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Ein gebrochenes Herz, ein zweifelhafter Ruf und ein fast perfekter Plan: Ein humorvoller und romantischer Roman über die Höhen und Tiefen der Liebe, des Lebens und der Suche nach sich selbst. Von einem Tag auf den anderen steht die 36-jährige Laurie vor den Scherben ihres ganzen Glücks: Ihre große Liebe Dan trennt sich von ihr. Um sich selbst neu zu finden, wie er sagt – eine Neue hat er allerdings auch schon gefunden. Als wäre das nicht schlimm genug, ist die Neue bald darauf schwanger von Dan, der Lauries Kinderwunsch seit Jahren abgeschmettert hat … Dass Dan und Laurie in derselben Anwaltskanzlei arbeiten und ihre Kollegen bald kein anderes Thema mehr kennen als das Liebes-Aus des einstigen Vorzeige-Pärchens, macht es für Laurie nicht leichter. Ausgerechnet mit ihrem als Weiberheld verrufenen Kollegen Jamie bleibt Laurie eines Abends im Fahrstuhl stecken. Gezwungenermaßen kommen die beiden ins Gespräch – und stellen fest, dass sie einander nützlich sein könnten. Es geht ja nur um ein bisschen Schauspielerei. Oder? Die RomCom der britischen Bestseller-Autorin Mhairi McFarlane begeistert mit witzigen Dialogen und ganz viel Gefühl Schon nach wenigen Seiten ihres humorvollen Liebesromans fühlen Mhairi McFarlanes Figuren sich wie Freunde an: Mit treffsicheren Dialogen voller Wortwitz erweckt die Bestseller-Autorin Laurie und Jamie zum Leben und sorgt dafür, dass neben Herz-Schmerz und Romantik auch der typisch britische Humor nicht zu kurz kommt. Entdecke auch die weiteren romantischen Komödien der britischen Bestseller-Autorin Mhairi McFarlane: - Wir in drei Worten - Ich glaub, ich will (Kurzroman) - Vielleicht mag ich dich morgen - Es muss wohl an dir liegen - Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt - Du hast mir gerade noch gefehlt - Sowas kann auch nur mir passieren - Fang jetzt bloß nicht an zu lieben - Between Us - Die große Liebe kennt viele Geheimnisse - Und plötzlich ist es wunderbar
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Seitenzahl: 538
Veröffentlichungsjahr: 2020
Mhairi McFarlane
Roman
Aus dem Englischen von Maria Hochsieder
Verlagsgruppe Droemer Knaur GmbH & Co. KG.
Von einem Tag auf den anderen steht die 36-jährige Laurie vor den Scherben ihres ganzen Glücks: Ihre große Liebe Dan trennt sich von ihr. Um sich selbst neu zu finden, wie er sagt – eine Neue hat er allerdings auch schon gefunden. Dass Dan und Laurie in derselben Anwaltskanzlei arbeiten und ihre Kollegen bald kein anderes Thema mehr kennen als das Liebes-Aus des einstigen Vorzeige-Pärchens, macht die ganze Sache für Laurie nicht leichter.
Ausgerechnet mit ihrem als Weiberheld verrufenen Kollegen Jamie bleibt Laurie eines Abends im Fahrstuhl stecken. Gezwungenermaßen kommen die beiden ins Gespräch – und stellen fest, dass sie einander nützlich sein könnten. Es geht ja nur um ein bisschen Schauspielerei. Oder?
Schon nach wenigen Seiten ihres humorvollen Liebesromans fühlen Mhairi McFarlanes Figuren sich wie Freunde an: Mit treffsicheren Dialogen voller Wortwitz erweckt die Bestseller-Autorin Laurie und Jamie zum Leben und sorgt dafür, dass neben Herz-Schmerz und Romantik auch der typisch britische Humor nicht zu kurz kommt.
Widmung
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
Danksagung
Meiner Schwester Laura, der leibhaftigen Lisa Simpson
Dan
Wann kommst du nach Hause? Ungefähr?
Laurie
Weiß nicht. HOFFENTLICH BALD.
Dan
Hoffentlich?
Laurie
Die trinken den Prosecco hier mit Himbeeren.
Dan
Ich dachte, du magst Prosecco. Und Himbeeren.
Laurie
Tu ich auch! Ich trinke selber einen. Aber das steht für eine ganz bestimmte Art von Mädelsabend, die einfach nicht zu mir passt. Sie nennen es Prickelbrause.
Dan
Hast du ein Problem, weil das Zeug anderen Leuten auch schmeckt? Ich glaube ja nicht, dass ich mich im Pub jemals darüber beschweren würde, wenn die anderen dasselbe bestellen wie ich.
Laurie
… Abgesehen von dem Mal, wo du gesagt hast, du hasst Junggesellenabschiede, bei denen man schon um 7 Uhr morgens bei Spoons in Gatwick zehn Gläser Stella Artois in sich reinschüttet.
Dan
Du musst wohl immer die Juristin raushängen lassen, was?
Laurie
HA. Vertippt. Eigentlich wolltest du schreiben: Hast mich auf frischer Tat ertappt, Champ.
Dan schreibt …
Dan schreibt …
Zuletzt online heute 21.18 Uhr.
Dan schien es sich anders überlegt zu haben. Laurie schaltete das Display aus und steckte ihr Handy zurück in die Tasche.
Eigentlich hatte sie gar nichts gegen das Klischee – Alkohol war Alkohol. Der Versuch, sarkastisch zu sein, war eher Maulheldentum. Es war ein Hilferuf. Laurie fühlte sich verloren, und das Handy war die Verbindung zum sicheren Hafen. Der heutige Abend war ein unfreiwilliger Flashback, denn sie musste daran denken, wie sie sich immer in der Mittagspause in der Schule gefühlt hatte. Ihre Mutter war alleinerziehend gewesen, und Laurie besaß weder Geld noch Coolness.
Bislang hatten die Mädels über die Vorteile von Augenbrauen-Mikroblading diskutiert (»Diese Ashley, die bei Stag Communications arbeitet, sieht aus wie Eddie Munster«) und darüber, ob Marcus Fairbright-Page bei KPMG ein fieses Arschloch war, der reihenweise Herzen und Bettgestelle brach (nach allem, was Laurie gehört hatte, würde sie klar und deutlich Ja sagen, aber sie hatte auch verstanden, dass ihre Meinung nicht wirklich erwünscht war). Und darüber, wie viele Strecksprünge aus der Liegestütze man beim HIIT-Work-out im Virgin-Active-Fitnessclub schaffte (keine Ahnung, vermutlich keinen).
Sie alle waren so glamourös und feminin, sorgfältig herausgeputzt, um sich öffentlich zur Schau zu stellen. Laurie fühlte sich wie eine Taube mit spülwassergrauem Gefieder in einem Gehege voller zwitschernder Tropenvögel.
Emily war ihr wirklich was schuldig. Ungefähr alle drei Monate flehte ihre beste Freundin Emily, Inhaberin einer PR-Agentur, Laurie an, beim Mitarbeiterabend dabei zu sein, damit er »nicht so öde« würde, weil sie andernfalls über nichts anderes als die neuen Kunden redeten. Als Geschäftsführerin und Gastgeberin saß Emily am Kopfende des Tischs, ließ alles auf die Firmenkreditkarte setzen und reichte Nocellara-Oliven und Salzmandeln herum. Laurie, die verspätet eingetroffen war, saß am entgegengesetzten Ende.
»Und, wer war das?«, fragte Suzanne rechts von ihr. Suzanne hatte wunderschönes, schulterlanges, dichtes, vanillepuddingblondes Haar und den strengen Blick eines Zollbeamten.
Laurie drehte sich zu Suzanne und verbarg ihre Gereiztheit hinter der Attrappe eines Bauchrednerlächelns. »Wer war was?«
»Am Handy! Du warst ja ganz vertieft.« Suzanne verdrehte ihre Rehaugen und imitierte einen schimpansenartigen Trancezustand, während sie mit den Händen über ein imaginäres Display wischte. Vom Alkohol angeregt kreischte sie mädchenhaft, auf eine Art, die grausam wirkte.
»Mein Freund«, erwiderte Laurie.
Das Wort »Freund« fing zwar langsam an, ein bisschen dämlich zu klingen, dachte Laurie, aber »Partner« wirkte so dröge und steif. Sie ahnte, dass die Gesellschaft, in der sie sich befand, sie bereits als genau das abgestempelt hatte.
»Ach … Ihr kennt euch wohl noch nicht lange?« Mit gespreizten Fingern strich sich Suzanne das Märchenprinzessinnenhaar hinter die Ohren und spitzte die Lippen.
»Haha! Kann man nicht gerade sagen. Wir sind zusammen, seit wir achtzehn waren. Wir haben uns an der Uni kennengelernt.«
»O mein Gott«, sagte Suzanne. »Und du bist wie alt?«
Laurie spannte die Bauchmuskeln an und antwortete: »Sechsunddreißig.«
»O mein GOTT!«, kreischte Suzanne noch einmal, so laut, dass ein paar andere zu ihnen herüberschauten. »Und ihr wart die ganze Zeit zusammen? Keine Seitensprünge oder Trennungen? Er ist tatsächlich dein erster Freund?«
»Ja.«
»Das hätte ich niemals fertiggebracht. O mein Gott. Wow. War er dein …«, sie senkte die Stimme, »allererster …?«
Laurie krümmte sich innerlich.
»Bisschen sehr persönlich nach gerade mal zwei Drinks, oder?«
Suzanne ließ sich nicht beirren.
»Ach, du liebes bisschen. Meine Güte, nein!«, sagte sie fröhlich, als mache sie nette Witze, dabei war sie einfach nur voreingenommen, obszön und grauenhaft. »Aber ihr seid nicht verheiratet?«
»Nein.«
»Möchtest du denn?«
»Nicht unbedingt«, sagte Laurie und zuckte die Schultern. »Ich bin weder besonders für noch gegen das Heiraten.«
»Vielleicht, wenn ihr mal Kinder habt?«, schlug Suzanne vor. Ach, wie subtil. Hau doch einfach ab, du blöde Kuh.
»Bist du verheiratet?«, fragte Laurie.
»Nein!« Suzanne schüttelte den Kopf, und ihr wunderschönes Haar wogte. »Aber mit dreißig möchte ich es auf jeden Fall sein. Ich habe vier Jahre, um den Richtigen zu finden.«
»Warum mit dreißig?«
»Ich denke einfach, ich will nicht als alte Jungfer enden.« Sie hielt kurz inne. »Ist nicht persönlich gemeint.«
»Klar.«
Laurie überlegte kurz, ob sie sagen sollte: Du weißt genau, wie grob das ist. Du weißt doch, dass man nicht einfach »nicht persönlich gemeint«hinterherschieben kann, um damit dem Ganzen die Spitze zu nehmen. Dann wog sie in üblicher britischer Manier das Für und Wider von zehn Sekunden Triumph ab, der die peinlichen und feindseligen Stunden, die darauf folgen würden, nicht wert war.
»Wer macht deinen Teint? Der ist ja ganz schön satt«, sagte Carly, die im Glitzertop auf der anderen Seite von Suzanne saß. Fassungslos prustete Laurie beinahe los. Was kam wohl als Nächstes? Und wer macht deine Dauerwelle?
Eigentlich wusste sie nicht, warum sie so fassungslos war. Bekäme sie für jedes Mal, wenn jemand eine Bemerkung über ihre Hautfarbe machte, ein Pfund, bräuchte sie sich keine Sorgen um die Hypothek für die Doppelhaushälfte in Chorlton machen. Normale Durchschnittsweiße hatten keine Ahnung, wie schockierend unverblümt die Leute sein konnten, wenn es um offensichtliche äußere Unterschiede ging.
»Meine Mum kommt aus Martinique«, erklärte Laurie und erwartete, dass sich auf Carlys Gesicht ein Anflug von Betretenheit abzeichnete.
Doch sie wartete vergebens.
»Deine was?«
»Martinique! Meine Mum kommt aus Martinique!«, schrie Laurie mit schriller Stimme gegen die Musik an und deutete auf ihr Gesicht. War es tatsächlich derart schwer, einen schwarzen Menschen im Kerzenlicht zu erkennen?
»Deine Mum heißt Martine Ik?«
Scheiß drauf.
»Ich hole mir einen Old Fashioned«, sagte Laurie und erhob sich abrupt. Denkt doch, was ihr wollt.
Da entdeckte sie die beiden, rein zufällig, als eine Lücke im Gedränge entstand. Unwillkürlich grinste Laurie, denn auch wenn es ein niedriger Instinkt war, verspürte sie einen Nervenkitzel, weil sie jemanden bei etwas ertappte, das sie ganz bestimmt nicht zu Gesicht kriegen sollte – in einer Sitznische ein paar Meter entfernt.
Ihr Kollege Jamie Carter verbrachte den Abend mit einer traumhaft schönen, jungen Frau. So weit, so absehbar. Doch es handelte sich nicht etwa um eine unbekannte Schönheit, vielmehr war sich Laurie zu neunundneunzig Prozent sicher, dass die Frau, an die er sich schmiegte, Eve, die Nichte des Chefs, war. Am Tag, bevor sie in der Kanzlei angefangen hatte, hatte man Jamie ausdrücklich davor gewarnt, sich ihr zu nähern. Das hier war Zündstoff für die Gerüchteküche im Büro. Womöglich sogar arbeitsvertragsbeendender Zündstoff, je nachdem, wie ernst Mr Salter seine Verantwortung nahm.
Die Warnung hatte im Büro für eine Menge Belustigung gesorgt: Jamie war tatsächlich eine Bedrohung für die Unschuld sittsamer Töchter.
»Man könnte Carter mit einer GoPro versehen, nach allem, was ich weiß«, johlte Laurie. »Das geheime Leben des Vorstadtcasanovas.«
Sie hatte dunkelrote kernlose Trauben aus einer Tüte gegessen, und die Wangen von Büroassistentin Jasmine hatten dieselbe Farbe wie das Obst angenommen, womit sie sich unfreiwillig als ein weiteres Opfer von Jamies Reizen outete.
Nun, was auch immer seine Vorgesetzten gesagt hatten, ganz offensichtlich hatte es einen verheerenden Effekt gehabt. Jamie hatte die vierundzwanzigjährige Jurastudentin innerhalb von einer Woche dazu gebracht, nach Feierabend beim Tête-à-Tête kubanischen Rum zu schlürfen.
Laurie musste ihn für seinen Mumm bewundern. Und ohne Zweifel war sie nicht die Einzige.
Mal ganz abgesehen von der riskanten Wahl der Begleitung war The Refuge exakt die Art Etablissement, in dem sie Jamie Carter an einem Freitagabend vermutet hätte. Aus den Lautsprechern dröhnte Good Times von Chic, und direkt über ihren Köpfen verkündete ein Kunstwerk aus schwarz-weißen Kacheln mit einer Skyline aus Fabrikschornsteinen den GLAMOUR VON MANCHESTER. Jamie und Eve passten zum Motto.
Die Bar in dem Hotel aus dem neunzehnten Jahrhundert glich einer funkelnden Kathedrale und war nur etwa eine Viertelstunde Fußweg von der Kanzlei an der Deansgate entfernt. Jamie war also nicht wirklich inkognito unterwegs. Warum ging er ein solches Risiko ein?
Vielleicht spekulierte er einfach darauf, dass ihn schon keiner der alten Käuze oder Vorstadtschnepfen unter den Kollegen erwischen würde. Ja, so war es wahrscheinlich. Soweit Laurie Jamie einschätzen konnte, gefiel ihm das gewagte Spiel. Aus mehr als einem Grund war es unwahrscheinlich, dass er sie bemerken würde, dort, zwischen den schnatternden Frauen am anderen Ende des Raums.
Es war nicht zu übersehen, dass Jamie ganz in seinem Element war. Lebhaft verzog er beim Reden sein hübsches Gesicht, und an einer Stelle schlug er sich theatralisch mit der Handfläche an die Stirn, um sein Entsetzen oder seine Scham zu unterstreichen. Mit jeder Minute verfiel ihm Eve sichtlich mehr, ihre Augen waren mittlerweile praktisch sternförmig wie bei einem Emoji. (Und trug er sonst nicht eine Brille? Ha, Eitelkeit.)
Jamie war zweifelsohne ein Profi auf diesem Gebiet, ein ganz und gar geübter Jäger in seinem natürlichen Lebensraum. Ob Eve allerdings wusste, dass sie die Antilope dieses Wochenendes war, war eine andere Frage.
Er hatte kurzes, dunkles, leicht gelocktes Haar und ausgeprägte Wangenknochen. Sie kamen direkt aus dem Büro, er trug noch sein weißes Hemd. Und Eve … na ja, Eve hatte gewusst, was sie vorhatten, denn sie trug einen dunkelblauen Hosenanzug mit Nadelstreifen, die Kostümjacke hatte sie abgelegt, dazu ein rotes Seidentop, schaukelnde Ohrringe und passende hochhackige ketchuprote Pumps. Sicher hatte sie die praktischen Ballerinas für den Achtstundentag irgendwo in der geräumigen Handtasche verstaut (war das eine Birkin Bag? Ach, wie schön musste es sein, einen reichen Onkel zu haben).
Einen Augenblick lang verspürte Laurie so etwas wie Ehrfurcht, denn Jamie und Eve passten so gut hierher, in dieses lärmende Gedränge, zu all den glitzernden jungen Leuten, ihren Paarungsritualen, straffen Bäuchen und ihrem unermesslichen Selbstvertrauen.
Meine Güte, wenn ich Single wäre, dachte sie, dann würde von mir erwartet werden, dass ich mit jemandem, den ich noch nie zuvor gesehen habe, nach Hause gehe und mich vor ihm ausziehe. Was für ein Horror. Daraus ein Hobby zu machen, so wie Jamie Carter es tat, war ihr völlig fremd. Gott sei Dank hatte sie Dan. Gott sei Dank konnte sie zu jemandem nach Hause gehen, bei dem sie sich tatsächlich zu Hause fühlte.
Während Laurie in der Menschentraube an der Bar wartete, sann sie über das Jamie-Carter-Phänomen nach.
Jamie hatte schon in der ersten Woche in der Anwaltskanzlei Aufsehen erregt, so wie auffallend gut aussehende Männer es im Allgemeinen taten, insbesondere in Büros, in denen die Leute viele Stunden wie in Zookäfigen eingesperrt zubrachten und sich von Zerstreuung ernährten. Die Zigarettenpause, die in modernen Zeiten ihr Leben ausgehaucht hatte, war davon abgelöst worden, sich in den sozialen Medien durch Profile zu wühlen und sie zur allgemeinen Diskussion zu stellen. Laurie war ausgesprochen dankbar, dass ihr Leben zu langweilig war, um einen Schauplatz abzugeben.
Anfangs herrschte in der Kanzlei Salter & Rowson aufgeregtes Geflüster am Wasserspender, dass jemand, der so gut aussah wie Jamie, alleinstehend war, und es wurden, ganz wie in einem Jane-Austen-Roman, Überlegungen angestellt, ob er wohl ein begehrter Junggeselle war. Noch dazu, wie Diana es formulierte, hatte er »keine Altlasten«, was Laurie schon immer als eine grobe Umschreibung für Ex-Frauen und Kinder empfunden hatte.
Nach einer Weile drehte sich das aufgeregte Geflüster darum, dass es ihn offensichtlich nicht interessierte, mit jemand Bestimmtem auszugehen, sondern dass er mal mit X, mal mit Y in den Abend entschwand (X oder Y waren üblicherweise wunderschöne Praktikantinnen wie Eve oder die Bekannte irgendeines Kollegen). Laurie überraschte es nicht. Jeder, der schon einmal einem Mann begegnet war, der scheinbar alle Möglichkeiten hatte und für den nichts auf dem Spiel stand, kannte das.
Wie alt er wohl war? Dreißig? Und offenbar gelüstete es ihn nicht nur nach Myriaden von Dates, sondern – sofern man dem anhaltenden Geflüster trauen konnte – er wollte auch beruflich vorankommen.
Nur eines passte nicht zu Jamies Ruf als geschmeidiger Womanizer, der sich durch die Betten schlief: Er suchte sich seine Beute sehr geschickt aus. Die Praktikantinnen hatten das Praktikum immer beendet, die Freundin des Freunds war nie eine enge Freundin, und das, was die Russen »Kompromat« nannten, blieb dürftig. Insofern galt er zwar als jemand, der die Damen liebte, wurde aber nie beschuldigt, ein Herzensbrecher zu sein, und es gab auch keine verschmähten Frauen, die seinen sexuellen Kunstfertigkeiten ein schlechtes Zeugnis ausstellten. Jamie Carter geriet nie in Schwierigkeiten. Bis jetzt jedenfalls.
Hallo?«, sagte eine Männerstimme dicht neben ihr.
»Hi!«, erwiderte Laurie, als der Gegenstand ihrer Überlegungen plötzlich auftauchte, als habe sie ihn herbeigeträumt. Absurderweise empfand sie leichte Schuldgefühle, weil sie über Jamie nachgedacht und ihn heimlich beobachtet hatte.
»Hey, du bist auch hier«, sagte Jamie. Obwohl er es gut verbarg, bemerkte Laurie, dass er sich unwohl fühlte. Im Büro hatten sie nie miteinander geredet, sie kannten sich nur vom Sehen. Er wusste nicht, wie er sie einschätzen sollte, und konnte sich nicht auf ihr Wohlwollen verlassen.
Sie waren beide Anwälte: Warum er sie ansprach, konnte sie nur allzu gut nachvollziehen. Er hatte sie gesehen, insofern war es wahrscheinlich, dass sie ihn ebenfalls bemerkt hatte – und Eve auch. Da war es besser, die Sache direkt anzusprechen und so zu tun, als wäre nichts dabei, statt Laurie zu ignorieren und ihr die Gelegenheit zu geben, die Story im Büro zu verbreiten.
»Ja. Mit den Kollegen einer Freundin. Und du?«
»Nur auf einen Feierabend-Drink.«
Haha, ach wirklich? Sie spielte mit dem Gedanken zu fragen, mit wem, war aber etwas zu betrunken und konnte nicht einschätzen, ob das nicht allzu offensichtlich wäre.
»Was willst du? Für den Fall, dass ich zuerst drankomme«, fragte er.
Aha, jetzt kam die Bestechung.
»Einen Old Fashioned.«
»Mehr nicht? Du stellst dich extra für einen Drink an? Wo sitzt du denn?«
Laurie deutete auf den Essbereich.
»Dort drüben wird man bedient, das weißt du, oder?«
»Mir war nach einem Tapetenwechsel«, erklärte Laurie. »Und wo sitzt du?«
Ja, auch sie war in der Lage zu manipulieren. Turm gegen Springer!
»Geht mir genauso«, sagte Jamie. »Beim letzten Mal hat die Bedienung ewig gebraucht. Hier herrscht das reinste Hauen und Stechen.«
Hm. Er hatte sie entdeckt, war in Panik geraten und hatte sich eine Ausrede überlegt, um sie anzusprechen.
Während er redete, fiel Laurie auf, dass seine Schneidezähne leicht nach innen standen wie bei einem halbherzigen Vampir. Vermutlich war genau dies das wahre Geheimnis seiner besonderen Anziehungskraft, der vorsätzliche Webfehler im Navajo-Teppich. Davon abgesehen war er einen Tick zu attraktiv, auf eine zu offensichtliche, propere Art. Die Zähne aber weckten irgendwie fleischliche Gelüste.
Sie unterbrachen das Gespräch, boxten sich zur Theke durch und fingen den Blick des Barkeepers auf. Laurie wurde zuerst bedient und bot an, Jamies Getränke mitzubestellen, aber er lehnte ab.
Sie ahnte, dass das weniger aus Höflichkeit geschah, sondern weil sie nicht mitbekommen sollte, wie er ein helles Bier und einen Prosecco mit einer darin dümpelnden Himbeere orderte – womit klar war, dass er ein Date hatte. Sie hörte ihn dennoch die Bestellung aufgeben. Ihr Cocktail beanspruchte so viel Zeit, dass sie gleichzeitig an ihre Tische zurückkehrten, wobei sie sich ein wenig unbeholfen Bemerkungen darüber zuschrien, wie brechend voll es hier drinnen war. Als sie sich Lauries Tisch näherten, blieb er stehen und beugte sich zu ihr, um ihr über die dezibelstarken Motown-Klänge hinweg etwas zu sagen.
»Darf ich dich um einen Gefallen bitten?«
Laurie nahm einen Hauch von Männerschweiß und teurem Aftershave wahr. Sie bemühte sich um einen ahnungslosen Gesichtsausdruck.
»Worum geht es?«
»Könntest du das für dich behalten? Mit wem ich hier bin?«, er deutete auf seinen Tisch, wo Eve sich gerade im Spiegel einer Puderdose musterte. Ihre Schönheit hatte etwas Katzenartiges, das Haar war straff zu einem langen, stramm sitzenden Pferdeschwanz zurückgebunden. Sie sah wie eine sexy Auftragskillerin aus. Laurie spähte blinzelnd hinüber und gab vor, ihr dämmere erst jetzt, um wen es sich handelte.
»O, warum denn nicht?«, tat sie ganz unschuldig.
»Statler und Waldorf würden das nicht gutheißen.«
Schon vor Jahren hatten die Herren Salter und Rowson die Spitznamen der beiden Alten aus der Muppet Show erhalten. Laurie war völlig klar, warum Jamie den kollegialen Wir-sitzen-im-selben-Boot-Ton anschlug.
»Ich glaube nicht, dass es Salter recht ist, wenn seine Nichte mit einem von uns verkehrt.«
Laurie lächelte. Da sie wenig erpicht darauf war, an ihren Tisch und zu Suzanne zurückzukehren, bevor sie nicht noch ein paar Drinks intus hatte, konnte sie genauso gut Jamie ein bisschen auf den Arm nehmen.
»Mit verkehren meinst du wohl vögeln, und mit einem von uns meinst du dich?«
»Na ja.« Jamie zuckte etwas überrascht die Achseln. Zweifellos war er einen Augenblick lang ratlos. »Wer weiß schon, was sich der alte Ziegenbock so denkt. Man müsste ihn fragen.«
»Okay«, sagte Laurie.
»Danke.« Jamie atmete aus.
»… Ich werde ihn fragen.«
Sie wartete, bis bei Jamie der Groschen gefallen war, und freute sich, als sich Entsetzen auf seinem Gesicht abzeichnete.
»Haha!«
»Verfl…« Jamie tat verlegen und beunruhigt. Er wollte sie für sich einnehmen und gab sich verletzlich, weil sie ihm Schaden zufügen konnte, so viel war klar.
»Ich halte nichts von Bürotratsch«, sagte Laurie. »Ich sage nichts. Aber verarsch sie nicht, okay?«
»Darum geht es gar nicht, ehrlich«, sagte Jamie. »Wir reden über die Arbeit.«
»Soso«, erwiderte Laurie und warf noch einen Blick hinüber zu Eve, die das Kinn reckte und ihren Schmollmund im Spiegel betrachtete.
Schweren Herzens kehrte Laurie zurück an den Tisch, wo sie erfreut feststellte, dass Emily ihren Sitzplatz eingenommen hatte und alle anderen sich am entgegengesetzten Tischende versammelt hatten, um sich kreischend etwas auf einem Handy anzusehen. Was für eine Erlösung. Angesichts der Lautstärke der Musik saßen sie gefühlt am anderen Ende der Welt.
»Ich bin auf humanitärer Mission hier. Hat Suzanne ihre Nummer mit dir abgezogen?«, fragte Emily, als Laurie sich auf Suzannes Stuhl niederließ.
»Ja.«
»Sie ist die allerletzte Bitch.«
Vor Überraschung verschluckte sich Laurie an ihrem Old Fashioned, und Emily klopfte ihr kräftig auf den Rücken.
Als Laurie die Stimme wiedergefunden hatte, sagte sie: »Sie hat mir erklärt, dass ich aufgrund meiner ereignislosen Beziehungshistorie eine alte Jungfer und verschrobene Klosterschwester bin.«
»Blöde Kuh! Erst neulich ist sie anscheinend auf Marcus von KPMG herumgehopst, und dessen Schwanz ist Allgemeingut, also sollte sich wirklich niemand ihren Rat zu Herzen nehmen.«
Wieder verschluckte sich Laurie an ihrem Drink. »Der Schwanz ist was?«
»Du weißt schon, er wird allgemein genutzt. Frei zugänglich. Öffentliches Gut.«
Laurie brachte prustend hervor: »Und Carly hat mich gefragt, von wem ich mein Selbstbräunungsspray habe.« Mit der Hand fuhr sie sich über den Arm und fächelte sich Luft zu.
»Wie bitte? Ist die blind oder Rassistin? Oder eine blinde Rassistin? O Mann, Loz, das tut mir leid. Unsere Kunden lieben Carly, also habe ich keine Chance. Warum sind Menschen mit schlechtem Charakter so oft gut im Job?«
Laurie lachte und wusste wieder, warum sie Emilys Bitten so oft nachgab und Ja sagte. Es steckte eine Menge Wahrheit in der Theorie, dass die engsten Freundschaften aus nicht gelebten Liebesbeziehungen entstanden. Emily war eine extrem erfolgreiche Managerin, Tinder-Abenteurerin und Meisterin des Gelegenheitssex. Laurie hingegen war ernst, in festen Händen und beständig, doch gerade weil sie beide so unterschiedlich waren, ließ die Faszination für den anderen nie nach.
Und immerhin hatten sie den gleichen Humor, die gleichen Maßstäbe, wenn es um Bullshit ging, und fanden die gleichen Dinge gut.
Emily zog ein Zigarettenpapier heraus, legte es auf den Tisch und verteilte darauf mit ihren zierlichen Fingern eine dünne Tabakwurst. Emily rauchte Selbstgedrehte, seit sie beide sich kannten; damals hatte sie sich aus dem Fenster von Lauries Wohnheimzimmer gelehnt, in der einen Hand eine Zigarette, in der anderen eine Flasche Smirnoff.
»Sie hat mich gefragt, wer mein Chirurg ist«, erzählte Emily.
»Chirurg?«
»Ja, Chirurg.« Emily legte die halb gedrehte Zigarette weg, zog mit beiden Händen ihre Wangen nach oben und schürzte die Lippen zu einem Fischmund.
»Was zum …? Du siehst doch nicht so aus, als hättest du irgendwas machen lassen!«
Das stimmte, auch wenn Emilys Äußeres für Laurie schon immer ein Mysterium war. Sie war winzig, hatte einen goldenen Teint (in diesem Fall tatsächlich Resultat eines professionellen Anstrichs) und das Gesicht einer Blythe-Puppe oder Manga-Figur: ein kilometerweiter Augenabstand, ein winziges Näschen, ein breiter Mund mit vollen Lippen. Das alles war irreführend, weil man nicht damit rechnete, dass sie daherredete wie ein Hafenarbeiter und den Appetit eines Piraten besaß. Beinahe wöchentlich entbrannten die Männer in zum Scheitern verurteilter Leidenschaft.
»Hm, doch. Das war keine vier Wochen, nachdem ich sie eingestellt hatte. Ich war drauf und dran, sie an Ort und Stelle zu feuern. Nur hätte Carly dann in den anderen Agenturen herumposaunt, ich hätte sie rausgeworfen, weil sie mich auf meine gesichtschirurgischen Maßnahmen angesprochen hatte. Und dann hätte es so ausgesehen, als ob es stimmt – für diese Art Spott bin ich verflucht noch mal zu eitel.«
»Was für ein mieses Biest!«
»Ganz genau. Sie hat noch gesagt, dass sie es sehr gelungen und diskret findet. Zuerst habe ich es einfach für schlechtes Benehmen gehalten, aber mittlerweile habe ich den Eindruck, dass die Sache bei ihr ernsthaft pathologisch ist.«
»Ja, die Soziopathen sind überall«, bestätigte Laurie nickend, während sie an ihrem Handy herumspielte. Dan hatte nicht geantwortet. Er war derjenige, der ihr ständig sagte, sie solle öfter ausgehen, und trotzdem stellte er dann diese »Wann kommst du nach Hause?«-Fragen. In langjährigen Beziehungen war das der Code für Komm nicht so spät und trink nicht zu viel, während man gleichzeitig zur Streitvermeidung darum bemüht war, es nicht direkt auszusprechen.
»In deinem Job weißt du das besser als jeder andere.«
»Na ja, vielleicht hat Suzanne ja recht, und ich habe da einfach was verpasst. Woher soll ich das wissen? Genau das bedeutet es ja, wenn man etwas verpasst«, sagte Laurie und fühlte sich ziemlich philosophisch, so wie manchmal nach fünf Drinks.
»Glaub mir, das hast du nicht. Ich nehme mir übrigens eine Auszeit von den Dating-Apps«, verkündete Emily und zupfte am Saum ihres Rocks, der ihr die Oberschenkel einschnürte. »Bin zu oft reingelegt worden. Meine letzte Verabredung sah auf den Fotos aus wie Jason Statham in einem Action-Thriller, und als er mir dann gegenüberstand, wirkte er eher wie aus einem angestaubten Historienfilm.«
Laurie lachte schallend. »Läufst du immer noch unter Tilda? Hat niemand herausgekriegt, wer du bist? Sagst du ihnen wirklich nie, wie du eigentlich heißt?«
»Nein, nie. Ich gehe immer auf Nummer sicher, dass keine Rechnungen herumliegen, wenn wir zu mir nach Hause gehen. Du willst ganz bestimmt nicht, dass Clive, siebenunddreißig, Personal Trainer aus Loughborough, der eine Affinität für ausgefallene Butt-Plug-Spiele besitzt, dich auf LinkedIn aufstöbert.«
»Iiih!«
»Mach dir keinen Kopf wegen Suzanne. Jeder Einzelne in diesem Raum«, Emily machte eine ausladende Armbewegung über die Tische, »wünscht sich das, was du hast. Jeder Einzelne.«
Ha, dachte Laurie. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie hier mindestens eine Person kannte, die sich nichts dergleichen wünschte, aber sie wusste Emilys Absicht zu würdigen.
»Du nicht!«, erwiderte Laurie.
Emilys zweckorientierte Haltung zum Sex verblüffte Laurie immer wieder aufs Neue. Vielleicht sollte sie Emily mit Jamie Carter bekannt machen – wahrscheinlich würden die beiden auf Anhieb füreinander brennen.
»Doch. Ich bin nur realistisch und weiß, dass es das für mich dort draußen nicht gibt, also versuche ich eben, das Beste draus zu machen. Das, was du hast, gibt es nicht oft. Nicht jede Laurie findet ihren Dan und umgekehrt«, meinte Emily. »Ihr zwei wurdet damals in der CaVa Bar vom Blitz getroffen.«
»Und ich dachte immer, es waren die Tequilas mit dem Baked-Bean-Geschmack.«
Als sie ging, bemerkte Laurie, dass Jamie und Eve nicht mehr an dem Tisch saßen. Zweifellos hatte er sich unauffällig mit Eve davongemacht, während sie ins Gespräch mit Emily vertieft gewesen war.
Bestimmt hatten sie über die Arbeit geredet, na klar. Als ob er eine Kündigung riskieren würde, damit er Eve von seinem Postgraduiertenstudium in Chester erzählen konnte. Als ob er eine Kündigung riskieren würde, wenn dabei weniger heraussprang als eine gemeinsame Nacht.
Er musste Laurie schon für ziemlich naiv oder doof halten. Das Problem von Lügnern war, das hatte Laurie bei ausgiebigen berufsbedingten Feldforschungen gelernt, dass sie immer davon ausgingen, alle anderen seien nicht so schlau wie sie.
Laurie kletterte aus dem schwarzen Wagen in die schwüle spätsommerliche Nacht. Die Vorstadtstraße lag still da. Ihre Sinne waren zwar vom Alkohol benebelt, aber sie wusste, dass die Nachbarn und ihre Kinder in ihren Betten lagen und den Lärm verfluchten, wenn jemand aus dem Taxi stieg.
Der tuckernde Motor, das Gemurmel, das Zuschlagen der schweren Tür, das Klackern der hochhackigen Schuhe auf dem Gehsteig.
Zwei Wochen zuvor hatten die Schwestern von nebenan eine derart angeregte Diskussion darüber geführt, um wessen Kotze es sich im Taxi handelte, dass Laurie nah dran gewesen war, im Schlafanzug hinauszumarschieren und den Aufpreis für die Verschmutzung selbst zu begleichen.
Ach, sie wurde alt. Wobei, wem wollte sie was vormachen? Dan nannte sie die brave »Mrs Tiggywinkle«. Sie war schon im Studentenwohnheim diejenige gewesen, die sich ums Überleben einer Reihe von Basilikumtöpfchen in der Gemeinschaftsküche gekümmert hatte.
Laut flüsternd sagte sie dem Fahrer, er solle das Wechselgeld behalten, duckte sich unter das dichte Blätterdach der Clematis über der gefliesten Veranda, kramte in den Tiefen ihrer Handtasche blind nach den Schlüsseln und dachte mal wieder: Wir brauchen hier draußen eine Lampe.
Schon beim ersten Besichtigungstermin war Laurie von dem soliden Doppelhaus mit den Erkerfenstern aus der Zeit der Jahrhundertwende begeistert gewesen und hatte jede Gelegenheit vertan, über den Preis zu verhandeln, weil sie mit dem Makler herumspaziert war und sich ununterbrochen darüber ausgelassen hatte, wie wunderbar sie das Haus fand. Sie und Dan hatten es zu einem Preis gekauft, den sie gerade so verschmerzen konnten, doch für Laurie war es jeden Cent wert.
Gern wies sie darauf hin, dass das Wohnzimmer zur Straße hin aufs Haar dem Zimmer auf dem Plattencover des Oasis-Albums Definitely Maybe glich, einschließlich der Buntglasfenster, der Topfpflanze und der halb leeren Weingläser, die üblicherweise irgendwo herumstanden.
Unter den Jalousien leuchtete honiggelbes Licht hervor. Entweder hatte Dan die Lampe für sie brennen lassen, oder aber er litt wieder einmal unter Schlafstörungen und döste auf dem Sofa vor dem leise gestellten BBC-Nachrichtenkanal, während seine Füße hin und her zuckten.
Ein Gefühl von Liebe überwältigte Laurie, und sie hoffte, dass er noch wach war. Das Gefühl war echt, gleichzeitig wusste sie, dass es auch daran lag, dass sie einen anstrengenden Abend im Kreis fremder Menschen zugebracht hatte. Sie hatte sich fehl am Platz gefühlt und sich danach gesehnt, nach Hause zu kommen.
Als Person mit Migrationshintergrund, die in der Kleinstadt Hebden Bridge aufgewachsen war, wollte sie so etwas nicht wieder erleben. Selbst in einer weltoffenen Großstadt wie Manchester machten die Leute Witze über ihren Akzent. »Es gibt nicht viele schwarze Mädchen mit einem Yorkshire-Dialekt, außer vielleicht die eine von den Spice Girls«, hatte ein Klient ganz unverblümt zu ihr gesagt.
Sie dachte, Dan sei wach geblieben, um auf sie zu warten, aber als sie ihn sah, begriff sie, dass irgendwas nicht in Ordnung war. Er war noch angezogen, saß breitbeinig und mit gesenktem Kopf auf dem Sofa und hatte die Hände gefaltet. Der Fernsehbildschirm war schwarz, es lief keine Musik, und es lagen auch keinerlei Essensreste vom Take-away herum.
»Hi«, sagte er, als Laurie hereinkam, und seine Stimme klang gepresst.
Laurie war ein empathischer Mensch. Als sie klein war, hatte sie ihrer Mum gegenüber einmal die Vermutung geäußert, sie besäße telepathische Fähigkeiten, und ihre belustigte Mutter hatte erklärt, dass sie einfach nur sehr einfühlsam sei. Ihr Vater hatte behauptet, Laurie sei bei der Geburt schon vierzig gewesen. Sie verkniff sich die Antwort, dass es immer noch besser sei, als nie über das Teenageralter hinauszukommen.
Schwer hing das Ungesagte in der Luft, das spürte sie auf Anhieb, und ihr wurde flau vor Angst.
Laurie presste den Schlüsselbund mit der dämlichen rosa-weiß gestreiften Stoffkatze an die Brust und sagte: »O Gott. Was ist es? Was ist mit unseren Eltern? Sag’s mir bitte. Schnell.«
»Was?«
»Ich weiß doch, dass etwas passiert ist. Bitte lass die Einleitung weg und rück raus mit der Sprache.«
Auch wenn Laurie sechs oder sieben Drinks intus hatte, war sie innerhalb einer Millisekunde durch das Adrenalin vollkommen klar und nüchtern.
Dan wirkte verstört. »Gar nichts ist passiert.«
»O? O! Verdammt, du hast mir einen Schreck eingejagt.«
Erleichtert ließ sich Laurie aufs Sofa fallen, die Arme links und rechts ausgestreckt.
Sie blickte Dan an, während sich ihr Herzschlag allmählich beruhigte. Er betrachtete sie mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck.
Nicht zum ersten Mal empfand sie Dankbarkeit und Stolz darüber, dass er zu ihr gehörte, und bewunderte, wie gut ihm das Älterwerden stand. In ihrer Jugend war er ein fröhlicher, pummeliger Junge gewesen, süß wie ein Welpe, wenn auch nicht hübsch, wie ihre Großmutter freundlich bemerkt hatte. Mit einem leichten Lispeln, das er hasste, das die Frauen jedoch merkwürdigerweise in Verzückung versetzte. Laurie hatte es immer geliebt, schon als er sie das erste Mal angesprochen hatte. Mittlerweile hatte er ein paar Falten und sein hellbraunes Haar einige silberne Strähnen, und das Gesicht war markanter geworden, er hatte eine eigene Persönlichkeit entwickelt. Er war, was die Frauen im Büro einen »Hot Dad« nannten. Oder sie würden ihn so nennen, wenn es so weit war.
»Konntest du mal wieder nicht schlafen?«, fragte sie. Er litt an Schlaflosigkeit, seit man ihn zum Abteilungsleiter befördert hatte. Nachtschweißattacken um drei Uhr morgens.
»Nein«, antwortete er, und sie wusste nicht, ob er meinte: nein, ich konnte nicht schlafen, oder: nein, das ist es nicht.
Laurie musterte ihn. »Alles in Ordnung mit dir?«
»Es geht um die Sache, dass du im nächsten Monat die Pille absetzen willst. Ich habe darüber nachgedacht und bin über eine ganze Menge Dinge ins Grübeln geraten.«
»Ach …?« Laurie unterdrückte ein wissendes Lächeln. Jetzt verstand sie, was diese sorgenvolle Stimmung ausgelöst hatte. Sind wir also so weit, dachte sie. Es war der klischeehafte Augenblick auf dem Weg zur Elternschaft. Es war Teil des vorgegebenen Dramas, das spätestens dann stattfand, wenn ein Paar die zwei Linien auf dem Teststäbchen entdeckte.
Sollen wir das Auto verkaufen und uns was Größeres anschaffen? Würde er ein guter Vater sein? Würde es ihre Beziehung verändern?
Nö. Vorm Haus ist eh kein Platz, um einen Minivan zu parken.
Na klar! Er könnte sich vielleicht Mühe geben, weniger launisch zu sein, aber das war’s auch schon. Kinder kurierten einen automatisch von übertriebenem Selbstmitleid, soweit Laurie wusste. Zumindest in den ersten fünf Jahren.
Ja. Sie wäre anders, aber besser! (Genau genommen hatte Laurie keine Ahnung, wie sie die letzte Frage beantworten sollte. Wenn sie sich fortpflanzten, dann würde ihnen beiden dieser Haushalt erst knapp zwei Jahrzehnte später wieder gehören, und natürlich war die Vorstellung beängstigend, dass ein tyrannischer, anspruchsvoller Zwerg in ihre Privatsphäre eindrang und den bequemen Status quo ins Wanken brachte.)
Doch die unausgesprochene Regel in Zweierbeziehungen war, so zu tun, als sei man sich einer unwägbaren Sache sicher, sobald der andere Zuspruch brauchte. Nötigenfalls musste man auf unverblümte Lügen zurückgreifen. Dan hätte Gelegenheit, sich zu revanchieren, wenn Laurie nach einem gescheiterten Einkaufsbummel nach Hause kam und ihn unter Tränen fragte, ob ihr Körper jemals wieder aussehen würde wie früher.
»Ich weiß gar nicht, wie ich das alles erklären soll. Seit du aus dem Haus gegangen bist, sitze ich hier und überlege, wie ich es formulieren soll, aber ich weiß es immer noch nicht.«
Das war eine Übertreibung, denn als Laurie das Haus verlassen hatte, stand er unter der Dusche, während im Radio die Übertragung eines Fußballspiels lief, aber sie sagte nichts.
»Weißt du«, sagte Dan. »Mir ist etwas klar geworden. Ich will keine Kinder. Grundsätzlich. Gar nicht.«
Das Schweigen dehnte sich.
Laurie setzte sich auf, unter einigen Mühen, wegen der albernen Schuhe – silberne Riemchensandalen, in die sie sich bei Selfridges verliebt hatte und die der Verkäuferin zufolge mit pflaumenfarbenen Zehennägeln super aussahen.
»Dan«, sagte sie sanft. »Diese Zweifel sind völlig normal. Mir geht es genauso. Es macht Angst, wenn es tatsächlich so weit ist. Aber wir kriegen das hin. Wir haben uns. Wenn man ein Kind bekommt, dann fasst man sich an den Händen und springt.«
Sie lächelte ihn an und hoffte, dass sie ihn bald aus dieser Stimmung riss. Es war, als hätten sie die Rollen vertauscht: Er wollte ein tiefschürfendes Gespräch, sie bemühte sich, ihm zu zeigen, dass sie ihn ernst nahm, damit sie möglichst bald ins Bett gehen konnte. Dan knackte mit den Fingern und mied ihren Blick.
»Immerhin bin ich diejenige, die es rauspressen muss«, fügte Laurie hinzu. »Und du kannst mir glauben, dass ich längst Dammriss dritten Grades gegoogelt habe.«
Als sie die tiefen Furchen auf seinem Gesicht betrachtete, wurde ihr klar, dass sie seinen Sorgen mit Witzen nicht beikommen konnte.
Sie spürte, dass sie auf unterschiedlicher Drehzahl liefen – wie ein Bienenschwarm summten in ihr noch die Belanglosigkeiten des lauten Abends, wohingegen er offenbar grübelnd den düsteren Edward-Hopper-Druck über dem Kamin angestarrt und sich Sorgen über die Zukunft gemacht hatte.
»Es geht nicht nur um das Kind. Ich will nichts von dem, was du willst. Ich will das hier nicht.«
Anklagend sah er sich im Zimmer um.
Abgebeizte Parkettböden?
»Was meinst du?«
Dan atmete ein und aus, als stünde ihm ein Riesenkraftakt bevor. Aber darauf folgte nichts.
»… Möchtest du es um ein paar Jahre verschieben? Das haben wir ja schon besprochen. Ich bin sechsunddreißig, es kann ohnehin sein, dass es eine Weile dauert. Nicht, dass wir uns am Ende mit Eingriffen herumplagen müssen und dann sagen, hätten wir bloß … Du weißt ja, was Claire dazu sagt. Hätte sie gewusst, wie großartig es ist, hätte sie schon mit zwanzig angefangen.«
Ausgerechnet dieses Mitglied ihres Bekanntenkreises ins Feld zu führen, war ein dummer Fehler, den Laurie unmittelbar bereute.
Claire langweilte sie nicht nur zu Tode mit ihren Geschichten über die Kinder, sondern war auch sonst eine Nervensäge. Paradoxerweise hätten sie womöglich schon Kinder, wenn Claire nicht gewesen wäre. Zusammenkünfte mit ihr endeten oft damit, dass einer von ihnen brummte: »Du sagst doch Bescheid, falls ich jemals so werden sollte, oder?«
»Du weißt doch: Es gibt nicht den perfekten Augenblick fürs Kinderkriegen«, setzte sie hinzu. »Wenn du …«
»Laurie«, unterbrach sie Dan. »Ich versuche, dir zu sagen, dass wir unterschiedliche Vorstellungen haben und wir deswegen nicht zusammenbleiben können.«
Sie rang nach Luft. Er brachte es wirklich fertig, etwas derartig Widerliches und Lächerliches zu sagen, nur um seinen Standpunkt deutlich zu machen? Als ihr dämmerte, was er gerade gesagt hatte, entfuhr ihr ein kurzes, tonloses Lachen. So sehr also fürchteten Männer das Erwachsenwerden. Es sollte sie eigentlich nicht überraschen, wenn sie ihren Dad betrachtete, trotzdem war sie von Dan zutiefst enttäuscht.
»Komm schon, willst du das jetzt wirklich zu einem ausgewachsenen Notfall aufbauschen und mir Vertragsbruch unterstellen, weil ich mir eine Familie wünsche? Damit ich schuld bin, wenn uns das Baby fünf Nächte hintereinander den Schlaf raubt?«
Dan sah sie an.
»Ich weiß nicht, wie ich es anders ausdrücken soll. Ich bin unglücklich, Laurie.«
Sie atmete tief ein und aus. Dan bluffte nicht. Er wollte die eindeutige Bestätigung, dass sie die Pille noch nicht abgesetzt hatte. Laurie musste darauf hoffen, dass sie sich in einem Jahr noch einmal mit dem Gedanken auseinandersetzten. Und damit verpassten sie womöglich ihre Chance. Womöglich würde sie das Dan furchtbar übel nehmen. Tricks kamen nicht infrage, es war unmöglich, nur so zu tun, als nehme sie die Pille, und dann: huch … Auf die Weise war Laurie gezeugt worden, und sie wusste, dass das lebenslange Konsequenzen hatte.
»Geht es hier nur darum, dass ich Kinder haben will?«
Sie würde die Sache von der Agenda nehmen, weil sie mit ihm zusammenbleiben wollte, das war ihr nach einer Millisekunde innerer Rücksprache klar. Alles andere war undenkbar. Man verließ doch nicht jemanden, den man liebte, um der rein hypothetischen Liebe willen für jemanden, den es noch gar nicht gab. Den es möglicherweise niemals geben würde.
»Darum und um andere Sachen. Ich bin nicht … das hier ist nicht mehr das, was ich will.«
»Okay.« Sie rieb sich über ihr müdes Gesicht. Es erschütterte sie, dass er so weit ging, um sich durchzusetzen.
Genau genommen war sie kurz davor zu weinen. Sie hatten sich auch früher schon mal gestritten, und einer hatte vage mit Trennung gedroht, meist in betrunkenem Zustand, als sie noch jung und dumm gewesen waren, und egal, wer von ihnen es gewesen war, am nächsten Tag hatte derjenige Gewissensbisse gehabt und sich elend gefühlt.
Jetzt aber, in ihrem Alter, so etwas abzuziehen, war unter Dans Würde, egal, wie sehr er es mit der Verantwortung der Elternschaft zu kaschieren versuchte. Es war wirklich gemein.
»… In Ordnung. Du hast gewonnen. Ich werde also weiterhin brav die Pille nehmen. In Gottes Namen, Dan.«
Fassungslos blickte Dan sie an, und Laurie erstarrte, weil sie auch diesmal seinen Blick zu deuten wusste.
Er war nicht etwa fassungslos, weil sie eingewilligt hatte. Das hier war kein Schachzug gewesen. Er wollte sich trennen.
Jetzt endlich verstand sie. Verstand, dass er meinte, was er sagte. Dass es zu Ende war.
Alles andere entzog sich ihrem Verständnis.
Wenn jemand einem etwas ungeheuerlich Grauenhaftes antat, sollte er wenigstens den Anstand besitzen, originell vorzugehen und einem eine einzigartige Kriegsverletzung zufügen, so etwas wie eine blitzförmige Narbe. Die Begründung aber, die Dan anführte, war fantasielos und öde. Für andere Leute mochte sie jederzeit gelten, auf Dan und Laurie aber war sie nicht anwendbar. Sie beide würden für immer und ewig zusammenbleiben. Darauf hatten sie sich als törichte Teenager geeinigt und hatten es seither mit jeder getroffenen Entscheidung unausgesprochen bekräftigt. Es brauchte keinerlei Abwägung oder Überprüfung, um sich zu verpflichten, es galt ganz einfach: natürlich. Du gehörst zu mir und ich zu dir.
»Aber es hat sich doch nichts geändert«, sagte Laurie. »Zwischen uns ist doch alles so wie immer.«
»Genau das ist wohl Teil des Problems.«
In Lauries Kopf rangen zwei Zeitzonen miteinander. Da war zum einen dieser surreale Albtraum, in dem ihr der Lebensgefährte der letzten achtzehn Jahre, ihre erste und einzige Liebe, ihr bester Freund, ihre »andere Hälfte« gegenübersaß und erklärte, dass er vorläufig ins Gästezimmer ziehen und sobald wie möglich eine neue Wohnung suchen werde. Sie musste mitspielen, weil er sich seiner Sache so sicher war. Es kam ihr so vor, als beuge sie sich jemandem, der sich einbildete, in einer Traumwelt zu leben. Folge dem weißen Kaninchen.
Dann gab es da die andere Zeitzone, in der sie verzweifelt darum bemüht war zu verstehen, was hier vor sich ging, es zu ordnen und die Lage zu entschärfen. Es waren nur Worte – bislang hatte es keine greifbare, irreversible Veränderung gegeben. Worte konnten das Ganze also auch wieder rückgängig machen.
Sie hatte immer eine besondere Macht über Dan besessen, und umgekehrt galt das auch, deshalb hatten sie sich zueinander hingezogen gefühlt. Wenn sie ihn von diesem Abgrund zurückziehen wollte, dann war sie dazu auch in der Lage. Sie musste sich nur anstrengen und ihn überzeugen.
Um das Ganze wieder einzurenken, musste sie allerdings verstehen, was hier vor sich ging. Laurie bildete sich etwas darauf ein, die Gedanken anderer lesen zu können, als sei sie eine Zauberkünstlerin, und doch klang der Mensch, der ihr am nächsten stand, plötzlich wie ein Fremder.
»Seit wann gehen dir diese Gedanken durch den Kopf?«, fragte sie.
»Eine Weile schon«, erwiderte Dan, und auch wenn sein Körper noch unter Spannung stand, konnte sie erkennen, dass er bereits um einiges gelöster war. Nun, da er die Nachricht verkündet hatte, war das Schlimmste überstanden. Einen Moment lang hasste sie ihn. »Ich glaube, auf der Hochzeit von Tom und Pri wurde es mir so richtig klar.«
»Ach, deswegen warst du damals den ganzen Abend so mies gelaunt?«, fauchte Laurie. Gleich darauf wurde ihr bewusst, wie idiotisch es war, einen Streit vom Zaun zu brechen, wenn das Ganze ohnehin vorbei war. Aber er würde die Sache nicht durchziehen. Ganz bestimmt nicht.
Ihr drehte sich der Magen um. Es war völlig lächerlich, ihn ernst zu nehmen, gleichzeitig aber sehr leichtfertig, es nicht zu tun.
Dan zischte missbilligend und schüttelte den Kopf. Ob er von sich selbst oder von Laurie genervt war, war nicht auszumachen.
»Mir wurde klar, dass dieses ganze Hochzeitsgedöns nichts für mich ist. Ich bin da ganz anders.«
Eine schmerzliche Erinnerung kam Laurie in den Sinn – wie sich herausstellte, hatte ihre innere Stimme sie doch nicht vollkommen getäuscht.
Sie erinnerte sich daran, wie der DJ die anwesenden Paare nach dem Tanz des Hochzeitspaars zusammengerufen hatte. Dan war angetrunken und mürrisch, und sie mussten zu einem Song von Adele Walzer tanzen. Zwischen ihnen hatte nichts Verbindendes existiert, nicht einmal eine ungezwungene Lockerheit anstelle eines Prickelns. Als wäre die Batterie leer, und drückte man auf das Gaspedal, käme nichts als ein verlorenes Klack-Klack. Unbeholfen schoben sie sich über die Tanzfläche wie Bruder und Schwester und mieden den Blick des anderen. Sobald das Lied vorbei war, verschwendete Laurie keinen Gedanken mehr daran; Dan hatte Someone Like You noch nie leiden können und ebenso wenig, dass jemand ihm sagte, was er zu tun hatte.
Auf der Heimfahrt im Taxi war er ostentativ eingeschlafen. Laurie hatte den ganzen Tag das Gefühl gehabt, sie habe irgendetwas verbrochen, als sie aber gefragt hatte, was los sei, hatte sie nur ein streitlustiges »Gar nichts« zur Antwort bekommen.
Aber es war doch normal, dass es in langjährigen Beziehungen auch beschissene Tage gab. Man deutete sie doch nicht als Zeichen, dass es zu Ende war, genauso wenig, wie man jeden Schnupfen für den Vorboten einer Krebserkrankung hielt.
»Gibt es eine andere?«, fragte Laurie, nicht etwa, weil sie es für möglich hielt, sondern weil man diese Frage in derartigen Situationen stellte, oder nicht? In diesem merkwürdigen Theaterstück, das sie hier auf Drängen von Dan aufführten. Sie arbeiteten im selben Büro, schon rein praktisch schien es unwahrscheinlich.
»Nein, natürlich nicht«, erwiderte Dan und klang ehrlich beleidigt.
»Du hat nicht das Recht, mir mit NATÜRLICH NICHT zu kommen!«, schrie Laurie, die ihre Wut nicht mehr zurückhalten konnte, und Dan zuckte zusammen. »In meinen Augen steht dir im Augenblick kein NATÜRLICH NICHT zu, okay? Ganz offensichtlich leben wir nicht mehr im selben Universum, also bleib mir vom Leib mit deinem gönnerhaften NATÜRLICH NICHT.«
Dan war es nicht gewohnt, dass sie solche Wutausbrüche hatte. Das letzte Mal war Laurie mit fünfundzwanzig so hochgegangen, weil er ihre Autoschlüssel auf der Meditationswiese in Glastonbury verloren hatte. Später hatten sie darüber gelacht, eine Anekdote daraus gemacht. Komik – das war Tragik plus Zeit.
So viel Zeit aber konnte gar nicht vergehen, um das hier lustig zu finden.
»Entschuldige«, sagte er leise. »Nein. Wir haben doch ausgemacht, den anderen nicht zu hintergehen. Niemals.«
»Niemals?«, hakte sie mit wissendem Unterton nach.
»Wir haben es uns versprochen. Ich hätte es dir gesagt.«
Laurie schäumte vor Wut, ihre Brust war so eng, dass sie Mühe hatte zu atmen. Was für eine Taktlosigkeit und Geschmacklosigkeit, Dinge anzuführen, die sie einander vor Ewigkeiten in aller Aufrichtigkeit versprochen hatten. Dan war gerade dabei, die Erinnerung daran zu zerstören und jede andere Erinnerung gleich mit, während er Laurie aufforderte, sich auf ihren heiligen Schwur zu besinnen. Was für ein Arschloch.
War er ein Arschloch? War er irgendwann im Laufe der Jahre zu einem mutiert, und sie hatte es nicht bemerkt? Sie musterte ihn, wie er verdrossen auf seine haarigen Knie unterhalb der Shorts starrte, mit dem Gesichtsausdruck eines unglücklichen Mumins.
Es war egal. Sie liebte ihn. Den Zeitpunkt, an dem ihre Liebe noch verhandelbar gewesen war, hatten sie längst überschritten. Es ging nicht darum, ob er ein Arschloch war oder nicht. Er war ihr Arschloch.
Jedenfalls hatte Laurie diesen Punkt überschritten. Dan hatte parallel dazu einen Punkt erreicht, an dem er fähig war, sie zu verlassen. Genauso fühlte es sich an: hoffnungslose Verlassenheit. Von jetzt an wäre ihm Laurie egal? Nein, nein, er brauchte sie doch! Tief in ihrem Inneren wusste sie, dass es so war, deshalb musste diese Angelegenheit beendet werden, bevor er noch mehr Schaden anrichtete.
»Aber wir arbeiten beide in derselben Kanzlei. Wie soll das funktionieren?«
Dan und Laurie hatten bei Salter & Rowson immerhin ein wenig Abstand hergestellt, indem sie in unterschiedlichen Abteilungen arbeiteten, wenn sie sich aber trennten, würde das wohl kaum mehr genügen.
»Ich kann mir eine neue Stelle suchen. Vielleicht werfe ich auch ganz das Handtuch, keine Ahnung. Ich weiß noch nicht.«
»Ganz ehrlich, Dan, das klingt für mich immer noch so, als geht dir ganz einfach die Muffe wegen des Babys und als hättest du deswegen schweres Geschütz aufgefahren.« Es war Lauries letzter Versuch, zu einer Form von Normalität zurückzukehren. »Du magst doch gar keine Ortsveränderungen, verdammt. Außerdem könntest du dann nicht Abteilungsleiter bleiben. Du hast doch letztes Jahr sogar die Woche in Santorin gehasst.«
Noch während Laurie das sagte, begann sie zu grübeln, ob der fehlende Baustein in ihrer Analyse war, dass er es gehasst hatte, mit ihr dort zu sein.
»Die Sache mit dem Kind ist nur ein Teil des Problems. Der Grund, warum ich angefangen habe, darüber nachzudenken, ist, dass man diese Entscheidung nicht rückgängig machen kann. Man kann ein Baby nicht wieder abschaffen. Und es hat mir eine Sache klargemacht. Ich will dieses Leben nicht, Laurie. Es tut mir leid. Mir ist bewusst, dass es ein Riesenschock ist nach all der Zeit. Ich bin genauso geschockt. Deswegen hat es auch so lange gedauert, bis ich es mir eingestanden habe. Aber so ist es. Ich will das nicht.«
»Du willst mich nicht?«
Drückendes Schweigen. Laurie spürte, wie Dan Kräfte sammelte, um es auszusprechen.
»Nicht so.«
»Wie dann?«
Dan zuckte die Achseln und blinzelte die Tränen weg.
»Das Wort, nach dem du suchst, lautet: nein«, sagte Laurie.
Tränen strömten ihr über das Gesicht, und er wollte aufstehen, doch sie gestikulierte hektisch: Komm mir bloß nicht zu nahe.
»Hm … da gibt es noch einen klitzekleinen Einwand meinerseits«, sagte sie mit belegter und vom Weinen rauer Stimme. Der Versuch war schon ziemlich ehrgeizig, einen sarkastischen Ton anzuschlagen. »Wie soll ich jetzt noch mit irgendwem Kinder kriegen, Dan? Ich bin sechsunddreißig.«
»Das geht doch immer noch!«, sagte er eindringlich und nickte. »Heutzutage ist das doch kein Alter.«
»Mit wem? Wann? Meinst du, ich treffe nächste Woche den Richtigen? Und der zeugt dann in wenigen Monaten mit mir ein Kind?«
»Komm schon. Du bist du! Du bist total begehrt, warst es immer. Du kannst dich vor Angeboten bestimmt nicht retten.«
Es war der Augenblick, in dem Laurie endlich erkannte, dass das hier wirklich passierte und sie sich womöglich trennen würden.
Dan war immer in einem üblichen, gesunden Maße eifersüchtig gewesen. Allenfalls ein wenig über dem Durchschnitt. Wenn einer von beiden von einem Rivalen ausgespannt werden würde, so war er überzeugt, dann Laurie. Auf männliche Freunde, die ihr in seiner Gegenwart Komplimente machten, reagierte er mit einem »Hey, jetzt aber …«, was einerseits als Witz gemeint war, andererseits nicht. Männliche Kollegen im Büro wurden frühzeitig darauf hingewiesen, dass Laurie zwar keinen Ehering trug, aber keinesfalls Single war und dass sich der dazugehörige Typ im Hause befand, also nimm dich in Acht. Vermutlich steckte Dan selbst dahinter, oder er hatte seine Stellvertreter dahingehend instruiert. (Jedenfalls hatte sie niemals erklären müssen, dass sie in festen Händen war, immer hatte es geheißen: »Ach, du bist die Freundin von Dan Price.« Eine merkwürdige Formulierung. Warum konnte sie das nicht selber sagen?)
Wenn also die Vorstellung, dass Laurie mit jemandem anders Kinder haben könnte, bei Dan eine derart leichtfertige Reaktion hervorrief, derart mechanisch und mittelmäßig, war ihnen definitiv etwas verloren gegangen.
»Ich bin also so begehrt, dass du verzichtest?«
»Laurie, wir sind ein Leben lang zusammen gewesen, du bist die einzige ernst zu nehmende Freundin, die ich je hatte. Ich nehme das doch nicht auf die leichte Schulter, es ist doch nicht so, als wäre mir das nie wichtig gewesen.«
Laurie war in der Defensive. Er hatte es perfekt eingefädelt. Er war wie ein Politiker, der sich an seine Notizen hielt, und hatte sie in einen Hinterhalt gelockt.
Sie konnte noch immer nicht recht glauben, dass er die Sache nicht irgendwie aufbauschte, aber sie fühlte auch einen grässlichen inneren Zwiespalt: Wenn er all diese Dinge nur so dahinsagte, ohne sie wirklich ernst zu meinen, dann wäre das fast noch schlimmer.
Vor Laurie tat sich eine riesige, verwirrende Kluft auf. Es war für sie ein nicht lösbares Rätsel, warum Dan, der eben noch die Ocado-Lieferung ausgepackt und sich darüber beschwert hatte, dass man ihnen als Ersatz für die Jaffa Cakes trockene Vollkornkekse geschickt hatte, der sich im Pub ein trübes Starkbier bestellte und sich Sonntagmorgen im Beech Road Park über Hunde mit Überbiss amüsierte, auf einmal mit ihr Schluss machen wollte. Da musste irgendetwas doch schon vorher passiert sein.
Es kam ihr so vor, als sei sie gerade noch zum Bus gerannt und im nächsten Augenblick im Krankenhaus aufgewacht, und dort, wo ihre Beine gewesen waren, war nichts unter dem Laken, und ein Arzt erklärte ihr, dass es ihm unendlich leidtat, aber es sei nichts zu retten gewesen.
»Schön zu wissen, dass es dir zumindest mal wichtig war«, sagte sie und hörte den wehleidigen, bitteren Tonfall in ihrer Stimme, während sie im halbdunklen Wohnzimmer saßen. »Man sollte dankbar sein für die kleinen Dinge? Oder soll das ein großes Ding sein?«
»Es ist mir wichtig.«
»Aber nicht so sehr, dass du mit mir zusammenbleiben willst.«
Dan starrte ins Leere.
»Sag es«, forderte Laurie nachdrücklich.
»Nein.«
Es war die logische Folgerung von allem, was er gesagt hatte, und dennoch überraschte sie diese harte einzelne Silbe dermaßen, dass er sie ebenso gut hätte ohrfeigen können.
Um drei Uhr nachts, nachdem sie stundenlang hellwach dagelegen hatte, stand Laurie auf, marschierte ins Gästezimmer und trat auf den Schalter, um die große Stehlampe einzuschalten.
»Dan? Wach auf!«
Die lebensgroße Wurst unter der Bettdecke regte sich, und Dans verstrubbelter Haarschopf kam zum Vorschein.
Verschlafen zog er die Stirn kraus. Als er Laurie anblickte, kamen ihm merklich die Umstände seiner Existenz in Erinnerung, und plötzlich sah er aus, als hätte ihm das FBI mit einer Taschenlampe ins Gesicht geleuchtet, ihn geweckt und auf frischer Tat ertappt.
»Du musst mir sagen, warum.«
»Was?«
»Ich muss wissen, warum. Mir ist schon klar, dass du denkst, du hättest mir die Gründe genannt, aber das stimmt nicht. Das alles ist doch diffuse Scheiße, dass unsere Vorstellungen nicht vereinbar sind und so. Wir haben immer wieder unterschiedliche Sachen gewollt, aber wir mussten uns deswegen doch nicht trennen. Früher hätten wir darüber geredet. Ich habe dir angeboten, die Sache mit den Kindern zu verschieben oder sogar ganz darauf zu verzichten, genauso wie auf das Heiraten. Es geht also nicht darum, dass wir unterschiedliche Vorstellungen haben, das klingt vielmehr nach einem Zitat aus der letzten Folge von Cold Feet oder so.« Laurie hielt kurz inne. »Sag mir einfach die Wahrheit, auch wenn sie schwer zu ertragen ist. Es nicht zu wissen ist viel schlimmer, Dan. Schau, was du anrichtest, wir waren doch ein Leben lang zusammen. Das bist du mir schuldig.«
Dan starrte sie an und stützte sich auf die Ellbogen. Zwischen ihnen dehnte sich das Schweigen, und Laurie merkte, dass er sich für eine ehrliche Antwort wappnete. Dieser Gegenangriff aus dem Hinterhalt hatte funktioniert, ihm war keine Zeit zur Vorbereitung geblieben.
Dan räusperte sich. Laurie brach der Angstschweiß aus, aber sie bereute ihre Frage nicht.
»… Ich bin immer öfter früh aufgewacht. Du hast noch geschlafen«, fing er an. »… Und mir kam das Leben wie ein Tunnel vor. Genau zu wissen, was kommt. Die Hochzeit im Rathaus von Manchester. Die Flitterwochen in Italien. Kind Nummer eins, Kind Nummer zwei. Grillabende am Sonntag, Heimwerken, das Sparen auf einen Anbau. Ich würde die Arbeit immer noch hassen, aber ich müsste Partner werden, weil es hungrige Mäuler zu stopfen gäbe.« Seine verschlafene Stimme klang heiser und fremd. »Zwischen dem Jetzt und dem Tod gab es nichts, was vom Drehbuch abwich. Jeder meiner Schritte war vorherbestimmt. Man erwartete genau das von mir. Und immer wieder habe ich mich gefragt, es war eine innere Stimme, die lauter und lauter wurde, ob ich das wirklich will.«
An dieser Stelle hätte Laurie einwerfen können, dass es ganz klar einige Dinge auf dieser Liste gab, die man nicht von ihm erwartete. Doch sie hielt sich zurück.
»… Ich hatte das Gefühl, ich stecke in der Falle. Ich hatte diese Kiste gebaut, in der ich nicht länger leben wollte, aber ich durfte nicht mehr raus. Ich wollte ja auch gar nicht raus, weil mir klar war, wie sehr ich dich verletzen würde. Und ich habe angefangen, mich dir gegenüber wie ein Arschloch aufzuführen, weil ich unglücklich war, es dir aber nicht sagen wollte.«
Er holte Luft. »Genau das war es. Ich habe die ganze Zeit gedacht, ich muss um deinetwillen bleiben, aber ich war nicht nett zu dir. Wozu soll das gut sein?«
»Ehrlich gesagt warst du schon immer ein Miesepeter«, sagte Laurie und lächelte schwach.
Dan schien ihr nicht zuzuhören.
»Du weißt doch, was die Leute immer gesagt haben: Wie habt ihr das nur fertiggebracht, euch so früh festzulegen?«
»Ja«, antwortete Laurie mit gepresster Stimme.
»Wir haben beide gesagt, dass es die einfachste Sache der Welt war, dass wir noch nicht einmal darüber nachgedacht haben. Und ich habe das auch immer so gemeint, Laurie, wirklich. Vielleicht aber hat es mich jetzt, mit sechsunddreißig, eingeholt. Ich habe das Gefühl, dass ich etwas verpasst habe.«
Laurie holte tief Luft und versuchte, mit dieser Verletzung fertigzuwerden. Sie hatte ihn gebremst, ihn daran gehindert, mit seinem großartigen Penis als Reisegefährte auf Expedition zu gehen. Immerhin hatte sie um eine ehrliche Antwort gebeten.
»Hätten wir uns nicht so früh kennengelernt – hätte ich mich an der Uni durch die Betten geschlafen, und wir wären uns erst mit fünfundzwanzig oder dreißig begegnet –, was wäre dann? Würde das hier dann nicht passieren?« Laurie bemühte sich darum, nicht anklagend zu klingen; sie wollte es wirklich wissen.
»Ich weiß es nicht. Ich kann ja nicht zurückgehen und auf einer parallelen Zeitachse ein anderes Leben ausprobieren. Im Übrigen würde ich das gar nicht wollen, ehrlich. Und es geht auch nicht um Sex. Es geht um … O Mann, ich will nicht Selbstfindung sagen. Aber die großen Entscheidungen im Leben trifft man meist aus dem Bauch heraus, stimmt’s? So wie wir beide damals an der Uni einfach wussten, was richtig für uns war. Jetzt weiß ich, dass es für mich nicht mehr stimmt. Ich bin mir irgendwie abhandengekommen.«
»Liegt es an mir? Genüge ich dir nicht? Oder bin ich dir zu viel? Schaust du andere Frauen an … oder unsere Freunde und ihre Ehefrauen oder die Kollegen und denkst: ›Wenn Laurie nur ein bisschen mehr wäre wie sie?‹« Ihre Kehle war wie zugeschnürt, und sie fühlte sich vollkommen entblößt. Diese Fragen zu stellen war unendlich hart, ungeschützter konnte man sich einer Verletzung nicht aussetzen. Sag mir, wie du dich entliebt hast. Erkläre es mir.
»Nein! Mein Gott, nein. Es geht nicht um dich. Ich weiß, das klingt wie eine Beleidigung, aber das ist es nicht.«
Schweigen.
»Okay. Danke, dass du ehrlich warst«, sagte Laurie lahm.
Und das meinte sie so. Auch wenn es immer noch schrecklich war, konnte sie es besser verstehen. Dans Offenheit erinnerte sie daran, wie sie früher miteinander geredet hatten, und wieder traf sie der Schmerz mit voller Wucht. Niemals wieder wäre sie in der Lage zu vergessen, wie leicht man die Liebe eines anderen verlieren konnte. Sie hatte nicht gemerkt, wie sie ihr entglitten war.
»Wirst du mich denn nicht vermissen?«, fragte sie.
Da war sie – die eigentliche Frage. Die Frage, mit der sie sich lächerlich machte, sie sogar erbärmlich wirken ließ, aber sie musste sie stellen. Dass Dan im Pass nicht länger als Notfallkontakt genannt würde, war unvorstellbar. Er musste ihr erklären, warum er zu diesem Schritt imstande war und dabei nicht dieselben Gefühle hatte, die sie an seiner Stelle hätte.
»Es ist eine grausame Vorstellung, Laurie. So, als würde mir ein Körperteil fehlen«, sagte Dan, und Tränen rannen ihm über das Gesicht. »Ich liebe dich. Es ist unsere Beziehung, die ich nicht mehr liebe.«
»Wir könnten doch zusammenbleiben und unsere Beziehung verändern«, erwiderte Laurie, wobei auch ihr Tränen in die Augen stiegen.
Beide schluchzten mit gesenkten Köpfen, Dan, weil er darauf keine Antwort geben wollte, und Laurie, weil sie sie nicht wissen wollte. Es hörte sich merkwürdig an, wie sie da in dem schummrig beleuchteten Zimmer vor sich hin weinten.
»Warum verlässt du mich? Warum tust du mir das an?« Laurie klang nicht wie sie selbst. Wer war diese jammernde, bettelnde Frau? Und wer war dieser gnadenlose Mensch, der Dans Platz eingenommen hatte? Wie konnten achtzehn Jahre in wenigen Stunden so enden?
»Es tut mir leid … es tut mir so leid …«, stieß Dan keuchend hervor.
»Wenn es dir wirklich so leidtäte, dann würdest du es nicht machen«, erwiderte Laurie mit belegter Stimme, und es kümmerte sie nicht, wie flehentlich sie sich anhörte. Sie fühlte sich zurückkatapultiert in die Kindheit, wo man machtlos dabei zusah, wie Erwachsene die grausamsten Entscheidungen trafen.
»Ich kann nicht anders.« Er sah aus, als wolle er noch etwas sagen, dann schien er es sich anders zu überlegen. So wie wenn sie einem Klienten dazu rieten, keinen Kommentar abzugeben. Je mehr man sagte, desto eher belastete man sich selbst.
Vermutlich wollte er ihr nicht sagen, dass ab einem bestimmten Zeitpunkt seine Gefühle sich nicht mehr hatten wiederbeleben lassen, sie waren einfach abgestorben. Der Tanz auf der Hochzeit. Den Moment hatte sie wahrgenommen. Herzstillstand.
»Ich will, dass du glücklich bist. Du hast was Besseres verdient …«
»Okay. Erspar mir das, Dan«, unterbrach ihn Laurie entschlossen, wischte sich über die Augen und presste die verschränkten Arme noch fester an den Körper. »Du bist der Bergsteiger, der seinen verletzten Kameraden nicht zurück ins Tal schleppen kann und ihn sterbend zurücklässt. Tu, was du tun musst, aber bitte tu nicht so, als ginge es um irgendetwas anderes als dein eigenes Überleben.«