Agathodämon - Christoph Martin Wieland - E-Book

Agathodämon E-Book

Christoph Martin Wieland

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Beschreibung

Im siebenbändigen Roman "Agathodämon" (1799 zuerst erschienen) versucht Wieland Gestalten aus der Zeit des Zusammenbruchs der antiken Welt (Apollonius von Tyana) psychologisch zu begreifen, zugleich den Kampf zwischen Heidentum und Christentum, die Entwicklung und Verweltlichung des letzteren von erhöhtem freien Standpunkte aus zu betrachten.

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Agathodämon

Christoph Martin Wieland

Inhalt:

Christoph Martin Wieland – Biografie und Bibliografie

Agathodämon

Erstes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Zweites Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

VIII.

IX.

Drittes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

Viertes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

Fünftes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

Sechstes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

Siebentes Buch

I.

II.

III.

IV.

V.

VI.

VII.

Agathodämon, C. M. Wieland

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849639914

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Christoph Martin Wieland – Biografie und Bibliografie

Hervorragender deutscher Dichter, geb. 5. Sept. 1733 zu Oberholzheim im Gebiete der ehemaligen Reichsstadt Biberach, gest. 20. Jan. 1813 in Weimar, genoss bei seinem Vater, der 1736 als Pfarrer nach Biberach versetzt wurde, sowie in der dortigen Stadtschule trefflichen Unterricht. Noch vor dem 14. Jahr auf die Schule zu Klosterberge bei Magdeburg geschickt, gab der sehr fromm erzogene, leseeifrige Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden Geiste hin und warf sich in eine ausschließliche Bewunderung Klopstocks. Nachdem er seit Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten in Erfurt aufgehalten, verbrachte er den Sommer 1750 im Vaterhause. Hier traf er mit seiner Verwandten Sophie Gutermann (nachmals Sophie v. Laroche, s. d.) zusammen (vgl. Ridderhoff, Sophie von Laroche und W., Programm, Hamb. 1907). Die schwärmerische Neigung, die er zu ihr faßte, entwickelte rasch sein poetisches Talent. Durch sie empfing W. die Anregung zu seinem ersten der Öffentlichkeit übergebenen Gedicht: »Die Natur der Dinge. Ein Lehrgedicht in sechs Büchern« (anonym erschienen 1752). Im Herbst 1750 hatte W. die Universität Tübingen bezogen, angeblich um die Rechte zu studieren, welches Studium er jedoch über der Beschäftigung mit der neuern schönen Literatur und eigner poetischer Produktion ziemlich vernachlässigte. Ein Heldengedicht: »Hermann«, von dem er fünf Gesänge (hrsg. von Muncker, Heilbr. 1886) ausarbeitete und an Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel. Seine übrigen Erstlingsdichtungen. »Zwölf moralische Briefe in Versen« (Heilbr. 1752), »Anti-Ovid« (Amsterd. 1752) u. a., kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch-christliche Dichtung hin. Im Sommer 1752 folgte er einer Einladung Bodmers nach Zürich. Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten Verkehr eine Weile bei Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die Schönheiten in dessen Gedicht »Noah« und durch die neue Herausgabe der 1741–1744 erschienenen »Züricherischen Streitschriften« (gegen Gottsched) verpflichtete, und in dessen Sinn er ein episches Gedicht in drei Gesängen: »Der geprüfte Abraham« (Zürich 1753), verfasste. In anregendem Verkehr mit Breitinger, Hirzel, Sal. Geßner, Füßli, Heß u. a. schrieb W. in Zürich um jene Zeit noch die »Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde« (Zür. 1753). Die plötzliche Nachricht, dass seine Geliebte sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen Hause in Zürich hielten ihn eine Weile länger, als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten Natur ganz entgegengesetzten frommen Richtung. In den »Empfindungen eines Christen« (Zürich 1757) sprach er zum letzten mal die Sprache, die er seit Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen die erotischen Dichter, besonders gegen Uz (s. d.). Aber bald genug vollzog sich in W., besonders unter dem Einfluss der Schriften des Lukian, Horaz, Cervantes, Shaftesbury, d'Alembert, Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten Bahnen. Schon das mit starker Benutzung einer englischen Tragödie von Rowe gedichtete Trauerspiel »Lady Johanna Gray« (Zürich 1758) konnte Lessing mit der Bemerkung begrüßen, W. habe »die ätherischen Sphären verlassen und wandle wieder unter den Menschenkindern«. In demselben Jahr entstand das epische Fragment »Cyrus« (Zürich 1759), zu dem die Taten Friedrichs d. Gr. die Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern, wo W. 1759 eine Hauslehrerstelle angetreten hatte, geschriebene Trauerspiel »Clementina von Porretta« (nach Richardsons Roman »Grandison«, das. 1760) und die dialogisierte Episode aus der Kyropädie des Xenophon: »Araspes und Panthea«, welche Dichtungen sämtlich nach Wielands späteren eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern trat der Dichter in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, Julie Bondeli (s. d.). 1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er auf dem Schlosse des Grafen Stadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen traf W. auch Sophie v. Laroche, seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und andern Personen, die sich in jenem Kreise bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«. Jetzt erst trat seine schriftstellerische Tätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Literatur umfasst. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (Frankf. 1766–67; vgl. Scheidl, Persönliche Verhältnisse und Beziehung zu den antiken Quellen in Wielands ›Agathon‹, Berl. 1904; F. W. Schröder, Wielands. Agathon' und die Anfänge des modernen Bildungsromans, Dissertation, Königsb. 1905) begonnen, nach Lessings Urteil der erste deutsche Roman »für den denkenden Kopf von klassischem Geschmack«, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei« (Ulm 1764; vgl. Martens, Untersuchungen über Wielands, Don Sylvio', Dissertation, Halle 1901) vollendet. Daneben vertiefte sich W. in das Studium Shakespeares und ließ dessen Stücke zu einer Zeit, wo sie sonst in Deutschland noch nirgends ausgeführt wurden, in Biberach von einer Liebhabergesellschaft ausführen. Auch ließ er zuerst eine Sammlung von Shakespeareschen Dramen in deutscher Sprache erscheinen (22 Stücke, Zürich 1762–66, 8 Bde.). Die Übersetzung (in Prosa) wird ebenso wenig wie die Anmerkungen dem Dichter immer gerecht, die Versmaße des Originals sind nur in dem vortrefflich übertragenen und W. besonders kongenialen »Sommernachtstraum« beibehalten (vgl. Wurth, Zu Wielands, Eschenburgs und A. W. Schlegels Übersetzungen des, Sommernachtstraums', Programm, Budweis 1897; Simpson, Eine Vergleichung der Wielandschen Shakespeare-Übersetzung mit dem Originale, Dissertation, Berl. 1898).

Mit den beiden oben genannten Romanen und den Dichtungen: »Musarion, oder die Philosophie der Grazien« (Leipz. 1768) und »Idris und Zenide« (das. 1768), in den nächsten Jahren den Erzählungen: »Nadine« (das. 1769), »Combabus« (das. 1770), »Die Grazien« (das. 1770) und »Der neue Amadis« (das. 1771) verfolgte W. seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten Anmut, die im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand. Inzwischen hatte W., der seit 1765 mit einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge gegeben. Seine Lehrtätigkeit, dse er mit Eifer betrieb, tat seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt verfaßte er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes« und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian« (Leipz. 1772; vgl. O. Vogt, ›Der goldene Spiegel‹ und Wielands politische Ansichten, Berl. 1904), der ihm den Weg nach Weimar bahnte. 1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur literarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar. Hier trat W. in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland, der schon bei seiner Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloss, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine höchste Weihe und Belebung erhielt. W. bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrates einen Gehalt von 1000 Tlr., der ihm auch nach Karl Augusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein literarische Tätigkeit. Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift »Der teutsche Merkur«, deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Tätigkeit übte (vgl. Burkhardt, Repertorium zu Wielands deutschem Merkur, Jena 1873). Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste« (September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des ersteren Farce »Götter, Helden und W.« (1774) hervor, auf welchen Angriff W. mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete. Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und W. ein dauerndes Freundschaftsverhältnis, dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf W. ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Goethe gewann auch den stärksten Einfluss auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden Breite und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde. Die »Geschichte der Abderiten« (Leipz. 1781; vgl. Seuffert, Wielands ›Abderiten‹ Berl. 1878), das romantische, farbenreiche epische Gedicht »Oberon« (Weim. 1781; vgl. M. Koch, Das Quellenverhältnis von Wielands ›Oberon‹, Marb. 1880; Lindner, Zur Geschichte der Oberonsage, Rostock 1902), Wielands Meisterwerk, die prächtigen poetischen Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« (vgl. F. Muncker, Wielands ›Pervonte‹, Münch. 1904) u. a., gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (Jena 1784–87), entstanden in den ersten Jahrzehnten in Weimar. Dazu gesellten sich die trefflichen Bearbeitungen von »Horazens Satiren« (Leipz. 1786), »Lukians sämtlichen Werken« (das. 1788–89; vgl. Kersten, Wielands Verhältnis zu Lucian, Programm, Kuxhav. 1900; Steinberger, Lucians Einfluss auf W., Dissertation, Götting. 1903) und zahlreiche kleinere Schriften. Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794–1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden), die Göschen in Leipzig verlegte, hatte W. in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter seit 1798 im Kreise seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der 1801 erfolgte Tod seiner Gattin veranlasste, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen (1803), wo er dem Kreise der Herzogin Anna Amalie bis an deren Tod (1807) angehörte. Die Zeitschrift »Attisches Museum«, die W. allein 1796–1801, und das »Neue attische Museum«, das er mit Hottinger und Fr. Jacobs 1802 bis 1810 herausgab, dienten dem Zweck, die deutsche Nation mit den Meisterwerken der griechischen Poesie, Philosophie und Redekunst vertraut zu machen. W. blieb bis in sein höchstes Alter in seltener Weise lebensfrisch (noch aus seinen letzten Lebensjahren stammt seine schöne Übersetzung von »Ciceros Briefen«, Zür. 1808–21). 1808 wurde er von Napoleon mit großer Auszeichnung behandelt. Seine Überreste ruhen seinem Wunsche gemäß zu Osmannstedt in Einem Grabe mit denen seiner Gattin und einer Enkelin seiner Jugendfreundin Laroche, Sophie Brentano. In Wielands Gartenhaus in Biberach wurde 1907 ein Wieland-Museum errichtet (vgl. »Vorträge, gehalten bei der Wielandfeier in Biberach a. Riß am 3. September 1907«, Biberach 1907). Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Klassiker des 18. Jahrhunderts« (im 11. Bd.).

Indem W. bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Literatur zurückkehrte und den Ehrgeiz hegte, die der deutschen Literatur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höheren Stände durch eine der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Literatur zu gewinnen, leistete er ebendieser Literatur einen großen und entscheidenden, aber auch einen etwas bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterliteratur in die Produktionen seiner mittleren Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem und alledem betonen ließ. Und die außerordentliche Entwickelungsfähigkeit seines reichen Talentes, der eigentümliche Aufschwung, den seine Dichtung noch in der zweiten Hälfte seines Lebens nahm, hätten die stutzig machen sollen, die, wie dies im Kreise der Romantiker Mode war, von W. immer und überall nur als von einem guten Kopf, ohne eigenstes poetisches Verdienst und tiefere Bedeutung, sprachen. Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Literatur eine Fülle seither nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung. Die sämtlichen Werke Wielands erschienen im Göschenschen Verlag, herausgegeben von Gruber (Leipz. 1818–28, 53 Bde., mit der unten angeführten Biographie), dann ebenda in 36 Bänden 1839–40 (wiederholt Stuttg. 1853) und bei Hempel (Berl. 1879, 40 Bde.); »Ausgewählte Werke« gaben H. Kurz (Hildburgh. 1870, 3 Bde.), G. Klee (Leipz. 1900, 4 Bde., mit Biographie), W. Bölsche (das., 4 Bde.), H. Pröhle (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Stuttg. 1887, 6 Bde.) und Muncker (in Cottas »Bibliothek der Weltliteratur«, 1889, 6 Bde.) heraus; eine große kritische Ausgabe wird von der Deutschen Kommission der Berliner Akademie vorbereitet; vgl. Seuffert, Prolegomena zu einer Wieland-Ausgabe (Berl. 1904). Von Briefen Wielands erschienen: »Ausgewählte Briefe an verschiedene Freunde« (Zürich 1815–16, 4 Tle.); »Auswahl denkwürdiger Briefe« (hrsg. von Ludwig W., Wien 1815, 2 Bde.); »Briefe an Sophie von La Roche« (hrsg. von Fr. Horn, Berl. 1820); »Briefe an Merck« (hrsg. von Wagner, Darmst. 1835; hauptsächlich auf den »Deutschen Merkur« bezüglich); »Neue Briefe, vornehmlich an Sophie von La Roche« (hrsg. von Hassencamp, Stuttg. 1893). Eine Biographie des Dichters schrieb Gruber (»Christ. Martin W.«, Altenb. 1815–16, 2 Bde.; neue Bearbeitung u. d. T.: »Chr. M. Wielands Leben«, als Bd. 50–53 der Werke, Leipz. 1827–28). Vgl. Ofterdinger, Chr. M. Wielands Leben und Wirken in Schwaben und der Schweiz (Heilbr. 1877); Buchner, W. und die Weidmannsche Buchhandlung (Berl. 1871); R. Keil, W. und Reinhold (Leipz. 1885); L. Hirzel, W. und Martin und Regula Künzli (das. 1891; behandelt eine Episode aus Wielands Züricher Jahren); P. Weizsäcker, Die Bildnisse Wielands (Stuttg. 1893); Wukadinovié, Prior in Deutschland (Graz 1895); Pomezny, Grazie und Grazien in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts (Hamb. 1900); B. Seuffert, Der Dichter des ›Oberon‹ (Vortrag, Prag 1900); F. Bauer, Über den Einfluß L. Sternes auf W. (Programm, Karlsbad 1898 u. 1900, 2 Hefte); Behmer, L. Sterne und W. (Berl. 1899); Doell, W. und die Antike (Programm, Münch. 1896); L. Hirzel, Wielands Beziehungen zu den deutschen Romantikern (Bern 1904); Ermatinger, Die Weltanschauung des jungen W. (Frauens. 1907); Kuhn, ›Idris und Zenide‹. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprache Wielands (Würzb. 1903); Calvör, Der metaphorische Ausdruck des jungen W. (Dissertation, Götting. 1906); Schlüter, Studien über die Reimtechnik Wielands (Dissertation, Marb. 1900). Eine Reihe vorzüglicher Arbeiten über W. hat B.Seuffert, der beste Kenner des Dichters, in Zeitschriften veröffentlicht.

Agathodämon

Hier, lieber Timagenes, sende ich dir die verlangte Erzählung meines Abenteuers (wenn ich es anders so nennen kann) mit dem außerordentlichen Manne, den ich in einer beinahe unzugangbaren Einöde der weißen Berge kennen lernte.

Billig mußte die geheimnisvolle Art, wie ich dieser Begebenheit bei unsrer neulichen Unterredung erwähnte, deine Neugier um so viel höher spannen, da ich die Auflösung des verwickelten Knotens, der uns damals beschäftigte, in ihr gefunden zu haben versicherte, ohne mich in eine nähere Erklärung einlassen zu wollen.

In der Tat schien mir die Sache von solcher Beschaffenheit zu sein, daß sie sich besser für eine schriftliche Erzählung, zu welcher ich durch sorgfältige Sammlung meiner Erinnerungen mich vorbereiten könnte, als für den irrenden Gang eines Gespräches schickte; und gewiß würdest du, wenn ich deiner Ungeduld damals nachgegeben hätte, manchen nicht gleichgültigen Zug an dem Bilde dieses merkwürdigen Menschen verloren haben.

Erwarte indessen nicht mehr als ich geben kann. Was du hier empfängst, wird doch weiter nichts als ein leicht gefärbter Umriß des lebendigen Bildes sein, welches Agathodämon selbst mit enkaustischen Farben meinem Herzen einbrannte. Denn wie viel hier verloren gehen mußte, wirst du nur zu gut einsehen, wenn ich dich ein wenig bekannter mit meinem Wundermanne gemacht haben werde.

Erstes Buch

I.

Vor einigen Jahren, als ich auf einer der botanischen Wanderungen, die ich alle Frühlinge vorzunehmen gewohnt bin, einen Teil des Diktäischen Gebirges durchstrich, fügte sichs, daß ich mich genötigt sah meine Nachtherberge bei einigen Ziegenhirten zu nehmen, die sich den Sommer über mit ihren Herden auf diesen Bergen aufzuhalten pflegen. Gutherzig teilten sie ihren kleinen Vorrat mit mir; und da ich an der Unterhaltung mit ungebildeten aber dafür auch unverkünstelten Menschen immer ein eigenes Belieben fand, so brachten wir einen Teil der Nacht mit allerlei zufälligen Gesprächen hin.

Unvermerkt gerieten wir auf die Lieblingsmaterie dieser Art Leute, auf wunderbare Geschichten von Ahnungen, Erscheinungen, Zaubereien, Verwandlungen, Berggeistern, und was sonst in dieses Fach gehört. Kreta, die Wiege des großen Zevs, ist bekanntlich an dieser Art luftiger Ware reich, und es gibt vielleicht kein Volk in der Welt, die Thessalier selbst nicht ausgenommen, das den Kretern in der Neigung, unglaubliche Dinge zu erzählen und zu glauben, den Vorzug streitig machen könnte. Meine Wirte schienen an solchen Geschichten unerschöpflich zu sein; und wiewohl sie ehrlich bekannten, sie hätten das wenigste aus eigner Erfahrung, so waren es doch immer Augenzeugen, denen sie diese Wunderdinge mit einer solchen Lebhaftigkeit und Gewißheit nacherzählten, daß ihnen unvermerkt eben so dabei zu Mute ward, als ob sie das Gehörte selbst gesehen hätten.

Du trauest mir hoffentlich so viel Nachsicht gegen die schwache Seite der menschlichen Natur, oder wenigstens so viel Klugheit zu, daß ich diese guten Leute nicht durch entschiednen Unglauben und hartnäckigen Widerspruch gekränkt, und mir selbst dadurch ihre gute Meinung entzogen haben werde. Alles was ich mir erlaubte, waren Zweifel, ob solche Erzählungen, indem sie aus einem Mund in den andern gingen, nicht unvermerkt ziemliche Veränderungen erlitten? Ob nicht etwa der erste Erzähler zuweilen ohne seine Schuld sich selbst getäuscht haben, oder von andern getäuscht worden sein könnte? und dergleichen.

»Wir sind nur einfältige Leute«, sagte einer von ihnen, »und verstehen uns nicht auf die gelehrten Dinge, die du da vorgebracht hast: aber was wirst du sagen, wenn wir dich versichern, daß seit geraumer Zeit in dieser nämlichen Gegend eine Art von Dämon sich aufhält, den ein jeder von uns schon mehr als Einmal, wiewohl immer nur bei Nacht, gesehen hat, ohne daß wir begreifen wo er herkommt, oder wo er hingeht, wenn er uns aus den Augen schwindet; denn noch keiner von uns hat den Mut gehabt ihm nachzugehen. Wer es versuchen wollte, dem war als ob ihn eine unsichtbare kalte Hand berühre, und er mußte wie im Boden eingewurzelt stehen bleiben. Die Sache hat ihre Richtigkeit; du kannst es uns ohne Bedenken nachsagen.«

»Wunderbar genug!« rief ich: »und unter welcher Gestalt läßt sich denn dieser Dämon sehen?«

»Gewöhnlich«, erwiderte einer von den Hirten, »als ein langer hagerer Greis von einer Ehrfurcht gebietenden Gesichtsbildung, und einem weit kräftigern Aussehen, als man von seinem eisgrauen Bart und den weißen Locken, die noch ziemlich dicht auf seinem Nacken liegen, erwarten sollte. Er zeigt sich gewöhnlich in einem langen enge gefalteten Rock von weißer Leinewand, mit einem Lorbeerkranz um die Stirn, und mit einem schlangengleich gewundnen Stab in der Hand.«

»Einige unsrer Nachbarn«, sagte ein andrer, »haben ihn kurz vor Sonnen-Aufgang als einen schönen gelblockigen Jüngling, mit einer Lyra im Arm, auf einer Felsenspitze sitzen sehen, wo er mit einer unbeschreiblich süßen Stimme dem Gott des Tages einen Hymn entgegen sang.«

»Beim Pan!« rief ein junger Hirt, »ich selbst hab ihn in dieser Gestalt gesehen und singen gehört.«

»Es ging die Rede«, setzte ein Alter hinzu, »eine von unsern Weibern habe ihn einsmals in Gestalt einer ungeheuern großen Schlange zwischen den Felsen in eine Kluft hinein schlüpfen gesehen: aber wie wir genauer nachfragten, wollte sich keine finden, die es mit eignen Augen gesehen hatte. Das gewisseste ist, daß wir uns seit der Erscheinung dieses Dämons besser befinden. Denn daß er uns Glück bringt, ist augenscheinlich. Unsre Herden haben sich, seitdem er sich in unsrer Nähe aufhält, dreifach vermehrt, und es ist keiner von uns, dem er nicht Gutes getan hätte.«

»Davon kann ich ein Wort mitsprechen«, fiel ihm einer ein. »Ich vermißte neulich eine meiner besten Ziegen. Nachdem ich sie im ganzen Gebirge vergebens gesucht hatte, und müd und mißmütig nach Hause kehren wollte, rief mich jemand bei meinem Namen; und wie ich mich umsah, stand er an einer Cypresse und sagte mir: ›Lykas, deine Ziege weidet dort zwischen den Felsen neben dem Wasserfall.‹ Ich erschrak so heftig, daß er schon wieder verschwunden war, eh ich ein Wort heraus bringen konnte; und da ich hinging, fand ich meine Ziege, mit Blumen und Bändern bekränzt, ruhig auf derselben Stelle weiden, die der Genius bezeichnet hatte.«

»Meinen Vater (sagte ein andrer) hat er bloß dadurch, daß er ihn anrührte und ihm einen Becher Weins, mit dem Saft unbekannter Kräuter vermischt, auszutrinken gab, von einer langwierigen Krankheit hergestellt.«

»Er weiß alles was uns gebricht«, sagte ein dritter, »und wir finden es entweder unversehens in unsern Hütten, oder er schickt es uns durch eine junge Nymphe zu, die ihm dient, oder ihn vielleicht noch näher angeht.«

»Eine Nymphe!« rief ich: »woher wißt ihr daß es eine Nymphe ist?«

»Was könnte sie anders sein?« antwortete jener mit Verwunderung über meine Frage: »sie erscheint, eben so wie er selbst, nur bei Nacht; niemand von den unsrigen kennt sie, oder weiß ihren eigentlichen Aufenthalt; auch ist sie an Gestalt und Kleidung ganz von unsern Mädchen verschieden.«

»Das alles ist sonderbar genug«, sagte ich mit einer etwas unglaubigen Miene.

Sie versicherten mich, ich könnte mich von der Wahrheit ihrer Aussagen durch mich selbst überzeugen, wenn ich nur etliche Tage in diesen Gegenden des Gebirges verweilen wollte. »Es vergeht«, sagten sie, »selten eine heitre Nacht, ohne daß der Agathodämon da oder dort sichtbar wird. Denn so nennen wir ihn, weil wir ihm keinen andern Namen zu geben wissen. Ihn zu fragen, wer er sei, und unter welchem Namen wir ihn verehren sollen, hat sich noch keiner von uns unterfangen. Einer und der andere wollten es versuchen: aber sobald sie ihm ins Gesicht sahen, blieb ihnen die Frage im Munde stecken; es war als ob sein Blick sie zu Boden würfe; sie fielen vor ihm nieder, und er war verschwunden, ehe sie es wagten wieder aufzuschauen.«

»Ihr seid gar zu schüchtern, meine Freunde«, sagte ich; »was solltet ihr, da er so gut ist, von ihm zu befürchten haben? Ich wenigstens getrauete mir, ihn auf der Stelle aufzusuchen und anzureden, wenn ihr mich an einen Ort bringen wolltet, wo er zu erscheinen pflegt.«

»Die gemeine Meinung ist, daß er in einem der Felsen wohne, die sich über jenen Kiefernwald erheben: aber den Eingang zu seiner Wohnung hat noch niemand gefunden.«

»Vermutlich«, fiel ich ein, »weil sich noch niemand getraut hat ihn zu suchen. Welcher unter euch hat Lust dieses Vierdrachmenstück zu verdienen, wenn er mich bis zu den Felsen begleitet?«

Nach langem Zögern erbot sich endlich einer von den jüngsten dazu, aber unter keiner andern Bedingung, als wenn einer seiner Gesellen mitgehen wollte.

Ich zog noch einen Stater für den Begleiter meines Führers hervor; und da sich sogleich einer fand der das Abenteuer unter dieser Bedingung wagen wollte, so machten wir uns bei sehr hellem Mondschein, von den guten Wünschen der übrigen begleitet, auf den Weg.

Als wir endlich mit vieler Beschwerlichkeit den Wald erstiegen hatten, sahen wir uns, gegen die Zeit der Morgendämmerung, am Fuß einer hohen Felsenwand, auf der Ostseite mit steilen Abgründen und von der entgegen stehenden mit über einander getürmten Felsenstücken und dicht verwachsnen Gesträuchen umgeben, durch welche es beim ersten Anblick unmöglich schien sich einen Weg zu machen. Der Tag fing bereits an zu dämmern, und eine scharfe Morgenluft verdoppelte das Schauerliche dieser furchtbaren Wildnis. Meine Begleiter bestanden darauf, daß sie nicht weiter gehen könnten, falls ich kühn genug wäre, durch die unzugangbaren Trümmer noch höher empor dringen zu wollen; und da dies allerdings meine Meinung war, so empfahlen sie mich dem Schutze des Agathodämons, dem sie, seiner Menschenfreundlichkeit ungeachtet, nicht sonderlich zu trauen schienen, und ließen mich allein.

Die märchenhafte Erzählung der guten Leute von diesem vermeinten Genius hatte ein unbezwingbares Verlangen in mir erregt, einen so sonderbaren Einsiedler durch mich selbst kennen zu lernen. Ich beschloß also das ganze Gebirge so lange zu durchsuchen, bis ich ihn oder seine Wohnung gefunden haben würde.

II.

Nachdem ich etwa dreißig Fuß hoch mit großer Mühe über die Trümmer empor geklettert war, entdeckte ich eine Art von steilem Fußsteig, der mich mit Hülfe der Gesträuche, die zwischen den Spalten des Gesteins hervor drangen, durch immer enger zusammen gedrängte Klüfte auf einmal in eine Pläne brachte, die dem Ansehen nach fünf- bis sechshundert Schritte lang, ungefähr die Hälfte breit, und ringsum von schroffen oder senkrecht empor ragenden Felsen eingeschlossen war. Ich fand sie mit dem frischesten Grase und allerlei duftenden Kräutern und Blumen bewachsen, deren lebhaftes Grün und üppige Fülle von verschiednen Quellen genährt wurde, die aus den benachbarten Felsen herab rieselten. Ein so anmutiger Ort, und einige Ziegen, die ich an den Anhöhen herum klettern und die sparsam hervor sprießenden Kräuter abfressen sah, ließen mich nicht zweifeln, daß ich hier finden würde was ich suchte.

Die aufgehende Sonne vergoldete bereits die Spitzen der Felsen. Ich ging auf einem schmalen Fußpfade bis in die Mitte des kleinen Tales fort, und ward jetzt eines großen Platzes gewahr, der von Menschenhänden mit allen Arten von eßbaren Gewächsen bepflanzt, und mit blühenden Büschen, Feigenbäumen, und vielerlei andern fruchtbaren Stauden und Bäumen in anmutiger Unordnung umgeben war. Der Pfad wurde nach und nach breiter, und wand sich, mit Blumenrändern eingefaßt, und von einzelnen oder gruppierten Bäumen beschattet, durch alle Abteilungen dieses kleinen Paradieses.

Ich gestehe dir, Timagenes, daß mir das Herz höher zu schlagen anfing; und du kannst dir vorstellen daß es nicht schwächer pochte, als ich auf einmal hinter einem Gebüsche von glühenden Essigrosen eine ehrwürdige Gestalt langsam auf mich zu kommen sah, die mit der Beschreibung der Hirten völlig übereinstimmte.

Es ist ein wunderlich Ding um unsre Einbildungskraft, mein Freund. Wie gänzlich ich auch überzeugt war, daß der vermeinte Dämon ein Mensch sei wie wir andern, und wie gut ich auf seinen Anblick (den einzigen Zweck meiner diesmaligen Wanderung) gefaßt zu sein glaubte: so fand sich dennoch, daß auch mir, als ich ihn auf einmal erscheinen und langsam auf mich zu gehen sah, eben so zu Mute ward, wie jedem andern Menschen, der sich, ohne schon von langem her mit Geistern Umgang gepflogen zu haben, in diesem Augenblick an meiner Stelle befunden hätte. Die treuherzige Erzählung der Hirten, die Ermattung von einem sehr beschwerlichen Wege, das Schauerliche der Gegend und der Morgenluft, und der überraschende Eintritt in dieses stille, von der Welt so ganz abgeschnittene kleine Elysium, alles trug das seinige dazu bei; kurz, ich fuhr bei Erblickung des Ehrfurcht gebietenden Greises eben so zusammen, als wenn es wirklich eine Erscheinung aus der unsichtbaren Welt gewesen wäre.

Indessen faßte ich mich doch bald genug wieder, um einem so weisen Manne, als sein ganzes Aussehen ihn ankündigte, keinen ungünstigen Eindruck von meinem Verstande zu geben. Ich blieb ruhig stehen, und erwartete ihn mit der Ehrerbietung, die sein hohes Alter und die Majestät seines ganzen Wesens von einem so viel jüngern und gewöhnlichen Menschen forderte.

»Was suchst du hier?« fragte er mich ernst und gelassen.

»Einen Weg aus diesen Felsen, worin ich mich verirret habe«, stotterte ich.

»Wenn es auch bloße Neugier wäre, was dich hierher geführt hat«, versetzte er, indem er mir mit einem durchdringenden Blick in die Augen sah, »du bist willkommen, Hegesias.«

»Es scheint unmöglich, (erwiderte ich, sehr betroffen mich bei meinem Namen nennen zu hören) einem Auge wie das deinige mich verbergen zu wollen. Du hast meinen Bewegungsgrund erraten, ich suchte dich selbst.«

»Ich weiß es, und darum komm ich dir entgegen.«

»Wenn du«, versetzte ich, »in meiner Seele lesen kannst, so wird es dich nicht gereuen, mich dieser Gunst wert geachtet zu haben.«

Ich sagte ihm nun wer ich sei, welche Beschäftigung mich in dies Gebirge geführt habe, wie ich unter die Hirten gekommen, was für wunderbare Dinge sie mir von ihm erzählt hätten, und wie ich dem Verlangen nicht widerstehen können, den Mann selbst zu sehen, von welchem sie mir als einem Wesen höherer Gattung gesprochen: »was mich nicht länger wundert, (setzte ich hinzu) da auch ich, nachdem mir dieses Glück zu Teil geworden, mich kaum erwehren kann, dem einfältigen Gefühl dieser kunstlosen Menschen mehr zu glauben als meiner Philosophie.«

»Der Epikurischen vermutlich«, sagte er lächelnd.

»Ohne von dieser Sekte zu sein«, erwiderte ich, »hab ich mich bisher von dem Dasein der Wesen, die wir Dämonen nennen, (den Begriff, den man sich gewöhnlich von ihnen macht, voraus gesetzt) niemals überzeugen können.«

»Du kennst also nichts höheres als den Menschen?« sagte er.

»Wenn ich dir mit Einem Worte gestehen soll wie ich denke – nein!«

»So bist du«, fuhr er fort, »was die Dämonen betrifft, der Wahrheit sehr nahe. Es hat – für die Menschen wenigstens – nie andere Dämonen gegeben als Menschen; und, was noch mehr ist, was sie waren zu werden – steht in unsrer Macht.«

»Ich wünschte dies von dir erklärt zu hören«, sagte ich, indem ich ihn mit neuer Aufmerksamkeit betrachtete. Er mußte in seiner Jugend einer der schönsten Männer gewesen sein, wie er jetzt der ehrwürdigste Greis war, den meine Augen je gesehen hatten; und das Feuer seiner Augen, der Wohlklang seiner Stimme, die gerade Stellung seines Körpers und sein fester Gang kündigten einen desto außerordentlichern Menschen an, da er, seinen Silberhaaren nach, schon weit über siebzig hinaus sein mußte.

Er hatte mich unter diesen Reden auf eine sanft empor steigende Anhöhe zu einem Sitze geführt, der, von einem hohen Lorbeergebüsche beschattet, der einzigen Öffnung gegenüber stand, durch welche die dieses Tal einschließenden Felsen dem Aug einen herzerweiternden Blick in eine Ferne verstatteten, wo der Azur der Luft in dem grünlichen Purpur des Meeres zu zerfließen schien. Indem ich mich einen Augenblick in dieser Aussicht verlor, trat ein leicht bekleidetes liebliches Mädchen von zwölf oder dreizehn Jahren aus dem Gebüsch herzu, und reichte, mit jungfräulichem Anstand, dem Alten und mir jedem einen kristallnen Becher des reinsten Wassers, welches sie so eben aus einer nahe vorbei rieselnden Quelle zu schöpfen gegangen war.

Nachdem wir uns gelabet hatten, entfernte sich das Mädchen wieder, und der Alte setzte unser angefangenes Gespräch folgendermaßen fort.

III.

»Zwei unverträglich scheinende Eigenheiten unsrer Natur vereinigen sich, die Idee von dem, was man Dämonen oder Götter nennt, in unsrer Seele zu erzeugen: auf der einen Seite, ein angeborner instinktmäßiger Drang, uns über diese sichtbare Welt, den für unsern Geist allzu engen Kreis der Sinne, Bedürfnisse und Leidenschaften, ins Unendliche empor zu schwingen; auf der andern, die Unmöglichkeit, jemals (wenigstens in diesem Erdenleben) aus den Schranken heraus zu kommen, die unsrer Vorstellungskraft von innen und außen gesetzt sind.

Nichts von allem was wir sehen und hören, und keiner von den angenehmsten Eindrücken, womit diese Erscheinungen in unserm Innern verbunden sind, kann jenem wunderbaren Triebe genug tun. Nichts erscheint uns so schön, so groß, so vortrefflich in seiner Art, daß wir nicht etwas noch schöneres, größeres und vortrefflicheres in dieser Art denken könnten, oder, oft sogar wider unsern Willen, ahnen müßten. Wenn es auch einige Gegenstände und Gefühle gibt, die unsre ganze Seele auszufüllen und zu befriedigen scheinen, so ist es doch in der Tat nur im unmittelbaren Augenblick des Genusses. Dieser ist kaum vorüber, so dehnt sich die von ihm zusammen gedrückte Einbildung mit ihrer ganzen Schnellkraft wieder aus, und was uns unübertrefflich schien, dient ihr jetzt bloß zur Springfeder, um sich zur Idee einer noch höhern Vollkommenheit zu erheben, wovon sich ein mehr oder weniger täuschendes Bild in ihrem Zauberspiegel darstellt.

Diese Ungenügsamkeit unsres Geistes mit dem, was uns die Welt der Erscheinungen und Täuschungen, welche man sich irriger Weise als die wirkliche vorzustellen gewohnt ist, darbietet, erstreckt sich nicht allein auf alle einzelne Gegenstände der Natur, für sich, oder bloß in ihrem besondern Verhältnis gegen uns betrachtet: auch der Zusammenhang und die Ordnung dieser Dinge, es sei nun daß wir sie als Teile eines Ganzen, oder als Wirkungen gewisser Ursachen, oder als Mittel zu gewissen Zwecken betrachten, vermag uns, aus eben demselben Grunde, nie mehr als eine vorüber gehende Befriedigung zu geben. Immer fehlt etwas daran was wir wünschen; immer finden wir irgend eine Erwartung getäuscht; alles sollte sich, meinen wir, besser schicken und in einander fügen, alles leichter und schneller zum Zweck eilen, reiner zusammen klingen, kurz schöner und vollkommner sein, als es nach unserm Maßstab ist.

Daher diese lieblichen Träume der Dichter und Philosophen von einem goldnen Weltalter, von Götter- und Heldenzeiten, von Unschuldswelten, Atlantiden und Platonischen Republiken, womit die Menschen sich von jeher so gern haben einwiegen lassen, und die, so oft man sie im Ernst zur Wirklichkeit bringen wollte, allemal so viel Unheil angerichtet haben.

Es ist ein wunderbares Etwas in uns, das immer geneigt ist, die Dinge außer uns als bloßen Stoff zu behandeln, und sich unaufhörlich beschäftigt, Welten nach seinem eigenen Entwurf und zu seinem eigenen Zweck daraus hervor zu rufen. Aber auch dann, wenn es, von der vergeblichen oder verderblichen Arbeit ermüdet, seine Schöpfungskraft ruhen läßt, und das Göttliche in der Natur anerkennt, aber nun mit gleicher Vermessenheit in ihr Geheimnis einzudringen, und die innere Beschaffenheit, die wirkenden Ursachen und den wahren Zusammenhang der Dinge zu erforschen strebt, wird es durch eine unwiderstehliche Notwendigkeit immer wieder in sich selbst zurück gezogen; wo es sich, nach dem hartnäckigsten Herumtreiben in den Gewinden und Irrgängen der Spekulation, immer wieder auf der alten Stelle findet, unvermögend sich von seinem Ich los zu winden und wider Willen genötigt, immer sich selbst zum Maß, Muster und Urbild der Wesen, die ein undurchdringlicher Schleier ihm verbirgt, zu nehmen.

Diese Notwendigkeit ist es denn, was in jenem jugendlichen Alter der Welt, als der menschliche Geist, aus der Betäubung der Kindheit erwachend, seine ihm selbst noch unbekannten Kräfte zu versuchen und zu entwickeln anfing, den Dämonen, als unsichtbaren Bildnern, Bewegern und Beschützern der sichtbaren Dinge, im Mikrokosmos seiner Ideenwelt das Dasein gab. Denn da es ihm eben so unmöglich war, an einem dummen tierischen Anstaunen der Natur sich genügen zu lassen, als sich die Erscheinungen derselben aus den Ursachen, die zunächst in die Sinne fallen, zu erklären: wie hätte er sich anders helfen können, als den Grund dieser Erscheinungen in dem Willen und der Macht gewisser unsichtbarer Wesen zu finden, die er sich auf eben diese Weise als die Werkmeister derselben vorstellte, wie er sich bewußt war, Urheber der Werke seiner eignen Hände zu sein?

Aber mit unsichtbaren Dämonen können sich die Menschen (wenigstens so lange sie nicht mit Wörtern wie mit Ziffern rechnen gelernt haben) nicht behelfen. Auch das Unsichtbare muß ihnen, wenn es Etwas für sie sein soll, sichtbar werden können; muß eine Gestalt bekommen, ohne welche es weder ihrer Einbildungskraft erscheinen kann, noch ihrem Verstande denkbar ist. Wenn also die Dämonen, die man sich als Beweger der Natur und Beschützer der Menschen vorstellte, eine Gestalt haben mußten, so konnten sie schicklicher Weise unter keiner andern, als der edelsten und vollkommensten aller Gestalten, gedacht werden: und wo in der ganzen Natur hätte der Mensch eine schönere, edlere, vollkommnere, als seine eigene gefunden? Auch würden alle Versuche, sich z.B. den Vater der Götter und Menschen unter einer andern als der menschlichen Form vorzustellen, ewig fruchtlos bleiben. Zwar kann und soll der Dichter und der bildende Künstler, um uns würdige Göttergestalten zu zeigen, die Menschen, die er zu Modellen zu nehmen genötigt ist, von allen der Einzelnheit anklebenden Mängeln befreien; kann und soll sie in ihrer reinsten Schönheit denken, und sie größer, edler und kraftvoller darstellen, als vielleicht jemals ein wirklicher Mensch gewesen ist. Er kann die Blüte der Jugend mit der Reife des vollendeten Alters in ihren Formen vereinigen; kann sie mit Ambrosia nähren, in ätherischen Schimmer kleiden, durch himmlische Wohlgerüche und einen leichtern als menschlichen Gang als Wesen höherer Art sich ankündigen lassen: aber nichts desto weniger werden seine Götter, sobald er sie erscheinen läßt, zu dem was sie in seiner eigenen Einbildung zu sein genötigt sind, zu Menschen; – und immer werden sich, unter dem ganzen Menschengeschlecht, sogar einzelne Gestalten finden, die einem Phidias für eine Pallas Athene, einem Lysipp für seinen besten Merkur oder Apollo, einem Praxiteles für eine Knidische Venus oder einen Thespischen Amor, zu Modellen dienen könnten.

Und eben darum, weil die Dämonen im Grunde nichts als Menschen sind, die der Volksglaube, von Priestern, Dichtern und Künstlern unterstützt, zu höhern Wesen geadelt hat, finden wir, daß die Vorstellungen von ihnen mit der Kultur immer gleichen Schritt gehalten haben. Die Homerischen Götter sind noch eben so roh als seine Menschen, und daher auch eben denselben Bedürfnissen und Leidenschaften unterworfen. Der Wunsch des großen Redners der Römer, ›daß Homer die Menschen lieber zu den Göttern empor gehoben, als die Götter zu Menschen herab gewürdigt haben möchte‹, war ein frommer Wunsch – einer unmöglichen Sache; denn Homer, wie gewaltig auch seine Dichtungskraft war, konnte so wenig über die Schranken der Menschheit als über seine eigenen hinaus gehen. Seine Götter waren alles, wozu sie ein Geist, wie der seinige, in einem Zeitalter, wie das seinige, machen konnte. Fünfhundert Jahre später würde ein Dichter von gleich mächtigem Geist uns schwerlich ein majestätischeres Bild des Vaters der Götter auf seinem Thron haben geben können, als jenes, das die Seele des großen Phidias mit der Idee des Olympischen Jupiters schwängerte: aber gewiß hätte sich ein Dichter aus der Zeit des Phidias nicht einfallen lassen, seinem Jupiter so grobe Schmähungen und so cyklopenmäßige Drohungen gegen die Königin der Götter in den Mund zu legen, wie sich der Homerische im Angesicht des ganzen Himmels erlaubt. Die Götter Homers schimpfen einander, wenn sie aufgebracht sind, eben so ungezogen als seine Helden; und seine Helden sprechen mit den Unsterblichen in einem Ton, als ob sie recht gut wüßten, daß sie mit ihres gleichen sprächen.«

IV.

Während Agathodämon sich über die Dämonen, seine Geschlechtsverwandten, so offenherzig gegen mich heraus ließ, ging etwas in mir vor, das ich dir zu gestehen erröten würde, wenn es nicht eine Schwachheit wäre, die ich vermutlich mit dem größten Teile der Menschen, wo nicht mit allen, gemein habe. Ich hatte nämlich über das Kapitel von den Dämonen schon lange ungefähr eben so gedacht, wie dieser Einsiedler; und dennoch war es mir unangenehm, mich in der Hoffnung, daß er meine Meinung vielmehr widerlegen als bekräftigen werde, getäuscht zu finden. Denn wie wenig Ursache wir auch haben zu hoffen, daß wir über Dinge dieser Art jemals weiter kommen könnten, als, mit Sokrates, zu wissen daß wir nichts davon wissen: so regt sich doch bei jeder Gelegenheit ein leiser instinktartiger Wunsch in uns, von Personen, die sich uns als außerordentliche Menschen ankündigen, etwas befriedigenderes zu erfahren, als jene gelehrte Unwissenheit, womit wir uns, ungern genug, behelfen müssen.

Ich konnte mich also nicht enthalten, – als Agathodämon (vermutlich um seine Brust ein wenig ruhen zu lassen) eine Pause machte – in einem beinahe mißmutigen Tone die Frage zu tun: »Sollte denn der Umstand, daß wir uns die Dämonen nicht wohl anders als unter menschlichen Formen vorstellen können, hinlänglich sein, ihr Dasein außer unsrer Vorstellung zweifelhaft zu machen?«

»Wenn du mich bisher verstanden hast«, versetzte er lächelnd, »so kannst du dir diese Frage mit wenigem Nachdenken selbst beantworten.«

»Deine Meinung ist also«, erwiderte ich, »daß sie in der Tat keine andere Existenz haben, als die sie durch die Gesänge der Dichter, den Meißel der Bildhauer, und den Glauben des Volks erhalten?«

»Wenn dir das noch zweifelhaft scheint, Hegesias, so laß doch sehen, wie sie sich uns auf eine andere Art offenbaren könnten. Gesetzt, Jupiter oder die goldne Aphrodite, seine Tochter, wollten dich so, daß keinem Zweifel Raum übrig bliebe, von ihrem Dasein überzeugen: so könnten sie es doch wohl nicht anders, als wie es deine Natur zuläßt, bewerkstelligen? also auf eben dieselbe Weise, wie du und ich und alle andre Menschen, vermöge unsrer Natur, von dem Dasein irgend eines Dinges außer uns gewiß werden? nämlich vermittelst des äußerlichen Sinnes, durch den unmittelbaren Eindruck, den sie auf eines oder mehrere Organe desselben machen müßten. Setze also, Zevs erschiene dir unter der Gestalt eines Stiers oder Schwans, so wurdest du nicht ihn sondern einen Stier oder Schwan sehen; und wie könntest du – oder wie hätten Europa und Leda, denen dieses Abenteuer wirklich begegnet sein soll, auf den Einfall kommen können, den Vater der Götter unter dieser Maske zu suchen? Eben dasselbe würde geschehen, wenn Zevs oder Aphrodite sich dir unter menschlicher Gestalt zeigten: du würdest Menschen sehen, nicht Götter. Wolltest du sagen, sie könnten ihre Erscheinung durch Umstände und Eindrücke auszeichnen, wodurch sie notwendig als wirkliche Dämonen erscheinen müßten: so würde ich dich fragen, wie sie das anfangen sollten, wofern sie nicht das Unmögliche tun, und dem Menschen neue bisher unbekannte Sinnenwerkzeuge, oder Empfänglichkeit für Erscheinungen, die außerhalb des Kreises ihrer Anschauung liegen, geben können? Gesetzt, Jupiter zeige sich dir in der ganzen Majestät, womit ihn Homer und Phidias umgeben, auf einer Donnerwolke sitzend, die Rechte mit Blitzen bewaffnet, und den göttlichen Adler zu seinen Füßen: was hättest du da gesehen, als ein Bild, das dir Dichter und Maler oft genug vorgemalt haben, um es deiner Einbildungskraft einzuprägen? und wie könntest du je gewiß werden, daß es nicht diese, sondern wirklich der äußere Sinn sei, der dir eine so ungewöhnliche Erscheinung darstellt? Laß es aber auch sein, daß sie deinem körperlichen Auge wirklich widerfahren wäre: so würdest du darum nicht mehr noch weniger, als einen mit Blitzen bewaffneten Menschen, nicht den Gott auf der Donnerwolke gesehen haben; und der wirkliche Jupiter hätte in dieser Gestalt keine andre Eindrücke auf dich machen können, als die Schranken, die er selbst seiner Kraft durch seine scheinbare Vermenschlichung gesetzt hätte, zugelassen haben würden; das heißt, weder mehr noch weniger als denselben Eindruck, den eine erhabene Menschengestalt in dem besagten Jupiters-Kostüm auf die natürlich disponierten Organen eines Menschen machen kann. Meine Behauptung behielte also ihre volle Kraft. Was auch die Dämonen an sich sein mögen, uns können sie weiter nichts als idealisierte Menschen sein; eine göttlichere Gestalt, als die menschliche, gesehen oder erfunden zu haben, hat sich meines Wissens noch kein Sterblicher gerühmt.

Ich habe bisher nur von der Gestalt der Dämonen gesprochen. Sollte sichs etwa mit ihrer innern Form, insofern sie als geistige, denkende und handelnde Wesen gedacht werden, anders verhalten? Wird nicht auch da die Menschen-Natur der notwendige Typus bleiben müssen, an welchen wir, wenn wir uns das Göttliche in ihnen vorstellen wollen, schlechterdings gebunden sind? Wir können ihnen keine andern Erkenntnisvermögen beilegen als die unsrigen, keine andere Vernunft als die unsrige, keine sittliche Vollkommenheit und Größe, die nicht auch einem Menschen erreichbar wäre: denn wie könnten wir ihnen etwas beilegen, wovon wir keine Vorstellung haben? Nie hat daher ein Gott etwas gesagt, was sein Priester nicht eben so wohl hätte sagen können; nie etwas so edles und gutes getan, was ein Mensch nicht auch tun könnte, oder schon getan hätte. Nur zu oft sind die Götter bloße Drahtpuppen ihrer Priester; und der Musenführer Apollo selbst macht, bekannter Maßen, schlechte Verse, wenn die Pythia, die ihm ihren Mund leihen, oder der Poet, der ihr Orakel auf der Stelle versifizieren muß, keine guten zu machen gelernt hat. Eben daher ist auch, wie ich schon bemerkte, der Grad von Sittlichkeit, wozu sich die Menschen auf den verschiedenen Stufen der Kultur nach und nach erhoben haben, von jeher der Maßstab des sittlichen Charakters der Götter gewesen: und wenn wir jetzt anständigere Begriffe von den unsrigen hegen als in den Homerischen Zeiten im Schwange gingen; wenn jedermann, der auf Erziehung Anspruch macht, sich die Götter entweder als personifizierte Naturkräfte und Tugenden, oder als vergötterte Menschen, die wegen großer Verdienste um das menschliche Geschlecht nach ihrem Tode zu Schutzgeistern desselben erhoben worden, oder als weise Regenten der menschlichen Dinge und gerechte Austeiler der Belohnungen und Strafen, die der Tugend und dem Verbrechen gebühren, vorstellt; so ist es bloß die Philosophie, die über diesen Punkt die Begriffe der höhern Stände und Klassen veredelt hat.

Das Vermögen Wunderdinge zu tun ist in der Tat das einzige, worin die Dämonen etwas voraus zu haben scheinen könnten, wenn wir ihnen nicht unsere Zauberer und Taschenspieler entgegen zu stellen hätten, die das alles durch Kunst zuwege bringen, was man jenen als ein Vorrecht ihrer höhern Natur zuzuschreiben pflegt. Denn bekannter Maßen machen unsre Chaldäer und Magier Anspruch darauf, sich unsichtbar machen und in jede beliebige Gestalt verwandeln zu können; sie gebieten den Elementen, erregen Stürme, ziehen den Mond auf die Erde herab, rufen die Toten aus ihren Gräbern hervor, sehen das Zukünftige, können zu gleicher Zeit an mehr als Einem Orte sein, und was dergleichen mehr ist. Ja, wenn man ihnen glaubt, so besitzen sie das Geheimnis, sich sogar die Dämonen selbst zu unterwerfen: eine Behauptung, wodurch sie meine Meinung von den letztern nicht wenig unterstützen. Denn gewiß können die nicht mehr als Menschen sein, die einen Menschen für ihren Meister erkennen müssen.

Und nun«, setzte der Unbekannte hinzu, »glaube ich mich hinlänglich darüber erklärt zu haben, was ich mit meiner Behauptung über die Natur der Wesen, die man unter dem allgemeinen Namen der Dämonen zu begreifen pflegt, sagen wollte. Oder hast du vielleicht noch etwas zu erinnern?«

»Da ich in den großen Mysterien zu Eleusis eingeweiht bin«, versetzte ich, »so darf weder diese Behauptung, noch dein Beisatz, daß es in unsrer Macht stehe zu werden was sie waren, etwas befremdendes für mich haben. Gleichwohl muß ich dir gestehen, ich kann mich nicht ohne Mühe dazu bequemen, daß dies Alles sein soll, was wir von den höhern Wesen wissen, deren Dasein ein geheimnisvoller Instinkt uns zu glauben nötigt.«

»Und was könntest du denn mehr verlangen?« erwiderte jener. »In das Geheimnis der Natur selbst einzudringen, ist uns verwehrt. Der Kreis der Menschheit ist nun einmal unser Anteil, und der Umfang, worin alle unsre Ansprüche eingeschlossen sind. Sobald wir uns über ihn versteigen wollen, finden wir uns mit einem undurchdringlichen Dunkel umgeben; oder das Licht selbst, das uns dann entgegen strömt, ist so blendend, daß es für Augen wie die unsrigen zur dichtesten Finsternis wird. Aber o daß wir die Würde unsrer eignen Natur erkennen möchten! es ganz durchschauen und immer gegenwärtig haben möchten, daß der Mensch nichts größers kennt noch kennen soll als sich selbst; daß er alles, was er zu seiner Vollständigkeit bedarf, in sich finden kann, und daß seinem ewigen Wachstum an Kraft und Vollkommenheit keine andere Grenze gesetzt ist, als die wesentliche Form seiner eignen Natur, über welche er sich eben so wenig hinaus denken als hinaus dehnen kann, er müßte sich denn nur ins unendliche – Nichts ausdehnen wollen.«

V.

Indem Agathodämon diese letzten Worte sprach, ließ sich plötzlich eine liebliche Singstimme hören, deren reine Silbertöne, von dem schönsten Echo vervielfältigt, meine ganze Aufmerksamkeit nach dem Ort, woher sie zu kommen schienen, hinzog. Stelle dir vor, Timagenes, wie betroffen ich war, als ich auf einem der Felsen eine schöne Jünglingsgestalt erblickte, die sich selbst zu einem Orphischen Hymnus auf der Cither begleitete, und in ihrer Begeisterung nicht zu achten schien daß sie Zuhörer hatte. Eine Fülle von kunstlos lockigen blonden Haaren wallte, halb in der Morgenluft fliegend, um ihre weißen Schultern. Sowohl ihre Kleidung als ihr schlanker Wuchs und die rundlichen Formen ihrer Arme und Beine ließen das Auge ungewiß, ob man sie für den Sohn der Maja oder für eine der Oreaden dieses Gebirges halten sollte.

Als sie zu singen aufgehört hatte, warf ich einen staunenden Blick auf Agathodämon; und wie ich die Augen nach dem Felsen zurück drehte, war die Erscheinung verschwunden.

»Nun, Hegesias«, sagte der Alte lächelnd, »hast du alles gesehen, was mir in den Augen meiner Nachbarn, der Ziegenhirten, den Schein eines übernatürlichen Wesens gibt; und du kannst dir jetzt zum Teil selbst erklären, wie diese guten Leute, in ihrer abergläubischen Einfalt, ungewöhnliche Erscheinungen zu wunderbaren zu erheben wissen. Das junge Mädchen, das uns Wasser reichte, ist die Nymphe, von welcher sie dir gesprochen haben; und der Apollo, in dessen Gestalt ich selbst (wie dir einer sagte) zuweilen gesehen und gehört werde, ist ein schönes Weib von dreißig Jahren, die Mutter der kleinen Nymphe und die Gattin des wackern Mannes, den du dort hinter den Gebüschen mit dem Spaten in der Hand beschäftigst sehen kannst. Denn für dich, Hegesias, soll hier keine Täuschung sein. Dieser Mann war in meinem väterlichen Hause als Sklave geboren, und diente mir, sobald er jemand zu dienen fähig war. Er ist einer der besten Menschen, die ich kenne, und hat mich mit einer seltnen Anhänglichkeit auf einigen der Reisen begleitet, die einen großen Teil meines Lebens wegnahmen. Als ich nach vielen Jahren zurück kam, um einige Zeit in meinem Vaterlande zuzubringen, belohnte ich seine Treue, indem ich seine Liebe zu einem in unserm Hause gebornen Mädchen begünstigte, welches von meiner Mutter selbst eine feinere Erziehung, und die Ausbildung der Naturgaben, wovon du nur eben eine Probe hörtest, erhalten hatte. Ich verheiratete sie mit ihm, und schenkte ihnen die Freiheit, ohne mich sogleich von ihnen zu trennen. Er begleitete mich noch auf verschiedenen neuen Reisen; und als ich mich endlich entschloß, den Rest meiner Tage in gänzlicher Verborgenheit auszuleben, konnt ich ihn nicht verhindern, mir mit seinem Weibe und ihrer Tochter in diese Einsiedelei zu folgen, wo sie sich alle drei beeifern, für meine ziemlich mäßigen Bedürfnisse zu sorgen, und alles mögliche zu tun, um mich in die angenehme Täuschung zu setzen, als ob mein Leben im Elysium schon angegangen sei. Sie hangen an mir wie an einem geliebten Vater, und ich lebe mit ihnen wie unter meinen Kindern. Sie wissen sich so gefällig in meine Eigenheiten zu schicken, und verstehen mich so gut, daß ich kaum der Sprache nötig habe, um ihnen meine Wünsche zu erkennen zu geben. Der alte Kymon, der (wie du siehest) noch ein rüstiger Mann ist, besorgt den Garten, dessen Gemüse und Früchte, nebst der Milch etlicher Ziegen, uns eine leichte und gesunde Nahrung geben. Das Wenige, was uns sonst noch nötig ist, weiß er aus der nächsten Stadt herbei zu schaffen, ohne daß jemands Aufmerksamkeit dadurch erregt wird. Die Hirten, die, den Sommer über, diese Berge beweiden, halten ihn für den Einwohner eines benachbarten Dorfes, und sehen ihn zu selten, um sich genauer nach ihm zu erkundigen; indessen er durch seinen Neffen, der einer aus ihrem Mittel ist, so viel von ihnen auskundschaftet, als es bedarf, sie in dem Wahne zu erhalten, die Spitze des Gebirges werde von einem guten Dämon bewohnt, dessen Nähe ihnen Segen bringe; eine Täuschung, die ihnen unschädlich ist, und mir vor den Folgen ihres Vorwitzes Sicherheit gewährt. – In allem diesem wirst du viel Grillenhaftes finden, lieber Hegesias; und in der Tat muß man mit meiner ganzen Lebensgeschichte bekannt sein, um gelinder davon zu urteilen.«

»Das einzige, was ich noch nicht begreife«, versetzte ich, »ist, wie du in dieser Einöde die Abwechslungen der Witterung aushalten, und dich gegen die Unfreundlichkeit des Winters verwahren kannst.«