ruinieren …

Wir »Freien« haben alle Freiheiten. Hauptsache, die Beiträge haben öffentlich-rechtliches Niveau, sind seriös und aktuell. Zeitgemäß sollten sie auch sein, dürfen aber den Durchschnittszuschauer des Schleswig-Holstein-Magazins – ab Mitte 60 aufwärts – nicht überfordern.

Ein durchschnittlicher Arbeitstag sieht ungefähr so aus: Vor einem Dreh recherchiere ich, schreibe ein Konzept und bespreche mich mit dem tagesaktuellen Vorgesetzten. Der stellt dann die Fragen, die die Zuschauer interessieren: Wer hat wann, was, wie, wo, warum gemacht. Wer ist der Hauptdarsteller, welche Herausforderung hat er, was ist die Veränderung innerhalb des Films. Im Idealfall beantworte ich alle Fragen, erkläre noch ein paar dramaturgische Strukturen (wenn ich wirklich gut vorbereitet bin) und vereinbare anschließend Dreh- und Interviewtermine.

Im Kleinbus, dem NDR-Bulli, geht’s gemeinsam mit Kameramann und Kameraassistent »auf Dreh«. Irgendwo in Schleswig-Holstein. Und Schleswig-Holstein ist größer, als man denkt. Immerhin gibt es hier eine Ost- und eine Westküste. Wie in Amerika. Kiel–Husum. New York–San Francisco.

Im Bulli und später vor Ort besprechen wir, welche Bilder wir brauchen, ich führe Interviews, recherchiere weiter und informiere die Redaktion über den Zwischenstand. Meist drehen wir an zwei oder drei verschiedenen Orten.

Wenn der Kameramann, der Assistent (»Assi«) und ich glauben, alles »abgedreht« zu haben, fährt uns der »Assi« zurück ins Funkhaus nach Kiel. Der Kameramann und ich schlafen dabei häufig ein. Der »Assi« bisher noch nie.

Danach schneidet ein Cutter aus einigen Stunden Rohmaterial einen zwei- bis dreiminütigen Film zusammen. Im Cut entscheidet sich, ob der Film gut oder schlecht wird. Dabei gibt es Cutter, die aus Stroh Gold machen und umgekehrt.

Während der Cutter in Absprache mit mir die Bilder in der entsprechenden Reihenfolge und Länge digital aneinanderfügt, Interviewschnipsel einsetzt und Geräusche und Musik unterlegt, schreibe ich einen Text zum Film, der möglichst viel Information enthält, die Bilder erläutert und im Idealfall den richtigen Ton trifft. Nach etwa zwei bis drei Stunden rufe ich den zuständigen Vorgesetzten erneut an. Der macht ein paar Verbesserungsvorschläge, die wir möglichst zügig einbauen. Dann setze ich mich in die Vertonungskabine, spreche meinen Text auf die Bilder und kurz danach läuft der Beitrag im NDR-Fernsehen.

Nach solchen Tagen, vor allem unter Zeitdruck, glüht mein Gesicht, als hätte ich den ganzen Tag in der prallen Sonne gesessen, und mein Herz pocht dumpf wie eine ausgeleierte Orchestertrommel. Ich bin nach solchen Produktionen todmüde und aufgedreht zugleich, fühle mich wie ein Soldat, der soeben einem Hinterhalt entkommen ist. Heldenhaft. Und im Hinterkopf die Frage: Für wen mache ich das eigentlich?

Während meiner ausgedehnten Glauberphase brauche ich absolute Ruhe. Zum Glück sind meine Mitbewohner für ein paar Tage verreist und haben mich allein gelassen auf unserem Bauernhof. Nichts wäre mir jetzt peinlicher, als bei der Entleerung meines Körpers Ohrenzeugen zu haben.

Wir leben zu dritt etwa fünfzehn Kilometer außerhalb Kiels, ein alter Schulfreund und seine Frau unten, ich im oberen Stockwerk. Die Küche ist unser Gemeinschaftsraum.

Dreißig Quadratmeter, Holzdecke, ein alter Ofen als einzige Heizmöglichkeit. Es ist immer kalt in der Küche, vielleicht sitzen wir deshalb so selten zusammen.

Mit dem Backsteinbau aus den Dreißigerjahren haben wir uns vor zwei Jahren einen Traum erfüllt. Der Hof ist einsam gelegen und ziemlich idyllisch. Wir leben auf zweihundertfünfzig Quadratmetern Wohnfläche, dreitausend Quadratmetern Grundstück und zahlen tausend Euro warm.

Der Hof befindet sich allerdings in einem schlechten Zustand. Im Winter schlafen wir mit Pudelmütze. Im Sommer riechen unsere Klamotten muffig nach Stall, und je nach Jahreszeit wachsen uns Schwielen an den Händen von der vielen Gartenarbeit.

Gemeinsam kümmern wir uns um unseren Hahn Otto und seine vier schnellen Brüter. Auf der Weide hinter dem Haupthaus grasen die Schafe unserer Vermieterin. Am meisten Arbeit macht der Gemüsegarten. Aber was wäre ein Hof ohne eigene landwirtschaftliche Produkte? Wir haben uns zwar unseren Traum vom Wohnen und Leben verwirklicht, müssen dafür jedoch ziemlich viel arbeiten.

Leider entwickelte sich unsere lange Freundschaft im Laufe des gemeinsamen Wohnens zur Zweckgemeinschaft. Zusammenleben ist eine Kunst, die noch erschwert wird, wenn sich eine Baustelle nach der nächsten auftut. Wir müssen Pläne entwerfen, Finanzierungen besprechen, Kompromisse eingehen, die geizige Vermieterin ertragen. Da bleibt fast keine Zeit mehr, einfach nur unseren Hof zu genießen.

Meine Mitbewohner zeigten sich sehr besorgt, als ich ihnen gestern von meinem Plan erzählte – 40 Tage fasten! Und natürlich stellten sie auch die Frage aller Fragen: Warum machst du das? Ich traute mich nicht, ihnen darauf zu antworten. Das Erleuchtungs-Argument zieht in unseren Kreisen nicht.

Erst jetzt fallen mir mehrere gute Gründe ein:

Ich will mich in Disziplin üben. Wenn ich 40 Tage ohne Essen auskommen kann, dann werde ich in Zukunft auch auf vieles andere verzichten können. Die Gier nach Essen und Konsum im Allgemeinen darf gerne schrumpfen. Ich will ein paar Pfunde verlieren und alten Müll loswerden. Schadet ganz bestimmt nicht. Es ist auch ein Selbstbeweis. Ich kann etwas schaffen, was andere für vollkommen ausgeschlossen halten. Und: Ich will Erleuchtung. Und zwar sofort. Offenbarung im Eiltempo. Erleuchtung im Sauseschritt. Was Jesus kann, kann ich auch!

Ob meine Mitbewohner das verstanden hätten? Ich glaube nicht. Sie meinten, 40 Tage Fasten sei Wahnsinn, schüttelten den Kopf und versuchten, mich zur Raison zu rufen. Mich stachelt so etwas eher an, meinen eigenen Kopf durchzusetzen.

Unser Bad ist zwanzig Quadratmeter groß. Es ist rot gestrichen, hat eine Badewanne und extra Dusche. Den Boden schmücken alte Steinfliesen. Von der dreieinhalb Meter hohen Decke hängt ein vierarmiger Lüster. Wenn ich auf dem Klo sitze, fühle ich mich wie in einem Schloss des Fin de Siècle. In diesem Ambiente muss einem einfach Erhabenes einfallen.