A Delicious Devotion - Annabel Rose - E-Book

A Delicious Devotion E-Book

Annabel Rose

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Beschreibung

Dominanz, Hingabe und ein Mord. Im Leben der Polizistin Emilia Rossi gibt es jede Menge Tabus. Eins davon ist: Habe niemals Sex mit einem Kollegen, und schon gar nicht mit deinem Vorgesetzten. Dieser Grundsatz gerät allerdings ins Wanken, als sie sich eine Auszeit nimmt, um in einem exklusiven BDSM-Resort auf Jamaika als Chief Security Officer zu arbeiten. Denn Mark Foster, ihr neuer Boss im "Pleasure Island", ist nicht nur ungemein attraktiv, sondern stellt sie mit seiner Behauptung, sie sei "nicht besonders devot", auf die Probe. Um ihm das Gegenteil zu beweisen, bittet sie ihn, sie zu seiner Sub zu machen. Mit Strenge und Beharrlichkeit treibt er Emilia über ihre Grenzen und bringt ihre devote Seite zur Entfaltung. Dabei geraten nicht nur die Gefühle von Emilia durcheinander, auch Mark entdeckt neue Seiten an sich. Auf dem Höhepunkt ihrer Beziehung wird das gegenseitige Vertrauen durch einen Mord erschüttert. Das Opfer ist ausgerechnet eine ehemalige Sub von Mark und er hat kein Alibi, dafür aber ein Motiv. Um seine Unschuld zu beweisen, versucht Emilia unter Einsatz ihres Lebens, den Täter auf eigene Faust zu ermitteln.

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Annabel Rose

A Delicious Devotion

© 2021 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Mia Schulte/Plaisir d’Amour Verlag

Coverfoto: © Shutterstock.com

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-534-1

ISBN eBook: 978-3-86495-535-8

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses eBook darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Kapitel 1: Zeugin der Anklage

Kapitel 2: Ein Job auf Jamaika

Kapitel 3: Anfachen und verweigern

Kapitel 4: Demut und Dankbarkeit

Kapitel 5: Das Karussell

Kapitel 6: Das Experiment

Kapitel 7: Strafe muss sein

Kapitel 8: Der Zeitungsartikel

Kapitel 9: Abschied auf Zeit

Kapitel 10: Fernbeziehung

Kapitel 11: Die Prüfung

Kapitel 12: Das Geständnis

Kapitel 13: Eine atemberaubende Nacht

Kapitel 14: Eine mörderische Karussellfahrt

Kapitel 15: Unter Verdacht

Kapitel 16: Die Suche nach der Wahrheit

Kapitel 17: Die Kamera

Autorin

Kapitel 1: Zeugin der Anklage

Die Luft in dem mahagonigetäfelten Gerichtssaal war geschwängert von dem Duft nach Bohnerwachs, Eau de Cologne und den Körpergerüchen der Zuschauer, die dicht gedrängt auf den Bänken saßen, sich Luft zufächelten und aufgeregt miteinander tuschelten, sodass man glaubte, in ein Wespennest gestochen zu haben. Auch Stella standen die Schweißperlen auf der Stirn, was nicht nur an der stickigen Luft im Raum lag, an welcher auch das eintönige Rotieren des Deckenventilators nichts ändern konnte. Sie hatte noch nie als Zeugin vor Gericht aussagen müssen und spielte nervös an dem Kreolen-Ohrring in ihrem rechten Ohrläppchen.

»Ruhe!«, erschallte es, begleitet vom Hämmern des Richterhammers in Judge Sullivans Hand auf dem hölzernen Resonanzkörper, sodass das Gemurmel im Gerichtssaal allmählich erstarb.

»Mr. Whitmore«, sprach der Richter den Verteidiger scharf an, nachdem das Tuscheln und Raunen gänzlich verstummt war. »Sollte sich Ihr Mandant noch einmal derart respektlos der Zeugin gegenüber äußern, werde ich ihn aus dem Saal entfernen lassen. Haben wir uns verstanden?«

»Jawohl, Euer Ehren.«

Mit einem Kopfnicken nahm Judge Sullivan die Antwort zur Kenntnis und wandte sich daraufhin freundlich, aber bestimmt, an Stella: »Mrs. Gordon, würden Sie bitte die Frage des Staatsanwalts beantworten und dem Gericht noch einmal ausführlich schildern, was Sie letztes Jahr am dreiundzwanzigsten September im Forest Hill Hotel in Harrisburg beobachtet und gehört haben?«

Unter Aufbietung aller Kräfte richtete Stella den Blick weg von der Anklagebank und hin zu dem Mann im schwarzen Gewand neben ihr, der gut und gern ihr Großvater hätte sein können, und nickte. »Ja, Euer Ehren.«

Der dreiundzwanzigste September.

Obwohl dieses Datum schon über acht Monate zurücklag, erinnerte sich Stella so deutlich an die Geschehnisse, als wären sie gestern passiert.

Es war ein Freitag. Zum ersten Mal seit zwei Monaten konnte sie sich auf ein freies Wochenende freuen. Sie hatte bereits alles bis in Kleinste geplant. Samstagvormittag hatte sie zuerst einen Termin beim Friseur. Aber nicht nur die Haare hatten ein neues Styling nötig. Direkt im Anschluss hatte sie eine Behandlung im Beauty-Salon gebucht. Augenbrauen zupfen, Gesichtsmassage, Maniküre … das ganze Programm, denn am Abend hatte sie ein Date mit Phil, den sie auf einer Datingplattform für BDSM-Anhänger kennengelernt hatte. Zunächst hatten sie sich in der Öffentlichkeit getroffen, die ersten echten Dates hatten später in einem SM-Club stattgefunden. Seitdem hatten sie unzählige Male miteinander gespielt und für heute hatte Phil sie zum ersten Mal zu sich nach Hause eingeladen. Stella hatte sich extra ein neues Kleid im Wetlook gekauft, dazu wollte sie High Heels tragen und ihre geliebten Kreolen. Es sollte ein außergewöhnlicher Abend werden, und das erforderte eben auch außergewöhnliche Maßnahmen.

Gedankenversunken fuhr sie mit einem Servierwagen über den Flur der sechsten Etage des Forest Hill Hotels. Der Wagen war mit einem Champagnerkühler, einer Flasche, zwei Sektflöten und einem Strauß apricotfarbener Rosen bestückt und bildete das Willkommensarrangement für die Gäste der Hochzeitssuite, welche am Ende des Ganges lag. Stella brauchte nur noch alles zu arrangieren und das Bett herzurichten, dann hätte sie Feierabend. Sie durfte nicht vergessen, nachher noch bei Mazonkakis, der Reinigung um die Ecke, vorbeizugehen und den Steppmantel abzuholen. Noch konnte sie morgens zwar den Trenchcoat anziehen, aber abends, wenn sie nach Hause ging, war es bereits empfindlich kalt. Wenn sie Phil heute besuchte, brauchte sie auf jeden Fall den warmen Mantel, denn krank zu werden, konnte sie sich nicht leisten. Das Forest Hill Hotel war zwar das Aushängeschild in Harrisburg, trotzdem konnte man sich mit dem Gehalt eines Zimmermädchens keine Krankenversicherung leisten.

Aus keinem der Zimmer war auch nur der geringste Laut zu vernehmen. Aus keinem, bis auf eins. Je näher sie der Suite kam, umso deutlicher konnte sie zwei Stimmen – eine weibliche und eine männliche – unterscheiden. Tonfall und Lautstärke sagten ihr, dass die beiden Gäste sich stritten. Beim Vorbeifahren an dem vorletzten Zimmer war das Gezanke so laut zu hören, dass sie unfreiwillig zur Zeugin der Szene wurde, die sich hinter der Tür abspielte.

»Nein! Das werde ich nicht!«, hörte sie die Frauenstimme und gleich darauf andere Wortfetzen wie »Dreckstück« und »Tu gefälligst, was ich dir sage« von einer dunkleren, männlichen Stimme.

Kopfschüttelnd öffnete sie die Suite, schob den Wagen hinein und ließ die Tür mit der schweren Türpolsterung ins Schloss fallen. Sofort verstummte das Gezeter aus dem Nachbarzimmer. Zum Glück. Es ging sie schließlich nichts an, wenn sich die Gäste während des Aufenthalts im Hotel miteinander stritten – auch wenn sie sich fragte, wie man in ein so teures Hotel wie das Forest Hill fahren konnte, um sich dann zu zanken, anstatt eine gute Zeit zu haben.

Das frischgebackene Pärchen, das die Honeymoon-Suite gebucht hatte, sollte jedenfalls schöne Stunden erleben, und genau deswegen war Stella hier. Sie nahm den Champagnerkühler und die Gläser vom Wagen und arrangierte sie auf dem Wohnzimmertisch, sodass das frischvermählte Brautpaar beides beim Betreten der Suite sofort erblicken würde. Jetzt kamen die Blumen an die Reihe. Stella beugte sich über den Strauß und schnupperte daran. Evelyn hieß diese Rosensorte – und sie duftete einfach wundervoll. Stella inhalierte den Duft noch einmal und platzierte die Vase anschließend vor dem Spiegel über dem Kaminsims.

Auf der unteren Etage des Servierwagens stand noch ein Schälchen mit Blütenblättern, mit dem sie ins Schlafzimmer ging. Sie schlug die Bettdecke ordentlich zurück, zupfte die Enden gerade und griff mit einer Hand in die Schale, um die Rosenblätter herzförmig auf dem Bett zu verteilen. In diesem Moment drang ein Schrei, gefolgt von einem krachenden Geräusch aus dem Nachbarzimmer.

»Vor Schreck ist mir fast die Schale heruntergefallen«, gestand sie dem Richter.

»Können Sie das Geräusch näher beschreiben?«, wandte sich der Staatsanwalt an sie.

Stella sah ihn an und nickte. »Ja. Es hörte sich wie zersplitterndes Glas an. Wie bei einer Fensterscheibe oder einem großen Spiegel.«

»Was taten Sie dann? Alarmierten Sie die Polizei?«

»Nein, nicht sofort. Ich war wie gelähmt.«

»Und was haben Sie stattdessen gemacht?«

»Ich habe gehorcht, ob noch weitere Geräusche zu hören waren, aber es passierte nichts mehr. Also habe ich die Blütenschale weggestellt und bin zur Tür gegangen. Als ich sie öffnete, hörte ich das Schloss des Nachbarzimmers klicken. Ich kann nicht genau sagen, wieso, aber ich habe die Tür leise wieder geschlossen und durch den Spion nach draußen geschaut.«

»Durch den Türspion?«, unterbrach sie der Staatsanwalt. »Ist das nicht sehr ungewöhnlich? Hotelzimmertüren pflegen im Allgemeinen keine Spione zu haben.«

»Das stimmt, aber dieses hier schon. Die Suite war früher ein Teil der Wohnung des Hoteldirektors. Aber bei der letzten Hotelrenovierung gestaltete man sie um und machte eine Suite und zwei weitere Zimmer daraus. Die Tür zur Hochzeitssuite ist die ehemalige Eingangstür zur Wohnung, und die hatte einen Spion.«

»Danke für diese Ausführungen«, erwiderte der Staatsanwalt mit einem siegessicheren Seitenblick auf die Anklagebank. »Bitte fahren Sie fort. Was genau haben Sie gesehen?«

»Ich sah, wie ein Mann aus dem Zimmer kam. Er sah ziemlich unordentlich aus, so als hätte er mit jemandem gekämpft. Er sah sich auf dem Gang um, so als wollte er sichergehen, dass er allein und unbeobachtet ist. Dann ging er sehr zügig zum Fahrstuhl und betrat ihn. Daraufhin bin ich auf den Gang getreten. Ich wollte wissen, was passiert war und ob es der Frau gut ging. Also habe ich an die Zimmertür geklopft. Es kam aber keine Antwort. Also habe ich das Zimmer mit dem Dienstbotenschlüssel geöffnet und mich umgesehen.« Stella erinnerte sich noch genau, wie aufgeregt ihr Herz geklopft hatte, als sie das Zimmer betrat. Ein Stuhl war umgekippt, Kleider lagen am Boden, das Bett war zerwühlt. »Und als ich weiterging, fand ich die Frau mit einem Strumpf um den Hals in der Badewanne und habe die Polizei gerufen.«

Sogar im Nachhinein lief ihr bei der Erinnerung an den Anblick des strangulierten Opfers eine Gänsehaut über den Rücken. Noch monatelang nachdem sie die Leiche entdeckt hatte, überfiel sie jedes Mal beim Betreten ihres eigenen Badezimmers ein mulmiges Gefühl. Immer, wenn sie auf die Wanne blickte, erschien vor ihrem geistigen Auge wieder das Bild der Toten – und mit ihm die Frage, ob sie sich jemals wieder ruhigen Gewissens allein mit Phil treffen konnte, ohne daran zu denken, was passieren könnte, wenn er die Hand auf ihren Hals …

»Konnten Sie das Gesicht des Mannes auf dem Flur erkennen?«

Die Frage des Staatsanwalts holte sie in die Gegenwart zurück. »Ja«, antwortete sie.

»Und würden Sie den Mann wiedererkennen, wenn Sie ihn sehen, Mrs. Gordon?«

Stella atmete tief ein und aus, dann sagte sie mit fester Stimme: »Ja, ich würde ihn jederzeit wiedererkennen.«

»Was macht Sie da so sicher?«

»Als er sich auf dem Gang umsah, blickte er mich sozusagen einen Augenblick lang an. Dabei konnte ich in seinem Gesicht ein Muttermal auf der linken Wange sehen. Es war recht groß.«

»Und befindet sich dieser Mann mit dem Muttermal hier in diesem Raum?«

»Ja, Sir. Es ist der Mann, der dort drüben neben Mr. Whitmore sitzt. Es ist Mr. Bloomfield, der Angeklagte.«

Aufgeregtes Getuschel und Gemurmel erhob sich im Saal, sodass Judge Sullivan sich erneut genötigt sah, mit dem Richterhammer für Ruhe zu sorgen.

»Danke, Mrs. Gordon. Euer Ehren, ich habe keine weiteren Fragen.«

Der Staatsanwalt ging, ein souveränes Lächeln auf den Lippen, auf seinen Platz zurück und setzte sich.

Auf die Nachfrage des Richters, ob der Verteidiger die Zeugin vernehmen wolle, verzichtete dieser, und der Richter erlaubte Stella, den Zeugenstand zu verlassen. Beim Vorbeigehen am Tisch des Angeklagten sprang Derek Bloomfield auf und richtete drohend einen Finger auf sie.

»Ich werde mich auch an dein Gesicht erinnern«, blaffte er sie an.

Stella zuckte vor Schreck zurück und schrie, die Zuschauer im Saal redeten aufgebracht durcheinander und der Richterhammer sauste zum dritten Mal an diesem Vormittag dröhnend nieder. Ein Gerichtsdiener und ein Polizeibeamter hielten den Angeklagten fest und riefen ihr zu, sie solle den Saal schnellstens verlassen.

Das brauchte man ihr nicht zweimal zu sagen. So schnell sie sich auf den wackeligen Beinen fortbewegen konnte, eilte sie auf die Tür am Ende des Saals zu.

»Miststück! Ich werde mich erinnern. Und ich werde dich finden. Hörst du? Blöde Schlampe.«

 Die Verwünschungen von Derek Bloomfield begleiteten ihren Weg nach draußen – und verstummten erst, nachdem sich die Tür des Gerichtssaals hinter ihr geschlossen hatte. Stella lehnte sich einen Augenblick gegen die schwere Eichentür. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Mit zittrigen Fingern öffnete sie die oberen zwei Blusenknöpfe und atmete tief ein und aus. Schon besser. Hoffentlich verurteilten die Zeugen den Angeklagten. Aus der Zeitung wusste Stella, dass die ermordete Frau, Lauren Simmons, ein Escort-Girl gewesen war, welches sich geweigert hatte, die sexuellen Gelüste ihres Klienten Bloomfield zu befriedigen. Ihre Weigerung hatte ihn so wütend gemacht, dass er sie im Bad des Hotelzimmers erst geschlagen und dann erwürgt hatte.

Stella schüttelte angesichts der Unbegreiflichkeit der Tat den Kopf. Wie konnte man einen Menschen nur wegen so etwas töten? Es überstieg ihre Vorstellungskraft. Sie stieß sich mit den Schulterblättern von der Tür ab und begab sich, den dunklen, holzverkleideten Gang so gefasst wie möglich entlangschreitend, zum Treppenhaus. Mit wackeligen Beinen, eine Hand am Geländer, schritt sie die Stufen hinab. Wieder erschien das Bild der strangulierten Lauren vor ihren Augen und machte ihr einmal mehr bewusst, wie schnell die Grenze von Lust zu Lebensgefahr überschritten werden konnte.

Kapitel 2: Ein Job auf Jamaika

Die kastanienbraunen Haare mit einem Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammenbindend, sah Lia, nicht ohne einen Anflug von Neid, den beiden Frauen am Rand des Swimmingpools zu, die ihre Füße ins Wasser baumeln ließen. Das würde sie auch machen, schwor sie sich, sobald die Führung durch das Pleasure Island Resort abgeschlossen war. Es war früher Nachmittag. Von dem blassblauen, wolkenlosen Himmel knallte die Sonne mit aller Kraft herunter und trieb Lia die Schweißperlen auf die Stirn. Und nicht nur dorthin. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, sich auf einer tropischen Insel um einen Job zu bewerben?

Sie schielte über den Rand ihrer Sonnenbrille: Den beiden Grazien am Pool, eine von ihnen mit kurzen schwarzen, die andere mit langen blonden Haaren und gigantischen Kreolen an den Ohren, schien die Affenhitze nichts auszumachen. Es sah aus, als saugten die nahtlos gebräunten Körper der zwei Schönheiten die Sonnenstrahlen nur so in sich auf, ohne sich einen Deut um Lichtschutzfaktor, Sonnenbrand oder Hautkrebs zu scheren.

»Das hier ist eine von unseren beiden Pool-Landschaften«, erläuterte Carlos, der Lia seit einer Stunde durch das Resort führte. »Die andere«, sagte er, mit einem Finger einen Hang hinunter deutend, »liegt weiter unten.«

Landschaft war nicht untertrieben. Das hier war nicht einfach nur ein überdimensionales, rechteckiges Schwimmbecken mit Sonnenliegen und schattenspendenden Schirmen drumherum. Es handelte sich vielmehr um mehrere, natürlich geschwungene Becken, die durch diverse Kanäle miteinander verbunden waren. Als hätte der liebe Gott mit einem überdimensionalen Pinsel ein paar türkisblaue Kleckse in die Landschaft gesetzt. Teilweise wurden die Kanäle von Brücken überspannt, an manchen Stellen ragten künstliche Felsen in die Becken hinein, die von Palmen und anderen tropischen Gewächsen gekrönt waren. Sogar einen kleinen Wasserfall gab es an einer Stelle. Das Zentrum der Poolanlage bildete eine kreisrunde, mit beschatteten Sitzplätzen ausgestattete Poolbar, die sich strahlend weiß aus dem Wasser hob und sowohl über Brücken und Stege als auch direkt vom Wasser aus erreichbar war. Der Anblick war überwältigend.

»Am Vanilla-Pool muss man sich gesittet benehmen und Badekleidung tragen, aber hier in der Nude Area sind Badehose oder Bikini verpönt.«

»Ja. Wenn man so braun gebrannt ist und so einen tollen Body hat wie die zwei dort drüben, kann man es sich leisten, auf Badekleidung zu verzichten«, sagte sie an Carlos gewandt und deutete mit dem Kopf in Richtung der Frauen, die sich soeben ins Wasser gleiten ließen.

Carlos maß sie mit einem Blick, der in ihrem Magen ein eigentümliches Gefühl erzeugte.

»Braun wirst du von allein. Und ein makelloser Körper ist nicht das Einzige, was eine Frau attraktiv macht.«

Lia schluckte. Sie war sich bei ihrer Bewerbung als Chief Security Officer zwar bewusst gewesen, dass es sich beim Pleasure Island um ein Hotel handelte, welches speziell für Gäste konzipiert war, die bei der Ausübung ihrer sexuellen Aktivitäten einen von der sogenannten Norm abweichenden Geschmack hatten – genauer gesagt für Leute, die, genau wie Lia, BDSM praktizierten. Sie hatte aber nicht damit gerechnet, dass die Angestellten ihre Gedanken derart offen zum Ausdruck brachten. Erst recht nicht, wenn es sich dabei um ihren engsten Mitarbeiter und Stellvertreter handelte.

Ihr Job in Deutschland ließ Lia immer weniger Zeit für Privates – von Sex wollte sie erst gar nicht reden. Personalknappheit und hohe Krankenstände führten zwangsweise zu immer mehr Überstunden. Sich für einen Tag etwas Festes vorzunehmen, war aussichtsloser als ein Sechser im Lotto. Tat sie es dennoch, kam garantiert etwas dazwischen. Ein Sondereinsatz an einem freien Tag war fast so sicher wie das Amen in der Kirche. Deshalb hatte Lia ihren Job als Polizistin für ein Jahr an den Nagel gehängt und sich im Pleasure Island auf Jamaika als Chief Security Officer beworben.

Carlos führte sie weiter über das Gelände, wobei sie an einer Geschäftsstraße, der Governour Walsh Highstreet, vorbeikamen, die nach dem Gouverneur benannt war, dem dieses Anwesen einst gehört hatte. Hier gab es alles, was man sich vorstellen konnte: Boutiquen mit ausgefallener Mode, kleine Cafés, einen Drogeriemarkt, zwei Schmuckgeschäfte, einen Friseur, ein Fotoatelier, einen Erotikshop und sogar eine Apotheke. Lia warf hier und da einen Blick in das Innere der Läden: Einrichtung und Auswahl der angebotenen Waren wirkten durchweg edel und exklusiv. Das Gleiche traf auf das äußere Erscheinungsbild der Straße zu. Die verschiedenen Geschäfte waren im landestypischen Kolonialstil mit vielen von Säulen getragenen Portalen und Balkonen errichtet und leuchteten in fröhlichen Farben miteinander um die Wette. Alles glänzte und strotzte vor Sauberkeit – gerade so, als würde man durch eine Modell-Landschaft in Disneyland gehen.

»Wir legen viel Wert auf Ordnung und Sauberkeit«, erläuterte Carlos. »Das trägt dazu bei, dass unsere Gäste sich hier sicher und wohl fühlen. Und wenn doch mal ein Notfall eintritt, haben wir ja immer noch das hier.« Er legte die Hand an den Taser, der an seinem Gürtel hing und der wie eine Stabtaschenlampe aussah.

Lia nickte zustimmend. »Ich werde mir die einzelnen Shops später noch genauer ansehen. Wohin geht’s jetzt?«

»Zum Karussell.«

»Karussell?«, fragte Lia verdutzt. Was sollte das denn sein? Ein Fahrgeschäft vom Jahrmarkt für Erwachsene? War das nicht etwas kindisch?

»Es ist die Hauptattraktion der Anlage. Viele unserer Gäste kommen allein deswegen hierher«, beantwortete Carlos ihre Frage mit einem frechen Grinsen, auf das sie sich keinen Reim machen konnte.

Carlos ging zu einer Stromladestation, an der drei Segways standen. Er zeigte Lia, wie sie den Stehroller zu bedienen hatte, nahm sich selbst auch einen und fuhr mit ihr los.

»Hast du den Taser schon mal einsetzen müssen?«, fragte sie, während sie ihm über das Gelände folgte.

»Nein, noch nie. Und du? Ich meine, da, wo du herkommst? Oder benutzt ihr so was bei euch nicht?«

»Doch, klar. Und ja, ich habe die Dinger schon ein paarmal benutzt. Oder besser gesagt, benutzen müssen. Allerdings noch nie einen wie diesen hier.«

»Das hört sich so an, als ob es dir leidtut.«

»Ich setze nie gern Waffen ein, auch nicht, wenn es heißt, sie seien nicht tödlich. Wenn du mal gesehen hättest, was mit der Person passiert, die damit einen Elektroschock bekommt, würde es dir vielleicht auch leidtun.«

»Das habe ich gesehen. Jeder der Angestellten hier hat das.«

Lia sah ihn an und hob fragend die Augenbrauen hoch. »Sagtest du nicht, dass du ihn noch nie benutzt hast?«

»Habe ich auch nicht. Aber alle, die hier arbeiten, haben ein Video gesehen, auf dem der Einsatz sehr anschaulich demonstriert wird. Zur Abschreckung, verstehst du?«

»Ja, verstehe. Aber glaub mir: Ein Video anzuschauen und das Ding real im Einsatz zu sehen, sind zwei Paar Schuhe. Mal abgesehen von dem Schmerz, den das Auftreffen der Nadeln verursacht, versetzt der Elektroschock deinen ganzen Körper in eine Art Starre. Du willst vor dem Schmerz weglaufen, aber du kannst es nicht, weil deine Muskeln dir nicht mehr gehorchen.«

»Na ja, die Dinger hier«, Carlos nahm den Taser in die Hand, »haben keine Nadeln. Sie sind nur für den Naheinsatz und viel schwächer in der Wirkung.«

Vor einem riesigen, schwarzen, runden Etwas stoppte er die Fahrt und schloss beide Roller an einer Ladesäule an. »Das hier ist unser Karussell«, erklärte er mit einer ausschweifenden Handbewegung. »Wir sind da.«

Auf Lia wirkte das Gebäude wie ein Fremdkörper in der Landschaft. Ein riesiger, runder Klotz ohne Fenster. Das Ding hatte ungefähr so viel mit einem Karussell gemeinsam wie eine Schildkröte mit einem Papagei. Zu allem Überfluss war dieses Höllenmonstrum mit schwarzem Stahl verkleidet. Und das in dieser Gluthitze.

Carlos hielt ihr die Tür auf, durch die sie in das Innere des Gebäudes trat. Drinnen war es angenehm kühl, die Wände waren weiß gestrichen, Deckenstrahler verbreiteten ein angenehmes Licht.

»Unser Karussell besteht aus drei Ringen. Im Moment sind wir im äußeren Ring. Wenn man den Gang hier entlanggeht«, er deutete nach rechts und links, »kann man komplett um das Karussell herumgehen. Der mittlere Ring ist das eigentliche Karussell. Es besteht aus zehn Kabinen, die man von hier aus betreten kann.« Carlos ging einen Schritt auf die ihnen gegenüberliegende Wand zu und drückte auf einen grünen Knopf, der sich in seiner Hüfthöhe befand. Unmittelbar darauf schwang eine Tür auf, die Lia erst jetzt als solche wahrnahm. »Geh ruhig rein und sieh es dir an«, lud er sie mit einer Handbewegung ein.

Lia durchschritt die Tür und fand sich in einem Raum wieder, der ein bisschen an die Form eines Tortenstücks erinnerte, bei dem man die Spitze abgeschnitten hat. An dieser Stelle befand sich eine raumhohe Glasscheibe, man konnte jedoch nicht hindurchschauen, denn sie war pechschwarz. Wozu war sie dann überhaupt da, fragte sie sich. Abgesehen von der merkwürdigen Form war die Kammer ein Spielzimmer, wie sie es schon unzählige Male gesehen hatte: Diverse Schlag- und Fesselinstrumente hingen ordentlich aufgereiht an einer Wand, auf einem Regalbrett lagen verschiedenste Dildos und Vibratoren, auf einem zweiten andere Geräte aus Edelstahl sowie Desinfektionsspray und mehrere Sorten Intimgel, teils mit Geschmack oder anderen Zusätzen, die eine sexuell stimulierende Wirkung hatten. An der anderen Wand, gegenüber den Schlagwerkzeugen, standen unterschiedliche Möbel: ein Kirchenstuhl mit Kniebank, ein Bock mit diversen Möglichkeiten, den devoten Part zu fesseln, ein Strafkäfig sowie eine gepolsterte Liege, die sich in der Höhe verstellen ließ. Lias Blick richtete sich auf die Decke, die mit Haken gespickt war, an denen der Top den Bottom nach Belieben fixieren konnte. An der Innenseite der Eingangstür waren vier Metallösen an den Ecken befestigt – ein aufgemaltes Andreaskreuz demonstrierte selbsterklärend, wozu diese gedacht waren. Keine Frage: Die Einrichtung hatte Stil, aber so außergewöhnlich, um deswegen extra eine lange Reise in Kauf zu nehmen, nur um dieses Ding zu besuchen, fand sie es nun wieder nicht.

»Was sagst du dazu?« Carlos’ Stimme klang erwartungsvoll.

»Gefällt mir. Bis auf das grelle Licht. Und wozu hat dieser Raum überhaupt eine Fensterfront, wenn …«

Carlos hatte einen Knopf neben der Eingangstür gedrückt, woraufhin diese leise zuschwang. Im nächsten Augenblick dimmte sich das Licht herunter, sodass eine behagliche Atmosphäre entstand.

»Schon besser«, sagte Lia anerkennend. »Wie funktioniert das? Schaltet sich der Dimmer automatisch beim Schließen der Tür ein?«

Carlos bejahte ihre Frage. »Wenn man möchte, kann man die Kabine auch in einen Rotton tauchen. Oder in ein kühles Blau. Ganz wie man will. Hier.«

Er zeigte Lia eine kleine Schalttafel, auf der mehrere Tasten angeordnet waren. Ein paar davon waren bunt: weiß, rot, grün, blau, gelb, orange. Andere hatten ein Plus oder Minus. Die Bedienung leuchtete Lia ohne große Erklärung ein. Unterhalb der Schalttafel blinkte ein roter Knopf.

»Ist das der Knopf, um den Raum zu öffnen?«, wollte sie wissen.

»Richtig. Sobald der Raum von innen verschlossen wird, ist die Leuchte draußen rot und zeigt somit an: Hier ist besetzt. Erst wenn man diesen Knopf durch leichtes Drücken wieder aus der Arretierung springen lässt, schaltet die Leuchte draußen wieder auf Grün und die Tür springt auf. Solange die Kabine besetzt ist, kann sie nur von innen geöffnet werden – bei Notfällen natürlich auch vom Sicherheitspersonal. Den Schlüssel dafür bekommst du noch.«

»Gibt’s hier irgendwo eine Kamera? Was ist, wenn hier drin etwas passiert? Wie erfahre ich, ob ich eingreifen muss oder nicht?«

»Kameras sind hier drin nicht gestattet. Unsere Gäste genießen absolute Privatsphäre. Jede Kabine ist mit einer Spracherkennung ausgerüstet, mit einer Art Safeword. Wenn du dreimal hintereinander Hibiskus rufst, reagiert unser System und löst Alarm aus.«

»Hibiskus? Das ist das Safeword?«

»Ja, wir wollten eins, das in möglichst vielen Sprachen gleich klingt und das typisch für Jamaika ist.«

Die Argumentation leuchtete Lia ein. Das Resort wurde immerhin von Gästen aus aller Welt besucht, ebenso kamen die Angestellten von überall her und waren nicht ausschließlich Jamaikaner. Genau wie sie selbst und Carlos. Da war es vorteilhaft, wenn man nur ein Sicherheitswort benötigte und nicht für jede Sprache ein anderes. Trotzdem gab es da noch etwas, was sie wissen wollte.

»Was ist, wenn jemand geknebelt ist? Wie soll das Safeword dann funktionieren?«

»Knebel sind in den Kabinen nicht gestattet, sondern nur im Playroom. Gleiches gilt für Wachs oder Kerzen.«

»Keine Kerzen? Wieso?«

Carlos deutete mit ausgestrecktem Arm zur Mitte der Decke, unter der eine runde, etwa untertassengroße Dose befestigt war. »Weil der Rauchmelder dann zu oft anspringen würde und wir das Karussell jedes Mal evakuieren müssten, um nach einer Brandquelle zu suchen. Du kannst dir sicher vorstellen, wie erfreut unsere Gäste wären, wenn sie mitten in einer Session abbrechen müssten, nur weil einer der Nachbarn eine Kerze angezündet hat.«

Lia musste lachen. »Ja, das kann ich mir lebhaft vorstellen. Ich verstehe allerdings immer noch nicht, warum dieses Ding Karussell heißt. Ein Karussell dreht sich normalerweise und das hier … Huch! Was ist das?«

Begleitet von einem dumpfen Summen schob sich die gesamte Kabine ein Stück weiter, bis die bis dahin schwarze Glaswand den Blick in einen kreisrunden Raum freigab, in dem es nichts außer ein paar Stühlen und einer Treppe gab.

»Deswegen nennen wir es Karussell«, sagte Carlos mit einem Lachen. »Alle sechs Minuten dreht sich der mittlere Ring exakt um eine Kabine weiter und ermöglicht so den Zuschauern im inneren Ring, einen Blick in eine der Kammern zu werfen.«

»Das ist ja raffiniert.« Die Technik war beeindruckend. Lia war dabei, ihre Meinung über das Karussell zu revidieren. »Dann ist das hier so eine Art Peepshow?«

»Wenn du es so nennen willst.«

»Ich dachte, die Gäste genießen Privatsphäre.«

»Das tun sie auch. Bis auf sechs Minuten pro Stunde.« Carlos grinste von einem Ohr zum anderen, bevor er wieder ernst wurde. »Immerhin ist es ein Unterschied, ob man gefilmt wird und nicht weiß, was mit dem Film passiert, oder ob man ein paar Minuten lang beobachtet wird. Die meisten unserer Gäste finden das sogar sehr anregend. Wer die Zuschauer allerdings unbedingt ausschließen will«, Carlos ging zu einer der Ecken neben dem Fenster, »der kann auch die Vorhänge vorziehen.« Er betätigte einen Schalter und stellte sich neben Lia. Lautlos glitten die Vorhänge vor die Scheibe. »Ich wette, du gehörst zu denen, die es lieber ungestört haben«, flüsterte er in ihr Ohr.

Sein Atem streichelte ihren Hals, ein Prickeln lief über ihren Rücken. Lia schluckte trocken – und ärgerte sich im nächsten Augenblick über sich selbst. Wie unprofessionell von ihr, sich von einem ihrer Mitarbeiter derart aus dem Konzept bringen zu lassen! Aber war es denn ein Wunder, dass sie so reagierte? Carlos war durchaus attraktiv: ungewöhnlich groß für einen Südamerikaner, schlank, schwarze Haare … Lia stand auf große Männer. Sie gaben ihr das Gefühl, ihnen ausgeliefert zu sein und gleichzeitig von ihnen beschützt zu werden. Ihr letzter Sex war so lange her, dass sie sich kaum noch daran erinnern konnte, und immerhin hatte sie den Job hier auch angenommen, um sich endlich mal wieder einem dominanten Mann hingeben zu können. Vielleicht sollte sie sich einfach auf das Spiel einlassen?

Nein, nein. Das war keine gute Idee. Zum einen war da etwas an seiner Art, etwas Aufdringliches, keine Ahnung was, aber irgendetwas stimmte nicht mit ihm. Auf ihr Bauchgefühl konnte Lia sich verlassen, und ihr Bauch sagte klar und unmissverständlich: Nein! Aber noch mehr Sorgen machte ihr die Frage, wie sie sich als Vorgesetzte Carlos gegenüber noch durchsetzen sollte, wenn sie sich ihm sexuell unterwarf. Das konnte nur Ärger geben. Besser, sie suchte sich einen anderen Spielpartner. Einen, mit dem sie beruflich nicht so eng zusammenarbeiten musste. Gut aussehende Männer gab es hier ja genug.

Also los!, rief sie sich zur Räson. Benimm dich wie ein Profi!

Lia straffte die Schultern und sah Carlos mit einem herausfordernden Lächeln auf den Lippen an.

»Du machst das wirklich ausgezeichnet. Ich wette, die meisten Ladys können deinem Latino-Charme nicht widerstehen. Allerdings vermische ich nie Berufliches und Privates – und daran wird sich auch hier nichts ändern.«

Carlos musterte sie mit einem Blick, der ihr gegen ihren Willen weiche Knie bescherte.

»Du wärst nicht die Erste, die ihren Vorsätzen hier untreu wird«, kommentierte er Lias Ausführungen, während er per Knopfdruck dafür sorgte, dass die Vorhänge sich wieder öffneten.

Zwei Stunden später saß Lia auf der Terrasse ihres Zimmers und tippte ihre ersten Eindrücke in ein Tablet. Sie bewohnte ein winziges Apartment, bestehend aus einem Duschbad sowie einem Raum, welcher zugleich als Wohn- und Schlafzimmer diente. Im Flur standen zwei Kleiderschränke an der Wand, in einer Ecke des Zimmers ein Etagenbett – Lia hatte das untere für sich gewählt. Zwei Rattansessel mit gemusterten Kissen, ein Beistelltisch und ein Regal sowie ein Kühlschrank mit einer Kaffeemaschine obendrauf ergänzten die Einrichtung. Nicht üppig, aber gemütlich – und für die wenige Freizeit, die der Hoteljob einem hier ließ, völlig ausreichend.

Eigentlich war diese Behausung für zwei Angestellte gedacht, aber aufgrund ihrer Stellung als Chief Security Officer stand Lia eine Wohnung zur alleinigen Nutzung zu. Alle Mitarbeiter des Resorts wohnten in den hoteleigenen Apartments und alle waren identisch eingerichtet. Es war ein richtiges kleines Dorf, bestehend aus zweigeschossigen Häusern, die landestypisch in Pastelltönen gestrichen waren. Von den Angestellten wurde es schlicht und einfach das Village genannt. Früher, so hatte Carlos ihr erklärt, war hier das Sklavenquartier des Gouverneurs gewesen. Die ehemaligen Baracken hatte man niedergerissen und stattdessen ein paar schmucke Häuschen aufgebaut. Pro Haus gab es vier solcher Apartments: zwei im Parterre mit Terrasse, zwei im oberen Stock mit Balkon.

Sie las sich ihre Notizen noch einmal durch, sicherte das Dokument und schaltete den Tablet-PC aus. Auf dem Beistelltisch lag der Lageplan des Resorts. Sie faltete ihn auseinander, sodass sie die gesamte Anlage überblicken konnte, und versuchte, sich die wichtigsten Punkte und Wege einzuprägen. Dann legte sie die Karte beiseite, nahm einen Zeichenblock und begann, aus dem Gedächtnis zu zeichnen, was sie sich gemerkt hatte, denn es war wichtig, dass sie die Örtlichkeiten und Verbindungswege ganz genau kannte, wenn sie ihren Job in fünf Tagen offiziell antrat. Lia malte eine Art überdimensionale Kidneybohne aufs Papier, welche am unteren linken Ende eine Spitze hatte, wie bei einem Herz. So weit, so gut. Jetzt hieß es, die wichtigsten Orientierungspunkte richtig darin zu positionieren. Eine Woche hatte Mark Foster, der Geschäftsführer, ihr eingeräumt, um sich mit allem vertraut zu machen, um die Angestellten kennenzulernen und, und, und …

Ungefähr in die Mitte malte sie einen Kreis. Das war das Karussell. Von dort führten fünf Wege sternförmig in verschiedene Richtungen, wie bei einem Kreisverkehr. Einer nach Nordwesten zu den Vanilla-Apartments mit eigener Pool-Landschaft und zur Shopping-Meile. Hinter diesem Bereich erstreckte sich der weitläufige Golfplatz. Ein weiterer Weg erschloss den östlichen Teil, wo sich die Nude Apartments mit Poolanlage und mehrere Bars befanden. Diese bildeten den Bereich, in welchem man sich, im Gegensatz zum westlichen Teil, komplett unbekleidet aufhalten konnte. Ein weiterer Weg ging nach Süden ab und gabelte sich dann. Ein Abzweig führte zum Hauptgebäude, ein anderer zu den Tennis- und Volleyballplätzen sowie zum Playroom, in welchem es diverse Möglichkeiten gab, seine sexuellen Vorlieben auszuleben. Der letzte Pfad schließlich führte zu einer von hohen Felsen umrahmten Bucht im Norden, in welcher sich die zwei Honeymoon-Bungalows befanden. Dazwischen gab es viele weitere Verbindungen, die hauptsächlich vom Personal genutzt wurden, um sich schneller über das Gelände bewegen zu können.

Fünfzehn Minuten später war sie mit der Zeichnung fertig und verglich sie mit dem Original. Das Ergebnis stellte sie nicht zufrieden. Die Honeymoon Bay in der oberen Delle der Bohne hatte sie richtig platziert, das Karussell aber lag auf ihrer Zeichnung viel zu weit nördlich, und von den Pool-Landschaften hatte sie nur eine richtig lokalisiert. Die Geschäftsstraße hatte sie viel zu lang gemacht, und was die Unterkünfte für die Hotelgäste anging … Lia schüttelte wegen ihrer Unfähigkeit den Kopf. Hier lag noch eine Menge Arbeit vor ihr. Sie klemmte sich den Lageplan unter den Arm, schlüpfte in die babyblauen Flip-Flops und verließ das Zimmer, um die Wege vom Vormittag noch einmal abzugehen und sich einzuprägen.

»Hast du dich schon etwas eingelebt?«, fragte Mark sie am zweiten Tag nach ihrer Ankunft. »Ist deine Unterkunft in Ordnung?«

Lia nickte. Sie fand es gewöhnungsbedürftig, den Geschäftsführer zu duzen. In Deutschland wäre es undenkbar gewesen, den Polizeipräsidenten beim Vornamen zu nennen – aber hier duzten sich ausnahmslos alle, vom einfachen Zimmermädchen bis hin zum Geschäftsführer und Eigentümer. Sie würde sich schon daran gewöhnen.

»Ja, danke. Das Zimmer ist zwar klein, aber sauber und gemütlich. Nur mit der Zeitumstellung habe ich noch etwas Schwierigkeiten. Ich bin immer noch sehr früh morgens wach und abends entsprechend früh müde.«

»Das gibt sich. Noch ein paar Tage, dann hast du dich daran gewöhnt.«

Er schenkte ihr ein Lächeln und musterte sie. In diesem Moment musste Lia sich eingestehen, dass Mark Foster ein wirklich gutaussehender Mann war. Sie hatte ihn bisher nur ein Mal, während ihres Bewerbungsgesprächs auf Skype, gesehen. Schon damals hatte er ihr gefallen, aber in Wirklichkeit sah er noch viel besser aus. Der Blick aus seinen graugrünen Augen ließ ihren Puls kurzzeitig in die Höhe schnellen. An seinen Schläfen zeigten sich ein paar graue Spitzen in dem ansonsten dunklen Haar, und um die Augen herum kräuselten sich Lachfältchen. Mark war fast zehn Jahre älter als sie. Das wusste sie aus den Akten der Angestellten, die sie seit gestern in alphabetischer Reihenfolge durcharbeitete. Allerdings musste sie zugeben, dass man ihm sein Alter nicht ansah. Im Gegenteil: Mark wirkte jung, vital und dynamisch. Seine Haut war sonnengebräunt, was den Eindruck von Vitalität noch verstärkte. Zu schade, dass er nicht so groß wie Carlos war … Hör sofort mit den Tagträumereien auf!, rief sie sich zur Räson. Sie mochte Mark Foster zwar duzen, aber er war immer noch ihr Chef – und damit für Lia tabu.

»Findest du dich auf dem Gelände zurecht?«

Seine Frage brachte sie zurück in die Wirklichkeit. »Ja, es wird allmählich.«

»Gut. Heute Nachmittag solltest du dir die Sporteinrichtungen sowie den Playroom vornehmen. Das Karussell hast du ja schon gesehen, oder?«

»Carlos hat es mir gestern gezeigt. Es ist beeindruckend. Ich würde es gern irgendwann ausprobieren.«

»Das solltest du auf jeden Fall. Und zwar am besten, solange du deinen Dienst noch nicht offiziell angetreten hast. Wie wäre es mit heute Abend?«

Lia schluckte trocken. Schlug ihr Chef ihr gerade tatsächlich vor, Sex zu haben? Noch heute? Sie wusste nicht, was sie darauf entgegnen sollte, und starrte ihn an.

»Alles in Ordnung?«, fragte er.

»Ja«, erwiderte sie wie aus einer Trance erwachend. »Es ist nur, ich weiß nicht, wen ich …, ich habe schon Lust, aber ich wüsste gar nicht …« Lia spürte, wie ihre Wangen immer mehr glühten. Normalerweise war sie nicht auf den Mund gefallen, aber das hier war ihr Chef und nicht die Spielpartnervermittlung vom Passion Club.

»Hör zu, Emilia«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Sei einfach locker. Niemand denkt hier schlecht über dich, wenn du deiner Lust nachgibst. Dafür ist dieser Ort ja da.« Er machte eine Pause, fixierte sie mit seinen graugrünen Augen. »Lange keinen guten Sex gehabt, stimmt’s?«

O Gott! Erde tu dich auf und verschling mich! Sah man ihr das so sehr an? Lief sie etwa mit einem Schild »Hab’s dringend nötig« auf der Stirn herum? Kein Laut kam über ihre Lippen. Stattdessen senkte sie den Blick.

»Kein Grund, sich zu schämen«, fuhr er fort. »Den meisten, die herkommen, geht es so. Sieh mich bitte an.«

Lia hob den Blick.

»Wann war dein letztes Mal?«

Wie bitte? Das ist doch nicht sein Ernst, oder? Mark sah sie ruhig und abwartend an. Es war offenbar doch sein Ernst.

»Ich glaube, ähm«, Lia räusperte sich. »Ich glaube, das letzte Mal war …« Sie überlegte. Er hieß Rolf. Oder Ralf? Sie hatte ihn in einem Chatroom kennengelernt. Aber wann hatte sie ihn getroffen? War es sechs Monate her? Sieben? Oder noch länger? Sie konnte es beim besten Willen nicht sagen. »Ich glaube, das muss mindestens sechs oder sieben Monate her sein. Vielleicht auch noch länger. Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht mehr genau.«

»Zu lange auf jeden Fall«, sagte er in dem gleichen verständnisvollen Tonfall wie zuvor. »Daran sollten wir schleunigst etwas ändern. Kann ich dir irgendwie helfen?«

Ja, klar. Greif mir ins Haar, küss mich hart und leg mich danach übers Knie. »Ich, ich, nein …« Bring meinen Po zum Glühen und … »Nein danke, ich komme schon klar, ich muss nur erst, nur erst …« In ihrem Kopf herrschte ein Vakuum. Was? Sie konnte nicht klar denken. Was muss ich erst?Verdammt, reiß dich zusammen! »O ja, bitte«, platzte es schließlich mit einem resignierten Seufzen aus ihr heraus. »Ich könnte ein bisschen Hilfe wirklich gebrauchen.« Lieber Gott, lass ihn jetzt nicht lachen, sonst sterbe ich. Auf der Stelle.

Mark lachte nicht. Als wäre es das Normalste der Welt, griff er zum Telefon und setzte das Headset auf. »Heute? Achtzehn Uhr?«, fragte er sie und wählte – nachdem Lia genickt hatte – eine dreistellige Nummer.

»Hallo, Andrew, hier ist Mark«, sagte er nach ein paar Sekunden in das Mikrofon.

Ein Windstoß bauschte die Vorhänge auf und wirbelte ein paar Blätter von Marks Schreibtisch. Er stand auf, schloss das Fenster, sammelte die Papiere vom Boden auf und legte sie zurück auf den Stapel, von welchem der Wind sie heruntergeweht hatte. Es wurde Zeit, dass er das Chaos auf dem Tisch gründlich aufräumte und sich endlich um einen Nachfolger kümmerte. Als er seinen Club, das Twentyfour Seven in New York, vor zwei Jahren verlassen hatte, schwebte ihm lediglich eine Auszeit von ein paar Monaten vor. Er hatte mal wieder etwas Neues machen wollen, und das Angebot von Ben van Hahlen, als temporärer Geschäftsführer in dem Resort auf Jamaika anzufangen, schien genau das Richtige zu sein.

Inzwischen waren aus ein paar Monaten zwei Jahre geworden, in welchen er in unregelmäßigen Abständen in seinem Club, dem Twentyfour Seven, nach dem Rechten sah. Sicher, das Resort war ein kleines Paradies. Das Leben hier war harmonisch und entspannt. Zumindest vordergründig, denn hinter den Kulissen kam es zwischen den Angestellten immer mal wieder zu Reibereien und Streitigkeiten, die geschlichtet werden mussten. Auch gab es auf der Insel alles, was er brauchte – und dennoch: New York fehlte ihm. Die endlos langen Straßen voller Menschen. Der Trubel und die Hektik, von denen man sich in seine vier Wände zurückzog, wenn es einem zu viel wurde. Die grünen Oasen und Parks, Restaurants, Kaufhäuser, Theater und Museen, ja sogar die U-Bahn und das schlechte Wetter. So verrückt es sich anhörte: Sein Herz sehnte sich nach Regen und Schnee und nach Frühling. Für Mark gab es keine schönere Jahreszeit, wenn die Natur aus ihrem Dornröschenschlaf wieder zum Leben erwachte. Hier auf Jamaika war davon nichts zu spüren. Die tropische Vegetation blühte das ganze Jahr mehr oder weniger gleichbleibend. Natürlich gab es einen kalendarischen Winter und Sommer, aber die wenigen Grad Unterschied zwischen diesen Jahreszeiten waren im Vergleich zu New Yorks Temperaturschwankungen quasi nicht existent.

Er schloss die Tür des Büros zweimal ab und ging, am Hauptgebäude vorbei, in Richtung der Tennisplätze. Nur zwei der acht Plätze waren belegt. Mark ging weiter und kam zu der im östlichen Teil des Resorts gelegenen Poolanlage. Auch hier wurde es allmählich ruhiger. Es waren kaum noch Gäste an den Pools zu sehen, die meisten bereiteten sich in diesen Minuten vermutlich auf das Abendessen vor. Einige Angestellte rückten die Liegestühle für den nächsten Tag zurecht, damit am nächsten Morgen alles sauber und ordentlich aussah. Mark war zufrieden, grüßte seine Mitarbeiter und wechselte ein paar Worte mit ihnen, bevor er sich auf den Weg zur zweiten Pool-Landschaft machte. Dabei kam er am Karussell vorbei.