Die Geschichte der Abderiten - Christoph Martin Wieland - E-Book

Die Geschichte der Abderiten E-Book

Christoph Martin Wieland

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Beschreibung

"Die Geschichte der Abderiten" erschien zuerst in der Zeitschrift "Der Teutsche Merkur" in den Jahren 1774-1780. Wieland verspottet darin die Einfalt seiner kleinstädtischen Zeitgenossen deutscher Freier Reichsstädte.

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Die Geschichte der Abderiten

Christoph Martin Wieland

Inhalt:

Christoph Martin Wieland – Biografie und Bibliografie

Die Geschichte der Abderiten

Erster Teil, der das erste, zweite und dritte Buch enthält

Vorbericht

Erstes Buch oder Demokritus unter den Abderiten

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Zweites Buch oder Hippokrates in Abdera

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Drittes Buch oder Euripides unter den Abderiten

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Zweiter Teil, der das vierte und fünfte Buch und den Schlüssel enthält

Viertes Buch oder der Proceß um des Esels Schatten

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Eilftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Dreizehntes Kapitel

Vierzehntes Kapitel

Funfzehntes Kapitel

Sechzehntes Kapitel

Fünftes Buch oder die Frösche der Latona

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Der Schlüssel zur Abderitengeschichte

Geschichte der Abderiten , C. M. Wieland

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849639860

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Christoph Martin Wieland – Biografie und Bibliografie

Hervorragender deutscher Dichter, geb. 5. Sept. 1733 zu Oberholzheim im Gebiete der ehemaligen Reichsstadt Biberach, gest. 20. Jan. 1813 in Weimar, genoss bei seinem Vater, der 1736 als Pfarrer nach Biberach versetzt wurde, sowie in der dortigen Stadtschule trefflichen Unterricht. Noch vor dem 14. Jahr auf die Schule zu Klosterberge bei Magdeburg geschickt, gab der sehr fromm erzogene, leseeifrige Knabe sich anfangs ganz dem dort herrschenden Geiste hin und warf sich in eine ausschließliche Bewunderung Klopstocks. Nachdem er seit Ostern 1749 sich ein Jahr lang bei einem Verwandten in Erfurt aufgehalten, verbrachte er den Sommer 1750 im Vaterhause. Hier traf er mit seiner Verwandten Sophie Gutermann (nachmals Sophie v. Laroche, s. d.) zusammen (vgl. Ridderhoff, Sophie von Laroche und W., Programm, Hamb. 1907). Die schwärmerische Neigung, die er zu ihr faßte, entwickelte rasch sein poetisches Talent. Durch sie empfing W. die Anregung zu seinem ersten der Öffentlichkeit übergebenen Gedicht: »Die Natur der Dinge. Ein Lehrgedicht in sechs Büchern« (anonym erschienen 1752). Im Herbst 1750 hatte W. die Universität Tübingen bezogen, angeblich um die Rechte zu studieren, welches Studium er jedoch über der Beschäftigung mit der neuern schönen Literatur und eigner poetischer Produktion ziemlich vernachlässigte. Ein Heldengedicht: »Hermann«, von dem er fünf Gesänge (hrsg. von Muncker, Heilbr. 1886) ausarbeitete und an Bodmer sandte, brachte ihn mit diesem in einen sehr intimen Briefwechsel. Seine übrigen Erstlingsdichtungen. »Zwölf moralische Briefe in Versen« (Heilbr. 1752), »Anti-Ovid« (Amsterd. 1752) u. a., kennzeichneten ihn als ausschließlichen und leidenschaftlichen Klopstockianer und strebten auf eine spezifisch seraphisch-christliche Dichtung hin. Im Sommer 1752 folgte er einer Einladung Bodmers nach Zürich. Auf das herzlichste empfangen, wohnte er im traulichsten Verkehr eine Weile bei Bodmer, den er sich durch eine Abhandlung über die Schönheiten in dessen Gedicht »Noah« und durch die neue Herausgabe der 1741–1744 erschienenen »Züricherischen Streitschriften« (gegen Gottsched) verpflichtete, und in dessen Sinn er ein episches Gedicht in drei Gesängen: »Der geprüfte Abraham« (Zürich 1753), verfasste. In anregendem Verkehr mit Breitinger, Hirzel, Sal. Geßner, Füßli, Heß u. a. schrieb W. in Zürich um jene Zeit noch die »Briefe von Verstorbenen an hinterlassene Freunde« (Zür. 1753). Die plötzliche Nachricht, dass seine Geliebte sich verehelicht, sowie ein längerer Aufenthalt in dem pietistisch gestimmten Grebelschen Hause in Zürich hielten ihn eine Weile länger, als es sonst geschehen sein würde, bei der seiner innersten Natur ganz entgegengesetzten frommen Richtung. In den »Empfindungen eines Christen« (Zürich 1757) sprach er zum letzten mal die Sprache, die er seit Klosterberge geredet, und erklärte sich mit besonderer Heftigkeit gegen die erotischen Dichter, besonders gegen Uz (s. d.). Aber bald genug vollzog sich in W., besonders unter dem Einfluss der Schriften des Lukian, Horaz, Cervantes, Shaftesbury, d'Alembert, Voltaire u. a., eine vollständige Umkehr von den eben bezeichneten Bahnen. Schon das mit starker Benutzung einer englischen Tragödie von Rowe gedichtete Trauerspiel »Lady Johanna Gray« (Zürich 1758) konnte Lessing mit der Bemerkung begrüßen, W. habe »die ätherischen Sphären verlassen und wandle wieder unter den Menschenkindern«. In demselben Jahr entstand das epische Fragment »Cyrus« (Zürich 1759), zu dem die Taten Friedrichs d. Gr. die Inspiration gegeben hatten, ferner das in Bern, wo W. 1759 eine Hauslehrerstelle angetreten hatte, geschriebene Trauerspiel »Clementina von Porretta« (nach Richardsons Roman »Grandison«, das. 1760) und die dialogisierte Episode aus der Kyropädie des Xenophon: »Araspes und Panthea«, welche Dichtungen sämtlich nach Wielands späteren eignen Worten die »Wiederherstellung seiner Seele in ihre natürliche Lage« ankündigen oder geschehen zeigen. In Bern trat der Dichter in sehr nahe Beziehungen zu der Freundin Rousseaus, Julie Bondeli (s. d.). 1760 nach Biberach zurückgekehrt, erhielt er eine amtliche Stellung in seiner Vaterstadt, deren kleinbürgerliche Verhältnisse ihm minder drückend wurden, nachdem er auf dem Schlosse des Grafen Stadion, der sich nach dem Biberach benachbarten Warthausen zurückgezogen, eine Stätte feinster weltmännischer Bildung, mannigfachste persönliche Anregung und eine vortreffliche Bibliothek gefunden hatte. In Warthausen traf W. auch Sophie v. Laroche, seine ehemalige Geliebte, die mit ihrem Gatten bei Stadion lebte, wieder. Der Verkehr mit den genannten und andern Personen, die sich in jenem Kreise bewegten, vollendete Wielands Bekehrung ins »Weltliche«. Jetzt erst trat seine schriftstellerische Tätigkeit in die Epoche, die seinen Ruhm und seine Bedeutung für die nationale Literatur umfasst. Um 1761 wurde der Roman »Agathon« (Frankf. 1766–67; vgl. Scheidl, Persönliche Verhältnisse und Beziehung zu den antiken Quellen in Wielands ›Agathon‹, Berl. 1904; F. W. Schröder, Wielands. Agathon' und die Anfänge des modernen Bildungsromans, Dissertation, Königsb. 1905) begonnen, nach Lessings Urteil der erste deutsche Roman »für den denkenden Kopf von klassischem Geschmack«, 1764 »Don Silvio von Rosalva, oder der Sieg der Natur über die Schwärmerei« (Ulm 1764; vgl. Martens, Untersuchungen über Wielands, Don Sylvio', Dissertation, Halle 1901) vollendet. Daneben vertiefte sich W. in das Studium Shakespeares und ließ dessen Stücke zu einer Zeit, wo sie sonst in Deutschland noch nirgends ausgeführt wurden, in Biberach von einer Liebhabergesellschaft ausführen. Auch ließ er zuerst eine Sammlung von Shakespeareschen Dramen in deutscher Sprache erscheinen (22 Stücke, Zürich 1762–66, 8 Bde.). Die Übersetzung (in Prosa) wird ebenso wenig wie die Anmerkungen dem Dichter immer gerecht, die Versmaße des Originals sind nur in dem vortrefflich übertragenen und W. besonders kongenialen »Sommernachtstraum« beibehalten (vgl. Wurth, Zu Wielands, Eschenburgs und A. W. Schlegels Übersetzungen des, Sommernachtstraums', Programm, Budweis 1897; Simpson, Eine Vergleichung der Wielandschen Shakespeare-Übersetzung mit dem Originale, Dissertation, Berl. 1898).

Mit den beiden oben genannten Romanen und den Dichtungen: »Musarion, oder die Philosophie der Grazien« (Leipz. 1768) und »Idris und Zenide« (das. 1768), in den nächsten Jahren den Erzählungen: »Nadine« (das. 1769), »Combabus« (das. 1770), »Die Grazien« (das. 1770) und »Der neue Amadis« (das. 1771) verfolgte W. seinen neuen Weg und verkündete eine Philosophie der heitern Sinnlichkeit, der Weltfreude, der leichten Anmut, die im vollen Gegensatz zu den Anschauungen seiner Jugend stand. Inzwischen hatte W., der seit 1765 mit einer Augsburgerin verheiratet war, einem durch Riedel in Erfurt vermittelten Ruf an die dortige Universität im Sommer 1769 Folge gegeben. Seine Lehrtätigkeit, dse er mit Eifer betrieb, tat seiner dichterischen Produktivität wenig Abbruch. In Erfurt verfaßte er, außer einigen der oben genannten Schriften, noch das Singspiel »Aurora«, die »Dialoge des Diogenes« und den lehrhaften Roman »Der goldene Spiegel, oder die Könige von Scheschian« (Leipz. 1772; vgl. O. Vogt, ›Der goldene Spiegel‹ und Wielands politische Ansichten, Berl. 1904), der ihm den Weg nach Weimar bahnte. 1772 berief ihn die Herzogin Anna Amalie von Sachsen-Weimar zur literarischen Erziehung ihrer beiden Söhne nach Weimar. Hier trat W. in den geistig bedeutendsten Lebenskreis des damaligen Deutschland, der schon bei seiner Ankunft Männer wie Musäus, v. Knebel, Einsiedel, Bertuch u. a. in sich schloss, aber bald darauf durch Goethe und Herder erst seine höchste Weihe und Belebung erhielt. W. bezog unter dem Titel eines herzoglichen Hofrates einen Gehalt von 1000 Tlr., der ihm auch nach Karl Augusts Regierungsantritt als Pension verblieb. In behaglichen, ihn beglückenden Lebensverhältnissen entfaltete er eine frische und sich immer liebenswürdiger gestaltende poetische und allgemein literarische Tätigkeit. Mit dem Singspiel »Die Wahl des Herkules« und dem lyrischen Drama »Alceste« (1773) errang er reiche Anerkennung. In der Zeitschrift »Der teutsche Merkur«, deren Redaktion er von 1773 bis 1789 führte, ließ er fortan die eignen dichterischen Arbeiten zunächst erscheinen, neben denen er auch eine ausgebreitete kritische Tätigkeit übte (vgl. Burkhardt, Repertorium zu Wielands deutschem Merkur, Jena 1873). Wielands im »Merkur« abgedruckte »Briefe über Alceste« (September 1773) gaben Goethe und Herder Ärgernis und riefen des ersteren Farce »Götter, Helden und W.« (1774) hervor, auf welchen Angriff W. mit der ihm in der zweiten Hälfte seines Lebens fast unverbrüchlich eignen heitern Milde antwortete. Als Goethe bald darauf nach Weimar übersiedelte, bildete sich zwischen ihm und W. ein dauerndes Freundschaftsverhältnis, dem der überlebende Altmeister nach Wielands Tod in seiner schönen Denkrede auf W. ein unvergängliches Denkmal gesetzt hat. Goethe gewann auch den stärksten Einfluss auf Wielands Bestrebungen in der dritten Periode, in deren Werken sich die besten und rühmlichsten Eigenschaften unsers Dichters gleichsam konzentrieren, während seine Neigung zur ermüdenden Breite und zur sinnlichen Lüsternheit bis auf einen gewissen Punkt überwunden wurde. Die »Geschichte der Abderiten« (Leipz. 1781; vgl. Seuffert, Wielands ›Abderiten‹ Berl. 1878), das romantische, farbenreiche epische Gedicht »Oberon« (Weim. 1781; vgl. M. Koch, Das Quellenverhältnis von Wielands ›Oberon‹, Marb. 1880; Lindner, Zur Geschichte der Oberonsage, Rostock 1902), Wielands Meisterwerk, die prächtigen poetischen Erzählungen: »Das Wintermärchen«, »Geron der Adelige«, »Schach Lolo«, »Pervonte« (vgl. F. Muncker, Wielands ›Pervonte‹, Münch. 1904) u. a., gesammelt in den »Auserlesenen Gedichten« (Jena 1784–87), entstanden in den ersten Jahrzehnten in Weimar. Dazu gesellten sich die trefflichen Bearbeitungen von »Horazens Satiren« (Leipz. 1786), »Lukians sämtlichen Werken« (das. 1788–89; vgl. Kersten, Wielands Verhältnis zu Lucian, Programm, Kuxhav. 1900; Steinberger, Lucians Einfluss auf W., Dissertation, Götting. 1903) und zahlreiche kleinere Schriften. Eine Gesamtausgabe seiner bis 1802 erschienenen Werke (1794–1802 in 36 Bänden und 6 Supplementbänden), die Göschen in Leipzig verlegte, hatte W. in den Stand gesetzt, das Gut Osmannstedt bei Weimar anzukaufen. Dort lebte der Dichter seit 1798 im Kreise seiner großen Familie (seine Gattin hatte ihm in 20 Jahren 14 Kinder geboren) glückliche Tage, bis ihn der 1801 erfolgte Tod seiner Gattin veranlasste, seinen Landsitz zu veräußern und wieder in Weimar zu wohnen (1803), wo er dem Kreise der Herzogin Anna Amalie bis an deren Tod (1807) angehörte. Die Zeitschrift »Attisches Museum«, die W. allein 1796–1801, und das »Neue attische Museum«, das er mit Hottinger und Fr. Jacobs 1802 bis 1810 herausgab, dienten dem Zweck, die deutsche Nation mit den Meisterwerken der griechischen Poesie, Philosophie und Redekunst vertraut zu machen. W. blieb bis in sein höchstes Alter in seltener Weise lebensfrisch (noch aus seinen letzten Lebensjahren stammt seine schöne Übersetzung von »Ciceros Briefen«, Zür. 1808–21). 1808 wurde er von Napoleon mit großer Auszeichnung behandelt. Seine Überreste ruhen seinem Wunsche gemäß zu Osmannstedt in Einem Grabe mit denen seiner Gattin und einer Enkelin seiner Jugendfreundin Laroche, Sophie Brentano. In Wielands Gartenhaus in Biberach wurde 1907 ein Wieland-Museum errichtet (vgl. »Vorträge, gehalten bei der Wielandfeier in Biberach a. Riß am 3. September 1907«, Biberach 1907). Sein Bildnis s. Tafel »Deutsche Klassiker des 18. Jahrhunderts« (im 11. Bd.).

Indem W. bei Beginn seiner zweiten Periode zur Vorbildlichkeit der französischen Literatur zurückkehrte und den Ehrgeiz hegte, die der deutschen Literatur völlig gleichgültig gegenüberstehenden höheren Stände durch eine der französischen ähnliche graziöse Leichtigkeit und lebendige Anmut für die deutsche Literatur zu gewinnen, leistete er ebendieser Literatur einen großen und entscheidenden, aber auch einen etwas bedenklichen Dienst. Er nahm einen guten Teil der Leichtfertigkeit, der Üppigkeit und Oberflächlichkeit jener Musterliteratur in die Produktionen seiner mittleren Zeit herüber. Freilich verband sich diese herausfordernde Frivolität und spöttische Weltklugheit mit dem kräftigen Behagen und dem unverwüstlichen Kern in seiner Natur, der selbst Schiller in einem Brief an Körner Wielands »Deutschheit« trotz alledem und alledem betonen ließ. Und die außerordentliche Entwickelungsfähigkeit seines reichen Talentes, der eigentümliche Aufschwung, den seine Dichtung noch in der zweiten Hälfte seines Lebens nahm, hätten die stutzig machen sollen, die, wie dies im Kreise der Romantiker Mode war, von W. immer und überall nur als von einem guten Kopf, ohne eigenstes poetisches Verdienst und tiefere Bedeutung, sprachen. Die mittelbare Nachwirkung Wielands brachte der deutschen Literatur eine Fülle seither nicht gekannter Anmut und Heiterkeit, die lebendigste Beweglichkeit und gesteigerte Fähigkeit für alle Arten der Darstellung. Die sämtlichen Werke Wielands erschienen im Göschenschen Verlag, herausgegeben von Gruber (Leipz. 1818–28, 53 Bde., mit der unten angeführten Biographie), dann ebenda in 36 Bänden 1839–40 (wiederholt Stuttg. 1853) und bei Hempel (Berl. 1879, 40 Bde.); »Ausgewählte Werke« gaben H. Kurz (Hildburgh. 1870, 3 Bde.), G. Klee (Leipz. 1900, 4 Bde., mit Biographie), W. Bölsche (das., 4 Bde.), H. Pröhle (in Kürschners »Deutscher Nationalliteratur«, Stuttg. 1887, 6 Bde.) und Muncker (in Cottas »Bibliothek der Weltliteratur«, 1889, 6 Bde.) heraus; eine große kritische Ausgabe wird von der Deutschen Kommission der Berliner Akademie vorbereitet; vgl. Seuffert, Prolegomena zu einer Wieland-Ausgabe (Berl. 1904). Von Briefen Wielands erschienen: »Ausgewählte Briefe an verschiedene Freunde« (Zürich 1815–16, 4 Tle.); »Auswahl denkwürdiger Briefe« (hrsg. von Ludwig W., Wien 1815, 2 Bde.); »Briefe an Sophie von La Roche« (hrsg. von Fr. Horn, Berl. 1820); »Briefe an Merck« (hrsg. von Wagner, Darmst. 1835; hauptsächlich auf den »Deutschen Merkur« bezüglich); »Neue Briefe, vornehmlich an Sophie von La Roche« (hrsg. von Hassencamp, Stuttg. 1893). Eine Biographie des Dichters schrieb Gruber (»Christ. Martin W.«, Altenb. 1815–16, 2 Bde.; neue Bearbeitung u. d. T.: »Chr. M. Wielands Leben«, als Bd. 50–53 der Werke, Leipz. 1827–28). Vgl. Ofterdinger, Chr. M. Wielands Leben und Wirken in Schwaben und der Schweiz (Heilbr. 1877); Buchner, W. und die Weidmannsche Buchhandlung (Berl. 1871); R. Keil, W. und Reinhold (Leipz. 1885); L. Hirzel, W. und Martin und Regula Künzli (das. 1891; behandelt eine Episode aus Wielands Züricher Jahren); P. Weizsäcker, Die Bildnisse Wielands (Stuttg. 1893); Wukadinovié, Prior in Deutschland (Graz 1895); Pomezny, Grazie und Grazien in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts (Hamb. 1900); B. Seuffert, Der Dichter des ›Oberon‹ (Vortrag, Prag 1900); F. Bauer, Über den Einfluß L. Sternes auf W. (Programm, Karlsbad 1898 u. 1900, 2 Hefte); Behmer, L. Sterne und W. (Berl. 1899); Doell, W. und die Antike (Programm, Münch. 1896); L. Hirzel, Wielands Beziehungen zu den deutschen Romantikern (Bern 1904); Ermatinger, Die Weltanschauung des jungen W. (Frauens. 1907); Kuhn, ›Idris und Zenide‹. Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprache Wielands (Würzb. 1903); Calvör, Der metaphorische Ausdruck des jungen W. (Dissertation, Götting. 1906); Schlüter, Studien über die Reimtechnik Wielands (Dissertation, Marb. 1900). Eine Reihe vorzüglicher Arbeiten über W. hat B.Seuffert, der beste Kenner des Dichters, in Zeitschriften veröffentlicht.

Die Geschichte der Abderiten

Erster Teil, der das erste, zweite und dritte Buch enthält

Vorbericht

Diejenigen, denen etwan daran gelegen sein möchte, sich der Wahrheit der bei dieser Geschichte zum Grunde liegenden Tatsachen und charakteristischen Züge zu vergewissern, können wofern sie nicht Lust haben, solche in den Quellen selbst, nämlich in den Werken eines Herodots, Diogenes Laertius, Athenäus, Aelians, Plutarchs, Lucians, Paläphatus, Cicero, Horaz, Petrons, Juvenals, Valerius, Gellius, Solinus, u.a. aufzusuchen – sich aus den Artikeln Abdera und Demokritus in dem Baylischen Wörterbuche überzeugen, daß diese Abderiten nicht unter die wahren Geschichten im Geschmacke der lucianischen gehören. Sowohl die Abderiten, als ihr gelehrter Mitbürger Demokritus, erscheinen hier in ihrem wahren Lichte; und wiewohl der Verfasser, bei Ausfüllung der Lücken, Aufklärung der dunkeln Stellen, Hebung der wirklichen und Vereinigung der scheinbaren Widersprüche, die man in den vorbemeldten Schriftstellern findet, nach unbekannten Nachrichten gearbeitet zu haben scheint: so werden doch scharfsinnige Leser gewahr werden, daß er in allem diesem einem Gewährsmanne gefolget ist, dessen Ansehen alle Aeliane und Athenäen zu Boden wiegt, und gegen dessen einzelne Stimme das Zeugnis einer ganzen Welt, und die Entscheidung aller Amphictyonen, Areopagiten, Decemvirn, Centumvirn und Ducentumvirn, auch Doctoren, Magistern und Baccalauren, samt und sonders ohne Wirkung ist, nämlich der Natur selbst.

Sollte man dieses kleine Werk als einen, wiewohl geringen, Beitrag zur Geschichte des menschlichen Verstandes ansehen wollen: so läßt sichs der Verfasser sehr wohl gefallen; glaubt aber, daß es auch unter diesem so vornehm klingenden Titel weder mehr noch weniger sei, als was alle Geschichtbücher sein müssen, wenn sie nicht sogar unter die schöne Melusine herabsinken, und mit dem schalsten aller Märchen, der Dame D'Aunoy in Eine Rubrik geworfen werden wollen.

Erstes Buch oder Demokritus unter den Abderiten

Erstes Kapitel

Vorläufige Nachrichten vom Ursprung der Stadt Abdera und dem Charakter ihrer Einwohner

Das Altertum der Stadt Abdera in Thracien, verliert sich in der fabelhaften Heldenzeit. Auch kann es uns sehr gleichgültig sein, ob sie ihren Namen von Abdera, einer Schwester des berüchtigten Diomedes, Königs der bistonischen Thracier1, – der ein so großer Liebhaber von Pferden war und deren so viel hielt, daß er und sein Land endlich von seinen Pferden aufgefressen wurde2, – oder von Abderus, einem Stallmeister dieses Königs, oder von einem andern Abderus, der ein Liebling des Herkules gewesen sein soll, empfangen habe.

Abdera war, einige Jahrhundert nach ihrer ersten Gründung, vor Alter wieder zusammengefallen: als Timesius von Klazomene, um die Zeit der ein und dreißigsten Olympiade, unternahm, sie wieder aufzubauen. Die wilden Thracier, welche keine Städte in ihrer Nachbarschaft aufkommen lassen wollten, ließen ihm nicht Zeit, die Früchte seiner Arbeit zu genießen3. Sie trieben ihn wieder fort, und Abdera blieb unbewohnt und unvollendet, bis, ungefähr um das Ende der Olympiade 59, die Einwohner der ionischen Stadt Teos – weil sie keine Lust hatten, sich dem Eroberer Cyrus zu unterwerfen – zu Schiffe gingen, nach Thracien segelten, und, da sie in einer der fruchtbarsten Gegenden desselben dieses Abdera schon gebauet fanden, sich dessen als einer verlassenen und niemanden zugehörigen Sache bemächtigten, auch sich darinnen gegen die thracischen Barbaren so gut behaupteten, daß sie und ihre Nachkommen von nun an Abderiten hießen, und einen kleinen Freistaat ausmachten, der (wie die meisten griechischen Städte) ein zweideutig Mittelding von Demokratie und Aristokratie war, und regieret wurde, – wie kleine Republiken von je her regieret worden sind.

»Wozu (rufen unsre Leser) diese nichtsbedeutende Deduction des Ursprungs und der Schicksale des Städtchens Abdera in Thracien? Was kümmert uns Abdera? Was liegt uns daran, zu wissen, oder nicht zu wissen, wann, wie, wo, warum, von wem, und zu was Ende eine Stadt, welche längst nicht mehr in der Welt ist, erbaut worden sein mag?«

Geduld! günstige Leser! Geduld, bis wir, eh ich weiter fort erzähle, über unsre Bedingungen einig sind. Verhüte der Himmel, daß man euch zumuten sollte, die Abderiten zu lesen, wenn ihr gerade was nötigeres zu tun, oder was besseres zu lesen habt! –

»Ich muß auf eine Predigt studieren. – Ich habe Kranke zu besuchen. – Ich hab' ein Gutachten, einen Bescheid, eine Leuterung, einen untertänigsten Bericht zu machen. – Ich muß recensieren. – Mir fehlen noch sechzehn Bogen an den vier Alphabeten, die ich meinem Verleger binnen acht Tagen liefern muß. – Ich hab' ein Joch Ochsen gekauft. – Ich hab' ein Weib genommen. –« In Gottes Namen! Studiert, besucht, referiert, recensiert, übersetzt, kauft und freiet! – Beschäftigte Leser sind selten gute Leser. Bald gefällt ihnen alles, bald nichts; bald verstehn sie uns halb, bald gar nicht, bald (was das schlimmste ist) unrecht. Wer mit Vergnügen, mit Nutzen lesen will, muß gerade sonst nichts anders zu tun noch zu denken haben. Und wenn ihr euch in diesem Falle befindet: warum solltet ihr nicht zwo oder drei Minuten daran wenden wollen, etwas zu wissen, was einem Salmasius, einem Barnes, einem Bayle, – und, um aufrichtig zu sein, mir selbst (weil mir nicht zu rechter Zeit einfiel, den Artikel Abdera im Bayle nachzuschlagen,) eben so viele Stunden gekostet hat? Würdet ihr mir doch geduldig zugehöret haben, wenn ich euch die Historie vom König in Böhmenland der sieben Schlösser hatte, oder die Geschichte der drei Calender zu erzählen, angefangen hätte.

Die Abderiten also, hätten (dem zufolge, was bereits von ihnen gemeldet worden ist,) ein so feines, lebhaftes, witziges und kluges Völkchen sein sollen, als jemals eines unter der Sonne gelebt hat. –

»Und warum dies?«

Diese Frage wird uns vermutlich nicht von den Gelehrten unter unsern Lesern gemacht. Aber, wer wollte auch Bücher schreiben, wenn alle Leser so gelehrt wären, als der Autor? Die Frage warum dies ist allemal eine sehr vernünftige Frage. Sie verdient, wo die Rede von menschlichen Dingen ist, allemal eine Antwort; und wehe dem, der verlegen, oder beschämt, oder ungehalten wird, wenn er sich auf warum dies vernehmen lassen soll. Wir unsers Orts würden die Antwort ungefodert gegeben haben, wenn die Leser nicht so hastig gewesen wären. Hier ist sie!

Teos war eine atheniensische Colonie, von den zwölfen oder dreizehn eine, welche unter Anführung des Neleus, Kodrus Sohns, in Ionien gepflanzt wurden.

Die Athenienser waren von je her ein muntres und geistreiches Volk, und sind es noch, wie man sagt. Athenienser, nach Ionien versetzt, gewannen unter dem schönen Himmel, der dieses von der Natur verzärtelte Land umfließt, wie Burgunderreben durch Verpflanzung aufs Vorgebirge. Vor allen andern Völkern des Erdbodens waren die ionischen Griechen die Günstlinge der Musen. Homerus selbst war, der größten Wahrscheinlichkeit nach, ein Ionier. Die erotischen Gesänge, die milesischen Fabeln (die Vorbilder unsrer Novellen und Romanen,) erkennen Ionien für ihr Vaterland. Der Horaz der Griechen Alcäus, die glühende Sappho, Anakreon, der Sänger – Aspasia, die Lehrerin – Apelles, der Maler – der Grazien, waren aus Ionien; Anakreon war sogar ein geborner Tejer. Dieser letzte mochte etwa ein Jüngling von achtzehn Jahren sein, (wenn anders Barnes recht gerechnet hat,) als seine Mitbürger nach Abdera zogen. Er zog mit ihnen; und zum Beweise, daß er seine den Liebesgöttern geweihte Leier nicht zurückgelassen, sang er dort das Lied an ein thracisches Mädchen, (in Barnesens Ausgabe das ein und sechzigste,) worin ein gewisser wilder thracischer Ton mit der ionischen Grazie, die seinen Liedern eigen ist, auf eine ganz besondere Art absticht.

Wer sollte nun nicht denken, die Tejer – in ihrem ersten Ursprung Athenienser – so lange Zeit in Ionien einheimisch – Mitbürger eines Anakreons – sollten auch in Thracien den Charakter eines geistreichen Volkes behauptet haben? Allein (was auch die Ursache davon gewesen sein mag,) das Gegenteil ist außer Zweifel. Kaum wurden die Tejer zu Abderiten, so schlugen sie aus der Art. Nicht daß sie ihre vormalige Lebhaftigkeit ganz verloren, und sich in Schöpse verwandelt hätten, wie Juvenal sie beschuldigt6. Ihre Lebhaftigkeit nahm nur eine wunderliche Wendung; und ihre Einbildung gewann einen so großen Vorsprung über ihre Vernunft, daß es dieser niemals wieder möglich war, sie einzuholen. Es mangelte den Abderiten nie an Einfällen; aber selten paßten ihre Einfälle auf die Gelegenheit, wo sie angebracht wurden; oder kamen erst, wenn die Gelegenheit vorbei war. Sie sprachen viel, aber immer ohne sich einen Augenblick zu bedenken, was sie sagen wollten, oder wie sie es sagen wollten. Die natürliche Folge hievon war, daß sie selten den Mund auftaten, ohne etwas albernes zu sagen. Zum Unglück erstreckte sich diese schlimme Gewohnheit auch auf ihre Handlungen; denn gemeiniglich schlossen sie den Käfig erst, wenn der Vogel entflogen war. Dies zog ihnen den Vorwurf der Unbesonnenheit zu, aber die Erfahrung bewies, daß es ihnen nicht besser ging, wenn sie sich besannen. Machten sie (welches ziemlich oft begegnete,) irgend einen sehr dummen Streich, so kam es immer daher, weil sie es gar zu gut machen wollten; und wenn sie in den Angelegenheiten ihres gemeinen Wesens recht lange und ernstliche Beratschlagungen hielten, so konnte man sicher darauf rechnen, daß sie unter allen möglichen Entschließungen die schlechteste ergreifen würden.

Sie wurden endlich zum Sprichwort unter den Griechen. Ein abderitischer Einfall, ein Abderitenstückchen war bei diesen ungefähr, was bei uns ein Schildbürger- oder bei den Helvetiern ein Lalleburgerstreich ist; und die guten Abderiten ermangelten nicht, die Spötter und Lacher reichlich mit sinnreichen Zügen dieser Art zu versehen. Für itzt mögen davon nur ein paar Beispiele zur Probe dienen. Einsmals fiel ihnen ein, daß eine Stadt wie Abdera billig auch einen schönen Brunnen haben müsse. Er sollte in die Mitte ihres großen Marktplatzes gesetzt werden, und zu Bestreitung der Kosten wurde eine neue Auflage gemacht. Sie ließen einen berühmten Bildhauer von Athen kommen, um eine Gruppe von Statuen zu verfertigen, welche den Gott des Meeres auf einem von vier Seepferden gezogenen Wagen, mit Nymphen, Tritonen und Delphinen umgeben, vorstellte. Die Seepferde und Delphinen sollten eine Menge Wassers aus ihren Nasen hervorspritzen. Aber wie alles fertig stund, fand sich, daß kaum Wasser genug da war, um die Nase eines einzigen Delphins zu befeuchten; und als man das Werk spielen ließ, sah es nicht anders aus, als ob alle diese Seepferde und Delphinen den Schnuppen hätten. Um nicht ausgelacht zu werden, ließen sie also die ganze Gruppe in den Tempel des Neptunus bringen; und so oft man sie einem Fremden wies, bedauerte der Küster sehr ernsthaft im Namen der löblichen Stadt Abdera, daß ein so herrliches Kunstwerk aus Kargheit der Natur unbrauchbar bleiben müsse. Ein andermal erhandelten sie eine sehr schöne Venus von Elfenbein, die man unter die Meisterstücke des Praxiteles zählte. Sie war ungefähr fünf Fuß hoch, und sollte auf einen Altar der Liebesgöttin gestellt werden. Als sie angelangt war, geriet ganz Abdera in Entzücken über die Schönheit ihrer Venus; denn die Abderiten gaben sich für feine Kenner und schwärmerische Liebhaber der Künste aus. Sie ist zu schön, riefen sie einhellig, um auf einem niedrigen Platze zu stehen. Ein Meisterstück, das der Stadt so viel Ehre macht, und so viel Geld gekostet hat, kann nicht zu hoch aufgestellt werden; sie muß das Erste sein, was den Fremden beim Eintritt in Abdera in die Augen fällt. Diesem glücklichen Gedanken zufolge stellten sie das kleine niedliche Bild auf einen Obelisk von achtzig Fuß; und wiewohl es nun unmöglich war zu erkennen, ob es eine Venus oder Austernymphe vorstellen sollte, so nötigten sie doch alle Fremden, zu gestehen, daß man nichts vollkommners sehen könne.

Uns dünkt, diese Beispiele beweisen schon hinlänglich, daß man den Abderiten kein Unrecht tat, wenn man sie für warme Köpfe hielt. Aber wir zweifeln, ob sich ein Zug denken läßt, der ihren Charakter stärker zeichnen könnte, als dieser: daß sie (nach dem Zeugnis des Justinus) die Frösche in und um ihre Stadt dergestalt über Land nehmen ließen, daß sie selbst endlich genötiget wurden, ihren quäkenden Mitbürgern Platz zu machen, und, bis zu Austrag der Sache, sich unter dem Schutze des Königs Kassander an einen dritten Ort zu begeben. Dies Unglück befiel die Abderiten nicht ungewarnt. Ein weiser Mann, der sich unter ihnen befand, sagte ihnen lange zuvor, daß es endlich so kommen würde. Der Fehler lag in der Tat bloß an den Mitteln, wodurch sie dem Übel steuern wollten; wiewohl sie nie dazu gebracht werden konnten, dies einzusehen. Was ihnen gleichwohl die Augen hätte öffnen sollen, war, daß sie kaum etliche Monate von Abdera weggezogen waren, als eine Menge von Kranichen aus der Gegend von Geranien ankamen, und ihnen alle ihre Frösche so rein wegputzten, daß eine Meile rings um Abdera nicht einer übrig blieb, der dem wiederkommenden Frühling Brekekek koax koax entgegen gesungen hätte.

Zweites Kapitel

Demokritus von Abdera

Ob und wie viel seine Vaterstadt berechtigt war, sich etwas auf ihn einzubilden?

Keine Luft ist so dicke, kein Volk so dumm, kein Ort so unberühmt, daß nicht zuweilen ein großer Mann daraus hervorgehen sollte, sagt Juvenal. Pindarus und Epaminondas wurden in Böotien geboren, Aristoteles zu Stagira, Cicero zu Arpinum, Virgil im Dörfchen Andes bei Mantua, Albertus Magnus zu Lauingen, Martin Luther zu Eisleben, Sixtus V. im Dorfe Montalto in der Mark Ancona, und einer der besten Könige, die jemals gewesen sind, zu Pau in Bearn. Was Wunder, wenn auch Abdera, zufälliger Weise, die Ehre hatte, daß der größte Naturforscher des Altertums, Demokritus, in ihren Mauern das Leben empfing!

Ich sehe nicht, wie ein Ort sich eines solchen Umstandes bedienen kann, um Ansprüche an den Ruhm eines großen Mannes zu machen. Wer geboren werden soll, muß irgendwo geboren werden; das übrige nimmt die Natur auf sich; und ich zweifle sehr, ob, außer dem Lykurgus, ein Gesetzgeber gewesen, der seine Fürsorge bis auf den Homunculus ausgedehnt, und alle mögliche Vorkehrungen getroffen hätte, damit dem Staat wohl organisierte, schöne, und seelenvolle Kinder geliefert würden. Wir müssen gestehen, in dieser Rücksicht hatte Sparta einiges Recht, sich mit den Vorzügen seiner Bürger Ehre zu machen. Aber in Abdera (wie beinahe in der ganzen Welt) ließ man den Zufall und den Genius walten,

– natale comes qui temperat astrum,

und wenn ein Protagoras8 oder Demokritus aus ihrem Mittel entsprang, so war die gute Stadt Abdera gewiß eben so unschuldig daran, als Lykurgus und seine Gesetze, wenn in Sparta ein Dummkopf oder eine Memme geboren wurde.

Diese Nachlässigkeit, wiewohl sie eine dem Staat äußerst angelegene Sache betrifft, möchte noch immer hingehen. Die Natur, wenn man sie nur ungestört arbeiten läßt, macht meistens alle weitere Fürsorge für das Geraten ihrer Werke überflüssig. Aber wiewohl sie selten vergißt, ihr Lieblingswerk mit allen den Fähigkeiten auszurüsten, aus welchen ein vollkommner Mensch gebildet werden könnte: so ist doch eben diese Ausbildung das, was sie der Kunst überläßt; und es bleibt also jedem Staate noch Gelegenheit genug übrig, sich ein Recht an die Vorzüge und Verdienste seiner Mitbürger zu erwerben. Allein auch hierin ließen die Abderiten sehr viel an ihrer Klugheit zu vermissen übrig; und man hätte schwerlich einen Ort finden können, wo für die Bildung des innern Gefühls, des Verstandes und des Herzens der künftigen Bürger weniger gesorgt worden wäre.

Die Bildung des Geschmacks, d.i. eines feinen, richtigen und gelehrten Gefühls alles Schönen, ist die beste Grundlage zu jener berühmten sokratischen Kalokagathie oder innerlichen Schönheit und Güte der Seele, welche den liebenswürdigen, edelmütigen, wohltätigen und glücklichen Menschen macht. Und nichts ist geschickter, dieses richtige Gefühl des Schönen in uns zu bilden als – wenn alles, was wir von der Kindheit an sehen und hören, schön ist. In einer Stadt, wo die Künste der Musen in der größten Vollkommenheit getrieben werden, in einer schön gebauten und mit Meisterstücken der bildenden Künste angefüllten Stadt, in einem Athen, geboren zu sein, ist daher allerdings kein geringer Vorteil; und wenn die Athenienser zu Platons und Menanders Zeiten mehr Geschmack hatten als tausend andere Völker, so hatten sie es unstreitig ihrem Vaterlande zu danken.

Abdera führte in einem griechischen Sprüchworte (über dessen Verstand die Gelehrten, nach ihrer Gewohnheit, nicht einig sind,) den Beinamen, womit Florenz unter den italiänischen Städten prangt – die Schöne. Wir haben schon bemerkt, daß die Abderiten Enthusiasten der schönen Künste waren; und in der Tat, zur Zeit ihres größten Flors, das ist, eben damals, da sie auf einige Zeit den Fröschen Platz machen mußten, war ihre Stadt voll prächtiger Gebäude, reich an Malereien und Bildsäulen, mit einem schönen Theater und Musiksaal (Odeion) versehen, kurz, ein kleines Athen – bloß den Geschmack ausgenommen. Denn zum Unglück erstreckte sich die wunderliche Laune, von welcher wir oben gesprochen haben, auch auf ihre Begriffe vom Schönen und Anständigen. Latona, die Schutzgöttin ihrer Stadt, hatte den schlechtesten Tempel; Jason, der Anführer der Argonauten, hingegen (dessen goldenes Vließ sie zu besitzen vorgaben,) den prächtigsten. Ihr Rathaus sah wie ein Magazin aus, und unmittelbar vor dem Saale, wo die Angelegenheiten des Staats erwogen wurden, hatten alle Kräuter-, Obst- und Eierweiber von Abdera ihre Niederlage. Hingegen ruhte das Gymnasium, worin sich ihre Jugend im Ringen und Fechten übte, auf einer dreifachen Säulenreihe. Der Fechtsaal war mit lauter Schildereien von Beratschlagungen und mit Statuen in ruhigen oder tiefsinnigen Stellungen ausgeziert9. Dafür aber stellte das Rathaus den Vätern des Vaterlandes eine desto reizendre Augenweide dar. Denn wohin sie in dem Saal ihrer gewöhnlichen Sitzungen die Augen warfen, glänzten ihnen schöne nackende Kämpfer, oder badende Dianen und schlafende Bacchanten entgegen; und Venus mit ihrem Buhler, im Netze Vulcans allen Einwohnern des Olympus zur Schau ausgestellt, (ein großes Stück, welches dem Sitz des Archons gegenüber hing,)wurde den Fremden mit einem Triumphe gezeigt, der den ernsten Phocion selbst genötiget hätte, zum erstenmal in seinem Leben zu lachen. Der König Lysimachus (sagten sie,) habe ihnen sechs Städte und ein Gebiet von vielen Meilen dafür angeboten; aber sie hätten sich nicht entschließen können, ein so herrliches Stück hinzugeben, zumal da es – gerade die Höhe und Breite habe, um eine ganze Seite der Ratsstube eizunehmen; und über dies habe einer ihrer Kunstrichter in einem weitläuftigen, mit großer Gelehrsamkeit angefüllten Werke die Beziehung des allegorischen Sinnes dieser Schilderei auf den Platz, wo sie stehe, sehr scharfsinnig dargetan.

Wir würden nicht fertig werden, wenn wir alle Unschicklichkeiten, wovon diese wundervolle Republik wimmelte, berühren wollten. Aber noch eine können wir nicht vorbeigehen, weil sie einen wesentlichen Zug ihrer Verfassung betrifft, und keinen geringen Einfluß auf den Charakter der Abderiten hatte. In den ältesten Zeiten der Stadt war, vermutlich einem orphischen Institut zufolge, der Nomophylax, oder Beschirmer der Gesetze, (eine der obersten Magistratspersonen,) zugleich Vorsänger bei den gottesdienstlichen Chören, und Oberaufseher über das Musikwesen. Dies hatte damals seinen guten Grund. Allein mit der Länge der Zeit ändern sich die Gründe der Gesetze; diese werden alsdann durch buchstäbliche Erfüllung lächerlich, und müssen also nach den veränderten Umständen umgegossen werden. Aber eine solche Betrachtung kam nicht in abderitische Köpfe. Es hatte sich öfters zugetragen, daß ein Nomophylax erwählt wurde, der zwar die Gesetze ganz leidlich beschirmte, aber entweder schlecht sang, oder gar nichts von der Musik verstund. Was hatten die Abderiten zu tun? Nach häufigen Beratschlagungen machten sie endlich die Verordnung: Der beste Sänger aus Abdera sollte hinfür allezeit auch Nomophylax sein; und dabei blieb es, so lang Abdera stund. Daß der Nomophylax und der Vorsänger zwo verschiedene Personen sein könnten, war in zwanzig öffentlichen Beratschlagungen keiner Seele eingefallen.

Es ist leicht zu erachten, daß die Musik, bei so bewandten Sachen, zu Abdera in großer Achtung stehen mußte. Alles in dieser Stadt war musikalisch; alles sang, flötete und leierte. Ihre Sittenlehre und Politik, ihre Theologie und Kosmologie, war auf musikalische Grundsätze gebaut; ja, ihre Ärzte heilten sogar die Krankheiten durch Tonarten und Melodien. So weit scheint ihnen, was die Speculation betrifft, das Ansehen der größten Weisen des Altertums, eines Orpheus, Pythagoras und Plato, zu statten zu kommen. Aber in der Ausübung entfernten sie sich desto weiter von der Strenge dieser Philosophen. Plato verweiset alle sanften und weichlichen Tonarten aus seiner Republik; die Musik soll seinen Bürgern weder Freude noch Traurigkeit einflößen; er verbannet mit den ionischen und lydischen Harmonien10 alle Trink- und Liebeslieder; ja die Instrumente selbst scheinen ihm so wenig gleichgültig, daß er vielmehr die vielsaitigen, und die lydische Flöte, als gefährliche Werkzeuge der Üppigkeit ausmustert, und seinen Bürgern nur die Leier und die Cithar, so wie den Hirten und dem Landvolke nur die Rohrpfeife gestattet. So strenge philosophierten die Abderiten nicht. Keine Tonart, kein Instrument war bei ihnen ausgeschlossen, und – einem sehr wahren, aber sehr oft von ihnen mißverstandnen Grundsatze zufolge – behaupteten sie: daß man alle ernsthaften Dinge lustig, und alle lustigen ernsthaft behandeln müsse. Die Ausdehnung dieser Maxime auf die Musik brachte bei ihnen die widersinnigsten Wirkungen hervor. Ihre gottesdienstlichen Gesänge klangen wie Gassenlieder; allein dafür konnte man nichts feierlichers hören, als die Melodie ihrer Tänze. Die Musik zu einem Trauerspiel war gemeiniglich komisch; hingegen klangen ihre Kriegslieder so schwermütig, daß sie sich nur für Leute schickten, die an den Galgen gehen. Diese Widersinnigkeit erstreckte sich über alle Gegenstände des Geschmacks. Ein Leierspieler wurde in Abdera nur dann für vortrefflich gehalten, wenn er die Saiten so zu rühren wußte, daß man eine Flöte zu hören glaubte; und eine Sängerin, um bewundert zu werden, mußte gurgeln und trillern wie eine Nachtigall. Die Abderiten hatten keinen Begriff davon, daß die Musik nur in so fern Musik ist, als sie das Herz rührt: sie waren wohl zufrieden, wenn nur ihre Ohren gekützelt, oder wenigstens mit nichtssagenden, aber vollen und oft abwechselnden Harmonien gestopft wurden. Mit einem Worte, bei aller ihrer Schwärmerei für die Künste hatten die Abderiten keinen Geschmack; und es ahnete ihnen gar nicht, daß das Schöne aus einem höhern Grunde schön sei, als weil es ihnen so beliebte.

Dieses alles ungeachtet, konnte Natur, Zufall und gutes Glück mit zusammengesetzten Kräften wohl einmal so viel zuwege bringen, daß ein geborner Abderite Menschenverstand bekam. Aber wenigstens muß man gestehen, wenn sich so etwas begab, so hatte Abdera nichts dabei geholfen. Denn ein Abderit war ordentlicher Weise nur in so fern klug, als er kein Abderit war; – ein Umstand, der uns ohne Mühe begreifen läßt, warum die Abderiten von demjenigen unter ihren Mitbürgern, der ihnen in den Augen der Welt am meisten Ehre machte, immer am wenigsten hielten. Dies war keine ihrer gewöhnlichen Widersinnigkeiten. Sie hatten eine Ursache dazu, die so natürlich ist, daß es unbillig wäre, sie ihnen zum Vorwurf zu machen.

Diese Ursache war nicht (wie einige sich einbilden), weil sie z.E. den Naturforscher Demokritus – lange zuvor, eh er ein großer Mann war – mit dem Kreisel spielen, oder auf einem Grasplatze Burzelbäume machen gesehen hatten. –

Auch nicht: weil sie aus Neid oder Eifersucht nicht leiden konnten, daß einer aus ihrem Mittel klüger sein sollte als sie. Denn – bei der untrüglichen Aufschrift der Pforte des delphischen Tempels! – dies zu denken hatte kein einziger Abderit Weisheit genug, oder er würde von dem Augenblick an kein Abderit mehr gewesen sein.

Der wahre Grund, meine Freunde, warum die Abderiten aus ihrem Mitbürger Demokritus nicht viel machten, war dieser: weil sie ihn für – keinen weisen Mann hielten.

»Warum das nicht?«

Weil sie nicht konnten.

»Und warum konnten sie nicht?«

Weil sie sich alsdann selbst für Dummköpfe hätten halten müssen. Und dies zu tun waren sie gleichwohl nicht widersinnisch genug.

Auch hätten sie eben so leicht auf dem Kopfe tanzen, oder den Mond mit den Zähnen fassen, oder den Zirkel quadrieren können, als einen Menschen, der in Allem ihr Gegenfüßler war, für einen weisen Mann zu halten. Dies folgt aus einer Eigenschaft der menschlichen Natur, die schon zu Adams Zeiten bemerkt worden sein muß, und gleichwohl, da Helvetius daraus folgerte – was daraus folgt, vielen ganz neu vorkam; die seit dieser Zeit niemanden mehr neu ist, und dennoch im Leben alle Augenblicke Vergessen wird.

Drittes Kapitel

Was Demokritus für ein Mann war

Seine Reisen

Er kommt nach Abdera zurück

Was er mitbringt, und wie er aufgenommen wird

Ein Examen, das sie mit ihm vornehmen, welches zugleich eine Probe einer abderitischen Conversation ist

Demokritus – ich denke nicht, daß es Sie gereuen wird, den Mann näher kennen zu lernen –

Demokritus war ungefähr zwanzig Jahre alt, als er seinen Vater, einen der reichsten Bürger von Abdera, erbte. Anstatt nun darauf zu denken, wie er seinen Reichtum erhalten oder vermehren, oder auf die angenehmste oder lächerlichste Art durchbringen wollte, entschloß sich der junge Mensch, solchen zum Mittel – der Vervollkommnung seiner Seele zu machen.

»Aber was sagten die Abderiten zum Entschlusse des jungen Demokritus?«

Die guten Leute hatten sich nie träumen lassen, daß die Seele ein anderes Interesse habe, als der Magen, der Bauch und die übrigen integranten Teile des sichtbaren Menschen. Also mag ihnen freilich diese Grille ihres Landsmannes wunderlich genug vorgekommen sein. Allein, dies war nun gerade was er sich am wenigsten anfechten ließ. Er ging seinen Weg fort, und brachte viele Jahre mit gelehrten Reisen durch alle festen Länder und Inseln zu, die man damals bereisen konnte. Denn wer zu seiner Zeit weise werden wollte, mußte mit eignen Augen sehen. Es gab noch keine Buchdruckereien, keine Journale, Bibliotheken, Magazine, Encyklopädien, Realwörterbücher, und wie alle die Werkzeuge heißen, mit deren Hülfe man itzt, ohne zu wissen wie, ein Philosoph, ein Kunstrichter, ein Autor, ein Alleswisser wird. Damals war die Weisheit so teuer, und noch teurer als – die schöne Lais. Nicht jedermann konnte nach Korinth reisen. Die Anzahl der Weisen war sehr klein; aber die es waren, waren es auch desto mehr.

Demokritus reisete nicht bloß um der Menschen Sitten und Verfassungen zu beschauen, wie Ulysses; nicht bloß um Priester und Geisterseher aufzusuchen, wie Plato; oder um Tempel, Statuen, Gemälde und Altertümer zu begucken, wie Pausanias; oder um Pflanzen und Tiere abzuzeichnen und unter Classen zu bringen, wie Doctor Solander: sondern er reisete, um Natur und Kunst in allen ihren Wirkungen und Ursachen, den Menschen in seiner Nacktheit und in allen seinen Einkleidungen und Verkleidungen, roh und bearbeitet, bemalt und unbemalt, ganz und verstümmelt, und die übrigen Dinge in allen ihren Beziehungen auf den Menschen, kennen zu lernen. Die Raupen in Aethiopien (sagte Demokritus,) sind freilich nur – Raupen. Was ist eine Raupe, um das erste, angelegenste, einzige Studium eines Menschen zu sein, Aber, da wir nun einmal in Aethiopien sind, so sehen wir uns immer, nebenher, auch nach den äthiopischen Raupen um. Es gibt eine Raupe im Lande der Seren, welche Millionen Menschen kleidet und nährt: wer weiß ob es nicht auch am Niger nützliche Raupen gibt?

Mit dieser Art zu denken hatte sich Demokritus auf seinen Reisen einen Schatz von Wissenschaft gesammelt, der in seinen Augen alles Gold in den Schatzkammern des Königs von Indien und alle Perlen an den Hälsen und Armen seiner Weiber wert war. Er kannte von der Zeder Libanons bis zum Schimmel eines arkadischen Käses eine Menge von Bäumen, Stauden, Kräutern, Gräsern und Moosen; nicht etwan bloß nach ihrer Gestalt, und nach ihren Namen, Geschlechtern und Arten: er kannte auch ihre Eigenschaften, Kräfte und Tugenden. Aber, was er tausendmal höher schätzte als alle seine übrigen Kenntnisse, er hatte allenthalben, wo er es der Mühe wert fand sich aufzuhalten, die Weisesten und die Besten kennen gelernt. Es hatte sich bald gezeigt, daß er ihres Geschlechtes war. Sie waren also seine Freunde geworden, hatten sich ihm mitgeteilt, und ihm dadurch die Mühe erspart, eignen Fleißes, Jahre lang, und vielleicht doch vergebens, zu suchen, was sie mit Aufwand und Mühe oder auch wohl nur glücklicher Weise schon gefunden hatten.

Bereichert mit allen diesen Schätzen des Geistes und Herzens kam Demokritus, nach einer Reise von zwanzig Jahren, zu den Abderiten zurück, die seiner beinahe vergessen hatten. Er war ein feiner stattlicher Mann; höflich und abgeschliffen, wie ein Mann, der mit mancherlei Arten von Erdensöhnen umzugehen gelernt hat, zu sein pflegt; ziemlich braungelb von Farbe; kam von den Enden der Welt, und hatte ein ausgestopftes Krokodil, einen lebendigen Affen, und viele andere sonderbare Sachen mitgebracht. Die Abderiten sprachen etliche Tage von nichts anderm, als von ihrem Mitbürger Demokritus, der wieder gekommen war und Affen und Krokodile mitgebracht hatte. Allein in kurzer Zeit zeigte sichs, daß sie sich in ihrer Meinung von einem so weit gereiseten Manne sehr verrechnet hatten.

Demokritus war von den wackern Männern, denen er indessen die Besorgung seiner Güter anvertrauet hatte, um die Hälfte betrogen worden, und gleichwohl unterschrieb er ihre Rechnungen ohne Widerrede. Natürlicher Weise mußte dies der guten Meinung von seinem Verstande den ersten Stoß geben. Die Advocaten und Richter wenigstens, die sich zu einem einträglichen Processe Hoffnung gemacht hatten, merkten mit einem bedeutenden Achselzucken an, daß es bedenklich sein würde, einem Manne, der seinem eigenen Hause so schlecht vorstehe, das gemeine Wesen anzuvertrauen. Indessen zweifelten die Abderiten nicht, daß er sich nun unter die Mitwerber um ihre vornehmsten Ehrenämter stellen würde. Sie berechneten schon, wie hoch sie ihm ihre Stimme verkaufen wollten; gaben ihm eine Tochter, Enkelin, Schwester, Nichte, Base, Schwägerin zur Ehe; überschlugen die Vorteile, die sie zur Erhaltung dieser oder jener Absicht von seinem Ansehen ziehen wollten, wenn er einmal Archon oder Priester der Latona sein würde, u.s.w. Aber Demokritus erklärte sich, daß er weder ein Ratsherr von Abdera, noch der Ehgemahl eine Abderitin sein wollte, und vereitelte dadurch abermal alle ihre Anschläge. Nun hoffte man wenigstens durch seinen Umgang in etwas entschädiget zu werden. Ein Mann, welcher Affen, Krokodile und zahme Drachen von seinen Reisen mitgebracht hatte, mußte eine ungeheure Menge Wunderdinge zu erzählen haben. Man erwartete, daß er von zwölfellenlangen Riesen und von sechsdaumenhohen Zwergen, von Menschen mit Hund- und Eselsköpfen, von Meerfrauen mit grünen Haaren, von weißen Negern, und blauen Centauren sprechen würde. Aber Demokritus log so wenig, und in der Tat weniger, als ob er nie über den thracischen Bosporus gekommen wäre.

Man fragte ihn, ob er im Lande der Garamanten keine Leute ohne Kopf angetroffen habe, welche die Augen, die Nase und den Mund auf der Brust trügen; und ein abderitischer Gelehrter (der, ohne jemals aus den Mauern seiner Stadt gekommen zu sein, sich die Miene gab, als ob kein Winkel des Erdbodens wäre, den er nicht durchkrochen hätte,) bewies ihm in großer Gesellschaft, daß er entweder nie in Aethiopien gewesen sei, oder dort notwendig mit den Agriophagen, deren König nur ein Auge über der Nase hat, mit den Sambern, die allezeit einen Hund zu ihrem König erwählen, und mit den Artabatiten, die auf allen Vieren gehen, Bekanntschaft gemacht haben müsse11. Und wofern Sie bis in den äußersten Teil des abendländischen Aethiopien eingedrungen sind, fuhr der gelehrte Mann fort, so bin ich gewiß, daß Sie ein Volk ohne Nasen angetroffen haben, und ein anderes, wo die Leute einen so kleinen Mund führen, daß sie ihre Suppe durch Strohhalmen einzuschlürfen genötiget sind12.

Demokritus beteuerte beim Kastor und Pollux, daß er sich nicht erinnere, diese Ehre gehabt zu haben.

Wenigstens, sagte jener, haben Sie in Indien Menschen angetroffen, die nur ein einziges Bein auf die Welt bringen, aber dem ungeachtet wegen der außerordentlichen Breite ihres Fußes so geschwind auf dem Boden fortrutschen, daß man ihnen zu Pferde kaum nachkommen kann13. Und was sagten Sie dazu, wie Sie an der Quelle des Ganges ein Volk antrafen, das ohne alle andre Nahrung vom bloßen Geruche wilder Äpfel lebt14?

O erzählen Sie uns doch, riefen die schönen Abderitinnen, erzählen Sie doch, Herr Demokritus! Was müßten Sie uns nicht erzählen können, wenn Sie nur wollten!

Demokritus schwur vergebens, daß er von allen diesen Wundermenschen in Aethiopien und Indien nichts gesehen noch gehört habe.

Aber was haben Sie denn gesehen, fragte ein runder dicker Mann, der zwar weder einäugig war wie die Agriophagen, noch eine Hundsschnauze hatte wie die Cymolgen, noch die Augen auf den Schultern trug wie die Omophthalmen, noch vom bloßen Geruche lebte wie die Paradiesvögel, aber doch gewiß nicht mehr Gehirn in seinem großen Schädel trug, als ein mexicanischer Colibri, ohne darum weniger ein Ratsherr von Abdera zu sein – Aber was haben Sie denn gesehen, sagte Wanst, Sie, der zwanzig Jahre in der Welt herum gefahren sind, wenn Sie nichts von allem dem gesehen haben, was man in fernen Landen wunderbares sehen kann?

Wunderbares? versetzte Demokritus lächelnd. Ich hatte so viel mit Betrachtung des Natürlichen zu tun, daß ich fürs Wunderbare keine Zeit übrig behielt.

Nun das gesteh ich, erwiderte Wanst; das verlohnt sich auch der Mühe, alle Meere zu durchfahren, und über alle Berge zu steigen, um nichts zu sehen, als was man zu Hause eben so gut sehen konnte!

Demokritus zankte sich nicht gerne mit den Leuten um ihre Meinungen, am allerwenigsten mit Abderiten; und gleichwohl wollt' er auch nicht, daß es aussehen sollte, als ob er gar nichts sagen könne. Er suchte unter den schönen Abderitinnen, die in der Gesellschaft waren, eine aus, an die er das richten könnte, was er sagen wollte; und fand eine mit zwei großen junonischen Augen, die ihn, trotz seiner physiognomischen Kenntnisse, verführten, ihrer Eigentümerin etwas mehr Verstand oder Empfindung zuzutrauen als den übrigen. Was wollten Sie, sagte er zu ihr, daß ich, zum Exempel, mit einer Dame, die die Augen auf der Stirne oder am Ellebogen trüge, hätte anfangen sollen? Oder was würde mirs nun helfen, wenn ich noch so gelehrt in der Kunst wäre, das Herz einer – Menschenfresserin zu rühren? Ich habe mich immer zu wohl befunden, mich der sanften Gewalt von zwei schönen Augen, die an ihrem natürlichen Platze stehen, zu überlassen, um jemals eine Versuchung zu bekommen, das große Stierauge auf der Stirn einer Cyklopin zärtlich zu sehen.

Die Schöne mit den großen Augen, zweifelhaft, was sie aus dieser Anrede machen sollte, guckte dem Mann, der so sprach, mit stummer Verwunderung in den Mund, lächelte ihm ihre schönen Zähne vor, und sah sich zur rechten und linken Seite um, als ob sie den Verstand seiner Rede suchen wollte.

Die übrigen Abderitinnen hatten zwar eben so wenig davon begriffen; weil sie aber aus dem Umstande, daß er sich gerade an die Großäugige gewendet hatte, schlossen, er habe ihr etwas Schönes gesagt: so sahen sie einander jede mit einer eignen Grimasse an. Diese rümpfte eine kleine Stumpfnase, jene zog den Mund in die Länge, eine dritte spitzte den ihrigen, der ohnehin groß genug war, eine vierte riß ein paar kleine Augen auf, eine fünfte brüstete sich mit zurückgezogenem Kopfe, u.s.w. Demokritus sah es, erinnerte sich, daß er in Abdera war, und schwieg.

Viertes Kapitel

Das Examen wird fortgesetzt, und verwandelt sich in eine Disputation über die Schönheit, wobei dem Demokritus sehr warm gemacht wird

Schweigen – ist zuweilen eine Kunst; aber doch nie eine so große, als uns gewisse Leute glauben machen wollen, die dann am klügsten sind, wenn sie schweigen.

Wenn ein weiser Mann sieht, daß er es mit Kindern zu tun hat, warum sollt' er sich zu weise dünken, nach ihrer Art mit ihnen zu reden?

Ich bin zwar (sagte Demokritus zu seiner neugierigen Gesellschaft) aufrichtig genug gewesen, zu gestehen, daß ich von allem, was man will, daß ich gesehen haben sollte, nichts gesehen habe; aber bilden Sie sich darum nicht ein, daß mir auf so vielen Reisen zu Wasser und zu Lande nichts aufgestoßen sei, das Ihre Neubegierde befriedigen könnte. Glauben Sie mir, es sind Dinge darunter, die Ihnen vielleicht noch wunderbarer vorkommen würden, als diejenigen, wovon die Rede war.

Bei diesen Worten rückten die schönen Abderitinnen näher und spitzten Mund und Ohren. Das ist doch ein Wort von einem gereisten Manne, rief der kurze dicke Ratsherr. Des Gelehrten Stirne entrunzelte sich durch die Hoffnung, daß er etwas zu tadeln und zu verbessern bekommen würde, Demokritus möchte auch sagen was er wollte.

Ich befand mich einst in einem Lande, fing Demokritus an, wo es mir so wohl gefiel, daß ich in den ersten drei oder vier Tagen, die ich darinnen zubrachte, unsterblich zu sein wünschte, um ewig darin zu leben.

»Ich bin nie aus Abdera gekommen, sagte der Ratsmann; aber ich dachte immer, daß es keinen Ort in der Welt gäbe, wo es mir besser gefallen könnte, als in Abdera. Auch geht es mir gerade, wie Ihnen mit dem Lande wo es Ihnen so wohl gefiel; ich wollte mit Freuden auf die ganze übrige Welt Verzicht tun, wenn ich nur ewig in Abdera leben könnte! Aber warum gefiel es Ihnen nur drei Tage lang so wohl in dem Lande?«

Sie werden es gleich hören. Stellen Sie sich ein unermeßliches Land vor, dem die angenehmste Abwechslung von Bergen, Tälern, Wäldern, Hügeln und Auen unter der Herrschaft eines ewigen Frühlings und Herbstes, allenthalben wohin man sieht, das Ansehen des herrlichsten Lustgartens gibt: alles angebaut und bewässert, alles blühend und fruchtbar; allenthalben ein ewiges Grün, und immer frische Schatten und Wälder von den schönsten Fruchtbäumen, Datteln, Feigen, Zitronen, Granaten, die ohne Pflege, wie in Thracien die Eicheln, wachsen; Haine von Myrten und Schasmin; Amors und Cytheräens Lieblingsblume nicht auf Hecken, wie bei uns, sondern in dichten Büscheln auf großen Bäumen wachsend, und vollaufgeblüht wie die Busen meiner schönen Mitbürgerinnen –

(Dies hatte Demokritus nicht gut gemacht; und es kann künftigen Erzählern zur Warnung dienen, daß man sich vorher wohl in seiner Gesellschaft umsehen muß, ehe man Complimente dieser Art wagt, so verbindlich sie auch an sich selbst klingen mögen. Die Schönen hielten die Hände vor die Augen und erröteten. Denn zum Unglück war unter den Anwesenden keine, die dem schmeichelhaften Gleichnis Ehre gemacht hätte; wiewohl sie nicht ermangelten sich aufzublähen so gut sie konnten.)

– und diese reizenden Haine, fuhr er fort, vom lieblichen Gesang unzähliger Arten von Vögeln belebt, und mit tausend bunten Papageien erfüllt, deren Farben im Sonnenglanz die Augen blenden. Welch ein Land! Ich begriff nicht, warum die Göttin der Liebe Cythere zu ihrem Wohnsitz erwählt hätte, da ein Land wie dieses in der Welt war. Wo hätten die Grazien angenehmer tanzen können, als am Rande von Bächen und Quellen, wo, zwischen kurzem dichtem Gras vom lebhaftesten Grün, Lilien und Hyacinthen, und zehen Tausenden noch schönern Blumen, die in unsrer Sprache ohne Namen sind, freiwillig hervorblühn, und die Luft mit wollüstigen Wohlgerüchen erfüllen?

Die schönen Abderitinnen hatten, wie leicht zu erachten, die Einbildungskraft nicht weniger lebhaft als die Abderiten; und das Gemälde, das ihnen Demokritus, ohne dabei an Arges zu denken, vorstellte, war mehr, als ihre kleinen Seelchen aushalten konnten. Einige seufzten laut vor Behäglichkeit; andere sahen aus, als ob sie die wollüstigen Gerüche, die in ihrer Phantasie düfteten, mit Mund und Nase einschlürfen wollten; die schöne Juno sank mit dem Kopf auf ein Polster des Kanapees zurück, schloß ihre großen Augen halb, und befand sich unvermerkt am blumichten Rand einer dieser schönen Quellen, von Rosen und Zitronenbäumen umschattet, aus deren Zweigen Wolken von ambrosischen Düften auf sie herab wallten. In einer sanften Betäubung von süßen Empfindungen begann sie eben einzuschlummern: als sie einen Jüngling, schön wie Bacchus und dringend wie Amor, zu ihren Füßen liegen sah. Sie richtete sich auf, ihn desto besser betrachten zu können, und sah ihm so schön, so zärtlich, daß die Worte, womit sie seine Verwegenheit bestrafen wollte, auf ihren Lippen erstarben. Kaum hatte sie –

Und wie meinen Sie (fuhr Demokritus fort) nennt sich dies zauberische Land, von dessen Schönheiten alles, was ich davon sagen könnte, Ihnen kaum den Schatten eines Begriffs geben würde? Es ist eben dieses Aethiopien, welches mein gelehrter Freund hier mit Ungeheuern von Menschen bevölkert, die eines so schönen Vaterlandes ganz unwürdig sind. Aber eine Sache, die er mir für wahr nachsagen kann, ist: daß es im ganzen Aethiopien und Libyen, wiewohl diese Namen eine Menge verschiedener Völker umfassen, keinen Menschen gibt, der seine Nase nicht eben da trüge wo wir, nicht eben so viel Augen und Ohren hätte als wir, und kurz –

Ein großer Seufzer von derjenigen Art, wodurch sich ein von Schmerz oder Vergnügen gepreßtes Herz Luft zu machen sucht, hob in diesem Augenblicke den Busen der schönen Abderitin, welche, während daß Demokritus in seiner Rede fortfuhr, in dem Traumgesichte, worin wir sie zu belauschen Bedenken trugen, (wie es scheint,) auf einen Umstand gekommen war, an welchem ihr Herz auf die eine oder andre Art sehr lebhaft Anteil nahm. Da die übrigen Anwesenden nicht wissen konnten, daß die gute Dame einige hundert Meilen weit von Abdera unter einem äthiopischen Rosenbaum, in einem Meer der süßesten Wohlgerüche schwamm, tausend neue Vögel das Glück der Liebe singen hörte, tausend bunte Papageien vor ihren Augen herum flattern sah, und, zum Überfluß, einen Jüngling mit gelben Locken und Korallenlippen zu ihren Füßen liegen hatte, – so war es natürlich, daß man den besagten Seufzer mit einem allgemeinen Erstaunen empfing. Man begriff nichts davon, daß die letzten Worte Demokrits die Ursache einer solchen Wirkung gewesen sein könnten. Was fehlt Ihnen, Lysandra? riefen die Abderitinnen aus Einem Munde, indem sie sich sehr besorgt um sie stellten. Die schöne Lysandra, die in diesem Augenblicke wieder gewahr wurde, wo sie war, errötete, und versicherte, daß es nichts sei. Demokritus, der nun zu merken anfing was es war, stund ihnen gut dafür, daß ein paar Züge frische Luft alles wieder gut machen würden; aber in seinem Herzen beschloß er, künftig seine Gemälde nur mit Einer Farbe zu malen, wie die Maler in Thracien. Gerechte Götter! dacht er, was für eine Einbildungskraft diese Abderitinnen haben!

Nun meine schönen Neugierigen, fuhr Demokritus fort, was meinen Sie, von welcher Farbe die Einwohner eines so schönen Landes sind?

»Von welcher Farbe? – Warum sollten sie eine andre Farbe haben als die übrigen Menschen? Sagten Sie uns nicht, daß sie die Nase mitten im Gesichte trügen, und in allem Menschen wären wie wir Griechen?«

Menschen, ohne Zweifel; aber sollten sie darum weniger Menschen sein, wenn sie schwarz oder olivenfarb wären?

»Was meinen Sie damit?«

Ich meine, daß die schönsten unter den äthiopischen Nationen (nämlich diejenigen, die nach unserm Maßstabe die schönsten, das ist, uns die ähnlichsten sind,) durchaus olivenfarb wie die Aegyptier, und diejenigen, welche tiefer im festen Lande und in den mittäglichsten Gegenden wohnen, vom Kopf bis zur Fußsohle so schwarz und noch ein wenig schwärzer sind als die Raben zu Abdera.

»Was Sie sagen! – Und erschrecken die Leute nicht vor einander, wenn sie sich ansehen?«

Erschrecken: Warum dies? Sie gefallen sich sehr mit ihrer Rabenschwärze, und finden, daß nichts schöner sein kann.

»O das ist lustig! – riefen die Abderitinnen! – Schwarz am ganzen Leibe, als ob sie mit Pech überzogen wären, sich von Schönheit träumen zu lassen! Was das für ein dummes Volk sein muß! Haben sie denn keine Maler, die ihnen den Apollo, den Bacchus, die Göttin der Liebe, und die Grazien malen könnten? Oder könnten sie nicht schon vom Homer lernen daß Juno weiße Arme, Thetis Silberfüße, und Aurora Rosenfinger hat?«

Ach, erwiderte Demokritus, die guten Leute haben keinen Homer; oder wenn sie einen haben, so dürfen wir uns darauf verlassen, daß seine Juno kohlschwarze Arme hat. Von Malern habe ich in Aethiopien nichts gehört. Aber ich sah ein Mädchen, dessen Schönheit unter seinen Landesleuten beinahe eben so viel Unheil anrichtete, als die Tochter der Leda unter den Griechen und Trojanern; und diese africanische Helena war schwärzer als Ebenholz.

»O beschreiben Sie uns doch dies Ungeheuer von Schönheit« – riefen die Abderitinnen, die, aus dem natürlichsten Grunde von der Welt, an dieser Unterredung unendlich viel Vergnügen fanden.

Sie werden Mühe haben sich einen Begriff davon zu machen. Stellen Sie sich das völlige Gegenteil des griechischen Ideals der Schönheit vor: die Größe einer Grazie, und die Dicke einer Ceres; schwarze Haare, aber nicht in langen wallenden Locken um die Schultern fließend, sondern kurz und von Natur kraus wie Schafwolle. Die Stirne breit und stark gewölbt; die Nase kurz aufgestülpt, und in der Mitte des Knorpels flach gedrückt; die Wangen rund wie die Backen eines Trompeters, der Mund groß – (Philinna lächelte, um zu zeigen, wie klein der ihrige sei.)

Die Lippen sehr dick und aufgeworfen, und zwo Reihen von Zähnen wie Perlenschnuren –

(Die Schönen lachten insgesamt, wiewohl sie keine andre Ursache dazu haben konnten, als ihre eignen Zähne zu weisen: denn was war sonst hier zu lachen?)

»Aber ihre Augen?« fragte Lysandra. –

O was die betrifft, die waren so klein und so wasserfarbig, daß ich lange nicht von mir erhalten konnte, sie schön zu finden – »Demokritus ist für Homers Kuhaugen, wie es scheint«, sagte Myris, indem sie einen höhnischen Seitenblick auf die Schöne mit den großen Augen warf.

In der Tat, (versetzte Demokritus, mit einer Miene, woraus ein Tauber geschlossen hätte, daß er ihr die größte Schmeichelei sage,) schöne Augen müßten sehr groß sein, wenn ich sie zu groß finden sollte; und häßliche können, deucht mich, nie zu klein sein.

Die schöne Lysandra warf einen triumphierenden Blick auf ihre Schwestern, und schüttete dann eine ganze Glorie von Zufriedenheit aus ihren großen Augen auf den glücklichen Demokrit herab.

»Darf man wissen, was Sie unter schönen Augen verstehen?« fragte die kleine Myris, indem sich ihre Nase merklich spitzte.

Ein Blick der schönen Lysandra schien ihm zu sagen: Sie werden nicht verlegen sein, die Antwort auf diese Frage zu finden.

Ich verstehe darunter Augen, in denen sich eine schöne Seele malt, sagte Demokritus.

Lysandra sah albern aus, wie eine Person, der man etwas unerwartetes gesagt hat, und die keine Antwort darauf finden kann. Eine schöne Seele! – dachten die Abderitinnen alle zugleich – Was für wunderliche Dinge der Mann aus fernen Landen mitgebracht hat! Eine schöne Seele! Dies ist noch über seine Affen und Papageien!

»Aber mit allen diesen Subtilitäten, sagte der dicke Ratsherr, kommen wir von der Hauptsache ab. Mir deucht, die Rede war von der schönen Helena aus Aethiopien, und ich möchte doch wohl hören, was die ehrlichen Leute so schönes an ihr finden konnten?«

Alles, antwortete Demokritus.

»So müssen sie gar keinen Begriff von Schönheit haben«, sagte der Gelehrte.