Alles Dada? Dada ist wieder da - Volker Schoßwald - E-Book

Alles Dada? Dada ist wieder da E-Book

Volker Schoßwald

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Beschreibung

Der kleine Junge steht vor dem Fernseher und deutet auf das Bild: "Dada!" Er hat etwas Verstörendes entdeckt. Da geht es mir als Erwachsenem nicht anders. Oft genug denke ich mit einem unsichtbar ausgestreckten Zeigefinger: "Dada!" Das darf doch nicht wahr sein! Aber es ist wahr. Unsere Wirklichkeit ist dada. Dieses Buch geht einer Wahrnehmung nach, deren Bezeichnung schon über hundert Jahre alt ist, die aber jedes Mal präsent erscheint. Dada als Kommentar zu dieser Welt ist präziser als je oder mindestens so präzise wie damals. Volker Schoßwald schildert dieses Phänomen auf unterhaltsame Weise in historischer wie gegenwärtiger Hinsicht und liefert die passenden Bilder.

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Seitenzahl: 203

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Dada ist ein Prozess, der jederzeit leben kann, wenn der Kontext es fordert und Menschen verunsichernde Ausdrucksformen finden und verwenden.

„Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden, solange ich der andersdenkende bin.“ Lila Monaco „…solange du DIE Andersdenkende bist!“ Charly Liebherr

Inhaltsverzeichnis

1.

Zur Einführung

2.

Dada, als ob es heute wäre

3.

Dada, geboren aus dem Weltkrieg

4.

Dada? Was? Wo? Wann? Wer?

4.1 Dada in Zürich

4.2 Tristan Tzara

4.3 Kneipe als Stammmutter

5.

Dada YouEsAy und Dada Zappa

5.1 I am the walrus

5.2 Dada aus dem Nichts

5.3 My Generation? 45

5.4 „My Generation“ – 68: Nachkriegsheuchelei

6.

Zürich, nicht nur 1916

6.1 „Da da da“

6.2 Alles Lüge

6.3 Two Virgins und das Nachtgespenst

6.4 Lady Gaga

7.

Urlaute und Publikumsbeschimpfung

7.1 Wahrnehmung

7.2 DadaGuruGuru

7.3 Klingelfratz und Ringelnatz

7.4 Straßenschildersätze by Daniel Spoerri

8.

„Der Kaspar ist tot“ und Religionskritik

8.1 „Fatwa“ „Salman Rushdie“, „Satanische Verse“?

8.2 Irana, Corona, Korana

9.

Von Heartfield über Staeck in die Provinz

9.1 Die Politik ist dada, DADA ist politisch

9.2 ProvinzHauptStattKultUr

9.3 Fake fürs Fake von President to President by „First Lady“

9.4 Die Zwei und Mr. President

10.

Dada heute

10.1 Gerahmt, geschnitten, versenkt, gegessen

10.2 Flieg, Erde, flieg

11.

DadaDichte?

Auto 1 – 4

DadaUnsa

Nach der Blüte der Zeit

Dada-Slam: Durchkonjugierte Klugheit

12.

Puppenstuben-Dada 2019

12.1 Backblechkunst „DanebenLeben“

12.2 Küchenkunst? DadEssen

12.3 Die Mona Lisa von Goho

12.4 SUVausPUFF

Leben im Suvv

12.5 Dadonnenleben

12.6 Readymades

12.7 Rasur dada

13.

„Gelaismus“

14.

Der Mythos von Sisyphos

15.

Exkurs: Dada? Jesses!

15.1 Wo ist Jesus? Da! Da!

15.2 Weihnachten! Dada?

16.

Kirche ist dada. Gott auch?

16.1 Gott ist das Wort

16.2 Der Sohn

16.3 Der Schöpfer

16.4 Der Heilige Geist

16.5 …und die Kirche?

17.

Alles dada?

17.1 Der Dada-Prozess

17.2 Fazidada

18.

Literatur

19.

Index

Wenn du nur noch jaulen kannst wie ein Hund, dem ein Elefant auf den Schwanz tritt, weil sie alle so hirnrissig agieren und reden, die Politiker, die Wirtschaftsbosse, die Gewerkschaft, die Wähler, dein Nachbar, seine Katze, seine Maus am Computer, die an der Hand seines bläkenden Fratzen festgewachsen ist, dann hilft nur noch eines: Dada.

„Alles Dada!?“? Herzlichen Glückwunsch. Bei Nebenwirkungen mach Percussion mit den Töpfen in der Küche, oder schnapp dir ein Papier, zeichne Unfug, oder zitiere unter deiner Haustüre ein Gedicht, das gerade erst entsteht oder… Auf alle Fälle: Agiere kreativ!

1 Zur Einführung

In der siebten Klasse stellte uns die junge, in München ausgebildete und von mir sehr bewunderte Kunsterzieherin die Aufgabe, eine Collage zu erstellen. Da mir nicht nur die Lehrerin, sondern auch die Kunst am Herzen lag, gab ich mir große Mühe, schnitt aus, legte, klebte… und war am Schluss verzweifelt: Was für ein dummes, sinnloses Geschnipsel! Frustriert, empört, wütend griff ich zum Pinsel und übermalte meine Arbeit mit brauner Wasserfarbe. Das gab ich dann ab.

Wie verblüfft war ich, als mir die Lehrerin in der nächsten Stunde eröffnete, ich hätte auf meine Arbeit eine „Eins“ bekommen. Eine Eins auf so einen Mist? Das verstand ich nicht.

Mit ihrem langen, wehenden Mantel war die kleine Frau, die sehr selbstbewusst durch das Schulhaus1 eilte, eher eine Künstlerin als eine Pädagogin, aber sie konnte mir erklären, meine Aktion wäre ein schöpferischer Akt gewesen, was zu ihrer guten Bewertung führte.

Das verstand ich. Und ich verstand: Nicht alle Papierschnipsel, die ich aufklebe und braun übermale, sind Kunst. Zur Kunst gehört der Kontext und zu diesem Kontext gehörte in diesem Prozess ich.

Das war 1968, gut fünfzig Jahre, nachdem die Dadaisten an die Öffentlichkeit traten. „Dada“ gehörte noch zur erlebten Wirklichkeit meiner kunstinteressierten Großeltern und blieb in meiner weiteren Entwicklung stets präsent. In „Dada“ zeigte sich Kunst als provokative Innovation, ja als Aufstand gegen etablierte moderne Kunst. Dada protestiert gegen die Herrschaft von Kunstphilosophien in anarchischer Weise.

Dada protestiert gegen Herrschaft, wenn und weil sie ihre Macht missbraucht. Dada entblößt die verhüllte Macht des Bösen. Deswegen ist Dada ein Desiderat der Gegenwart. Oder anders: Fake-News der Machthaber müssen durch offensichtliche Fakes bloßgestellt werden. Dada ist ein Kampfmittel im Desinformationszeitalter.

Eine Speerspitze bildet in Deutschland der „Postillon“ mit seinen drei Millionen Abonnenten. Das Geniale: Man kann mitmachen. Man kann konsumieren, aber viele ergreifen die Gelegenheit zu kongenialen Kommentaren. Eine besondere Sparte ist der „Faktillon“, das Faktenportal.

Der „Postillon“ ist de facto mit Fakten durchsetzt, zu denen diverse Links führen. In meiner anerzogenen Naivität versuchte ich, zu eruieren, ob die Selbstdarstellung stimmt:

es 1845, das ist ein Fake. Dadurch wird auch „Ehrliche Nachrichten“ als Information unglaubwürdig. Fake-News statt Fakten! Schockierend: Wenn man den Links folgt, findet man externe Ausgangsberichte, die das verspottete Faktum bestätigen. Tatsächlich ging die AfD schon mit „Berichten“ an die Öffentlichkeit, die sie dem Postillon entnommen hatte und musste dann schamrot eingestehen, dass sie das Satirische nicht erkannt hatten.2 Falsch: Sie waren nicht schamrot. Rot sind sie sowieso nicht. Scham kennen sie auch nicht. Sie sind im engeren Sinn des Wortes unverschämt.

Dada aus Facebook 2019:

Feste & Events in Frankfurt an BER Flughafen Eröffnungsparty 1.April 2025 Passend zum sinnlosesten Bauprojekt, gibt es jetzt den sinnlosesten Song der Welt Ab sofort bei Spotify, itunes und allen Streaming-Diensten!

Wir überspringen in diesem Buch hundert Jahre immer wieder einmal in die eine oder andere Richtung, oft genug mit Zwischenlandungen etwa bei den Beatles oder Frank Zappa. Zu Dada gehört Unterhaltsamkeit. Die kommt bestimmt nicht zu kurz.

„DADA“? Bei der Beschäftigung mit dem Dadaismus geschah etwas Wunderbares: Ich fand mich wieder. Möge es den LeserInnen auch so ergehen. Der DADA steckt tief in uns.

1 Das Celtis-Gymnasium in Schweinfurt mit dem hervorragenden Kunsterzieher Isidor Huber. – Die Bewegung der jungen Lehrerin erinnerten mich an den Direktor der „Feuerzangenbowle“, der dem Wahnsinn nahe durch das leere Schulhaus eilt!

2 Als der Postillon, schrieb es würde eine Europäische Nationalmannschaft eingeführt, griff Beatrix von Storch (AfD) (Die Störche legen Wert darauf, dass sie kein langbeiniges Federvieh ist und Frösche nicht frisst, sondern küsst, um mal ein adeligen Prinzen abzubekommen) die Bundekanzlerin Merkel an, weil sie die EU-Staaten auflösen wolle. Hätte der Storch doch damals die Storch in einen Zauberkessel mit Hirn fallen lassen, aber nein…

2 Dada, als ob es heute wäre

Dada.

DADA?

Hört sich verrückt an.

Ist so gemeint.

„Dada“ äußert sich in einer Welt, die verrückt ist.

Was immer „verrückt“ bedeutet.

Wörtlich wird etwas von einer Stelle zur anderen gerückt. Das macht man in Wohnungen – und genug sieht die Wohnung hinterher besser aus.

Manches wird „zurechtgerückt“. Das klingt positiv.

Aber „verrückt“ bedeutet auch: Im Denken stimmt es nicht mehr. So versteht sich Dada. Dada reagiert auf die Verrücktheit der rational argumentierenden „Welt“, die sich verstandesmäßig im Recht fühlt, wenn alles zerbricht.

„Dada“ heißt es, wenn der Verstand „gaga“ ist. „Dada“ heißt es, wenn der kollektive Verstand aus den Fugen gerät.

Sind wir damit in unserem Jahrtausend, Jahrzehnt, Jahr, Monat, Tag? Wir sind es.

„Nicht Dada ist Nonsens –

sondern das wesen unserer zeit ist Nonsens.“3

Dieses Buch wechselt zwischen Gegenwart und Vergangenheit, ist synchron und diachron geschrieben, kann vieles nicht bringen und bringt anderes in ungewohnten Konstellationen. Es ist kein Sachbuch, wartet aber mit vielen Informationen auf. Es bezieht Stellung und bringt Wertungen. Dieses Buch verdankt sich all jenen Mächtigen in Wirtschaft, Politik, Juristerei und Journalismus, die der vernünftigen Argumentation den Boden entzogen haben und zugleich behaupten, sowohl vernünftig wie argumentativ zu sein. Wenn dabei allerdings das Leben auf der Erde, der Friede auf der Erde und die Gerechtigkeit unter den Menschen zu Schaden kommt, sind Argumente nicht mehr vernünftig, auch wenn ihre Aneinanderreihung logisch erscheint. Da hilft nur noch Dada.

Wenn ich auf die Verrücktheit unserer guten westlichen Welt und ihrer Werte aufmerksam machen will, brauche ich nur den Namen „Trump“ fallen zu lassen. Die Gesichter hellen sich auf: „Wir verstehen und wir fühlen uns verstanden.“

Der demokratisch gewählte Präsident der mächtigen Vereinigten Staaten von Amerika4 wird bei uns als jemand wahrgenommen, der Widersprüchlichkeit und offensichtliche Lügen hoffähig gemacht hat und der Amoralität als Selbstverständlichkeit praktiziert. Er ist in gewisser Weise ein ehrlicher Mann: Böse, unverschämt, gnadenlos, rücksichtslos – und dabei dumm vor Egoismus. Er ist demokratisch gewählt und vertritt so die US-Amerikaner, für die diese Eigenschaften „böse, unverschämt, gnadenlos, rücksichtslos“ offenbar charakteristisch oder erstrebenswert sind.5

Ich schreibe dies an einem Jahrestag des sog. „Nine-Eleven“, jenes berüchtigten Septembertages, an dem von Terroristen gesteuerte Flugzeuge die Twin-Towers in New York zerstörten. Der Umgang mit der Wahrheit durch G. W. Bush und D. Trump macht die offizielle Version der USA zweifelhaft, obwohl ich die Bilder damals aktuell im Fernsehen verfolgte und den Flug des zweiten Flugzeuges in den zweiten Turm dadurch miterlebte. Was damals geschah, war schlimm, verbrecherisch. Aber durch diese Bewertung ist die Schuldfrage bei weitem noch nicht geklärt. Und die Zahl der Todesopfer im eigenen Land (USA) ist marginal verglichen mit der Zahl der Todesopfer jener Kriege, in denen die USA seit dem zweiten Weltkrieg eine Hauptrolle spielten – einschließlich jener Angriffskriege, die mit dem 9/11 begründet wurden.6 Inzwischen twittern die „Amis“ den Krieg oder den Frieden. Zu Deutsch hieße das „zwitschern“.

Verführerisch seriös wirkte „Loriot“ 7. Ein Klassiker von ihm sind die Diskussionsbeiträge von Helmut Schmidt und Franz Josef Strauß, die Loriot als Karikaturen darstellte. Das ist eine leichte Form von Satire. Postwendet aber präsentierte er beide Politiker im visuellen Original. Dabei hört man ihre Stimmen, erkennt ihre Tonmelodien, versteht aber nur nichtssagende Laute. Engagierte Politiker ohne Inhalte: Das ist Dada pur.8

Für Loriots dadaistische Persiflage gibt es einen Vorgänger noch aus den dreißiger Jahren, als Charles Chaplin in seinem „Der große Diktator“ Adolf Hitler nachspielte und ihm „deutsche“ Diktion in den Mund legte. Er wählte ebenfalls Tonfetzen, rhythmisiert wie eine Hitlerrede. Wie später Loriot fügte Chaplin verständliche Worte ein: „Schnitzel“, „Sauerkraut“, „Strafen“ - typisch deutsch, jedoch ohne Sinn. Dann hustet „Hitler“ Töne oder Silben, rhythmisch mit ernsthafter Miene. Klassisch winkt „Hitler“ den Applaus ab - und an. Die Zustimmung wird ab und angeschaltet.

Chaplin als Zeitgenosse der Dadaisten präsentierte sich in seinen frühen Stummfilmen grotesk. Beim „Diktator“ stellte er in einem abendfüllenden Spielfilm mit Dada-Instrumentarium das Faschistoide bloß. Freilich erreichte er so weder die Faschisten noch ihre Anhänger. Dort fehlt das Gespür für die Bodenlosigkeit ihrer Welterklärung. Die faschistoidparanoiden US-Amerikaner der McCarthy-Ära verfolgten Chaplin dann in den 50ern als „communist“. Shame on you!

Ist Dada mehr Kunst oder mehr Politik?

Dada ist Anarchie, rebelliert gegen Herrschaft als solche. In jeder Archie oder Kratie, ob Monarchie, Aristokratie oder Demokratie stecken Herrscher. Sie haben einen unterschiedlichen Werdegang – beispielsweise werden in der Demokratie die Regierenden gewählt. Aber sie sind allesamt Herrscher. Dabei wird gerade in unseren Demokratien deutlich, dass die Gewalt nicht eben vom Volk ausgeht, nicht einmal von den Regierenden, sondern von den Reichen oder noch entpersonalisierter von den Konzernen.

Doch nicht jeder, der sich anarchistisch gebärdet, versteht die Kunst, herrschaftsfrei zu agieren. Schon bei „Weltendada“ Huelsenbeck erleben wir, dass die Anarchie in individuelles Herrschen umschlagen kann, wo einer sich dazu aufschwingt, darüber zu richten, wer ein richtiger „Künstler“ oder ein richtiger „Dadaist“ sei.

„Freiheit ist stets die Freiheit der Andersdenkenden“, schrieb Rosa Luxemburg als Randbemerkung. Doch die Parole ist alles andere als einfach. Luxemburg forderte die politische „Schulung“ des Volkes, um „Andersdenkende“ auszuschließen. Sie postulierte, dass ihre Einsichten letztlich die Einsichten aller werden müssten. Gerade die erfolgreichen Sozialisten in Herrschaftsfunktionen pervertierten Luxemburgs Aussage: Andersdenkende ließ ein sozialistisches System nicht zu. Jeder, der denken kann, denkt einem Naturgesetz folgend sozialistisch. Das passt zu einer doktrinären Religion, aber nicht einer überzeugenden politischen Theorie: „Freiheit ist stets die Freiheit der Andersdenkenden. Die Andersdenkenden sind wir.“ DADA.

3 „Die Dadaisten“. Nach D. Elger, Dadaismus S.24

4 Nach wie vor: Die USA sind der kleinere Teil von Nordamerika, dem kleineren Teil von Amerika. Amerikaner? Das sind Brasilianer, Argentinier, Kanadier, Mexikaner und viele mehr. Irgendwo reihen sich auch die Yankees ein.

5 Allerdings leisteten sich die Deutschen einen Finanzminister, der durch freche Bestechlichkeit (Waffenhandel) auffiel und einen Kanzler, der die Namen der Leute, die ihn finanzierten, nicht preisgab. Die Herren Schäuble und Kohl haben unsere bundesrepublikanische Wirklichkeit so geprägt, dass manche von der Bananenrepublik Deutschland sprachen und damit die Wirklichkeit ziemlich genau trafen. Von der „geistigmoralischen Wende“ unter Helmut Kohl hat sich Deutschland bis heute nicht erholt und die von ihm geförderte Raffgier (Motto: „Leistung muss sich wieder lohnen“) führte zur Ausbeutung der Ex-DDR bei der Wiedervereinigung und ist damit eine der Ursachen des neuen Faschismus in den „Neuen“ Bundesländern.

6 Damals kroch die aufstrebende Angela Merkel dem US-Präsidenten quasi in den Hintern, während Kanzler Schröder ihm widerstand..

7 Victor von Bülow, 12.11.1923-22.8.2011

8 Das enthält eine Parallele zu Heinrich Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“, in dem Tonbandaufzeichnungen geschnitten werden und der Schneider alle Schweigezeiten aneinanderfügt. Das ist dada-esk, enthält aber politische Assoziationen an die Nazi-Zeit, von der mehr Schweigen überliefert wird als Inhalte – was die Äußerungen der Noch-Lebenden betrifft.

3 Dada, geboren aus dem Weltkrieg

„Dada“ klingt wie „gaga“ und ist auch so gemeint. Diese Anti-Kunstform entstand teils unabhängig in verschiedenen geographischen Brennpunkten. In Europa glühte der erste Weltkrieg und zerstörte alles, was als Kultur gilt, wenn Kultur den Menschen über das bloße Existieren hinaushebt. Als „Anti-Kunstform“ verstand sich nur die organisierte oder definierte Form von Dada. Dada existiert völlig unabhängig von entsprechenden sozialen Formen als Ausdruck der Verzweiflung über die Existenz in einer sinnentfremdeten und sinnentfremdenden Gesellschaft. Als Gesellschaft fungiert alles: Familie, Dorf, Stadt, Staaten.

Im Weltkrieg zerglühte die Sinnhaftigkeit. Aber das geschah auch im dreißigjährigen Krieg wie in den Bauernkriegen und…

Im religiösen Bereich, seinerzeit noch eine relevante gesellschaftliche Dimension leistete der Schweizer Karl Barth mit seinem Römerbriefkommentar 1918 die Arbeit, radikal mit dem protestantischen Kulturpositivismus und seinen optimistischen Konzepten zu brechen. Der dialektische Theologe zerschmetterte das sogenannte „Gottesbild“, die hybride „Gottesprojektion“ (Feuerbach). Glauben geht nicht. Denn das würde eine Verfügbarkeit Gottes bedeuten. Wenn Menschen dennoch glauben, ist dies eine unmögliche Möglichkeit. Von Gott reden lässt sich ebenfalls nicht. Denn dadurch würde er fassbar. Den Unfassbaren kann das Fassbare nicht fassen. Diese epistemologische Wahrheit führte Barth radikal durch und zerstörte damit die bürgerlichen Gottesbilder.

Eine solche Zerschmetterung führten die Dadaisten mit den verschiedensten Methoden im Kunstbereich durch. Kunst schien Konvention und Konvention erschien in ihrer Folge als destruktiv und menschenverachtend, da sie den Ersten Weltkrieg produzierte. Zum Ersten Weltkrieg gehörten neue militärische Waffen wie Tanks, Flugzeuge und Giftgas. Der Erfinder des Giftgases, Fritz Haber erhielt später den Nobelpreis.9DADA.

Dada ist ein Kriegskind – wie eine Generation später die Mitglieder der Rolling Stones und der Beatles. Ringo Starr und John Lennon kamen zur Welt, als die deutschen Bomben über Liverpool niedergingen. Ihre Musik erlebten später die bürgerlichen Eltern als Affront. Jimi Hendrix, vorübergehend Bewohner im ehemaligen Haus von Georg Friedrich Händel in London, schaffte es, die US-Hymne in Woodstock mit seiner Gitarre zu zerreißen und in Kriegsgeräusche zu überführen. John Lennon war bei späteren Konzerten oft von den hysterisch kreischenden Zuhörern so genervt, dass er angefangene Sätze nur noch in Silben ausklingen ließ. Dada. Seine Zeichnungen wirken so und „in his own write“ belegt: Dada kann sich immer wieder neu erfinden, es schlummert in der Künstlerseele wie ein „Schläfer“ des Islamischen Staates.

Dada, das Antikonzept fungierte als die große Abrissbirne. Kunst durfte es nicht mehr geben. Da es aber immer Künstler geben wird... mussten Künstler sich verneinen und Tabula Rasa machen.

Die Abrissbirne trifft auf Dürers Brust, auf sein Herz, unter dem sich ein Levi’s-Jeans-Etikett befindet. Seine Finger deuten auf die Abrissbirne wie die Finger von Johannes, dem Täufer auf Jesus10. Im Unterschied zu 1916 verfügen wir über Computer mit einer Software, die nicht nur täuschend echt kopieren kann, sondern auch locker ein Kunstwerk farblich verändert. Worin steckt heute die Kunst? Im Handwerklichen nicht mehr. Die Ideen machen den Mehrwert aus. Hätte Dürer einfach mit seinem Handy ein Selfie gemacht? Er demonstrierte bei Gemälden seine Genialität, aber nicht nur bei diesem Selbstbildnis ist die unübertroffene handwerkliche Substanz nicht das Entscheidende, sondern die Idee, die er mit ihr ausdrücken kann. Er malte sich wie einen Messias.

Die Abrissbirne hängt an der Schere, die letztlich ihren eigenen Faden, ihre eigene Schnur durchschneiden wird. Der Lebensfaden der „darstellenden“ Kunst wird durchgeschnitten und damit die „Nabel“-Schnur der Künstler zu ihrer eigenen Herkunft. Unten liegt schon bereit, was gebraucht wird. Die Schere natürlich, sie hilft zu den Collagen. Gipsformen, geprägt mit Abfallprodukten, etwas zum Kleben, ein Feuerzeug, um etwas zu verbrennen Durch die Abrissbirne hindurch schimmert etwas Rotes: Ein Etikett einer Levis-Jeans, die der zeitbewusste Dürer vielleicht heute tragen würde, statt eines No-Go-Pelzmantels.

Die Dadaisten waren Ikonoklasten. Und Dürer? In gewisser Weise auch, denn er zerstörte seine Vorgänger dadurch, dass er einfach besser war. Dass er seine Werke signierte, zeugte nicht nur von Geschäftssinn, sondern von einem überragenden Selbstbewusstsein.

Die Birne gehört ins Stillleben mit den Äpfeln. Nun aber fungiert dADa sie zur Abrissbirne um:

Sein „neuzeitliches“ Selbstbewusstsein kumulierte in seinem Selbstbildnis als Messias. Er schreibt, wer er ist, lässt keine Zweifel aufkommen.11 Aber er malt sich wie einen Idealmenschen und in einer Form, in der man den Christus vermuten könnte. Dürer vollendete Malerei. Was konnte da noch kommen? Seine späteren Leidensbilder könnten an den leidenden Christus erinnern. Das hat nichts Überhöhendes mehr an sich, sondern ist in den Niederungen eines Menschen, der körperlich geplagt, von Krankheit gezeichnet ist. Eine seine Selbstdarstellungen haben gar keine künstlerische Intention. Aus der Ferne schickt er sie seinem Arzt, damit der eine Diagnose erstellen kann.

Schauen wir noch einmal auf sein berühmtes Selbstbildnis, das er bereits 1500 malte. Es dokumentiert den aufbrechenden Individualismus, den Luther mit seinen Darlegungen zur Selbstverantwortung des Glaubens theoretisch und theologisch formulierte. Dürer malte sich optimistisch, eine Art „Übermensch“. Wir wissen nicht, wie er wirklich aussah. Das Bild wirkt zwar wie eine hervorragende Fotografie, zugleich macht es einen stilisierenden Eindruck. Es zeigt vielleicht mehr Dürer, wie er sich fühlte als wie er tatsächlich aussah.

1517, als Luther mit seinen Thesen an die Öffentlichkeit trat, stellte sich ebenfalls in Nürnberg ein anderer Künstler so dar, wie er sich wahrnahm. Der geniale Veit Stoß schuf den „Engelsgruß“, der in der Lorenzkirche hängt. Freischwebend im Raum und umgeben von den 55 Blüten des Rosenkranzes verkündet der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria die Geburt Christi. Dieses freischwebende Medaillon kostete den Auftraggeber Anton II. Tucher etwa so viel, wie Albrecht Dürer für sein Haus hinblätterte12. Über das Medaillon platzierte Veit Stoß Gottvater. Der wird aber nicht kraftstrotzend dargestellt, sondern eher leidend und ist noch dazu gebrandmarkt wie der Künstler selbst, ein Selbstbildnis in der Gottesdarstellung. Der große, gefeierte Veit Stoß fühlte sich ungerecht behandelt, der leidende Gerechte… Wegen einer Schuldscheinfälschung, auf die eigentlich die Todesstrafe stand, war der gefragte Künstler gebrandmarkt worden Am 4.12.1503 stieß man ihm auf dem Hauptmarkt einen glühenden Stab durch beide Backen. Als er mit 70 Jahren den Engelsgruß schuf, waren die Brandmale noch zu sehen und die Schande hatte sich in seine Seele eingebrannt.

Das heißt pointiert: Die Nürnberger Künstler stellten sich als Messias und Gottvater dar. Sie traten aus der Anonymität heraus und gaben dem neuen menschlichen Selbstwertgefühl religiöse Dimensionen.

Vierhundert Jahre später wütet der Erste Weltkrieg und gehen die Dadaisten auf die künstlerischen Barrikaden. Sie schwingen die Abrissbirne auf eine Kunst, die den Niedergang der Menschheit nicht aufhalten konnte, eine Kunst, die in den menschenverachtenden Krieg führt. In diesen Krieg zogen August Macke und Franz Marc wie viele Kollegen begeistert, ja, sie gaben ihm sogar einen quasi religiösen Sinn.

Dieser „entartete“ Original-Holzschnitt des „Tierlebens“ von Franz Marc, gedruckt 1919 hängt heute bei mir zuhause.

Marc war von der reinigenden Kraft des Krieges überzeugt. Hitler war im selben Krieg. Hitler überlebte. Soviel zum Thema Reinigung. Nach der „Machtergreifung“ reinigte der österreichische Ober-Arier die Kunst, symbolisiert durch die Münchner Ausstellung „Entartete Kunst“. In dieser hingen natürlich Werke des entarteten Franz Marc, der im Unterschied zum „feldgrauen Gefreiten“, wie Hitler sich gerne nannte, sein Leben ließ.

9 Allerdings für Forschungen für eine bessere Ernährungsgrundlage der Menschheit. Zu F. Haber siehe Volker Schoßwald, Wer bin ich? Dietrich Bonhoeffer als Seelsorger und Zeitgenosse; zu WK 1, Giftgas und Flugzeuge siehe Volker Schoßwald, „Rekrut am Rande eines Völkermords“

10 Klassisch beim Grünewaldaltar in Colmar.

11 Im 16. Jahrhundert gab es Produktpiraterie. Dürer Drucke wurden oft kopiert – dazu brauchte man freilich Kopisten. Einfach in einen Drucker konnte man es nicht legen, man brauchte einen Bildstock, den ein mehr oder mindert kundiger Künstler gestalten musste. Das Dürer-Haus in Nürnberg kann sich keine Originale leisten, so stellt es Kopien aus. Beim Selbstbildnis sind es mehrere Kopien, an denen selbst der Laie große Unterschiede feststellen kann.

12 Das waren etwa 500 Gulden.

4 Dada? Was? Wo? Wann? Wer?

Was bedeutet „Dada“? Es gibt zahlreiche Legenden. Aus den Künstlerkreisen wurde kolportiert, dass die Legenden teilweise Produkte der Protagonisten waren.13

Was bedeutet „Dada“? Mein Großvater studierte seinerzeit Kunst, mehr am Jugendstil mit seiner dekorativen Ausrichtung orientiert. Seinen Erzählungen zufolge war „Dada“ das Aufnehmen der Kleinkindsprache. Es bedeutet zunächst mal nichts Konkretes oder alles, auf das das Kind gerade zeigt. Zugleich sind Kinder unbefangen und machen auf Missstände aufmerksam, wie etwa bei „des Kaisers neue Kleider“.

Die Dadaisten wollten auf etwas aufmerksam machen, das man schlecht in Worte fassen konnte, weil die Worte oft missbraucht wurden. Gerade den rationalen Umgang mit der Wirklichkeit hatten die kriegführenden Parteien pervertiert. Wer auf die Leichen eines Giftgasangriffes deutete und „Dada“ sagte, brachte alles zum Ausdruck.

Die Dada-Zentren der Anfangszeit waren zugleich die Zentren des Endes. Dada konnte als Dauereinrichtung nicht leben, so wie auch der Gärprozess bei Wein einmal zu einem Abschluss kommt. Während gesellschaftlich „Dada“ ein Zeit-Signal war, stellte es biographisch eine künstlerische Phase der Beteiligten dar.14

Klassischerweise steht am Anfang Zürich mit Namen wie Hugo Ball, Emmy Hennings, Tristan Tzara, Hans Richter, Hans Arp und Richard Huelsenbeck. Alle waren Immigranten, alle flohen sie vor der Kriegsbegeisterung auch in der Kunst15 und starteten am 5. Februar 1916 mit ihrem „Cabaret Voltaire“. Sie stellten dort Bilder aus und boten ein Programm mit Rezitationen, Musikstücken, Gesangsnummern und nota bene dank Mary Wigman exotischen bis erotischen Tanzvorführungen.

Zurück in Berlin traf Huelsenbeck ein Jahr später Raoul Hausmann. Sie bildeten den „Dadaistischen Zentralrat der Weltrevolution“ mit Huelsenbeck16, Johannes Baader17, Raoul Hausmann18, Hannah Höch19 und George Grosz. Grosz veränderte sogar seine Namensschreibung: „Grosz“ statt „Groß“. Johannes Herzfelde wandelte sich antinationalistisch zu John Heartfield und führte die politische Collage zum Durchbruch.

Die Gruppe veröffentlichte häufig Zeitschriften mit nur wenigen Nummern „Der Dada“, „Der blutige Ernst“, „Die Pleite“, „Die freie Straße“. Mit den Neugründungen schlugen sie der Nachkriegszensur ein Schläppchen, ein DADASchnäppchen. Sich selbst schlugen sie Schnäppchen mit ihren narzisstischen Kämpfen: „Die Heartfield-Herzfelde und Mehring beteten George Grosz, diesen Pseudorevolutionär an, Huelsenbeck betete nur Huelsenbeck an; obgleich er mit mir die meisten unserer 12 Manifestationen gemacht hatte, war er immer bereit, zu den Groszisten zu neigen. Auf der anderen Seite sonderte ich mich mit Baader ab, der unglücklicherweise zu oft von seinen religiös-paranoischen Ideen besessen war“, analysierte Raoul Hausmann in den Sechzigern.20

Im „Café des Westens“ traf Raoul Hausmann Kurt Schwitters, der mit seinen „Merz“-Bildern einen eigenen Weg einschlug, den er letztlich mit seinem „Merz“-Haus in Hannover in die Architektur einbrachte.

Alfred F. Gruenwald hieß ein Kölner Künstler, der sich Johannes Theodor Baargeld nannte, Max Ernst blieb Max Ernst, obwohl er einige Zeit als Dadamax firmierte. Zu ihnen gesellte sich Hans Arp, der mit Züricher Impressionen nach Köln kam. Sie veranstalteten den „Dada-Vorfrühling“ im Brauhaus Winter. Einer ihrer Schwerpunkte waren Zeitschriften wie „Die Schammade“ („Dilettanten erhebt euch“).

In Köln war auch Francis Picabia zu erleben. Der Franzose wirkte dann in New York zusammen mit seinem exilierten Landsmann Marcel Duchamp zusammen. Echter US-Amerikaner war Man Ray. Der Fotograf Alfred Stieglitz setzte Initialzündungen und der Boxer Arthur Cravan provozierte mit einem Koffer dreckiger Wäsche. Auch hier operierten die Dadaisten mit einer Zeitschrift „291“. Ihre Dada-Beiträge waren stärker als die anderen in der bildenden Kunst beheimatet. Dafür steht vor allem der Begriff des „Readymade“.

Paris