6 Arztromane im Auswahlband September 2025 - Leslie Garber - E-Book

6 Arztromane im Auswahlband September 2025 E-Book

Leslie Garber

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Arztromane: Doktor Jensen und das große Glück (Samtara Anderson) Wenn ein Arzt sein Herz verliert (Sandy Palmer) Seh ich mein Kind nie wieder? (Sandy Palmer) Seine begnadeten Hände (Sandy Palmer) Kongress außer Kontrolle (Anna Martach) Auch ein Chefarzt darf sich verlieben (Leslie Garber) Die ehemalige Schauspielerin Edith Gruhl fühlt sich in ihrer Ehe mit dem fünfzehn Jahre älteren Augenarzt Ludwig Gruhl eingesperrt. Sie entflieht in die Welt des Fernsehens, des Films und in die Arme des Regisseurs Hans Rufus. Kann der hart arbeitende Augenarzt die Ehe mit seiner jungen Frau retten?

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Seitenzahl: 521

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Samtara Anderson, Sandy Palmer, Anna Martach, Leslie Garber

6 Arztromane im Auswahlband September 2025

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Inhaltsverzeichnis

6 Arztromane im Auswahlband September 2025

Copyright

​Doktor Jensen und das große Glück

​Wenn ein Arzt sein Herz verliert

Seh ich mein Kind nie wieder?

Seine begnadeten Hände

Kongress außer Kontrolle

Auch ein Chefarzt darf sich verlieben: Arztroman

landmarks

Titelseite

Cover

Inhaltsverzeichnis

Buchanfang

6 Arztromane im Auswahlband September 2025

Sandy Palmer, Anna Martach, Leslie Garber, Samtara Anderson

Dieser Band enthält folgende Arztromane:

Doktor Jensen und das große Glück (Samtara Anderson)

Wenn ein Arzt sein Herz verliert (Sandy Palmer)

Seh ich mein Kind nie wieder? (Sandy Palmer)

Seine begnadeten Hände (Sandy Palmer)

Kongress außer Kontrolle (Anna Martach)

Auch ein Chefarzt darf sich verlieben (Leslie Garber)

Die ehemalige Schauspielerin Edith Gruhl fühlt sich in ihrer Ehe mit dem fünfzehn Jahre älteren Augenarzt Ludwig Gruhl eingesperrt. Sie entflieht in die Welt des Fernsehens, des Films und in die Arme des Regisseurs Hans Rufus. Kann der hart arbeitende Augenarzt die Ehe mit seiner jungen Frau retten?

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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​Doktor Jensen und das große Glück

Samtara Anderson

Doktor Jensen und das große Glück: Arztroman: Der Wattenmeer-Arzt auf Sylt 5

von Samtara Anderson
Der Zirkus ist da – und bringt frische Farbtupfer nach Kentrum. Sowohl Pieter Jensen als auch Tierärztin Hedy Pedderson haben mehrere heikle Einsätze. Zwischen zwei jungen Leuten funkt es jedoch, was für arge Turbulenzen sorgt. Ein dickköpfiger Vater schaltet auf stur. Aber treiben es nicht auch die Zirkusleute etwas zu bunt?
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1
„Birte? – He, Birte, erkennst du mich nicht mehr? Himmel, wie lang habe ich dich nicht gesehen? Wo hast du gesteckt all die lange Zeit? Und wie kommst du ausgerechnet jetzt her?“
Der junge Mann mit den lachenden blauen Augen glaubte, dass ihm das Herz stehenbleiben müsste. Er lief quer über die Straße auf die Wiese zu, wo ein reizendes blondes Mädchen gerade dabei war, Futter für ein paar Affen zuzubereiten.
Affen? Ja, der Zirkus war nach Kentrum gekommen. Und beileibe nicht einer von den kleinen, die mehr schlecht als recht durch die Lande zogen und kaum genug Geld für das Futter erspielten.
Nein, es war der große bekannte Zirkus Winter-Feddersen, eine Sensation auf diesem Gebiet. Und ausgerechnet hier draußen, wo die Arbeiter und Helfer eifrig damit beschäftigt waren, alles aufzubauen, die zahlreichen Tiere zu versorgen, und auch schon den Auftritt zu proben, musste Matthes Groote, der Sohn eines Krabbenfischers, die junge Frau wiederentdecken, für die er schon während der Schulzeit geschwärmt hatte. Und nicht nur geschwärmt. Er hatte regelrecht sein Herz an sie verloren und war untröstlich gewesen, als sie damals einfach wieder aus seinem Leben verschwand.
Natürlich war der junge Mann, wie fast jeder im Ort, rein „zufällig“ hierher gelaufen, um zuzuschauen, wie es so zuging beim Zirkus. Und dabei hatte er Birte entdeckt.
Sie war immer noch so aufregend wie früher, da sie für einige Monate in die gleiche Schule wie er gegangen war. Doch sie gehörte zum „fahrenden Volk“, wie sein Vater immer abfällig sagte, und damit war die junge Frau ganz und gar nicht qualifiziert für ein normales Leben.
Das hatte Matthes allerdings nie daran gehindert, hoffnungslos für Birte zu schwärmen, insgeheim und aus der Ferne.
Sie war allerdings auch ein ganz besonderes Mädchen, schlank, schon grazil zu nennen, mit natürlich goldblonden Haaren und braunen Augen, die ganz intensiv schauen konnten. Ihre Bewegungen waren stets geschmeidig und beherrscht, und ihr ganzes Wesen strahlte Freundlichkeit und Wärme aus.
Sie schaute jetzt auf, als sie die lauten Rufe des Mannes hörte und blickte sich etwas verwundert um. Dann stutzte sie, und schließlich glitt ein Lächeln auf ihr Gesicht.
Einer der Arbeiter wollte Matthes gerade vom Gelände schicken, doch Birte machte ihm ein Zeichen. Sie wischte sich die Hände an der hautengen Hose ab und kam auf den Mannes zu.
„Matthes Groote, dich gibt es auch noch? Ich hätte nicht gedacht, dass du dich an mich erinnerst. Schön, dich zu sehen“, strahlte sie ihn an.
„Wer könnte dich denn vergessen?“, erklärte er bewundernd, und unwillkürlich errötete die junge Frau. „Du musst mir unbedingt erzählen, was du hier tust“, fuhr er fort, und Birte lachte auf.
„Wonach sieht es denn aus?“
„Na, ich weiß nicht so recht. Bist du jetzt unter die Tierpfleger gegangen?“, erwiderte Matthes etwas unsicher.
„Ja, das auch“, erklärte die junge Frau ernsthaft. „Weißt du, in unserem Zirkus muss jeder überall mit anfassen. Eigentlich habe ich meine Nummer bei der Vorstellung hier in der Manege. Aber ich bin auch dafür zuständig, dass unsere Affen was zu futtern bekommen. Und beim Nähen der Kostüme helfe ich auch.“
Das alles klang neu und verwirrend für den Mann, der ein normales geregeltes Leben kannte und sich gar nicht vorstellen konnte, wie jemand nicht nur so unstet, sondern auch abwechslungsreich leben konnte.
Birte zog ihn mit sich, und er betrachtete neugierig all das, was ihm hier so fremd war. Wie eine eigene kleine Stadt war so ein Zirkus, verwirrend und vielfältig – und Birte gehörte einfach dazu. Eine fremde Welt tat sich für Matthes auf, und er nahm begierig alles in sich auf, wollte am liebsten gar nicht mehr gehen, um noch länger die Nähe dieses verführerisch schönen Mädchens genießen. Doch das ging natürlich nicht, wie er unsanft erkennen musste.
Ein Mann kam auf Birte zu. Er machte einen gehetzten Eindruck, und seine Stimme klang abweisend.
„Bist du bald fertig mit den Tieren? Dann schick den da weg, du hast gleich noch eine Probe, und morgen ist schließlich Premiere. Du kannst es dir nicht leisten, dass etwas schief geht.“
„Ja, schon gut, Leonard“, erklärte sie und schaute Matthes mit einem um Entschuldigung bittenden Lächeln an.
„Leo hat recht, ich darf meine Arbeit nicht versäumen. War schön, dich mal wieder getroffen zu haben, Matthes. Tschüss.“
„Halt, warte. Kann ich dich wiedersehen?“, bat er rasch.
„Sicher. Warte, ich gebe dir eine Freikarte für die Premiere. Es freut mich, wenn du wirklich da bist.“
So hatte der junge Mann das eigentlich nicht gemeint. „Ja, da will ich wohl gern kommen“, stimmte er zu, hatte einen trockenen Mund und fuhr dann aber mutig fort. „Ich meine, ich würde dich gern auch mal einladen, auf ein Eis oder einen Kaffee. Oder kannst du dich hier nicht freimachen? Bist du hier vierundzwanzig Stunden am Tag im Einsatz?“
„So könnte man es nennen“, lachte Birte. Doch sie hielt inne, als sie das enttäuschte Gesicht des Mannes sah. „Ich werde drüber nachdenken.“ Sie winkte ihm noch fröhlich zu und verschwand dann in einem der Wohnwagen.
Matthes schaute sich noch einmal um. Es schien eine Ordnung zu geben in diesem Gewimmel, auch wenn er sie nicht erkennen konnte.
Plötzlich wurde er unsanft vorangestoßen, sodass er fast auf den Boden fiel. Als er sich empört herumdrehte, stand ein Elefant hinter ihm und pendelte mit dem Rüssel. Daneben stand ein Mann mit dunklen Augen und fremdländischen Gesichtszügen.
„Archibald hat recht, Fremde gehören weg“, erklärte er mit starkem Akzent.
Matthes sah ein, dass er gut daran tat, dieses Gelände doch recht schnell zu verlassen.
2
Alwin Groote, Chef der Krabbenfischer von Kentrum und der umliegenden Ortschaften, wie auch der Fischverarbeitungsfirma, saß am Esstisch und schaute seinem Sohn etwas ungehalten entgegen.
„Du bist zu spät“, rügte er und warf einen vorwurfsvollen Blick auf den Tisch, auf dem das Essen wartete.
„Tut mir leid“, erklärte Matthes und setzte sich rasch. „Ich war drüben beim Zirkus und habe eine alte Schulfreundin wiedergetroffen. Dabei habe ich wohl die Zeit vergessen.“
Ohne hinzusehen wusste der junge Mann, dass im Gesicht seines Vaters Missbilligung lag.
„Bist du noch ein kleiner Junge, dass dich das fahrende Volk fasziniert? Diese Leute haben keine Heimat, keinen festen Halt im Leben und keinen Anstand. Ich wünsche nicht, dass du dich mit denen abgibst.“
„Ach, komm, Vadder, nun übertreib mal nicht. Das sind Menschen wie du und ich. Sie haben nur eine andere Arbeit als wir. Aber die verdienen ihren Lebensunterhalt genauso durch ehrliche Arbeit wie wir auch. Du hast doch wohl heutzutage keine Vorurteile mehr?“
„Das hat nichts mit Vorurteilen zu tun“, widersprach der alte Groote. „Diese Leute stehen außerhalb der Gesellschaft, und da sollen sie gefälligst auch bleiben. Im Übrigen betrachte ich dieses Thema jetzt als abgeschlossen. Ich hätte da noch was anderes mit dir zu bereden.“
Matthes seufzte unmerklich. Wenn der Vater in diesem Tonfall begann, dann wurde es meist schwierig.
Der alte Groote war ein Mann, der keinen Widerspruch gelten ließ und grundsätzlich alles unter Kontrolle haben wollte.
„Stimmt was nicht mit der Firma?“, wollte der junge Mann wissen. Aber diese Frage war überflüssig, er arbeitete als Geschäftsführer des Verbandes selbst mit und hätte es gewusst, wenn etwas nicht in Ordnung war. Die folgenden Worte bestätigten das.
„Nein, da ist alles in bester Ordnung. Du hast dich auch gut gemacht, min Jung, ich bin zufrieden mit dir. Aber damit es auch in Zukunft so bleibt, bin ich der Meinung, dass es für dich an der Zeit ist ein anständiges Mädchen zu heiraten.“
„Vadder!“ Matthes sprang auf. „Ich bin wohl in der Lage, mir selbst ein Mädchen zu suchen, wenn ich mich verlieben will.“
Stirnrunzeln beim alten Herrn. „Du glaubst doch nicht etwa, dass es was mit Liebe zu tun haben muss, wenn man heiratet? Viel wichtiger ist es, dass die junge Frau für die Firma gut ist, aus einer ordentlichen Familie stammt und nicht allzu hässlich ist. Die Liebe kommt dann schon von allein.“
„Nein!“ Noch nie hatte Matthes seinem Vater in dieser Art widersprochen, und der alte Herr blickte erstaunt auf.
„Darüber gibt es doch wohl nichts zu diskutieren. Du bist mein Erbe, und als solcher hast du die Verpflichtung, für die Firma das Beste zu tun. Auch wenn wir mittlerweile eine große Gesellschaft sind, wird die Firma doch weiter von unserer Familie geführt.“
Das war zu viel für den Mann. „Wenn ich meine Frau nicht frei wählen kann, dann will ich die Firma nicht“, erklärte er.
„Tünkram, du hast noch gar keine Ahnung, was du wirklich willst.“
„Vadder, du hast doch Mama auch geliebt, oder nicht? Was hättest du wohl gesagt, wenn man dir vorgeschrieben hätte, wen du zu lieben und zu heiraten hättest?“
Ein erstaunter Blick traf ihn. „Das war doch etwas vollkommen anderes. Schließlich hatte ich damals nicht mehr als einen kleinen Kutter. Ich musste nicht an eine ganze große Firma denken.“
„Ich kann auch an die Firma denken, ohne dass ich mich meistbietend versteigere“, sagte Matthes bitter.
„Du übertreibst. Und außerdem bist du mein Sohn, ich werde bestimmt keine Wahl treffen, die dir ganz und gar zuwider ist. Du hast ja noch nicht mal gefragt, wen ich da im Auge habe. Du bist ein bisschen voreilig, mein Sohn. Du solltest mir doch wohl etwas Geschmack zutrauen.“
Der junge Mann starrte vor sich auf den Tisch und bemühte sich, den aufkommenden Zorn im Zaum zu halten. Wie kam sein Vater dazu, ihm sein Leben vorzuschreiben? Wenn er heiraten wollte, dann ein Mädchen, das er von Herzen liebte. So wie Birte.
Ein Schreck durchzuckte Matthes, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss. Ja, Birte hatte er früher schon geliebt, ohne sich dessen wirklich bewusst zu sein. Und heute waren diese Gefühle wieder voll entfacht worden. Nein, ganz bestimmt wollte er nicht irgendein Mädchen, das vielleicht noch eine Erweiterung in die Firma mitbrachte, geschäftstüchtig war und keine Gefühle in ihm weckte. Er wollte Birte.
Aber das würde sein Vater natürlich nicht verstehen, schon gar nicht heute, wo er sich auf ein Thema versteift hatte und anderen Argumenten sowieso nicht zugänglich war. Im Augenblick war es bestimmt besser, ein Stückchen nachzugeben und zu einer anderen Zeit einen Vorstoß zu wagen.
Ergeben nickte der junge Mann. „Und wen hast du nun im Auge, Vadder? Du kannst mir ja mal ein Mädchen vorschlagen, und dann sehen wir weiter.“
„Na also, ich wusste doch, dass noch ein bisschen Verstand in deinem Kopf steckt. Habe ja nichts dagegen, wenn du ab und zu mal ausbrechen musst. Du kannst dir ja auch Appetit holen, aber du solltest grundsätzlich vernünftig bleiben. Also, ich habe da an Dagmar Levander gedacht. Ihrem Vater gehört die große Werft. Das wäre eine gute Fusion für beide Seiten. Aber natürlich müsst ihr euch erst mal kennenlernen. Das Mädchen ist zwei Jahre jünger als du, und man sagt, dass sie in der Firma fast so gut ist wie ihr Vater.“
Innerlich seufzte Matthes, und vor seinen Augen entstand das Bild von Birtes reizendem Gesicht. Aber er konnte diesem Gespräch natürlich nicht entgehen. Und um nicht einen unnötigen Krach mit seinem Vater zu provozieren, würde er gute Miene zum bösen Spiel machen – vorerst.
„Du hast ja wohl schon einiges ins Vorne geplant. Was denkst also, wann wir das hinter uns bringen können?“
„Das klingt nicht begeistert, Junge. Aber ich bin sicher, du wirst deine Meinung schon noch ändern. Morgen Nachmittag treffen wir alle uns ganz zwanglos im Restaurant im Feriendorf.“
Matthes nickte. Man musste ja nicht wirklich gleich einen Streit vom Zaun brechen. Aber er hatte ganz bestimmt nicht vor, mit diesem Mädchen womöglich gleich Verlobung zu feiern.
3
Das vertraute Fauchen der Löwen klang aus dem Käfig. Birte kam durch den Vorhang, der die Manege begrenzte, in der Hand hielt sie Stock und Peitsche, mehr Spielerei als Hilfsmittel. Sie hatte ihre Raubkatzen von klein auf gut im Griff, jede einzelne war liebevoll großgezogen worden, ohne jemals außer Acht zu lassen, dass es sich dabei um wilde Tiere handelte, die man nur bedingt zähmen konnte. Doch sie vertraute ihren Katzen, und sie machte nicht den Fehler, in ihnen Schoßtiere zu sehen.
Birte betrat den Gitterkäfig und behielt speziell Radscha, das Alpha-Tier der Löwengruppe, im Auge. Es gab keine weiblichen Tiere in dieser Nummer, so kam es nicht zu Eifersucht und Imponiergehabe.
„Hopp, Radscha, spring, mein Schöner.“ Die Befehle der bildhübschen Dompteuse kamen sicher und ohne Zögern, und die Löwen gehorchten willig. Unwillkürlich musste Birte lächeln, als sie daran dachte, dass Matthes keine Ahnung hatte, was sie hier im Zirkus eigentlich tat. Er wäre sicher mehr als überrascht gewesen. Ihre Gedanken wanderten für eine kurze Zeit zurück.
Damals, in der Schule, hatte sie schon bemerkt, dass er für sie schwärmte. Aber sein Vater war auch damals schon regelrecht furchteinflößend, und bis heute war das wohl nicht anders geworden. Der alte Groote hatte festgefügte Vorstellungen von der Welt, und er sah keinen Grund, daran etwas zu ändern. Ein Mädchen, das mit dem Zirkus umherzog, war nicht die rechte Bekanntschaft für seinen Sohn – nicht einmal als Schulfreundin, wie sie damals auf einer Geburtstagsfeier hatte feststellen müssen. Schade drum, Matthes war ein netter Kerl. Nein, eigentlich war er mehr als nur nett, die junge Frau hätte nichts gegen eine engere Freundschaft einzuwenden gehabt, aus der sich vielleicht mehr hätte entwickeln können.
Für einen Augenblick hatte Birte in ihrer Konzentration nachgelassen, und schon tanzte einer der Löwen aus der Reihe. Mit einem scharfen Befehl brachte sie ihn wieder zum Gehorsam.
„Was machst du denn da?“, rief Hinnerk Feddersen, der Direktor und Besitzer des Zirkus – und Birtes Vater. „Du weißt doch genau, dass du dich selbst nicht ablenken darfst.“
„Ja, ist schon gut“, gab sie zurück und schimpfte innerlich über sich selbst und ihren dummen Fehler.
„Hat dein Träumen was mit dem Mann zu tun, der heute hier gewesen ist?“, erkundigte sich der alte Herr, der seine Tochter von Herzen liebte.
Birte lachte leise auf. „Ich hätte wissen müssen, dass hier nichts privat bleiben kann. Hat sich das gleich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass ich Besuch gehabt habe? Das war ein alter Schulkamerad, nichts weiter.“ Das Mädchen gab einen letzten Befehl und machte dann den Helfern vor dem Käfig ein Zeichen. Der Lauftunnel wurde geöffnet, und die Löwen kehrten in ihre großzügigen Käfige zurück. Erst jetzt kam Birte aus der Manege und blickte ihren Vater an, der mit einem wissenden Grinsen dastand.
„Komm nur nicht auf komische Ideen“, warnte sie scherzhaft. „Nur weil ich alte Bekanntschaften auffrische, spielt sich noch längst nichts ab.“
„Nein, natürlich nicht“, bestätigte Hinnerk, doch es war zu sehen, dass er seiner Tochter nicht so recht glaubte.
„Ach, in dieser Familie und in diesem Zirkus nimmt mich niemand ernst“, klagte die junge Frau. „Warum seid ihr alle eigentlich so wild darauf, dass ich einen Mannes fürs Leben finde? Ich fühle mich eigentlich ganz wohl so ohne Anhang.“
„Ja, mein Mädchen, und deswegen verrennst du dich auch förmlich in die Arbeit, seit damals John …“
„Sprich mir nie wieder von diesem Kerl“, fauchte Birte.
Vor gut einem Jahr hing für Birte der Himmel voller Geigen, als sie sich mit John McFadden verlobt hatte. Er war Mitglied der Trapezgruppe gewesen und galt als zukünftiger Star. Doch praktisch über Nacht hatte er sich mit einem Mädchen aus einer ungarischen Bodentruppe aus dem Staub gemacht, und keiner hörte jemals wieder etwas von ihm. Seitdem waren alle darum bemüht, Birte endlich mit einem guten Mann zu verbinden, doch bisher weigerte sie sich hartnäckig, auch nur einen anzuschauen. Bis auf heute.
Ihr Vater zuckte jetzt mit den Schultern, in eben diesem Punkt war er mit seiner Tochter gar nicht zufrieden. Aber wenn sie zumindest schon mal alte Bekanntschaften aufleben ließ, bestand vielleicht doch noch Hoffnung. Die erhöhte sich bei Hinnerk mit den nächsten Worten des Mädchens.
„Ich habe Matthes im Übrigen zur Premiere eingeladen. Können wir ihn wohl noch in einer Loge unterbringen?“
„Sicher, für einen ist bestimmt noch Platz. Oder willst du ihn mit nach hinten nehmen?“
Birte schüttelte lächelnd den Kopf, während sie sich mit Blicken überzeugte, dass alle Gitter und Tunnel in Ordnung waren. Es käme einer Katastrophe gleich, würde eine der Raubkatzen ausbrechen können.
„Ich weiß, was du denkst“, erklärte sie ihrem Vater. „Aber du würdest dich gewaltig täuschen. Matthes und ich waren früher schon gute Freunde. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.“
„Ganz wie du meinst“, erklärte Hinnerk mit absoluter Friedfertigkeit. Doch er nahm sich vor, mal ein Auge auf den Mann zu werfen. Er konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, wer das gewesen sein sollte.
4
„So, da haben wir’s für heute mal wieder“, erklärte Doktor Pieter Jensen. Er hatte gerade eine Routineuntersuchung bei Alwin Groote beendet. Der alte Herr hatte schon lange nicht mehr ein gesundes Herz, doch mit den entsprechenden Medikamenten und etwas Vorsicht im täglichen Alltag war es eigentlich kein Problem, ein ganz normales Leben zu führen. Natürlich sollte sich der alte Herr auch möglichst nicht aufregen, das war allerdings ein Rat, den der Doktor ebenso gut vor eine Wand hätte sprechen können. Der kam nämlich nicht an, und Groote machte auch keinen Hehl daraus, dass es ihm völlig wurscht war, ob der Arzt ihm in dieser Beziehung gute Ratschläge gab. Er tat sowieso, was er wollte und für richtig hielt.
Befriedigt zog er jetzt sein Hemd wieder an. „Ist also alles in bester Ordnung?“
„Das habe ich nicht gesagt“, schränkte Pieter ein. „Ihr Herz hat längst nicht mehr die Kraft, die Sie ihm ständig abverlangen. Sie müssen einfach mal ein bisschen kürzer treten, auch und besonders in der Firma oder auf dem Schiff. Lassen Sie doch einfach Matthes mehr tun. Ist doch ein prächtiger Nachfolger, und der versteht ja auch was vom Geschäft. Machen Sie doch mal Urlaub, vergessen Sie die Firma und die Sorgen – fangen Sie mal an zu leben.“
Alwin schaute den Doktor an, als hätte er ein dreiköpfiges Seemonster vor sich. „Das meinen Sie jetzt aber nicht im Ernst, Herr Doktor? Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn ich jetzt einfach zwei oder drei Wochen wegfahre, die Firma Matthes und sich selbst überlassen, und …“
„Ich kann mir recht gut vorstellen, was passiert, wenn Sie auf diese Art weitermachen“, unterbrach Pieter ihn jetzt wenig zartfühlend. „Dann ist nämlich der Tag abzusehen, an dem Sie ganz einfach zusammenbrechen und ziemlich tot sein werden. Dann wird es Ihnen allerdings recht egal sein müssen, was aus der Firma wird. Ist das wirklich das, was Sie wollen?“
Der Arzt malte die Zukunft absichtlich so rabenschwarz, um dem Mann deutlich zu machen, dass er mit seiner Gesundheit und mit seinem Leben recht leichtsinnig umging. Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil, eine andere Tonart verstand Groote einfach nicht.
Der schaute den Doktor jetzt abschätzig an, dann nickte er. „Das meinen Sie also wirklich vollkommen ernst.“
„Ich kann Ihnen nur sagen, was ist. Was Sie daraus machen, ist Ihre Sache. Ist schließlich Ihr Leben. Aber an Ihrer Stelle würde ich mal drüber nachdenken, wie lange das noch gutgehen kann mit dem Raubbau, den Sie da treiben.“
„Ich habe nun mal ein großes Unternehmen und trage die Verantwortung für eine Menge Angestellte und auch für die Geschäfte. Die schließen sich ja nicht von allein ab.“
„Und da kommt es Ihnen nicht mal in den Sinn, Matthes mehr in die Verantwortung zu nehmen? Niemand ist unersetzlich, auch Sie nicht. Versuchen Sie das einfach mal zu verstehen, auch wenn es bestimmt schwer fallen wird.“
„Na ja, ich werde mal drüber nachdenken“, räumte Alwin ein, sah aber nicht gerade begeistert aus.
„Und denken Sie nicht zu lang“, empfahl Pieter ernst. „Ich mag es nicht besonders, wenn meine Patienten mir einfach wegsterben, das nehme ich persönlich übel.“
Mit einem Lächeln minderte er etwas die Strenge seiner Worte, doch Groote hatte verstanden. Und schließlich war es ja auch die Aufgabe des Arztes, auf seine Patienten einzuwirken, damit sie ein bisschen Vernunft annahmen.
„Was denken Sie dazu? Matthes hat sich ja recht gut gemacht, und ich meine, es wäre an der Zeit, dass der Junge ans Heiraten denkt. Wird er wohl noch ein bisschen mehr Verantwortungsbewusstsein zeigen?“
„Ich weiß nicht recht, was Sie von Matthes noch alles erwarten“, sagte Pieter bedächtig, der den Mann recht gut kannte und eine lose Freundschaft mit ihm pflegte. „Nach allem, was ich so höre, ist er erfolgreich in den Geschäften, kommt mit Ihren Mitbewerbern und Partnern gut klar, und bietet auch sonst keinen Anlass zur Klage. Wenn er jetzt auch noch ein Mädchen findet, das er von Herzen liebt, kann sich das nur noch weiter positiv auswirken. Aber Sie sollten überlegen, ob Ihre Erwartungen nicht zu hoch sind. Matthes tut doch schon, was er kann. Oder sehe ich da was falsch?“
„Nein, nein, ist ein Prachtjunge, auch wenn ich ihm das besser nicht sage, sonst bildet er sich womöglich was darauf ein.“
„Na, ein Lob hat noch keinem geschadet.“
„Darum geht es ja gar nicht. Ich habe für Matthes ein Mädchen ausgewählt, und …“
„Sie?“, fragte Pieter erstaunt. „Sollte er das nicht besser selbst tun? Schließlich wird er sein Leben mit dieser Frau verbringen. Da sollte dann schon alles passen.“
„Ach, Tünkram, die Liebe kommt von selbst“, behauptete Alwin.
„Davon bin ich nicht überzeugt. Was sagt Matthes denn dazu?“
„Na, die beiden werden sich dann nachher mal beschnuppern, und ich bin sicher, demnächst gibt eine richtig schöne große Hochzeit.“
„Na, dann wünsche ich doch alles Gute“, meinte der Doktor, noch immer skeptisch. Alwin lächelte siegessicher.
„Ich werde Sie und Ihr Mädchen als Ehrengast einladen, wenn es soweit ist“, versprach er.
Pieter war noch nicht davon überzeugt, dass sich alles so regeln würde, wie Groote sich das vorstellte.
5
Das Restaurant im Feriendorf besaß einen sehr guten Ruf. Wie bei allem, was zu dieser ausgezeichneten Freizeitanlage gehörte, achtete der Betreiber, Anders Schwetzer, darauf, dass die Qualität weit über dem Durchschnitt lag.
So fanden sich auch Kunden hier ein, die nicht als Gäste im Feriendorf wohnten sondern von außerhalb herkamen.
Groote hatte das sogenannte Kaminzimmer reservieren lassen, es bot Platz für bis zu zehn Personen. Jetzt waren es vier, die sich hier zum Essen trafen, und zu Anfang herrschte noch eine ziemliche Befangenheit, besonders zwischen den beiden jungen Leuten.
Alwin Groote und Lutz Levander waren schon seit Jahren Geschäftspartner, und sie kannten einander recht gut. Dagmar hatte den alten Herrn schon länger beeindruckt, während Matthes mit ihr noch gar nichts zu tun gehabt hatte.
Das Mädchen war schlank und bildhübsch, hatte schulterlange glatte dunkle Haare, ein schmales Gesicht und blaue Augen. Sie lächelte selten, und um ihren Mund lag ein strenger Ausdruck. Sie taxierte Matthes schon mit dem ersten Blick, schien aber der Ansicht zu sein, dass er ihren Mindestansprüchen entsprach.
Der junge Mann fühlte sich in ihrer Gegenwart nicht recht wohl. Dagmar schien vom ersten Augenblick an überlegen zu sein, sie füllte den ganzen Raum aus, und er hatte das Gefühl klein zu werden, wenn sie in der Nähe war. Das änderte sich erst, als sie dann doch zum ersten Mal lächelte. Plötzlich wurde aus der gestrengen Geschäftsfrau ein reizendes Mädchen, das Charme verströmte und endlich so jung wirkte, wie es tatsächlich war. Dagmar hatte also eine Maske aufgesetzt, sei es, um sich selbst zu schützen, oder um niemanden so einfach an sich herankommen zu lassen. Warum tat sie das? Hier ging es schließlich in erster Linie um eine private Angelegenheit. Oder war auch dieses Treffen, das nach dem Willen der Väter in einer Heirat enden sollte, für sie nichts weiter als eine geschäftliche Angelegenheit?
Matthes wurde nicht so recht schlau aus Dagmar, und das veranlasste ihn, mehr auf Distanz zu bleiben, als er eigentlich vorgehabt hatte. Dadurch wirkte er selbst kühl und unnahbar, was Dagmar insgeheim erschreckte.
Und dann war da ja auch noch Birte, die eigentlich das Herz des Mannes schon längst erobert hatte. Wie er das allerdings seinem Vater beibringen sollte, wusste er nicht so recht. Es war nur dieses eine Wiedersehen gewesen, das sein Herz erneut lichterloh in Flammen gesetzt hatte.
Der alte Groote würde sich vermutlich niemals damit abfinden, dass sein einziger Sohn und Erbe sich mit einem Mädchen verbinden wollte, das nach seiner Meinung einer anderen Gesellschaftsklasse angehörte.
Hier verlief das Essen jetzt erst einmal weiterhin in einer angespannten Atmosphäre. Die beiden Väter waren fest davon überzeugt, dass ihre Kinder sich nur besser kennenlernen mussten, alles andere würde sich dann von selbst ergeben – was für beide Firmen nur von Vorteil sein konnte. Und schließlich war es ja auch nicht so, als wären Matthes oder Dagmar hässlich, sie konnten durchaus Gefallen aneinander finden.
Die beiden waren klug genug, ein nichtssagendes Gespräch zu führen, bis die beiden alten Herren sich nach der hervorragenden Mahlzeit an die Bar zurückzogen, damit das junge Volk Gelegenheit hatte, ungestört miteinander zu sprechen. Es gab für die Väter keinen Zweifel daran, dass sich alles in ihrem Sinne entwickeln würde.
Als die Tür sich hinter ihnen schloss, atmeten Matthes und Dagmar unwillkürlich auf. Das Mädchen stellte die Kaffeetasse ab und schaute den Mann abschätzig an.
„Ich glaube, wir stecken da beide in einer ziemlichen Zwickmühle – oder wie denkst du selbst darüber? Ich für meinen Teil habe jedenfalls nicht einfach vor, dich zu heiraten. Nur weil mein Vater gleich die Wände hochgehen würde, habe ich mich auf das Theater heute eingelassen. Ich will jetzt nicht hoffen, dass du mit anderen Erwartungen hier bist.“
So offen und ehrlich hatte Matthes nicht mit einem Kommentar gerechnet. Er lachte bitter auf. Irgendwie war ihm die junge Frau jetzt sehr sympathisch.
„Du sprichst da gerade meine Gedanken aus“, erklärte er und sah, wie ein Lächeln über ihr Gesicht flog. Sie spielte gedankenverloren mit einer Serviette.
„Ich habe bisher noch keinem was gesagt, aber ich denke, dir gegenüber sollte ich mit offenen Karten spielen. Es gibt da einen Mann, den ich – na ja, ich meine, ich würde ganz gern …“ Sie schaute irritiert auf, als Matthes lachte.
„Mir geht es genauso. Und dein Vater hat wahrscheinlich, ebenso wie meiner, was dagegen.“
Sie nickte, erleichtert darüber, dass er sie verstand.
Der junge Mann nickte düster. „Also müssen wir unseren alten Herren irgendwie beibringen, dass wir uns zwar recht nett finden und auch weiter geschäftlich gern zusammenarbeiten möchten – natürlich nur, wenn du einverstanden bist –, dass für uns eine Heirat aber nicht in Frage kommt. Richtig?“
„Du hast es in ganz wenigen Worten auf den Punkt gebracht. Aber wie wollen wir das anstellen? Die zwei haben sich ja schon darauf versteift, dass es keine andere Möglichkeit mehr gäbe. Ich weiß nicht, was passiert, wenn wir uns einfach so weigern. Mein Vater ist auch nicht so ganz gesund, er soll die Aufregung meiden. Und du kannst sicher sein, er wird sich aufregen“, prophezeite die junge Frau bitter.
„Das sieht bei mir genauso aus. Aber weißt du, ich möchte wirklich nicht, dass du denkst, ich würde dich unattraktiv finden, oder so was. Nur, die andere Frau …“
„Du musst dich nicht entschuldigen. Wie heißt sie denn?“
„Birte. Und der deine?“
„Hinrich.“ Die zwei lächelten sich an wie Verschwörer.
„Im Augenblick wird es vielleicht noch klug sein, unseren Vätern nichts zu sagen. Wir sollten uns was einfallen lassen, damit wir nicht gleich einen Krieg vom Zaun brechen. Es tut doch gar nicht Not, dass unsere alten Herren schon jetzt mit den Realitäten geschockt werden. Lassen wir sie erst in dem Glauben, dass wir uns das überlegen mit der Hochzeit. Und in der Zeit können wir nachdenken, wie wir es am besten anstellen, dass wir die Partner bekommen, die wir auch wollen.“
„Für einen Kerl bist du ja gar nicht so dumm“, stellte Dagmar mit leichtem Spott fest. „Aber dir ist doch klar, dass wir den Zeitpunkt der Auseinandersetzung nur verschieben?“
„Ja, ich weiß“, gab Matthes zu bedenken. „Vielleicht finden wir doch noch den Stein der Weisen, um unsere Väter zu überzeugen.“
Das Mädchen seufzte. „Ich glaube, wir könnten Hinrich oder Birte mit Gold behängen, auch dann wären die beiden noch immer nicht gut genug.“
„Ja, wir müssen einfach ganz fest daran glauben, dass wir es noch schaffen.“
„Dein Wort in Gottes Ohr – und in dem unserer alten Herren.“
6
Ein Zirkus hatte immer schon eine ganz eigene, besondere Atmosphäre. Mochte es sich nun um einen großen oder einen kleinen Wanderzirkus handeln, stets gehören Unruhe, Aufregung und Lampenfieber dazu, wie die Luft zum Atmen.
Und ebenso charakteristisch ist der Geruch nach wilden Tieren, Sägespänen, Motorenöl und Schminke.
Im Zirkus Winter-Feddersen gab es noch eine eigenständige Kapelle. Die spielte schon fleißig auf, während hunderte von Menschen aus der Umgebung sich zu ihren Plätzen drängelten. Einige der Helfer waren wie Clowns gekleidet und liefen durch die Reihen, wo sie Süßigkeiten, Getränke und Würstchen anboten. Hinter dem Vorhang war schon eine ganze Weile hektische Unruhe zu bemerken. Die ersten Artisten bereiteten sich auf ihren Auftritt vor, sprangen noch ein wenig auf und ab, um sich warm zu halten, verhedderten sich in ihren langen Umhängen, die nur für den Einmarsch gedacht waren, oder schimpften mit gedämpften Stimmen über Gott und Welt.
Endlich trat Hinnerk Feddersen in die Manege, ganz feierlich in Frack und Zylinder gekleidet. An seiner Seite schritt Birte, in ein knappes hautenges Kostüm gehüllt, blau glitzernder Stoff und ein dazu passender Zylinder. Sie warf einen Blick in die Runde und bemerkte Matthes in der Ehrenloge. Er war also wirklich gekommen.
Ihr Herz machte einen raschen Sprung, und ihre Augen funkelten vergnügt. Mit einem verschmitzten Lächeln suchte sie seinen Blick und amüsierte sich darüber, dass er so offensichtlich verwundert war über ihre Verwandlung. Es waren nun einmal zwei Welten, das musste der junge Mann noch lernen. In der Manege war sie eine andere Person, die Dompteuse, die todesmutig ihr Leben aufs Spiel setzte, um waghalsige Dressurakte zu zeigen, die in Wirklichkeit dem Spieltrieb der großen Katzen entgegenkamen und nur eine Menge Konzentration erforderten. Und natürlich das Eingehen auf die Tiere, wie auch die Liebe zu ihnen.
Das allerdings wusste Matthes noch gar nicht, der bis jetzt glaubte, dass Birte ihrem Vater als Assistentin zur Seite stand.
Außerhalb der Vorstellung war sie ein ganz normales Mädchen, mit einem Leben wie jeder andere auch – nur mit dem Unterschied, dass sie bis auf die Wintermonate keinen festen Wohnsitz hatte und manchmal ein aufregendes Leben führte.
Jetzt jedenfalls begann wie Vorstellung, und die Leute hielten gebahnt den Atem an angesichts der Darbietungen.
In der Pause wurden die Käfige aufgebaut, und Birte kam zu Matthes hin, um ihn herzlich zu begrüßen, während die anderen Leute hinausströmten, um bei Erfrischungen und einem kleinen Imbiss über das bisher gesehene zu diskutieren.
Das Mädchen zog Matthes hinter den Vorhang, und er schaute sich neugierig um. Hier herrschte geordnetes Chaos, alle liefen durcheinander, doch jeder schien zu wissen, was er zu tun hatte.
„Wie gefällt es dir?“, wollte Birte wissen.
„Ich bin begeistert. Ich war schon lange nicht mehr im Zirkus, und schon gar nicht in einem so großen. Allein die Menge an Tieren hier ist ja schon beeindruckend“, gestand er. „Aber was machst eigentlich sonst noch, außer an der Seite deines Vaters gut auszusehen?“
Birte lachte hell auf. „Oh, nein, du wirst gleich schon sehen, ich verrate jetzt nichts“, erklärte sie geheimnisvoll. „Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Lust hättest, nach der Vorstellung mit uns zu feiern? Das machen wir nach einer Premiere immer so.“
Ein Strahlen flog über sein Gesicht, er freute sich sichtlich. „Ja, gern, wenn ich darf.“
Hinnerk Feddersen kam gerade vorbei und sah seine Tochter mit einem fremden Mannes. Er musterte ihn und war zufrieden. Der machte einen recht guten Eindruck.
„Papa, darf ich dir Matthes Groote vorstellen? Obwohl, ihr müsstet euch eigentlich noch kennen, aber es ist ja schon eine Weile her.“
„Dein alter Schulfreund, ja“, schmunzelte der alte Herr und drückte Matthes die Hand. „Sie sind willkommen, junger Mann. Und viel Spaß noch bei der Vorstellung. Ich muss mich noch um was kümmern. Wir sehen uns doch später, oder?“ Es schien auch für ihn selbstverständlich, dass der junge Mann zur Feier hier blieb.
Die Glocke ertönte und rief die Zuschauer wieder auf die Plätze. Gleich darauf hielt Matthes entsetzt den Atem an, als Birte, jetzt in einem phantasievoll geschnittenen Anzug in den Käfig ging, wo eine Gruppe von Löwen nur darauf zu warten schien, dass das Essen angerichtet wurde. Und der Hauptgang würde bestimmt Birte sein.
7
Nicht weit von Matthes entfernt saß Pieter Jensen mit Hedy Pedderson, der Tierärztin von Kentrum, ebenfalls in einer Loge. Dieses Ereignis war auch für diesen Ort nichts Alltägliches, und so wollte sich natürlich niemand eine Vorstellung entgehen lassen. Mal abgesehen davon, dass Hedy schon ein berufliches Interesse daran hatte, wie die Tiere hier gehalten wurden. Selbstverständlich beschäftigte ein Zirkus dieser Größe einen eigenen Tierarzt, und mit dem würde die junge Frau gerne noch fachsimpeln.
Bis jetzt jedenfalls waren beide Ärzte begeistert, auch wenn Pieter sich fragte, wie Menschen ihre Körper zu derart seltsamen Positionen verdrehen konnten. Auch ihm als Arzt war das nicht unbedingt verständlich.
Hedy hatte schon voller Begeisterung die prächtigen Pferde bewundert und blickte jetzt auf die Löwen, die einen ausgesprochen guten Eindruck machten. Birte hatte die Tiere voll im Griff, und lang anhaltender Beifall belohnte die Darbietung. Als sie wieder hinter dem Vorhang verschwand, spürte sie augenblicklich die Anspannung, die sonst nicht üblich war. Zwei Helfer rannten wie kopflos umher, ein paar Artisten standen schreckensbleich an einer Zeltwand, und eine Gruppe von Weißclowns blickte entsetzt auf den Ausgang.
„Was ist los?“, fragte Birte scharf.
„Der Baghira, der schwarze Panther – er hat den Doktor angefallen“, stammelte einer von ihnen.
Der Doktor, das war Werner Johannsen, der Tierarzt.
„Wie geht es ihm? Ist er schwer verletzt?“
Schulterzucken.
Warum hatte denn noch niemand für Hilfe gesorgt? Birte lief so unauffällig wie möglich durch die Zuschauer bis zu Matthes.
„Weißt du, ob ein Arzt hier ist?“, fragte sie leise. „Mach bitte kein Aufsehen, Matthes. Aber das ist wichtig.“
Der junge Mann schaltete ungeheuer schnell und stellte auch keine überflüssigen Fragen. Er schaute sich um und machte Birte dann ein Zeichen.
„Da drüben sitzt Doktor Jensen, und daneben ist gleich die Tierärztin. Was brauchst du denn überhaupt?“
„Na, besser kann man es nicht treffen. Ich danke dir und erkläre dir alles später.“
Das Mädchen schlängelte sich durch und machte dabei einen durchaus fröhlichen Eindruck. Niemals Panik und Sorge aufkommen lassen war die oberste Maxime in jedem Zirkus. Die Zuschauer waren hier, um sich zu unterhalten und vom Stress des Alltags abzuschalten. Sie durften es auf keinen Fall erfahren, wenn es einen Notfall gab.
Erstaunt blickten die beiden Ärzte auf, als Birte sich von hinten näherte und sie ansprach.
„Entschuldigen Sie bitte, wir haben da ein Problem. Wäre es vielleicht möglich, dass Sie mit nach hinten kommen?“
Augenblicklich waren beide Doktoren hoch konzentriert.
„Ist was passiert? Hat sich jemand verletzt?“, erkundigte sich Pieter und stand schon auf.
„Kommen Sie bitte auch mit? Ich glaube, ein Tierarzt ist auch notwendig.“ Birte schaute auch Hedy bittend an, und die war auch gleich bereit.
Ohne große Hast gingen die drei Personen nach hinten, während hier in der Manege ein paar Clowns ihre Späße trieben und auch die letzten Gitter der Raubtierdressur abgebaut wurden.
„Da drüben liegt er“, rief einer der Helfer und deutete nach draußen in Richtung der Raubtiergehege. Pieter schimpfte innerlich auf die Tatsache, dass er heute keine Tasche dabei hatte. Aber wer würde denn auch auf die Idee kommen, dass bei einem einfachen Besuch im Zirkus Erste Hilfe notwendig wurde?
Seine Befürchtungen nicht helfen zu können, wurden gleich wieder zerstreut, denn jemand reichte ihm einen gut ausgestatteten Notfallkoffer.
„Kommen Sie mit mir mit? Ich glaube, unser Baghira braucht Sie“, sagte Birte und zog Hedy mit sich.
Pieter beugte sich über Werner und sah eine hässliche Wunde von der Schulter herab über den ganzen Brustkorb. Der Panther hatte keine Rücksichten gekannt und dem Menschen tiefe Risswunden mit den Krallen zugefügt. Ob der Tierarzt nun einen Fehler gemacht hatte, oder ob es dem Tier selbst nicht gut ging und es sich vermeintlich verteidigt hatte, spielte im Moment keine große Rolle.
Ohne langes Federlesen schnitt Pieter die Kleidung auf und konnte nun die ganze Bescherung sehen. Noch immer sickerte Blut hervor.
„Was haben Sie gemacht? Einen Tiger zur falschen Zeit gestreichelt?“, fragte Pieter in dem Bemühen, den Tierarzt von den sicherlich grässlichen Schmerzen abzulenken und ihm gleichzeitig das Gefühl zu geben, es wäre alles nicht ganz so schlimm. Aber der Blutverlust war hoch, und bis der Mann mit dem Krankenwagen im Hospital ankam, würde es zu lang dauern. Der Doktor musste jetzt und hier eine Notoperation vornehmen, sonst konnte es böse Folgen haben.
„Helft mir mal, wir müssen ihn in einen Wohnwagen bringen, dort kann ich ihn besser versorgen als hier draußen“, bestimmte der Arzt und schaute einige der Arbeiter an.
Bereitwillig packten die den Tierarzt auf eine provisorische Trage und brachten ihn in seinen eigenen Wohnwagen.
„Ich glaube fast, ich bin etwas leichtsinnig geworden“, erklärte Werner dann, als er mit Pieter allein war. „Da kennt man diese Tiere seit vielen Jahren, betrachtet sie schon fast als menschlich, und dann kommt der Tag, wo der Ruf der Natur stärker ist als alle Zuneigung. Es war wohl ganz allein mein Fehler. Und so ganz weit entfernt waren Sie mit Ihrer Bemerkung über einen Tiger gar nicht. Ich habe den schwarzen Panther behandelt, der hat einen Splitter in der Pfote. Und die Fußballen bei den Katzen sind nun mal sehr empfindlich. Da war ich dann wohl nicht vorsichtig genug. Baghira hat mir jedenfalls gezeigt, dass er da keinen Spaß versteht.“
„Das verstehe ich bei solchen Sachen auch nicht“, brummte Pieter. „Wenn Sie jetzt nicht still halten, muss ich Sie wohl erst festhalten lassen.“
Werner versuchte doch tatsächlich, dem Arzt zu helfen und wollte sich jetzt sogar aufrichten.
„Ganz einfach liegenbleiben und nichts tun“, riet Pieter. „Ich muss das alles erst nähen. Bis Sie sonst im Krankenhaus sind, haben Sie zu viel Blut verloren, und dann kann Ihnen keiner mehr helfen.“
Werner verzog ein bisschen das Gesicht. „Ist gar nicht so einfach, plötzlich selbst hilflos zu sein“, sagte er verlegen, und Pieter Jensen grinste.
„Ärzte sind die schlimmsten Patienten. Und da zählen Sie auch dazu.“
„Ich mache mir jetzt trotzdem Sorgen um Baghira.“
„Ach, ich glaube, das brauchen Sie nicht. Ich habe nämlich eine ganz reizende Kollegin von Ihnen dabei, Hedy Pedderson. Die hat sich schon aufgemacht, um nach der Miezekatze zu sehen.“
Jetzt wurde Werner ernst. „Sagen Sie das nicht so leichtfertig. Das ist wahrlich keine Schmusekatze.“
Wie um die Richtigkeit seiner Worte zu bestätigen, erklang in diesem Augenblick ein hoher schriller Schrei.
Bestürzt blieb Pieter stehen. „Hedy“, flüsterte er entsetzt und musste kämpfen, um nicht einfach hinauszulaufen. Doch Werner lachte trotz seiner Schmerzen leise.
„Nein, nicht Ihre Hedy. Das war Baghira. Mir scheint, meine Kollegin weiß sich recht gut zu helfen. Ich bin beeindruckt.“
„Meinen Sie das jetzt ernst? Ich meine, Hedy …“
„Nein, wirklich, das war der Schrei einer Raubkatze, den kenne ich. Und ich denke, Doktor Pedderson hat den Splitter gezogen.“
Aus dem Hauptzelt mit der Manege hallte laute Musik herüber.
„Da spielt die Kapelle jetzt den Abschlussmarsch“, stellte Werner fest. „Ich habe Ihnen wohl die Vorstellung verdorben. Tut mir leid. Ich werde versuchen, das wieder gutzumachen.“
„Tünkram. Ich konnte Sie ja schlecht verbluten lassen. So, das reicht erst mal, bis sich im Hospital die Kollegen um den Rest kümmern.“
„Ich danke Ihnen, Herr Doktor. Wie heißt du eigentlich?“
„Pieter Jensen. Und du?“ Irgendwie war es selbstverständlich, dass die beiden Männer sich jetzt duzten.
„Ich bin Werner Johannsen. Danke, Pieter.“
„Nichts zu danken. Der Krankenwagen wartet schon. Wenn du nichts dagegen hast, werde ich mich erkundigen, wie es dir geht.“
„Ich bitte darum. Und einen netten Gruß an meine Kollegin. Die würde ich doch gern mal kennenlernen.“
„Darüber lässt sich reden.“
Die Sanitäter warteten schon draußen. Jetzt brachten sie den Verletzten ins Hospital, und Pieter machte sich auf, um nach Hedy zu schauen. Er war noch immer nicht ganz überzeugt davon, dass da wirklich eine Katze geschrien hatte, mochte die nun groß oder klein sein. Doch gleich darauf konnte er sich überzeugen, dass es Hedy gut ging. Die stand nämlich bei den Pferden und bewunderte die herrlichen Tiere.
„Ich habe mir schon gedacht, dass du nach mir schaust“, rief sie fröhlich. „Aber es ist alles in Ordnung. Dem Panther geht es gut.“
Pieter zog die junge Frau an sich, er war erleichtert, dass ihr nichts passiert war. Doch dann wurde er unsanft beiseite gestupst. Offenbar war eines der Pferde eifersüchtig.
8
„Habe ich es nicht vorher gesagt? Dagmar und du, ihr seid ein wunderbares Paar. Und nun habt ihr Zeit, euch kennenzulernen. Da gibt es ja nun wirklich keine Probleme; wenn ihr euch treffen wollt, dann nehmt euch frei. Je eher, umso besser. Lutz und ich haben nämlich den Termin für die Verlobung festgelegt. Und bis dahin …“
„Ihr habt was?“, fragte Matthes fassungslos und starrte seinen Vater entsetzt an. Der machte eine wegwerfende Handbewegung.
„Was soll denn dieses Gerede? Ihr habt in der Verlobungszeit noch mehr als genug Zeit, um aufeinander einzugehen. Dafür ist diese Zeit ja auch gedacht. Und warum noch länger zögern, das macht doch keinen Sinn. Wir sind uns schließlich einig.“
„Ihr seid euch einig, da hast recht“, stieß der junge Mann bitter hervor. „Werden Dagmar und ich überhaupt noch gefragt? Vielleicht mögen wir uns ja nicht genug, um das ganze Leben miteinander zu verbringen.“
Eine steile Zornesfalte bildete sich auf der Stirn von Alwin, als er seinen Sohn jetzt intensiv musterte.
„Ist da noch was, worüber ich besser Bescheid wissen sollte? Spukt dir immer noch dies Mädchen vom Zirkus im Kopf herum? Die solltest du am besten ganz schnell wieder vergessen. So was kommt mir nie und nicht in Frage.“
Das wusste Matthes schon längst, aber bisher hatte er noch keinen Einfall, wie er es dem Vater schmackhaft machen sollte, dass Birte seinem Herzen viel näher stand als Dagmar. Ebenso wenig wie die junge Frau eine Idee hatte, wie sie dem eigenen Vater klar machen sollte, dass da jemand anderes war als Matthes.
Die beiden nutzten in den letzten Tagen die Tatsache, dass sie sich treffen sollten. Allerdings sahen diese Treffen so aus, dass sie zum jeweils anderen Partner verschwanden. Sollten ihre Väter jemals dahinterkommen, wäre ein Donnerwetter vermutlich unausweichlich.
„Vadder, ich denke, über dieses Thema müssen wir nicht diskutieren“, sagte der junge Mann jetzt ausweichend. Das klang zwar nicht so, als würde er sich die junge Frau aus dem Kopf geschlagen haben, doch es war allemal besser, als wenn er darauf bestand, Birte in die Familie aufzunehmen.
Matthes grinste jetzt offen und verbarg seine Gedanken hinter einer Maske aus Zustimmung.
„Wenn du also nichts dagegen hast, dann würde ich gern mit Dagmar …“
„Schon genehmigt. Macht euch einen schönen Tag“, stimmte Alwin großzügig zu. „Ach, nun hätte ich es fast vergessen. Die Verlobung.“
„Ja?“, fragte Matthes gedehnt und fühlte, wie es ihm eiskalt über den Rücken lief.
„Lutz und ich wollen unsere – eure – Verlobung natürlich auch geschäftlich nutzen. Je eher, desto besser, das sagte ich ja schon mal. Wir haben dementsprechend die Feier für den kommenden Sonntag festgesetzt.“
Matthes war es, als würde ihn jemand von oben bis unten mit Eiswasser übergießen.
„Jetzt Sonntag?“, fragte er rau, als er seine Stimme wieder unter Kontrolle hatte.
„Ja, selbstverständlich. Wir sind uns doch alle einig. Oder gibt es was einzuwenden?“ Forschend musterte Alwin seinen Sohn. Irgendetwas stimmte hier doch nicht. Auch Lutz hatte erzählt, dass Dagmar Matthes wohl gern mochte, dass aber nicht viele Gefühle im Spiel waren. Ach, Tünkram, wozu denn auch? Diese heiße blinde Liebe, von der die jungen Leute träumten, war ja doch nicht mehr als ein Strohfeuer. Und wenn das ausgebrannt war, blieb nichts übrig als die Scheidung.
„Nein, es ist natürlich alles in Ordnung“, erklärte Matthes jetzt spröde, während sich in seinem Kopf die Gedanken überschlugen. Er machte, dass er aus dem Haus kam. Darüber musste er mit Dagmar reden, sie brauchten jetzt dringend einen Plan.
9
Birte war schon daran gewöhnt, dass Matthes täglich zu Besuch kam. Und auch die anderen Artisten und Helfer hatten den Mann mittlerweile akzeptiert. Er war stets hilfsbereit und freundlich, und außerdem schien die von allen verehrte Tochter des Direktors ihr Herz an ihn verloren zu haben. Das war jedenfalls nicht zu übersehen, wenn man die zwei miteinander beobachtete. Sollte sich da mehr daraus entwickeln, war es sicher besser, sich mit Matthes gut zu stellen.
Heute aber kam der junge Mann nicht allein auf dem Gelände an. Er hatte eine reizende junge Frau dabei, und mehr als einer machte sich plötzlich ein paar Gedanken.
Auch Birte schaute erstaunt auf, als Matthes mit der Fremden nach kurzem Anklopfen in ihren Wohnwagen kam.
„Das ist Dagmar“, erklärte er dann nach einer liebevollen Begrüßung.
„Ach, dann sind Sie diejenige, die Matthes heiraten soll, wo Sie doch eigentlich auch einen anderen haben. Du lieber Himmel, mir scheint, das ist eine ganz verrückte Geschichte. Schön, dass ich dich auch mal kennenlernen darf – hast doch nichts dagegen, wenn wir du sagen? Aber so, wie ich Matthes mittlerweile kenne, muss der schon einen besonderen Grund haben, damit er dich mitbringt.“ Das Mädchen lächelte freundlich, es fand Dagmar auf Anhieb sympathisch. Und das schien auf Gegenseitigkeit zu ruhen, denn auch Dagmar strahlte.
„Du kennst mich schon viel zu gut“, stellte Matthes fest. „Aber schau, da gibt es langsam ein ernsthaftes Problem.“ Er berichtete von dem Gespräch mit seinen Vater, und Dagmar erklärte im Wesentlichen das gleiche von ihrer Seite.
Birte überlegte eine Weile, dann schüttelte sie den Kopf. „Dzu fällt mir auch nichts ein. Ich würde ja sagen, ihr weigert euch einfach, der Verlobung zuzustimmen. Aber wenn ich das recht verstehe, ist es ja wohl so, dass auch geschäftliche Dinge eine Rolle spielen, und da wird es dann kompliziert.“
„Das ist wohl noch leicht untertrieben“, stöhnte Dagmar. „Sieh mal, ich finde Matthes nett, aber zum Heiraten reicht es nun wirklich nicht. Und da ist ja auch noch ein Mann, ich meine, den habe ich mehr als nur ein bisschen gern. Den würde ich auf der Stelle heiraten, wenn da nicht das Theater mit meinem Vater wäre.“
„Und dieser Mann ist nichts, was dein Vater akzeptiert?“
„Wohl kaum“, seufzte die junge Frau. „Er ist schließlich nur ein einfacher Werbegrafiker.“
„Aber das ist doch ein ordentlicher Beruf“, meinte Birte und lachte leise. „Auf jeden Fall sollte das in den Ohren deines Vaters besser klingen als bei Matthes’ Vater, der wohl schon Zustände bekommt, wenn er das Wort Zirkus hört.“
„So ein Tünkram. Aber das hilft uns allen nicht weiter“, stellte Dagmar nüchtern fest.
„Warte mal, ich werde meinen Vater holen, vielleicht hat der eine Idee.“
„Dein Vater ist ein toller Kerl, aber glaubst wirklich …“, warf Matthes skeptisch ein, doch die junge Frau lachte.
„Mein Vater weiß eigentlich immer einen Rat, und wenn es noch so schwierig ist. Warte einen Augenblick.“
Sie huschte aus dem Wohnwagen, und Dagmar schaute sich neugierig um.
„Das ist ja richtig luxuriös hier“, stellte sie fest. „Ich hatte mir das eigentlich nicht so angenehm vorgestellt.“
„Überleg mal, die Leute sind die ganze Saison unterwegs. Das hier ist ihr Zuhause, da braucht es schon ein bisschen Luxus, wenn der Platz beschränkt ist und man selten länger als eine oder zwei Wochen an einem Ort bleibt.“
„Und Geschmack hat sie auch, deine Birte. Ist ein nettes Mädchen. Ich wünsche euch alles Glück – irgendwie“, meinte Dagmar.
„Na, wir werden aber doch hoffentlich in jedem Fall weiter Freunde bleiben. Du kannst dann ja verfolgen, ob ich mit Birte glücklich werde. Genauso wie du mit Hinrich. Ich wünsche euch da auch alles Gute.“
„Na fein, nun haben wir genug Nettigkeiten ausgetauscht“, lachte sie. „Ich bin ja mal gespannt, ob der Vater von Birte wirklich eine Idee hat.“
„Warum sollte er nicht?“, dröhnte eine Stimme durch die sich gerade öffnende Tür.
„Herr Feddersen, schön, Sie zu sehen“, begrüßte Matthes ihn höflich, zuckte dann aber zusammen, als Hinnerk ihm kräftig auf die Schultern schlug. „Willst du weiter so förmlich bleiben, Junge? Ich bin Hinnerk, und ich will doch hoffen, dass du keine Hemmungen hast, mich zu duzen.“
„Nein – nein, natürlich nicht.“
„Gut. Und da ist die junge Frau, die diesen Schlawiner hier heiraten soll, aber nicht will?“ Er schaute sie prüfend an. „Ich denke, wir sind hier eine kleine verschworene Gemeinschaft. Also heißt es auch du.“
Die beiden jungen Leute waren erschlagen von der überwältigenden Freundlichkeit und der Präsenz, mit welcher Hinnerk den Raum ausfüllte.
„Sie haben – du hast also eine Idee?“, brachte Matthes die Sache wieder auf den Punkt.
„Na ja, so ganz durchdacht habe ich es noch nicht, ging ein bisschen schnell, aber Birte hat mir eine Kurzfassung der Geschichte gegeben. Und ich denke, ich sehe es doch wohl richtig, Matthes, dass du ein ernsthaftes Interesse an meiner Tochter hast.“
Unwillkürlich wurde der junge Mann rot. So deutliche Worte wurden bei ihm daheim nicht mal im geschäftlichen Bereich benutzt. Aber er nickte tapfer. „Ich liebe Birte. Und ich bin mir da ziemlich sicher, wenn sie mich haben will, dann werde ich sie heiraten.“
„Das ist ein Wort. Und du, Mädchen? Du hast also auch einen anderen?“ Dagmar nickte. „Ich weiß ja nicht, wie eure Väter das geschäftlich ausnutzen wollen, aber außer einer Hochzeit gibt es ja auch noch eine Fusion, um ein Geschäft abzuschließen. Also sollten eure Väter und eure Firmen sich damit abfinden, dass ihr zwei bei der Verlobung eure eigenen Partner präsentiert.“
Dagmar schnappte nach Luft, und Matthes ließ einen erstickten Ausruf hören.
„Das wäre ein Skandal ohnegleichen“, sagte er dann.
„Aber es wäre ehrlich. Ich kann nicht sagen, dass es mir gefällt, wie ihr die ganze Zeit heimlich tut. Ich verstehe wohl, dass ihr im Augenblick keine andere Möglichkeit gesehen habt. Aber so kann es nicht weitergehen. Ihr solltet mit offenen Karten spielen, auch auf die Gefahr hin, dass es zum Streit oder sogar zu einem Bruch auf Zeit kommt. Glaubt mir, früher oder später werden eure Väter verstehen, dass sie ihre Kinder lieber wieder daheim hätten. Und dann werden sie eure Wahl respektieren. Ich jedenfalls würde es.“
„Bei dir steht auch Birte vor dem Geschäft“, sagte Matthes düster. „Bei unseren Vätern kommt erst das Geschäft, dann wir.“
Hinnerk lachte auf. „Das kommt euch nur so vor, sonst wären eure Väter nicht normal. Aber ihr zwei seid ganz gut geraten. Und deswegen gehe ich davon aus, dass die beiden gar nicht so schlimm sind, wie ihr mir das einreden wollt.“
„Ich werde verrückt“, bemerkte Dagmar nachdenklich. „Das klingt absolut unmöglich, aber wahrscheinlich ist es genau das, was wir tun sollten. Es kann so wirklich nicht mehr weitergehen. Diese Heimlichkeit, und auch diese Belastung, lügen zu müssen, sich nie offen treffen zu können, geht mir auf die Nerven. Ich werde es tun, und du solltest mitmachen, Matthes.“
Er grinste. „Dafür, dass du eigentlich immer aussiehst wie eine eiskalte Geschäftsfrau, die nicht mal weiß, wie man das Wort Gefühl schreibt, hast du ganz schön viel davon. Also gut – gehen wir das Risiko ein, dass wir aus dem Haus geworfen werden. Dann kaufen wir uns einen Wohnwagen und ziehen mit dem Zirkus.“
Dagmar lachte auf, und wieder einmal verflog der strenge Ausdruck aus ihrem Gesicht und machte Platz für das fröhliche Mädchen, das sie in Wirklichkeit war.
„Ach ja“, meinte sie dann trocken. „Die Verlobung ist am Sonntag.“
Birte seufzte, und Hinnerk brummte unwillig. „Eines muss man euren Vätern wirklich lassen, die verlieren keine Zeit. Dann werde ich mich wohl auch ein bisschen beeilen müssen.“ Der Sinn dieser Worte war den jungen Leuten nicht so ganz klar, doch keiner fragte nach.
10
Das ganze Restaurant war gemietet worden von Alwin und Lutz. Obwohl längst nicht üblich, hatte man eilig Einladungen an Geschäftspartner und andere wichtige Leute verschickt, und niemand hatte abgesagt, obwohl der Termin denkbar knapp war. Jedermann fühlte sich geehrt, dabei zu sein, wenn diese beiden gesellschaftlich anerkannten Familien sich verbanden.
Dagmar sah hinreißend aus an diesem Tag. Sie trug ein nachtblaues Kleid aus fließendem Stoff, wodurch ihre phantastische Figur noch betont wurde. Zu diesem festlichen Anlass hatte ihr Vater ihr eine besondere Halskette geschenkt, ein einzelner geschickt gefasster Diamant von mehr als zwei Karat zog fast noch mehr die Aufmerksamkeit auf sich als die kühle Schönheit des Mädchens.
Auch Matthes hatte sich in einen Smoking geworfen und wirkte fremd und elegant in der festlichen Kleidung. Immer wieder warfen die beiden, unauffällig wie sie meinten, Blicke zur Uhr, bis Alwin das schließlich nicht mehr mit ansehen konnte.
„Kannst du es nicht mehr abwarten?“, fragte er gut gelaunt, und Matthes machte ein schuldbewusstes Gesicht. Insgeheim wartete er darauf, dass Birte und ihr Vater endlich auftauchten. Inmitten all der Gäste würde es wohl kaum auffallen, dass sich einige dazwischen befanden, die nicht von Alwin oder von Lutz eingeladen worden waren. Und bei Dagmar ging es genauso mit Hinrich.
Der hatte den verrückten Plan ebenfalls begrüßt, auch er war dafür, klare Verhältnisse zu schaffen. Es war vereinbart, dass die drei am späten Abend, kurz vor der offiziellen Bekanntgabe der Verlobung, eintreffen sollten. Und dann – nun, man würde sehen.
Matthes und Dagmar rechneten jedenfalls zunächst mit einer furchtbaren Auseinandersetzung. Früher oder später würden sich ihre Väter aber doch damit abfinden müssen, dass die Herzen ihrer Kinder anders entschieden hatten. Dann sollte sich alles wieder beruhigen.
Noch eine halbe Stunde.
Unauffällig gaben Alwin und Lutz dem Personal Anweisungen, an jeden Gast Champagner zu verteilen. Die Gespräche drehten sich plötzlich alle nur noch um ein Thema, denn jeder wusste schließlich, aus welchem Grund dieses Fest stattfand.
Dagmar kam zu Matthes, ein strahlendes und doch nicht ganz echtes Lächeln auf den Lippen. Auch sie war nervös, und wer wollte ihr das verdenken? Das Mädchen beugte sich eng zu Matthes vor.
„Hinrich ist da, und gerade kam noch ein Auto. Ich denke, Birte und ihr Vater sind auch eingetroffen.“
Die beiden warfen einen Blick in die Runde. Überall standen die Leute in kleinen Gruppen herum und warteten auf das große Ereignis dieses Abends. Hand in Hand, ganz wie ein verliebtes Paar, gingen Matthes und Dagmar durch den Saal, hinüber in den kleinen Konferenzraum, wo auch Birte und Hinnerk gerade ankamen. Liebevoll begrüßten sich die beiden Paare.
Dagmar hatte ihren Hinrich Matthes schon längst vorgestellt, und die zwei fanden sich recht sympathisch.
„Herzklopfen?“, fragte Hinrich freundlich, und Dagmar nickte. „Glaub mir, mein Liebes, lieber jetzt ein Ende mit Schrecken, als so weiter zu machen wie bisher.“
„Ich weiß“, erwiderte die junge Frau leise. „Das heißt aber trotzdem nicht, dass mir wohl dabei ist.“
„Das ist uns allen nicht“, gab Birte zu bedenken.
„Na los, es hat keinen Zweck noch länger zu zögern. Sind nur noch ein paar Minuten, bis es zum großen Knall kommt“, sagte Matthes tapfer und löste sich von seinem Mädchen. „Ihr seid dann gleich in unserer Nähe. Und wenn einer unserer Väter …“
„Das hatten wir doch alles schon besprochen. So, wird schon schiefgehen“, unterbrach ihn Dagmar und zog den Mann wieder mit sich. „Bis gleich.“ Sie warf Hinrich einen Luftkuss zu, dann schloss sich die Tür.
Die drei hier holten noch einmal tief Luft, dann folgten sie dem Paar und mischten sich unauffällig unter die Menschen. Es war gut, dass sie nicht schon früher hierhergekommen waren, denn Alwin und Lutz hätten bestimmt Fragen gestellt, wer denn diese unbekannten Gäste waren.
Am Büfett, das sich inmitten des Saales befand, hatten sich jetzt die beiden Väter zusammengefunden, beide mit einem Glas Champagner in der Hand. Sie winkten ihren Kindern, die langsam näher kamen und sich dann zusammen aufstellten.
Alwin lächelte, nahm einen Löffel vom Büfett und schlug damit an sein Glas, bis alle Gäste verstummt waren.
„Meine lieben Gäste – Freunde, Bekannte, na ja und die Verwandten wollen wir auch nicht vergessen“, begann der Mann gut gelaunt. „Wir denken, es ist an der Zeit zum Höhepunkt des Tages zu kommen. Wir alle sind hier, um die Verlobung von zwei prächtigen jungen Menschen zu feiern. Ich muss gar nicht darauf eingehen, was das für Lutz und mich als ihre Väter zu bedeuten hat. Wir sind einfach glücklich, dass sich es so ergeben hat. Und nun braucht es eigentlich nichts weiter. – Lutz?“
Er übergab das Wort.
„Ich hätte da auch nicht viel hinzuzufügen. Die beiden werden privat das besiegeln, was wir geschäftlich schon lange täglich praktizieren. Ich denke, die beiden sollten jetzt noch ein Wort haben, und dann wird es offiziell mit dem Ringtausch.“
Er strahlte seine Tochter an und wunderte sich ein bisschen, dass Dagmar so verkrampft wirkte. War denn die junge Frau nicht glücklich? Er wollte doch nur das Beste für sie – und natürlich für die Firma. Da war es doch nur logisch, beides miteinander zu verbinden.
Matthes räusperte sich, und Dagmar drückte unwillkürlich seine Hand und nickte ihn zu.
„Wir hätten da wirklich auch noch was zu sagen“, erklärte der junge Mann mit belegter Stimme. „Unsere Väter hatten die Idee, nicht nur die Firmen, sondern auch die Familien zu verbinden. Das könnte eine gute Idee sein, aber nur dann, wenn nicht das Herz andere, eigene Wege geht. Wir zwei haben lange darüber nachgedacht, und wir sind zu den Schluss gekommen, dass wir uns heute auf jeden Fall verloben werden. Aber, so leid uns das auch tut, nicht miteinander. Dagmar hat einen Herzallerliebsten, einen prächtigen Mann, zu dem man ihr wirklich nur gratulieren kann. Und ich habe ein Mädchen, was ich von Herzen liebe. Meine Birte.“ Er streckte einen Arm aus, Hinrich und Birte kamen auf das Paar zu.
Die beiden Väter waren bei den Worten des Mannes bereits zornig geworden und wollten eigentlich schon dazwischengehen. Doch Dagmar hatte beide mit einem einzigen Blick zurückgehalten.
Jetzt aber ging nichts mehr.
„Das ist ungeheuerlich“, brüllte Lutz und musterte Hinrich mit einem vernichtenden Blick. „Ich werde einer solchen Verbindung nicht zustimmen.“
„Ich auch nicht“, schloss sich Alwin an, und unter den Gästen brach erregtes Gemurmel aus.
„Das tut uns für euch sehr leid“, widersprach Dagmar mit fester Stimme. „Aber auch, wenn es euch nicht passt, werden wir nicht eine geschäftliche Ehe eingehen, wo unsere Herzen längst entschieden hat.“
„Fahrendes Volk“, polterte Alwin und starrte mit unverhohlener Abscheu auf Birte, die doch so reizend ausschaute an diesem Abend. Matthes wollte sich schützend vor sein Mädchen stellen, aber das war gar nicht nötig, sie konnte recht gut für sich selbst sprechen.
„Ich weiß nicht, woher Sie das Recht nehmen, solche Vorurteile auszusprechen“, sagte sie ruhig. „Mein Leben ist vielleicht ein bisschen unruhiger als das Ihre. Deswegen bin ich, und sind auch alle anderen beim Zirkus, nicht minderwertig. Matthes und ich lieben uns, ob Ihnen das nun passt oder nicht, da können Sie machen, was Sie wollen. Auf jeden Fall werde ich mich nicht von Ihnen beleidigen lassen, das habe ich nicht nötig.“ Sie stand sehr aufrecht da und blitzte den alten Herrn mit ihren wunderschönen braunen Augen an.
Matthes griff nach der Hand des Mädchens. „Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen“, erklärte auch er.
„Dann haben wir einander nichts mehr zu sagen“, bestimmte Alwin mit brüchiger Stimme. „Du bist mein Sohn nicht mehr, und du wirst weder mein Haus noch meine Firma jemals wieder betreten.“
„Vadder“, rief Matthes aus. Mit soviel Unversöhnlichkeit hatte er denn doch nicht gerechnet. Ein Streit, ja, das war sogar unvermeidlich. Aber letztendlich würde man sich doch wieder einigen können, so hatten die jungen Leute gedacht.
Das hier war hart, und der junge Mann fühlte den Druck der Hand von Birte, die ihm auf diese Weise Kraft geben wollte.
„Kein weiteres Wort mehr“, donnerte Alwin und schaute Matthes nicht einmal mehr an. „Ich denke, dieser Abend ist beendet. Ihr alle könnt gehen. Und du geh mir aus dem Augen mit deiner – deiner Zirkusprinzessin.“
Dagmar hatte dem Vorgang fassungslos zugehört und zugesehen. Ihr Blick suchte jetzt den ihres Vaters. Würde auch er auf eine so grausame Art versuchen ihr Leben zu zerstören? Doch der Zorn von Lutz verrauchte recht schnell angesichts des unmöglichen Verhaltens seines Geschäftspartners. Das war hart, viel zu hart. Nein, er wollte seine Tochter nicht verlieren. Und wenn er dafür einen Schwiegersohn akzeptieren musste, der ihm nicht – oder vielleicht noch nicht – recht war, dann würde er das eben tun müssen.
„Alwin, du gehst gerade zu weit“, mahnte er. „Es soll eben nicht sein. Willst du jetzt um jeden Preis das Leben deines Sohnes zerstören?“
„Ich habe keinen Sohn mehr“, erwiderte Groote brüchig. „Und meine Firma wird einen anderen Nachfolger bekommen.“
„Ich glaube, da habe ich auch noch ein Wörtchen mitzureden“, mischte sich jetzt plötzlich eine andere Stimme ein.
Alwin schaute auf. „Wer sind Sie denn? Und wie kommen Sie dazu, mir in mein Geschäft hineinreden zu wollen?“
„Ich bin Hinnerk Feddersen, der Direktor vom fahrenden Volk“, kam die spöttische Antwort. „Und ins Geschäft habe ich wohl hineinzureden. Ihre Firma hat vor Kurzem die Anteile der Geschäftspapiere aufgestockt, sehr zu meiner Freude. So konnte ich durch meinen Finanzmakler eine ganze Menge dieser Papiere aufkaufen lassen. So viele, dass ich ein Mitbestimmungsrecht besitze – laut der Satzung Ihrer Firma. Eigentlich wollte ich das erst später bekanntgeben, doch nun ergibt es sich in einer ernsten Situation.“
Alwin wurde kreidebleich. „Das ist nicht wahr“, ächzte er tonlos.
„Wollen Sie das schriftlich?“, erkundigte sich Hinnerk. „Wenn Sie drauf bestehen, werde ich eine außerordentliche Sitzung des Aufsichtsrats einberufen.“
Alwin sagte gar nichts mehr. Er starrte Hinnerk an wie eine tödliche Erscheinung. Dann griff er sich an die Brust und sackte einfach zusammen. Hinnerk ließ einen Fluch hören und beugte sich nieder. „Einen Arzt, aber rasch“, brüllte er.
Wie vom Donner gerührt stand Matthes da, dann schrie er selbst laut auf. „So hol doch jemand endlich einen Arzt!“
11
„Nun geh ein bisschen zur Seite. Ich werde mich darum kümmern. Mach dir nicht zu viele Sorgen, das wird schon wieder werden.“ Pieter Jensen schob Matthes beiseite und warf einen wütenden Blick auf beide Männer.
Alwin lag da mit totenbleichem Gesicht und kam gerade röchelnd wieder zu sich. Matthes stand die Sorge ins Gesicht geschrieben.
Das sieht gar nicht gut aus, entschied der Doktor, und er meinte damit gar nicht so sehr den Gesundheitszustand vom alten Groote, der an sich schon besorgniserregend genug war.
„Ich glaube, es wäre besser, du würdest gehen, Matthes. Du willst ihn doch nicht noch mehr aufregen?“
Der junge Mann biss sich auf die Lippen, schaute seinen Vater noch einmal an, in dessen Augen sich schon fast so etwas wie Hass zeigte, und griff dann nach Birte.
„Du hast vielleicht recht, Doktor. Ich will ja, dass er wieder gesund wird, da ist es wohl besser“, stimmte er zu.
Hinnerk legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Komm, mein Junge, du bleibst erst mal bei uns, bis dein alter Herr wieder auf den Beinen ist.“
„Einen Moment noch.“ Lutz hielt den Zirkusdirektor auf. „Ist das wahr? Haben Sie sich tatsächlich in die Firma von Alwin eingekauft?“
Hinnerk schaute den anderen abschätzig an. „Ich weiß nicht, was Sie das angeht. Aber da es nun schon alle wissen, ja. Warum sollte ich lügen? So was habe ich nicht nötig. Und mir scheint, es ist auch eine gute Investition für mein schwer verdientes Geld. Deshalb werde ich, falls nötig, auch von meinem Stimmrecht Gebrauch machen müssen, damit Matthes nicht einfach auf der Straße steht.“
„Aber das ist ja Erpressung“, stieß Lutz schockiert hervor.