Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle?! - Anke Vogt - E-Book

Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle?! E-Book

Anke Vogt

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Beschreibung

Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die lassen sich einfach nicht erklären. Jedenfalls nicht mit den irdischen Möglichkeiten Früher war der Ackerschnacker das einzige Telefon in Mosebolle. Seit jedoch jeder im Dorf einen eigenen Telefonanschluss hat, ist es in der kleinen Kneipe ruhig geworden und Luise Lüsebrink muss sehen wie sie über die Runden kommt. Doch als sie eines Tages glaubt, dass ihr verstorbener Ehemann Paul über den Ackerschnacker zu ihr Kontakt aufnimmt, gerät dasgewohnte Leben aus den Fugen: ein Filmteam quartiert sich ein, die altersdepressive Oma Piepenbrink sprudelt plötzlich vor Lebensfreude, zwei Mafiosi suchen einen jungen Mann und Luises Sohn Knut, seines Zeichens eingefleischter Junggeselle, hat eine neue Freundin. Die Lage wird nicht einfacher als sich Lola, eine Sex-Telefonistin aus Hamburg, bei Luise einnistet... Lesermeinung: .... Ich habe mich schon nach den ersten Seiten vor Lachen gekrümmt ... Würde mich freuen, wenn es noch viele weitere Geschichten von Oma Piepenbrink und ihren Freundinnen geben würde. ... Toll geschrieben und wird beim Lesen garantiert nie langweilig. (Marion B.) ... Also ein wunderbares Buch,....genau richtig für diese Jahreszeit , vertreibt trübe Gedanken..... Ich hab herrlich über Oma Piepenbrink gelacht :-) (Sandra P.)

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Anke Vogt

Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle?!

BookRix GmbH & Co. KG80331 München

Zum Inhalt

 

 

 

Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle?!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle

Copyright © 2013 Anke Vogt

Alle Rechte vorbehalten

ISBN: 978-3-00-044767-9

 

AV-Verlag

Lennestadt

Anke Vogt

Autor

Anke Vogt

Kölner Str. 94

57368 Lennestadt

www.anke-vogt.de

 

 

Auflage I

 

 

Covergestaltung:

Willi Sommer

Satz:

Arnold Vogt

 

Eingetragen in der DNB Leipzig, Frankfurt a. Main

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Roman 'Ackerschnacker 1-1-6 Mooosebolle?!' basiert auf den Theaterstücken 'Neues aus Mosebolle' und 'Am heißen Draht von Mosebolle' , ebenfalls von Anke Vogt und im Jahr 2011 verlegt vom Reinehr-Verlag, Mühltal. Der vorliegende Roman entstand mit freundlicher Genehmigung von Wilfried Reinehr.

Die Personen und die Handlung sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen sind rein zufällig und daher unbeabsichtigt. Lediglich das kleine Dorf Mosebolle zwischen Meschede und Brilon gelegen gibt es tatsächlich. Es ist aber viel kleiner als im Roman geschildert und sieht daher auch ganz anders aus. Mosebolle steht jedoch als Synonym für viele, kleine Dörfer, die idyllisch eingebettet in dem Land der tausend Berge liegen.

 

Lennestadt, im Dezember 2013

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ackerschnacker 1-1-6 … Mooosebolle?!

 

Die Älteren unter uns werden sie vielleicht noch kennen: Die Zeiten, in denen es nur sehr wenige Telefonanschlüsse gab und, wenn es klingelte, das „Komma ma' rübba – Teelefoon für Dich!“ durch die ganze Nachbarschaft schallte. Das war auch lange Zeit in Mosebolle, einem kleinen Dorf im Sauerland nicht anders. Dort steht das damals erste und einzige Telefon des Ortes im Gasthof Lüsebrink und trägt den prächtigen Namen 'Ackerschnacker'. Es ist das Herzstück der Kneipe von Paul und Luise und mit der Nummer '1-1-6' war es zu jener Zeit in Mosebolle auch das Ohr zur Welt. Doch irgendwann hat jedes Haus seinen eigenen Telefonanschluss, Paul ist gestorben und Luise muss mit ansehen, wie ihrer schönen, alten Dorfkneipe langsam die Puste ausgeht. Die Bank sitzt ihr im Nacken und das Schicksal vom ehemals so stolzen 'Gasthof Lüsebrink' scheint endgültig besiegelt. Nur die schwerhörige Oma Piepenbrink nutzt noch gelegentlich 'das Ohr zur Welt'. Bis der gute, alte Ackerschnacker auf äußerst humorvolle Weise die Sache selber in die Hand nimmt ...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Prolog

 

 

Der kleine Ort Mosebolle ….

Für die einen ist es die Heimat, der Ort der inneren Geborgenheit und der Begriff vom Zuhause, vom Angekommen sein. Für die anderen ist es einfach nur ein Dorf 'am Ende der Welt', irgendwo da, wo man 'nicht tot überm Zaun hängen möchte!' Eigentlich ein vollkommen dämlicher Ausspruch, denn ich persönlich habe noch nie jemanden getroffen, der, wenn er tot ist, überhaupt irgendwo überm Zaun hängen möchte … weder in der Stadt, noch in Mosebolle. Schließlich gibt es doch wesentlich pietätvollere Formen der Bestattung als irgendwo tot überm Zaun zu hängen, woll?!

Für den einen klingt schon alleine der Name 'Mosebolle' beim Hören so rund und niedlich, dass es ihm ein Lächeln ins Gesicht zaubert und er das Bedürfnis hat, mehr darüber zu erfahren. Der andere dagegen mag beim Hören des Wortes 'Mosebolle' nur die Stirn runzeln und harsch fragen:

»Hä? - Wo is' dat denn?«

Geographisch gesehen liegt es etwa auf der Linie zwischen Meschede und Brilon, oben in den Bergen, eingebettet in breite Wiesen und tiefe Wälder oder, wie der Sauerländer selbst zu sagen pflegt: 'oben im Geplänte - mitten inner Wallachei'. Ein winzig kleines Dorf mit Kirche und Friedhof, einer Handvoll Häusern, ein paar kleinen Geschäften und einem alten Dorfgasthof.

Dieser Dorfgasthof gehört der Familie Lüsebrink und ist die Heimat vom Ackerschnacker.

'Ackerschnacker 1-1-6 … Mosebolle' – so heißt dieses klobige, alte Telefon. Schon der prächtige Name verrät, dass es in seinen Glanzzeiten der Dreh- und Angelpunkt des ganzen Dorfes gewesen sein muss. Denn es war der erste und einzige Telefonanschluss und damit der Knotenpunkt für Freud' und Leid' in ganz Mosebolle. Im Gasthof Lüsebrink wurden über dieses Telefon Geburten angezeigt, Einladungen ausgesprochen, Todesnachrichten weitergeleitet und vieles andere von dem, was Menschen sich untereinander noch so mehr oder weniger wichtiges mitzuteilen haben.

Wer telefoniert, ist nie allein … Nein, nein, sonst könnte man ja auch nicht telefonieren. Aber in Mosebolle konnte man sich früher sicher sein, dass, egal welcher Art Freud' oder Leid die gerade erhaltene Nachricht war, man auch nicht allein damit fertig werden musste. Immer saßen Menschen mit am Tresen, die bereit waren, im rechten Moment Trost und gegebenenfalls ein Bier zu spenden oder sich einfach mit dem Anderen zu freuen und mit einem Schnäpschen darauf anzustoßen … Eben Telefonseelsorge im direkten Sinne, woll?!

Doch im Laufe der Zeit ist der Fortschritt mit seinen großen Stiefeln auch oben im Geplänte mitten in der Wallachei angekommen und leider hat er auch in Mosebolle seine breiten Spuren hinterlassen. Seit jedes Haus in Mosebolle ein eigenes Telefon besitzt, muss jeder Moseboller sehen, wie er mit seinen Sorgen selber fertig wird. Dem guten, alten Ackerschnacker ebenso wie der Familie Lüsebrink bleibt leider nicht mehr viel zu tun. Aber noch immer poliert Luise Lüsebrink täglich liebevoll den klobigen, schwarzen Kasten auf der Kommode in der Gaststube. Schweren Herzens denkt sie dabei zurück an die guten, alten Zeiten, als der Ackerschnacker noch rappelte was das Zeug hielt, den Gästen am Tresen für einen Moment der Atem stockte und der Mensch mit dem schweren Bakelithörer in der Hand und der erwartungsvollen Frage

»Ackerschnacker 1-1-6 … Mooosebolle?« auf alles gefasst war.

Kapitel 1

 

Den ganzen Tag über hatte es geregnet. Aber nein, hier im Sauerland nennt man das nicht nur 'Regen'. - Nein, hier drückt man sich viel differenzierter aus. Hier hat man gleich einen ganzen Sack voller Wörter, die die Intensität des Himmelsnass genauer beschreiben können. Vielleicht ist das so, weil es im Sauerland öfter mal regnet – in allen Versionen. Das tut allerdings der Schönheit des Sauerlandes und besonders dem Charme des kleinen Dorfes Mosebolle mitten im Land der tausend Berge keinen Abbruch. In Mosebolle hat man oft und ausgiebig die Möglichkeit, die Funktionalität seiner neuen 'Outdoor'-Bekleidung zu überprüfen. Oder – man kann sich mal in Ruhe mit guten Freunden treffen und die Welt bei Kaffee und Kuchen von drinnen betrachten. Oder – man kann beides miteinander verbinden.

Am Vormittag war es zunächst einfach nur 'usselig', d. h. der Himmel war nebelverhangen und grau. Kurz vor Mittag fing es an zu fisseln, dann wurden die Dröppels immer dicker. Schließlich pladderte der Regen auf Mosebolle herab und pünktlich um vier Uhr nachmittags mit Einbruch der Dämmerung war es am plästern wie Hulle. Der Boden war an einigen Stellen noch gefroren und unter dem eiskalten Regen nur widerwillig bereit ein wenig aufzutauen. Deshalb stand das Wasser bald knöcheltief in den Pfützen. Genau solch eine Gummistiefel-Testpfütze hatte sich direkt vor der Tür am Eingang vom Gasthof Lüsebrink gebildet.

Elfriede Engels hopste zwischen den Pfützen über den Bürgersteig. Mit dem aufgespannten Regenschirm in der Hand erinnerte sie von weitem an Mary Poppins, von etwas näher dran wegen ihres knatschgrünen Regenmantels und den farblich passenden Gummistiefelchen an den Grashüpfer Flip aus einer bekannten Zeichentrickserie. Von ganz nah dran dachte man wegen ihrer Leibesfülle sogar eher an die Hauptfigur dieser Serie – an die Biene Maja. Deshalb spritzte das Wasser der Pfütze auch ganz besonders hoch, als sie mit dem letzten Sprung mittendrin landete. Mit Schwung drückte sie die schwere Eingangstür auf.

Drinnen in der Gaststube war es warm und gemütlich. Direkt über dem Tresen und hinten in der Ecke am Tisch mit dem Schild 'Ottos Körnchen-Ecke' verbreiteten die über die Jahre etwas angegilbten Lampenschirme ein mildes, goldenes Licht. Der Rest der geräumigen Stube war schummerig duster. Der Duft von frischem Kaffee und Kuchen hing in der Luft. Christel Quaterkamp saß wie immer an ihrem Stammplatz auf der Eckbank. Sie hatte ihre große, braune Ledertasche mit dem Post-Emblem neben sich platziert. Ihre Wangen leuchteten leicht gerötet und verrieten, dass sie sich viel draußen an der frischen Luft bewegte. Mit ihrem flotten, etwas unfrisiert wirkenden Kurzhaarschnitt sah sie nicht älter als Anfang 60 aus – allerdings leider auch nicht jünger.

Aus der Küchentür hinter dem Tresen schlurfte Luise herein. Obwohl sie auch etwa im gleichen Alter war wie ihre Freundinnen Christel und Elfriede, wirkte sie älter als die beiden anderen Frauen. Vielleicht waren es die grauen Haare, die sie im Nacken einfach nur zu einem schlichten Knoten, oder wie der Sauerländer sagt, zu einer 'Halleluja-Zwiebel' zusammengebunden hatte. Vielleicht lag es aber auch an ihrem wadenlangen, grau-braunen Wollrock und dem braunen Rollkragenpullover. Auch die dicken, mausgrauen Filzpantoffeln an ihren Füßen schienen nicht besonders dazu geeignet, ihrem Gang ein gewisses Sex-Appeal zu verleihen. Aber irgendwie hatte man den Eindruck, als legte Luise Lüsebrink auf Sex-Appeal gar keinen Wert mehr. Dann wäre das mit dem Rock, der Frisur und den Pantoffeln sowieso nicht so wichtig und alles andere mit modischem Chic nur täglicher, unnötiger Umstand. Luise Lüsebrink war eher praktisch veranlagt und umständlicher Schnörkel war ihr zuwider.

Sie balancierte in der einen Hand einen frisch gebackenen Apfelkuchen und in der anderen Hand ein Tablett mit drei Tassen, einer bauchigen Kaffeekanne, Milchkrug und Zuckerdose.

»Leg' ab, Elfriede – Du zeppelst hier alles voll!«

bemerkte sie lakonisch. Elfriede schüttelte erst den Regenschirm bevor sie ihn zusammenfaltete, zog dann den Mantel aus und hängte beides sorgfältig an den Garderobenständer. Die Regentropfen perlten auf dem knatschgrünen Gummimantel ab und liefen als kleines Rinnsal auf den frisch gewachsten Holzboden. Beim Anblick der Pfütze auf den Holzdielen seufzte Luise bekümmert, sagte aber nichts weiter.

Christel betrachtete Elfriede eingehend von oben bis unten.

»Neu?«

fragte sie und deutete auf den Mantel. Ihrem wachsamen Auge entging hier in Mosebolle nichts. Nicht umsonst wurde sie im Ort hinter vorgehaltener Hand auch '00-Quaterkamp' genannt. Und das lag sicherlich nicht nur daran, dass Christels Großmutter Martha mütterlicherseits eine geborene Hari war. Elfriede schüttelte den Kopf:

»Nee, Schibo!«

»Also doch neu! Hamm' se doch erst letzte Woche inne Werbung gehabt, woll?!«

Christel Quaterkamp konnte so schnell keiner was vormachen.

»Na, gut. Dann isses eben neu – hat aber echt nur 'nen Appel und 'nen Ei gekostet, woll?!«

räumte Elfriede ein und setzte sich an den Tisch.

»Der Hut auch?«

Christel blieb beharrlich.

»Was?«

Elfriede fasste sich an den Kopf.

»Ach so. Nee, der ist nur geliehen.«

Sie zog den Hut vorsichtig ab und schüttelte ihre frisch ondulierten, aprikosenfarbenen Locken.

»Ich war gerad' bei Dr. Dralle wegen meiner Dauerkrause. Damit die bei dem Schlackerwetter draußen nicht sofort durchschlägt, hat er mir seinen Hut mitgegeben. Kriegt er morgen wieder. Deshalb bin ich auch so spät – hat heut' ewig gedauert. Er wollte mir unbedingt noch 'ne neue Farbe draufmachen.«

Luise hatte unterdessen den Kuchen und das Geschirr auf dem Tisch abgestellt und betrachtete ungläubig die neue Frisur ihrer Freundin.

»Ker, Elfriede! Hömma, ich will ja nix sagen, woll, aber Du siehst genau aus wie es Fränzchen!«

stellte sie fest. Elfriede holte tief Luft und lief rot an. Nun prustete Christel los:

»Es Fränzchen! Hömma, Luise, Du hast Recht! Die Farbe und die Locken – genau wie es Fränzchen!«

Christel beömmelte sich.

»Ker, was war das damals 'nen Spässken! Hömma, wisst ihr noch … wie … och nee, hömma, was ham' wir gelacht, wie es Fränzchen …«

Nun kann man auf Anhieb gar nicht genau sagen, ob der Vergleich mit Fränzchen ein Lob für stilsicheres Friseurhandwerk war oder ein Hinweis auf eine misslungene Friseurleistung sein sollte. Um das beurteilen zu können, muss man wenigstens ein paar Sachen wissen und - man muss Fränzchen kennen!

Wer in Mosebolle wohnt, kennt Fränzchen und die Geschichte. Sie zählt zu der Kategorie 'Dönekes', aber ich schwöre, es ist kein Vertälleken! Buiterlingen wird sie übrigens spätestens auf dem Sportfest beim 15. Bier mit Einheimischen an der Theke erzählt. Fast immer fängt die Erzählung mit

»Hömma …«

an. Die Schilderung der Einzelheiten unterliegt zwar dem Talent und dem Alkoholspiegel des jeweiligen Erzählers, das Ende mündet aber immer in einem Ausbruch allgemeiner Heiterkeit.

'Es Fränzchen' war ein ursprünglich silberfarbener Zwergpudelrüde mit Zuchtpapieren, die ihn mit vollem Namen als 'Franz vom Hockenstein' auswiesen. Heinz-Egon Engels hatte ihn vor rund fünfzehn Jahren für gut anderthalbtausend Mark gekauft. Mit dem Beginn von Elfriedes Wechseljahren stand damals nämlich endgültig fest, dass die Ehe der Beiden wohl kinderlos bleiben würde. Elfriede war darüber sehr unglücklich. Heinz-Egon wollte seiner Frau daher eine kleine Freude machen und überraschte sie eines Tages mit einem Pudelwelpen. Von da an legte Elfriede all ihre bisher ungenutzte Mutterliebe in die Fürsorge und Erziehung des kleinen Hundes. Franz wurde, wie sie es nannte, 'Mamas Junge'. Christel meinte dazu nur:

»Wenn es könnte wie es wollte, dann würde es dem Ruihen das Ehs'chen vergolden lassen, woll?!«

Die ganze Woche über fegte Mama um den Jungen herum. Franz hier und Franz da. Für Heinz-Egon kam dann am Wochenende die große Stunde – denn dann hatte Franz mit Heinz-Egon 'Pappa-Tach'. Den Sonntag nutzte Elfriede deswegen gerne zur eigenen Erholung zu Hause.

Als Fan und Dauerkartenbesitzer vom TuS Mosebolle ging Heinz-Egon jeden Sonntag zum Sportplatz. Heimspiele waren sowieso Pflicht und natürlich musste auch 'der Junge' mit. Heinz-Egon hatte dem Pudel sogar ein kleines orange-rotes Fan-Trikot und eine Schirmmütze besorgt. Für Außenstehende war es schon ziemlich gewöhnungsbedürftig, den Pudel am Spielfeldrand in einem T-Shirt vom TuS Mosebolle mit der Aufschrift des Sponsors 'Metzgerei Maiworm – immer gut für eine dicke Wurst' zu sehen.

Etwa zweieinhalb Jahre, nachdem der kleine Franz bei den Engels eingezogen war, geschah das Unfassbare.

Es war einer jener Sonntage, an denen es im Großen und Ganzen in der Welt um nichts ging. Für den TuS Mosebolle im Sauerland ging es aber an diesem Tag um alles. Es war das letzte Spiel im Turnier um den Pokal der Kreisklasse C. Gegner war an dem schicksalhaften Sonntagnachmittag der 1.FC Lochtrop. Für den Fall eines Sieges hatte Metzger Maiworm allen Mosebollern Würstchen und Bier gratis bis zum Abwinken versprochen. Bisher war es dem TuS Mosebolle noch nie gelungen, den Pott nach Hause zu holen. Und es ging an dem Tag natürlich auch darum, Maiworm endlich in die Pflicht zu nehmen. Dem 1. FC Lochtrop hätte im Turnier für den Sieg ein torloses Unentschieden gereicht. Für Mosebolle musste aber laut Tabelle unbedingt noch mindestens ein Tor her. Das Spiel dümpelte dennoch mehr oder weniger lustlos vor sich hin. Fast hatte man den Eindruck, die Moseboller hätten sich schon aufgegeben, denn in der 81. Minute stand es immer noch 0:0. Doch wie sagte einst der große Fußballgott Sepp Herberger? 'Der Ball ist rund und ein Spiel dauert 90 Minuten.' Das sollte an jenem Sonntag auch in Mosebolle nicht anders sein.

Pudel Franz hatte die ganze Zeit artig neben Heinz-Egon gestanden und dem Treiben auf dem Spielfeld zugesehen. Der Junge war fast drei und kam nun in ein Alter, in dem Blagen durchaus auch schon mal zu Jausten werden können. Schon eine ganze Weile hatte er ein Auge auf die Pinscherdame Susi von Platzwart Hennecke geworfen. Susi trabte kokett an der gegenüberliegenden Außenlinie entlang. Auch sie linste immer wieder mal stickum zu Franz herüber. Der Heiopei mit der komischen Kappe war Susi schon vorher ein paar Mal aufgefallen und jetzt – jetzt war sie läufig.

Auf dem Platz versuchte Vetters Bernie als Stürmer vom TuS Mosebolle gerade einen der letzten, ziemlich zaghaften Angriffe auf das Tor der Lochtroper. Der 1. FC Lochtrop hatte an diesem Sonntag den Jüngsten der drei Schuhmachers-Burschen in den Kasten gestellt. Wegen seiner Körperfülle trug der Kurze nicht zu Unrecht den Namen 'Bärchen'.

Bärchen war sauer, denn er fühlte sich von seiner Mannschaft an dem Nachmittag ziemlich allein gelassen. Keiner seiner Kameraden sah sich genötigt, Bernies schüchterne Attacken auf das Lochtroper Tor zu stören. Bärchen fluchte. Er wusste sich im Moment keinen anderen Rat und kurzentschlossen grätschte er also mit Foffo in Bernies Schochen. Das heißt, er versuchte, Bernie in die Schochen zu grätschen. Aber der Moseboller Stürmer witterte blitzschnell die Chance seines Lebens: Im Spiel hätte niemals eine noch so gut geschossene Flanke den Ball an dem Kleiderschrank vorbei ins Tor katapultiert. Da kam ihm die Sache mit Bärchens geplantem Foul gerade recht. Nur – warum sollte er sich die Schochen ramponieren lassen, wenn es auch anders und schmerzfrei geht? Im Bodenturnen war Vetters Bernie schon immer erste Sahne gewesen! Bevor Bärchen also seine breiten Quanten voll ausfahren konnte, schlug Bernie im Lochtroper Strafraum blitzschnell eine doppelte Luftrolle vorwärts. Nach der Landung betrachtete er den Torwart aus der Froschperspektive und der Ball dümpelte neben dem Tor ins Aus.

Bärchen grinste:

»Dumm gelaufen, woll?!«

Bernie griente zurück und sagte leise :

»Nee, blöd für Dich!«

Die Lochtroper waren außer sich.

»Schwall-bä!«

skandierten die 27 Lochtroper Schlachtenbummler am Spielfeldrand.

»Elf-mee-terrr!«

forderten dagegen die 52 Moseboller Fans. Der Schiedsrichter hatte genau in dem Augenblick bei Metzger Maiworm am Spielfeldrand ein Würstchen für nach dem Spiel geordert. Er hatte zwar nichts gesehen, beugte sich aber sofort der Meinung der Mehrheit. Zweiundfünfzig Zeugen waren ihm in dem Fall glaubwürdiger als siebenundzwanzig. Außerdem konnten die zweiundfünfzig lauter bölken. Also pfiff er auf Elfmeter. Auf dem Platz bahnte sich nun ein mittlerer Tumult an. Nur mühsam gelang es dem Unparteiischen, wieder Ruhe und Ordnung herzustellen. Schließlich drohte er mit einigen kleinen Pappkärtchen in verschiedenen Farben. Dann war auch endlich Lochtrop mit seiner Entscheidung einverstanden.

Franz lufferte zunächst ein wenig an der Linie herum, nutzte dann aber das allgemeine Durcheinander, um strakstich auf die andere Seite des Spielfeldes zu wechseln. Im Gegensatz zum Schiedsrichter auf dem Platz hatte Franz mit seiner Entscheidung mehr Glück: Mit Susi brauchte er nicht lange zu fackeln – sie war auf Anhieb mit allem einverstanden.

Vetters Bernie legte sich gerade akribisch den Ball auf dem Elfmeterpunkt zurecht, da starteten Franz und Susi hinter dem Tor auf der anderen Seite ein perfektes Dribbeling. Die Augen der Spieler und aller 79 Fans waren gebannt auf Bernie und den Ball gerichtet. Nur einzig und allein Torwart Bärchen hatte auch das andere Tor im Visier. Plötzlich bekam er Schwierigkeiten sich zu konzentrieren. Ständig pendelte sein Blick zwischen dem Ball und den beiden Hunden hin und her .

Bernie nahm nur einen kurzen Anlauf.

»Versenkt!«

bölkte er und donnerte mit dem rechten Mauken volles Pfund gegen die Lederpocke, die in einem eleganten Bogen in Richtung Tor abhob.

»Versenkt!«

bölkte nun auch Bärchen, blieb aber regungslos stehen und starrte über den Platz. Der Ball krachte hinter ihm ohne Gegenwehr ins Netz.

Der Jubel der Moseboller war schier grenzenlos als sie begriffen, was da auf der einen Seite geschehen war. Und als sie kapierten, was da auf der anderen Seite noch zugange war, begannen einige Vorwitznasen sogar, Franz und Susi kräftig anzufeuern. Ein paar Minuten später wurde das Spiel unter einem riesengroßen Halligalli abgepfiffen. Der Schiedsrichter hatte Hunger und deshalb keine Lust auf Nachspielzeit. Außerdem – was sollte jetzt noch passieren?

Bei der anschließenden Siegesfeier waren Vetters Bernie und Franz die Helden des Tages. Natürlich löste Metzger Maiworm sein Versprechen ein: Bier und Würstchen gratis für alle bis zum Abwinken. Die Party endete im Morgengrauen mit einem zünftigen Eierbacken bei Dr. Dralle.

Man weiß bis heute noch nicht, wer denn nun genau die Idee hatte, den silbernen Pudel in Dralles Salon in den orange-roten Vereinsfarben einzufärben. Irgendwann war der Wunsch da und der sollte auch sofort in die Tat umgesetzt werden. In einem gut sortierten Friseursalon ist das mitten in der Nacht selbst mit 2 Promille Alkohol im Blut kein Problem. Heinz-Egon schwor aber hinterher Stein und Bein, der Junge hätte die ganze Zeit über artig still gehalten. Wenigstens behauptete er das gegenüber Elfriede, als er dudeldicke nach Hause kam.

Elfriede brauchte geschlagene 5 Minuten, um sich von dem Schock zu erholen, den sie beim Anblick des geliebten Pudels in Leuchtfarbe erlitt. Zwar hatte sie danach umgehend damit begonnen, den Jungen ordentlich in der Wanne zu schrubben, aber die orange-rote Farbe ist nie wieder ganz aus dem Fell herausgegangen. Mit der Zeit verblasste sie aber Gott sei Dank in ein milderes apricot.

Franz kotzte in der Nacht noch fünf Mal auf den Teppich, denn er hatte von Maiworm Würstchen bis zum Abwinken bekommen. Und da Hunde bekanntlich nicht abwinken können … na ja … Mit 'Pappa-Tach' und Fußball war von da an endgültig Schluss. Und als wäre das alles noch nicht genug gewesen: Am Montagmorgen konnte Elfriede ebenso wie der Rest der Welt haarklein im Moseboller Tageblatt nachlesen, unter welch besonderen Umständen der Sieg zustande gekommen war. Sofort ließ sie sich einen Termin beim Tierarzt in Meschede geben und aus Franz wurde kurzerhand ein Fränzchen.

Aber wenigstens ein einziges Mal im Leben war dem Pudel der große Wurf gelungen: zwei Monate und zwei Wochen nach dem Triumph warf Susi elf kleine Hunde. Im Andenken an den ehrwürdigen Sieg schenkte Platzwart Hennecke jedem Spieler vom TuS Mosebolle einen kleinen Welpen. Übrigens: obwohl Franz eigentlich von Natur aus silberfarben ist und Susi schwarz-braun, sind alle elf Hunde von rötlichem Fell.

Christel wischte sich die Lachtränen von der Backe und schüttelte den Kopf:

»Nee, verdorri noch, wenn ich da dran denke … Wie lange ist das schon her?«

Elfriede knurrte:

»Anscheinend noch nicht lange genug!«

Luise bekam nun ein wenig Mitleid mit ihrer Freundin.

»Lasst uns erst mal eine Tasse Kaffee trinken und ein Stück Kuchen essen. Und dann alle Mann ran an die Arbeit!«

Auch wenn es dem Leser vielleicht so erscheinen mag, aber die drei Frauen trafen sich wirklich nicht zum Spaß jeden Nachmittag im Gasthof Mosebolle.

Christel Quaterkamp war von Beruf Postzustellerin und sie nahm ihren Beruf sehr ernst. 'Beruf kommt von Berufung!' pflegte sie zu sagen und deshalb brachte sie es nicht übers Herz, die Post 'ungefiltert' auszutragen. Als verantwortungsvoller Zusteller kann man die Post nicht einfach auf die Menschheit loslassen, sondern man sollte immer den drei S folgen: Erst sortieren, dann sichten und notfalls auch mal selektieren. So war Christel immer dicht dran an Freud und Leid, am Schicksal der Moseboller und konnte bei Bedarf auch mal helfend eingreifen. Sie war heilfroh, dass sie nicht auch noch für die Paketpost zuständig war. Das hätte ja noch mehr Aufwand bedeutet, vor allem jetzt, wo auch in Mosebolle der Online-Einkauf in den Häusern Einzug gehalten hatte. Aber auch beim gegenwärtigen Briefaufkommen war die Arbeit für eine einzelne Person an einem Nachmittag kaum zu schaffen. Schließlich musste alles bis zum nächsten Vormittag zum Austragen vorbereitet sein. Deshalb nahm sie gern die Unterstützung ihrer Freundinnen Luise und Elfriede in Anspruch.

Als der letzte Nüsel Kuchen verputzt war, räumte Luise alles beiseite. Christel schnappte sich ihre dicke Ledertasche und kippte den Inhalt auf dem großen Tisch aus. Als erstes bekam Elfriede einen ganzen Schwung dicker Werbekataloge herüber geschoben.

»Ach Gottchen, schon wieder Ikea!«

seufzte sie und blätterte gelangweilt durch einen der dicken, bunt bebilderten Schinken. Christel hatte sich aus dem Briefstapel einen blau-grauen Umschlag mit dem Stempel 'Gymnasium der Stadt Meschede' herausgefischt. Ohne zu zögern riss sie den Umschlag auf und überflog den Text. » … wurde in der Zeugniskonferenz vom 25.01. festgestellt, dass die Leistungen Ihres Sohnes Klippan in den Fächern Deutsch und Mathematik als nicht ausreichend bewertet wurden und somit eine Versetzungsgefährdung vorliegt. - Hm, mach’ Dir nichts draus, Junge. Das kann im Leben schon mal vorkommen. Doch tröste Dich: damit kannst Du sogar noch bei der Post anfangen!«

Sie überlegte kurz.

» Klippan will sicher noch mit seinen Freunden nach Meschede ins Kino - der neue Bond-Film startet dieses Wochenende. Dann reicht es auch, wenn der Brief erst nächsten Mittwoch ankommt.«

Damit legte sie den Brief auf Seite. Luise blickte von ihrem Brief auf, den sie noch unschlüssig in der Hand hielt.

»Wie heißt der Junge? Klippan? Ker, was ist das denn für ein Name! Wie kommt man darauf, sein Kind Klippan zu nennen?«

Elfriede klopfte auf den Ikea-Katalog:

»Na hier! Guck mal! So heißen die Möbel bei denen: Klippan, Hemnes und Gorm. Klippan heißt zum Beispiel der Küchentisch!«

Luise sah Elfriede ungläubig an:

»Du meinst, die haben auf dem … und deshalb heißt der Bursche Klippan? Das ist jetzt nicht Dein Ernst, woll?!«

Christel grinste breit und zwinkerte ein Auge.

»Na klar! Was glaubt ihr denn, was man beim Postaustragen so alles mitkriegt. Der Briefkasten hängt nicht immer direkt neben der Haustür – da muss an ab und zu auch mal hinten herum an der Terrassentür vorbei … Und da kriegt man schon mal einiges zu sehen! Hier in Mosebolle gibt es übrigens einige Blagen, die Klippan heißen …«

Es trat ein Moment ungläubiger Stille ein.

Nun hatte Elfriede eine Frage.

»Müllers Päule kriegt morgen drei Kataloge auf einmal. Otto, Ikea und Westfalia. Was soll ich damit machen?«

»Moment …«

Christel sah in ihrem Rechnungsstapel nach.

»Müllers Päule? Kannste wegtun! Der hat sowieso kein Geld sich was zu bestellen. Der muss noch dringend einiges bezahlen. Hier liegt sogar schon wieder 'ne Mahnung für ihn.«

Elfriede schaute sie fragend an und deutete auf den Papierkorb neben dem Tisch.

»Echt? In die große Ablage?«

Mit Schwung beförderte Christel die Kataloge vom Tisch in den Eimer.

»Mach' es dem Päule doch nicht unnötig schwer, Mädchen. Wer keine Kataloge kriegt, der kriegt auch keine Wünsche. Außerdem sind die Dinger sauschwer – ich muss auch mal an mich und meinen Rücken denken.«

Noch immer drehte Luise den verschlossenen Umschlag in ihrer Hand unschlüssig hin und her.

»Ich glaube, der Brief ist für Dich, Elfriede … von einer …«

Sie hatte Mühe, den verwischten Absendestempel zu entziffern.

»von einer gewissen … - Hömma Elfriede, bist Du krank? Der ist von einer 'Doktor Erika'!«

Im null komma nix fegte Christel über den Tisch und und riss Luise den Brief aus der Hand.

»Zeich' ma!«

Verzweifelt versuchte Elfriede ihr den Umschlag wieder abzunehmen.

»Nein! - Nicht!! Das ist MEIN Brief!!!«

Aber Christel wehrte sie entschieden mit dem Ellenbogen ab.

»Ker, lass das! Was glaubst Du wohl, was wir hier machen? Wo kommen wir denn hin, wenn sich hier jeder seinen Brief sofort selber offen machen darf? Wir filtern die Post. Wer weiß, was da drinsteht? Vielleicht kannst Du das ja gar nicht verkraften!«

Elfriede zog beleidigt einen Flunsch.

»Es ist aber was persönliches – was sehr persönliches!«

maulte sie.

»Eben darum ist es besonders wichtig zu filtern!«

beharrte Christel. Jetzt wurde auch Luise neugierig.

»Wer ist denn diese 'Doktor Erika'?«

wollte sie wissen. Christel stocherte mit einer Kuchengabel an der Klebelasche.

»Ker verdorri noch, was hat die das zugeklebt! - Wer Doktor Erika ist? Also sagen wir das mal so: Franz brauchte die früher nicht um Rat zu fragen und heute hat es Fränzchen keine Fragen mehr in der Richtung.«

Luise verstand nur Bahnhof.

»Was soll das denn heißen?«

Christel holte tief Luft und sagte gnädig:

»Na gut, dann mache ich heute extra für Dich mal den Erklär-Bär: Frau Doktor Erika war früher mal Moderatorin beim Ferkel-TV. Dann hatte sie eine Beratungssendung und jetzt nennt sie sich 'Sexpertin' für alles, was zu zweit am meisten Spaß macht.«

Elfriede besah sich nun ihre knatschgrünen Gummistiefel. Das knallrote Gesicht bildete einen interessanten Farbkontrast dazu. Unterdessen studierte Christel eifrig den Inhalt des Briefes. Nach einer Weile knüllte sie sichtbar enttäuscht das Papier zusammen, reichte es Luise und sagte:

»Da, kannste wegschmeißen. Ist bloß 'nen Serienbrief. Denselben hatte es Kiepenlisettken auch schon in seiner Post.«

Luise fuckelte das Knäuel wieder vorsichtig auseinander. Sie sah Elfriede an und fragte höflich:

»Soll ich Dir was daraus vorlesen?«

»Kannste machen, ist ja jetzt eh' schon alles inne Wicken«,

murmelte Elfriede resigniert. Luise räusperte sich und begann:

»Also … Schade, das ist so fuckelig klein geschrieben. Da müsste ich mir erst mal meine Lesebrille holen. Aber warte mal - hier steht was ganz fett gedruckt unten im letzten Absatz: Wenn Sie wirklich mehr Spaß an der Freud' haben wollen, dann gibt es für Sie zwei Möglichkeiten. Erstens: Sie bringen mehr Männer in Ihr Leben! Zweitens: Sie bringen mehr Leben in Ihren Mann! Egal, wofür Sie sich entscheiden - gerne verweisen wir Sie auf das interessante Angebot von unserem dem Unternehmen Dr. Erika angeschlossenen Versandhaus Renate Mabuse. Das Haus Mabuse ist weltweit bekannt für exklusive Reizwäsche. Für diese Auskunft überweisen Sie bitte auf das unten angegebene Konto den Beratungspauschalbetrag in Höhe von 68 Euro. Für weitere Fragen stehen wir Ihnen natürlich auch gerne telefonisch zur Verfügung (für 0,98 Euro/ Minute aus dem Deutschen Festnetz ). Ferner bieten wir Ihnen eine private, individuelle Beratung daheim in Ihren eigenen vier Wänden an. Die Kosten dafür werden durch eine Kilometerpauschale von 1,56 Euro/ Kilometer zuzüglich einer doppelten Beratungspauschale ermittelt. Mit besten Grüßen … Ker, was haben die 'nen Deutsch.«

»Und was sind die teuer!«

ergänzte Christel.

»Ker, Elfriede! Hättest Du mir mal was gesagt – das hätt' ich Dir alles billiger sagen können, woll?!«

»Ach Du!«

nölte Elfriede ärgerlich,

»Du bist ja gar nicht verheiratet! Du hast ja noch nich' mal 'nen richtigen Mann!«

Luise ließ das Blatt sinken und lenkte ein.

» Ker, hört auf euch zu kötten! Willst Du den Brief jetzt haben?«

Elfriede schüttelte traurig den Kopf.

»Nee, lass mal. Ist ja jetzt alles gesagt. Hätte ich mir bei Schibo statt dem Mantel und den Gummistiefeln doch besser 'ne neue Balgmaschine gekauft, woll?!«

Luise legte nun tröstend den Arm um Elfriedes Schultern.

» Ach Friedchen,«

sagte sie zärtlich,

»jetzt fang' mir bloß nicht an zu lüntern. Ich finde, so mit der Reizwäsche ist das auch keine Lösung.«

Sie hielt kurz inne und fuhr dann fort:

»Was meinst Du, warum die Reizwäsche 'Reiz'-Wäsche heißt? - Ich hab' mir mal vor paar Jahren so'n Ding bei C&A gekauft.«

Sie seufzte und holte tief Luft.

»Da war Paul noch am Leben. Ich wollte ihm zu unserem Hochzeitstag mal eine kleine Freude machen, woll?! - Ker, das Dingen war so was von juckich. Überall hatte ich die Pickel am Ehs. Doktor Lüders meinte, es wär 'ne Allergie auf das Gummiband. Das Gummi hab' ich zu Hause rausgetrennt und danach ging es tatsächlich einigermaßen. Leider konnte ich den Schlüpper dann nur noch im Garten tragen. Aber seien wir doch mal ehrlich: nur für'n Garten braucht man sich ja nicht extra 'nen neuen Schlüpper kaufen, woll?!«

Elfriedes Miene hellte sich allmählich wieder ein wenig auf.

»Und warum konntest Du das Ding dann nur noch im Garten tragen?«

wollte sie wissen.

»Weil ich im Garten immer alleine am Arbeiten bin – da kann ich mir zwischendurch wenigstens in Ruhe mal die Buchse hochziehen!«

Nun konnte sogar Elfriede wieder lachen.

Eine Weile arbeiteten die drei Frauen schweigend weiter. Ein großer Teil der Post wanderte zurück in die braune Tasche für die Zustellung am nächsten Tag, immer wieder kam etwas auf den 'nächsten Mittwoch - Stapel', hin und wieder flog etwas in die große Ablage. Das waren aber meistens nur Reklamebriefe und Kataloge.

»Sollen die Leute doch gescheit im Laden einkaufen! Dann wissen sie, was sie kriegen und wir Zusteller müssen nicht mit dem ganzen Spökes durch die Gegend zockeln!«

schimpfte Christel. Plötzlich pfiff sie leise durch die Zähne.