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Als Im Vorfeld des berühmten Triathlons in Roth der amerikansiche Weltmeister Brock Coleman tot aufgefunden wird, fällt der Verdacht zunächst auf seinen Erzrivalen William Helmsley aus England. Als dieser kurz darauf verschwindet, sehen die Kommissare Walter Schöninger und Max Moosgruber sich in ihrer Vermutung bestätigt. Doch dann taucht eine weitere Leiche auf...
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Seitenzahl: 180
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Obgleich die Challenge Roth in der Tat existiert, sind Handlung und Personen frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit verstorbenen oder lebenden Personen (ausgenommen Felix und Alice Walchshöfer) sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Für meine Eltern
*
Der Wind rauschte Walter Schöninger um die Ohren, als er die letzte Gerade nahm und noch einmal kräftig in die Pedale seines Rennrades trat. Der Schweiß lief ihm in Strömen über die Stirn, seine Beine pumpten so unermüdlich wie die Kolben einer Lokomotive als er die letzte Steigung nahm und erschöpft die Hofeinfahrt seines kleinen Eigenheimes überquerte. Nach einhundertvierzig Kräftezerrenden Kilometern kam er schließlich zum Stehen. Ein kurzer Blick auf den Tacho bestätigte ihm eine erfolgreiche Ausfahrt. Als er den Riemen seines Helmes öffnete, flog auch schon die Haustüre auf in der ihn seine Mutter schon sehnsüchtig erwartete.
,,Grüß dich Walter, bist du jetzt auch endlich wieder da?“
,,Danke für die Nachfrage, es lief Bestens’’, antwortete Walter verschmitzt und kontrollierte noch einmal alle Daten seines Tachometers. Ein dreiunddreißiger Schnitt, damit war er höchst zufrieden.
,,Wenn ich die Leistung auch in Roth abrufen kann, dann mach ich mir ums Finish keine großen Gedanken.“
,,Das klingt ja schon mal gut, hoffentlich hast du nach dem Wettkampf auch wieder ein bisschen mehr Zeit für Haus und Hof. Ich kann mich als alte Frau doch nicht immer um alles alleine kümmern“, gab seine Mutter zu verstehen und zeigte mit einem Wink auf den Rasen, der eigentlich schon seit zwei Wochen gemäht werden sollte.
,,Aber sicher, Mutti’’, antwortete Walter während er sein Rad an der Wand der Doppelgarage anbrachte ,,Aber einen Triathlon über die Langdistanz macht man eben nicht so einfach nebenbei. Da ist schon ein bisschen Training nötig.“
,,Ja, das erzählst du mir jedes mal. Jetzt dusch dich erstmal und danach wartet das Essen auf dich.“
Frau Schöninger trat einen Schritt zur Seite um ihren Sohn ins Haus hinein zu lassen, als ihr Nachbar Schmied herüber rief.
,,Servus, alte Sportskanone“, tönte es von der anderen Seite des gemeinsamen Scherenzaunes. Ihr Nachbar, ein stattlicher älterer Herr Mitte sechzig, zeigte sich sehr angetan von Walters sportlichen Aktivitäten und bewunderte ihn insgeheim auch dafür.
,,Ich hab dich heute Morgen wegfahren sehen. Du warst ja bestimmt vier Stunden unterwegs.“
,,Ja, noch ein bisschen mehr“ , antwortete Walter stolz, ,,Sie können beim nächsten ja gerne mal mitfahren.’’
,,Nein, nein“, wehrte der Nachbar ab, ,,dafür bin ich viel zu alt und zu faul. Ich hab es vor ein paar Jahren mal mit dem Laufen versucht, aber der innere Schweinehund hat stets die Oberhand behalten. Wie kannst du dich nur immer wieder aufs Neue so motivieren?“
Das war die Frage auf die Walter insgeheim gewartet hat. Endlich fand er Gelegenheit jemanden von seinem Vorhaben zu erzählen ohne selbst das Thema anschneiden zu müssen und nicht als Prahlhans dazustehen. ,,Ganz einfach, Herr Schmied, ich melde mich für einen Wettkampf an und schon bin ich gezwungen zu trainieren. Das gibt mir jeden Tag die nötige Motivation.“
,,Was für Wettkämpfe machst du da so?“, fragte der Nachbar interessiert.
Das Gespräch verlief genau wie Walter erwartet hatte. Jetzt konnte er es rauslassen: ,,Triathlon. Ich mache in drei Wochen den Triathlon in Roth, die Challenge. Zugleich die deutsche Meisterschaft auf der Langdistanz.“
,,Aha, aha“, antwortete Schmied, der mit den Informationen nicht viel anfangen konnte. ,,Und was musst du da genau machen? Laufen und Radfahren?“ Der Nachbar zeigte sich aber sehr interessiert.
,,Und Schwimmen. Danach kommt das Radfahren und das Laufen“, antwortete Walter mit stolz geschwellter Brust als hätte er bereits die Langdistanz absolviert. Dabei sollte dies ja sein erster sein.
Mutter Schöninger hatte sich in der Zwischenzeit zurück in das Haus begeben. Sie wusste, er war jetzt ganz in seinem Element und lies ihrem Sohn die Freude.
Der Nachbar hingegen schien nun richtig erpicht auf Walters Erklärungen zu sein.
,,Alles an einem Stück, oder was? Wie lange dauert denn das? Ich meine, so was mal im Fernsehen gesehen zu haben. Da bist du ja bestimmt zweihundert Kilometer unterwegs.“
,,Zweihundertsechsundzwanzig Kilometer sind es um genau zu sein“, klärte Walter ihn auf, ,,Drei Komma acht Kilometer schwimmen, hundertachtzig Kilometer Radfahren und ein kompletter Marathon über zweiundvierzig Komma hundertfünfundneunzig Kilometer. Wenn alles nach Plan läuft bin ich etwa zehn bis elf Stunden unterwegs.“
Herr Schmied zeigte sich sehr erstaunt. ,,Respekt, mein Lieber. Das haut mich jetzt glatt aus den Socken. Kommt deine Mutter da auch mit?“
,,Nein, nein. Die würde sich nur langweilen.“
,,Mhm, und wer gewinnt denn da solche Rennen?“
,,Gute Frage, heuer ist der Amerikaner Brock Coleman der große Favorit. Er wurde letztes Jahr erster auf Hawaii. Knapp vor William Helmsley aus England. Bei den Deutschen könnte Tim Neidhart das Rennen machen. Er hat Roth in der Vergangenheit schon drei Mal gewonnen. Ist zwar schon ein paar Jahre her, aber zurzeit erlebt er seinen zweiten Frühling.“
,,Na dann drück ich ihm und dir mal die Daumen. Walter, ich glaube deine Mutter ruft gerade nach dir.“ Walter blickte sich um und erspähte seine Mutter wild gestikulierend am Küchenfenster.
,,Oh, ich glaube ich sollte langsam mal reingehen.“
,,Mach das. Ich wünsche dir viel Erfolg für dein Abenteuer in Roth, falls wir uns bis dahin nicht mehr sehen sollten.“
,,Danke, ich lasse es sie wissen wie es mir ergangen ist.“
Frisch geduscht begab sich Walter hinunter in die Küche, setzte sich auf die Eckbank und verspeiste gierig die erste Portion Nudeln. Mutter Schöninger setzte sich ihm gegenüber an den rustikalen Küchentisch und nahm einen ihrer Groschenromane zur Hand. Wenn sie nicht alle Romane nach dem Lesen wegwerfen würde, hätten sie schon ein eigenes Zimmer für die ganzen Hefte gebraucht, dachte Schöninger.
Verstohlen blickte sie immer wieder hinüber zu ihrem Sohn. Walter war dies nicht entgangen.
,,Mama, hast du was auf den Herzen?“
,,Nun ja, jetzt wo du für einige Tage weg fährst, werde ich wohl ganz allein sein.“
,,Ja!?’’
,,Und ich finde du könntest ein wenig Unterstützung gebrauchen.“
,,Mama, du willst doch nicht etwa mitkommen? Ich dachte wir waren uns einig?“, antwortete Schöninger genervt. ,,Ja schon, aber…“
,,Mama, nein!“ unterbrach sie ihr Sohn.
,,Aber dieser Triathlon ist Wahnsinn. Ich möchte dabei sein, wenn es dir nicht so gut geht und vor allem möchte ich dabei sein wenn du es wirklich schaffen solltest.“
Seine Mutter klang so energisch und überzeugt dass Walter fast nichts anderes übrig blieb als nachzugeben, versuchte sich aber an ein einigen Ausflüchten.
,,Aber das ist doch nichts für dich. Ich werde den ganzen Tag unterwegs sein, du wirst mich kaum zu Gesicht bekommen und die viele Sonne wird dir nicht bekommen, das hatten wir ja schon mal.“
,,Mach dir um mich mal keine Sorgen, ich werde Vorkehrungen treffen.“
Walter merkte schon dass es ausgeschlossen ist, seine Mutter umzustimmen. Vielleicht hatte es ja auch was Gutes und der Tapetenwechsel würde ihr bestimmt gut tun.
,,Schon gut, Mama. Aber ich werde sagen wann und wo wir hingehen werden, das wird mein Wochenende.“
,,Ja, Walter. Ich werde dir bestimmt kein Klotz am Bein sein.“
Walters Traum vom perfekten Triathlonwochenende fiel wie ein Kartenhaus zusammen. Wie gern hätte er diese Tage nur für sich gehabt und sich mal so richtig seinem Lieblingssport hingeben können. So mit allem drum und drann, der Nudelparty, gemütliches schlendern durch die Expo, der Wettkampfbesprechung, der Siegerehrung und der Austausch mit den anderen Triathleten. Aber seit dem plötzlichen Tod seines Vaters vor zwei Jahren war Walters
Mutter sehr einsam geworden, schaffte es sogar ihren Sohn wieder zurück nach Hause zu locken, nachdem dieser bereits vor mehr als zehn Jahren von daheim ausgezogen war und in Nürnberg, seinem Arbeitsort, eine kleine Wohnung bezogen hatte.
,,Wo wolltest du denn übernachten?“, fragte Walters Mutter nun.
,,Ich hab gelesen im ganzen Landkreis soll kein Zimmer mehr frei sein.“
Walter zuckte mit den Schultern. Er war die letzten Monate so auf sein Training versessen dass er total verschwitzte für eine Unterkunft zu sorgen. ,,Ich weiß nicht. Wahrscheinlich ist campen am Heuberg angesagt.“
,,Campen? Du meinst Zelten? So richtig mit allem was dazugehört?“, fragte Mutter entsetzt.
,,Nein, nein. Ich würde mir einen Wohnwagen leihen.“
Mutter zeigte sich sichtlich erleichtert. Das kann ja heiter werden, dachte Walter und zog es lieber vor nichts mehr zu diesem Thema zu sagen.
,,Ich verstehe nicht dass du überhaupt eine Übernachtung suchst. Ich meine wir haben ja nur vierzig Minuten bis nach Roth.“
,,Stimmt, vierzig Minuten. Und ich habe keine Lust jeden Tag vierzig Minuten nach Roth zu fahren. Aber dir steht es frei zuhause zu bleiben.“
,,Nein, natürlich komme ich mit.“
Walter merkte sofort dass ihr vor dem Leben auf dem Campingplatz graute, hoffte insgeheim sogar seine Mutter würde doch noch lieber daheim bleiben.
*
Etwa vier Wochen später befuhren Kommissar Walter Schöninger und dessen Mutter die Autobahn A neun Richtung Roth. Ihr alter
Mercedes Kombi zog mit lautem Motorengeheul den Wohnwagen hinter sich her. Der üppige Kofferraum war vollgepackt bis obenhin. Neben zwei großen Reisekoffern und der stattlichen Sporttasche fand auch noch Walters schwarz-weiß lackiertes Triathlonrad Platz. Das Vorderrad musste allerdings weichen, so dass dieses hinter den Fahrersitz Platz nehmen musste. Der Hörnchenlenker, nebst Aufleger, wurde aus Platzgründen um neunzig Grad nach unten verstellt.
,,Ich verstehe nicht warum du so griesgrämig guckst“, versuchte Mutter Schöninger ihren Sohn Walter ein wenig aus der Reserve zu locken als dieser die ganze Fahrt über schon etwa zurückhalten wirkte. ,,Andere wären froh wenn sie ein wenig Unterstützung bekämen und nicht alleine fahren müssten.“
Walter schwieg.
,,Spielst du jetzt den beleidigten?“, hakte sie nach.
Er reagierte erneut nicht.
,,Walter!“ rief sie energisch.
Er schreckte hoch. ,,Hast du was gesagt? Ich war in Gedanken.“
Mutter zeigte sich genervt. ,,Nicht nur das, mach auch endlich mal das Geschrei hier leiser.“ Sie fuchtelte mit dem Finger in Richtung CD-Player.
,,Das ist kein Geschrei, das sind Motörhead“, belehrte sie Walter.
,,Das brauch ich jetzt um mich einzustimmen.“
,,Heute ist Donnerstag, du hast noch drei Tage Zeit um in Stimmung zu kommen. Laut Navi kommen wir etwa um zwölf in Roth an. Vielleicht können wir im Triathlonpark auch gleich zu Mittag essen.“
,,Können wir machen, ich kann es kaum erwarten endlich meinen Startbeutel in der Hand zu halten.“
,,Da scheinst du nicht der einzige zu sein“ ,stellte die Schöningerin fest und deute auf ein überholendes Fahrzeug ,,Das ist nun schon das vierte Auto mit Rennrad auf dem Dach oder am Heck das uns heute überholt.“
,,Ja, die sind bestimmt auch alle auf dem Weg zur Challenge. Sollen sie mich doch nur überholen. Am Sonntag sammle ich einen nach dem anderen wieder ein“, lachte Walter ,,Aber weißt du auf was ich mich fast am meisten freue?“
,,Nein, sags mir.“
,,Darauf dass Brock Coleman und William Helmsley erneut aufeinander treffen.“
,,Was ist daran so besonders?“
,,Du weißt doch dass Coleman Helmsley letztes Jahr bei der Weltmeisterschaft auf Hawaii ganz knapp geschlagen hat. Helmsley hat dies bis heute nicht überwunden. Er wirft Coleman vor, sich unerlaubterweise einen Vorteil verschafft zu haben, in dem er beim Radfahren immer wieder den Windschatten seines Landsmannes Paul Jannetty genutzt hatte und somit die Kraft gespart hätte, die beim Laufen auf den letzten Kilometern den Ausschlag gegeben hat.“
,,Ich dachte Windschatten fahren wäre verboten.“
,,Ist es ja auch. Vermutlich wurden bei ihm mal ein oder zwei Augen zugedrückt.“
,,Und nun?“
,,Und nun attackiert Helmsley Coleman bei jeder Gelegenheit verbal, ob in den Interviews oder auf seiner Homepage. Die Sache spaltet auch schon die Lager der anderen Athleten und die der Fans.“
,,Ist das kindisch.“
*
Es waren noch drei Tage bis zum großen Rennen. Walter saß alleine auf der Kante des aufklappbaren Bettes im Wohnwagen und packte seine Wechselbeutel. Seine Mutter war “ein wenig die Gegend auskundschaften”, wie sie sagte. Walter war das ganz recht, jetzt konnte er keine Einmischung a la “Zieh doch lieber dies und das an, falls dieses und jenes passiert”. Sorgfältig breitete er auf dem Bett all seine benötigten Kleidungstücke aus. Von den zwei ausgegebenen Startnummern würde er nur eine benötigen, diese befestigte er auf seinem Startnummernband. Zur Sicherheit brachte er in der Mitte noch eine dritte Sicherheitsnadel an. Die andere steckte er wieder zurück in den Umschlag. Auch die bewahrte er als Andenken gut auf. Er hatte nicht vor seine Kleidung während des Rennens zu wechseln. Walter legte seine Utensilien auf drei Häufchen verteilt zurecht. Jeweils einen für den grünen, blauen und roten Wechselbeutel. Der eine war für seine Radsachen, der andere für die Laufsachen und der dritte war für die Sachen für vor und nach dem Rennen gedacht. Er überlegte was er wohl anziehen würde. Seinen Zweiteiler, den er schon auf einigen Kurzdistanzen getragen und sich mit ihm wohl gefühlt hatte, oder sollte er sich doch noch den Einteiler zulegen, der ihn auf der Expo schon ein wenig angelacht hatte. Die Challenge am Sonntag war schließlich das Highlight in seiner bisherigen Triathlonkarriere und zahlreiche Zuschauer werden erwartet. Dann gibt’s natürlich noch den Fotoservice auf der Strecke. Da will man natürlich einigermaßen gut aussehen. Sollte er nun bereits beim Radfahren Socken tragen? Er entschied sich dafür. Bei hundertachtzig Kilometern will man es doch bequem haben. Der Wetterdienst sagte einen unbeständigen Tag, aber dennoch sechsundzwanzig Grad voraus. Zur Sicherheit legte er seine Armlinge zu den Radsachen. Neben den Lauf- und Radschuhen packte er noch ein Handtuch zum Abtrocknen ein. Allerdings nicht irgendeins, sondern das mit dem Emblem des 1. FC Nürnberg, welches er schon seit seiner Kindheit besaß. Es sollte ihm Glück bringen. Welche Schwimmbrille soll ich nur mitnehmen, überlegte er. Die, die nicht hundertprozentig dicht war, aber bequem, oder die, die drückte, aber kein Wasser rein lies? Er packte beide ein und vertagte die Entscheidung auf den Rennmorgen. Walter ärgerte sich sogleich dass er es nicht schaffte in den sechs Monaten Training eine vernünftige Schwimmbrille zu kaufen. Jetzt brauchte er nur noch seinen Neoprenanzug und die blaue Schwimmmütze, die vom Veranstalter ausgegeben wurde. An sein weißes Triathlonrad brachte er noch die Startnummer an. Auch der Helm wurde mit der Nummer beklebt. Walter war froh nun alle Vorbereitungen getroffen zu haben. Jetzt konnte er die letzten Tage noch richtig genießen.
Wenig später machte sich Walter mit seiner Mutter auf den Weg zum Challenge Areal. Es herrschte bereits reges Treiben. Langsam trudelten die Teilnehmer aus aller Welt ein. Die neuesten Triathlonräder mussten begutachtet, Innovationen bestaunt und Souvenirs gekauft werden. Die Athleten aus über fünfzig Ländern verwandelten das Challenge Areal in einen multikulturellen Basar. Beide florierten durch das Messegelände und erreichten sogleich den Stand von dem amerikanischen Radhersteller Masterbike. Dort waren die neuesten Top Modelle ausgestellt, die sich Walter natürlich gleich näher ansehen musste. Besonders tat sich das neueste Modell, der Thunderhawk, hervor. So aggressiv der Name klang, so gestaltete sich auch das Design des Velos. Windschnittig und kämpferisch. Ein Carbonsattel mit nach hinten liegenden integrierten Flaschenhaltern, aufgesetzt auf einer Sattelstütze aus, natürlich, reinem Carbon. Der Zeitfahrlenker von Profile Design stand für kompromisslose Aerodynamik. Der Rahmen selbst erweckte den Anschein als entspränge er gerade erst dem Windkanal. Die Reifen mit den Four-Spokes waren allein optisch schon ein echter Leckerbissen. Eine komplette hochwertige Shimano Dura-Ace Ausstattung sorgte für das i-Tüpfelchen.
,,Wahnsinn, der Thunderhawk! Welche elegante Linienführung und dieser tief stehende Aerolenker, ein Traum!“
,,Nicht wahr?“, fragte der Austeller, der auf Schöninger zutrat.
,,Das ist unser Topmodell. Mit exakt dem gleichen Rad wird Brock Coleman am Sonntag antreten.“
,,Der Renner ist wirklich ein Traum“, fügte Walter an, ,,aber für mich sicherlich nicht erschwinglich. Ich denke mein Auto hat nur ein unwesentlich mehr gekostet.“
,,Gut möglich“, fügte der Aussteller an. ,,So wie es da steht dürfen sie mit etwa sechzehntausend Euro rechnen.“
,,Das sind vierzehntausend zu viel für mein bescheidenes Budget“, lachte Walter ,,Kein Wunder dass man die Masterbike so selten sieht.“
,,Masterbike ist eben nicht irgendein Triathlonrad. Es wird nur auf Bestellung gefertigt und auch nicht jedermann zugänglich.“
,,Warum eigentlich nicht? Mal abgesehen vom Preis?“
,,Ein Masterbike kann man nur kaufen indem man von einem anderen, registrierten Masterbike Fahrer geworben wird. Wenn also jemand aus ihrem Bekanntenkreis eins fährt, stehen ihre Chancen schon mal besser.“
,,Leider nein, aber wenn das so ist, warum haben sie dann hier überhaupt einen Promotionsstand?“
,,Man muss dennoch zeigen was man hat, wir haben zum Beispiel den hier den nagelneuen Thunderhawk, dem Nachfolger des Condor.“
,,Ich denke ich muss mich mit Fotos begnügen, die darf man doch machen, oder?“
,,Klar, nur zu.“
Mit seiner Handykamera schoss Walter mehrere Bilder von allen Seiten um wenigstens den Desktop seines Computers mit einem Masterbike schmücken zu können.
*
Spätnachmittags fanden sich scharenweise Medienvertreter und interessierte Zuschauer zur angekündigten Pressekonferenz ein. Das Veranstaltungszelt war bis auf den letzten Platz gefüllt. Jeder erwartete die große Revanche zwischen den Dauerrivalen Brock Coleman und William Helmsley mit großer Spannung. Walter und seine Mutter waren froh zeitig vor Ort zu sein und einen annehmbaren Platz in den vorderen Reihen ergattert zu haben. Langsam trafen auch die Athleten ein, ausgestattet mit Kappen und T-Shirts ihrer Sponsoren. Als erstes nahm der deutsche Profi und Lokalmatador Tim Neidhart Platz. Er wurde vom Rother Publikum frenetisch empfangen. Seine legendären Rennen hier haben die Zuschauer nicht vergessen. Es folgte verhaltener Applaus für die in Nürnberg lebende Beth Michelle aus den USA. Ihr folgte sogleich ihre deutsche Dauerrivalin Maria Hart, die mit freundlicheren Reaktionen begrüßt wurde. Auch sie war eine frühere Siegerin und wollte ihren größten sportlichen Erfolg gerne wiederholen. Der Brite William Helmsley betrat als Vizeweltmeister die Bühne und wurde von besonders enthusiastischen Anwesenden mit Standing Ovations und lautem Jubelgeschrei empfangen. Das Trio bei den Damen machte die Schweizerin Natalia Hoffmann komplett. Zu guter Letzt betrat Brock Coleman das Zelt. Er wirkte sehr unsicher, obwohl er nach seinem großen Sieg auf Hawaii den Rummel um seine Person gewohnt sein dürfte. Auch er hatte zahlreiche Fans auf seiner Seite, die ihm lautstark applaudierten, während einige, die sich auf Helmsleys Seite geschlagen hatten, mit Buhrufen ihre Meinung kund taten.
Tom Bosch vom deutschen X-trim Magazin eröffnete die Gesprächsrunde.
,,Meine erste Frage geht gleich mal an sie, William. Das Motto der diesjährigen Challenge könnte “die große Revanche” lauten. Warum ist ihnen die Revanche so wichtig dass sie sie hier in Roth suchen und nicht die WM auf Hawaii abwarten?“
,,Weil ich auf Hawaii keine faire Bedingungen zu erwarten habe, wie sie vielleicht letztes Jahr selbst über dem Fernsehschirm miterleben durften. Zum Glück befinden wir uns hier in Roth auf neutralen Boden. Ich denke, hier werden die Amerikaner nicht bevorzugt.“
,,Das heißt sie schreiben Hawaii bereits ab?“
,,Nein, ich werde auch dieses Jahr dort angreifen. Und zwar erneut in Bestform. Ein Helmsley in Bestform ist nicht zu schlagen und das werden auch die Amerikaner einsehen müssen.“
,,Wird es auch eine Rolle spielen dass Paul Jannetty nicht am Start sein wird, immerhin werfen sie ihm ja vor die Tempomacherrolle für Brock Coleman gemacht zu haben.“
,,Dass dem so war beweisen ja die Fernsehbilder, das brauch ich nicht lange wiederzukäuen, von daher wird sein Fehlen eine sehr bedeutende Rolle spielen, da er mitunter siegentscheidend gewesen wäre.“
Hans Drechsler von der Internetplattform Tri226.de schaltete sich ein.
,,Mr. Coleman, wie stehen sie zu den Vorwürfen, immerhin spaltet dies auch schon die Fangemeinde. Die einen denken, sie hätten entgegen den Regeln von Paul Jannettys Windschatten profitiert, die anderen sind der Meinung, sie hätten auch so das Rennen gemacht.“
,,Jannetty ist ein sehr starkes Rennen gefahren und hätte ihn das kaputte Schaltwerk nicht aus dem Rennen geworfen, würde er jetzt wohl satt mir hier oben sitzen. Natürlich habe ich versucht an ihm dranzubleiben um meine Chancen auf den Sieg zu wahren. Dass ich allerdings von seinem Windschatten profitiert haben soll, halte ich für absurd, schließe habe ich die geforderten zehn Meter Abstand von seinem Hinterreifen aus eingehalten und habe diesbezüglich auch von den Race Marshalls keine Beanstandung erfahren.“
,,Ist doch klar, weil die auch wieder einen der ihren siegen sehen wollten“, rief Helmsley ihm aufgebracht zu. ,,Immerhin liegt der letzte Sieg eines Amerikaners schon zehn Jahre zurück.“
Ohne in seine Richtung zu sehen schüttelte Coleman nur den Kopf und versuchte unter den Journalisten den nächsten Fragesteller auszumachen.
Ein groß gewachsener Reporter mit einer dicken Hornbrille erhob sich und ergriff das Wort. ,,Robert Lindinger, mein Name, von der Nürnberger Zeitung. Sie sind amtierender Weltmeister, welchen Stellenwert hätte für sie der Sieg hier in Roth?“
,,Ehrlich gesagt einen sehr großen. Wie Im Oktober nach Hawaii, guckt die ganze Triathlonwelt jedes Jahr im Juli nach Roth. Es war als junger Athlet immer schon mein Traum mal hier zu starten und auf dem Podest zu stehen. Sollte ich am Sonntag ganz oben stehen, wäre der Traum perfekt. Allerdings hätte ich dann auch keine Ziele mehr“, fügte Coleman lachend an.
Lindinger: ,,Herr Neidhart, wie schätzen sie ihre Form ein, reicht es noch mal für den großen Wurf?“
,,Ich bin nun fünf Jahre schon nicht mehr hier am Start gewesen. Aber ich fühle mich recht fit. Ich denke für die eine oder andere Überraschung bin ich immer noch gut und werde versuchen die Favoriten ein wenig zu ärgern.“
Walter Rieger vom Triathleten Magazin: ,,Sehen sie sich nicht selbst als Favorit? Immerhin sollen sie mit Hilfe neuer Trainer ihr Schwimmtraining intensiviert, ihren Laufstil verbessert und ihre Sitzposition auf dem Rad optimiert haben.“
,,Gut, man stellt sich natürlich alle paar Jahre selber auf den Prüfstand, wirft den alten Trainingstrott ab und versucht neue Reize zu setzen. Das habe ich getan und die ersten Testwettkämpfe haben gezeigt dass ich auf dem richtigen Weg bin.“
,,Sie sind seit dieser Saison auf einem Masterbike unterwegs, ihre Leistung verbesserte sich sprunghaft. Hat ihnen das Fahren dieses Luxusbikes zusätzlich motiviert?“