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Mindestens zweieinhalb Millionen Menschen sind in Deutschland alkoholabhängig, über 42.000 sterben jährlich an den schädlichen Folgen des Alkohols. Die Entstehung der Abhängigkeit ist komplex: Die Bedingungen reichen von genetischen Faktoren über psychologische und biographische Einflüsse bis hin zu sozialen Gegebenheiten. Das Buch informiert über die körperlichen und psychischen Aspekte der Alkoholsucht und gibt konkrete Hinweise, wie man Alkoholismus erkennt, behandelt und ihm vorbeugt.
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Wilhelm Feuerlein
Verlag C.H.Beck
Mindestens zweieinhalb Millionen Menschen sind in Deutschland alkoholabhängig, über 42.000 sterben jährlich an den schädlichen Folgen des Alkohols. Die Entstehung der Abhängigkeit ist komplex: Die Bedingungen reichen von genetischen Faktoren über psychologische und biographische Einflüsse bis hin zu sozialen Gegebenheiten. Das Buch informiert über die körperlichen und psychischen Aspekte der Alkoholsucht und gibt konkrete Hinweise, wie man Alkoholismus erkennt, behandelt und ihm vorbeugt.
Prof. Dr. med. Wilhelm Feuerlein war bis zu seiner Emeritierung Leiter der Psychiatrischen Poliklinik des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München. Zahlreiche Veröffentlichungen über Suchtkrankheiten, darunter (zusammen mit H. Küfner und M. Soyka) das medizinische Lehrbuch „Alkoholismus“ (5. Auflage).
Vorbemerkung
I. Zur Geschichte des Alkohols
II. Begriffe
1. Definition des Alkoholismus
2. Das Krankheitskonzept des Alkoholismus
III. Bedingungsgefüge des Alkoholismus
1. Modellvorstellungen
2. Droge Alkohol
Chemische Eigenschaften
Aufnahme und Verteilung des Alkohols im Körper
Stoffwechsel
2.1. Pharmakologisch-toxische Wirkungen
Wirkungen auf das Nervensystem
Biologische Grundlagen des Abhängigkeitspotentials
2.2. Klinische Wirkungen
Wirkungen auf Struktur und Funktion des Gehirns
Wachheit, Ermüdung, Aufmerksamkeit (Vigilanz)
Sensorische Funktionen
Stimmung
Intellektuelle Leistungen und Kreativität
Gedächtnis und Lernen
Wirkung auf andere Organsysteme (Herz, Lunge, Magen, Niere)
Ernährung und Stoffwechsel
Wirkungen auf Erbgut und Embryo
3. Entstehungsbedingungen, die vom betroffenen Individuum ausgehen
Familie und Genetik
Psychische Disposition
Lern- und verhaltenspsychologische Theorien
Psychodynamische Theorien
4. Entstehungsbedingungen, die vom sozialen Umfeld ausgehen
Soziokulturelle Einflüsse
Soziales Umfeld, Beruf und Familie, finanzielle Situation
5. Zusammenfassende Darstellung der Entstehung von Alkoholabhängigkeit
IV. Alkoholbedingte Folgeschäden
1. Medizinische Folgeschäden
Akute Alkoholvergiftung („Alkoholrausch“)
Alkohol-Entzugs-Syndrom
Erkrankungen der Leber
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse
Erkrankungen der oberen Verdauungswege
Erkrankungen des Magens und des Darms
Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems
Muskelerkrankungen (Myopathie)
Knochenerkrankungen
Alkohol und Krebs
Sonstige innere Krankheiten
Erkrankungen des Nervensystems
Allgemeine Hirnveränderungen
Wernicke-Korsakow-Syndrom
Alkoholbedingte Kleinhirnschädigung
Alkoholdelir
Alkoholbedingte Bewegungsstörungen
Alkohol-Polyneuropathie
Andere alkoholbedingte Krankheiten des Nervensystems
2. Alkoholembryopathie (Fötales Alkoholsyndrom)
3. Psychosoziale Folgen des Alkoholismus
Familie
Beruf und wirtschaftliche Situation
Verkehrstüchtigkeit
Suizidhandlungen
Kriminalität
Volkswirtschaftliche Kosten
V. Erkennung des Alkoholismus
1. Grenzwerte des Alkoholkonsums
2. Diagnostische Verfahren
VI. Formen und Verlauf des Alkoholismus
1. Typologien
2. Verlaufsphasen
„Natürlicher Verlauf“
Rückfälle
VII. Epidemiologie
1. Trinkverhalten der Gesamtbevölkerung
2. Trinkverhalten verschiedener Gruppen
3. Kombinierter Konsum von Alkohol und anderen Substanzen
4. Lebenserwartung von Alkoholikern
VIII. Behandlung des Alkoholismus
1. Behandlungsziele
2. Therapeuten
3. Einstellung zur Behandlung
4. Behandlungsablauf
Kontaktphase
Entgiftung
Entwöhnung
Behandlung
Rückfälle
Rehabilitation
5. Medikamentöse Behandlung
6. Selbsthilfegruppen
7. Behandlungsergebnisse
IX. Prävention
1. Ausgangsbedingungen
2. Ziele der Primärprävention
3. Restriktive Maßnahmen
4. Edukative Maßnahmen
Kalorien- und Alkoholgehalt alkoholischer Getränke
Hinweise auf weiterführende Literatur
Register
Dieses Buch möchte mit seinen Informationen und Ausführungen vor allem auf folgende Zusammenhänge hinweisen:
1. Alkoholismus ist weltweit verbreitet, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Er ist derzeit in vielen Ländern das Suchtproblem Nummer 1.
2. Alkoholismus ist nicht auf eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung beschränkt, sondern ein Problem für jede soziale Schicht und jede Altersgruppe, von der Kindheit abgesehen; doch können auch ungeborene Kinder über ihre Mütter indirekt durch Alkohol erheblich und oft unheilbar geschädigt werden.
3. Alkohol ist in Mitteleuropa nahezu unbeschränkt erhältlich. Dies schützt zwar vor einem schwarzen Markt, fördert aber die mit dem Alkohol verbundenen gesundheitlichen und psychosozialen Probleme.
4. Alkoholismus ist nicht ein Kind unserer Zeit, sondern hat eine jahrtausendealte Geschichte.
Das Buch wendet sich an Personen ohne spezielle Vorkenntnisse („interessierte Laien“), die sich sachlich und relativ ausführlich über Alkohol und Alkoholismus informieren möchten und gegebenenfalls dieses Wissen beruflich einsetzen wollen (z.B. Journalisten, Lehrer, Richter, Rechtsanwälte).
Last but not least wünsche ich mir, daß dieses Buch in die Hände derer gelangt, die selbst oder in ihrer Umgebung mit Alkoholproblemen konfrontiert sind. Ihnen möchte ich es widmen.
Das ursprünglich aus dem Arabischen stammende Wort alkool geht auf Paracelsus zurück, der es erstmals im Jahre 1520 im Sinne von „feines Pulver“ gebrauchte. 1616 taucht dann das deutsche Wort Alcool in der Bedeutung von Branntwein auf.
Alkohol, worunter im folgenden immer Äthylalkohol (Ethanol) verstanden wird, ist für den Menschen nach Wasser und Erdöl zur drittwichtigsten Flüssigkeit geworden. Ähnlich wie dieses ist Alkohol chemisch sehr einfach aufgebaut und verteilt sich leicht im Organismus. Er weist eine Reihe von Eigenschaften und Funktionen auf, die sich sonst kaum bei einer einzigen Substanz vereint finden. Alkohol ist
1. ein Nahrungsmittel mit hohem Energiegehalt
2. ein Genußmittel, das Getränken Wohlgeschmack verleiht
3. eine psychoaktive Substanz, die zu Bewußtseinsveränderungen führen kann. Deswegen dient sie:
– als Rauschmittel
– als Mittel für sakrale Zwecke
– als Mittel zur Förderung sozialer Kontakte.
Als psychoaktive Substanz kann Alkohol auch Schaden stiften:
– er kann soziale Probleme verursachen und
– er kann wegen seines Abhängigkeitspotentials zum Suchtmittel werden.
4. ein Pharmakon (in der ursprünglichen Doppel-Bedeutung dieses Wortes), also ein Heilmittel und zugleich ein Gift. Als Heilmittel wurde Alkohol früher vielfach verwendet; heute geschieht dies nur noch selten. Gründe dafür sind vor allem die geringe „therapeutische Breite“ und die erheblichen Nebenwirkungen: Alkohol kann bei akuter Überdosierung rasch zum Tod führen; bei chronischer Anwendung können schon relativ geringe Mengen fast alle Organsysteme schädigen und vor allem zur Abhängigkeit führen.
Seit prähistorischen Zeiten haben Menschen der verschiedensten Kulturkreise alkoholische Getränke meist aus Fruchtsäften und Getreide oder seltener aus Honig und Milch hergestellt. Sie machten sich dafür natürliche, hefebedingte Gärungsvorgänge zunutze, die wohl zufällig entdeckt wurden. Das Resultat waren wein- und bierartige Getränke, ferner Met oder der aus vergorener Milch bereitete Kumys. Sie konnten aus Gründen, die durch den Gärprozeß bedingt sind, nur höchstens 15–18 % Alkohol enthalten. Erst um das Jahr 1000 gelang es im Abendland, durch Destillation Getränke mit höherem Alkoholgehalt zu erzeugen. Diese Destillate haben weite Verbreitung gefunden. Sie wurden als „Geist des Weins“ oder „Lebenswasser“ (aqua vitae) hochgepriesen. Neuerdings wird anhand von Darstellungen, die erst vor wenigen Jahrzehnten in China gefunden wurden, vermutet, daß dort schon etwa 1000 Jahre früher Methoden bekannt waren, mit denen höherprozentige alkoholische Getränke hergestellt werden konnten.
Bier und Wein waren im Altertum und im Mittelalter übliche Getränke zum Löschen des Durstes und auch zum Stillen des Hungers. Wasser, das zumindest in den Städten meist von schlechter Qualität war, wurde nur von armen Leuten getrunken. Daneben schätzte man an den alkoholischen Getränken ihre psychoaktive Wirkung, vor allem den dadurch erzielbaren Rausch.
Der Rausch gehört wie Traum, Trance, Meditation, Hypnose und Ekstase zu den veränderten Bewußtseinszuständen. Er stellt eine „Bewußtseinserweiterung“ dar, die oft lustvoll, manchmal aber auch als bedrohlich erlebt wird. Während sakraler Handlungen galt der Rausch als eine Art Fahrzeug des Übergangs in eine heilige Welt. Die psychosoziale Funktion alkoholischer Getränke als Vermittler von Kontakten und als Spender von Freude kam besonders beim gemeinschaftlichen Trinken zum Tragen. Eine Teilnahme an den Trinkgelagen war in alten Zeiten Recht (und Pflicht) eines freien Bürgers. Sie nahmen einen breiten gesellschaftlichen Raum ein und waren durch differenzierte und strenge Regeln bestimmt. Doch ebenfalls seit Jahrtausenden sind in westlichen wie östlichen Kulturen negative Folgen des Alkoholkonsums bekannt. So warnten schon in der Antike Platon, Cicero, Cato, Seneca und der Apostel Paulus vor den Gefahren übermäßigen Weingenusses. Man wußte auch, daß es bestimmte Menschen gab, die nicht mit dem Trinken aufhören konnten. Sie traf ein moralisches Urteil. Man versuchte, auf verschiedene Weise den Wein- und später auch den Branntweinkonsum einzudämmen, allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. So empfahl man Selbstkontrolle und Änderung der Trinksitten. Schließlich wurden auch wiederholt strenge, ja prohibitive Maßnahmen verfügt. Die ersten Verbotsedikte gab es schon im China des 8. Jahrhunderts v. Chr. Mehr Erfolg hatten allerdings die beiden großen, von Asien ausgehenden Religionen des Buddhismus und des Islam. Beide verbieten den Genuß berauschender Getränke. Solche religiösen Vorschriften hatten entscheidende Verhaltensänderungen unter der Anhängerschaft zur Folge, was heute noch in den vom Buddhismus und dem Islam geprägten Gesellschaften zu beobachten ist.