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Januar 1968. Auf der seit Kriegsende von der österreichischen Bundesgendarmerie für Ausbildungszwecke genutzten Festung Hohenwerfen wird ein Agentenfilm mit Starbesetzung gedreht. Diese einmalige Gelegenheit will der untergetauchte SS-Offizier Kramer nutzen, um endlich den von ihm in den letzten Kriegstagen auf der Burg versteckten Teil des angeblich im Toplitzsee versenkten Schatzes zu bergen. Doch der von einer attraktiven Frau mit Kramers Ergreifung beauftragte ehemalige Top-Agent Quint und sein zwielichtiger Gehilfe Sentence sind ebenfalls hinter der Beute her. Zudem stellt sich heraus, dass sich auch ein sowjetischer Geheimdienstoffizier an der Schatzjagd beteiligt. Da keine der Parteien Wert darauf legt, die drei auf der Burg verbliebenen Gendarmen aufzuscheuchen, belauern und bekämpfen sich die Gegner zunächst mit nervenaufreibenden Winkelzügen, bis die Situation eskaliert.
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Seitenzahl: 266
Veröffentlichungsjahr: 2019
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Handlung:
Januar 1968. Auf der seit Kriegsende von der österreichischen Bundesgendarmerie für Ausbildungszwecke genutzten Festung Hohenwerfen wird ein Agentenfilm mit Starbesetzung gedreht. Diese einmalige Gelegenheit will der untergetauchte SS-Offizier Kramer nutzen, um endlich den von ihm in den letzten Kriegstagen auf der Burg versteckten Teil des angeblich im Toplitzsee versenkten Schatzes zu bergen. Doch der von einer attraktiven Frau mit Kramers Ergreifung beauftragte ehemalige Top-Agent Quint und sein zwielichtiger Gehilfe Sentence sind ebenfalls hinter der Beute her. Zudem stellt sich heraus, dass sich auch ein sowjetischer Geheimdienstoffizier an der Schatzjagd beteiligt. Da keine der Parteien Wert darauf legt, die drei auf der Burg verbliebenen Gendarmen aufzuscheuchen, belauern und bekämpfen sich die Gegner zunächst mit nervenaufreibenden Winkelzügen, bis die Situation eskaliert.
Autor:
M. S. GLASER lebt in der Ostschweiz. Aufgewachsen in unmittelbarer Nähe einer bis fast zur Jahrtausendwende streng geheimen unterirdischen Militäranlage aus dem Zweiten Weltkrieg, wurde schon früh sein Interesse für Spionageabwehr und Geheimdienste geweckt. Nach «Spione, Soldaten und Verräter» ist dies sein zweiter Roman mit dem (Ex-)Geheimagenten Quint.
Prolog
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Kapitel
Ende April 1945. Die schwer beladene Fahrzeugkolonne kam nur langsam voran. Mit heulenden Motoren quälten sich die teils über ihre maximale Nutzlast beladenen Militärlastwagen in der hereinbrechenden Dämmerung beinahe im Schritttempo die Steigung hinauf.
Nervös warf der SS-Untersturmführer im hintersten Laster immer wieder einen Blick in den rechten Aussenspiegel. Aber mit 52 PS unter der Haube war einfach nicht mehr drin, auch wenn ihm wie allen anderen die Angst im Nacken sass.
Mit schmerzenden Armen kurbelte der Fahrer am Lenkrad, um in der engen Kurve das ohnehin erbärmliche Tempo nicht noch zusätzlich drosseln zu müssen.
Kurz vor der Verzweigung passierte es. Gerade als der Soldat auf der endlich wieder eben verlaufenden Strasse einen Gang höher schalten wollte, starb der Motor ab.
«Was ist los?», wollte der SS-Offizier wissen.
«Wie ich vor zehn Minuten bereits prophezeit habe: Der Tank ist leer!», antwortete der junge Mann in der Wehrmachtsuniform ärgerlich, während er sein Fahrzeug am rechten Strassenrand zum Stehen brachte.
«Dann füllen Sie ihn wieder auf! Los, worauf warten Sie noch? Beeilen Sie sich gefälligst!»
Wütend stieg der Fahrer aus, ging um die Fahrzeugfront herum zur Beifahrerseite und nahm die beiden Benzinkanister aus ihrer vor der Hinterachse angebrachten Halterung.
Während der vor ihnen fahrende Lkw um die nächste Kurve verschwand, öffnete der SS-Führer die lederne Pistolentasche an seiner rechten Hüfte und legte die Hand auf den Griff der Luger. Ungeduldig wartete er, bis der Soldat endlich wieder einstieg.
Wortlos betätigte der verärgerte Fahrer den Anlasser, bis der Benzinmotor wieder zum Leben erwachte. Ohne den SS-Leutnant eines Blickes zu würdigen, fuhr er los.
«Geradeaus!», befahl der Untersturmführer.
«Aber wir müssen nach links!», entgegnete der Soldat und schaute verwirrt zu seinem Begleiter hinüber.
«Tun Sie, was ich Ihnen sage! Wir fahren geradeaus!» Die Pistole in seiner Hand liess keine Zweifel an der Autorität des Beifahrers aufkommen.
Schweigend fuhren sie der Salzach entlang, bis vor ihnen die dunklen Umrisse einer mächtigen, auf einem Felskegel thronenden Burg aufragten.
«Langsam jetzt! Wir sind gleich da!»
Der Fahrer kam der Aufforderung angesichts der auf ihn gerichteten Luger augenblicklich nach. Im Schritttempo liess er sein Fahrzeug auf den bewaldeten Hügel zurollen, der beinahe bis an die Strasse heranreichte.
«Da links rein! Licht aus und anhalten!»
Gehorsam lenkte der Soldat den Lastwagen auf den kleinen Kiesplatz, an dessen anderem Ende ein schmaler Weg zwischen den Bäumen verschwand, hielt an und löschte das Licht.
«So, mein Junge, und jetzt nimmst du ganz vorsichtig mit zwei Fingern deine Pistole aus dem Holster und legst sie vor dem Schaltknüppel auf den Boden! Und versuch nicht, den Helden zu spielen, wenn dir dein Leben lieb ist!»
Als auch dieser Befehl ausgeführt war und der SS-Führer die Pistole mit dem Fuss an die Beifahrertür geschoben hatte, ohne den jungen Mann neben ihm aus den Augen zu lassen, machte er mit seiner Waffe eine auffordernde Bewegung. «Weiterfahren! Aber ganz vorsichtig, der Weg ist sehr schmal! Und denk nicht mal dran, absichtlich einen Unfall zu verursachen; du würdest ihn mit Sicherheit nicht überleben!»
Der Laster setzte sich wieder in Bewegung und erklomm langsam den steilen Anstieg zur Burg, der an einigen Stellen sogar geringfügig schmaler war als das Fahrzeug. Nach wenigen Metern geriet der Fahrer ins Schwitzen, und das nicht nur wegen der anstrengenden Kurbelei am Lenkrad.
Bedrohlich ragte die alte, verlassen wirkende Festung über ihnen in den dunklen Himmel. Wie erwartet, hatte die auf der Burg einquartierte NSDAP-Gauführerschule ihre Zelte bereits abgebrochen und floh vor den herannahenden US-Truppen.
Vor dem weit geöffneten Tor des ersten Sperrbogens stoppte der Soldat und warf dem Untersturmführer einen fragenden Blick zu. Es war offensichtlich, dass der Lkw da nicht hindurchpasste.
«Wenden!»
«Aber dafür reicht der Platz doch kaum aus!», begehrte der Fahrer auf. «Ausserdem ist es schon fast dunkel!»
Die Hand mit der Pistole ruckte nach oben, so dass der runde Lauf auf den Kopf des jungen Mannes zielte. «Wenden, habe ich gesagt!»
Ohne weiteren Widerspruch gehorchte der Fahrer. Es dauerte beinahe fünf Minuten, bis er sein Fahrzeug bei den beengten Platzverhältnissen endlich soweit hatte, dass die Schnauze wieder in die Richtung zeigte, aus der sie gekommen waren. Der Schweiss rann ihm in kleinen Bächen übers Gesicht und den Rücken hinab.
«Na also, geht doch! Stell den Motor ab und gib mir den Schlüssel! Wir steigen aus! Ich zuerst, dann du ebenfalls auf meiner Seite! Und versuch nicht, mich zu übertölpeln, sonst knallt‘s!»
Der SS-Offizier steckte den Zündschlüssel ein und öffnete die Tür. Langsam kletterte er rückwärts aus dem Fahrerhaus und liess, ohne die Luger von seinem Fahrer abzuwenden, dessen noch immer auf dem Kabinenboden liegende Pistole in der linken Rocktasche verschwinden.
«Jetzt du!»
Als der Soldat ebenfalls ausgestiegen war, dirigierte ihn der Untersturmführer zum Fahrzeugheck. «Aufmachen! Schnell!»
Er wartete, bis der Fahrer soweit war und wies ihn an, auf die Ladebrücke zu klettern. «Schieb die beiden kleinen Kisten her!»
Es dauerte eine Weile, bis der junge Mann die Ladung so verschoben hatte, dass er die betreffenden Holzkisten zur Kante am Ende der Ladefläche zerren und schieben konnte. Schwer atmend stieg er ab, nachdem er den Befehl dazu erhalten hatte.
«Du wirst doch hoffentlich nicht schon schlappmachen, Bubi!», spottete der SS-Offizier, der die Pistole nun in der linken Hand hielt. «Los, fass mit an!»
Gemeinsam wuchteten sie die erste Kiste von der Ladebrücke und trugen sie durch die drei offenen Tore des ersten Sperrbogens, dessen Fallgitter ebenfalls hochgezogen war.
Vor dem Torgebäude des zweiten Sperrbogens setzten sie die Kiste ab, um kurz zu verschnaufen. Auch hier stand das eisenbeschlagene Doppel-Flügeltor gähnend weit offen. Da hatte es offenbar jemand sehr eilig gehabt, sich aus dem Staub zu machen.
«Los, weiter!»
Keuchend schleppten sie ihre schwere Last in den Hof der zweiten Vorburg.
«Das reicht vorerst! Holen wir die andere Kiste!», kommandierte der Untersturmführer schnaufend. «Und vergiss die Pistole nicht!»
Mittlerweile war es ganz dunkel geworden, aber der noch fast volle Mond ging gerade auf, so dass die Sicht schon nach kurzer Zeit besser war als zuvor bei ihrem Wendemanöver.
Bald darauf stand auch die zweite Kiste auf dem gekiesten Fussweg. Die zwei ungleichen Männer eilten erneut zum Lastwagen, wo der Soldat die über den beiden Kotflügeln befestigten Werkzeuge aus ihren Halterungen nahm; auf der Fahrerseite die Schaufel, rechts den Pickel.
Als sie wieder neben den Kisten standen, deutete der SS-Führer auf eine Stelle unterhalb des Fusswegs. «Nimm den Pickel und such eine Stelle, an der sich ein genügend grosses Loch buddeln lässt, ohne gleich auf Fels zu stossen!»
Nachdem er mehrmals die Pickelspitze im grasbewachsenen Boden versenkt und wieder herausgezogen hatte, richtete sich der Soldat auf. «Hier müsste es gehen», verkündete er mürrisch.
Der Untersturmführer warf ihm die Schaufel vor die Füsse. «Los, graben! Aber zuerst die Grasnarbe schön ausstechen und abtragen! Die brauchen wir nachher wieder!»
Als ihm das Loch gross genug schien, hielt der schwitzende Mann inne und blickte kurz auf, senkte den Kopf jedoch sogleich wieder.
«Das reicht! Komm her und hilf mir mit den Kisten!»
Mit dem Mut der Verzweiflung griff der noch unerfahrene Soldat an. Das Schaufelblatt traf mit einem metallischen Laut auf die Luger, deren Lauf durch die Wucht des Schlages nun nicht mehr auf ihn zielte. Er liess die Schaufel fallen und stürzte sich mit einem wilden Schrei auf seinen Gegner. Im nächsten Augenblick krachte der Pistolengriff gegen seine linke Schläfe und liess ihn bewusstlos zu Boden gehen.
Der Untersturmführer verlor keine Zeit. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass der Soldat eine Weile schlafen würde, zerrte er die beiden Kisten zum Loch und vergrub sie. Anschliessend fügte er sorgfältig die Grasnarbenstücke zusammen und trug das Aushubmaterial zu zwei in der Nähe wachsenden Sträuchern, unter denen er die Erde gleichmässig verteilte.
Als er damit fertig war, zog er dem Bewusstlosen unsanft die Uniform aus und nahm ihm seine Erkennungsmarke und die Armbanduhr ab. Eilig entledigte er sich seiner eigenen Uniform und zog sie dem regungslos daliegenden Mann an, nachdem er dessen Pistole, den Zündschlüssel sowie eine Streichholzschachtel aus der Tasche des SS-Rocks genommen hatte. Anschliessend legte er ihm die Kette mit seiner eigenen Erkennungsmarke um den Hals und seine Armbanduhr um das linke Handgelenk. Nach kurzem Zögern streifte er auch noch seinen Ring ab und steckte ihn dem Soldaten an den Ringfinger.
Nachdem er in die Wehrmachtsuniform geschlüpft war, die Walther in ihrem Holster versorgt und die Luger eingesteckt hatte, säuberte er Pickel und Schaufel im feuchten Gras und eilte damit zum Laster, wo er die beiden Werkzeuge wieder in ihren Halterungen festmachte. Dann rannte er zurück in den Burghof.
Nach einem prüfenden Blick in die Runde packte er den Bewusstlosen unter den Armen und schleifte ihn rückwärtsgehend zum Lastwagen, wo er ihn nach einer kurzen Verschnaufpause mühsam ins Fahrerhaus bugsierte und auf den Beifahrersitz zerrte.
Keuchend startete er den Motor, der sofort ansprang. Mit grösster Vorsicht lenkte er, Blut und Wasser schwitzend, den Lkw mit offener Heckklappe im fahlen Licht des Mondes den schmalen Weg zum Kiesplatz hinunter. Dort erst schaltete er das Licht ein und fuhr langsam durch die kleine Ortschaft.
Am Ortsende beschleunigte er etwas und behielt das Tempo bei, bis er die Lichter in den Aussenspiegeln nicht mehr ausmachen konnte.
An einer Stelle, an der die Strasse direkt am Ufer der Salzach verlief, stoppte er und stieg aus, ohne den Motor abzuschalten. Schnell ging er um den Laster herum, riss den Pickel aus der Halterung und rannte zum Fahrzeugheck.
Nachdem er das Werkzeug auf die Fahrzeugbrücke geworfen hatte, kletterte er selbst auf die Ladefläche, hob den Pickel wieder auf und zertrümmerte mit kräftigen Schlägen den Deckel einer Holzkiste. Da er nur zu gut wusste, was sie geladen hatten, brauchte er kein Licht. Blind griff er in die Kiste und stopfte die daraus entnommenen Bündel mit den gefälschten britischen Pfundnoten in die Rocktaschen.
Mit flinken Fingern holte er die Streichholzschachtel aus der linken Hosentasche und entnahm ihr mehrere Streichhölzer, die er entzündete und damit die Geldscheine in der Kiste in Brand steckte.
Als die Flammen hell aufloderten, liess er die Schachtel wieder im Hosensack verschwinden, packte den Pickelstiel und sprang vom Fahrzeug. Sorgfältig befestigte er das Werkzeug an seinem Platz, rannte um die Motorhaube herum und stieg ein.
Ohne Zögern zog er die Walther aus dem Holster, jagte dem immer noch bewusstlosen Soldaten in der SS-Uniform aus nächster Nähe eine Kugel durch den Kopf, steckte die Waffe an ihren Platz zurück und legte den ersten Gang ein.
Mit beiden Händen packte er das Lenkrad und schlug nach links ein, während er langsam die Kupplung kommen liess. Als sich der Laster in Bewegung setzte, sprang er aus dem Fahrerhaus und sah zu, wie zuerst das linke Vorderrad langsam über den Rand der Böschung rollte, dann die linken Zwillingsräder der Hinterachse, und wie das Fahrzeug schliesslich seitlich kippte.
So schnell ihn seine Beine trugen, rannte der Mörder auf einen schmalen Waldstreifen zu und verschwand zwischen den Bäumen. Dort blieb er stehen und blickte zurück.
Ein zufriedenes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sah, wie das Feuer neben der Strasse immer grösser wurde. Wenn auch noch das Benzin in Flammen aufging, würde der Lastwagen komplett ausbrennen und eine Identifizierung der Leiche verunmöglichen. SS-Untersturmführer Wolfgang Kramer hatte soeben aufgehört zu existieren!
Wenn der Krieg zu Ende und genügend Gras über die Geschichte gewachsen war, würde er eine passende Gelegenheit abwarten, um den Schatz in aller Ruhe zu bergen.
Er konnte nicht ahnen, dass bis dahin fast dreiundzwanzig Jahre vergehen sollten.
Januar 1968. Ärgerlich erhob sich der kräftige Mann aus seinem bequemen Sessel, als es zum zweiten Mal an der Wohnungstür klingelte. Wer mochte ihn um diese Zeit noch stören?
Im Vorbeigehen fischte er die SIG P210 aus der ansonsten leeren Blumenvase, entsicherte sie und steckte sie hinter dem Rücken in den Hosenbund. Er liebte keine Besuche, und schon gar keine nächtlichen, wenn nicht er selbst der Besucher war.
Ohne Licht zu machen, betrat er den Gang, drehte geräuschlos den Schlüssel im Schloss um und riss mit einem Ruck die Tür auf. Vor ihm stand eine Frau, die ihn mit grossen Augen erschrocken ansah.
«Sind Sie Robert Jaws?», fragte sie geradeheraus, als sie sich von ihrer Überraschung erholt hatte.
«Wer will das wissen?» Aufmerksam musterte der ehemalige Geheimagent die vom Mondlicht überflutete Umgebung. Seine späte Besucherin schien allein zu sein.
Ein sympathisches Lächeln erschien auf dem hübschen Gesicht. «Ich bin Ingrid Sommer!» Sie streckte ihm die Hand hin. «Heissen Sie nun Robert Jaws oder nicht?»
«Namen sind unwichtig; man kann sie nach Belieben ändern», brummte er. «Nennen Sie mich einfach Quint, das genügt!» Ohne ihre hingestreckte Hand zu beachten, stiess er die Tür ganz auf und trat einen Schritt zur Seite. «Kommen Sie herein!»
«Danke.»
Er schloss hinter ihr ab und machte das Licht an. «Was wollen Sie von mir? Und wie haben Sie mich überhaupt gefunden?»
«Das ist eine längere Geschichte.»
«Machen Sie es kurz! Ich habe nicht die ganze Nacht Zeit!»
«Darf ich wenigstens meinen Mantel ausziehen?», fragte sie, unbeeindruckt von Quints abweisendem Verhalten.
«Meinetwegen», knurrte er, ohne Anstalten zu machen, ihr dabei behilflich zu sein. «Dort drüben hängt ein Kleiderbügel.» Er würde ganz bestimmt nicht den Kavalier spielen. Auch wenn er sich eingestehen musste, dass er die Frau mit den schulterlangen, blonden Haaren nicht unattraktiv fand.
Mit einem strahlenden Lächeln wandte sie sich ihm zu, als der Mantel hing, und sah ihn erwartungsvoll an. Quint schätzte ihr Alter auf Mitte dreissig.
«Da Sie nun schon mal hier sind …» Seine linke Hand, an der ausser dem Daumen alle Finger fehlten, wies auf die offene Wohnzimmertür, hinter der ein gemütlich aussehendes Sofa zu erkennen war. «Setzen Sie sich!»
«Was wissen Sie über den angeblichen Schatz im Toplitzsee?», fragte Ingrid Sommer unvermittelt, noch bevor sie Platz genommen hatte.
«Was man halt so hört und liest», antwortete Quint mit desinteressiert klingender Stimme ausweichend, während bei ihm die Alarmglocken Sturm läuteten.
«Sie sind ein Schwindler! Sie waren schon dort! Ich habe Sie gesehen!» Triumphierend funkelten ihn ihre grünen Augen an. «Vor vier Jahren, als das österreichische Innenministerium sich nach dem jüngsten Tauchunfall dazu entschlossen hatte, den See selbst absuchen und danach für jegliche Unterwasseraktivitäten sperren zu lassen!»
Quint schwieg. Ihm war damals niemand speziell aufgefallen – ausser dem anderen Mann, der sich ebenfalls für die staatlich autorisierten Tauchgänge interessiert zu haben schien. Er wurde wohl alt!
«Ärgern Sie sich nicht darüber, dass Sie mich nicht gesehen haben!», sagte Ingrid Sommer lachend. «Ich war sehr weit entfernt und habe Sie durch mein Fernglas beobachtet – wie übrigens auch den anderen Mann. Ausserdem hätten Sie mich ohnehin nicht wiedererkannt!» Ihre rechte Hand fuhr zum Kopf und zog mit einer fliessenden Bewegung die Perücke herunter, unter der ihr kurzgeschnittenes, braunes Haar zum Vorschein kam.
«Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie Sie mich gefunden haben», erinnerte Quint sie, ohne sich seine Überraschung gross anmerken zu lassen.
«Mein Onkel mütterlicherseits ist Schweizer und arbeitet bei der Kriminalpolizei. Da Sie an Ihrem Wagen ein Schweizer Kennzeichen haben, war es nicht allzu schwer, Sie aufzuspüren und im Auge zu behalten.»
«Und weshalb haben Sie mich überhaupt gesucht?»
«Weil Sie zum Kreis der verdächtigen Personen gehörten», erklärte sie freimütig.
«Verdächtig?» Quint glaubte, sich verhört zu haben.
«Ja. Aber da Sie weder ein Angehöriger der Wehrmacht noch der SS waren, scheiden Sie als Täter aus. Sonst wäre ich jetzt ja auch nicht hier!»
«Da kann ich ja froh sein, dass ich damals für die Gegenseite gearbeitet habe!», antwortete er trocken. «Wollen Sie nicht endlich zur Sache kommen? In meinem Alter braucht man genügend Schlaf, und Sie halten mich davon ab!»
«Wenn Sie mich nicht dauernd unterbrechen und stattdessen zuhören würden, hätte ich es Ihnen schon längst erklärt! Typisch Mann!»
Er verkniff sich ein Grinsen. «Also?»
«Da Sie sich ja offenbar mit den Geschehnissen rund um den Toplitzsee befasst haben, dürfte Ihnen bekannt sein, dass bisher nur gefälschte Pfundnoten, Waffen und sonstiger Schrott daraus zutage gefördert wurden. Vom sagenumwobenen Schatz keine Spur! Ich glaube auch nicht, dass da mehr ist! Wer versenkt schon einen Schatz, den er irgendwann wieder bergen will, in einem See? So dämlich dürften nicht einmal die Nazis gewesen sein!»
Quint, der aufmerksam zuhörte, nickte schweigend vor sich hin. Zu dieser Ansicht war er auch gelangt.
«Folglich muss man die wirklich wertvolle Ware woanders hingebracht und versteckt haben. Und möglicherweise kenne ich den Ort beziehungsweise die Umgebung, in der sich das Versteck befindet!»
Jetzt war er interessiert! Und wie!
«Meine jahrelangen Nachforschungen, deren Einzelheiten ich Ihnen erspare, haben ergeben, dass der hinterste Lkw der Kolonne nicht zum Toplitzsee gefahren ist, sondern sich vorher von den übrigen Fahrzeugen getrennt hat. Man fand ihn später umgekippt und vollständig ausgebrannt neben der Strasse in der Nähe eines kleinen Ortes namens Werfen. Ich glaube, dass genau dieser Lastwagen den eigentlichen Schatz geladen hatte!»
«Wie kommen Sie darauf? Was ist an diesem Fahrzeug so interessant, abgesehen davon, dass es offenbar in eine falsche Richtung gefahren ist und einen Unfall hatte?»
«Der Fahrer war mein Bruder Rolf! Er diente beim Heer und war in den letzten Kriegstagen im Auftrag des mit dem Abtransport der Blüten betrauten SS-Sonderkommandos unterwegs!»
«Sie wollen doch nicht etwa andeuten, dass er sich den Schatz unter den Nagel reissen wollte?», fragte Quint vorsichtig.
«Ganz im Gegenteil!», rief Ingrid Sommer erregt. «Rolf war ein grundehrlicher, gutmütiger Mensch! Nie im Leben wäre er zu einer Schurkerei fähig gewesen, ganz zu schweigen von einem kaltblütigen Mord!»
«Mord?»
Sie nickte aufgeregt. «Der Beifahrer sass noch im Laster, als er ausbrannte! Natürlich konnte man die Leiche nicht mehr identifizieren! Aber die gefundene Erkennungsmarke und weitere persönliche Gegenstände liessen die Behörden glauben, dass es sich bei dem Toten zweifelsfrei um einen SS-Untersturmführer Wolfgang Kramer handelte! Da seine Waffe fehlte und der Schädel auf der linken Seite ein Einschussloch aufwies, schlossen sie daraus, dass er nicht aus freien Stücken beziehungsweise tot im Fahrzeug sass, als es in Brand geriet und umkippte! Es heisst, Rolf hätte den SS-Offizier erschossen und sich mit dem Gold aus dem Staub gemacht!» Ihre Stimme bebte vor Empörung.
«Und Sie vermuten nun, dass es genau umgekehrt war? Dass dieser Kramer Ihren Bruder ermordet hat und selbst gefahren ist? Damit alle glauben, Ihr Bruder sei noch am Leben, während der angeblich tote Kramer untergetaucht ist und auf eine passende Gelegenheit wartet, um den zuvor versteckten Schatz endlich zu holen?» Quint hatte Blut geleckt.
Ingrid Sommer nickte aufgeregt. «Genauso muss es sein!»
«Aber wieso glauben Sie, dass er den Schatz nicht schon längst gehoben hat und damit über alle Berge ist? Nach so vielen Jahren?»
«Vielleicht hatte er noch keine Gelegenheit dazu? Weil sich das Diebesgut an einem Ort befindet, an dem sich die Bedingungen seit damals grundlegend geändert haben?» Ein schelmisches Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. Diese Frau hatte es faustdick hinter den Ohren!
«Sie sprechen in Rätseln!»
«Ich sagte doch bereits, dass ich den anderen Mann am See auch beobachtet habe. Leider konnte ich sein Kennzeichen nicht erkennen, als er wegfuhr! Aber die Farbe und das Aussehen seines Wagens habe ich mir gemerkt! Und vor zwei Wochen habe ich ihn wiedergesehen!» Ihre Backen glühten vor Eifer. «Er schien sich sehr für die Gegend zu interessieren, in der das ausgebrannte Fahrzeug aufgefunden wurde!»
Gespannt beugte sich Quint vor. «Sie glauben, dass es Kramer war?»
«Genau das glaube ich! Ich bin mir sogar ziemlich sicher!»
«Sie sagten vorhin, dass er veränderte Bedingungen vorgefunden haben könnte. Was meinten Sie damit?»
«Die Burg Hohenwerfen befindet sich seit Kriegsende im Besitz des Bundeslandes Salzburg. Und jetzt raten Sie mal, wofür sie verwendet wird! Als Ausbildungszentrum für die Bundesgendarmerie!»
«Es gibt da eine Burg?»
«Eine ziemlich grosse sogar! Sie diente bis wenige Tage vor Kriegsende als Gauführerschule.»
«Angenommen, er hat das Gold in der Burg oder zumindest in deren unmittelbarer Nähe versteckt, dann dürfte es ihm wohl ziemliche Bauchschmerzen bereitet haben, als er feststellen musste, dass es dort von Ordnungskräften nur so wimmelt! Das würde tatsächlich für Ihre These sprechen, dass er noch keine Möglichkeit hatte, seine Beute zu holen.»
Ingrid Sommer strahlte über das ganze Gesicht. «Schön, dass Sie meine Auffassung teilen!»
Schweigend sass Quint da und starrte nachdenklich vor sich hin. Seit etwas mehr als acht Jahren versuchte er, dem Geheimnis um den tatsächlichen Verbleib des angeblich im Toplitzsee versenkten Goldes auf die Spur zu kommen. Und nun tauchte diese Frau hier auf und präsentierte ihm gewissermassen des Rätsels Lösung auf dem Silbertablett – sofern ihre Theorie wirklich stimmte!
«Und was erwarten Sie jetzt von mir? Weshalb erzählen Sie ausgerechnet mir das alles, zumal Sie mich ja sogar der Tat verdächtigt haben?»
«Mein Onkel hat mir erzählt, Sie hätten im Krieg für den britischen Auslandsgeheimdienst gearbeitet. Stimmt das?»
«Die Leute reden viel», brummte er. Seine Nachbarn hielten ihn für einen Kriegsversehrten, was er ja im Grunde auch war, seit ihm die beiden Puffer bis auf den Daumen alle Finger der linken Hand zerquetscht hatten. Das war sein letzter Einsatz hinter den feindlichen Linien gewesen. Seither hielt er sich mit einfachen Gelegenheitsjobs über Wasser, die er trotz seines Handicaps gut erledigen konnte. Er brauchte nicht viel zum Leben.
«Ich will diesen Kramer! Er muss für das, was er Rolf angetan hat, bezahlen!» Ingrid Sommer fixierte Quint mit grimmigem Gesicht.
«Da sind Sie bei mir an der falschen Adresse! Ich bin kein Auftragskiller!»
«Wer hat denn etwas von Mord gesagt?», rief sie entrüstet. «Sie sollen den Mann vor ein Gericht zerren, damit er seine gerechte Strafe erhält und mein unschuldiger Bruder endlich rehabilitiert wird!»
«Tut mir leid, aber dafür bin ich nicht der Richtige!», wehrte Quint barsch ab, während es hinter seiner Stirn arbeitete. Hier bot sich ihm die einmalige Chance, in den Besitz des geheimnisumwitterten Goldschatzes zu gelangen. Aber er verspürte nicht die geringste Lust, sich mit dem Weibsbild zu belasten. Er musste sie irgendwie loswerden.
«Man müsste ihm bloss auflauern, wenn er wieder in der Nähe der Burg auftaucht, um sein Vorhaben endlich in die Tat umzusetzen!» Sie sah ihn mit ihren schönen Augen beschwörend an.
«Das kann möglicherweise nochmals Jahre dauern», erwiderte er. «Wenn es ihm bisher zu riskant war, weshalb sollte er es ausgerechnet jetzt wagen?»
«Weil sich ihm in wenigen Tagen eine ausgezeichnete Gelegenheit bieten wird! Dass er sich gerade jetzt wieder dort herumtreibt, deutet darauf hin, dass er das auch weiss und sich auf seinen grossen Moment vorbereitet! Er kann gar nicht anders, wenn er nicht vollkommen bescheuert ist! Und das ist er mit Sicherheit nicht!»
«Und wie soll diese grossartige Gelegenheit aussehen? Haben alle Gendarmen gleichzeitig Urlaub und lassen ihre Ritterburg unbeaufsichtigt zurück?» Es sollte verletzend klingen, aber seine Neugier war zu gross, um sie gänzlich vor der intelligenten Frau verbergen zu können. Er kam sich vor wie ein Fisch, der soeben einen fetten Köder geschluckt hatte.
Ingrid Sommers Augen glänzten vor Aufregung, als sie mit ihrer Überraschung herausplatzte. «Viel besser! Auf der Burg wird ein Film gedreht!» Mit vergnügter Miene wartete sie, bis sich Quint von seiner Überraschung erholt hatte, bevor sie fortfuhr: «Wie ich gehört habe, soll es sich um einen Agentenfilm handeln! Also genau richtig für Sie!»
Beinahe widerstrebend schüttelte Quint den Kopf. «Das alles liegt jetzt schon fast ein Vierteljahrhundert zurück. Warum gehen Sie nicht einfach nach Hause zu Ihrem Mann und Ihren Kindern und lassen die Sache auf sich beruhen?»
«Ich kann keine Kinder kriegen, und mein Mann ist vor mehr als zehn Jahren bei einem selbstverschuldeten Autounfall ums Leben gekommen.»
Da er nicht recht wusste, was er dazu sagen sollte, liess er es ganz sein.
Mit enttäuschtem Gesichtsausdruck erhob sie sich und setzte ihre blonde Perücke wieder auf. «Überlegen Sie es sich nochmals in aller Ruhe! Schlafen Sie eine oder meinetwegen zwei Nächte darüber! Ich wohne in einem kleinen Hotel ganz in der Nähe. Bevor ich abreise, werde ich Sie nochmals aufsuchen!» Ohne eine Antwort abzuwarten, verliess sie das Zimmer und nahm ihren Mantel vom Bügel.
«Da gibt es nichts zu überlegen! Mein Entschluss steht fest! Und schlafen würde ich schon lange, wenn Sie nicht hier aufgekreuzt wären!» Er schloss die Wohnungstür auf und wartete, bis sie den Mantel zugeknöpft hatte. Dann löschte er das Licht und öffnete ihr die Tür. «Gute Nacht!»
«Ebenfalls!» Ohne ihn noch eines Blickes zu würdigen, rauschte sie an ihm vorbei in die mondhelle Nacht hinaus.
Nachdenklich blickte Quint ihr nach. Das Aufheulen eines Motors liess ihn zusammenzucken. So beschleunigte man ein Fahrzeug, wenn man auf der Flucht war; oder wenn man jemanden überfahren wollte!
Mit einem Satz war Quint vor dem Haus und riss seine SIG aus dem Hosenbund, während er zur Strasse rannte. Dort stand Ingrid Sommer, ihre Augen mit erhobenem Arm vor dem grellen Scheinwerferlicht des auf sie zurasenden Wagens schützend, neben der Motorhaube ihres Autos und rührte sich nicht vom Fleck.
Quint liess die Pistole fallen, um seine gesunde Hand frei zu haben. Mit einem kräftigen Ruck riss er die Frau am linken Arm zurück in den Vorgarten, während das Fahrzeug mit den beiden undeutlich erkennbaren Insassen haarscharf an ihrem Wagen vorbeischoss.
«Kommen Sie zurück ins Haus! Ich muss nur kurz ein paar Sachen zusammenpacken! Danach fahren wir in Ihr Hotel und holen Ihren Krempel! Hier sind Sie nicht mehr sicher!»
«Sie haben es sich also anders überlegt?», fragte Ingrid Sommer hoffnungsvoll. Sie schien noch gar nicht richtig begriffen zu haben, dass sie nur knapp einem Attentat entgangen war.
«Sie sind nach einem Besuch bei mir beinahe einem Mordanschlag zum Opfer gefallen! Das nehme ich sehr persönlich!»
Erfreulicherweise schien Ingrid Sommer eine eher unkomplizierte Vertreterin ihrer Spezies zu sein, wobei Quint die Ansicht vertrat, dass es grundsätzlich keine unkomplizierten Frauen gab; das eine schloss das andere automatisch aus. Deshalb hatte er auch nie das Bedürfnis verspürt, eine feste Bindung einzugehen. Er fand, dass hin und wieder ein kurzes Abenteuer ohne Verpflichtungen weitaus praktischer war und vollkommen reichte.
Jedenfalls hatte sie ihre Sachen innert kürzester Zeit gepackt und im Kofferraum seines Wagens verstaut gehabt. Und seit er beim letzten kurzen Zwischenhalt an einer Tankstelle mit Toilette ihren Pass durchgeblättert hatte, war er auch sicher, dass ihr Name stimmte. Er wusste gern, mit wem er es zu tun hatte!
Sein eigenes Gepäck lag auf dem Rücksitz. Die P210 und eine Schachtel mit fünfzig Patronen vom Kaliber 9 mm hatte er vorsichtshalber in einem nur ihm bekannten Versteck verschwinden lassen. Man wusste ja nie!
Inzwischen war sich Ingrid Sommer auch voll und ganz der Gefahr bewusst, der sie ausgesetzt war, und hatte sich bei ihrem Retter bedankt. Allerdings schien sie den Schock noch nicht ganz verdaut zu haben. Ihr Auto stand vor neugierigen Blicken geschützt in Quints Garage.
«Jetzt ist es nicht mehr weit! Dort vorn ist bereits die Ortstafel zu erkennen!»
«Wurde auch langsam Zeit!» Sie waren seit ihrem mehr oder weniger überstürzten Aufbruch mitten in der Nacht praktisch ununterbrochen unterwegs, und Quint war froh, wenn er endlich hinter dem Lenkrad hervorkommen konnte. Seine Beifahrerin hatte ihm zwar ein paarmal angeboten, ihn abzulösen, aber er hatte dankend verzichtet. Anscheinend beunruhigte sie, dass er zum Schalten die rechte Hand vom Lenkrad nehmen und den Wagen mit der versehrten linken steuern musste. Das war aber immer noch viel sicherer, als eine Frau fahren zu lassen! Um sie nicht zu sehr zu kränken, hatte er stur behauptet, dass sich sein Auto nicht so ohne Weiteres von jemandem fahren liess, der nicht mit den Tücken des alten Opels vertraut war. Irgendwann hatte sie dann endlich Ruhe gegeben.
Sie passierten die Ortstafel und Quint drosselte das Tempo, während beide nach einem Gasthof Ausschau hielten. Ingrid Sommer sah ihn zuerst.
Langsam liess Quint den Wagen auf den Parkplatz rollen und schaltete den Motor ab. Endlich! Gähnend rieb er sich die brennenden Augen.
«Selber schuld! Sie wollten mich ja ums Verrecken nicht fahren lassen!»
Er wandte den Kopf seiner Beifahrerin zu, die einen erstaunlich frischen Eindruck machte.
«Wollen wir nicht endlich aussteigen? Oder ziehen Sie es vor, in Ihrem heimtückischen Auto zu warten, während ich mir in aller Ruhe ein feines Mittagessen schmecken lasse? Ich kann der Bedienung ja sagen, dass sie die Rechnung dem zerknitterten alten Mann im Opel bringen soll!» Ingrid Sommer grinste ihn herausfordernd an.
«Soweit kommt’s noch!», schnaubte Quint mit gespielter Empörung. «Es reicht schon, wenn ich Sie gratis herumkutschieren muss!»
Sie assen gut und reichlich zu Mittag und erkundigten sich bei der netten älteren Dame, die sie bediente, nach einer Schlafgelegenheit für vorerst zwei Nächte. Praktischerweise waren alle drei Zimmer frei, und so konnten sie wenig später zwei davon im oberen Stock des rustikalen Gebäudes beziehen.
Nachdem sie ihr Gepäck aus dem Wagen geholt und sich halbwegs eingerichtet hatten, trafen sie sich im Zimmer von Quint, der inzwischen sein Auto hinter das grosse Haus gefahren hatte, damit es von der Strasse aus nicht zu sehen war. Die SIG lag gesichert unter seinem Kopfkissen.
«Kommen Sie ans Fenster! Von hier aus kann man die Burg bereits erkennen! Und dann diese wundervolle Gegend mit den verschneiten Bergen!» Die Frau schien wirklich nicht müde zu sein.
«Ich weiss», murmelte Quint desinteressiert, ohne von der Landkarte aufzusehen, die vor ihm ausgebreitet auf einem kleinen Tischchen lag. «Zeigen Sie mir lieber, wo man den Laster Ihres Bruders gefunden hat!»
Sie drehte sich um und trat neben ihn. Aufmerksam studierte sie die Karte, um dann den Finger ohne zu zögern auf einen Punkt zwischen Werfen und ihrem Aufenthaltsort zu legen. «Ungefähr da!»
«Also gar nicht weit weg von hier. Das macht Sinn. Dieser Kramer war bestimmt nicht scharf darauf, Ihren Bruder noch lange mit dem Militärlastwagen durch die Gegend zu karren, nachdem er den Schatz versteckt hatte.» Er sah sie von der Seite an und fügte leise hinzu: «Das war jetzt keine Absicht, ich habe nicht auf meine Worte geachtet.»
Ingrid Sommer nickte stumm, ohne den Blick von der Karte abzuwenden.
«Was halten Sie davon, wenn wir uns die Burg aus der Nähe ansehen und uns im Ort etwas umhören? Die bevorstehenden Dreharbeiten müssten doch eigentlich im Umkreis von hundert Kilometern das Gesprächsthema Nummer eins sein. Meinen Sie nicht auch?»
Sie sah ihn an und lächelte. «Einverstanden! Ich hole nur schnell meine Jacke.»
Nachdem Ingrid Sommer den Raum verlassen hatte, zog Quint seine gefütterte Jacke an und holte die Pistole unter dem Kissen hervor. Als er sie gerade in der rechten Tasche verschwinden liess, bemerkte er, dass die Frau schon wieder zurück war und ihn durch die offene Tür erschrocken anstarrte. Wortlos trat er ebenfalls auf den Flur hinaus, schloss sein Zimmer ab und ging vor ihr die Treppe hinab.
Erst als sie im Wagen sassen, sagte er: «Regel Nummer eins: Lass nie deine Waffe in einem fremden Haus zurück, wenn du es verlässt! Sonst ist sie vielleicht nicht mehr da, wenn du sie holen willst!»