Agenten, Saboteure und Deserteure - M. S. GLASER - E-Book

Agenten, Saboteure und Deserteure E-Book

M.S. Glaser

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Beschreibung

Spätherbst 1940. In einer stürmischen Nacht entwendet der MI6-Agent Quint die streng geheimen Unterlagen für die unter dem Decknamen «Unternehmen Seelöwe» geplante Invasion Englands aus dem Panzerschrank eines deutschen Generalmajors. Es gelingt ihm, das gut gesicherte und bewachte Grundstück mitten im Wald ungeschoren mit den Geheimdokumenten zu verlassen. Doch als der Zug, der Quint als Fluchtmittel dient, mitten in der Nacht auf einem Bahnhof rangiert und umgestellt wird, gerät der minutiös ausgearbeitete Plan für sein Entkommen aus dem Feindgebiet ins Wanken. Auch der frisch zugestiegene Passagier in Wehrmachtsuniform gibt dem Agenten Rätsel auf. Je länger die Flucht dauert, desto offensichtlicher werden die Aktivitäten rivalisierender deutscher Geheim- und Abwehrdienste sowie militärischer Polizeiorgane, die ihm dicht auf den Fersen zu sein scheinen - oder gar einen Schritt voraus.

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Seitenzahl: 196

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Handlung:

Spätherbst 1940. In einer stürmischen Nacht entwendet der MI6-Agent Quint die streng geheimen Unterlagen für die unter dem Decknamen «Unternehmen Seelöwe» geplante Invasion Englands aus dem Panzerschrank eines deutschen Generalmajors. Es gelingt ihm, das gut gesicherte und bewachte Grundstück mitten im Wald ungeschoren mit den Geheimdokumenten zu verlassen. Doch als der Zug, der Quint als Fluchtmittel dient, mitten in der Nacht auf einem Bahnhof rangiert und umgestellt wird, gerät der minutiös ausgearbeitete Plan für sein Entkommen aus dem Feindgebiet ins Wanken. Auch der frisch zugestiegene Passagier in Wehrmachtsuniform gibt dem Agenten Rätsel auf. Je länger die Flucht dauert, desto offensichtlicher werden die Aktivitäten rivalisierender deutscher Geheim- und Abwehrdienste sowie militärischer Polizeiorgane, die ihm dicht auf den Fersen zu sein scheinen – oder gar einen Schritt voraus.

Autor:

M. S. GLASER lebt in der Ostschweiz. Aufgewachsen in unmittelbarer Nähe einer bis fast zur Jahrtausendwende streng geheimen unterirdischen Militäranlage aus dem Zweiten Weltkrieg, wurde schon früh sein Interesse für Spionageabwehr und Geheimdienste geweckt. Nach «Spione, Soldaten und Verräter», «Halunken, Türme und Justitia» und «Grafen, Täuscher und Wachsfiguren» ist dies sein vierter Roman der Quint-Reihe, der diesmal wieder in Quints aktiver Geheimdienstzeit spielt.

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Kapitel

Epilog

Prolog

Spätherbst 1940. Der gespenstische Schatten, den der Schein des Feuers im offenen Kamin an die Wand malte, bewegte sich endlich wieder, als sich der seit geraumer Zeit über die MI6-Personalakte gebeugte Offizier hinter dem wuchtigen Schreibtisch in seinem Sessel aufrichtete.

Die Haltung des schlanken Besuchers straffte sich unmerklich ebenfalls. Mit gleichmütigem Gesichtsausdruck wartete er die Reaktion des Uniformierten ab.

«Und Sie sind sich hundertprozentig sicher, dass er der Richtige für dieses Unternehmen ist? Ich brauche Ihnen ja nicht zu erklären, was davon abhängt, dass er das Material über die geplante Invasion sicher nach Hause bringt.»

«Absolut, Major. Er ist einer der Besten. An seiner Eignung für diesen Einsatz besteht nicht der geringste Zweifel. Ausserdem hält er sich bereits in der Gegend auf.»

«Gut.» Der Offizier erhob sich. «Sorgen Sie dafür, dass er jegliche Unterstützung bekommt, die er für die erfolgreiche Durchführung seiner Geheimmission benötigt! Ich werde inzwischen alles Weitere veranlassen.»

Als der Mann in Zivil bereits an der Tür war, mahnte der Major: «Und noch etwas, Fogerty: Sollte dieses Unternehmen misslingen, so werde ich Sie persönlich dafür zur Verantwortung ziehen!»

«Das wird es nicht», entgegnete Fogerty gelassen.

1. Kapitel

Zwei Wochen später. Wütend peitschte der Westwind den Regen über das mit Stacheldraht und einem hohen Maschendrahtzaun gesicherte Grundstück. Die Bäume des Wäldchens bogen sich ächzend unter der Gewalt des Herbststurms und liessen ihr ohnehin nur noch spärlich vorhandenes Laub widerstandslos fallen. Hin und wieder brach laut knackend ein Ast und schlug krachend auf dem Kiesweg auf, der zum Haus mit den hell erleuchteten Fenstern im Erdgeschoss führte.

Mit gesenkten Köpfen stemmten sich die beiden Wachsoldaten gegen den heulenden Wind, der ihre Augen tränen liess, und patrouillierten erneut im Abstand von wenigen Metern an ihm vorbei, ohne etwas von seiner Anwesenheit zu ahnen. Kein halbwegs vernünftiger Mensch trieb sich an diesem ungemütlichen Novemberabend im Freien herum, wenn er nicht unbedingt musste – oder wenn er sich nicht kurz vor dem Ziel seines geheimen Auftrags im Feindesland wähnte.

Nachdem er sich in der Dämmerung geduldig mit den unglaublichsten Verrenkungen seines athletischen Körpers vorsichtig durch den Stacheldraht gewunden hatte, stellte der Maschendrahtzaun nun das letzte statische Hindernis zwischen ihm und dem stattlichen Gebäude dar. Aber noch war der richtige Zeitpunkt für dessen Überwindung nicht gekommen.

Im Lichtkegel der Autoscheinwerfer wurde der Regen zu einem schier undurchdringlichen Vorhang. Vom Motorgeräusch des Wagens, der sich langsam dem geschlossenen Tor im Zaun näherte, war bei dem sich allmählich zu einem Orkan steigernden Sturm nichts zu hören. Auf Quints regennassem Gesicht erschien ein zufriedenes Lächeln. Der Besuch traf also endlich ein. Die Verspätung musste man ihm bei diesem Wetter nachsehen.

Ein Soldat trat aus der Dunkelheit in das schwache Licht der Zufahrtsbeleuchtung und öffnete das Tor. Als der Wagen passierte, stand der Posten stramm und salutierte, wobei ihn der Wind aus dem Gleichgewicht brachte und beinahe gegen die linke Fahrzeugseite prallen liess. Nachdem er sich gefangen und die beiden Flügel wieder geschlossen hatte, verschwand er in den schwarzen Schatten ausserhalb des beleuchteten Bereichs.

Als der Wagen unmittelbar vor dem Hauseingang hielt, kniete Quint bereits an der zuvor ausgewählten Stelle und schnitt mit seiner kleinen Drahtschere dicht über dem Boden ein Loch in den Zaun. Auf dem Rücken schob er sich durch die Lücke, die gerade gross genug dafür war, und blieb auf der anderen Seite einige Sekunden lang reglos liegen.

Wie erwartet passierte nichts. Sofern die Patrouille ihren Turnus nicht änderte, würde sie frühestens in zehn Minuten wieder hier sein. Mehr als genug Zeit also, um unbehelligt den Standort zu wechseln.

Mit einer schwungvollen Bewegung kam Quint auf die Beine und rannte geduckt über das offene Gelände; ein von Kopf bis Fuss schwarz gekleideter Schatten in der Finsternis einer mondlosen Sturmnacht, in der jeder verräterische Laut durch die Geräusche der Natur übertönt wurde.

Neben einem Schuppen verlangsamte er seinen Lauf, ging weiter bis zum Ende der Seitenwand und schob sich mit gegen das Holzgebäude gepresstem Rücken vorsichtig um die Ecke. Von hier hatte er freie Sicht auf die Ostfassade des Hauses. Den Blick auf das helle Fenster des Arbeitszimmers gerichtet, verharrte er bewegungslos und wartete geduldig, während der Wind wütend an der Kapuze seiner Jacke zerrte.

Nach einigen Minuten betraten zwei uniformierte Männer den Raum. Der Besucher überreichte Generalmajor Buchholz eine Mappe, die der Gastgeber in seinen Safe legte. Während der Generalstabsoffizier die Tür des imposanten Tresors wieder verschloss, grinste Quint spöttisch. Die Mühe hätte sich der Fettwanst ebenso gut sparen können.

Als die beiden Wehrmachtsoffiziere das Zimmer verliessen, ohne das Licht zu löschen, schnitt er eine Grimasse. Er hätte es vorgezogen, in einen unbeleuchteten Raum einzusteigen. Aber es würde auch so gehen. Da die beiden Deutschen offensichtlich wie erwartet vor der Besprechung ihr verspätetes Abendessen einnahmen, blieb ihm genügend Zeit für den Coup. Sobald die Patrouille diese Stelle wieder passiert haben würde, konnte er beginnen.

Kurz darauf war es so weit. Lautlos wie Gespenster tauchten die Soldaten aus der Finsternis auf, durchquerten den aus dem Fenster fallenden Lichtstrahl und verschwanden wie ein Spuk wieder aus seinem Blickfeld.

Los! Mit weitausgreifenden Schritten eilte er auf das Haus zu. Ohne in den Lichtstrahl zu geraten, näherte er sich dem Fenster von der Seite, blieb stehen und sah sich nach allen Seiten um, während seine rechte Hand bereits eine Rolle Klebeband aus der Jackentasche zog. Schnell verklebte er ein Stück der Scheibe neben dem Fenstergriff, damit es nicht unkontrolliert herausfallen konnte, tauschte die Rolle gegen einen Glasschneider und schnitt ein gut faustgrosses Stück heraus.

Sorgfältig entfernte er die Scherbe mit dem Klebeband und legte sie neben sich auf den Boden. Nach einem weiteren Kontrollblick richtete er sich vorsichtig auf und spähte über das Fenstersims, während er dünne Lederhandschuhe anzog und die linke Hand behutsam durch das Loch in der Scheibe steckte. Ganz langsam, um sich nur ja nicht zu verletzen und eine Blutspur hinter sich herzuziehen, drehte er den Griff und zog die Hand wieder zurück. Der Weg war frei.

Dankbar dafür, dass der Wind von Westen kam, drückte Quint den Flügel auf und schwang sich über das Sims in den Raum. Sofort schloss er das Fenster hinter sich und ging mit leisen Schritten zielstrebig auf den Tresor zu. Nach den vergangenen Stunden draussen im Sturm kam ihm die relative Ruhe im Haus fast unnatürlich vor.

Seine innere Anspannung verstärkte sich, als er den Doppelbartschlüssel aus einer Innentasche mit Reissverschluss zog. Würde er tatsächlich passen? Was, wenn nicht? Energisch schob er den Gedanken beiseite. Bis jetzt war alles genau nach Plan verlaufen. Seine geheime Mission war sehr gründlich ausgekundschaftet und vorbereitet worden.

Entschlossen steckte er das Duplikat ins Schloss. Der Schlüssel liess sich problemlos drehen. Eine Welle der Erleichterung durchflutete Quint. Der MI6 musste ganz offensichtlich hervorragende Spione in wichtigen Positionen der Wehrmacht sitzen haben.

Als er die schwere Tür aufzog, vernahm er ein entferntes Husten. Für den Bruchteil einer Sekunde zögerte er, doch dann packte er die braune Ledermappe, riss sie aus dem Safe, drückte die Panzertür in der Eile geräuschvoll zu, verschloss sie und steckte den Schlüssel ein. Sofern er hier noch rechtzeitig und ungesehen rauskam, konnte ihm ein geschlossener Safe wertvolle Minuten verschaffen. Vor allem aber wollte er den Schlüssel keinesfalls hier zurücklassen.

Das neuerliche Husten klang bedrohlich nahe. Der Mann musste schon fast vor der Zimmertür sein. Mit einem Satz war Quint beim Schreibtisch, warf ein paar Dokumente auf den Boden und eilte zum Fenster. Vielleicht lenkte sein Täuschungsmanöver die Gegner noch etwas von seiner wirklichen Tat ab. Jetzt konnte jede Sekunde darüber entscheiden, ob er noch durch den Zaun kam, bevor jemand Alarm schlug!

Während er das Fenster öffnete und sich auf die Brüstung setzte, klopfte es zögerlich an die Tür. Der Hausherr war es also nicht. Mit etwas Glück konnte ihm die Flucht vom Gelände noch gelingen. Kurz bevor er sich abstiess, hörte er noch, wie die Türklinke niedergedrückt wurde. Dann war er draussen.

Die kostbare Mappe unter den linken Arm geklemmt, sich dicht an der Hauswand haltend, rannte er in die Dunkelheit. Als er um die Ecke bog, wurde er von einer Windböe beinahe umgerissen. Der unvermittelt sein Gesicht treffende Luftdruck war so stark, dass es ihm den Atem verschlug und er sich umdrehen musste, um wieder Luft zu bekommen.

Tief vornübergebeugt hastete er weiter, in seinem Tempo immer wieder durch den Sturm behindert. Die Strecke zu seinem persönlichen Schlupfloch von diesem wie ein Gefängnis gesicherten Grundstück kam ihm unendlich lang und beschwerlich vor. Jeden Moment konnte Alarm gegeben werden und die Jagd auf den Einbrecher beginnen.

Der nur wenige Meter vor ihm über den Zaun wandernde Lichtstrahl einer Lampe liess Quint abrupt stoppen. Genau dort war die Lücke! Im selben Augenblick stiess der Wachposten auch schon einen überraschten Ruf aus. Dieser Weg war ihm versperrt!

Er machte auf dem Absatz kehrt und entfernte sich ohne hektische Bewegungen mit dem Wind von der Gefahrenstelle. Jeden Meter, den er hinter sich brachte, ohne dass ein scharfer Befehl gerufen wurde, empfand er wie ein Geschenk. Innerlich bedankte er sich zum wiederholten Male bei Petrus für die geradezu perfekten Wetterverhältnisse.

Zehn Schritte weiter warnte ihn ein starkes Kribbeln im Nacken vor akuter Gefahr. Er konnte fast körperlich spüren, wie ihn der Lichtkegel der Lampe kurz streifte, zurückschwenkte und auf seinen Rücken gerichtet blieb.

«Halt! Stehenbleiben!»

Quint spurtete los und schlug mehrere Haken, um den Lichtstrahl abzuschütteln.

«Stehenbleiben!», schrie die bereits deutlich gedämpfter klingende Stimme. «Oder ich schiesse!»

Im Laufen riss Quint den Reissverschluss seiner Jacke bis zum Bauchnabel auf, stopfte die Ledermappe zwischen der offenen Kette hindurch und zog den Schieberkörper wieder bis zum Stoppteil hoch. Die linke Hand fuhr in die Jackentasche und umfasste mit festem Griff die Drahtschere.

Fünfzehn Sekunden später rannte er mit vollem Tempo gegen den Zaun, wurde durch die Wucht des unerwarteten Aufpralls zurückgeworfen und landete unsanft auf dem mit Laub, Zweigen und kleinen Ästen übersäten Boden. Sofort kam er auf die Knie und begann in fieberhafter Eile, ein zweites Loch in das grobe Drahtgeflecht zu schneiden.

Endlich war er durch! Aus der Richtung des Hauses waren nun aufgeregte Zurufe zu hören. Die Meute schien sich zu organisieren. Unabhängig davon, ob der Diebstahl der Ledermappe bereits bemerkt worden war, oder ob die beiden Offiziere das Verschwinden der streng geheimen Invasionspläne für England erst in Kürze feststellen mochten: Sie würden ihn erbarmungslos jagen, bis er entweder zur Strecke gebracht oder ihnen endgültig entkommen war.

2. Kapitel

«Scheisswetter!», fluchte der Gefreite und versuchte, den von einer besonders heftigen Windböe erfassten Kübelwagen mit routiniertem Gegenlenken unversehrt durch die Kurve zu bringen. Die Hinterräder des geländegängigen Einheits-Pkw kamen auf der nassen Strasse für einen kurzen Moment ins Rutschen, aber Klaus Fechner war ein ausgezeichneter Fahrer.

Als das Fahrzeug wieder ruhig auf der Strasse lag, entspannte sich Unteroffizier Mallmann auf dem Beifahrersitz. Obwohl er nicht im Geringsten an den fahrerischen Qualitäten seines alten Schulfreundes zweifelte, fieberte er in solchen Situationen stets mit, als ob er selbst am Steuer sässe. Und in dieser stürmischen Novembernacht konnte man ihm dies auch nicht verdenken.

«Ich bin ja gespannt, was so wichtig ist, dass uns der elende Schinder mitten in der Nacht durch diesen Herbststurm jagt!», brüllte Fechner, um den Lärm in dem nur mittels Frontscheibe, vier Seitentüren mit Steckfenstern und dem Verdeck vor Wind und Wetter schützenden Fahrzeug zu übertönen. «Das ist bestimmt wieder reine Schikane! Irgendwann knalle ich dem Drecksschwein eins vor den Latz, dass er seine krummen Zähne verschluckt, das sage ich dir!»

«Gut möglich!», bestätigte der Unteroffizier in derselben Lautstärke und liess offen, auf welchen Teil von Fechners Aussage sich seine Antwort bezog. Mit grösster Konzentration starrte er auf den pechschwarzen Teer der Überlandstrasse, der das Licht der Fahrzeugscheinwerfer regelrecht aufzufressen schien, als ob die durch den Regen ohnehin schon stark beeinträchtigte Sicht noch nicht schlecht genug gewesen wäre.

«Ausserdem hat der Mistkerl mein Urlaubsgesuch schon wieder abgelehnt! Aber wenn er glaubt, dass er mich so …!»

«Pass auf!»

Es hätte keiner Warnung bedurft, denn Fechner tat bereits alles Menschenmögliche, um die drohende Kollision zu verhindern. Doch auf dem nassen Laub in der unübersichtlichen Kurve brach das Heck bei der erforderlichen Kurskorrektur aus. Der Wagen drehte sich dadurch stärker als geplant und kam schliesslich abrupt zum Stehen, als er das offensichtlich verunfallte Fahrzeug an der rechten hinteren Ecke touchierte.

«So ein verfluchter Mist! Das hat mir gerade noch gefehlt!» Wütend liess Fechner das Lenkrad los und hieb mit beiden Fäusten drauf.

«Der ist frontal gegen den Baum geknallt! Was ich bis jetzt von der Karre sehen konnte, war ziemlich übel zugerichtet! Fahr ein Stück vor, damit ich aussteigen kann! Der Kotflügel ist sowieso schon verbeult! Viel schlimmer kann es kaum mehr werden!»

Während Thorsten Mallmann nach der zwischen seinen Füssen auf dem Bodenblech liegenden Lampe griff und wartete, bis er genug Platz zum Aussteigen hatte, löste Fechner den Kübelwagen vom fremden Fahrzeug und hielt dicht dahinter am Strassenrand. Gleichzeitig stiegen sie aus und kämpften sich gegen den Wind, der von Minute zu Minute stärker zu werden schien, zum Unfallwagen zurück.

Langsam liess der Unteroffizier den Schein seiner starken Lampe über den Pkw wandern, der mit aufgesprungener Motorhaube und eingedrückter Front vor der dicken Buche stand, gegen die er mit grosser Wucht geprallt sein musste, nachdem er zuvor auf die Gegenfahrban geraten war.

Der Mann auf dem Beifahrersitz war zweifellos tot. Er musste bei dem heftigen Aufprall mit dem Kopf gegen die Frontscheibe geknallt sein. Aber daran war er mit ziemlicher Sicherheit nicht gestorben. Die Todesursache schien viel eher auf den Genickschuss zurückzuführen zu sein. Da der Fahrer nicht mehr im Wagen sass, bestand zumindest die Möglichkeit, dass er geschossen hatte – und dass er sich vielleicht noch ganz in der Nähe herumtrieb!

Fast gleichzeitig zogen Mallmann und Fechner die Pistolen aus den Holstern und entsicherten sie.

«Weg hier!» Fechner wandte sich ab.

«Warte!» Sein Vorgesetzter starrte angestrengt auf den Fahrzeugboden, wo seine Lampe hinter dem Fahrersitz etwas beleuchtete, das ihn förmlich elektrisierte.

«Was ist denn? Lass uns endlich von hier verschwinden! Ich bin nicht scharf auf eine Kugel in den Rücken! Wer weiss …!»

«Sieh dir das an!», unterbrach ihn Mallmann in militärischem Befehlston.

Widerstrebend kam der Gefreite der Aufforderung nach und blickte unbehaglich dorthin, wo sein alter Weggefährte den Lichtkegel verharren liess. «Das sind ja Geldscheine! Und eine Strumpfmaske!»

«Genau! Ich glaube, die haben jemanden überfallen und ausgeraubt! Vielleicht sogar eine Bank! Komm, wir müssen auf die andere Seite!» Mallmann eilte um das Fahrzeugheck herum zur offenen Fahrertür, steckte seine Pistole in die Rocktasche, klappte den Sitz nach vorn und beugte sich in den Fond. Mit der freien Hand griff er nach der offenen Stofftasche zwischen den Sitzen, die beim Unfall umgekippt sein musste und dadurch den Blick auf ein Notenbündel und die Maske freigab.

«Donnerwetter!», entfuhr es Fechner, als der Unteroffizier ihm die Tasche in die Hand drückte und den Inhalt aus nächster Nähe beleuchtete. «Die haben ja ganz schön abkassiert! Die müssen tatsächlich eine Bank geplündert haben!»

«Scheint so! Das sind bestimmt an die fünfzigtausend Piepen! Vielleicht sogar mehr! Komm, wir werfen sicherheitshalber auch noch einen Blick in den Kofferraum! Und dann aber nichts wie weg hier!»

«Du meinst, wir sollen uns das Geld einfach unter den Nagel reissen?»

«Willst du es etwa lieber hier liegenlassen?» Mallmann öffnete hastig den Kofferraumdeckel, stellte leicht enttäuscht fest, dass der Stauraum leer war, und knallte ihn wieder zu. «Los, weg jetzt!»

In Rekordzeit sassen die beiden Männer in ihrem Wagen. Fechner fuhr augenblicklich los und beschleunigte zügig.

«Pass auf, dass du keinen Unfall mehr baust – oder am Ende gar noch den geflohenen Bankräuber überfährst, falls der sich noch irgendwo hier herumtreibt! Und halt einen Moment die Klappe, ich muss nachdenken!»

Der Gefreite tat wie geheissen und konzentrierte sich voll und ganz auf die Strasse. Wenn Thorsten Mallmann nachdenken wollte, musste man ihn in Ruhe lassen. Ausserdem waren die Verhältnisse in dieser Nacht auch für einen Fahrer wie ihn anspruchsvoll genug. Es begann bereits wieder stärker zu regnen, und der Wind hatte nichts von seiner Kraft eingebüsst.

«Dreh bei der erstbesten Gelegenheit um!», forderte Mallmann unvermittelt.

«Was?»

«Du sollst wenden! Es ist besser, wenn wir dem Unfallfahrzeug angeblich nie begegnet sind! Möglicherweise ist die Polizei bereits im Anmarsch! Wenn die uns mit dem ramponierten Kotflügel und dem Geld erwischen, wird es schwierig werden, sie von unserer Unschuld zu überzeugen! Das Märchen vom ehrlichen Finder, der das Geld bei der nächsten Polizeistation abliefern und den Unfall melden will, wird uns keiner abkaufen!»

«Das glaube ich allerdings auch!», pflichtete Fechner seinem Kumpel bei. «Aber was willst du Kemmerich für eine Lüge auftischen, wenn wir zurück sind? Der wird Gift und Galle spucken, wenn wir den Auftrag nicht befehlsgemäss ausgeführt haben!»

«Bis dahin wird uns schon etwas einfallen. Eine Reifenpanne zum Beispiel! Damit liesse sich auch der zerknautschte Kotflügel erklären! Wir sind durch den defekten Pneu ins Schleudern geraten und mit einem Baum kollidiert! Aber eins nach dem anderen. Erstmal müssen wir dafür sorgen, dass uns die Polizei nicht zu Gesicht bekommt!»

Kurze Zeit später tauchte ein von der Strasse abgehender Feldweg vor ihnen auf. Fechner bremste dosiert ab, wendete zügig, und weniger als eine Minute später fuhren sie in die entgegengesetzte Richtung.

«Hoffentlich ist noch niemand da!», übertönte Fechner den Lärm, als sie sich dem Unfallort näherten. «Sonst fällt dein schöner Plan ins Wasser!»

Doch Klaus Fechners Sorgen erwiesen sich als unbegründet. Sie fanden die Unfallstelle noch genau gleich vor wie beim ersten Mal.

«Irgendwie merkwürdig, dass vom Fahrer jede Spur fehlt», überlegte Mallmann laut, als sie vorbei waren. «Angenommen, er hat seinen verletzten Komplizen sicherheitshalber erschossen, damit er ihn nicht verraten kann, weshalb ist er dann ohne das Geld geflüchtet?»

«Vielleicht ist er ebenfalls verwundet und nicht mehr in der Lage, noch Ballast mitzuschleppen. Oder es war noch eine zweite Tasche oder etwas ähnliches da, das er mitgenommen hat. Eigentlich ist mir das vollkommen egal! Ich bin heilfroh, dass er uns nicht auch hinterrücks abgeknallt hat!»

Nach knapp zehn Minuten des Schweigens, in denen beide Soldaten tief in Gedanken versunken und nur der Fahrzeugmotor und der Sturm zu hören gewesen waren, rief Mallmann plötzlich: «Stopp!»

Augenblicklich bremste Fechner. «Was ist?»

«Wende beim Feldweg dort und fahr zurück zu dem Baum auf deiner Seite, an dem wir vor etwa einer Minute vorbeigefahren sind!»

«Wozu denn das nun wieder?», maulte Fechner, führte den Auftrag aber bereits gehorsam aus. «Ich denke, du willst so weit wie möglich vom Unfallort weg sein, wenn die Polizei angebraust kommt!»

«Ja, aber wir müssen unsere Geschichte möglichst glaubhaft mit Tatsachen untermauern! Deshalb wirst du den Baum mit dem lädierten Kotflügel streifen! Damit tauschen wir sozusagen die Farbe des anderen Wagens gegen Baumabschürfungen aus, und der Baumstamm erhält die entsprechenden Spuren! Was die Reifenpanne angeht, so denke ich, dass wir aus Zeitgründen auf den Radwechsel verzichten und stattdessen einfach die Luft aus dem Reserverad lassen sollten. Wenn wir es auf einer nassen und schmutzigen Stelle ein Stück rollen, und das Werkzeug ebenfalls nass machen und mit Dreckspritzern versehen, müsste es eigentlich genügen. Schliesslich sind wir Soldaten, keine Buschräuber!»

Als sie beim Baum angekommen waren, stieg Mallmann aus und wartete neben der Strasse, bis Fechner dem Kotflügel erneut ein anderes Aussehen verliehen hatte. Mit einem zufriedenen Nicken begutachtete er anschliessend im Licht seiner Lampe das Resultat und signalisierte dem Gefreiten, ebenfalls auszusteigen. Gemeinsam präparierten sie Reserverad und Werkzeug wie zuvor besprochen und verstauten alles wieder an seinem Platz.

«Gut, und nun fährst du zum Wenden rückwärts neben die Strasse; aber nur mit den Hinterrädern! So, dass man die Spuren gut erkennen kann. Weiter als bis hierher sind wir offiziell gar nicht gekommen, und somit können wir auch nichts von dem verunfallten Fahrzeug und allem, was damit zusammenhängt, wissen!»

«Dein Wort in Gottes Ohr!» Fechner klemmte sich wieder hinter das Lenkrad und führte das von ihm verlangte Wendemanöver aus. Dabei verursachte er absichtlich etwas mehr Flurschaden als unbedingt notwendig. Schliesslich sollten die Spuren gut sichtbar sein. Und etwas Dreck auf der Strasse konnte bestimmt auch nicht schaden. Es war immerhin Nacht – und obendrein noch ein elendes Sauwetter.

«Jetzt soll uns mal jemand beweisen, dass wir den Blechschaden woanders fabriziert haben!», triumphierte Fechner, als Mallmann wieder neben ihm sass, und er losfuhr. «Die Idee ist genial, Thorsten!»

«Kein Grund, deswegen übermütig zu werden, Klaus!», dämpfte der Unteroffizier die Euphorie seines Komplizen. «Bevor wir das Geld nicht an einem sicheren Ort versteckt haben, ist die Sache noch keineswegs in trockenen Tüchern! Ausserdem steht uns eine sehr unangenehme Unterredung mit Kemmerich bevor! Und damit meine ich nicht nur den kaputten Kotflügel! Er wird uns garantiert zur Schnecke machen, weil wir wegen der angeblichen Streifkollision mit dem Baum seinen Auftrag nicht ausgeführt haben!»

Für eine Weile versanken beide wieder in nachdenkliches Schweigen, bis Fechner kurz vor der Ortseinfahrt erschrocken rief: «Was ist das dort vorn? Verflucht, das sieht mir irgendwie nach Polizei aus!»

«Mist! Wenn die uns kontrollieren und das Geld bei uns finden, dann ist unsere ganze Inszenierung für die Katz! Bieg hier ab! Zum Bahnhof! Schnell!»

Geistesgegenwärtig setzte Fechner gerade noch rechtzeitig den Blinker, damit es nicht ganz so auffällig aussah, bevor er das Steuer nach links riss und in die Seitenstrasse einbog.

«Wir müssen die Tasche vorübergehend loswerden!» Der Unteroffizier überlegte fieberhaft, während er nach einem geeigneten Versteck Ausschau hielt.

«Die sind bestimmt hinter den Bankräubern her! Bei dem Sauwetter machen die Polypen nicht ohne zwingenden Grund Kontrollen!»

«Der Zug!», rief Mallmann, ohne die besorgte Äusserung des Gefreiten zu beachten. «Halt beim vordersten Güterwagen an und warte mit laufendem Motor, bis ich wieder einsteige!»

«Aber was sollen wir sagen, wenn sie wissen wollen, was wir hier tun?»

«Dass du mich hier abholen sollst! Die können unmöglich gesehen haben, dass wir beide in der Karre sitzen!»

Als der Wagen fast zentimetergenau an der verlangten Stelle ganz zum Stillstand kam, stand Mallmann bereits mit der wertvollen Tasche in der Hand vor der Waggontür. Mit einem Ruck riss er sie einen Spaltbreit auf, schob rasch die Tasche hindurch und schloss die Schiebetür eilig wieder.