Albert - Lew Tolstoi - E-Book

Albert E-Book

Lew Tolstoi

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Beschreibung

Eine anrührende Fabel vom russischen Meister Tolstoi über die wahren Kosten künstlerischen Genies. Der überaus begabte aber mittellose Musiker Albert wird vom wohlhabenden Delesow eingeladen, in seinem Haus zu wohnen. Zunächst maßlos begeistert von Alberts Talent, kommen dem Gönner bald Zweifel in Bezug auf dessen moralischen Charakter. Hilft der Alkohol dem Genie oder ist er lediglich ein schnöder Alkoholiker? Die Anbetung Delesows wird auf eine harte Probe gestellt und er schickt den besinnungslosen Albert kurzerhand hinaus in den Schneesturm.-

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Seitenzahl: 49

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Lew Tolstoi

Albert

Übersezt von Alexander Eliasberg

Saga

Albert

 

Übersezt von Alexander Eliasberg

 

Titel der Originalausgabe: глупый

 

Originalsprache: Russisch

 

Coverbild/Illustration: Shutterstock

Copyright © 1858, 2021 SAGA Egmont

 

Alle Rechte vorbehalten

 

ISBN: 9788728017562

 

1. E-Book-Ausgabe

Format: EPUB 3.0

 

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.

Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.

 

www.sagaegmont.com

Saga ist Teil der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt.

I

Fünf reiche, junge Herren kamen einmal gegen drei Uhr nachts in ein Petersburger Ballokal, um sich etwas zu zerstreuen.

Es wurde viel Champagner getrunken, die Herren waren zum größten Teil sehr jung, die Mädchen waren hübsch, Klavier und Geige spielten unermüdlich eine Polka nach der anderen, Tanz und Lärm hörten gar nicht auf, und doch war es langweilig und ungemütlich, und jeder der Beteiligten hatte den Eindruck (wie es ja oft vorkommt), das Ganze sei nicht das Richtige und eigentlich überflüssig.

Einigemal machten sie krampfhafte Versuche, die Stimmung zu heben, aber die erkünstelte Ausgelassenheit war noch schlimmer als Langeweile.

Einer von den Fünfen, der mehr als die anderen mit sich, mit den anderen und mit dem Abend unzufrieden war, stand angeekelt auf, nahm seinen Hut und verließ den Saal in der Absicht, sich unbemerkt davon zu machen.

Im Vorzimmer war niemand, doch aus einem Nebenzimmer hörte man durch die Tür zwei Stimmen, die miteinander stritten. Der junge Mann blieb stehen und horchte.

»Sie dürfen nicht hinein, es sind Gäste da,« sagte eine weibliche Stimme.

»Lassen Sie mich doch, bitte, ich tu ja nichts!« flehte eine schwache männliche Stimme.

»Nein, ich kann Sie ohne Erlaubnis von Madame nicht hineinlassen!« sagte die Frau. »Wo wollen Sie denn hin? Sie sind aber einer! ...«

Die Türe ging auf, und auf der Schwelle erschien eine seltsame männliche Gestalt. Als das Dienstmädchen den Gast erblickte, hielt es den Mann nicht länger zurück; die seltsame Gestalt machte eine schüchterne Verbeugung und trat schwankend, mit schlotternden Knien, ins Vorzimmer. Es war ein Mann von mittlerem Wuchse mit einem schmalen, gekrümmten Rücken und langem zerzausten Haar. Er trug einen kurzen Überzieher, ausgefranste enge Beinkleider und grobe ungewichste Stiefel. Um den schlanken weißen Hals trug er eine zu einem Strick zusammengedrehte Halsbinde. Die Ärmel waren zu kurz und ließen das schmutzige Hemd sehen. Trotz der auffallenden Magerkeit des Körpers war das Gesicht von einer zarten, frischen Farbe, und die von einem dünnen schwarzen Backenbart eingefaßten Wangen waren sogar rosig. Das ungekämmte Haar fiel nach rückwärts und ließ die nicht sehr hohe, doch außerordentlich reine Stirne frei. Die dunklen müden Augen blickten weich, suchend und zugleich selbstbewußt. Ihr Ausdruck wurde durch den Ausdruck der frischen, in den Mundwinkeln etwas gekrümmten Lippen, die von dem spärlichen Schnurrbart kaum verdeckt waren, wunderbar ergänzt.

Er machte einige Schritte, blieb dann stehen und lächelte dem jungen Mann zu. Das Lächeln schien ihm einige Mühe zu kosten, doch sein Gesicht erstrahlte dabei so anmutig, daß der junge Mann ihm gleichfalls, ohne selbst zu wissen warum, zulächelte.

»Wer ist das?« fragte er leise das Dienstmädchen, als die seltsame Gestalt im Tanzsaal verschwunden war.

»Ein verrückter Musiker vom Theater,« antwortete das Dienstmädchen, »er kommt manchmal zur Wirtin.«

»Delessow, wo steckst du denn?« rief man aus dem Saal.

Der junge Mann, der Delessow hieß, kehrte in den Saal zurück.

Der Musiker stand an der Türe und sah den Tanzenden zu. Er lächelte, schlug mit der Fußspitze den Takt und hatte offenbar an diesem Schauspiel große Freude.

»Tanzen Sie doch mit!« sagte ihm einer der Gäste.

Der Musiker verbeugte sich und warf der Wirtin einen fragenden Blick zu.

»Tanzen Sie doch, wenn die Herren Sie auffordern ...« ermunterte ihn die Wirtin.

In die mageren und kraftlosen Glieder des Musikers kam auf einmal lebhafte Bewegung; er begann lächelnd, mit den Augen zwinkernd und am ganzen Leibe zuckend, schwerfällig durch den Saal zu hüpfen. Ein lustiger Offizier, der sehr schön und temperamentvoll tanzte, stieß ihn mitten in der Quadrille aus Versehen in den Rücken. Die schwachen, dünnen Beine des Musikers konnten das Gleichgewicht nicht bewahren, er machte einige schwankende Bewegungen zur Seite und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden. Trotz des harten, trockenen Lautes, mit dem sein Körper am Boden anschlug, lachten fast alle Gäste im ersten Augenblick auf.

Doch der Musiker blieb liegen. Die Gäste verstummten, selbst das Klavier hörte auf zu spielen; Delessow und die Wirtin eilten zuerst zu dem Gestürzten. Er lag auf einem Ellbogen und blickte trüb zu Boden. Als man ihn aufgehoben und auf einen Stuhl gesetzt hatte, strich er sich mit einer raschen Bewegung seiner knochigen Hand das Haar aus der Stirne und begann wieder zu lächeln, ohne auf die an ihn gerichteten Fragen zu antworten.

»Herr Albert! Herr Albert!« sagte die Wirtin. »Haben Sie sich weh getan? Wo denn? Ich habe ja gesagt, Sie sollten nicht tanzen. Er ist ja zu schwach!« fuhr sie fort, sich an die Gäste wendend. »Er hält sich kaum auf den Beinen! Wie soll er da noch tanzen können?«

»Wer ist er denn?« fragte man die Wirtin.

»Ein armer Mensch, ein Künstler. Ein braver Bursche, aber sehr heruntergekommen, wie Sie sehen.«

Sie sagte das, ohne auf die Anwesenheit des Musikers irgendwelche Rücksicht zu nehmen. Dieser kam inzwischen zu sich, krümmte sich, wie erschreckend, zusammen und stieß alle von sich weg.

»Macht nichts!« sagte er plötzlich, sich mit sichtbarer Anstrengung vom Stuhle erhebend.

Um zu zeigen, daß er sich nicht weh getan habe, trat er mitten in den Saal und schickte sich an, in seinem Hüpfen fortzufahren. Er verlor aber wieder das Gleichgewicht und wäre wohl wieder gestürzt, wenn man ihn nicht rechtzeitig aufgehalten hätte.